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Das Michelson-Experiment von 1881 in Potsdam Hier, im Ostkeller des fr¨ uheren Astrophysikali- schen Observatoriums Potsdam auf dem Telegrafen- berg, steht an originaler Stelle eine Kopie des von A.A.Michelson erfundenen Interferometers. Mit ihm versuchte er, den Einfluss der Bewegung der Er- de auf die Lichtausbreitung zu messen. Zusammen mit der Relativit¨ atstheorie wurde das Experiment so ber¨ uhmt, dass es sogar in die Schulb¨ ucher aufge- nommen wurde als eines der wenigen, die dort im Einzelnen behandelt werden k¨ onnen. Das Interferometer Ein Interferometer kann kleinste angen- ¨ anderungen messen, und sein Prinzip ist darin un- geschlagen. Das Interferometer ist eine Spiegelanord- nung, die es gestattet, zwei Spiegelbilder einer Licht- quelle an fast gleicher Stelle zu sehen. Das von ih- nen ausgehende Licht interferiert und der Beobachter sieht eine Interferenzfigur nach Art der Newtonschen Ringe. ¨ Andert ein Lichtweg seine L¨ ange auch nur um 30 Nanometer, kann man das an der Lage¨ anderung der Interferenzfigur sehen. Der Strahlenverlauf Das ber¨ uhmte Experiment: Michelson wollte zeigen, dass sein Interferometer zu dieser besonders kniffligen Messung in der Lage war, n¨ amlich den Ein- fluss der Bewegung der Erde auf die Lichtausbrei- tung nachzuweisen. Man erwartete nat¨ urlich, dass sich die Lichtgeschwindigkeit mit der Bahngeschwin- digkeit der Erde ebenso zusammensetzt, wie die von einer fahrenden Streife gemessene Geschwindigkeit mit der eines Streifenwagens. Das der Erde entge- genkommende Licht sollte 30 km/s schneller sein als das die Bahn der Erde querende Licht. Der Ab- stand der Spiegelbilder m¨ usste dann von der Orien- tierung der Interferometerarme abh¨ angen. Michelson wurde entt¨ auscht. Das Interferometer fand die Diffe- renz nicht. Michelson musste schließen, dass sich die Lichtausbreitung ebenso an den Kellerw¨ anden orien- tierte, wie sich die Schallausbreitung in der im Keller eingeschlossenen Luft an ihnen orientiert. Interferenz Das Problem: Was ist daran seltsam? Wenn man erwartet, dass die Lichtausbreitung von einem ¨ Ather getragen wird wie der Schall von der Luft, dann ist der ¨ Ather eben auch wie die Luft im Kel- ler eingeschlossen. Das Problem besteht nun nicht darin, dass alle mechanischen Modelle eines ¨ Athers die Erwartungen nicht erf¨ ullen, sondern in einer un- scheinbaren und wenig spektakul¨ aren Beobachtung. Das Problem liegt in der Aberration des Sternen- lichts. Diese Aberration ist eine Art Regenschirm- effekt, der uns allen schon begegnet ist, wenn wir im Regen auf den Bus warten. Er l¨ asst die Sterne schein- bar in der Richtung der momentanen Bewegung der Erde zusammenr¨ ucken. Der Effekt ist nur mit einem Teleskop sichtbar und messbar, aber er zeigt, dass sich die Erde wirklich gegen die Sternumgebung be- wegt. Nur ist das Licht kein Regen, sondern eine Welle, und Wellenfronten zeigen zun¨ achst keine Ab- erration. Fresnel fand eine Ausrede. Er wies darauf hin, dass Fernrohre keine Wellenfronten messen, son- dern aus ihnen eine Art Schaumkronen ausschneiden und diese dann wie die Regentropfen durch das Te- leskop rutschen. Das funktioniert aber nur, wenn Te- leskop und W¨ ande, anders als Michelson es fand, die Lichtausbreitung nicht beeinflussen. Viele Sackgas- sen wurden abgesucht, um eine L¨ osung dieses Dilem- mas zu konstruieren oder zu finden. Regenschirm und Aberration

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Page 1: Das Michelson-Experiment von 1881 in Potsdam · Hier, im Ostkeller des fr uheren Astrophysikali-schen Observatoriums Potsdam auf dem Telegrafen-berg, steht an originaler Stelle eine

Das Michelson-Experimentvon 1881 in Potsdam

Hier, im Ostkeller des fruheren Astrophysikali-schen Observatoriums Potsdam auf dem Telegrafen-berg, steht an originaler Stelle eine Kopie des vonA.A.Michelson erfundenen Interferometers. Mit ihmversuchte er, den Einfluss der Bewegung der Er-de auf die Lichtausbreitung zu messen. Zusammenmit der Relativitatstheorie wurde das Experiment soberuhmt, dass es sogar in die Schulbucher aufge-nommen wurde als eines der wenigen, die dort imEinzelnen behandelt werden konnen.

Das Interferometer

Ein Interferometer kann kleinste Langen-anderungen messen, und sein Prinzip ist darin un-geschlagen. Das Interferometer ist eine Spiegelanord-nung, die es gestattet, zwei Spiegelbilder einer Licht-quelle an fast gleicher Stelle zu sehen. Das von ih-nen ausgehende Licht interferiert und der Beobachtersieht eine Interferenzfigur nach Art der NewtonschenRinge. Andert ein Lichtweg seine Lange auch nur um30 Nanometer, kann man das an der Lageanderungder Interferenzfigur sehen.

Der Strahlenverlauf

Das beruhmte Experiment: Michelson wolltezeigen, dass sein Interferometer zu dieser besonderskniffligen Messung in der Lage war, namlich den Ein-fluss der Bewegung der Erde auf die Lichtausbrei-tung nachzuweisen. Man erwartete naturlich, dasssich die Lichtgeschwindigkeit mit der Bahngeschwin-digkeit der Erde ebenso zusammensetzt, wie die voneiner fahrenden Streife gemessene Geschwindigkeitmit der eines Streifenwagens. Das der Erde entge-genkommende Licht sollte 30 km/s schneller seinals das die Bahn der Erde querende Licht. Der Ab-stand der Spiegelbilder musste dann von der Orien-tierung der Interferometerarme abhangen. Michelsonwurde enttauscht. Das Interferometer fand die Diffe-renz nicht. Michelson musste schließen, dass sich dieLichtausbreitung ebenso an den Kellerwanden orien-tierte, wie sich die Schallausbreitung in der im Kellereingeschlossenen Luft an ihnen orientiert.

Interferenz

Das Problem: Was ist daran seltsam? Wennman erwartet, dass die Lichtausbreitung von einemAther getragen wird wie der Schall von der Luft,dann ist der Ather eben auch wie die Luft im Kel-ler eingeschlossen. Das Problem besteht nun nichtdarin, dass alle mechanischen Modelle eines Athersdie Erwartungen nicht erfullen, sondern in einer un-scheinbaren und wenig spektakularen Beobachtung.Das Problem liegt in der Aberration des Sternen-lichts. Diese Aberration ist eine Art Regenschirm-effekt, der uns allen schon begegnet ist, wenn wir imRegen auf den Bus warten. Er lasst die Sterne schein-bar in der Richtung der momentanen Bewegung derErde zusammenrucken. Der Effekt ist nur mit einemTeleskop sichtbar und messbar, aber er zeigt, dasssich die Erde wirklich gegen die Sternumgebung be-wegt. Nur ist das Licht kein Regen, sondern eineWelle, und Wellenfronten zeigen zunachst keine Ab-erration. Fresnel fand eine Ausrede. Er wies daraufhin, dass Fernrohre keine Wellenfronten messen, son-dern aus ihnen eine Art Schaumkronen ausschneidenund diese dann wie die Regentropfen durch das Te-leskop rutschen. Das funktioniert aber nur, wenn Te-leskop und Wande, anders als Michelson es fand, dieLichtausbreitung nicht beeinflussen. Viele Sackgas-sen wurden abgesucht, um eine Losung dieses Dilem-mas zu konstruieren oder zu finden.

Regenschirm und Aberration

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Die Losung: Der Widerspruch zwischen Fresnelund Michelson kann nur aufgelost werden, wenn mandas doch naheliegende Vorurteil aufgibt, die Licht-geschwindigkeit musse sich mit der Geschwindigkeitder Erde ebenso uber Addition bzw. Subtraktion zu-sammensetzen wie etwa im Beispiel des Streifenwa-gens. Wenn man jedoch akzeptiert, dass die Lichtge-schwindigkeit ihren Betrag bei Zusammensetzungennicht andert, fallen alle Probleme mit der Lichtge-schwindigkeit in sich zusammen.

Zusammensetzung der Geschwindigkeiten nach Einstein

Es war Einstein, der dies unerschrocken feststellte.Sein Argument war einmal die Relativitat der Ge-schwindigkeit, wie sie von Galilei schon uber 200 Jah-re zuvor ausgesprochen wurde. (Setzte sich die Licht-geschwindigkeit mit der Bewegung eines Meßgeratsso zusammen, wie u.a. Michelson des erwartet hat-te, fande man eine Geschwindigkeit zunachst ohneBezugsobjekt. Die sollte es nicht geben.) Sein zwei-tes Argument war die Art, wie man entfernte Uhrenmittels Funksignalen synchronisiert. Wenn man dazudie Lichtgeschwindigkeit einsetzen muss, kann mandanach nur diese Geschwindigkeit als Messergebniserhalten. Die Lichtgeschwindigkeit gehort also zu den(nicht unmittelbar nachprufbaren) Voraussetzungen.

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Das Erstaunen: Einsteins Axiom, das etwasmehrdeutig Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ge-nannt wird, meint nur die Unveranderlichkeit ihresBetrags bei Zusammensetzungen. Dieses Axiom er-klart viele Merkwurdigkeiten, die schon vorher nachverwickelten Konstruktionen in den Sackgassen ver-mutet wurden, jetzt als einfache logische Folgen. Ambekanntesten ist hier der Zusammenhang zwischenMasse und Energie, aber die grundlegende Konse-quenz ist wohl die Relativitat der Gleichzeitigkeit.

Die Relativitat der Gleichzeitigkeit: Wir kom-men zur Aberration des Sternenlichts zuruck. Wennman verlangt, dass auch Wellenfronten Aberrationzeigen, also in Bewegungsrichtung kippen, wenn wirloslaufen, treffen sie vor uns fruher als erwartet undhinter uns spater als erwartet auf den Boden.

Gekippte Wellenfronten

Was fur uns gleichzeitig war, ist nun, nachdem wirlosgelaufen sind, nicht mehr gleichzeitig: Wenn sichzwei Personen gegeneinander bewegen, erhalten siebei der Prufung der Gleichzeitigkeit distanter Ereig-nisse verschiedene Ergebnisse. Dieser Schluss auf dieRelativitat der Gleichzeitigkeit wurde schon funf Jah-re vor Einsteins Relativitatstheorie von H.Lorentz ge-zogen, aber als Ausrede eingestuft. Schließlich wirdsie im taglichen Leben nie erfahren. Die Analyse derFrage, wie man denn nun wirklich Uhren synchroni-sieren kann, gab Einstein den letzten Anstoß zu ver-suchen, aus seinem Axiom die Physik zu entwickeln.

Das wurde die Relativitatstheorie. Wir nennen sieheute speziell, weil noch ein weiterer Schritt notigwar, um auch die Schwerkraft zutreffend einzubin-den. Einsteins Axiom fuhrt bereits mit elementargeo-metrischen Schritten auf diese Relativitat der Gleich-zeitigkeit, und es bedarf keines Athers, um das Fres-nelsche Dilemma aufzulosen und das Ergebnis desMichelson-Experiments zu klaren. Es gibt viele oftbeschriebene Merkwurdigkeiten rund um die Relati-vitat der Gleichzeitigkeit, die manchmal auch Para-doxon getauft werden. Alle losen sich auf, wenn mansie korrekt berucksichtigt.

Anerkennung: Als Michelson fur die Technik desInterferometers 1907 den Nobelpreis bekam, verblas-ste die Bedeutung der logischen Voraussetzungenund Zwischenschritte zur Relativitatstheorie und dasExperiment wurde nicht nur als deren Stutze gese-hen, sondern als deren Grundlage, und gelegentlichwurde es sogar als Beweis gefeiert, was es aber nichtsein kann. Michelson hat nicht nur diese Sicht immerabgelehnt, sondern weiter nach dem Ather gesucht.Einstein bekam den Nobelpreis des Jahres 1921 auchnicht fur die Relativitatstheorie, sondern fur seineErklarung des Photoeffekts. Manche Stimmen glau-ben, ein Mitglied des Nobelkomitees habe eine eige-ne Alternative zur Relativitatstheorie zu entwickelnversucht (wie das heute noch viele Interessierte ver-geblich tun) und auch deshalb eine Ehrung fur dieRelativitatstheorie verhindert.

Die (spezielle) Relativitatstheorie ist eine beson-ders gut gestutzte Theorie: Ihre Gestalt allein hat be-reits Erklarungen (des Elementarteilchenspins) undVoraussagen (der Existenz von Antiteilchen) gelie-fert, die anders nicht so einfach – wenn uberhaupt –erhalten werden. Auf spezielle Effekte kommt es dakaum noch an, aber die sind naturlich auch bestatigt.