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304 Zeitschrift fiir anorganische und allgemeine Chemie. Band 206. 1932 D as Polymorphensystem der natiurlichen einsaurigen Trig1 yceride Von C. WEYGAND und W. GRUNTBIG Mit einer Figur im Text Bei den naturlich vorkommenden einssurigen Triglyceriden sind seit langer Zeit gelegentlich Beobachtungen iiber doppelte und drei- faohe Schmelzpunkte gemacht worden, die Literatur ist in der Disser- tation des einenl) von uns zusammengestellt. Systematische Arbeiten uber diese Frage dagegen sind selten; nur P. OTEMER~) und K. LOSKIT3) haben sich eigentlich um der Sache selbst FFillen damit beschiiftigt. Der letztere gibt (1. c.) eine Tabelle der von ihm erhaltenen Modi- fikationen des Tristearins, -palmitins, -myristins, -laurins, -caprinins und -caprylins; die Anordnung sol1 zum Ausdruck bringen, daf3 die untereinander stehenden Formen der Homologen einander entsprechen, daB sie also korrespondierende Formen sind. Ein Blick auf die Tabelle zeigt, daf3 die vorgenommenen Zuordnungen in vielen Fiillen unbefriedigend sind. Insbesondere ist es keineswegs selbstverstand- lich, daB bei den niedermolekularen Homologen weniger Modifi- kationen moglich sein sollen, als bei den hoheren. Aus den Erfah- rungen des einen von uns an den polymorphen Modifikationen in der Chalkonreihe ergab sich als sichere Erwartung, daB im Schema von LOSRIT sowohl gewisse Formen am falschen Platz stunden, als auch, da13 die Zahl der realisierbaren Modifikationen groJ3er sein miisse als die der von ihm beobachteten. Diese Erwartung erwies sich als richtig. Wir konnten vom Tristearin, -palmitin, -myristin und -1aurin schlieBlich je sieb en verschieden hochschmelzende Formen erhalten und die Bedingungen fur ihre Entstehung so genau festlegen, daf3 sie jederzeit mit den von uns fruher beschriebenen Hilfsmitteln4) reprodu- zierbar sind. W. GRUNTZTQ, Leipzig 1931. 2, P. OTHMEB, Z. anorg. Chem. 91 (1915), 237. 3, I(. LOSKIT, Z. phys. Chem. 134 (1928), 135. 4, C. WEYGAND u. W. GR~ZIGI, Mikrochem. 10 (1931), 1.

Das Polymorphensystem der natürlichen einsäurigen Triglyceride

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304 Zeitschrift fiir anorganische und allgemeine Chemie. Band 206. 1932

D as Polymorphensystem der natiurlichen einsaurigen Trig1 yceride

Von C. WEYGAND und W. GRUNTBIG

Mit einer Figur im Text

Bei den naturlich vorkommenden einssurigen Triglyceriden sind seit langer Zeit gelegentlich Beobachtungen iiber doppelte und drei- faohe Schmelzpunkte gemacht worden, die Literatur ist in der Disser- tation des einenl) von uns zusammengestellt. Systematische Arbeiten uber diese Frage dagegen sind selten; nur P. OTEMER~) und K. LOSKIT3) haben sich eigentlich um der Sache selbst FFillen damit beschiiftigt. Der letztere gibt (1. c.) eine Tabelle der von ihm erhaltenen Modi- fikationen des Tristearins, -palmitins, -myristins, -laurins, -caprinins und -caprylins; die Anordnung sol1 zum Ausdruck bringen, daf3 die untereinander stehenden Formen der Homologen einander entsprechen, daB sie also korrespondierende Formen sind. Ein Blick auf die Tabelle zeigt, daf3 die vorgenommenen Zuordnungen in vielen Fiillen unbefriedigend sind. Insbesondere ist es keineswegs selbstverstand- lich, daB bei den niedermolekularen Homologen weniger Modifi- kationen moglich sein sollen, als bei den hoheren. Aus den Erfah- rungen des einen von uns an den polymorphen Modifikationen in der Chalkonreihe ergab sich als sichere Erwartung, daB im Schema von LOSRIT sowohl gewisse Formen am falschen Platz stunden, als auch, da13 die Zahl der realisierbaren Modifikationen groJ3er sein miisse als die der von ihm beobachteten. Diese Erwartung erwies sich als richtig.

Wir konnten vom Tristearin, -palmitin, -myristin und -1aurin schlieBlich je sieb en verschieden hochschmelzende Formen erhalten und die Bedingungen fur ihre Entstehung so genau festlegen, daf3 sie jederzeit mit den von uns fruher beschriebenen Hilfsmitteln4) reprodu- zierbar sind.

W. GRUNTZTQ, Leipzig 1931. 2, P. OTHMEB, Z. anorg. Chem. 91 (1915), 237. 3, I(. LOSKIT, Z. phys. Chem. 134 (1928), 135. 4, C. WEYGAND u. W. G R ~ Z I G I , Mikrochem. 10 (1931), 1.

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I n der von LOSKIT gewahlten Schreibweise sieht das vervoll- stsndigte und bereinigte Schema folgendermafien aus : 'histearin . . . . . . . . . . 55 64 65 65,5 69,5 70,5 71° Tripalmitin . . . . . . . . . 45,5 5 5 3 57 58 63,5 64,5 65O Trimyristin . . . . . . . . . 32 47 48 48,5 54,5 56 56,5O Trilaurin . . . . . . . . . . IS 36 37 37,5 45 46 &,5O

Die wesentlichen Fortschritte dem Losm'schen Schema gegenuber bestehen in folgendem: Es sind die wahren, ,,instabilen" Formen des Trimyristins und des Trilaurins aufgefunden worden (32" und 1@), die von LOSKIT ah ,,instabile" Formen angesehenen (47O und 36,4O) sind als ,,metastabile" (Mittel)-Modifikationen erkannt. Ferner ist festgestellt, daB die ,,metastabilen" und die ,,stabilen" Formen dreimal so zahlreich sind als bisher angenommen wurde. Die Reihenfolge der Schmelzpunkte deckt sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit der der Stabilittits- grade, woruber unten %heres gesagt wird.

Die innere Harmonie der Schmelzpunktsbeziehungen ist nahezu vollkommen, was aus dem Diagramm noch deutlicher hervorgeht als aus dem Schema (Fig. 1).

Man findet zunachst in allen vier Sohmelzpunktsreihen qualitativ die gleiche Periodizitat. Beim Vergleich der Schmelzpunktsdifferenzen korrespondie- render Formen ergibt sioh, dafi das ,,Schmelzpunktsinkrement" fur die Ver- groBerung des Molekuls urn 6CH, mit steigendem Molekulargewioht der ver- glichenen Homologen abnimmt, ein durchaus befriedigender Befund, da die T.'ergroBerung des Molekiils urn 6CN2 auf das Molekulargewicht des Tripal- mitins prozentual weniger ausmacht als

fl l-.f!!? EZ- n re ZI TC ri n

Fig. 1. Die Schmelzpunkte der polymorphen Modifikationen von Trilaurin (C12), Trimyristin (CJ , Tripalmitin (C16) und

Tristearin (C18)

auf das des Trilaurins. Bemerkenswerterweise ist die Schmelzpunktsperiodizitiit in den

einzelnen Polymorphenserien qualitativ genau die gleiche, wie sie C. WEYGAND und H. BAUMGARTELI) vor mehreren Jahren an den sieben Hauptformen des p'-Methylchalkons festgestellt haben. Fur jedes der vier Triglyceride ergibt sich, zunkchst in formaler Analogie, ein Polymorphensystem folgender Art :

__ - I * / B I C

I 1 71° 170,5O 169,5O

I11 550 Ir 65,50 650 640

P. S. des Tristearins P. S. des p'-M.-Ch.

I ) C. WEYGAND u. H. BAUMOARTEL, Lieb. Ann. 469 (1929), 230. 2. anorg. u. allg. Chem. Bd. 206. 20

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Die Zuordnung der em tiefsten schmelzenden und instabilsten Form zur C-Kolumne ist, dem Folgenden vorausgreifend, bei den Fetten aus den morpho- logischen und genetischen Beziehungen heraus erforderlich.

Genau wie bei den p'-Methylchalkonformen ist das System nicht nur ein rein formales, es hat vielmehr eine ganz bestimmte innere Be- rech tigung .

Noch klarer als beim p' Methylchalkon sind zunachst die morpho- logischen Verwandtschaftsbeziehungen der im System direkt iiber- einanderstehenden varianten Formen. Sie lassen sich kurs folgender- maBen charakterisieren: Die C-Modifikationen erscheinen aus der Schmelze mit auBergewohnlich groBer Keimsahl, die Wachstums- formen bestehen aus BuBerst feinfaserigen Sphiirolithen. I C und I11 C lassen sich rnorphologisch uberhaupt nicht unterscheiden, I1 C weicht im Habitus etwas ab. Die B-Formen erscheinen mit einer um mehrere GroBenordnungen geringeren Keimzahl. Ein Verwandtschaftsmoment besteht hier u. a. in der bei keiner anderen Form zu beobachtenden Neigung, durch FaserdrilIung in rhythmisch gebanderten Aggregaten zu kristallisieren. Der Sphiirolithcharakter ist bei den IIB-Formen etwas deutlicher als bei IB. Die A-Formen sind die einzigen, welche klare Flachen liefern, bei I I A sind es Nadeln, die bevorzugte Wachs- tumsform ist der Strahlenstern, bei I A sind es Rhomben, die sich ebenfalls nicht selten um ein Kristallisationszentrum strahlenformig gruppieren.

Vollkommen ist ferner die morphologische Verwandtschaft inner- halb der sieben Vierergruppen von korrespondierenden Formen. Bei benachbarten Homologen kann sie bis zur fast volligen Identitat gehen. Im allgemeinen fallen mit steigendem Molekulargewicht die einzelnen Aggregate kleiner und weniger klar strukturiert aus und speziell bei den I B-Modifikationen zeigen die niedermolekularen unter gleichen Bedingungen zwischen gekreuzten Nikols buntere Polarisationstone als die hohermolekularen, Tristearin I B erscheint nur noch gelblich. Die ubrigen sechs Modifikationen zeigen subjektiv uberhaupt nur graue Polarisationstone.

Besonders klar treten die bereits am p'-Methylchalkon erkannten genetischen Beziehungen varianter Formen bei den spontanen Meta- morphosen hervor :

IIIC wandelt sich bei hoherer Temperatur entweder in I C oder (seltener) in IIC urn, IIC ausnahmslos zunachst in I C . - I IB liefert beim Lagern und beim Erwarmen mit unverkennbarur Vorliebe IB; da I1 A-Formationen vielleicht uberhaupt niernals ganz frei von I1 B

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gezuchtet werden konnen, so la& sich nicht mit Sicherheit behaupten, ob sie in gleicher Weise bevorzugt I A liefern, doch geht aus den zahl- losen Beobachtungen keinesfalls hervor, dab dieses an sich erwartete Verhalten nicht vorhanden sein konne.

Beim Vergleich der beiden gegenwGtig am vollstandigsten er- forschten polymorphen organischen Stoffgruppen : der vier behandelten Triglyceride und der Benzalacetophenon-(Chalkon)- Derivate fallt als wjchtigstes Ergebnis in die Augen, daB die beiden Polymorphen- systeme, was die groBen Zuge ihres Aufbaus anlangt, trotzdem die beiden Stoffklassen sich chemisch vollig fremd sind, miteinander sehr weitgehend ubereinstimmen. Es kommen in diesem Bau- prinzip offenbar Eigenschaften der Kohlenstoffverbindungen zum Ausdruck, die von der Molekulstruktur nicht oder nur untergeordnet beeinflufit werden. Es bleibt abzuwarten, ob sich der gleiche System- bau noch bei weiteren Verbindungstypen unverandert wiederfindet oder ob er, und in welchem MaBe er variationsfahig ist. Es ergibt sich aber daraus, daB die - nach TAMMANN - prinzipiell un- beschrgnkte Zahl der polymorphen Modifikationen einer und der- selben Kristallgruppe in der Praxis in gesetzmiifliger Weise ein- geschrankt sein muB.

Neben den &nlichkeiten diirfen die Verschiedenheiten im Poly- morphismus der Chalkone und der Fette nicht ubersehen werden.

Bei den Chalkonen ist im allgemeinen der Temperaturbereich, in welchem eine Modifikation (abgesehen von sekundiiren Einfliissen) ungestort fortzuwachsen vermag, weit und nur nach oben begrenzt. Bei den F e t t e n sind diese Temperaturbereiche sehr eng und iiber- schneiden sich hiiufig. Bei den Chalkonen ist die Unterkuhlungs- temperatur nur untergeordnet Rir das Auftreten betimmter Formen maBgebend. Bei den Fetten ist im Gegensatz dazu eine bestimmte Unterkuhlungstemperatur die Vorbedingung dafur, daB uberhaupt be- stimmte Formen ersoheinen und fortwachsen. Eine Chalkonschmelze laBt sich oberhalb einer bestimmten Temperatur (etwa 15O) mit jeder beliebigen der sieben (Haupt)-formen animpfen, eine Fettschmelze aber reagiert auf Impfpartikel der verschiedenen Modifikationen bei verschiedenen Temperaturen ganz verschieden, indem nach MaB- gabe der Unterkuhlungstemperatur vom Keim aus jeweils eine be- stimmte, nicht aber notwendigerweise mit diesem identische Modi- fikation wachst. Dementsprechend kristallisiert eine bestimmte Chalkonmodifikation bei in ziemlich weiten Grenzen wechselnden Temperaturen ungestort weiter, eine bestimmte Fettmodifikation

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piacht aber bei geeigneter Anderung der Unterkuhlungstemperatur stets einer anderen Platz.

Keineswegs ist allerdings das zuletzt charakterisierte Verhaltem auf die Fettgruppe beschrankt, es findet sioh bier nur in einer bishep noch nioht beobachteten auffalligen Reinheit und AusschlieBliohkeit ausgepragt .

Im folgenden beschreiben wir am Tristearin die Art und Weise, in der die sieben Modifikationen entstehen, sowie ihr Verhalten, soweit es fur alle vier bearbeiteten Fette typisoh ist.

Auf die Eeindarstellung des Materials wurde vie1 Sorgfalt verwendet. Beim Trimyristin genugte die bekannte Aufarbeitung der Muskatbutter, die iibrigen drei Fette wurden synthetisch gemonnen. Die Handebprodukte der Sauren wurden fraktioniert destilliert, durch Umkristallisation auf den richtigen Schmelzpunkt gebracht und mit einem UnterschuB an reinstem, fraktioniertem Glycerin nach SCHEIJ~) im Vakuum verestert. Die dabei anfallenden Fette wurden bis zum konstanten Schmelzpunkt vielmals fraktioniert umkristallisiert. Irgend weaent- liche dnderungen der von uns crmittelten Schmelzpunkte halten wir fur iiuBerst unwahrscheinlich, nachdem die Schmelzpunktsbeziehungen sich als so hervor- ragend befriedigend erweisen.

Tristearin 111 C. Schmelzpunkt 5 4 , 5 - - 5 5 O Erhitzt man ein Deckglaspriiparat von Tristearin 4O uber den Schmelzpunkt

und kiihlt es im Heiztisch2) auf Temperaturen um 62O ab, so erscheinen in der Schmelze sehr bald auBerordentlich zahlreiche Kristallisationszentren, von denen eus das Priiparat zu einem Nosaik von so winzigen Sphgrolithen erstarrt, daB man oft Miihe hat, das Achsenkreuz zu erkennen, zwer nimmt die Keimzahl oberhalb von 52O merklich ab, doch gerat man damit bereits in die Entstehungsgebiete der Formen IB, I IB und IIC, wLhrend man unterhalb von 52O sicher ist, keine der hoherschmelzenden Modifikationen zu erhalten.

Die K.-G. von I I I C ist wegen der hohen Keimzahl nicht me8bar. Zwar beobachtet man u. U. ein Phanomen, das rnit dem Voranschreiten einer Kristalli- sationsfront in der Schmelze eine gewisse dhnlichkeit hat, das aber auf andere Ursachen zuruckgeht. Erzeugt man niimlich bei einer Temperatur unterhalb des Schmelzpunkts kiinstlich durch lokale Abkiihlung oder auch durch Impfen mit festem Material ein Kristallisationszentrum, so treten wethrend des Wachsens der ersten Keime in deren unmittelberer Niihe und nur dort neue Kristallisations- zentren auf, die mit derg1eichenK.-G. wachsen, bis sie rnit denNachban zusammen- stoBen und ihrerseits in der freien Scbmelze - wenigstens dem Augenschein nach - immer wieder neue Keime hervorrufen. Man erhiilt dabei den Eindruck, als handle es sich um die normale Entwicklung einer komplizierten Wachstums- form, bei sehr starker Vergr6Berung entdeckt man aber die oben skizzierten wesentlichen Unterschiede. Dieses ,,Pseudowachstum" ist bei den Formen IIIC und I C geradezu typisch, doch ist es nicht geniigend definiert, als da13 man eine Pseudo-K.-G. angeben konnte.

L. SUHEIJ, Rec. Trav. Chim. 18 (1899), 194. 2, C . WEYGAND u. W. G R ~ ~ C Z I G , Mikrochem. 10 (1931), 1.

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Bei Zimmertemperatur ist IIIC ziemlich bestkdig, solange nicht Keime stabilerer Formen, besonders solche von IB, eine Metamorphose eideiten. Bei h6heren Temperaturen unterhalb des Schmelzpunktes ist die Form I I I C weniger gut haltbar. Bei langsamem Erwiirmen verdunkelt sich entweder vom Deckglas- rand her die zwischen gekreuzten Nikols maBig doppelbrechende Formation all- miihlich, als ob der Schatten einer Wolke uber ein Schneefeld zoge, oder es er- erscheinen dunkb, sich allmahlich verbreiternde Flecken an verschiedenen Stellen des Praparats, spater hellt sich das Gesichtdeld d a m bald wieder a d , namentlich wenn man nach dem Dunkelwerden die Temperatur bis in die Nilhe des Schmelz- pnnkts von I C steigert. Mikrophotogramme vor und nach der Umwandlung zeigen nur auderst geringe morphologische Veranderungen, wahrscheinlich bestehen die zwei Etappen der Erscheinung: 1. aus der unter Volumeniinderung ver- laufenden waken Metamorphose, 2. aus der Rekristallisation der entstandenen stabileren Form. In vollig analoger Weise wandelt sich I I I C gelgentlich auch in IIC um, was man am Schmelzpunkt konstatieren kann. Khnstlich 1ii5t sich durch Impfen die Metamorphose nach I B oder I A erzwingen, Umwandlungen nach 11 B oder I IA konnten mit Sicherheit nicht festgestellt werden, womit aber nicht gesagt sein soll, da13 sie nicht vorkommen konnten.

Tristearin II C. Schmelzpunkt 64O Aus einer uber 750 erhitzten Tristearinschmelze bilden sich zwischen 54 und 550

graue, scheinbar strukturlose, woIkenartige Nassen, entweder spontan am der Schmelze oder aber an der Phasengrenze festfliissig beliebiger, hoherschmelzender, h i diwer Temperatur kaum noch weiter wachsender Formen sich ansetzend.

Manchmal wandelt sich I1 C beim Erwarmen ohne sichtbare morphologische Verhderung in I C um. Auch die Metamorphose nach I B und I A ist realisierbar, die nach IIB und I IA ist wiederum unsicher.

Tristearin I C. Schmelzpunkt 69-69,50 A w auf 75O erhitzten Tristearinschmelzen erscheint bei etwa 64O oder etwas

darunter, also in der Niihe des Entstehungsgebiets von 111 C, die Modifikation I C mit aderordentlich hoher Keimzahl, von I I I C morphologisch kaum zu untcr- scheiden. Es ist schwer zu sagen, ob nicht doch zuniichst Kristallisationszentren von IIIC entstehen, die sich vielleicht noch wiihrend des Wachsens in I C um- wandeln. Am sichersten erhiilt man die letztere Form beim vorsichtigen Schmelzen von IIIC, die Schmelze erscheint subjektiv zwar strukturlos, erstarrt jedoch sehr bald von neuem und zwar von genau denselben Kristallisationszentren aus, die urspriinglich vorhanden waren, so da5 man das wiedererstarrte Praparat (obwohl es zwischen gekreuzten Nikols isotrop erschienen war) mit der Ursprungsform fast verwechseln konnte. Eine K.-G. konnte aus den bei I I I C angegebenen Griinden nicht gemessen werden.

Die Metamorphosen nach I B und I A lieBen sich mit Sicherheit beobachten, die N.-C+. sind jedoeh bereits auBerordentlich Hein.

Tristearin I I B. Schmelzpunkt 65,OO Aus einer iiber 75O erhitzten Schmelze erscheinen bei ~56-57~ nach etwa

10 Minuten Kerne der Form I I B mit miiBiger Keimzahl. Sie entwickeln sich zu gr6Seren Spharolithen, an denen man meistens die typische Bitnderung, welche

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durch Faserdrillung zustande kommt, konstatieren kann. Der Temperaturbereich, innerhalb dessen diese Modifikation ungestort wachsen kann, ist recht klein, ober- halb von 60° ist die K.-G. bereits kaum noch konstatierbar.

Umwandlungen konnten nur nach I B und I A mit Sicherheit beobtbchtet wcrden.

Tristearin I B. Schmelzpunkt 70,50 Das Entstehungsgebiet von I B in der iiber 75O erhitzt gewesenen Schmelze

ist ziemlich breit, es liegt zwischen 540 und 654 doch bilden sich die Keime nur launisch, am liebsten an Phasengrenzen, also an Deckglaskanten oder an Luft- blaschen im Inneren der Priiparate. Die sicherste Methode, die Modifikation au erhalten, besteht darin, da13 man bei etwa 56O das Deckglas kurz mit dem kalten Glasstab beriihrt: dabei entsteht zuniichst ein wenig IIIC, diesea schmilzt nach dem Entfernen des Glasstabs wieder fort, aus der Schmelze kommt sogleich I C, breitet sich aber bei dieser Temperatur nicht weiter aus, dient vielmehr nur als Grundlage €~ IB. Die Form wachst sphiirolithisch, doch vie1 unregelmiiBiger als I I B und sehr vie1 schneller. Deshalb und wegen ihres breiten Entstehungsintervalls ist sie bei allen vier Fetten der unangenehmste Storenfried, wenn weniger stabite Formen reingeziichtet werden sollen. Das Fortschmelzen hat in diesem Falle keinen Erfolg, da bei den lokalen Temperaturerhohungen im Whrmegefalle an zahlreiehen Stellen neue Keime entstehen. Die Form I B erscheint nicht nur aus der Schmelze, sondern besonders gern auch innerhalb der festen, weniger stabilen Modifikationen. In den allermeisten Fallen gehen metastabil erstarrte Kristalli- sationen spontan gar nicht in die stabilste, sondern in diese zweitstabilste Form iiber - damit erklaren sich zahlreiche Beobachtungen iiber sehr grol3e Schmelz- intervalle von erstarrten Fetten. Wir werden uber diesen Punkt an anderer Stelle ngheres berichten.

Nach liingerer Zeit bildet sich im Zentrum der erstarrten I B-Formation stets die stabilste, IA am, doch dauert es bei Zimmertemperatur manchmal noch Monate, bis die Metamorphose vollstiindig bcendct ist.

Tristearin I I A. Schrnelzpunkt 65,50 AUS der iiber 75O erhitzten Schmelze erscheinen bei 57-60° mit ganz geringer

Keimzahl, nicht selten erst nach etwa 30 Minuten, Keime der Form IIA. Diese entwickeln sich zu Gebilden, die man am besten als ,,Strahlensterne" charakteri- siert, es sind im Grunde keine typischen Spharolithe, da die einzelnen Nadeln klar nebeneinander liegen, nicht aber wie bei I IB sich spalten und miteinander ver- wachsen. Schneller als direkt aus der Schmelze erhiilt man I IA uber IIB oder IIC, das man, wie oben beschrieben, erzeugt; steigert man, sowie die ersten Keime sicht- bar geworden sind, die Temperatur etwas iiber 60°, so wachst daran nur noch IIA. Wegen des sehr geringen Schmelzpunktsunterschieds zwischen I IA und I IB und wegen ihrer vergleichsweise groBen morphologischen Verwandtschaft ist der Be- weis fur die Individualitat der beiden Nodifikationen besonders sorgfiiltig gefuhrt worden, das Nahere findet sich in der Disseration des einen l) von uns. Man kann durch Heben und Senken der Temperatur urn einen IIA- oder I1 B-Kern prinzipielt beliebig viele konzentrische Ringe der beiden Nachbarformen wachsen lassen, denn unterhalb von 600 bricht aus der IIA-Front alsbald I IB hervor, geht man nach einiger Zeit wieder hoher, so sinkt die K.-G. von I IB praktisch auf Null. bk

I) W. GRUHTZIG, Leipzig, 1931, S. 25.

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C. Weygand u. W. Gruntzig. Das Polymorphensystem usw. 31 1

mit nun wieder merklicher wenn auch immer geringerer Schnelligkeit I IA von neuem zu wachaen heginnt. Es ist fmglich, ob die Form I IA jemals ganz frei von I I B erhalten werden kann, man beobachtet vielleicht deshalb auch in erstamten 11 A-Bezirken meistens das nmhtriigliche Auftreten von I B.

Tristearin I A. Schmelzpunkt 71 0

Aus nicht zu weit uber den Schmelzpunkt erhitzten Schmelzen (72-74") erscheint bei Temperatmen oberhalb von 65O, manchmal erst nach stundenlsngem Warten, die Modifikation I A in Geatalt von sehr kleinen, klaren Rhomben, die nicht selten sternf6rmig gruppiert sind, tlber keinerlei Neigung zu aphiirolithischem Wachstum haben. Eine ,,Unterkiihlungsdauer"1) liiI3t Rich nicht angeben, da die Zeit bis zum Erscheinen der ersten Keime hier besonders stark vom Grad und der Dauer der vorangegangenen oberhitzung abhiingig ist.

Tabelle 1

Form

Tst. I I I C . . . ~ ~

Tp. I I I C . . . Tm.I I IC . . . TI. I I IC . . . Tst.IIC . . . Tp.IIC. . . . Tm.IIC . . . T1.IIC. . . . Tst. I C . . . . Tp.IC . . . . Tm.IC. . . . T1.IC . . . . Tst. I I B . . . Tp..IIB. . . . Tm.IIB . . . T1. I I B . . . . Ts t . IB . . . . Tp. I B . . . . Tm.IB . . . . T1.IB j. . . . Tst. I I A . . Tp. I IA . . . Tm.IIA . . . T1.IIA. . . .

Tst. I A . . . . T p . I A . . . . Tm.IA. . . . T1. IA . . . .

Schmelzp. in 0

54,5-55 4545 32 18 64

5.5-55,5 47 36

69--69,5 6 3 4 3 , 5

5 4 3 45

65 57 48 37

70-70,5 64,5 56 46 65,5 58 48,5

71 65 56,'5 46,5

~~ ~~

~~

37,5

E.-T. in 0 ~

~ - ~~~

~

> 75 > 69 > 59 > 49 > 75 > 69 > 60 > 49 -_ - - -

> 75 > 69 >60 >49 > 75 > 69 > 60 > 49 > 75 > 67 > 60 > 49

72-74 67

< 60 < 49

U.-T. in 0 ~~~~~

< 52 < 45 < 32 < 13

54-55 47

etwa 31 19-20 65-67 45-47

32 18-19 56-57

49 35 26,5

54-65 etwa 54 etwa 18 etwa 37 57-60

53 42 32

> 65 60

-51 41

U.-R.

E.-T. = Erhitzungstemperatur. U.-T. = Giinstigste Unterkiihlungstemperatur. U.-R.=Umwandlungsrichtung, spontan auftretendestabilere Fomen. Vorzugsweise beim Emiirmen erscheinende in Klammern. Bei den IC-Formenist keine E.-T. an- gegeben,sieerscheinenbei der betreffenden U.-T. ausden Schmelzender IIIC-Formen.

I) K. LOSKIT, 1. c .

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Schneller erhiilt man IA, wenn man in einer auf 65O gehaltenen Schmelae durch lokale Abkuhlnng (vgl. oben S. 310) I C erzeugt und dann mit der Temperatur noch etwas hermfgeht, die IA-Rhomben setzen sich dann leicht an der IC-Phase an. Auch aus I B erhiilt man I A sehr leicht, wenn man diese Form liingere Zeit dicht unterhalb ihres Schmelzpunkts hiilt, durch Umwandlung.

Die Entstehungs-, Stabilitiits- und Umwandlungsbedingungen fur die ent- sprechenden Formen dea Tripalmitins, des Trimyristins und Trilaurins konnen, da sie in wortlicher Parallele dazu stehen, ohne weiteres am der Tabelle 1 entnommen werden, in Tabelle 2 sind die Kristallisationsgeschwindigkeiten zu- sammengestellt, soweit sie sich messen lieBen.

Tabelle 2 Kristallisationsgeschwindigkeiten in mm/Stunde

Tst.

TP.

Tm.

T1.

IIC in 0

56 : 0,38 55 :0,47 54,5 : 0,63 53 : 1,2 52 : etwa 9 48,5 : 0,6 47 :0,9 45,5: 1,4

-

20 :1,9 19 :3,7

I I B in

60,5:0,16 58 :0,31 56,5: 0,63

50,5:0,1 49,5 : 0,44 49,0:0,63 483 : 0,94 38 :0,9 37,O: 1,0 -- - -

I B in 0

61 : 2,3 56,5: 3,7

-~

533: l,o

54 :11,2 53 : 0,94 52 : 0,47 50 : -0 >42:>1 42 : 0,5 .-

36 :1,6 1 4 U :-U 33,5: 2,4 32,5: 3,6 27 :1,6 I 41 : 0,03 26 :2,3 ' 40 : 0, lO

38 : 0,26 1 37 : 0,37 I 30,5: 0,7 1 29 : N O

I I A in 0

61 :0,2 60 :0,37

54 :0,15 52,5 : 0,25 51 :0,32 50,5 : 0,5 44 :0,7 43 :1,0 42 : 1,25 40 : 1,s

34 :0,4 31,5: 1,35 29 :1,9

IA in O

65 :0,05

60 :0,09 61,5 : 0,06

49 :0,05 48 :0,07 47 :0,1

42 :O,OZ 41 :0.10 40 :O,lfd 39 : 0,24

Fiir die IC- und IIIC-Formen lassen sich K.-G. aus den im Text (S. 308) an- gegebenen Griinden nicht bestimmen. Die E.-G. der IB-Formen sind nur schwer meabar, namentlich in der Gegend des Maximums. Dieses liegt fiir Tst. zwischen 61° und 57O, fur Tp. zwischen 56O und 5 4 O , fiir Tm. konnte es nicht beobachtet werden, fur TI. zwischen 30° und 370. Fiir diese Temperaturbereiche wcrden keine Zahlen angegeben, da sie nicht reproduzierbar sin& - Tm. I I C lie13 sich nicht

sauber measen.

Le$p&g, Aus dem Chemischen Laboratorium und aus dem La..bo- ratorium fiir angewandte Chemie and Pharmazie deer Universitiit.

Bei der Redaktion eingegangen am 14. April 1932.