Das Rote Kreuz Im Dritten Reich - Doku Von Christiane Rütten (2008, Rezension)

  • Upload
    rowa

  • View
    217

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • 7/24/2019 Das Rote Kreuz Im Dritten Reich - Doku Von Christiane Rtten (2008, Rezension)

    1/4

    qK m~ i ENQKTKOMMUF N

    Das Rote Kreuz im Dritten Reich . Vom Versagen der HilfeEine Dokumentation von Christiane Rtten

    In einer neuen Dokumentation, die im September 2007 auf Arte und im Juni 2008 inder ARD ausgestrahlt wurde, beschftigt sich die Autorin Christiane Rtten mit derFrage, ob das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) den Opfern desHolocaust htte helfen knnen. Darber hinaus beleuchtet der Film das Verhaltendes IKRK nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs und verweist aufverpasste Chancen, den jdischen Opfern nach dem Zweiten Weltkrieg zu helfen.

    Der Film knpft damit an die Ergebnisse der Forschungen von Historikern wie Jean-Claude Favez an. Favez hat 1988 im Auftrag des IKRK die Frage untersucht, wasdas IKRK vom Holocaust wusste und was es zugunsten der Opfer desnationalsozialistischen Herrschaftssystems tun wollte und konnte. Die ausfhrlicheund wissenschaftlich fundierte Studie erschien 1989 auf deutsch unter dem Titel:Das Internationale Rote Kreuz und das Dritte Reich.Favez stellt in seiner Arbeit fest, dass das IKRK vor einer ffentlichen Erklrungzugunsten der jdischen Opfer zurckgeschreckt sei, da die Verantwortlichen u.a.befrchteten, dadurch andere, von der Genfer Konvention abgedeckte Hilfsaktionen,wie die Frsorge fr Kriegsgefangene, zu gefhrden. Darber hinaus wollte man dieSchweizer Regierung nicht kompromittieren. Das IKRK, so Favez, habe das Risikogescheut, dass ganze Gewicht seiner moralischen Autoritt zugunsten der jdischenOpfer in die Waagschale zu werfen: Trotz aller Erklrungen, trotz der Genugtuung,zumindest einige Hilfe geleistet haben zu knnen, bleibt die Tatsache, dass es an dieffentlichkeit htte treten mssen.

    Auf der Grundlage der Forschungsergebnisse von Favez gesteht das IKRK heuteFehler und ein Versagen in dieser Frage ein: Ein berzeugendes Engagement fr dieOpfer auf hchster Ebene habe gefehlt. Die IKRK-Fhrung sei unfhig oder auchnicht bereit gewesen, das ganze Ausma des Vlkermords zu erkennen und den Mutzu haben, sich diesem zu widersetzen. Vor allem die Zurckhaltung bzw.ngstlichkeit des IKRK gegenber den deutschen Behrden, wie sie in vertraulichenAnfragen und Interventionen zum Ausdruck kommen wrde, spreche gegen dasIKRK. (vgl. dazu Francois Bugnion, Dialogue with the past: the ICRC and the Nazideath camps, 5.11.2006, http://www.icrc.org/web/eng/siteeng0.nsf/html/6ayg86).

    Der Film von Rtten kommt wie schon Favez zu dem Ergebnis, dass das IKRK

    schon frh von den Verfolgungen, Deportationen und Vernichtungslagern gewusst,aber keine Hilfe geleistet und weggeschaut habe. Das IKRK htte helfen knnen, liedie Opfer des Holocaust aber im Stich. Als Hauptverantwortliche fr diese Politikbenennt die Autorin den damaligen Prsidenten des IKRK Max Huber sowie denVizeprsidenten Carl J. Burckhardt. Unter deren Fhrung habe sich das Komitee, sodie Autorin, darauf zurckgezogen, kein vlkerrechtliches Mandat fr die jdischenOpfer zu haben: So wurde zwar seit 1933 eine neue Genfer Konvention vorbereitet,welche sich insbesondere auf Drngen der Frauen im Komitee auch um zivilePersonen kmmern sollte, doch wurde die Entscheidung vertagt. Erst nach Ende desZweiten Weltkriegs gelang es 1949 mit der Verabschiedung der Vierten GenferKonvention, auch Zivilpersonen in den Schutzbereich aufzunehmen. DieseArgumentation des damaligen IKRK wird von der Autorin als wenig stichhaltigentlarvt: In den damaligen IKRK-Statuten stand, dass jede als notwendig erachteteInitiative erlaubt sei. Als dann im Sommer 1942 das ganze Ausma der Vernichtung

  • 7/24/2019 Das Rote Kreuz Im Dritten Reich - Doku Von Christiane Rtten (2008, Rezension)

    2/4

    qK m~ i ENQKTKOMMUF O

    deutlich wurde, waren es den Recherchen von Rtten zufolge vor allem die Frauenim Komitee, die auf einen ffentlichen Appell gegen die Ermordung der Judendrngten; sie konnten sich aber nicht durchsetzen.

    Die Grnde fr dieses Verhalten werden von Rtten berzeugend und schonungslos

    dargelegt:- Huber und Burckhardt waren Rtten zufolge antisemitisch eingestellt. Sie

    hatten keine Berhrungsngste zu den Nazis.- Beide machten gute Geschfte mit Deutschland. Sie wollten diese guten

    wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland nicht gefhrden.- Das IKRK befrchtete, dass zu groer Druck auf und Kritik an Deutschland die

    Gefahr berge, dass die Deutschen auch die neutrale Schweiz besetzenwrden.

    - Man wollte die Kriegsgefangenenarbeit nicht gefhrden. Diese funktionierteauch gut. Denn sonst htte Deutschland die Rache des Gegners frchtenmssen.

    Im Gegensatz zur damaligen IKRK-Leitung kommt die Autorin aber zu dem Schluss,dass Genf Deutschland durchaus mehr unter Druck htte setzen knnen, diesessogar von den Nationalsozialisten erwartet wurde: Denn in derKriegsgefangenenfrage war Deutschland auf das Rote Kreuz angewiesen. Auch einffentlicher Appell htte durchaus eine Menge bewirken knnen: Er htte die Weltinformiert. Whrend Appelle der Alliierten als Greuelpropaganda abgetan wurden,htte ein Appell einer neutralen Institution sehr viel Gewicht gehabt.

    Bemerkenswert an dem Film ist das Interview mit Maurice Rossel, der als jungerRotkreuz-Delegierter die Konzentrationslager besuchte. In seinen Berichten nachGenf zeichnete er ein durchweg positives Bild. Von der falschen Fassade im LagerTheresienstadt lie er sich tuschen. Bis heute glaubt er, dass das Lager einVorfhrlager gewesen sei, in dem reiche und privilegierte Juden lebten. Er besuchteauch das Konzentrationslager Auschwitz, fragte aber nicht nach den Gaskammern,dessen Existenz ihm durchaus bekannt war.

    Der Film beschreibt auch die Hilfe, die geleistet wurde, wie etwa die zahlreichenPaketsendungen des IKRK fr die jdischen Hftlinge. Darber hinaus gelang eseinigen Delegierten zum Beispiel in Ungarn und in der Slowakei, Juden zu retten und

    vor Deportationen zu bewahren. Diese Hilfe Einzelner macht aber umso deutlicher,dass sie viel zu spt kam und die Mehrheit versagte. Darber hinaus sei diese Hilfeweniger von Genf ausgegangen, sondern von den Delegierten vor Ort, die dabei oftgegen die Anweisungen aus Genf und offizielle Regeln verstoen htten.

    Die Dokumentation beschreibt nicht nur Versumnisse des IKRK in der Nazi-Zeit,sondern wirft dem IKRK vor, seine unheilvolle Politik nach dem Zweiten Kriegfortgesetzt zu haben:

    - Gesuchte Kriegsverbrecher wie Josef Mengele und Adolf Eichmann konntenmit geflschten Pssen, die vom IKRK ausgestellt wurden, nach Argentinien

    flchten.

  • 7/24/2019 Das Rote Kreuz Im Dritten Reich - Doku Von Christiane Rtten (2008, Rezension)

    3/4

    qK m~ i ENQKTKOMMUF P

    - 1949 lehnte das IKRK die Aufnahme der Hilfsorganisation Israels (MagenDavid Adom) ab. Erst 2006 erfolgte die Anerkennung als nationaleGesellschaft im Sinne der Genfer Konvention durch das IKRK.

    - Erst seit den 1990er Jahren gesteht das IKRK Fehler ein, was seine Haltunggegenber dem Holocaust betrifft. Als es mit der Aufarbeitung seiner

    Vergangenheit begann, war Burckhardt lngst tot. Er hatte, wie man wei, inden 1950er Jahren Unterlagen aus dem Archiv des IKRK vernichtet.- 1955 bernahm das IKRK von den Alliierten die Leitung des Internationalen

    Suchdienstes in Bad Arolsen, in deren Archiv Unterlagen aus denKonzentrationslagern aufbewahrt werden. Noch 50 Jahre danach so derFilm - sind noch immer rund 17 Mill. Personendaten nicht aufgearbeitet, Opferund Angehrige von Opfern mssen lange auf eine Antwort warten. Erst seit2006 ist Genf bemht, diese Missstnde zu beseitigen.

    Die im Film getroffenen Aussagen zum DRK besttigen die Forschungsergebnissevon Birgitt Morgenbrod und Stephanie Merkenich, die die Geschichte des DRK in derNS-Zeit im Auftrag des DRK aufgearbeitet haben. Ihre Ergebnisse wurden 2008 alsBuch verffentlicht (Das DRK unter der NS-Diktatur 1933-1945):

    1. Seit 1933 geben im DRK die Nazis den Ton an.Das DRK geriet schon frh ins Visier der neuen Machthaber. Seit 1933 wurde dasDRK schrittweise gleichgeschaltet und in den NS-Staat eingebunden. Dienationalsozialistische berformung fand ihren sichtbarsten Ausdruck in denpersonellen Vernderungen auf der Funktionrsebene, vor allem im Prsidium, aberauch bei den Landesvereinen und den nach geordneten Organisationen. In kurzerZeit wurde ein Stamm von dem Regime ergebener Mitarbeiter rekrutiert. Whrendsich zunchst die SA Einfluss auf das DRK verschaffte, sicherte sich ab Ende 1936die SS die Fhrung im DRK. Der Reichsarzt SS Ernst Robert Grawitz wurde zumgeschftsfhrenden DRK-Prsidenten berufen. Weitere Leitungsfunktionen imPrsidium wurden ebenfalls mit SS-Funktionren besetzt, so das Amt fr DRK-Finanz- und Vermgensverwaltung mit dem Chef des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes Oswald Pohl.

    2. Jdische Mitglieder sind im DRK lngst ausgeschlossen.Das DRK hat seine jdischen Mitarbeiter und Mitglieder schon frhzeitigausgeschlossen. Hier kann der DRK-Fhrung vorgeworfen werden, imvorauseilenden Gehorsam gehandelt zu haben So signalisierte DRK-Prsident von

    Joachim von Winterfeldt-Menkin dem neuen Regime bereits im April 1933, diejenigenPersonen aus dem DRK zu entfernen, die in die heutige Zeit nicht mehr passen.Der Hintergrund fr dieses Verhalten war sein Versuch, das DRK in seiner bisherigenStruktur zu erhalten. In den folgenden Monaten erfolgte dann unter Berufung auf denArierparagraphen (April 1933) eine rasche Entfernung jdischer Mitglieder: Ab Mai1933 konnten keine Juden mehr in Vorstandsstellen gewhlt werden, ab Juni 1933wurde jdischen Angestellten gekndigt. Schlielich wurden jdische Mitglieder inden Sanittskolonnen und Schwesternschaften nicht mehr aufgenommen bzw.ausgeschlossen, zum Teil auch die einfachen Mitglieder. Damit verletzte das DRKdas Grundprinzip politischer, konfessioneller und rassischer Neutralitt gem seinereigenen Satzung von 1921. Im November 1933 erging schlielich eine

    entsprechende Anweisung des Innenministeriums, welche zeigt, dass das DRKletztlich keinen echten Handlungsspielraum in dieser Frage besa.

  • 7/24/2019 Das Rote Kreuz Im Dritten Reich - Doku Von Christiane Rtten (2008, Rezension)

    4/4

    qK m~ i ENQKTKOMMUF Q

    3. Das DRK erteilt ab April 1942 keine Ausknfte mehr ber den Verbleib vonNichtariern.

    Die vom DRK geleistete Untersttzung in diesem Bereich wieNachrichtenbermittlung oder Nachforschungen nach verschwundenen Personen -wurde immer restriktiver: Ende April/Anfang Mai 1942 besttigte das DRK, dass

    Ausknfte ber deportierte Juden eingestellt werden mssten. Im August 1942 teiltedas DRK dem IKRK mit, dass auch die Bearbeitung von Nachforschungsantrgennach in den besetzten Gebieten ansssigen Juden nicht mehr mglich sei. AbFrhjahr 1943 nahm das DRK wieder Nachforschungsantrge nach Deportierten allerKategorien in den besetzten Gebieten entgegen. Wie Morgenbrod/Merkenich in ihrerStudie zeigen, war das DRK bei Anfragen nach Juden in Konzentrationslagern abervollstndig vom Reichssicherheitshauptamt abhngig.

    In ihrer Arbeit beschreiben Morgenbrod und Merkenich die schrittweiseGleichschaltung und Einbindung des DRK in das NS-Regime und die engeVerflechtung mit der SS sowie die Umwandlung des DRK vom vielschichtigenWohlfahrtsverband der Weimarer Republik zu einer monofunktionalen Organisationdes Wehrmachtssanittsdienstes. Die Autorinnen belegen, dass es zahlreicheBerhrungspunkte zum Unrechtsregime gegeben hat. Die SS-Fhrung warunbestritten Teil des Unrechtsregimes. Eine systematische Einbeziehung des DRKals Organisation in die Verbrechen des Regimes so das Ergebnis der Studie hates aber wohl nicht gegeben. Unter seiner SS-Fhrung war das DRK ein willfhrigerPartner des NS-Regimes und lie sich bereitwillig fr dessen Ziele einspannen. DieStudie belegt aber auch die Vielfalt der Hilfeleistungen des DRK im ZweitenWeltkrieg, von der Verwundetenbetreuung bis hin zum Rettungsdienst. Der Einsatzder ber 600.000 Krfte im Zweiten Weltkrieg fr deutsche Soldaten und diedeutsche Zivilbevlkerung war aufopferungsvoll und teilweise mit hohempersnlichen Risiko und enormen Kraftanstrengungen verbunden.