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© Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 30 (2008) 4 150 C. Born Das Marburger Prophylaxemodell Aktueller Stand und Umsetzung in die Praxis Das Marburger Modell zur Gruppenprophylaxe in Schu- len wurde Ende der 70er Jahre von H.F.M. Schmidt ent- wickelt und basiert auf der regelmäßigen Applikation des Fluoridlackes Duraphat. Die Basisprophylaxe umfasst pro Halbjahr einen Besuch des zahnärztlichen Teams mit kur- zen Informationen über Wissenswertes zur Mundgesund- heit, Zahnputztraining nach der KAI-Technik im Klassen- verband, einer zahnärztlichen Untersuchung sowie der Applikation von Duraphat. Für Kinder mit hohem Karies- befall wird seit 1995 ein Programm zur Intensivprophyla- xe mit vierteljährlichen Besuchen in der Schule, erweiter- ten Informationen zur Mundgesundheit sowie vier Appli- kationen von Duraphat pro Jahr angeboten. Das Marbur- ger Modell wurde kontinuierlich weiterentwickelt und bietet jetzt im gesamten Landkreis Marburg-Biedenkopf bedarfsgerechte Gruppenprophylaxe für Kinder bis zu 16 Jahren an. Der Erfolg des Marburger Modells wurde vielfach dokumentiert. Im Jahr 2002 fand sich bei Kin- dern im Alter von zwölf Jahren ein SiC-Wert von nur 2,26. Damit konnte in Marburg bereits im Jahr 2002 das von der WHO für das Jahr 2015 vorgegebene Ziel er- reicht werden. Schlüsselwörter: Basis- und Intensivprophylaxeprogramm, Kariesrückgang, Fluoridlack The “Marburg model of prophylaxis” – Status quo and implementation The Marburg model of prophylaxis for group prevention measures has been developed in the late seventies by H.F.M. Schmidt and is based on the application of the fluoride varnish Duraphat at regular intervals. The basic prophylactic measures include half-yearly visits of a den- tal team at school with short information about oral health, dental hygiene training using the Fones tech- nique, a dental examination, and the application of Du- raphat varnish. Since 1995 a special program for intensive prophylaxis is offered to children with high caries risk including quarterly visits of the dental team at school, more de- tailed information about oral health, and the application of Duraphat varnish four times per year. The Marburg model has been continuously enhanced and offers now public preventive programs to the whole district Mar- burg-Biedenkopf, adapted to the needs of children up to an age of 16 years. The success of the Marburg model has been thoroughly documented. A SiC-value of 2.26 was found in 2002 for the twelve years old children. Therewith, it was possible to achieve the goal, which was requested of the WHO for the year 2015, already in the year 2002. Keywords: preventive programme, caries decline, fluoride varnish ÜBERSICHTSARBEIT

Das Marburger Prophylaxemodell - Zahnheilkunde · 2018-01-02 · mobile Müttersprechstunde an (Abb. 6). 6. Material – und Personalkos-tenberechnung 6.1. Materialkosten: Die Kosten

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Page 1: Das Marburger Prophylaxemodell - Zahnheilkunde · 2018-01-02 · mobile Müttersprechstunde an (Abb. 6). 6. Material – und Personalkos-tenberechnung 6.1. Materialkosten: Die Kosten

© Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 30 (2008) 4150

C. Born

Das Marburger ProphylaxemodellAktueller Stand und Umsetzung in die Praxis

Das Marburger Modell zur Gruppenprophylaxe in Schu-len wurde Ende der 70er Jahre von H.F.M. Schmidt ent-wickelt und basiert auf der regelmäßigen Applikation des Fluoridlackes Duraphat. Die Basisprophylaxe umfasst pro Halbjahr einen Besuch des zahnärztlichen Teams mit kur-zen Informationen über Wissenswertes zur Mundgesund-heit, Zahnputztraining nach der KAI-Technik im Klassen-verband, einer zahnärztlichen Untersuchung sowie der Applikation von Duraphat. Für Kinder mit hohem Karies-befall wird seit 1995 ein Programm zur Intensivprophyla-xe mit vierteljährlichen Besuchen in der Schule, erweiter-ten Informationen zur Mundgesundheit sowie vier Appli-kationen von Duraphat pro Jahr angeboten. Das Marbur-ger Modell wurde kontinuierlich weiterentwickelt und bietet jetzt im gesamten Landkreis Marburg-Biedenkopf bedarfsgerechte Gruppenprophylaxe für Kinder bis zu 16 Jahren an. Der Erfolg des Marburger Modells wurde vielfach dokumentiert. Im Jahr 2002 fand sich bei Kin-dern im Alter von zwölf Jahren ein SiC-Wert von nur 2,26. Damit konnte in Marburg bereits im Jahr 2002 das von der WHO für das Jahr 2015 vorgegebene Ziel er-reicht werden.

Schlüsselwörter: Basis- und Intensivprophylaxeprogramm, Kariesrückgang, Fluoridlack

The “Marburg model of prophylaxis” – Status quo and implementation

The Marburg model of prophylaxis for group prevention measures has been developed in the late seventies by H.F.M. Schmidt and is based on the application of the fluoride varnish Duraphat at regular intervals. The basic prophylactic measures include half-yearly visits of a den-tal team at school with short information about oral health, dental hygiene training using the Fones tech-nique, a dental examination, and the application of Du-raphat varnish. Since 1995 a special program for intensive prophylaxis is offered to children with high caries risk including quarterly visits of the dental team at school, more de-tailed information about oral health, and the application of Duraphat varnish four times per year. The Marburg model has been continuously enhanced and offers now public preventive programs to the whole district Mar-burg-Biedenkopf, adapted to the needs of children up to an age of 16 years. The success of the Marburg model has been thoroughly documented. A SiC-value of 2.26 was found in 2002 for the twelve years old children. Therewith, it was possible to achieve the goal, which was requested of the WHO for the year 2015, already in the year 2002.

Keywords: preventive programme, caries decline, fluoride varnish

ÜBERSICHTSARBEIT

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Einleitung

Mit dem Ziel, ein effizientes Gruppen-prophylaxemodell in Schulen zu instal-lieren, entwickelte das Team um Prof. H.F.M. Schmidt, ZMK-Klinik Marburg, Funktionsbereich Kinderzahnheilkun-de, Ende der 70er Jahre ein Basispro-phylaxeprogramm für Schulkinder mit regelmäßigen Fluoridlackaplikationen mit dem von Prof. H.F.M. Schmidt ent-wickelten Präparat Duraphat, das „Mar-burger Modell “ (Abb. 1).

Der Anspruch an das Programm lau-tete:• Settingansatz, d.h. aufsuchende Pro-

phylaxe (Chancengleichheit)• Durchführbarkeit in „normalen“

Räumen der Schulen• einfacher Ablauf bei geringem Zeit-

aufwand• großer kariostatischer Effekt bei ge-

ringer Fluoriddosis• hohe Akzeptanz und Zufriedenheit

bei Schülern/Schülerinnen, Eltern und Lehrpersonal

• Schaffung eines gesundheitsförderli-chen Umfeldes.

Seit Beginn des Modells zeigt sich die positive Einstellung der Eltern durch die hohe Zahl der Einverständ-niserklärungen, die fast unverändert ca. 85 % beträgt. Das Marburger Modell ist sehr gut evidenzbasiert und wurde im Jahr 2000 von den Spitzenverbänden der Krankenkassen als Basisprophylaxe-programm für die Gruppenprophylaxe

empfohlen. In verschiedenen Studien wurde die Wirksamkeit des Basispro-phylaxekonzepts dokumentiert [1, 4, 7]. So betrug vier Jahre nach Einfüh-rung des Programms die Kariesredukti-on im Vergleich zu Kindern, die nicht fluoridiert wurden ca. 40 %.

1.Umsetzung der Prophylaxe-maßnahmen in die Praxis

1.1 Organisation

Zur Einführung des Marburger Modells wurden, nach Vorstellung und Befür-wortung durch Dezernent, Amtsleitung des Gesundheitsamtes und der zustän-digen Schulämter, alle Schulen/Schul-leiter der Grundschulen Marburgs über die geplanten Prophylaxemaßnahmen schriftlich informiert. Eine zusätzliche Vorstellung in Form eines „Runden Ti-sches“ bzw. in einer pädagogischen Lehrerkonferenz hat sich als sehr posi-tiv erwiesen.

Die Information der Eltern bzw. Er-ziehungsberechtigten erfolgt über die Schule. Die Informationsbroschüre be-schreibt die geplanten Maßnahmen. Die Eltern dokumentieren das Einver-ständnis zur Fluoridierung bis auf Wi-derruf auf einem Prophylaxepass. Mit-teilungen bezüglich Allergien, behand-lungsbedürftigem Asthma etc. werden ebenfalls auf dem Pass vermerkt. Der Pass wird in der Schule aufbewahrt bzw.

bei Schulwechsel mit der Schülerakte weitergegeben, sodass zum Zeitpunkt der Prophylaxemaßnahmen diese In-formationen dem zahnärztlichen Team bzw. der Prophylaxefachkraft vorlie-gen, entsprechende Maßnahmen erfol-gen können und diese dokumentiert werden können.

2. Basisprophylaxe

Im Schuljahr 1981/82 starteten wir mit unserem Gruppenprophylaxemodell in den Grundschulen der Stadt Marburg mit den Schulanfängern, einer Jahr-gangsbreite von 500 Schülern. In den darauf folgenden Schuljahren wurden jeweils die ersten Klassen hinzugenom-men, sodass im Schuljahr 1987/88 alle Schüler vom Schulbeginn bis zur sechs-ten Klasse am Basisprophylaxepro-gramm teilnehmen konnten.

Im Jahr 1988 wurde der Arbeitskreis Jugendzahnpflege gegründet. Die Kran-kenkassen stellten die Finanzierung des Materials und des zusätzlichen Per-sonals sicher und der Landkreis stellte zwei Prophylaxefachkräfte ein, sodass alle ersten und zweiten Klassen im Landkreis Marburg-Biedenkopf ein-bezogen werden konnten. Die hin-zugekommenen 3600 Schüler aller Grundschulen im flächenmäßig gro-ßen Landkreis Marburg-Biedenkopf be-deuteten eine Herausforderung, denn das Programm war für alle (Lehrer, El-

Abbildung 1 Das Marburger Modell im Zeitverlauf.

Figure 1 The Marburg model over the years.

Abbildung 2 Zahnputztraining, gemeinsames Zähneputzen macht

Spass!

Figure 2 Teaching oral hygiene, brushing teeth together is fun!

C. Born: Das Marburger Prophylaxemodell

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tern, Schüler, Sekretärinnen und auch für die Prophylaxefachkräfte) neu und die Wege weit.

Seit dem Schuljahr 1992/93 neh-men alle Vorklassen, Eingangsstufen, Klassen eins bis sechs und alle Schulen für Lernhilfe flächendeckend am Pro-phylaxeprogramm teil. Aktuell betreu-en drei zahnärztliche Teams (finanziert vom Landkreis), sowie fünf Prophylaxe-fachkräfte und eine Oecotrophologin (finanziert von den Krankenkassen) 16.800 Schüler, von denen 13.500 an den Fluoridlacktouchierungen teilneh-men (ca. 80 %).

2.1. Die Basisprophylaxe umfasst:

Einen Schulbesuch des zahnärztlichen Teams pro Halbjahr• Kurzthemen (ca. 10 Min.) über Wis-

senswertes rund um den Mund im Klassenraum und anschließend

• Zahnputztraining nach der KAI-Tech-nik im Klassenverband

• Die zahnärztliche Untersuchung und/oder Fluoridierung mit Dura-phat erfolgt im Arztraum oder einem anderen geeigneten Raum in der Schule.

Das Marburger Modell hat den Vor-teil, dass in normalen Räumen der Schule pro Schulstunde eine Klasse mit allen vier Basisinhalten betreut werden kann. Die Organisation ist daher sehr einfach und die „Störung“ des norma-

len Schulbetriebes mit zweimal pro Jahr stattfindenden Aktionen gering und dadurch die Akzeptanz hoch.

Möglichst zeitnah (ein Tag) vor der Durchführung der Prophylaxemaßnah-men in der Schule werden Eltern und Schüler schriftlich informiert. Die Kin-der bringen Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnputzbecher und ein kleines Hand-tuch mit. Die Information zum Ablauf dieses Tages beinhaltet die Aufforde-rung, dass die Kinder ein „kräftiges“ Frühstück zuhause zu sich nehmen, da zwei Stunden nach der Fluoridlacktou-chierung keine kauaktive Nahrung ge-gessen werden soll. Die mitgebrachten Zahnputzutensilien bieten die Mög-lichkeit über die geeignete Zahnbürste und altersangepasste Zahnpasta zu sprechen. Für Kinder, die ihre Zahn-bürsten vergessen haben, liegen Ein-malzahnbürsten bereit, sodass alle am Zahnputztraining teilnehmen können.

2.1.1. Zahnputztraining nach der KAI-Methode

Da in den meisten Schulen keine Zahn-putzräume oder Zahnputzbrunnen vor-handen sind, findet das Zahnputztrai-ning im Klassenraum statt. Statt der Zahnpasta verwenden wir Mundspüllö-sung, z. B. Meridol, in einer Sprühfla-sche. Ein Ausspucken, bzw. Ausspülen ist dadurch nicht zwingend notwendig (Abb. 2).

2.1.2. Untersuchung und/oder Fluo-ridierung

Die Untersuchung und/oder Fluoridie-rung findet im Arztraum oder einem anderen geeigneten Raum der Schule statt. Die Befunde werden mittels EDV dokumentiert. Die Fluoridlacktouchie-rung erfolgt mit einer Zylinderampul-lenspritze mit stumpfer Kanüle, die im 45° Winkel mit einer Aderzange abge-bogen wird. Prädilektionsstellen der Ka-ries, gefährdete Bereiche (z. B. Entkal-kungsstellen, rund um Bracketts und Bänder, frisch „durchbrechende“ Zäh-ne) können gezielt bei geringem Fluo-ridlackbedarf erreicht werden. Die rela-tive Trockenlegung erfolgt durch Auf-beißen auf einen zellstoffumwickelten Holzspatel, der gleichzeitig zum Abhal-ten der Wange dient (Abb. 3).

3. Intensivprophylaxe

Nicht alle Schüler profitieren gleich-mäßig vom Basisprophylaxeprogramm, das zeigte sich sowohl in der Arbeit in den Schulen, als auch in wissenschaftlichen Untersuchungen [4]. Kinder mit erhöh-tem Kariesrisiko, die in größerer Anzahl in sozialen Brennpunkten leben, hatten einen geringeren Kariesrückgang. Dieser Polarisierung des Kariesbefalls wird seit dem Schuljahr 1995/96 mit einem Inten-sivprophylaxeprogramm, das auf Grund-

Abbildung 3 Fluoridlacktouchierung.

Figure 3 Application of fluorid varnish.

Abbildung 4 DMF-T-Werte 12– und 15-Jähriger der Gesamtschule Stadt-

allendorf 2002 bis 2004.

Figure 4 DMF-T-values of 12– and 15-year old children of the compre-

hensive school Stadtallendorf 2002 to 2004.

C. Born: Das Marburger Prophylaxemodell

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lage des Marburger Modells entwickelt wurde, entgegengewirkt.

3.1. Intensivprophylaxe nach dem Marburger Modell

Vierteljährliche Besuche in der Schule mit:• erweiterter Darbietung von Aufklä-

rungsthemen• Zahnputztraining nach der KAI-Tech-

nik• Fluoridlackapplikation (viermal pro

Jahr)Die Zahlen aus den Untersuchungen

2002 bis 2004 zeigen die Wirksamkeit des Intensivprophylaxeprogramms am Bei-spiel einer Gesamtschule eines sozialen Brennpunktes. Die Teilnahme am Pro-phylaxeprogramm beläuft sich auf über 90 % der Kinder. Aktuell sind acht Schulen mit ca. 1.700 SchülerInnen im Programm. Die Teilnahme liegt bei 95 %. In der Abb. 4 sind die DMF-T-Werte 12- und 15-Jäh-riger der Gesamtschule Stadtallendorf 2002 bis 2004 wiedergegeben. Zum Ver-gleich: Laut DAJ-Studie 2005 haben die 12-Jährigen in Deutschland einen DMF-T von 0,7 und die 15-Jährigen von 1,8.

4. Intensivprophylaxe im Kindergarten

Da in sozialen Brennpunkten bereits die Schulanfänger eine wesentlich höhere Karieserfahrung aufweisen als in anderen

Gebieten, ist eine frühere gruppenpro-phylaktische Betreuung notwendig. Seit dem Jahr 1999/2000 wird in 15 Kinder-gärten ein Intensivprophylaxeprogramm in diesen sozialen Brennpunkten des Landkreises erfolgreich durchgeführt [3].

4.1. Inhalt

• Spielerische Aktionen zu den The-men Mundhygiene und Ernährung

• Prophylaxeeinheiten mit intensivem Zahnputztraining mit jeweils zwei Kindern

• Zweimal jährlich Vorsorgeunter-suchungen mit Elternsprechstunde

• Zweimal jährliches Angebot der Fluo-ridlacktouchierung

• Tägliches Zähneputzen nach dem Frühstück in der Einrichtung

• Frühstücksaktionen für Kinder und Eltern durch die Oecotrophologin des AKJ

• Zuckerfreier VormittagDie intensiven Kontakte mit den

zahnmedizinischen Prophylaxeteams, gemeinsamem Mundhygienetraining, spielerischen Informationen über Mund-gesundheit und Inspektion der Mund-höhle können Kindern in der Gruppe und in vertrauter Umgebung (Kita) eige-ne positive Erfahrungen vermitteln, so-dass auch die Applikation von Fluorid-lack (Abb. 5) problemlos durchgeführt werden kann. Zurzeit sind ca. 1000 Kin-der im Programm, an der Fluoridlacktou-chierung nehmen 96 % teil.

4.2. Ergebnisse

Nach vier Jahren Intensivprophylaxe konnte an einer Grundschule in einem sozialen Brennpunkt die Anzahl der Ri-sikokinder bei den 6-Jährigen von 48 % auf 19 % gesenkt und der dmf-t-Wert von 5,2 auf 2,6 reduziert werden.

5. Mobile Müttersprechstunde

Ein Angebot für Eltern von Kindern unter drei Jahren ist die mobile Müttersprech-stunde. Die Milchzahnkaries ist weiter-hin hoch und in einigen Bundesländern wieder im Ansteigen begriffen [6]. Die frühkindliche Karies (ECC) ist sowohl ein medizinisches als auch ein soziales Pro-blem. Deshalb ist Aufklärung und Inter-vention so früh wie möglich notwendig. Wir bieten neben Hebammenfortbil-dung, Schwangerenberatung, Fortbil-dung für Tagesmütter etc. seit 2005 eine mobile Müttersprechstunde an (Abb. 6).

6. Material – und Personalkos-tenberechnung

6.1. Materialkosten:

Die Kosten für eine Duraphattouchie-rung belaufen sich auf 0,75 € bei zwei-maliger Touchierung pro Jahr. In die-sem Betrag sind der zellstoffumwickelte Spatel, die Einmalkanüle, sowie das Du-

Abbildung 5 Fluoridlacktouchierung in einem integrierten Kinder-

garten eines sozialen Brennpunktes.

Figure 5 Application of fluorid varnish in an integrated Kindergarten.

Abbildung 6 Zähneputzen vom ersten Zahn an mit Spiel und Spaß.

Figure 6 Brushing teeth starting with the first tooth: playful and fun.

C. Born: Das Marburger Prophylaxemodell

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© Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 30 (2008) 4154

raphat enthalten. Pro Kind wird je nach Anzahl und Zustand der Zähne 0,1 bis 0,2 ml Suspension (entspricht ca. 2 bis 4 mg Fluorid) verbraucht.

6.2. Personalkosten:

In der Basisprophylaxe können pro Pro-phylaxefachkraft ca. 4000 Kinder pro Jahr betreut werden. Bei einer Stelle mit 19,25 Stunden in der Woche betragen die reinen Personalkosten ca. 5,00 €, bei einer Prophylaxefachkraft mit 25 Stun-den die Woche belaufen sich die Kosten auf 6,25 € pro Kind und Jahr. Bei der In-tensivprophylaxe kann eine Fachkraft ca. 1200 Kinder pro Jahr betreuen. Die Kosten liegen bei 19,00 € pro Kind und Jahr.

7. Probleme

Das Marburger Modell ist seit 1981 bzw. 1988 fest in den Alltag der Schulen im

Landkreis Marburg-Biedenkopf inte-griert, jedoch wird es nie ein „Selbstläu-fer“ werden. Eine umfassende aktuelle Information aller Beteiligten ist absolut notwendig. Eine Information Punkt für Punkt (Abb. 7) hat sich dabei als sehr hilfreich erwiesen.

8. Prophylaxe bringt´s

Im Rahmen einer Studie sind die Schü-ler (2140) aller sechsten Klassen im Landkreis Marburg-Biedenkopf im Jahr 2002 untersucht worden. Der mittlere DMF-T-Wert betrug 0,94 und der SiC lag bei 2,26 und 65 % der Schüler waren ka-riesfrei.

Der niedrige SiC der 12-Jährigen von 2,26 aus dieser Studie belegt, dass mit bedarfsgerechter (Basis- bzw. Inten-siv-)Gruppenprophylaxe bereits im Jahr 2002 in Marburg vorgegebene Ziele der WHO für das Jahr 2015 erreicht wer-den konnten.

Im Landkreis Marburg-Biedenkopf ist in den Jahren 1992 bis 2002 bei den 12-Jährigen eine Kariesreduktion von 81 % erreicht worden und 76 % haben ein naturgesundes Gebiss.

Literatur

1. Born C, Schmidt HFM: Das Marburger Pro-

phylaxemodell und seine Erweiterung auf

den gesamten Landkreis – Erfahrungs-

bericht nach 8 Jahren. Zahnärztl Gesund-

heitsdienst 2, 12–15 (1990)

2. Hartmann T, Pieper K, Stoll R: Intensiv-

betreuung im Rahmen des Marburger Mo-

dells. Oralprophylaxe 22, 211–216 (2000)

3. Hartmann T, Born C, Das Marburger Modell,

Ein Konzept zur Gruppen-und Intensivpro-

phylaxe von den Anfängen bis hin zu den

neuesten Entwicklungen, Zahnärztl Ge-

sundheitsdienst 1, 6–8 (2005)

4. Klimek J, Schmidt S, Schmidt HFM, Jürgen-

sen R: Der kariostatische Effekt von Dura-

phat nach 6 Jahren in Abhängigkeit vom Ka-

riesrisiko. Dtsch Zahnärztl Z 47, 761–763

(1992)

5. Momeni A, Hartmann T, Born C, Pieper K:

Kariesprävalenz und Behandlungsbedarf bei

12-Jährigen im Kreis Marburg-Biedenkopf.

Oralprophylaxe Kinderzahnheilkd 26,

153–156 (2005)

6. Pieper K: Epidemiologische Begleitunter-

suchungen zur Gruppenprophylaxe 2004.

DAJ, Bonn 2005

7. Schmidt HFM, Grundmann T, Dietze L, Zingg

B: Marburger Modell: F-Lackapplikation in

Grundschulen, Zahnärztl Mitt 76, 2587–2592

(1986)

8. Schulte A, Born C, Stoll R, Pieper K: Die Auswir-

kung eines Fluoridlack-Programms auf den

Kariesbefall 12-Jähriger Schüler in Marburg

Dtsch Zahnärztl Z 48, 548–550 (1993)

■ Korrespondenzadresse:

Christl Born

Fähnrichsweg 7

35039 Marburg

Abbildung 7 Checkliste Punkt für Punkt.

Figure 7 Checklist point by point.

C. Born: Das Marburger Prophylaxemodell