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Das politische System Indiens

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Christian Wagner

Das politischeSystem Indiens

Eine Einführung

2. Aufl age

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Christian WagnerBerlin, Deutschland

ISBN 978-3-658-05290-4 ISBN 978-3-658-05291-1 (eBook)DOI 10.1007/978-3-658-05291-1

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi-

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IXVerzeichnis der Tabellen und des Schaubildes . . . . . . . . . . . . . . . XIIIVorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIIVorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Die historische Entwicklung des indischen Subkontinents . . . . . . 71.2 Die sozialen, wirtschaftlichen und

kulturellen Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.3 Erfolge und Probleme der indischen Demokratie . . . . . . . . . . . 261.4 Die Konzeption des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

2 Institutionen: Gewaltenteilung, Verwaltung, Staatsstruktur . . . 352.1 Die Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

2.1.1 Das Abgeordnetenhaus (Lok Sabha) . . . . . . . . . . . . . . 362.1.2 Die Vertretung der Bundesstaaten (Rajya Sabha) . . . . . . . . 402.1.3 Der Prozess der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 432.1.4 Der politische und soziale Wandel des Parlaments . . . . . . . 46

2.2 Die Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542.2.1 Der Präsident . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542.2.2 Präsident und Premierminister . . . . . . . . . . . . . . . . . 592.2.3 Der Premierminister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612.2.4 Premierminister, Kabinett, Ministerrat . . . . . . . . . . . . . 65

2.3 Die Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682.3.1 Der Oberste Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692.3.2 Judikative und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Inhalt

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VI Inhalt

2.4 Die Verwaltung: Bürokratie, Militär, Polizei . . . . . . . . . . . . . . 752.4.1 Die staatliche Bürokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752.4.2 Das Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782.4.3 Die Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

2.5 Die Bundesstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852.5.1 Der indische Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852.5.2 Die politische Struktur der Bundesstaaten . . . . . . . . . . . 95

2.6 Die lokale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1002.6.1 Die Entwicklung der lokalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . 1002.6.2 Die Reformen von 1992/3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

2.7 Die Rolle der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1052.8 Alte und neue Herausforderungen

für die politischen Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

3 Akteure und Prozesse: Parteien, Interessengruppen, Nichtregierungsorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

3.1 Entwicklung und Wandel des Parteiensystems . . . . . . . . . . . . 1133.1.1 Politische Repräsentation in der britischen Kolonialzeit . . . . . 1143.1.2 Die Entwicklung des Parteiensystems nach 1947 . . . . . . . . 1173.1.3 Die Herausbildung regionaler Parteiensysteme . . . . . . . . . 121

3.2 Die Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1223.2.1 Die Kongresspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1233.2.2 Die Bharatiya Janata Party (BJP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1343.2.3 Die kommunistischen Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . 1403.2.4 Andere Parteien und Bündnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 1463.2.5 Innerparteiliche Demokratie, Finanzierung, Korruption . . . . . 151

3.3 Wahlen und Wahlsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1573.3.1 Das Wahlsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1573.3.2 Die Wahlkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

3.4 Interessengruppen: Arbeiter, Unternehmer, Bauern . . . . . . . . . . 1673.5 Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaft . . . . . . . . . 173

4 Politikfelder: Nationale Integration, soziale und wirtschaftliche Entwicklung, auswärtige Beziehungen . . . . . . 181

4.1 Die nationale Frage: Sprachenpolitik, die Reorganisation der Bundesstaaten und der Hindu-Muslim Gegensatz . . . . . . . . . 1824.1.1 Die Sprachenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1834.1.2 Die Reorganisation der Bundesstaaten . . . . . . . . . . . . . 1854.1.3 Der Hindu-Muslim Gegensatz: Shah Bano und Ayodhya . . . . 1924.1.4 Regionale Konflikte: Kaschmir und der Nordosten . . . . . . . 201

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Inhalt VII

4.2 Die soziale Frage: Wirtschaftspolitik, Reservierung, Naxaliten . . . . . 2204.2.1 Die Wirtschaftspolitik: Von der mixed economy

zur Weltmarktintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2204.2.2 Die Reservierungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2334.2.3 Die Naxaliten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

4.3 Die auswärtigen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2464.3.1 Mixed economy und Kalter Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . 2474.3.2 Liberalisierung und neue Weltordnung . . . . . . . . . . . . . 254

5 Die Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

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Abkürzungsverzeichnis

AASU All Assam Students’ UnionAFSPA Armed Forces (Special Powers) ActAGP Asom Gana ParishedAIADMK All India Anna Dravida Munnetra KazhagamAICC All India Congress CommitteeAIFB All India Forward BlocAITC All India Trinamool CongressAITUC All India Trade Union CongressANVC Achik National Volunteer CouncilASSOCHAM Associated Chambers of Commerce and IndustryBCC Block Congress CommitteesBIP BruttoinlandsproduktBJP Bharatiya Janata PartyBJS Bharatiya Jan SanghBLT Bodo Liberation TigersBLTF Bodo Liberation Tigers’ ForceBMS Bharatiya Mazdur SanghBSF Border Security ForcesBSP Bahujan Samaj PartyBTC Bodoland Territorial CouncilCBI Central Bureau of InvestigationCIC Central Information CommissionCII Confederation of India IndustryCISF Central Industrial Security ForceCITU Centre of Indian Trade UnionsCCOMPOSA Coordination Committee of Maoist Parties and Organisations of

South Asia

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X Abkürzungsverzeichnis

CPI Communist Party of IndiaCPM Communist Party of India (Marxist)CPI-ML Communist Party of India (Marxist-Leninist)CRPF Central Reserve Police ForceCTUO Central Trade Union OrganisationCVC Central Vigilance CommissionCWC Congress Working CommitteeDCC District Congress CommitteeDMK Dravida Munnetra KazhagamDPC Distrikt Planning CommitteeDRDA District Rural Development AgenciesEC Estimates CommitteeEIC East India CompanyEVM Electronic Voting MachinesFICCI Indian Chambers of Commerce and IndustryGoM Group of MinisterHDI Human Development IndexHM Hizb-ul-MujahideenIAS Indian Administrative ServiceICS Indian Civil ServiceILO International Labour OrganisationINA Indian National ArmyINC Indian National CongressINK Indischer NationalkongressINTUC Indian National Trade Union CongressISC Inter-State CouncilISI Inter-Services IntelligenceJBC Joint Business CouncilsJD Janata DalJeM Jaish-e-Mohammad („Armee des Propheten Mohammed“)JI Jamaat-e-IslamiJKLF Jammu und Kashmir Liberation FrontJ&K Jammu und KaschmirKIA Kachin Independence ArmyKLO Kamtapuri Liberation OrganizationLDF Left Democratic FrontLeT Lashkar-e-Toiba („Armee der Reinen“)MCC Maoist Communist CenterMGNREGS Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee

Scheme

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Abkürzungsverzeichnis XI

MKSS Mazdoor Kisan Shakti SangathanMoU Memorandum of UnterstandingMPLADS Members of Parliament Local Area Development SchemeMUF Muslim United FrontMULTA Muslim Liberation Tigers of AssamNBA Narmada Bachao AndolanNC National ConferenceNCP National Congress PartyNCT National Capital TerritoryNCTC National Counter Terrorism CentreNDA National Democratic AllianceNDC National Development CouncilNDFB National Democratic Front of BodolandNLFT National Liberation Front of TripuraNNC Naga National CouncilNREGA National Rural Employment Guarantee ActNRO NichtregierungsorganisationNSCN (I-M) National Socialist Council of Nagaland (Isak-Muviah)NTR N. T. Rama RaoNVV NichtverbreitungsvertragNWFP North West Frontier ProvinceOBC Other Backward ClassesPAC Public Accounts CommitteePCC Pradesh Congress CommitteePDP People’s Democratic PartyPIL Public Interest LitigationPL Public LawPMO Prime Minister’s OfficePOTA Prevention of Terrorism ActPUC Public Undertakings CommitteePWG People’s War GroupRGW Rat für Gegenseitige WirtschaftshilfeRPF Railway Protection ForceRSP Revolutionary Socialist PartyRSS Rashtriya Swayamsevak Sangh („Nationales Freiwilligenkorps“)SAARC South Asian Association for Regional CooperationSAD Shiromani Akali DalSAFTA SAARC Free Trade ArrangementSAPTA SAARC Preferential Trade ArrangementSC Scheduled Castes

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XII Abkürzungsverzeichnis

SCO Shanghai Cooperation OrganisationSEC State Election CommissionSEWA Self-Employed Women’s AssociationSFC State Financial CommissionSJD Samajwadi Janata DalSP Samajwadi PartySPG Special Protection GroupSSP Sipah-e-Sahaba PakistanST Scheduled TribesSTV Single transferable voteTDP Telugu Desam PartyTGS Tripura Ganatantric SanghTMC Tamil Maanila CongressTNV Tripura National VolunteersTSF Tripura Students FederationTUJS Tripura Upajati Juba SamitiUDF United Democratic FrontULFA United Liberation Front of AsomUNCIP UN Commission on India and PakistanUPA United Progressive AllianceUPSC Union Public Service CommissionUT UnionsterritoriumVHP Vishwa Hindu Parishad („Weltrat der Hindus“)VN Vereinte NationenVR VolksrepublikWTO World Trade Organisation

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Tabelle 1 Sozio-ökonomische Rahmendaten der Indischen Union . . . . 16Tabelle 2 Die Bevölkerungsentwicklung in Indien (1901 – 2011) . . . . . 17Tabelle 3 Kastenstruktur der indischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . 25Tabelle 4 Die Religionsgruppen in Indien . . . . . . . . . . . . . . . . 26Tabelle 5 Demokratie-Indices für Südasien . . . . . . . . . . . . . . . 29Tabelle 6 Zahl der Parlamentssitze der Bundesstaaten

und der reservierten Sitze für SC/ST*, 2014 . . . . . . . . . . 38Tabelle 7 Zahl der Sitze in der Rajya Sabha, 2014 . . . . . . . . . . . . 41Tabelle 8 Die Präsidenten der Indischen Union . . . . . . . . . . . . . 56Tabelle 9 Die Premierminister der Indischen Union . . . . . . . . . . . 63Tabelle 10 Die Bundesstaaten und Unionsterritorien:

Größe und Einwohnerzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88Tabelle 11 Die Landesparlamente in Indien . . . . . . . . . . . . . . . . 97Tabelle 12 Anzahl der Abgeordneten und Stimmenanteile

der Kongresspartei, 1951 – 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . 130Tabelle 13 Anzahl der Abgeordneten und Stimmenanteile

der BJS/BJP, 1951 – 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138Tabelle 14 Anzahl der Abgeordneten und Stimmenanteile

der CPI/CPM, 1951 – 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144Tabelle 15 Entwicklung der Mitgliederzahlen von CPI und CPM . . . . . 146Tabelle 16 Lok Sabha Wahlen 1952 – 2014: Verteilung der Sitze . . . . . . 160Tabelle 17 Provinzen und Fürstenstaaten nach 1947 . . . . . . . . . . . 186Tabelle 18 Bundesstaaten und Unionsterritorien 1956 . . . . . . . . . . 187Tabelle 19 Bundesstaaten und Unionsterritorien 2014 . . . . . . . . . . 188

Schaubild Das politische System der Indischen Union . . . . . . . . . . 111

Verzeichnis der Tabellen und des Schaubildes

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0 500 km

Namen der BundesstaatenNamen der TerritorienHauptstädte der Bundesstaaten/Territorien

HARYANAPuducherry

Bundesstaaten: I = Meghalaya, II = Tripura, III = Manipur, IV = Nagaland, V = Sikkim, VI = Mizoram

Territorien: 1 = Chandigarh, 2 = Delhi, 3 = Daman and Diu, 4 = Dadra and Nagar Haveli,

5 = Puducherry, 6 = Lakshadweep, 7 = Andaman and Nicobar Islands

C H I N A

A F G H A N I S TA N

PA K I S TA N

M YA N M A R

N E PA L

B A N G L A -D E S H

UTTAR

PRADESH BIHAR

JHARKHANDWEST

BENGAL

PUNJAB

HARYANA

HIMACHALPRADESH

UTTARANCHAL

MADHYA

RAJASTHAN

GUJARAT

MAHARASHTRA

ANDHRAPRADESHKARNATAKA

(MYSORE)

GOA

TAMIL

NADUKERALA

ORISSACHHATTIS-GARH

B H U TA N

ASSAM

ARUNACHAL PRADESH

IV

III

VI

II

I

JAMMUAND

KASHMIR

SRI LANKA

MALEDIVEN

ANDAMAN AND NICOBAR ISLANDS (7)

NEW DELHI

Simla

V

Kolkata

RanchiBhopalGandhinagar

Jaipur

Raipur

Bhubaneswar

Hyderabad

BangaloreChennai(Madras)

Puducherry5

(5)

(5)

(5)

Panaji

Mumbai(Bombay)

Diu (3) Daman (3)

Lucknow

PatnaShillong

Gangtok

Srinagar

Dehradun

Tiruvanantapuram

PRADESH

Kavaratti

Lakshadweep (6)(Laccadive, Minicoyand Amindivi Islands)

Delhi

2

4

TELANGANA

Port Blair

Itana-gar

Imphal

Aizaw

Dispur Kohi-ma

Agartala

Jammu

Chandigarh (1)

Mit den verwendeten Bezeichnungen und kartographischen Darstellungen wird nicht zum Rechtsstatus von Hoheitsgebieten oder Grenzen Stellung genommen.

Modifiziert nach einer Vorlage von Schucher, Günter/Wagner, Christian (Hrsg.): Indien 2005. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Hamburg 2005.

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Vorwort

Mein Dank geht in erster Linie an den Verlag für Sozialwissenschaften, der mit seiner Reihe der Einführungen in die politischen Systeme nicht nur die ‚klassi-schen‘ Länder der politikwissenschaftlichen Forschung wie Deutschland, USA, Frankreich und Großbritannien, sondern auch Staaten wie China und Indien in den Blick nimmt. Frank Schindler hat sich freundlicherweise der Arbeit ange-nommen, dieses Buch durch die verschiedenen Phasen bis hin zur Veröffentli-chung zu begleiten.

Ein weiterer Dank geht an die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die es mir ermöglicht hat, ein solches Werk über die ‚größte Demokratie der Welt‘ zu verfassen, deren Bedeutung auch für die deutsche Außenpolitik in den letzten Jahren beständig gewachsen ist. Anne Braun, Katrin Jordan, Fredericke Wesner, Sayem Mehmood und Johannes Gerschweski haben große und kleine Beiträge ge-leistet, damit dieses Buch zu seiner vorliegenden Form fand.

Undenkbar wäre dieses Buch ohne den beständigen Austausch mit vielen Kol-leginnen und Kollegen aus Indien, die mir halfen, die für Außenstehende auf den ersten Blick oft verwirrenden Strukturen, Institutionen und Prozesse ihres Landes zu verstehen. Salma Bava und Varun Sahni von der Jawaharlal-Nehru University in Neu-Delhi seien hier stellvertretend für viele andere genannt. Die kontinuier-liche Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung zu Indien und Südasien haben mir wertvolle Kontakte zu indischen Politikern, Wis-senschaftlern und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Manfred Haack, Helmut Rei-feld, Jost Pachaly und Siegfried Herzog sei hier nur stellvertretend für viele andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bundesdeutscher Stiftungen gedankt, mit de-nen ich an verschiedenen Stellen zusammenarbeiten durfte.

Danken möchte ich meinen Kollegen aus der deutschen Politikwissenschaft, vor allem Hans Joachim Lauth, die mich in unterschiedlichen Sektionen und Ar-

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XVIII Vorwort

beitskreisen der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft mit kriti-schen Fragen begleitet haben. Schließlich geht mein Dank auch an das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und das Südasien-Institut der Universität Heidelberg, wo ich mit Lehraufträgen mein Wissen an Studierende weitergegeben und in den Seminardiskussionen zugleich neue Anregungen für die vorliegende Einführung erhalten habe.

Berlin, im Mai 2006

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Vorwort zur 2. Auflage

Indien hat in den letzten Jahren weiter international an Bedeutung gewonnen. Der Wahlsieg von Narendra Modi 2014 hat innenpolitisch große Erwartungen für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung geweckt und hat dem Land außen-politisch neues Selbstbewusstsein gegeben. Zugleich sind neue Parteien entstan-den wie die Aam Admi Party (AAP), mit denen sich die städtischen Mittelschich-ten Gehör verschaffen. Die hohen Wachstumsraten der vergangenen Jahre haben neue Sozialprogramme ermöglicht, mit denen sie seit Jahrzehnten bestehenden Probleme der Armut vor allem im ländlichen Raum überwunden werden sollen. Allerdings haben die zunehmenden Meldungen über Vergewaltigungen das inter-nationale Bild Indiens eingetrübt.

Nach fast zehn Jahren erschien damit eine Überarbeitung der vorliegenden Einführung überfällig zu sein. Die ursprüngliche Gliederung wurde beibehalten, der Text wurde an vielen Stellen überarbeitet, ergänzt und erweitert.

Ein sehr großer Dank gebührt meinen indischen Freunden, Kollegen und Kol-leginnen an Universitäten und Think Tanks, die mir in den letzten Jahren in vie-len Diskussionen und Gesprächen die Erfolge und Herausforderungen ihrer Ge-sellschaft nahe gebracht haben.

Ein besonderer Dank gebührt Anna Greshake, Julian Kuttig und Nora Wagner, die in ihrer Zeit in der SWP mit großem Engagement und Kreativität zur Vollen-dung des Buches beigetragen haben.

Berlin, im Juni 2015

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1 Einleitung

Das Bild der Indischen Union erfährt im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands seit vielen Jahren einen tiefgreifenden Wandel. Lange Zeit war Indien das Syn-onym für die Probleme eines Entwicklungslandes mit Überbevölkerung, Armut, Hunger und Gewalt. Die Reformen und wirtschaftlichen Erfolge nach 1991 ha-ben aber dazu beigetragen, dass zunehmend ein neues, modernes Bild Indiens im Ausland entstanden ist. Indien war 2015 Partnerland auf der Hannover-Mes-se, die weltweit die größte Industriemesse ist. Premierminister Modi eröffne-te zusammen mit Bundeskanzlerin Merkel die Ausstellung, auf der Indien unter dem Schlagwort „Make in India“ seine technologischen Kapazitäten präsentierte und um internationale Investoren warb. Während die deutsche Presseberichter-stattung Mitte der 2000er Jahre mit Überschriften wie „Indien kommt in Fahrt“,

„Wirtschaftsboom: Indien beschwört sein Karma“ oder „Wirtschaftswunder am Taj Mahal“1 vergleichsweise euphorisch war, überwogen 2015 hingegen eher nüch-terne Einschätzungen gegenüber den indischen Wirtschaftsplänen.2

Seit der Liberalisierung 1991 investieren deutsche Firmen verstärkt auf dem indischen Markt beflügelt von der Aussicht auf einen Massenmarkt, der bereits heute eine kaufkräftige Mittelschicht zwischen 50 bis 150 Millionen Menschen hat. Die deutsche Automobilindustrie hat massiv in Indien investiert und viele deutsche Unternehmen haben Dienstleistungen nach Indien ausgelagert. Indische

1 Vgl. Indien kommt in Fahrt, in: Markets, April 2006; Kazim, Hasnain, Wirtschaftsboom: In-dien beschwört sein Karma, in: Spiegel Online, 20. April 2004; Wirtschaftswunder am Taj Mahal, in: Markt und Mittelstand, Nr. 7, 2004, S. 84 – 87.

2 Vgl. Indien muss auf Vorleistung gehen, http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-04/indien-narendra-modi-bilanz; „Make in India“ – Partnerland mit Imageproblemen, http://www.in-genieur.de/Panorama/Hannover-Messe/Make-in-India-Partnerland-Imageproblem; Messe Hannover – ein Traum von Indien, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/hannover-mes-se-ein-traum-von-indien-1.2429394?reduced=true

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016C. Wagner, Das politische System Indiens, DOI 10.1007/978-3-658-05291-1_1

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2 Einleitung

Softwarefirmen wickeln Dienstleistungen ‚über Nacht‘ für deutsche Firmen ab, von der Flugbestätigung bis hin zur Buchhaltung. Deutschland ist der wichtigs-te Handelspartner Indiens in der Europäischen Union (EU). Die wirtschaftlichen Beziehungen sind aber keine Einbahnstraße. Mittlerweile investieren indische Unternehmen verstärkt in Deutschland und Europa. Im Jahr 2008 waren die indi-schen Investitionen in Europa mit 3,5 Milliarden Euro sogar zum ersten Mal höher als die europäischen Investitionen in Indien, die sich aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise verringerten.3

Die politischen Beziehungen mit Deutschland haben ebenfalls einen deut-lichen Aufschwung erfahren. Beide Staaten verständigten sich im Mai 2000 auf eine „Agenda für die Deutsch-Indische Partnerschaft im 21. Jahrhundert“, die 2013 zu einer „strategischen und globalen Partnerschaft“ weiterentwickelt wur-de.4 Im Rahmen der G4 arbeiten beide Staaten zusammen mit Brasilien und Ja-pan für eine Reform und Erweiterung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (VN). Die Kabinette Indiens und Deutschlands führen seit 2011 Regierungskon-sultationen durch, um ihre Zusammenarbeit zu intensivieren. Neben den inten-siven wirtschaftlichen Beziehungen hat sich die wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit in den letzten Jahren zu einem weiteren wichtigen Pfeiler der bi-lateralen Beziehungen entwickelt. Alle wichtigen deutschen Forschungsorganisa-tionen sind mittlerweile in Indien vertreten, viele Universitäten unterhalten Ko-operations- und Austauschprogramme mit indischen Einrichtungen. Dank der verbesserten Mobilität waren im 2013/14 ca. 9 600 indische Studierende an deut-schen Hochschulen eingeschrieben. Mit über 1000 Doktoranden stellte Indien die zweitgrößte Gruppe nach China. Die Zahl deutscher Studenten an indischen Hochschuleinrichtungen wird auf etwa 1 000 geschätzt.5

Allerdings war, ist und bleibt Indien ein Land der Gegensätze. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung wird Indien, das Ende 2014 mit über 1,2 Milliarden Menschen das zweitgrößte Land war, zur Mitte dieses Jahrhunderts die Volks-republik (VR) China überholen. Indien zählt zusammen mit China seit vielen Jahren zu den Wachstumslokomotiven der Weltwirtschaft und repräsentiert sich gerne als die „schnellst wachsende Demokratie“. Zwar steht Indien in vielen Wirt-

3 Vgl. Adith, C., Indian companies in the European Union, Reigniting Economic Growth. Brussels 2012 (Europe India Chamber of Commerce, EICC), S. 20.

4 Vgl. Gemeinsame Erklärung zur Weiterentwicklung der strategischen und globalen Partner-schaft zwischen Deutschland und Indien, Berlin 2013 (http://www.auswaertiges-amt.de/sid_E0EE63E423992BF455EB164FE9BF7A1C/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Bilateral_node.html#doc346818bodyText1 , eingesehen 17. 03. 15)

5 Vgl. Auswärtiges Amt, Beziehungen zwischen Indien und Deutschland (http://www.aus-waertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Bilateral_node.html# doc346818bodyText6, eingesehen 17. 03. 15).

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Einleitung 3

schaftsbereichen immer noch im Windschatten Chinas, doch sehen viele Analy-sen langfristig Vorteile für Indien vor allem aufgrund seiner demographischen Struktur und seiner jungen Bevölkerung. Ob diese demographische Dividende aber auch genutzt werden kann, bleibt eine der zentralen Herausforderungen für die indische Politik.6

Seit dem Beginn der wirtschaftlichen Liberalisierung 1991 hat sich das Wachs-tum von ca. 3,5 Prozent nahezu verdoppelt. Die internationale Finanz- und Wirt-schaftskrise nach 2008/2009 und ausbleibende innenpolitische Reformen haben jedoch 2013 nur noch ein Wachstum von unter fünf Prozent gebracht, was weit vom selbstgesteckten Regierungsziel eines Wachstums von sieben Prozent entfernt war. Finanzminister Jaitley sah das Wachstumspotenzial seines Landes sogar bei über neun Prozent.7

Die wirtschaftlichen Erfolge seit 1991 haben die Armut verringert, haben den Regierungen neue Möglichkeiten für umfangreiche Investitionen in die Infra-struktur und für Sozialprogramme gegeben. Indien verfügt über eine Reihe von technologischen Errungenschaften, die sich u. a. im Weltraum-, Raketen- und Nu-klearprogramm niederschlagen. Die indischen Software- und IT-Spezialisten ha-ben einen global agierenden Dienstleistungssektor etabliert, der maßgeblich zum Aufschwung des Landes in den vergangenen zwanzig Jahren beigetragen hat.

Gemessen in Kaufkraftparitäten war Indien 2014 bereits die drittgrößte Volks-wirtschaft weltweit, allerdings nur auf Platz 33 wenn die Wechselkurse berück-sichtigt wurden und nur auf Platz 127 von 199 Ländern wenn die Pro-Kopf Wer-te ermittelt wurden.8 Das hohe Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre hat zwar die Armut verringert, doch gibt es eine Reihe von Indikatoren bei denen es kaum Fortschritte gibt. Indien wird deshalb trotz aller Erfolge nicht alle Entwick-lungsziele der Millennium Development Goals (MDG) erreichen. So gibt es in In-dien trotz aller Anstrengungen der vergangenen Jahre weiterhin Defizite in Be-reichen wie der politischen und wirtschaftlichen Beteiligung der Frauen oder bei der Reduktion der Kinder- und Säuglingssterblichkeit.9 Die Alphabetisierungs-

6 Vgl. Rothermund, Dietmar, Contemporary India. Political, Economic and Social Develop-ments since 1947, Delhi, Chennai 2013, S. 139 ff.

7 Vgl. India’s growth potential is above 9 percent: Jaitley, in: Business Standard, 22. Januar 2015 (http://www.business-standard.com/article/news-ians/india-s-growth-potential-is-above-9-percent-jaitley-115012201097_1.html, eingesehen 17. 03. 15).

8 Vgl. India displaces Japan to become third-largest world economy in terms of PPP: World Bank, in: The Economic Times, 30 April 2014 8http://articles.economictimes.indiatimes.com/2014-04-30/news/49523310_1_capita-income-third-largest-economy-world-gdp, einge-sehen 30. 04. 14).

9 Vgl. Mehra, Puja, 8 % GDP growth helped reduce poverty: UN report, in: The Hindu 6. Fe-bruar 2015 (http://www.thehindu.com/news/national/8-gdp-growth-helped-reduce-poverty-un-report/article6862101.ece, eingesehen 06. 02. 15).

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4 Einleitung

rate ist im Zensus 2011 zwar auf über 74 Prozent gestiegen, liegt damit aber nach über sechzig Jahren Unabhängigkeit weiterhin unter dem globalen Durchschnitt. In dien produziert seit Jahren genug Nahrungsmittel, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. 2014 verbesserte sich Indien im Globalen Hungerindex zwar auf Rang 55, doch sind Hunger und Unterernährung vor allem in den ländlichen Re-gionen weiterhin ein großes Problem.10 Die Untersuchungen von Sen und Dreze zeigen, dass der globale wirtschaftspolitische Aufstieg Indiens von einem sozial-politischen Abstieg im Vergleich zu den Nachbarn in Südasien begleitet ist. Län-der wie Bangladesch haben mittlerweile in vielen Bereichen bessere Sozialindika-toren als Indien.11

Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist weiterhin in hohem Maß von den jährlichen Monsunniederschlägen abhängig. 2012 waren noch immer 47 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig12, die aber seit vielen Jahren nur einen Anteil von weniger als 20 Prozent am Bruttoinlandsprodukt hat. Der An-teil des verarbeitenden Sektors stagniert seit vielen Jahren unter 30 Prozent, so dass die Initiative von Premierminister Modi nicht verwundert, die Industrialisie-rung des Landes voranzutreiben. In Indien müssten jeden Monat ca. eine Million neuer Arbeitsplätze für die Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt geschaffen werden. Der organisierte Sektor ist aber weiterhin klein und umfasst kaum mehr als zehn Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung, so dass Schätzungen zufolge ca. 90 Pro-zent der Beschäftigten im nicht-organisierten Bereich tätig sind.13 Die Bilder in-discher Millionenstädte und ihrer ausufernden Slumsiedlungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Indien weiterhin ein Land mit mehr als 640 000 Dörfern ist, in dem die Urbanisierungsrate erst bei knapp über 30 Prozent liegt. Zugleich ist mit der Liberalisierung nach 1991 eine neue Mittelschicht entstanden, deren Konsummuster vergleichbaren Schichten in den westlichen Industriestaa-ten kaum nachstehen.

Seit der Unabhängigkeit 1947 ist Indien ein Experimentierfeld entwicklungs-politischer Programme und leider allzu oft auch der Schauplatz ihres Scheiterns gewesen. In den 1950er Jahren galt Indien als Modell für die nicht-kommunisti-

10 Vgl. India’s rank improves to 55th position on global hunger index, in: The Economic Times, 13. Oktober 2014 (http://articles.economictimes.indiatimes.com/2014-10-13/news/54970880_ 1_nutrition-mission-india-ghi, eingesehen 13. 10. 14).

11 Vgl. Drèze, Jean; Sen, Amartya, An Uncertain Glory. India and its Contradictions, London 2013, S. 50 – 58.

12 Vgl. http://data.worldbank.org/indicator/SL.AGR.EMPL.ZS (eingesehen 17. 03. 15).13 Vgl. Barman, Abheek, Informal workers, making up 90 % of workforce, won’t get a good deal

till netas notice them, in: The Economic Times, 25. Oktober 2013 (http://articles.economic-times.indiatimes.com/2013-10-25/news/43395491_1_neelkanth-mishra-india-fall-informal-economy, eingesehen 25. 10. 13).

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sche Entwicklung der Staaten der Dritten Welt, doch konnten die politischen Eli-ten den damit verbundenen Erwartungen nicht gerecht geworden. So lag In dien 2002 im Human Development Index (HDI) im Jahr 2002 auf Rang 127 im Jahr 2014 hingegen auf Platz 135.14 Die Zerrissenheit des Landes und die gegenläufigen gesellschaftlichen Entwicklungen lassen sich an vielen Beispielen aufzeigen. Ende März 2006 übersprang der indische Börsenindex Sensex erstmals die Marke von 11 000 Punkten. In derselben Woche erhielten 500 Journalisten einen Presseaus-weis für eine Modeausstellung und in Vidharbha, einer unterentwickelten Region in Zentralindien, begingen innerhalb weniger als eines Jahres 400 Bauern Selbst-mord, weil sie hoch verschuldet waren und keine Perspektiven mehr für sich und ihre Familien sahen.15

Gegensätze und Widersprüche dieser Art finden sich auch im politischen Sys-tem. Mahatma Gandhi steht als Symbol für den gewaltfreien Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft, doch gibt es in der hinduistischen Gesellschaft bis heute zahlreiche Formen struktureller Gewalt, die z. B. durch das Kastensys-tem und die damit verbundenen Formen religiöser und sozialer Diskriminierung entstanden sind. Trotz Gandhis gewaltfreiem Kampf für die Unabhängigkeit, ist Indien kein friedfertiges Land und belegte im Global Peace Index 2015 nur Rang 143 von 162 Staaten.16 Die zahllosen gewaltsamen Konflikte hat u.a der Literatur-nobelpreisträger V. S. Naipaul in seinem Buch „Indien: Ein Land in Aufruhr“ lite-rarisch aufgearbeitet.17

Indien gilt als größte Demokratie, in der regelmäßige Wahlen für einen demo-kratisch legitimierten Regierungswechsel sorgen. Zugleich ist die Indische Union Heimat politischer Dynastien wie der Nehru-Gandhi-Familie, die sich nur schwer mit dem europäischen Verständnis von Demokratie vereinbaren lassen. Auf einer Fläche von der Größe Europas verbindet das Land eine immense soziale und kul-turelle Vielfalt. 22 Sprachen haben Verfassungsrang, vier Weltreligionen Hindu-ismus, Buddhismus, Jainismus und Sikhismus sowie unzählige religiöse Sekten sind im indischen Subkontinent beheimatet. Zugleich ist Indien mit einem An-teil von über dreizehn Prozent Muslimen eines der größten muslimischen Län-der weltweit.

14 Vgl. India ranks 135 in human development index: UNDP, in: The Times of India, 24. Juli 2014 (http://timesofindia.indiatimes.com/india/India-ranks-135-in-human-development-in-dex-UNDP/articleshow/38959685.cms, eingesehen 24. 07. 14).

15 Vgl. Sainath, P., Where India shining meets great depression, in: The Hindu 1. April 2006.16 Vgl. Institute for Economics and Peace, Global Peace Index 2015 (http://static.visionofhuma-

nity.org/sites/default/files/Global%20Peace%20Index%20Report%202015_0.pdf, eingesehen 12. 06. 15), S. 9.

17 Vgl. Naipaul, V. S., India: A Million Mutinies Now, London 1990.

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6 Einleitung

Kulturell ist Indien eine mehrheitlich hinduistisch geprägte Gesellschaft, doch ist das Land politisch eine Minderheitsgesellschaft. Es gibt keine kulturelle, eth-nische, sprachliche, soziale oder politische Gruppe, die eine politisch relevante Mehrheit bildet. So sind zwar rund 80 Prozent der indischen Bevölkerung Hindus. Die größte Sprache ist Hindi, das von ca. 40 Prozent der Bevölkerung vor allem in Norden und der Mitte des Landes gesprochen wird. Zudem unterteilt sich die indische Bevölkerung in zahllose Kasten, Religionsgemeinschaften, linguistische und ethnische Gruppen. Die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi erzielte bei der Wahl 2014 zwar eine absolute Mehrheit von Sitzen im Parlament, doch betrug ihr Stimmenanteil nur 31 Prozent.

Diese sozial-strukturelle Zersplitterung trägt somit zur Stabilität des politi-schen Systems. Sie verhindert, dass es zu einer Mobilisierung einer wie auch im-mer gearteten gesellschaftlichen Mehrheitsgruppe kommt. Die Regierungsspit-ze nach den Wahlen 2004 symbolisierte die gesellschaftliche Vielfalt: Präsident Kalam war Muslim, Premierminister Manmohan Singh gehörte zur Sikh-Ge-meinschaft und Sonia Gandhi, als Vorsitzende der Kongresspartei war Christin, italienischer Herkunft. Trotz der enormen kulturellen und sozio-ökonomischen Unterschiede ist das demokratische System gefestigt und wird sowohl von der Be-völkerung als auch von den Eliten nicht in Frage gestellt wie Umfragen zeigen.

Die Widersprüchlichkeiten Indiens zeigen sich auch auf internationaler Büh-ne. Indische Politiker verstehen ihr Land als Großmacht und fordern deshalb seit Jahrzehnten einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN). Die Indische Union zählt zu den Staaten, die bislang die meisten Blauhelmsolda-ten gestellt haben und kein anderes Land hat zugleich so viel Soldaten bei Blau-helmeinsätzen verloren wie Indien. Trotz ihres Bekenntnisses zur globalen nu-klearen Abrüstung hat sich die Indische Union mit ihren Atomtests von 1974 und 1998 ein eigenes militärisches Nuklearprogramm aufgebaut und war deshalb jah-relang Sanktionen der Industriestaaten ausgesetzt. Das Abkommen über die zivi-le nukleare Zusammenarbeit mit den USA 2008 hat Indiens internationale Isola-tion in dieser Frage beendet.

Indien hat von Beginn an die Rolle der VN bei der Beilegung regionaler Kri-sen unterstützt und zunächst deren Hilfe bei der Vermittlung im Kaschmirkon-flikt gesucht. Zugleich gibt es eine Reihe von Resolutionen der VN zu Kasch-mir, die von Indien nicht umgesetzt worden sind. Indische Politiker sehen ihr Land heute mehr als je zuvor als eine Großmacht, was sie durch die wachsen-de wirtschaft liche und technologische Leistungsfähigkeit und die militärischen Kapazitäten bestätigt sehen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die indische Regierung im Sommer 2003 ihre entwicklungspolitische Zusammen-arbeit mit einer Reihe europäischer Staaten weitgehend eingestellt hat. Zugleich vergibt Indien seit Mitte der 1960er Jahre selbst Entwicklungshilfe vor allem an

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Die historische Entwicklung des indischen Subkontinents 7

die kleineren Nachbarstaaten in Südasien sowie an afrikanische Länder und hat damit seine Position als Sprecher der Entwicklungsländer in internationalen Fo-ren gestärkt. Der indische Premierminister Jawaharlal Nehru war einer der maß-geblichen Architekten der Bewegung der Blockfreien Staaten, die nach dem Ende des Ost-West Konflikts deutlich an Bedeutung verloren hat. Heute engagiert sich Indien in den neuen Formen der Club Governance und versucht mit anderen aufstrebenden Volkswirtschaften wie Brasilien, Russland, China und Südafrika (BRICS) mehr Einfluss auf der internationalen Bühne zu erreichen.

Angesichts der Vielfalt und den Widersprüchlichkeiten der indischen Gesell-schaft, die hier nur ansatzweise dargestellt werden kann, erweist sich auch eine politikwissenschaftliche Annäherung an die Indische Union als schwieriges Un-terfangen. Der Wirtschaftswissenschaftlerin Joan Robinson wird das Bonmot zu-geschrieben: „Whatever you can rightly say about India, the opposite is also true.“18 Einschätzungen wie „von Indien kann man nur im Plural sprechen“ (Tharoor) oder die Beschreibung Indiens als „funktionierende Anarchie“ (Galbraith) zeigen die Schwierigkeiten, sich der gesellschaftlichen Komplexität des Landes anzunä-hern. Zugleich macht dies auch die enormen Herausforderungen deutlich, denen die politischen Akteure und die Institutionen des politischen Systems gegenüber-stehen. Bevor hierauf näher eingegangen wird, sollen ein kurzer Rückblick auf die Entwicklung bis zur Unabhängigkeit 1947 und ein Überblick über die wichtigs-ten sozioökonomischen Entwicklungen am Beginn des 21. Jahrhunderts eine ers-te Annäherung geben.

1.1 Die historische Entwicklung des indischen Subkontinents

Im Rahmen der vorliegenden Einführung in das politische System kann die his-torische Entwicklung bis zur Gründung der Indischen Union im August 1947 nur sehr selektiv erfolgen. Gerade in der Geschichtswissenschaft sind in Deutschland eine Reihe international anerkannter Beiträge zu verschiedenen Epochen der in-dischen Geschichte geleistet worden.19 Geschichtswissenschaft und Geschichts-schreibung sind nicht wertneutral, sondern immer in einen gesellschaftlichen

18 Contrary India, in: The Economist, 18. November 2005 (http://www.economist.com/node/ 5133493, eingesehen 18. 03. 15).

19 Vgl. u. a. Kulke, Hermann/Rothermund, Dietmar, Geschichte Indiens: von der Induskul-tur bis heute, München 2006; Kulke, Hermann, Indische Geschichte bis 1750, München 2005; Hinüber, Oskar von, Indiens Weg in die Moderne. Geschichte und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert, Aachen 2005; Mann, Michael, Geschichte Indiens. Vom 18. bis zum 21. Jahr-hundert, Paderborn, München 2005; Rothermund, Dietmar, Geschichte Indiens. Vom Mit-

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8 Einleitung

Kontext eingebunden und damit auch oft Teil politischer Auseinandersetzungen. So gibt es in Indien eine bis heute anhaltende Debatte über die negativen oder po-sitiven Folgen der britischen Kolonialherrschaft für die indische Gesellschaft. Des Weiteren wird gerade von der jüngeren Generation der Historiker die Konzen-tration auf Staats- und Herrschaftsgeschichte kritisiert, während gesellschaftliche Veränderungsprozesse oft aus der historischen Forschung ausgeblendet wurden.20 Mit dem politischen Aufstieg der BJP hat sich auch eine Diskussion über die Hin-du-nationalistische Interpretation der indischen Geschichte und den damit ver-bundenen Folgen für die religiösen Minderheiten entwickelt. Hindu-nationalis-tische Hardliner sehen die religiösen Minderheiten als konvertierte Hindus, die zurück zum richtigen Glauben geführt werden müssten. Vertreter des indischen Säkularismus haben demgegenüber vor den Gefahren gewarnt, die eine religiöse Majorisierung der Minderheiten durch die Hindu-Mehrheit für die indische De-mokratie mit sich bringen würde.

Im Folgenden sollen deshalb nur die Aspekte kurz erörtert werden, die für das politische System des unabhängigen Indiens von Bedeutung blieben. Ein Erbe der vorkolonialen Zeit ist die Herausbildung der religiösen, linguistischen und ethni-schen Vielfalt durch die verschiedenen Einwanderergruppen und ihre Absorp tion, die zu neuen kulturellen Synthesen geführt hat. Die Epoche der britischen Kolo-nialherrschaft ist im Hinblick auf die Entstehung neuer politischer Institutionen und einheimischer Eliten von Bedeutung.

Von der Industalkultur bis zu den MoghulreichenDer indische Subkontinent zählt zu den Wiegen der menschlichen Zivilisation.21 Den Ausgangspunkt bildet die Industalkultur, deren Anfänge anhand archäolo-gischer Ausgrabungen auf ca. 3000 v. Chr. datiert werden, auf wenn Spuren bis in die Zeit 6000 v. Chr. zurückverfolgt werden können. Mit einer eigenen Schrift und den Städten Mohenjo-Daro und Harappa ist die Industalkultur damit einer der ältesten Orte menschlicher Zivilisation.

Die erste Welle von Einwanderern und Eroberern bildeten ab ca. 1250 v. Chr. die aus Zentralasien über das afghanische Bergland eindringenden Reiterstämme. Sie brachten die indoarische Sprache mit und etablierten damit die bis heute vor-zufindende linguistische Aufteilung des Subkontinents. In ihren Hauptsiedlungs-gebieten im Norden entwickelten sich die indoarischen Sprachen wie Sanskrit und

telalter bis zur Gegenwart, München 2011; Im englischsprachigen Raum vgl. u. a. die über dreißig Titel der New Cambridge History of India zur Entwicklung des Subkontinents.

20 Vgl. Mann (2005), S. 28 – 30.21 Vgl. im Folgenden Rothermund, Dietmar, Epochen der indischen Geschichte, in: ders. (Hg.),

Indien. Kultur, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt. Ein Handbuch, München 1995, S. 77 – 100.

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Die historische Entwicklung des indischen Subkontinents 9

Hindi. Demgegenüber blieben im Süden des Subkontinents weiter drawidische Sprachen wie Tamil vorherrschend, das – wie Sanskrit – über eine eigene mehr als zweitausend Jahre alte Literaturtradition verfügt. Mit den indoarischen Einwan-derern kam zugleich die vedische Kultur im Subkontinent, welche die Grundlage des Kastensystems bildete.

Die historische Entwicklung des Subkontinents ist vom Nebeneinander ver-schiedener Herrschaftsgebiete geprägt, die in der Folge der indoarischen Einwan-derung entstanden. Demgegenüber sind Großreiche, die den gesamten Raum des indischen Subkontinents umfassten, die Ausnahme geblieben. Selbst diese Rei-che wurden eher dezentral kontrolliert, so dass damit immer wieder der Kern für eine Abspaltung in kleinere Herrschaftsgebiete gelegt war. Das Maurya-Reich, ca. 320 v. Chr., war eines der ersten Großreiche, das nahezu den gesamten Subkonti-nent umfasste. Als Höhepunkt gilt die Herrschaft von Ashoka, der auch die Aus-breitung des Buddhismus förderte. Nach dem Zerfall des Reiches entwickelte sich eine Reihe von Regionalkönigreichen, die bereits Kontakte nach China und Zen-tralasien aber auch nach Rom hatten.

Die zweite Welle von Eroberern ist mit der Ausbreitung des Islam verbunden, die sich mit der Eroberung des Sindh durch arabische Invasoren 711 begann. Mit der Gründung des Delhi-Sultanates 1206 etablierten sich muslimische Herrscher als dauerhafte politische Kraft im Subkontinent. Den südlichen Teil des Subkonti-nents kontrollierte ab dem 10. Jahrhundert die Chola-Dynastie, deren Expansion bis zum Ganges im Norden und bis nach Südostasien reichte. Der Islam erreichte aber auch auf dem Seeweg Südindien und wurde dort von den arabischen Kauf-leuten verbreitet.

Die Angriffe mongolischer Reiterstämme aus Zentralasien ab Ende des 13. Jahr-hunderts kündigten die dritte Welle von Eroberern an. Sie erschütterten die Re-gionalreiche Nordindiens und schufen ein Machtvakuum, das erst durch die Gründung der Mogulreiche zu Beginn des 16. Jahrhunderts unter Babur beendet wurde. Die Mogulkaiser prägten die Entwicklung des Subkontinents bis zur Mit-te des 18.  Jahrhunderts. In ihrer Herrschaft kam es zur Blüte der indo-muslimi-schen Kultur, die ihren Widerhall in zahlreichen Bauten und Denkmälern gefun-den hat, von denen das Taj Mahal im nordindischen Agra bis heute das weltweit bekannteste ist. Seine größte territoriale Ausdehnung erfuhr das Mogulreich un-ter Kaiser Aurangzeb, der im späten 17. Jahrhundert fast den gesamten Subkonti-nent kontrollierte.

Die Europäer bildeten schließlich die letzte Welle von Eroberern, wenngleich sie zu Beginn Handelspartner waren und erst im Verlauf der Jahrhunderte zu Er-oberern wurden. Der Wohlstand und die Blüte Indiens waren im Mittelalter auch in Europa bekannt. Die europäischen Mächte suchten deshalb den direkten See-weg nach Indien, um die arabischen Kaufleute, die den Handel mit dem Subkon-

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10 Einleitung

tinent bis dahin monopolisiert hatten, zu umgehen. Im Zuge der europäischen Expansion nach Übersee entdeckte Christoph Columbus 1492 zwar den ameri-kanischen Kontinent aber nicht den begehrten Seeweg nach Indien. Es blieb dem portugiesischen Seefahrer Vasco da Gama vorbehalten, der 1498 als erster Euro-päer von der ostafrikanischen Küste aus nach Indien gelangte. Andere europä-ische Mächte wie Frankreich, England, die Niederlande und Dänemark folgten den Portugiesen und errichteten Handelsstationen auf dem Subkontinent. Im Lauf der Zeit wurden die Europäer in den politischen Auseinandersetzungen auf dem Subkontinent hinein gezogen. Die Briten und Franzosen profitierten vom Niedergang des Mogulreiches nach dem Tode Aurangzebs und wurden zu eigen-ständigen politischen Akteuren. Ihre Rivalitäten in Europa und Amerika übertru-gen sich auch auf den Subkontinent, wo sie versuchten, ihre Einflussgebiete aus-zudehnen.

Die britische KolonialherrschaftAls Beginn der britischen Eroberung Indiens gilt die Schlacht von Plassey 1757. Die Briten besiegten den Nawab von Bengalen und begründeten damit ihre ter-ritoriale Kontrolle auf dem Subkontinent. 1765 erhielten sie vom Mogul Shah Alam II. das Recht zum Steuereinzug und zur Rechtsprechung für Bengalen, Bi-har und Orissa. Die britische Expansion wurde zunächst von der East India Com-pany (EIC) vorangetrieben, die seit 1600 als Handelsgesellschaft in Indien aktiv war. Bedingt durch die anhaltenden kriegerischen Konflikte mit den Regionalrei-chen und den europäischen Staaten setzte die EIC ihre territoriale Expansion in den nächsten Jahren fort. Durch den Sieg über Frankreich und die Einnahme der französischen Besitzungen von Pondicherry 1761 etablierten sich die Briten als führende europäische Macht auf dem Subkontinent. Damit war aus der einstigen Handelsgesellschaft ein zentraler Machtfaktor in den politischen Auseinanderset-zungen geworden. Erst Ende des 18. Jahrhunderts verstärkte das englische Parla-ment seine Aufsicht über die Aktivitäten der EIC auf dem Subkontinent.22 Aller-dings kontrollierte die EIC nicht immer direkt ihre Territorien. Eine Reihe von Fürstenstaaten unterwarfen sich zwar außenpolitisch der EIC, behielten allerdings im Gegenzug eine weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten. Zudem war die EIC auf einheimische Soldaten und Verwaltungsbeamte angewiesen, um ihre Herrschaft über die von ihr kontrollierten Gebiete auszuüben.

Eine der folgenschwersten Veränderungen der britischen Eroberung war die Einführung von Eigentumstiteln auf Land, neue Systeme der Steuereinziehung und die mit dem Vordringen der Geldwirtschaft beginnende Kommerzialisierung

22 Vgl. Mann, Michael, Die Herausbildung des britischen Kolonialstaates 1754 – 1793, Stuttgart 2000.

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Die historische Entwicklung des indischen Subkontinents 11

der Landwirtschaft. Mit der Einführung des Permanent Settlement Act in Benga-len, dem Zentrum der britischen Herrschaft, wurden die traditionellen Steuerein-treiber zu Besitzern des Bodens (Zamindar) gemacht. Die Briten erhoff ten sich durch die Schaffung einer neuen Schicht von Großgrundbesitzern langfristig eine Modernisierung der Landwirtschaft. Zwar stieg die Abgabenlast der Bauern, doch die erhoff ten Investitionen und Verbesserungen in der landwirtschaftlichen Pro-duktion blieben aus. Stattdessen gaben die Zamindare das Land z. T. durch Ver-steigerungen weiter, so dass neue Schichten von Mittelsmännern entstanden, die ebenfalls aus der Abgabenlast der Bauern finanziert werden musste. Bei der Ein-führung von Steuersystemen in anderen Landesteilen versuchten die Briten später, die Nachteile dieses Systems zu umgehen. So machte das im Westen und Süden des Subkontinents eingeführte Ryotwari-System die Bauern, die das Land bestell-ten, zu dauerhaften Pächtern mit entsprechenden Rechtstiteln. Beim im Nordwes-ten eingeführten Mahalwari-System wurden hingegen nicht die Bauern, sondern die Dörfer steuerlich veranschlagt.23

Die britische Expansion über den indischen Subkontinent, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Annexion des Sindh und des Punjabs folgte, wurde nur ein-mal ernsthaft in Frage gestellt, als 1857 Einheiten der britisch-indischen Armee re-bellierten. Der Aufstand (Mutiny), der die britische Herrschaft bedrohte, konn-te aber durch den Einsatz von Sikh- und Gurkha-Regimentern niedergeschlagen werden. Indischen Nationalisten gilt der Aufstand bis heute als ein Symbol des Widerstands gegen die britische Kolonialherrschaft. Er manifestierte den letzten Versuch der traditionellen muslimischen Oberschicht Nordindiens, sich gegen ihre politische Entmachtung durch die britische Kolonialherrschaft zur Wehr zu setzen. In Reaktion auf den Aufstand wurden 1858 die von der EIC kontrollierten Gebiete mit dem Government of India Act direkt der britischen Krone unterstellt. Der Generalgouverneur erhielt damit zugleich den Titel des Vizekönigs.

Neben der wirtschaftlichen Ausbeutung Indiens begann die EIC ab Beginn des 19. Jahrhunderts mit einer Reihe von Sozialreformen, u. a. das Verbot der Wit-wenverbrennung. In Reaktion auf die Arbeit der Missionare gründeten sich auch ersten hinduistische Reformbewegungen wie z. B. die Brahmo Samaj, die 1828 von Ram Mohan Roy einem der ersten Reformer ins Leben gerufen wurde. Mit der Entstehung des Indischen Nationalkongresses (INK) 1885 entstand die erste und wichtigste politische Plattform für die sich entwickelnde indische Elite aus den verschiedenen Teilen des Landes. Unter der Führung von Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru wurde der INK ab den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zur wichtigsten Institution für den Kampf um die Unabhängigkeit.

23 Vgl. Stang, Friedrich, Indien. Darmstadt 2002, S. 158/159.

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12 Einleitung

Die Briten versuchten den Forderungen des INK durch eine Reihe von po-litischen Reformen entgegen zu kommen, mit denen die politische Teilhabe der einheimischen Eliten und der verschiedenen Gruppen verbessert werden sollten. Mit dem Indian Councils Act leitete die Kolonialmacht bereits 1861 einen Prozess der Einbeziehung einheimischer Eliten an der Gesetzgebung ein. Sie hatten zu-nächst nur beratende Funktionen im Legislative Council, doch wurde die Mit-sprache der lokalen Eliten in den nächsten Jahrzehnten sukzessive erweitert. Mit den Morley-Minto-Reformen von 1909 wurde die Zahl der Inder in den Gremien der Kolo nialmacht deutlich erhöht. Neben politischen Reformen versuchten die Briten auch immer die verschiedenen Gruppen gegeneinander auszuspielen, um ihre Machtposition zu sichern. Um die Muslime politisch aufzuwerten, erhielten sie im Zuge der Reformen 1909 eigene Wahlkreise von der Kolonialmacht, wie es die 1906 gegründete Muslim-Liga gefordert hatte. 1916 kam es zu einer erneu-ten Annäherung zwischen dem INK und den Muslimen, als sie sich im Lucknow-Pakt auf eine größere Autonomie verständigten. Die Montagu-Chelmsford-Refor-men 1919 führten das System der Dyarchie ein, mit dem die indischen Vertreter in den gewählten Provinzparlamenten eine größere Verantwortung von der Ko-lonialmacht erhielten. Zudem wurde ein Zwei-Kammer System, bestehend aus Ober- und Unterhaus eingeführt sowie ein begrenztes Wahlrecht. Die Entwick-lung zu einer größeren politischen Selbstverwaltung wurde trotz der Proteste des INK fortgesetzt, der unter der Führung Gandhis den Abzug der Briten aus Indien forderte. Mit dem Government of India Act 1935 wurde die Dyarchie wieder abge-schafft und eine bundesstaatliche Struktur eingeführt. Das Wahlrecht wurde aus-geweitet, so dass nun ca. zehn Prozent der Bevölkerung wählen konnten und die indischen Parteien erhielten eine größere Verantwortung bei der Regierungsbil-dung in den Provinzen.

Der Zweite Weltkrieg (1939 – 1945) brachte eine Verhärtung der Auseinan-dersetzungen zwischen der britischen Kolonialmacht und dem INK. Durch den Kriegseintritt Japans 1941 und den japanischen Vormarsch in Südostasien war Bri-tisch-Indien direkt militärisch bedroht. Die Japaner unterstützen Subha Chandra Bose, einen indischen Nationalisten, der in Burma eine eigene indische Streit-macht, die Indian National Army (INA), aufstellte, um militärisch gegen die Kolo-nialmacht zu kämpfen. In Britisch-Indien führte die Allianz der Sowjetunion und Großbritanniens dazu, dass die kommunistischen Parteien mit den Briten zusam-menarbeiteten. Dies lehnte der INK ab, da er nicht bereit war, aufgrund des Krie-ges auf weitere politische Zugeständnisse der Briten zu warten.

Zugleich verschlechterten sich die Beziehungen zwischen INK und der Mus-lim-Liga. Der INK strebte unter der Führung von Mahatma Gandhi und Jawahar-lal Nehru die Unabhängigkeit Britisch-Indiens für alle Gruppen und Religionsge-meinschaften an. Nach ihrer Niederlage bei den Provinzwahlen 1937 entwickelte

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Die historische Entwicklung des indischen Subkontinents 13

die Muslim-Liga unter der neuen Führung von Muhammed Ali Jinnah 1940 die Forderung nach einem eigenen Staat für die Muslime Britisch-Indiens auf. Grund-lage hierfür war die sog. ‚Zwei-Nationen-Theorie‘, der zufolge Hindus und Musli-me aufgrund ihrer unterschiedlichen Religionen eigenständige Nationen darstell-ten, die das Recht auf einen jeweils eigenen Staat hätten.24 Aufgrund der immer wieder auf flammenden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen beiden Re-ligionsgemeinschaften fürchtete die Muslim-Liga, dass die Muslime als Minder-heit in einem unabhängigen Staat dauerhaft von den Hindus majorisiert werden würden.25 Wie stark die Ängste und Ressentiments vor einer – aufgrund der Zah-lenverhältnisse unausweichlichen – Dominanz der Hindus waren, zeigte sich bei den Provinzwahlen 1945/46. Die Muslime, die zuvor in eine Vielzahl von Organi-sationen zersplittert waren, konnten sich unter der Führung der von Jinnah ge-leiteten Muslim-Liga erstmals einigen und ein überwältigendes Wahlergebnis für sich verbuchen. Trotz der seit langem vorhandenen Spannungen zwischen den Religionsgruppen erfolgte damit erst Anfang der 1940er Jahre die ideologische Weichenstellung, die 1947 zur Teilung Britisch-Indiens in die Indische Union und Pakistan führte.

Die Unabhängigkeit und Teilung Britisch-IndiensDas Ende des Zweiten Weltkriegs führte rasch zur Unabhängigkeit Britisch-In-diens. Der Wahlsieg der Labour-Partei in Großbritannien im Sommer 1945 for-cierte die Entwicklung. Im Januar 1946 kam eine Kabinettsmission nach Bri-tisch-Indien, mit dem Ziel, dem Land eine von den einheimischen Eliten im Wesentlichen selbst entworfene Verfassung zu geben und im Streit zwischen dem INK und der Muslim-Liga zu vermitteln. Die Briten wollten an der territorialen Einheit Britisch-Indiens festhalten und zugleich Schutzgarantien für die muslimi-sche Minderheit festschreiben.

Die verfassungsgebende Versammlung nahm ihre Arbeit am 9. Dezember 1946 auf. Sie sollte 389 Personen umfassen, von den 296 aus den britischen Provinzen und 93 aus den Fürstenstaaten kommen sollten. Durch den schwelenden Konflikt mit dem INK boykottierte die Muslim-Liga die Beratungen ebenso wie die Vertre-ter der Fürstenstaaten. In den Verhandlungen mit der britischen Kolonialmacht über die Unabhängigkeit konnte sich die Muslim-Liga unter der Führung von Mohammed Ali Jinnah schließlich gegen den Widerstand des INK durchsetzen.

24 Die von Choudhary Rahmat Ali formulierte Begründung eines eigenen Staates Pakistan fin-det sich u. a. in Kedourie, Elie (ed.), Nationalism in Asia and Africa, London 1970, S. 245 – 249.

25 Zu den unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von INK und Muslimliga und den Folgen für die spätere politische Entwicklung vgl. Tudor, Maya, The Promise of Power. The Origins of Democracy in India and Autocracy in Pakistan, Cambridge 2013.

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14 Einleitung

Am 3. Juni 1947 gab Vizekönig Mountbatten bekannt, dass England am 15. Au-gust des gleichen Jahres die Existenz von zwei unabhängigen Staaten, Indien und Pakistan, auf dem indischen Subkontinent anerkennen würde. Die Landtage der Provinzen sollten sich mit ihrem Votum für einen der beiden neuen Staaten ent-scheiden. In den Provinzen Punjab und Bengalen, wo es eine annähernd gleich große Zahl von Hindus und Muslimen gab, sollte eine Grenzkommission über die Zugehörigkeit der einzelnen Distrikte zu einem der beiden Staaten entscheiden.

Am 14. August 1947, kurz vor Mitternacht, wandte sich Jawaharlal Nehru mit einer Rede vor der verfassungsgebenden Versammlung, die vom Radio übertra-gen wurde, an die indische Nation: „Long years ago we made a tryst with desti-ny, and now the time comes when we shall redeem our pledge, not wholly or in full measure, but very substantially. At the stroke of the midnight hour, when the world sleeps, India will awake to life and freedom. A moment comes, which comes but rarely in history, when we step out from the old to the new, when an age ends, and when the soul of a nation, long suppressed, finds utterance.“26 Die Ergebnis-se der Grenzkommission wurden am 17. August 1947 bekannt gegeben. Sie sahen eine Teilung Bengalens und des Punjabs vor, von der vor allem die Sikhs betrof-fen waren.

In der Folge der Unabhängigkeit kam es zu einer der größten Völkerwanderun-gen der Geschichte, die Schätzungen zufolge bis zu fünfzehn Millionen Menschen umfasste. Dabei verließen ca. acht Millionen Hindus und Sikhs Pakistan und gin-gen in die Indische Union. Zugleich verließen sieben Millionen Muslime ihre Hei-mat in Britisch-Indien und wanderten in den neugegründeten Staat Pakistan aus, der aus zwei Teilen bestand. Der Westteil beinhaltete Teile des Punjabs, Sindh, Ba-luschistan sowie die North West Frontier Province (NWFP) an der Grenze zu Af-ghanistan. Im Osten wurde Bengalen geteilt, wobei die muslimischen Mehrheits-distrikte östlich von Kalkutta, dem neuen Staat Pakistan zugeschlagen wurden.

Die religiösen Spannungen und gewaltsamen Ausschreitungen, die bereits die Unabhängigkeitsbewegung belastet hatten, kulminierten während dieser Um-siedlungen in zahllosen Massakern an den Flüchtlingen durch religiöse Extremis-ten der anderen Religionsgruppen. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt und weiterhin Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 500 000 Menschen bei den Unruhen und Pogromen ums Leben gekommen sind.27

Dieser sehr kursorische Abriss der historischen Entwicklung des Subkonti-nents zeigt, dass es, anderes als in China, keine historisch verbürgte Tradition eines

26 Nehru, zit. nach Spear, Percival, A History of India, Harmondsworth 1984, Volume 2, S. 237.27 Vgl. auch Collins, Larry; Lapierre, Dominique, Um Mitternacht die Freiheit. Indiens drama-

tischer Weg in die Unabhängigkeit, Reinbek 1978.