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Bremer Friedensforum Villa Ichon Goetheplatz 4 28203 Bremen Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu c/o Dieter Winge Stubbener Str. 31 28239 Bremen Kontakt: Ekkehard Lentz (V.i.S.d.P.) Telefon: + 49 (0) 421 - 39 61 892 E-Mail: [email protected] Kontakt: Dieter Winge Telefon: + 49 (0) 179 - 379 6615 E-Mail: [email protected] Gemeinsame Stellungnahme des Bremer Friedensforums und der Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu Vergessenes Relikt der NS-Verbrechen in Oslebshausen: Das Massengrab für sowjetische Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen auf dem Areal der geplanten Bahnwerkstatt Wo sind die sterblichen Überreste von über einhundert sowjetischen Kriegsgefangenen geblieben? Vorbemerkung Das Bremer Friedensforum wurde 1983 in der Auseinandersetzung um den so genannten Nach- rüstungsbeschluss der NATO gegründet. Ein Schwerpunkt unseres Engagements ist die Pflege der deutsch-russischen Beziehungen und die Arbeit gegen das Vergessen der faschistischen Verbrechen gegen Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen aus der ehemaligen Sowjetunion während der NS- Zeit. Das Friedensforum versteht sich als Bürgerinitiative und als Teil der weltweiten Friedensbewegung und ist von Parteien und Organisationen unabhängig. Mit anderen Gruppen in Bremen und im Bund wird zusammengearbeitet. Die Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu wurde von Anwohnerinnen und Anwohnern aus Grambke, Gröpelingen und Oslebshausen gegründet. Die Bürgerinitiative setzt sich gezielt für Verbesserungen der Wohn- und Lebensqualität in den Ortsteilen ein. Das Ziel der Bürgerinitiative ist, dass die Politik sich intensiver mit diesen Themen befasst und nach guten Lösungen sucht. Es sollen ökologische und soziale Alternativen gefunden werden. Das Bremer Friedensforum befasst sich seit langem mit der historischen Aufarbeitung der faschis- tischen Verbrechen gegen Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen aus der ehemaligen Sowjet- union während der NS-Zeit. Die Behandlung der sowjetischen Gefangenen wurde bewusst unmen- schlich gestaltet: Hunger, mangelnde Kleidung, Kälte, verweigerte ärztliche Versorgung, Gewalt und Erniedrigung kennzeichneten ihren Alltag. Viele überlebten diese Tortur nicht. In den NS-Lagern starben zahlreiche Kriegsgefangene an den Folgen der erbarmungslosen Behandlung. Der Tod der von den Nazis als „Untermenschen“ diffamierten Menschen aus der Sowjetunion wurde bewusst in

Das Massengrab für sowjetische Kriegsgefangene und

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Page 1: Das Massengrab für sowjetische Kriegsgefangene und

Bremer Friedensforum Villa Ichon

Goetheplatz 4 28203 Bremen

Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu

c/o Dieter Winge Stubbener Str. 31

28239 Bremen

Kontakt: Ekkehard Lentz (V.i.S.d.P.) Telefon: + 49 (0) 421 - 39 61 892

E-Mail: [email protected]

Kontakt: Dieter Winge

Telefon: + 49 (0) 179 - 379 6615 E-Mail: [email protected]

Gemeinsame Stellungnahme des Bremer Friedensforums und der Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu

Vergessenes Relikt der NS-Verbrechen in Oslebshausen:

Das Massengrab für sowjetische Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen auf dem Areal der geplanten Bahnwerkstatt

Wo sind die sterblichen Überreste von über einhundert sowjetischen Kriegsgefangenen geblieben?

Vorbemerkung

Das Bremer Friedensforum wurde 1983 in der Auseinandersetzung um den so genannten Nach-rüstungsbeschluss der NATO gegründet. Ein Schwerpunkt unseres Engagements ist die Pflege der deutsch-russischen Beziehungen und die Arbeit gegen das Vergessen der faschistischen Verbrechen gegen Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen aus der ehemaligen Sowjetunion während der NS-Zeit.

Das Friedensforum versteht sich als Bürgerinitiative und als Teil der weltweiten Friedensbewegung und ist von Parteien und Organisationen unabhängig. Mit anderen Gruppen in Bremen und im Bund wird zusammengearbeitet.

Die Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu wurde von Anwohnerinnen und Anwohnern aus Grambke, Gröpelingen und Oslebshausen gegründet. Die Bürgerinitiative setzt sich gezielt für Verbesserungen der Wohn- und Lebensqualität in den Ortsteilen ein.

Das Ziel der Bürgerinitiative ist, dass die Politik sich intensiver mit diesen Themen befasst und nach guten Lösungen sucht. Es sollen ökologische und soziale Alternativen gefunden werden.

Das Bremer Friedensforum befasst sich seit langem mit der historischen Aufarbeitung der faschis-tischen Verbrechen gegen Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen aus der ehemaligen Sowjet-union während der NS-Zeit. Die Behandlung der sowjetischen Gefangenen wurde bewusst unmen-schlich gestaltet: Hunger, mangelnde Kleidung, Kälte, verweigerte ärztliche Versorgung, Gewalt und Erniedrigung kennzeichneten ihren Alltag. Viele überlebten diese Tortur nicht. In den NS-Lagern starben zahlreiche Kriegsgefangene an den Folgen der erbarmungslosen Behandlung. Der Tod der von den Nazis als „Untermenschen“ diffamierten Menschen aus der Sowjetunion wurde bewusst in

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Kauf genommen. Das Jahr 2021 ist achtzig Jahre nach dem NS-deutschen Überfall auf die Sowjet-union ein besonders wichtiger Anlass an die Verbrechen zu erinnern, damit sie nicht vergessen werden.

Achtzig Jahre nach diesem Überfall soll nun die Ansiedlung einer Bahnwerkstatt mit Abstellanlage auf einem Grundstück politisch vorangebracht werden, auf welchem sich das von NS-Verbrechern einge-richtete Massengrab, der sogenannte „Russen-Friedhof“, befindet.

Noch im letzten Jahr kamen erneut Mitglieder und UnterstützerInnen des Vereins für Deutsch_Rus-sische Friedens_Tage zusammen, um die Aktion „Kein Gras drüber wachsen lassen“ umzusetzen. Insgesamt 470 Grabplatten auf dem Gräberfeld NN des Osterholzer Friedhofs wurden von Moos und Schmutz befreit. An diesem Ort liegen etwa 700 Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen aus der Sowjetunion, die in Bremen um das Leben gebracht wurden, begraben. Ursprünglich wurden viele von ihnen auf dem „Russen-Friedhof“ menschenunwürdig verscharrt.

Es war bekannt, dass im Bereich zwischen dem ursprünglichen Dorf Oslebshausen und der soge-nannten Grambker Schleife Verbrechen der Nationalsozialisten begangen wurden. So soll es hier große Internierungslager und Massengräber gegeben haben. Das ganze Ausmaß der Verbrechen war und ist nach nun 80 Jahren jedoch immer noch unklar und historisch nicht vollständig aufgearbeitet.

Wir müssen davon ausgehen, dass hier wie auch andernorts Schreckliches täglich passierte: Verschleppung, Prügel, Erschöpfung, Diskriminierung, Terror, Unterernährung, Versklavung, Züchtigung, Erniedrigung, Demütigung, Hunger, Misshandlungen, Folter und Mord. Menschen mussten sich zu Tode arbeiten! Das Leben der Zwangsarbeiter war nahezu wertlos!

Das Bremer Friedenforum hat zur Historie des „Russen-Friedhofs“ recherchiert. Es konnte dank der Unterstützung des Oslebshauser Heimatforscher Harry Winkel, dem Begründer der Geschichtsgruppe „Alt Oslebs“, und des pensionierten Geschichtslehrers und passionierten NS-Forschers Peter-Michael Meiners wichtige Informationen zusammentragen und insbesondere eine Lagebestimmung der Lager und vor allem des sogenannten „Russen-Friedhofs“ vorgenommen werden.

Es wurden weitere Recherche im Online-Archiv „Memorial“ des staatlichen Informationssystems „Gedächtnis der Nation“ der Russischen Föderation vorgenommen.1

Es steht damit fest, dass auf dem Areal, welches seitens der Freien und Hansestadt Bremen aus dem Sondervermögen Hafen Unternehmen der Bahnindustrie zur Errichtung einer Bahnwerkstatt zur Verfügung gestellt werden soll, vergessene, verdrängte und verschwiegene Verbrechen der National-sozialisten stattgefunden haben und dort schätzungsweise zwischen 500 und 1.000 internierte Bürger der damaligen Sowjetunion menschenunwürdig verscharrt wurden. Aufgrund der Größe des Areals von knapp 20.000 Quadratmetern kann die Zahl der hier noch immer zu findenden Leichname nach Auffassung des Bremer Friedenforums auch noch höher sein.

Im Zuge der Recherchen konnte belegt werden, dass die sterblichen Überreste von über einhundert dokumentierten Bestattungen nicht zum Friedhof Osterholz in Bremen umgebettet wurden. Es ist davon auszugehen, dass die sterblichen Überreste weiterhin am Ort ihrer Bestattung - auf der Fläche Reitbrake - verblieben sind.

Sowjetische Kriegsgefangene waren in den Lagern der Wehrmacht und während der Zwangsarbeit Rassismus, Brutalität und Rechtlosigkeit ausgeliefert. Unter den sowjetischen Kriegsgefangenen waren auch Frauen. Über ihr Schicksal ist nur wenig bekannt. Von den circa 5,7 Millionen sowje-tischen Kriegsgefangenen, die ab dem deutschen Angriff am 22. Juni 1941 in den Gewahrsam der deutschen Wehrmacht gerieten, waren am Kriegsende circa 3,3 Millionen in den Lagern gestorben. Eine ausreichende Versorgung der Gefangenen gemäß Völkerrecht war nicht vorgesehen. Der zuneh-mende Arbeitskräftemangel zwang die deutsche Kriegswirtschaft schon im Juli 1941, sowjetische Kriegsgefangene anzufordern. Sogenannte „Russenlager“ wurden eingerichtet. Sie unterstanden der Wehrmacht, die unter Missachtung der Genfer Konvention die Gefangenen als „Untermenschen“

1 Internetadresse des Memorial: https://obd-memorial.ru

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behandelte. Als 1999 den zivilen Zwangsarbeitern humanitäre Anerkennungsleistungen für erlittenes Unrecht zugesprochen wurden, gingen die sowjetischen Kriegsgefangenen leer aus.2

Die russischen Zwangsarbeiter wurden oft gezielt einer "Vernichtung durch Arbeit" ausgesetzt und zu so harten Tätigkeiten angetrieben, dass sie in kurzer Zeit an Entkräftung, Kälte oder Krankheit starben.

1944 unterstanden die etwa 200 Lager in Bremen und das Personal dem damaligen Senator für das Bauwesen.3 Zu Beginn der Zwangsarbeit von Bürger*innen aus der Sowjetunion in Bremen war Hans-Joachim Fischer (NSDAP, kommissarisch von Januar 1941 bis April 1942) hierfür als Bausenator hauptverantwortlich.

Grambker Lager

Es ist wichtig zu wissen, dass im Nachgang zum Zweiten Weltkrieg Gemarkungsgrenzen und Straßen-bezeichnungen und -verläufe zum Teil geändert wurden. So gehörte das Areal der sogenannten „Grambker Schleife“ früher nicht zu Oslebshausen. Die Grenze zwischen den Gemarkungen Grambke und Oslebshausen lag weiter östlich.

So endete die Oslebshauser Heerstraße ursprünglich bei der Straße „Auf den Heuen“ bzw. „Dohlen-straße“ und mündete in die Grambker Heerstraße ein. Hier war auch die Grenze zwischen Grambke und Oslebshausen. Auch die „Wiehenstraße“ wurde in „Riedemannstraße“ umbenannt und ca. 100 m in Richtung stadteinwärts verlegt. Sie verläuft heute von der Oslebshauser Heerstraße bis zur Straße „Beim Industriehafen“.4

Aufgrund der Änderungen der Gemarkungszuordnung sind diese sogenannten "Grambker Lager" nicht unmittelbar als Lager zu identifizieren, die sich auf Flurstücken in den heutigen Gemarkungs-grenzen Oslebshausens befanden.

Der Stadtteil hatte etwa zehn Lager für mehr als 4.000 Ausländer, Verschleppte, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, darunter ein großes sogenanntes „Russenlager“ am Bahndamm der Hafenbahn, dessen Insassen bei der Weserflug GmbH im Industriehafenbereich arbeiten mussten.5 Nachfolge-unternehmen der Weserflug GmbH ist die heutige Airbus SE.

Anhand der Luftbildaufnahmen der National Collection of Aerial Photography konnten die „Grambker Lager“ identifiziert und räumlich zugeordnet werden.

Abbildung 1: Luftbildaufnahme (links); Einpassung in Karte OpenstreetMap (rechts) 6

2 Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten – Landesvereinigung Bremen (2018): Ausstellung Russenlager und Zwangsarbeit (https://rb.gy/lqlmpz). 3 NN (2021): Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter (https://rb.gy/lavc0c). 4 MEINERS, Peter-Michael (2017, aktualisiert 2020): Barackenlager in Lesum-Burg – Grambke – Oslebshausen 1940 – 45, S. 12 (https://rb.gy/ofciot). 5 PUVOGEL, Ulrike/ STANKOWSKI, Martin (1995): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Band 1, S. 213 (https://rb.gy/w6x1sz). 6 National Collection of Aerial Photography (1945): Aufnahme 4104 vom 24.04.1945, 542 SQDN (https://ncap.org.uk).

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In der folgenden Tabelle sind die fünf NS-Internierungslager für Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen und Kriegsgefangene aufgeführt, die dem Areal zwischen Hafenbahn und Oslebshauser Heerstraße zugeordnet werden können.7 Die Online-Map „Arbeitslager und Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus in Bremen“ korrespondiert mit diesen Angaben.8

Meiners geht davon aus, dass in den drei Großlagern Grambker Mühle, Wiehenstraße und „Commodore Bonte“ insgesamt ca. 3.000 Insassen (Kriegsgefangene sowie nicht „reichsdeutsche“ Zwangs- und Fremdarbeiter) untergebracht waren.9

Nr. Name des Lagers

Status, Lagerart

Belegung, Insassen

Einsatzort, Firma Alte Adresse, Standort

Aktuelle Adresse

61 Bordell ziv. ZwArb.-Lager

französische und polnische Prostituierte

Insassen der Lager Wiehenstraße und Grambker Mühle

neben Lager Grambker Mühle (1 Baracke)

Tillmannstraße 11 (CHS-Container Group), 28239 Oslebshausen

62 Grambker Mühle

ziv. ZwArb.-Lager

Männer (zur Hälfte Ostarbeiter)

Weserflug Hafen Grambker Heerstr. 100, Grambke

Oslebshauser Heerstraße 310 (Tillmannstraße 9), 28239 Oslebshausen

63 Wiehenstraße ziv. ZwArb.-Lager

Männer und Frauen verschiedener Nationalität

Weserflug Hafen Wiehenstraße / Ecke Grambker Heerstraße Grambke

Gewerbegebiet Riedemannstraße, 28237 Oslebshausen

64 Grambker Heerstraße "Commodore Bonte"

Kgf.-Lager Franzosen, Sowjets

verschiedene Einsatzorte der Fa. Deschimag (u.a. AG Weser, Weserflug)

Grambker Heerstr. 30, Grambke

Oslebshauser Heerstraße / Ecke Pulverberg, 28237 Oslebshausen

66 Bauernweide ziv. ZwArb.-Lager

Männer Weserflug Hafen Oslebshauser Dorfstr. 51 (Gaststätte), Oslebshausen

Wohlers Eichen (1973 Wohngebiet), 28239 Oslebshausen

Der sogenannte „Russen-Friedhof“

Rassenideologisch geprägte Vorschriften der Friedhofsverwaltungen ließen es nicht zu, dass sowjetische Kriegsgefangene auf bremischen Friedhöfen beigesetzt wurden. Bei gleichzeitiger Bestattung mehrerer sowjetischer Kriegsgefangener war zudem ein Gemeinschaftsgrab erforderlich, wobei die Bestattungskosten so niedrig wie möglich gehalten werden mussten.

Ein geeigneter Bestattungsplatz, der in den Personalkarten der Kriegsgefangenen die Bezeichnung „Friedhof Bremen“ erhielt, wurde dann in der sogenannten Bremer Gleisschleife mit dem sogenannten „Russen-Friedhof“ eingerichtet. Nach den Vorschriften der Wehrmacht hätten tote Kriegsgefangene in hölzernen Kisten mit namentlicher Kennzeichnung beigesetzt werden müssen. Auch diese Maßgabe wurde missachtet. Die Leichen wurden in Öl-, Teer- oder Asphaltpapier am Sterbeort eingehüllt und von den Gefangenen auf LKW der Wachmannschaften verladen, oder mussten von Mitgefangenen auf einer Karre zur Grabkuhle geschoben und hineingekippt werden. Ein

7 Arbeitskreis der Internationalen Friedensschule Bremen „NS-Lager in der Rüstungslandschaft Bremen-Nord“ (2016): Vorläufige Liste aller in Bremen-Nord und angrenzend während des Naziregimes errichteten Internierungslager für Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen und Kriegsgefangene (https://rb.gy/tt5dvi). 8 NN (2021): Arbeitslager und Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus in Bremen (https://rb.gy/nrted8). 9 MEINERS, Peter-Michael (2017, aktualisiert 2020): Barackenlager in Lesum-Burg – Grambke – Oslebshausen 1940 – 45, S. 12 (https://rb.gy/ofciot).

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bescheidenes Bestattungszeremoniell konnte durch die Kriegsgefangenen nicht erfolgen, weil sie auf Schritt und Tritt bewacht wurden.10

Die Freie Hansestadt Bremen beabsichtigt nun auf dem Grundstück „Reitbrake" Unternehmen der Bahnindustrie, wie Siemens oder Alstom-Bombardier, Flächen für die Ansiedlung einer großen Bahnwerkstatt zur Verfügung zu stellen.

Die Recherchen des Bremer Friedensforums haben ergeben, dass ein wesentlicher Teil dieser Flächen zum ehemaligen sogenannten „Russen-Friedhof“ gehörte. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Stadt Bremen aktuell keine Kenntnis von der Lage des Massengrabes hat.

Allerdings berichtete der Weser-Kurier bereits am 22.11.1947, dass der Senat sich zur Ehrenpflicht des Staates bekennt und die vielen tausend Toten der Nazizeit, Deutschen sowie den Angehörigen der europäischen Völker, würdige Ruhestätten zu errichten. Des Weiteren: „Auf einem Gelände am Bahndamm (gegenüber der Fuchtelkuhle) in Oslebshausen wurden während der Kriegszeit schätz-ungsweise 800 in der Gefangenschaft verstorbene Russen bestattet. Diese Toten sollen auf einen in der Nähe neu anzulegenden Friedhof umgebettet werden, und zwar auf dem Gelände am Pulverberg in Oslebshausen, auf welchem sich bereits ein polnisches Massengrab befindet, dass gleichzeitig in die Anlage mit einbezogen werden soll.“11

Das „Polnische Massengrab“ auf dem Pulverberg konnte das Bremer Friedensforum nicht identi-fizieren. Die Planungen des Senats zu einer Gesamtanlage am Pulverberg wurden offenbar in der Folgezeit verworfen. So berichtet der Weser-Kurier am 20.11.1948: „Aus einem besonderen Massengrab für ausländische Häftlinge werden z. Z. mehr als 600 Leichen am Bahndamm in Oslebshausen exhumiert (…)“.12

Am 16.11.1992 berichtet der Weser-Kurier im Zusammenhang mit der Einrichtung des Zwischen-lagers für Sondermüll von einem Friedhof für 800 russische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die in Bremen umgekommen sind. „Die genaue Zahl der Toten ist sogar heute noch nicht bekannt.“ Harry Winkel berichtet „von schlimmen hygienischen und sanitären Verhältnissen in den Lagern, die zu epidemieartigen Krankheiten führten. Zeitgenössische Quellen berichteten davon, dass im Dezember 1941 schon 371 Russen an Fleckfieber gestorben waren. Alle diese Menschen wurden von den Mitgefangenen auf einem 100 × 200 m großen Feld am Bahndamm beerdigt. Bis Kriegsende soll sich die Zahl der Toten nach Schätzungen des Senats aus dem Jahr 1947 auf etwa 800 erhöht haben.“ Auch will Harry Winkel „nicht ausschließen, dass unter dem Gelände an der Bahn noch Tote liegen“13

Warum das Planungsamt und der Senat unter Bürgermeister Klaus Wedemeier hier nicht bereits 1992 tätig wurden, obwohl einen Monat später ein Staatsabkommen mit der Russischen Föderation zur Kriegsgräberfürsorge geschlossen wurde, ist nicht bekannt. Eine gründliche archäologische Prüfung des Geländes wäre zumindest erforderlich gewesen.

Am 23.11.1997 nimmt der Weser-Kurier den Artikel vom 22.11.1947 nochmals auf.14 Fünfzig Jahre später und fünf Jahre nach dem Abkommen gibt es offensichtlich keinen Erkenntnisfortschritt. Das ändert sich auch nicht mit der Berichterstattung am 18.04.2006.15

Auch der Historiker Herbert Schwarzwälder berichtet von den Lagern in Grambke und den 371 im Jahr 1941 am Fleckfieber verstorbenen russischen Kriegsgefangenen. Weiter berichtet er: „Im Sommer 1942 waren 1550 Kriegsgefangene in Bremen untergebracht, davon 400 Russen (wiederum im Lager an der Grambker Heerstraße). Anfang 1943 verschlechterte sich der Gesundheitszustand der russischen Gefangenen sehr schnell. Als Ursache wurde festgestellt, dass sie die ihnen

10 MEINERS, Peter-Michael (2017, aktualisiert 2020): Barackenlager in Lesum-Burg – Grambke – Oslebshausen 1940 – 45, S. 13-14 (https://rb.gy/ofciot). 11 Siehe Anlage 1: Weser-Kurier vom 22.11.1947: „Ehrenfriedhof und Gedenkstätten“. 12 Siehe Anlage 2: Weser-Kurier vom 20.11.1948: „Der Friedhof mahnt uns Lebende“. 13 Siehe Anlage 3: Weser-Kurier vom 16.11.1992: „Schadstoff-Lager neben Gräbern“. 14 Siehe Anlage 4: Weser-Kurier vom 23.11.1997: „Ewiges Ruherecht in Osterholz“. 15 Siehe Anlage 5: Weser-Kurier vom 18.04.2006: „Wer weiß etwas über diese Toten?“.

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zustehende Verpflegung nicht erhalten haben und dass sie durch die schwere Arbeit überanstrengt worden waren.“16

Im Vorwege zur Aufstellung der Bebauungspläne 2434 und 2530 in 2012 und zuletzt in 2020 wurde eine historische Untersuchung des Areals offenbar ebenfalls unterlassen. Der Verwaltung war die geschichtliche Vorbelastung der zu überplanenden Fläche nicht bewusst. Gleichwohl hatte die Verwaltung in 2012 noch intuitiv einen guten und der schrecklichen Historie der Fläche angemessenen Planungsansatz gewählt, indem eine „grüne Pufferzone“ zur Beseitigung städtebaulicher Missstände umgesetzt werden sollte.

Abbildung 2: Lokalisierung des "Russen-Friedhofs"17

Auf Grundlage der undatierten Karte wurde eine räumliche Einpassung der Fläche des „Russen-Friedhofs“ in die heutigen Gegebenheiten sowie des aktuell vorliegenden Flächenplans zur Ansiedlung der Bahnwerkstatt vorgenommen. Die Einpassung zeigt, dass etwa drei Viertel der Fläche des „Russen-Friedhofs“ von etwa 20.000 Quadratmetern zentral in der für die Bahnwerkstatt projektierten Fläche liegen.

16 SCHWARZWÄLDER, Herbert (1995): Geschichte der Freien Hansestadt Bremen IV – Bremen in der NS-Zeit (1933-1945), S. 513-514. 17 MEINERS, Peter-Michael (2017, aktualisiert 2020): Barackenlager in Lesum-Burg – Grambke – Oslebshausen 1940 – 45, Titelseite.

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Abbildung 3: Einpassung der Fläche „Russen-Friedhof“ (rot schraffierte Fläche) in Flächenplan zur Ansiedlung Bahnwerkstatt

Anhand der Abbildung 4 ist ersichtlich, dass etwa fünfzig Prozent der Fläche des „Russen-Friedhofs“ auf dem Gelände des Sondervermögens Hafen bereits im Flächennutzungsplan als Grünfläche ausgewiesen wurden. Der Flächennutzungsplan folgte hier dem Entwurf des Bebauungsplans 2434 aus 2012.

Abbildung 4: Einpassung der Fläche „Russen-Friedhof“ (rot schraffierte Fläche) in OpenStreet-Map mit Darstellung der geplanten Grünflächen nach FNP

Schwarzwälder geht davon aus, dass im Frühjahr 1944 im Stadt- und Landgebiet Bremens ca. 29.000 Fremdarbeiter lebten. Davon waren etwa 12.000 Menschen Russen und Polen.18

Das Bremer Friedensforum erachtet eine Bebauung des Massengrabes „Russen-Friedhof“ als erneute Schändung, unwürdig und gemäß den geltenden Bestimmungen des Völkerrechts als nicht humani-tär. Den entwürdigenden Umständen des Todes vieler BürgerInnen der ehemaligen Sowjetunion darf nicht nochmals Unrecht widerfahren. Die angestrebte Bebauung des „Russen-Friedhofs“ mit einer Bahnwerkstatt durch Unternehmen, wie Siemens oder Alstom-Bombardier (als Folgeunternehmen

18 SCHWARZWÄLDER, Herbert (1995): Geschichte der Freien Hansestadt Bremen IV – Bremen in der NS-Zeit (1933-1945), S. 611.

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von der Waggon- und Maschinenbau AG (WUMAG)), welche in ihrer Unternehmensgeschichte jeweils von der Ausbeutung durch Sklaven- und Zwangsarbeit profitierten, wäre ethisch und moralisch für das Bremer Friedensforum nicht akzeptabel.

Indizien für weitere verscharrte Leichen

Es gibt Indizien, die für die vielfach geäußerte Vermutung sprechen, dass noch weitere sterbliche Überreste im Boden des „Russen-Friedhofs“ zu finden sind.

Eine Bebauung würde gegen das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation über Kriegsgräberfürsorge vom 16.12.1992 verstoßen.

Ein starkes Indiz ist ein Zeitungsartikel des Weser-Kurier vom 18.09.1974. Hierin wird berichtet, dass während der Errichtung der Großwohnanlage „Wohlers Eichen“, welche in unmittelbarer Nähe zum „Russen-Friedhof“ liegt, Schädel und Gebeine von Kindern gefunden wurden. Ob es sich um die sterblichen Überreste einer oder mehrerer Personen handelt, ist dem Artikel nicht zu entnehmen. Es wird vermutet, dass die Leichenteile aus dem Zweiten Weltkrieg stammen. Weiterhin fanden die Kinder ein verrottetes Gewehr sowie Munitionshülsen. Sollten es tatsächlich Munitionshülsen und nicht Patronen sein, so handelt es sich um abgeschossene Munition.

Weiterhin wird berichtet, dass eine Baufirma das Erdreich von einer anderen Stelle geholt hätte, um es auf dem Baugelände wieder aufzuschütten. Es besteht die Möglichkeit, dass diese andere Stelle sich auf dem in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen „Russen-Friedhof“ handelt.

Abbildung 5: Artikel aus dem Weser-Kurier vom 18.09.1974: Kinder machten grausigen Fund

Wir sind der Auffassung, dass damit bewiesen ist, dass im Zeitraum 1948 bis 1950 nicht alle Leichen exhumiert und zum Osterholzer Friedhof umgebettet worden waren. Aufgrund der riesigen Ausmaße des Grabfeldes von 20.000 Quadratmetern und der Größe des Lagers in unmittelbarer Nähe scheinen aber auch Opferzahlen von bis zu 10.000 unseres Erachtens möglich zu sein. Zumal die damaligen Wachmannschaften, die vom Landesschützenbataillon 679 aus Varel gestellt wurden, dadurch auffielen, dass sie ungewöhnlich viele Kriegsgefangene erschossen haben sollen. 19,20

Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass es neben den Grambker Lagern weitere Lager in einer Entfernung von nur ca. 1,5 Kilometern auf dem Areal zwischen dem Oslebshauser Bahnhof und dem heutigen Standort von SANDER gegeben hat. Wir schätzen diese Lager auf ca. 2.000 Insassen.21

Auch wurde die Anbindung der Grambker Lager an das Netz der Reichsbahn über die Ladenstraße an der Reitbrake für die Abwicklung der Transporte offenbar überlegt.

Wir stellen folgende Arbeitsthese auf: Die Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen wurden nicht zum Bremer Hbf gebracht sondern mit Güterwaggons aus den Kriegs- und Besatzungsgebieten bzw.

19 MEINERS, Peter-Michael (2017, aktualisiert 2020): Barackenlager in Lesum-Burg – Grambke – Oslebshausen 1940 – 45, Seite 12 (https://rb.gy/ofciot). 20 FRERICHS, Holger (2017): Zwangsarbeit - Hunger - Tod. Arbeitskommandos, Lager und Grabstätten sowjetischer Kriegsgefangener in Wilhelmshaven und Friesland 1941 – 1945. 21 DREWES, Hartmut/ Arbeitskreis zur Erforschung der NS-Zeit Oslebshausen (1984-1997): Diverse Interviews mit Oslebshauser Bürgern zur NS-Zeit in Oslebshausen (unveröffentlicht).

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dem Sammellager Nienburg direkt zur Ladenstraße an der Reitbrake. Dort wurde dann „selektiert“ und wahrscheinlich auch auf Befehl an Ort und Stelle exekutiert.

Der „Russen-Friedhof“ wurde u.a. daher nahe zur „Entlade- und Selektionsstelle“ angelegt. So berichtet Peter-Michael Meiners von einem Massensterben bereits im Jahr 1941 und weiter: „Hauptursache dafür war der desolate körperliche Zustand der bereits ausgehungerten und kranken Kriegsgefangenen, die nach häufig wochenlangen Transporten eintrafen. Es mangelte in Grambke zudem an medizinischer Betreuung sowie an ausreichender Verpflegung und angemessenen hygienischen Bedingungen.“22

Die Menschen, die die Fahrt und Ankunft überlebt haben, mussten dann zu den Lagern marschieren. Die perfekte „deutsche Maschinerie“. Der Arbeitseinsatz bei Weserflug und AG Weser war auch ganz nah.

Es ist zu vermuten, dass in der Nachkriegszeit - wahrscheinlich zwischen 1950 und 1955 - die Fläche genau neben der Ladenstraße und über dem Massengrab mit Sand und Kriegsschutt aufgeschüttet wurde. Damit wurde zunächst auch jegliche Erinnerung begraben. Der neue Feind waren die Sowjets und das Wirtschaftswunder boomte gerade in Bremen. Auch den Amerikanern waren nun andere Dinge wichtiger und der DDR wollte man nun nicht unbedingt noch den Beweis liefern, dass in der Bundesrepublik Nazis inzwischen einflussreiche Positionen übernommen hatten. Ein Verbrechen dieser Größenordnung in einer dann westdeutschen Großstadt durfte es schlicht nicht geben. Man arrangierte sich und vergaß den sogenannten „Russen-Friedhof“.

Nachweis von bislang nicht umgebetteten sterblichen Überresten der NS-Opfer

Eine gemeinsame Registerkarte des Leiters für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit bei der Botschaft der Russischen Föderation sowie des sogenannten Begräbnispaten, Umweltbetriebe Bremen, einem Eigenbetrieb der Stadtgemeinde Bremen, vom 27.02.2012, für die Kriegsgrabstätte Bremen-Osterholz konnte im Archiv Memorial der Russischen Föderation recherchiert werden.23

Die Registerkarte gibt Auskunft über die Namen – in kyrillischer und deutscher Schreibweise – sowie Geburtsjahr bzw. Geburtstag, Sterbetag und Bestattungsort.

Die Zusammenfassung weist 723 bekannte und 70 unbekannte Opfer des Zweiten Weltkriegs aus. Die Aufstellung selbst 772 Angaben zu Opfern. Bei 21 Angaben wird zu jeweils zwei Unbekannten Auskunft gegeben, die zusammen an einem Ort bestattet wurden.

Eine Identifikation der Opfer anhand der Erkennungsmarken oder des Ortes der Erstbestattung ist anhand dieser Aufstellung nicht möglich. Nach Auskunft des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfür-sorge sollen auf dem Friedhof Bremen-Osterholz „446 russische Leichen, die am Bahndamm in Oslebshausen verscharrt worden waren“ umgebettet worden sein.24

Die bereits von Meiners recherchierten 66 Opfer, die auf dem sogenannten „Russen-Friedhof“ bestattet worden waren, wurden nochmals anhand der angegebenen Nummern der Erkennungs-marken in der Datenbank Memorial recherchiert.25 Informationen, wie Geburts- und Sterbetag, Tag der Gefangennahme, Grablage auf dem „Russen-Friedhof“, Einsatzort und angegebene Todesursache konnten hierbei recherchiert werden. Mit Ausnahme von zwei Opfern konnten für alle Opfer die sogenannten „Personalkarten“ online in der Datenbank Memorial eingesehen werden.

22 MEINERS, Peter-Michael (2017, aktualisiert 2020): Barackenlager in Lesum-Burg – Grambke – Oslebshausen 1940 – 45, Seite 13 (https://rb.gy/ofciot). 23 Russische Föderation/ Umweltbetrieb Bremen (2012): Registerkarte der Kriegsgrabstätte Bremen-Osterholz (https://rb.gy/zkxyol). 24 VOLKSBUND (2021): Gräberfeld NN (https://rb.gy/gsnc5w). 25 MEINERS, Peter-Michael (2017, aktualisiert 2020): Barackenlager in Lesum-Burg – Grambke – Oslebshausen 1940 – 45, Seite 16 (https://rb.gy/ofciot).

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Abbildung 6: „Personalkarte“ von Efrem Jatmanow

Tabelle 1: Aufstellung der bereits von Meiners identifizierten Opfer

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Darüber hinaus konnten weitere fünfzig Opfer in der Datenbank Memorial identifiziert werden, die ebenfalls auf dem sogenannten „Russen-Friedhof“ bestattet wurden.

Tabelle 2: Aufstellung weiterer neu identifizierter Opfer

Es ist auffällig, dass die hier aufgeführten NS-Opfer zu den frühen Opfern gehören. Sie wurden zumeist direkt nach dem deutschen Überfall noch in 1941 gefangen genommen und starben nach kurzer Zeit noch in 1941 bzw. im ersten Halbjahr 1942. Da die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter-Innen jedoch noch bis zum Mai 1945 ausgebeutet wurden und weitere den alliierten Bombar-dierungen vor allem aber viele den sogenannten „Endphaseverbrechen“ zum Opfer gefallen sein durften, ist für diese Phase des Krieges mit nochmals sehr viel höheren Opfern zu rechnen.

Tabelle 3: Sterbejahr Opfer Osterholzer Friedhof (links), „Russen-Friedhof“ (rechts)

Die Quellen legen auch nahe, dass es mindestens acht Reihen und vermutlich je Reihe mindesten 90 Grabstätten gab. Aufgrund der Größe des Areals ist jedoch von wesentlich mehr Reihen auszugehen. Bislang konnte nur einem Teil der Grabstätten Opfer zugewiesen werden. Ggf. ergeben sich hier aus den Unterlagen des Umweltbetriebes Bremen noch weitere Erkenntnisse. Es wird daher insgesamt davon auszugehen sein, dass eine weitere Befassung mit der Datenbank Memorial nochmals weitere Opfer zutage bringen dürfte.

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Abbildung 7: Aufstellung Grabstätten

Die Angaben der 116 hier aufgeführten NS-Opfer wurden mit den Daten der bereits angeführten Registerkarte des Umweltbetriebes Bremen abgeglichen. Hierbei wurden Namen, Geburts- und Sterbedaten miteinander abgeglichen. Aufgrund der vielfachen Möglichkeiten im Kyrillischen geschriebene Namen mit lateinischen Buchstaben darzustellen, dürfte die Fehleranfälligkeit bei diesem Abgleich vergleichsweise hoch sein. Der Abgleich von Geburts- und Sterbedaten hingegen ist wenig fehleranfällig. Insgesamt konnte nicht ein Name den 116 hier aufgeführten NS-Opfern einer Angabe in der Registerkarte zugeordnet werden.

Wir haben daher einen begründeten Anlass zur Vermutung, dass die sterblichen Überreste der hier aufgeführten 116 NS-Opfer weiterhin in der Erde auf der Fläche Reitbrake liegen.

Relevanz: Gegen das Vergessen und für eine würdevolle Erinnerung!

Die Recherche hat gezeigt: Die Grambker Lager waren aufgrund ihrer schieren Größe und zusammen mit dem etwa 20.000 Quadratmeter großen Massengrab „Russen-Friedhof“ sowie des nicht weiter ermittelbaren Massengrabs für polnische Bürger*innen ein Schwerpunktort der NS-Verbrechen in Bremen und in Deutschland. Dennoch gibt es kaum Publikationen oder Online-Quellen. Nur wenige Referenzen und Erinnerungstexte können aufwändig recherchiert werden. Die Geschichte um diesen schrecklichen Ort ist dem Vergessen anheim gegeben.

Einzig ein neben dem Zwischenlager für Sondermüll versteckt gelegenes Mahnmal erinnert an die nationalsozialistischen Verbrechen.

So werden die Grambker Lager und der „Russen-Friedhof“ beispielsweise weder bei Wikipedia26 noch bei der „Terra Oblita – Open Memory Map“27 aufgeführt. Terra Oblita ist das Ergebnis des Projekts „Memory-Wiki – Auf den Spuren der Erinnerung an „vergessene“ NS-Opfer in der Ukraine, Russland und Deutschland“. Während der Begegnung wurden die Projektergebnisse zusammengefasst, öffentliche Veranstaltungen durchgeführt und die Online-Plattform “Terra Oblita – Open Memory Map” der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Abschlussveranstaltung fand im August 2019 in Bremen statt.28 Auch das Sowjetische Memorial weist bislang keinen Eintrag auf.29

Das Bremer Friedensforum befürchtet, dass Teile der Grundschule „Auf den Heuen“ als auch der provisorische Kindergarten „Am Pulverberg“ auf dem Kriegsgefangenenlager Grambke „Commodore Bonte“ ggf. auch auf dem Massengrab der polnischen ZwangsarbeiterInnen errichtet wurden.

So wurde auch das Grundstück Oslebshauser Heerstraße / Ecke Riedemannstraße erst kürzlich bebaut, ohne dass es eine archäologische Untersuchung und historische Aufbereitung zum Lager „Wiehenstraße“ gegeben hat.

80 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion und 76 Jahre nach Kriegsende sind angesichts Tausender in Bremen gestorbener sowjetischer Kriegsgefangener und ZwangsarbeiterInnen für viele

26 Wikipedia (2021): Bremen zur Zeit des Nationalsozialismus (https://rb.gy/zrx8vh). 27 Terra Oblita (2021): 28 KONTAKTE-KOHTAKTbI e.V. Verein für Kontakte zu Ländern der ehemaligen Sowjetunion (2019): Memory Wiki: Abschlussbegegnung in Bremen (https://rb.gy/9svhwt). 29 Sowjetisches Memorial (2021): Kartensuche (https://rb.gy/uuonqn).

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Familien Fragen über den Verbleib von Angehörigen weiterhin offen. Eine archäologische Untersuchung und historische Aufbereitung der Grambker Lager und des „Russen-Friedhofs“ müssen nun dringend Aufklärung bringen.

Im Oktober 1941 wurden 600 sowjetische Kriegsgefangene in ein Kriegsgefangenenlager am Pulverberg eingeliefert.

In unmittelbarer Nähe dieses Standorts wurden im November 1941 371 dieser Zwangsarbeiter auf einem 100 x 200 m großen Gräberfeld verscharrt. Russenfriedhof genannt.

Bis Kriegsende sind dort nahezu 1000 zu Tode gemarterte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter vergraben worden, deren sterbliche Überreste 1948 bis 1950 in Sammelgräbern auf dem Osterholzer Friedhof beigesetzt wurden.

Das Eingangstor zum Russenfriedhof hatten die Überlebenden mit einem hölzernen orthodoxen Kreuz geschmückt.

Dieses russisch-orthodoxe Holzkreuz soll an die hier verstorbenen Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft erinnern!

Abbildung 8: Mahnmal für die gemarterten sowjetischen Kriegsgefangenen

Nach Schätzungen und Berechnungen von deutschen und russischen Historikern sind rund 5,7 Millionen sowjetische Soldaten während des Zweiten Weltkrieges in deutsche Gefangenschaft geraten und von ihnen 3,3 Millionen Tote zu beklagen. Das ist nach den ermordeten europäischen Juden die zweitgrößte Opfergruppe nationalsozialistischer Verbrechen. 2,8 Millionen sowjetische Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder wurden zur Zwangsarbeit ins damalige Deutsche Reich verschleppt. Die Zahl derjenigen, die die Sklavenarbeit nicht überlebt haben und in deutscher Erde ruhen, ist bis heute unbekannt.30

Erst vor wenigen Tagen, am 27.01.2021, hat der Präsident des Bremer Senats und Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte an „die sichtbarsten und öffentlichsten Verbrechen der Nationalsozialisten“ der Zwangsarbeit und hierbei insbesondere an die Verbrechen gegen die „Menschen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion“ erinnert. „Der Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 jährt sich dieses Jahr zum achtzigsten Mal.“ Bovenschulte erinnert daran, dass der „Krieg gegen die Sowjetunion von Anfang an ein rassistischer Vernichtungskrieg“ war. Er klagt an, dass die Menschen den Deutschen als „slawische Untermenschen, den sich die Deutschen rassisch überlegen fühlten,“ galten. „Über die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner des europäischen Teils der Sowjetunion war zur Vernichtung vorgesehen. Nur jene sollten am Leben bleiben, die für eine sogenannte Germanisierung geeignet schienen. Rassistische auf Vertreibung zielende Kriegsführung gegen die Länder Osteuropas hatte fatale Konsequenzen auch für die Angehörigen der Roten Armee. Sie wurden nicht nach den üblichen Regeln des Kriegsvölkerrechts behandelt. Die gefangenen Soldatinnen und Soldaten mussten unter freiem Himmel kampieren, sie wurden kaum medizinisch versorgt und kaum ernährt. 3,3 Millionen der weit über fünf Millionen sowjetischen Kriegsgefang-enen starben deshalb auch in deutschen Kriegsgefangenen und Konzentrationslagern. Auch der Tod bis zu dreißig Millionen Zivilisten war einkalkuliert. (…) Im Januar 1942 begann die Deportation von

30 PRIEß, Lutz/ DITTING, Wolfgang (2017): 25 Jahre deutsch- russisches Kriegsgräberabkommen (https://rb.gy/xkfv83).

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Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ins Deutsche Reich. (…)“ Auch die Bremerinnen und Bremer tragen Mitverantwortung an den Verbrechen, die gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern der Sowjetunion begangen wurden. „Keines der Verbrechen wäre geschehen, wenn nicht so viele Deutsche zu- oder weggesehen hätten. Und das öffentlichste Verbrechen – die Zwangsarbeit – hätte wohl nicht in dieser Dimension stattfinden können, wenn nicht so viele davon profitiert hätten: Vom Großkonzern bis zum Kleinstbetrieb. In Bremen selbst wurden zehntausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt: In Bremer Rüstungsbetrieben, bei Bremer Firmen, Bremer Handwerkern, von Bremer Landwirten. Untergebracht waren sie in dutzenden Lagern, die das Stadtbild prägten.“ Und weiter: „Tage der Erinnerung, wie der 27. Januar, und Orte, wie der Denkort Bunker Valentin sind dabei wichtiger denn je. Das gilt auch für das Gedenken der NS-Herrschaft in der ehemaligen Sowjetunion.“31

31 BOVENSCHULTE, Andreas (2021): Ansprache anlässlich Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus (https://rb.gy/iknofp).

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Anlage 1: Weser-Kurier vom 22.11.1947: „Ehrenfriedhof und Gedenkstätten“

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Weser-Kurier vom 20.11.1948: „Der Friedhof mahnt uns Lebende“

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Anlage 3: Weser-Kurier vom 16.11.1992: „Schadstoff-Lager neben Gräbern“

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Anlage 4: Weser-Kurier vom 23.11.1997: „Ewiges Ruherecht in Osterholz“

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Anlage 5: Weser-Kurier vom 18.04.2006: „Wer weiß etwas über diese Toten?“