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Das schwarze System

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Das Schwarze System Der Kristallprinz im System des Todes - auf der

Fährte der Varganen

von Clark Darlton

Atlan - Held von Arkon - Nr. 162

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Was bisher geschah

Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v.Chr. entspricht. Arkon steht trotz des tobenden Krie­ges gegen die Methans in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbana­schol III, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII tö­ten ließ, um selbst die Herrschaft übernehmen zu können.

Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Gegner hat der Imperator von Arkon besonders zu fürchten: Atlan, den rechtmäßi­gen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der nach der Aktivierung seines Extrahirns den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenom­men hat und den Sturz des Usurpators anstrebt.

Im Zuge dieser gegen Orbanaschol und seine Schergen gerichteten Un­ternehmungen haben Atlan, Fartuloon, der Leibarzt des ermordeten Impe­rators, und Ra, der mysteriöse Barbar von einem unbekannten Planeten, gerade die Schrecken des 30-Planeten-Walls hinter sich gebracht und wie­der unversehrt Atlans Beuteschiff, die KARRETON, erreicht.

Die Suche nach dem legendären »Stein der Weisen«, dem Kleinod kos­mischer Macht, hinter dem auch Orbanaschols Leute her sind, wird fortge­setzt. Vom Eppith-System, das eine tödliche Falle des Blinden Sofgart be­herbergt, fliegt Atlan mit der KARRETON weiter – auf der Fährte der Var­ganen. Er will einen Vorsprung wettmachen, und sein Ziel ist DAS SCHWARZE SYSTEM …

Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Kristallprinz wird zum Organsucher. Fartuloon - Atlans Begleiter. Farnathia - Atlans Jugendfreundin. Allzon - Ein Deserteur aus den Reihen der Kralasenen. Morvoner Sprangk - Der ehemalige Flottenoffizier rettet Atlan vor dem Scheiterhaufen.

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1.

Erst nach der dritten Transition war Fartuloon sicher, daß es keine Verfol­ger gab. Der Hyperraum hatte uns verschluckt, wieder ausgespien und abermals verschluckt. Jeder Raumsprung hatte das Schiff einige hundert Lichtjahre zurücklegen lassen und so alle Spuren verwischt.

Mir selbst steckte das Abenteuer im Eppith-System noch in den Kno­chen, aber ich hatte mich wenigstens einigermaßen von dem Schock er­holt, der mir dort versetzt worden war. Es sah ganz so aus, als habe mich bei der Suche nach dem »Stein der Weisen« mein Erzfeind, der Blinde Sofgart, nicht nur eingeholt, sondern sogar überholt.

Nun galt es, seinen Vorsprung zu verringern. Ich richtete mich auf und rieb die schmerzhaften Glieder, eine Nachwir­

kung der Transitionen. Noch immer gab es kein Mittel, den Verzerrungs­schmerz bei der Entmaterialisation zu dämpfen. Ich hatte keine Ahnung, wann Fartuloon den nächsten Sprung einleitete, aber über den schiffsinter­nen Interkom würde eine Vorwarnung rechtzeitig erfolgen.

Ich öffnete vorsichtig die Tür zur Nachbarkabine, zu der ich einen di­rekten Zugang besaß. Farnathia lag auf ihrem Bett, ein wenig blaß und er­schöpft. Sie blieb liegen, als ich eintrat, und sah mir entgegen.

»Ist uns jemand gefolgt?« fragte sie schwach. »Ich glaube nicht«, beruhigte ich sie und setzte mich auf den Bettrand.

»Wie fühlst du dich?« »Ich habe Transitionen nie gut vertragen können, Atlan. Aber diesmal

spürte ich sie besonders schlimm.« »Mir geht es ähnlich, aber das ist nach dem, was wir erlebten auch kein

Wunder. Nur fürchte ich, daß wir noch mehr unangenehme Überraschun­gen erleben werden. Wenn dieser Sofgart mit von der Partie ist, können wir niemals davor bewahrt bleiben. Bleib jetzt liegen und ruh dich aus. Ich bin bei Fartuloon in der Kommandozentrale.«

Sie nickte dankbar und schloß die Augen. Behutsam erhob ich mich, kehrte in meine eigene Kabine zurück und

schloß die Verbindungstür. Dann zog ich meine Jacke an und ging hinaus auf den Korridor. Bis zur Zentrale war es nicht weit.

Die KARRETON war ein Kugelraumer mit fünfhundert Metern Durch­messer, ein ehemaliges Forschungsschiff. Die sechzig Mann starke Besat­zung war zuverlässig und Fartuloon und mir treu ergeben. Viele der Leute mochten den fetten Bauchaufschneider für den eigentlichen Kommandan­ten halten, nicht aber mich, den Kristallprinzen des Imperiums. Und sie wußten auch nicht, daß ich der Sohn des vor vielen Jahren ermordeten Im­perators Gonozal war, der den gewaltsamen Tod seines Vaters rächen

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wollte. Der Mörder war Orbanaschol, mein Onkel und der jetzige Herrscher

über unser Sternenimperium. Sein willigstes Werkzeug war der Blinde Sofgart mit seinen grausamen Söldnern, den Kralasenen. Fartuloon hatte gerade einigen Offizieren seine Anweisungen gegeben, als ich die Zentrale betrat. Theatralisch breitete der Dicke beide Arme aus und rief:

»Sei willkommen, mein Sohn, und gratuliere mir! Keine Verfolger, und in zwei weiteren Etappen erreichen wir unser Ziel. Das Schwarze Sy­stem!« Er betrachtete mich forschend. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen. Was ist los mit dir?«

»Ich bin noch ein bißchen schwach auf den Beinen«, gab ich zu und folgte ihm auf den Korridor. »Soll ich dich in der Zentrale ablösen?«

»Nicht nötig, das macht Morvoner Sprangk schon. Du solltest dich wie­der hinlegen. Bis zur nächsten Transition haben wir noch ein paar Stunden Zeit. Wir wollen nichts überstürzen.«

»Der Vorsprung des Blinden wird immer größer.« »Nicht so groß, um ihn zu verlieren. Wir wissen, daß er die nächste

Etappe kennt: das Schwarze System. Dort finden wir seine Spur wieder, darauf kannst du Gift nehmen.«

Ich blieb stehen. »Ich bin ausgeschlafen und werde Morvoner etwas Gesellschaft leisten.

Wird er die nächste Transition vornehmen?« »Ja, ich habe sie bereits programmiert. Vielleicht verschlafe ich sie.«

Fartuloon lachte dröhnend und klopfte mir so kräftig auf die Schulter, daß ich fast in die Knie ging. »Bis später, wir sehen uns dann …«

Ich kehrte in die Zentrale zurück, nickte dem alten Haudegen Morvoner Sprangk freundlich zu und setzte mich in den freigewordenen Sessel ne­ben ihn. Ich sprach noch nicht, denn der alte Arkonide war mit der Kon­trolle der Instrumente beschäftigt und nahm gerade die Meldungen der Or­terzentrale entgegen, die den Raum nach fremden Objekten absuchte.

Erst als er damit fertig war und sich mit einem befreiten Aufatmen zu­rücklehnte, sagte ich:

»Alles in Ordnung, wie mir scheint.« »Stimmt!« knurrte er zufrieden. »Wir sind allein. Bei der vierten Transi­

tion schlagen wir trotzdem vorsichtshalber einen Haken.« »Der Blinde Sofgart wird ohnehin wissen, wohin wir wollen«, gab ich

zu bedenken. Er zuckte die Achseln. »Möglich, aber das läßt sich kaum vermeiden. Ich rechne sogar mit ei­

nem Empfangskomitee. Mir selbst soll das recht sein, denn ich roste sonst noch ein.«

Er konnte den ehemaligen Kommandanten der arkonidischen Kriegs­

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flotte nie ganz vergessen oder gar verleugnen. Krieg war sein Handwerk gewesen, und in einigen Situationen war mir das schon sehr zustatten ge­kommen. Auf ihn war Verlaß, und so etwas wie Furcht kannte er nicht ein­mal dem Namen nach.

Ich nickte stumm und betrachtete das Bild auf dem Panoramaschirm vor mir über den Kontrollen. Diesen Sektor des Raumes kannten wir noch nicht. Ich war nicht sicher, ob er noch im Einflußgebiet des Imperiums lag oder bereits jenseits der Grenzen. Wahrscheinlich gab es niemanden, der das genau wußte.

»Kann man die Sonne des Schwärzen Systems schon sehen?« erkundig­te ich mich schließlich nach einer Weile.

»Nein, noch nicht. Zu weit entfernt.« »Wieweit?« »Ich schätze, insgesamt haben wir noch tausend Lichtjahre, es können

aber auch mehr oder weniger sein.« Ich nickte und meinte ironisch: »Na, da bin ich jetzt genau informiert. Danke.« »Kann ich doch nichts dafür«, knurrte er unwillig, meinte es jedoch

nicht so. Er hatte im Grunde ein weiches Herz und ein frohes Gemüt, aber wahrscheinlich waren ihm die letzten Ereignisse ebenfalls auf die Nerven gegangen, so wie uns allen. Das machte ihn unwirsch und kurz angebun­den. Ich nahm es ihm nicht übel. »Fartuloon hat die Koordinaten einge­speist, er muß es wissen.«

Wir kannten natürlich alle die Koordinaten, aber in einem relativ unbe­kannten Sektor der Galaxis, der selbst auf den Karten nicht exakt einge­zeichnet war, half uns das wenig. Wichtig war, daß die Komputer den Zielstern fanden.

»Wie lange machst du hier Dienst?« »Bis zur letzten Transition, die will der Dicke selbst übernehmen. Au­

ßerdem will ich mich noch mit Ra unterhalten.« Ra war der Barbar, den wir aus den Händen der Sklavenhändler befreit

hatten und der von einem wilden, namenlosen Planeten stammte. Er hatte uns seine Geschichte erzählt, und es war eine spannende und interessante Geschichte gewesen.

Außer der Besatzung Morvoner Sprangk, Fartuloon, Ra und mir befan­den sich auch noch der Magnetier Vorry und Corpkor an Bord der KAR­RETON. Ja, und natürlich noch Farnathia, meine Jugendfreundin. Wir wa­ren eine verschworene Gemeinschaft, und unser Ziel war es, den korrupten Imperator Orbanaschol zu stürzen und für seine Bluttat zu bestrafen.

Ein nicht leichtes Unterfangen, denn Orbanaschol regierte ein riesiges Sternenreich, dessen Macht fast unbegrenzt schien. Wir aber waren nur wenige. Doch ich war sicher, daß wir immer mehr Kampfgefährten hinzu­

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gewinnen konnten, wenn sie erst einmal die Wahrheit erfuhren. »Unser Barbar macht sich«, gab ich schließlich zu, obwohl Morvoner

nicht das Gegenteil behauptet hatte. »Er spricht unsere Sprache fast flie­ßend und ist auch nicht mehr so schweigsam wie früher. Ob er jemals sei­ne Goldene Göttin wiederfinden wird?«

Morvoner lächelte flüchtig. »Sicher nicht, aber die Hoffnung auf ein Wiedersehen macht ihn zu ei­

nem großartigen Bundesgenossen. In ihm wohnt noch die urwüchsige Kraft des Ureinwohners eines unberührten Planeten, der einem Paradies gleichen muß. Er ist ein guter Kämpfer, und in unserer Flotte hätte er im Krieg gegen die Methanatmer sicherlich einige Orden eingeheimst. Be­stimmt wäre er Offizier geworden.«

»Auch der einfache Soldat kann kämpfen«, warf ich ein. »Du mußt den Wert eines Mannes nicht immer nach seinem Dienstrang beurteilen.«

Jetzt wurde Morvoner verlegen. Wir hatten schon oft genug bei diesem Thema Streit bekommen. Er kannte meine Einstellung, aber die Tradition war zu tief in ihm verwurzelt. Sein Leben lang hatte er arbeiten und kämp­fen müssen, bis er endlich Offizier geworden war. Dann waren die Maahks gekommen und hatten mit neuen Waffen experimentiert. Ein Fehlversuch hatte Morvoner und viele seiner Leute und eine Anzahl Maahks in eine Geisterarmee verwandelt. In halbstofflichem Zustand waren Kriege ausge­fochten worden, bis ein zweites Experiment sie endlich aus ihrem Geister­zustand erlöste.

»Du solltest dich ausruhen«, sagte er und wechselte abrupt das Thema. »Wie geht es Farnathia?«

Ich mußte lächeln. Er mochte ein guter Taktiker im Krieg sein, aber als Diplomat war er unbrauchbar, weil seine Absichten zu durchsichtig waren.

»Sie schläft, nehme ich an. Die Transitionen waren diesmal zu anstren­gend für sie. Aber die beiden nächsten wird sie schon noch aushalten, wenn sie meinen Rat befolgt und im Bett bleibt.«

»Fein, dann siehst du ja auch ein, daß es gut für dich ist, wenn du mei­nen Rat befolgst und dich hinlegst.«

Ich schüttelte den Kopf. »Du wirst es dir niemals abgewöhnen, mein Kindermädchen sein zu

wollen, Morvoner. Ich passe schon selbst auf mich auf.« »Dabei meine ich es doch nur gut!« erklärte er. »Im Schwarzen System, was immer das auch sein mag, benötigen wir

alle unsere Kräfte und Energien. Nur ausgeruht schaffen wir das.« »Und was ist mit dir?« fragte ich neugierig. »Du weißt doch, was ich aushalte. Mich bringst du nicht so schnell um,

Atlan. Ob ich hier vor den automatischen Kontrollen sitze oder ob ich schlafe – wo ist da der Unterschied?«

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»Na schön.« Ich nickte ihm zu und stand auf. Er hatte recht. Es war sinnlos, die wenigen Stunden der Ruhe, die uns noch verblieben, zu ver­geuden. »Ich versuche zu schlafen. Aber sage Fartuloon, er soll mich kurz vor der letzten Transition wecken. Ich möchte dabei sein.«

»Verlaß dich darauf!« versprach er grimmig. »Und grüße Farnathia, falls sie wach werden sollte.«

Ich ging und grinste bei seiner etwas anzüglichen Bemerkung. Die nächste Transition verschlief ich, wenn mir der im Unterbewußtsein vorhandene Entzerrungsschmerz auch Alpträume vermittelte. Zwar er­wachte ich danach für einige Sekunden, blieb ruhig liegen und lauschte durch die offene Tür auf Farnathias ruhige Atemzüge – und schlief wieder ein.

Wieder träumte ich, doch diesmal von freundlicheren Dingen. Mit Un­terlicht durcheilte die KARRETON die uns allen unbekannte Region der Galaxis, während die wahrscheinlich letzte Transition errechnet und pro­grammiert wurde.

Orbanaschol war seiner gerechten Strafe zugeführt worden und das Im­perium wieder frei von dem Tyrannen. Mein Vater war gerächt, und an der Seite meiner geliebten Farnathia übernahm ich die Herrschaft, von Freun­den und wohlmeinenden Ratgebern umgeben. Der Blinde Sofgart und sei­ne Kralasenen waren verschwunden, die Arkoniden konnten aufatmen. Sie brauchten keine Furcht vor plötzlicher Verhaftung mehr zu haben und konnten so leben, wie sie es für richtig hielten, solange sie nicht gegen die Gesetze verstießen.

Da mich Ras Erzählung und Lebensgeschichte stark beeindruckt hatte, war es auch kein Wunder, daß ich von dem namenlosen Planeten träumte, der seine Heimat gewesen war. Er umkreiste eine gelbe Sonne, irgendwo in den fremden Weiten der Galaxis, in einem Teil, der noch nicht kartogra­phiert worden war. Dort hatte Ra gelebt. Ich sah die primitiven Höhlenbe­wohner in den Felsen des Flusses und den »Mann mit dem Feuer«, das ei­ne Göttin vom Himmel gebracht und Ra geschenkt hatte.

Und ich erlebte mit, wie Ra von arkonidischen Raumfahrern gefangen und entführt wurde, die jene Welt zufällig entdeckt und später sicherlich wieder vergessen hatten.

Eine undeutliche Stimme drang an meine Ohren, holte mich aber nur allmählich in die wache Wirklichkeit zurück. Dazwischen war das Sum­men des Interkoms, das ich zuerst für das Summen eines Insektes hielt. Dann aber erkannte ich Fartuloons kräftiges Organ und vernahm seine un­geduldig klingenden Worte:

»… bei allen Göttern des Kosmos, was ist denn mit dir los? Warum ant­wortest du nicht? Sollte ich dich nicht wecken, wenn wir in die letzte Transition gehen? Corpkor wird dich gleich mit einigen seiner dressierten

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Tiere aus dem Bett holen, verlaß dich darauf …!« Das tat es! Ich war sofort hellwach und sprang auf, um meinen eigenen

Interkom einzuschalten. »Schon gut, Fartuloon. Brüllst du schon lange in der Gegend herum?« Für eine Sekunde verschlug es ihm die Sprache, dann kam es laut zu­

rück: »Das nennst du Brüllen? Dann sollst du mich mal hören, wenn ich wü­

tend werde! Kommst du jetzt?« »Bin schon unterwegs!« Ich grinste und schaltete ab. Meine Befürchtung, Fartuloon habe auch

Farnathia geweckt, war unnötig. Mit einem Blick überzeugte ich mich da­von, daß sie tief schlummerte, dann verließ ich meine Kabine und eilte zur Kommandozentrale. Der Sessel zwischen Morvoner Sprangk und Fartu­loon war frei. Ich setzte mich und nickte den beiden freundlich zu, um jede weitere überflüssige Bemerkung im Keim zu ersticken.

Trotzdem sagte Fartuloon: »Wurde auch Zeit, Atlan. Die Transition erfolgt in genau fünf Minuten.

Da wir einige Umwege gemacht haben, kann es sein, daß die Koordinaten nicht mehr exakt stimmen. Wenigstens nicht mehr vom augenblicklichen Standort aus. Aber es kann sich höchstens um ein paar lumpige Lichtjahre handeln.«

»Für einen Fußmarsch nicht zu empfehlen«, knurrte Morvoner und ver­zog das Gesicht. »Keine Verfolger, das beruhigt mich ungemein.«

Eingehend studierte ich den großen Panoramaschirm vor mir. Ich sah fremde Sternkonstellationen, die keinen Sinn für mich ergaben. Wir hiel­ten uns ja auch in einem völlig fremden Sektor auf. Zwar gab er Sternkar­ten, aber die waren ungenau und nicht zuverlässig. Was das Schwarze Sy­stem eigentlich war, wußte niemand von uns. Es gab nur vage Andeutun­gen, keine Erklärungen. Es sollte dort einen Planeten geben, auf dem man ohne Gefahr landen konnte – das war so ziemlich alles was wir wußten – oder eben zu wissen hofften.

»Noch eine Minute!« stellte Morvoner sachlich fest. »Bereitet euch auf die Kreuzschmerzen vor …«

Der Entzerrungsschmerz trat nicht nur im Kreuz auf, er nahm vom gan­zen Körper Besitz und marterte ihn fast bis ins Unerträgliche. Zum Glück dauerte er nicht lange. Das kam auf die Größe der in der Transition zu­rückgelegten Strecke an, wie auch die Genauigkeit des Sprungs davon ab­hing. Die bevorstehende Transition führte über eine relativ kurze Entfer­nung.

Automatisch – von einer Sekunde zur anderen – glitten wir in die ande­re Dimension, die nächsthöhere, und wurden vom Schmerz durchrüttelt. Ich klammerte mich an den Armlehnen meines Sessels fest, um nicht auf­

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zuschreien. Auch Fartuloons Gesicht wirkte verzerrt, obwohl er der Un­empfindlichste von uns allen sein mochte. Morvoner biß sichtbar die Zäh­ne zusammen, um nicht aufschreien zu müssen.

Der Bildschirm zeigte nichts mehr. Es war schwarz, bis auf einige selt­same Lichterscheinungen, die ich nicht zu klären vermochte. Sie traten bei Transitionen fast immer auf.

Dann war alles wieder vorbei, und niemand hätte zu sagen vermocht, wieviel Zeit vergangen war. Jedenfalls hatte die KARRETON Lichtjahre zurückgelegt.

Auf dem Bildschirm wurden die Sterne wieder sichtbar, aber nun waren es andere Sterne als vorher. Weit links am Rand der gewölbten Mattschei­be stand eine große, flammende Sonne, die den relativ hellen Hintergrund der Galaxis verdunkelte. Dicht daneben war ein zweiter Stern, den ich mit geschultem Blick sofort als Planeten identifizierte. Die Fernortung gab mir wenige Minuten später recht.

»Das ist die Sonne!« sagte Fartuloon überzeugt. »Das muß sie sein, oder ich bin der miserabelste Navigator, den es je gegeben hat.«

»Wir können uns kaum verrechnet haben«, stellte Morvoner fest. »Farbe und Größe stimmen etwa. Und der Lichtpunkt daneben dürfte der einzig helle Planet des Systems sein, wenn die Beschreibung stimmt.«

»Warten wir das Ergebnis der Ortungen ab«, riet Fartuloon. Der Schmerz hatte inzwischen völlig nachgelassen. Über den Interkom

überzeugte ich mich davon, daß Farnathia erwacht war. Sie verschwand gerade im Toilettenraum.

»Sie wird bald hier aufkreuzen«, vermutete Morvoner. Ich gab keine Antwort und betrachtete die fremde Sonne, die unser Ziel­

stern gewesen war. Es war nichts Besonderes an ihr zu entdecken. Außer dem einen Planeten fand ich keinen anderen, obwohl noch weitere vorhan­den sein mußten, mindestens sechs oder sieben. Die Behauptung, daß sie kein Licht reflektierten, schien zu stimmen.:

Einer der Orter-Offiziere kam zu uns. »Erste Ergebnisse liegen vor«, gab er bekannt. »Es gibt insgesamt acht

Planeten. Nur einer von ihnen, der vierte, reflektiert das Licht seiner Son­ne. Er ist optisch zu erkennen, die anderen nicht.«

»Wie nicht anders erwartet.« Fartuloon starrte auf den Schirm. »Und dort sollen wir eine Spur des Steins der Weisen finden?«

»Warten wir es ab«, riet ich ruhig. Noch bevor Farnathia in der Kontrollzentrale erscheinen konnte, tauchte

Ra auf, den wir auch heute noch den Barbaren nannten. Dabei sah er nicht mehr wie ein Wilder von einer Urwelt aus. Auch sprach er nahezu perfekt arkonidisch und hatte seine frühere Schweigsamkeit aufgegeben.

»Werden wir landen?« fragte er und zupfte an seiner gutsitzenden Kom­

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bination herum. Im Gürtel trug er ein Messer. »Darf ich mal sehen …?« Ich machte ihm ein wenig Platz und deutete auf den Bildschirm. »Du wirst enttäuscht sein, Ra, denn da gibt es nicht viel zu sehen. Der

kleine Stern dort, rechts von der Sonne, ist der Planet. Nennen wir ihn Gebharon, damit er einen Namen hat. Ich weiß nicht, ob wir auf ihm lan­den werden, bestimmt aber nicht mit der KARRETON.«

»Womit denn?« »Mit einem der Beiboote. Wir dürfen unser Schiff nicht in Gefahr brin­

gen, und niemand von uns weiß, was uns auf der fremden Welt erwartet.« »Vielleicht die Goldene Göttin …?« Er konnte sie einfach nicht vergessen, seine »Goldene Göttin«, die ihn

zu einem mächtigen Jäger gemacht hatte. Er liebte sie noch heute. Er be­gleitete uns, um sie wiederzufinden.

Wir vermuteten, daß seine Göttin zum verschollenen Volk der Varga­nen gehörte. Es mußte noch Überlebende dieses hochzivilisierten Volkes geben, und wir wollten sie finden. Sie waren es, die den Schlüssel zum Stein der Weisen besaßen. Insofern deckten sich Ras Wünsche mit den un­seren.

»Ich glaube kaum, daß wir sie dort finden werden, aber vielleicht einen Hinweis, wo wir suchen sollten. Mehr kann ich dir jetzt auch nicht sagen.« Ich wandte mich an Fartuloon: »Werden wir noch eine Transition vorneh­men müssen?«

Er schüttelte den Kopf. »Lohnt sich nicht bei der geringen Entfernung. In drei Stunden sind wir

nahe genug heran, um die Kreisbahn zu berechnen.« Es wurden drei lange Stunden. Farnathia kam und gesellte sich zu uns. Gespannt sahen wir alle auf den

Panoramaschirm, auf dem der Planet allmählich größer wurde. Er reflek­tierte das Licht seiner Sonne so stark, daß noch keine Einzelheiten auf sei­ner Oberfläche zu erkennen waren. Manchmal schien es mir so, als könne ich dunkle Punkte auf einer schimmernden Kugel erkennen, aber das muß­te wohl eine Täuschung sein.

Morvoner beugte sich vor und streckte den Zeigefinger aus. »Könnt ihr das sehen?« fragte er ein wenig erregt. »Dort, dicht neben

dem Planeten Gebharon … der dunkle Kreis gegen den etwas helleren Hintergrund der Galaxis …?«

Jetzt sahen wir ihn auch. Der milchig-verschwommene Schleier wurde von einem runden Körper verdeckt, der davor stehen mußte. Die Schluß­folgerung war einfach. Fartuloon sprach sie aus:

»Einer der dunklen Planeten des Schwarzen Systems. Er verschluckt al­les Licht und verdeckt die Sterne, die hinter ihm stehen. Unerklärlich! Ich verstehe das nicht.«

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»Da bist du nicht der einzige«, tröstete ihn Morvoner. Nach und nach entdeckten wir vier weitere Dunkelplaneten. Die restli­

chen standen wohl zu nahe bei der Sonne oder gar dahinter. Erneut wurde unsere Aufmerksamkeit von Gebharon beansprucht. Die angekündigten drei Stunden waren inzwischen vergangen. Fartu­

loon leitete den Bremsvorgang ein, um auf die richtige Geschwindigkeit zu kommen. Gebharon war inzwischen stark angeschwollen und nahm einen großen Teil des Sichtbereichs ein. Die Fernortung lieferte erste greifbare Ergebnisse. Demnach betrug die Rotation dreißig Stunden. Die Schwerkraft war normal. Die Oberfläche mußte zum größten Teil aus Wasser bestehen.

Nun war auch der Blickwinkel anders. Die Strahlen der Sonne wurden so reflektiert, daß sie uns nicht mehr blendeten. Die Oberfläche schälte sich aus dem Glanz hervor und wurde sichtbar.

Sie bestand in der Tat aus Wasser, war aber von Tausenden von Inseln bedeckt, die sich wie Eisschollen verteilten und – wenn man von der Fär­bung absah – auch daran erinnerten. Als ich genauer hinsah, hätte ich schwören können, daß sich die Inseln bewegten, so als schwämmen sie auf dem gigantischen Oberflächenozean. Alles sah so aus, als hätte jemand Papierstückchen auf einen Luftballon geklebt und ihn aufgeblasen. Wäh­rend er dicker wurde, entfernten sich die Papierstückchen voneinander. Ei­nige wurden bei dem Vorgang auseinandergerissen. Das hätte zumindest die deutlich sichtbaren Landbrücken zwischen den Inseln erklärt.

»Sie bewegen sich!« sagte Fartuloon. »Sie treiben dahin …« Es konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, daß wir es mit einer äu­

ßerst instabilen Oberflächenstruktur zu tun hatten. Die Inseln schwammen im Ozean, hielten aber ihren Abstand voneinander.

Erneut kamen Daten der Fernortung herein. Fast alle Inseln waren mit dichter Vegetation bedeckt, und die Atmo­

sphäre war atembar. Die Massetaster verrieten Materienansammlungen, die auf Gebäude hindeuteten. Einzelheiten konnte erst die Bildvergröße­rung zeigen.

Drei Offiziere kamen in die Zentrale. Ich sah ihnen an, daß sie etwas auf dem Herzen hatten, überließ aber Fartuloon die Verhandlungsführung.

»Die Mannschaft möchte ihre Bedenken äußern«, sagte einer der Offi­ziere. »Das Schwarze System bringt den Tod.«

Fartuloon ließ seinen Sessel herumschwenken. Ruhig betrachtete er die drei Offiziere, dann nickte er.

»Abergläubisch, nicht wahr? Seit wann halten tapfere Männer Ammen­märchen für wahr? Das System, in das wir eingedrungen sind, ist nicht ge­fährlicher als jedes andere. Bis auf einen reflektieren die Planeten nicht das Licht ihrer Sonne, das ist alles. Teilen Sie das den Leuten mit.«

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»Sir, ich weiß nicht, ob sie damit zufrieden sein werden.« Fartuloon blieb ruhig und gelassen. »Wir sind auch nicht mit dem zufrieden, was uns vielleicht erwartet,

aber wir haben keine Angst. Trotzdem werden wir vorsichtig sein und nie­mals leichtfertig handeln. Sagen Sie den Leuten, daß eine Umkehr gefähr­licher wäre, als dem Unbekannten gegenüberzutreten. Die KARRETON wird aus Sicherheitsgründen nicht landen, sondern im Raum bleiben. So ist jederzeit ein Notstart möglich.«

»Wir werden es der Mannschaft mitteilen, Sir. Vergessen Sie nicht, daß sie zum größten Teil aus freien Raumfahrern besteht, nicht aber aus Ange­hörigen der Flotte. Die Männer sind ehrlich und offen, darum haben sie auch ihre Bedenken geäußert.«

»Ich erkenne das an. Und nun gehen Sie, wir haben hier eine Menge zu tun – auch zum Schutz der Mannschaft.«

Die drei Offiziere verschwanden. Ich sah ihnen nach und hoffte, daß Fartuloons Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. Die Männer der KARRE­TON waren verläßlich und uns treu ergeben, aber das Leben im Schiff und die seltsamen Abenteuer hatten sie abergläubisch gemacht. Vielleicht hat­ten sie auch den Kontakt zur Realität ein wenig verloren. Jedenfalls ver­stand ich die Reaktion, so wie auch Fartuloon Verständnis dafür haben mochte.

Unser Schiff glitt in die Umlaufbahn ein und begann, den Planeten in relativ geringer Höhe zu umrunden. Deutlicher konnten wir nun die Inseln erkennen, den üppigen Pflanzenwuchs – und die ersten Gebäude.

Meist standen sie auf Lichtungen, deren Bewuchs jedoch verriet, daß sie schon vor langer Zeit geschlagen worden sein mußten. Auch waren es meist nur noch Ruinen, die zwischen den heranwachsenden Bäumen stan­den. Die Massetaster zeigten Stein und nur wenig Metall an.

Die Vergrößerung holte die Oberfläche noch näher heran. Das Bild auf dem Schirm erweckte den Eindruck, als flogen wir in we­

nigen hundert Metern über die Insel dahin. Deutlich sah ich nun auch die Landbrücken, die eigentlich keine waren. Sie bestanden meist aus ineinan­der verflochtenen Schlingpflanzen, die zwei oder auch mehrere Inseln mit­einander verbanden. So wurde ein weiteres Auseinandertreiben verhindert. Offensichtlich waren die Brücken natürlichen Ursprungs, aber mit Sicher­heit ließ sich das noch nicht feststellen.

Eine Insel glich der anderen, nur einmal entdeckte ich ein größeres und anscheinend noch intaktes Gebäude, das mitten auf einer großen Insel stand und bewohnt aussah, aber ich konnte kein lebendiges Wesen erken­nen.

Wenigstens kein intelligentes. »Dort – da bewegt sich etwas!« sagte Morvoner und beugte sich vor,

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um besser sehen zu können. »Sieht wie ein Hubakkel aus.« Hubakkel waren Vierbeiner, deren Fleisch von den Arkoniden sehr ge­

schätzt wurde. Sie wurden auf fast allen bewohnten Welten gezüchtet und galten als leicht zu halten. Sie waren zu einem beliebten Handelsobjekt ge­worden, und es gab Männer, die ganze Herden von ihnen besaßen.

»Es ist ein Hubakkel!« stellte Fartuloon mit Nachdruck fest. »Und wie kommt es hierher?« erkundigte ich mich skeptisch. Fartuloon zuckte die Achseln. »Dafür kann es tausend vernünftige Erklärungen geben. Jemand muß ja

auch die Häuser da unten errichtet haben. Sie brachten eben ihre Hubak­kels mit, das ist alles. Kein Grund zur Aufregung.«

»Und wer?« bohrte ich weiter, mit der Antwort in keiner Weise zufrie­den. »Schiffbrüchige Raumfahrer vielleicht? Siedler, die sich hierher ver­irrten? Oder wer sonst?«

»Eine Antwort ist so gut wie die andere.« Fartuloon zeigte offen seinen Unwillen über meine Wißbegierde, wahrscheinlich deshalb, weil er selbst an keine seiner Theorien glaubte.

Insgesamt umrundeten wir Gebharon dreimal, dann sagte sich ent­schlossen:

»Fartuloon, das Beiboot soll startbereit gemacht werden. Ich gehe allein zur Oberfläche hinab und sehe mich um. Wir bleiben über Telekom in Verbindung.«

»Das Boot ist schon längst startbereit, mein Sohn«, erwiderte er, und an seiner Anrede bemerkte ich, daß nun noch etwas kam, das keinen Wider­spruch duldete. Ich konnte mir schon denken, was es war. »Ich werde dich selbstverständlich begleiten.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Fartuloon, es genügt, wenn einer von uns das Risiko auf sich

nimmt. Es ist mir auch lieber, dich in der KARRETON zu wissen.« »Als ob ich da nicht genügen würde!« knurrte Morvoner beleidigt. »Er hat recht«, stimmte Fartuloon ihm sofort zu. »Außerdem darfst du

nicht vergessen, daß jeder Funkkontakt abbricht, wenn sich die KARRE­TON auf der anderen Seite des Planeten befindet. Dann sind zwei Männer besser als nur einer.«

»Aber …«, begann ich, sah aber an seinem Gesicht, daß ich nur meine Zeit verschwendete. »Aber wir nehmen Waffen mit«, sagte ich nur noch.

Er grinste. »Natürlich, oder glaubst du, ich würde mein Skarg vergessen?« Nein, sein geheimnisvolles Schwert vergaß er nie, und es hatte uns

schon machen wertvollen Dienst erwiesen. Es besaß energetische Kräfte, von denen niemand etwas bei seinem Anblick ahnen konnte.

»Wann?« fragte ich zum Abschluß.

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»Nach dem nächsten Umlauf. Ich ziehe mich nur um und rate dir, den Kampfanzug anzulegen. Wir wissen nicht, wem wir dort unten begegnen. Also – bis dann!«

Morvoner raunzte: »Und was ist mit mir? Soll ich den Rest meines Lebens in der Kreis­

bahn verbringen?« »Das zweite Beiboot ist startklar«, entgegnete Fartuloon, der in der Tür

zum Korridor stehengeblieben war. »Du übergibst Corpkor das Komman­do und kommst mit Ra und Vorry nach, sobald Atlan oder ich dir die ent­sprechende Anordnung durchgibt.«

»Na gut«, gab sich der ehemalige Kommandant zufrieden. »Dann wün­sche ich euch viel Glück. Ihr habt es nötig.« Mit langsamer Fahrt verließen sie den Hangar der KARRETON und ent­fernten uns dann allmählich von ihr. Das große Kugelschiff setzte seinen Flug fort, von Gravitation und Zentrifugalkraft ohne Antrieb auf seinem Kurs gehalten und von keiner Atmosphäre gebremst.

Das Beiboot war etwa zehn Meter lang und bot Fartuloon und mir genü­gend Raum. Wir saßen in den beiden Kontursesseln vor den Kontrollen und hatten die vordere Sichtscheibe über dem Bildschirm geöffnet, um besser sehen zu können. Noch lag Gebharon tief unter uns, ein riesiger Ozean mit vielen Inseln, einige von ihnen ziemlich groß, fast wie Konti­nente, andere wiederum klein und zu regelrechten Kolonien zusammenge­wachsen.

Während wir hinabsanken, mußte ich an Farnathia Abschiedsworte den­ken. Ich liebe dich, hatte sie gesagt, und sie hatte es sehr ernst gemeint. Sei vorsichtig, hatte sie hinzugefügt, es hatte ebenfalls sehr ernst geklungen. Natürlich wußte ich, daß sie mich liebte, so wie sie wußte, daß ich sie lieb­te. Es tat gut, es immer und immer wieder zu hören.

Als wir die obersten Schichten der Atmosphäre erreichten, ging unser Funkkontakt mit der hinter der Krümmung des Horizonts verschwundenen KARRETON verloren. Morvoner würde sich in einer knappen Stunde erst wieder melden. Bis dahin sollten wir gelandet sein.

»Eine spärliche Wolkenschicht«, bemerkte Fartuloon. »Ein Wunder bei dem vielen Wasser. Die Verdunstung müßte stärker sein.«

»Wer weiß …?« gab ich geistesabwesend zurück. Ich konzentrierte mich nun ausschließlich auf die rein optische Beob­

achtung der immer deutlicher werdenden Oberfläche und versuchte, Ein­zelheiten zu erkennen. Auf den meisten der Inseln standen Häuserruinen, anscheinend von niemandem bewohnt. Die Hubakkels grasten in Herden auf den Lichtungen; offensichtlich hatten sie sich längere Zeit ungestört vermehren können.

»Frischfleisch in Hülle und Fülle«, stellte Fartuloon genießerisch fest.

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»Es ist selten geworden im Imperium.« Das stimmte. Man lebte fast nur noch von Konzentraten, zumindest an

Bord der Raumschiffe, weil sie weniger Platz einnahmen und weniger Ge­wicht besaßen. Richtiges Fleisch gab es nur auf den Planeten, und auch nicht auf allen.

»Hoffentlich haben wir Zeit für ein Steak«, gab ich zurück. Wir durchstießen die Wolkenschicht, und nun wurde die Sicht noch bes­

ser als zuvor. An einigen Stellen konnte ich Untiefen im Meer ausmachen. Das Wasser mußte ungemein klar sein. Unsere Höhe betrug nur noch eini­ge tausend Meter.

Gebirge gab es auf Gebharon nicht, wenigstens hatte ich bisher noch keine gesehen. Dazu waren die Inseln auch zu klein. Trotzdem hätte man Vulkankegel vermuten können, aber auch die waren nicht vorhanden.

»Wir müssen uns eine Insel aussuchen«, schlug Fartuloon vor. »Die Unterschiede sind nicht gewaltig.« »Trotzdem! Nehmen wir eine der größeren.« Wir glitten dicht über die Oberfläche des Wassers dahin, nur noch

knapp hundert Meter hoch, und näherten uns dem Ufer einer wilden Ur­landschaft, hinter der wir eine der großen Inseln vermuteten. Ich drosselte die Geschwindigkeit noch weiter, bis wir fast nur noch schwebten. Unter uns zogen die Wipfel der Bäume dahin, bis sich vor uns eine weite Lich­tung auftat. Ohne zu zögern, landete ich auf einem freien Platz zwischen verfallenen Hütten, die aus Holz gebaut waren.

Der Antrieb verstummte. Fartuloon stand auf und faßte nach dem Griff seines Schwertes. Er

drückte seine Lederjacke zurecht und überprüfte die Instrumente im Gür­tel.

»Gehen wir«, sagte er entschlossen. Ich nickte und überzeugte mich, daß mein Handstrahler gesichert war.

Ich hatte die Absicht, ein erlegtes Hubakkel mit an Bord der KARRETON zurückzubringen. Die Besatzung sollte sehen, daß eine Geisterwelt auch Vorzüge besaß.

Ich folgte Fartuloon durch die Ausstiegsluke und betrat nach ihm den Boden Gebharons.

Der Boden unter meinen Füßen wankte. »Eine schwimmende Insel – wir haben richtig vermutet«, sagte Fartu­

loon. »Vielleicht ein Gestein als Grundlage, der leichter ist als Wasser. Vulkanisches Gestein wahrscheinlich. Seltsame Welt.«

»Die dunklen sind noch seltsamer«, warf ich ein und begann, mich an das ständige Schwanken unter meinen Füßen zu gewöhnen. »Schwimmende Inseln gibt es auf vielen Planeten.«

»Sehen wir uns die Hütten an«, schlug Fartuloon vor, während ich die

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Luke verschloß und das Kodewort einstellte, damit niemand außer uns ins Schiff eindringen konnte. »Wer mag sie gebaut haben?«

»Das haben wir uns schon einmal gefragt«, erinnerte ich ihn und ging voran, die Hand auf dem Griff meiner Waffe. »Wahrscheinlich sind die Bewohner längst alle tot. Dort hinten am Waldrand gibt es übrigens größe­re Gebäude. Sehen wir uns die mal an.«

Zu unserem Erstaunen war Stein nur zum geringen Teil als Baumaterial verwendet worden. Das meiste war aus Holz. Zögernd nur betraten wir ei­ne der Hütten, fanden aber nichts Bemerkenswertes. Dann kletterten wir über zusammengestürzte Holzwände in das Innere des ersten größeren Ge­bäudes.

Die düster wirkenden Räume waren leer und ohne Mobiliar. Es schien, als hätten die ehemaligen Bewohner alles mitgenommen, was nicht niet­und nagelfest war. Auf keinen Fall waren sie hier geblieben und friedlich gestorben. Wir fanden keine Spur von ihnen.

»Seltsam«, murmelte Fartuloon und stütze sich auf sein Schwert Skarg. »Das alles riecht nach einer verfluchten Falle. Schließlich haben wir den Tip erhalten, im Dunklen System weiter zu suchen.«

»Du meinst, dahinter steckt eine Absicht?« »Natürlich, und keine gute. Seien wir vorsichtig. Übrigens mußten wir

bald wieder Kontakt mit Morvoner bekommen.« Ich versuchte es, und wir hatten Glück. »Auf welcher Insel steckt ihr?« erkundigte sich Morvoner. »Ich kann sie

alle sehen.« »Das nützt die gar nichts. Wir können sie nicht beschreiben. Peile uns

an, das ist die einzige Möglichkeit, und dann beschreibe sie uns, damit wir uns zurechtfinden.«

Wenige Minuten später standen wir wieder im Freien. Morvoner teilte mit:

»Es ist eine der größeren Inseln, mit zwei kleineren durch eine Land­brücke verbunden. Das Ganze treibt im Meer in Richtung Ost. Weiter im Norden steht auf einer Lichtung ein Riesengebäude aus hellem Material. Die Massetaster können es nicht identifizieren. Meiner Schätzung nach ist es zweitausend Meter von euch entfernt. Nördlich.«

»Danke, Morvoner. Wir werden es uns ansehen. Bleibe in Kontakt.« Ich ließ den Telekom eingeschaltet, so daß man in der KARRETON je­

des Wort verstehen konnte, das Fartuloon und ich wechselten. Wir verließen die Lichtung und das unter den verfilzten Zweigen eines

großen Baumes verborgene Beiboot und drangen in den Wald ein. Zwei Kilometer waren unter diesen Umständen keine geringe Strecke, aber Far­tuloon meinte, ein Fußmarsch täte uns beiden nur gut. Außerdem sei die Luft frisch und angenehm.

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Wir fanden einen überwucherten Pfad, dem wir in Richtung Norden folgten. Er schien einmal eine Art Verbindungsstraße zwischen der An­siedlung und dem von Morvoner bezeichneten Gebäude gewesen zu sein.

Mehrere Male schreckte uns das nahe Knacken von vertrockneten Zwei­gen auf, aber niemals sahen wir die Ursache. Es war, als würden wir von unsichtbaren Verfolgern begleitet, die jeden unserer Schritte beobachteten.

Der Wald wurde lichter und der Pfad breiter. Wir umrundeten einen kleinen See, in dem die abenteuerlichsten Pflanzen wuchsen.

Dann erreichten wir den Rand einer Lichtung. Ihr Durchmesser betrug fast zwei Kilometer, und genau in ihrer Mitte

stand ein gewaltiger, quadratisch angelegter Gebäudeblock – aus hellem Material, das kein Holz oder Naturstein sein konnte.

Zögernd nur schritten wir weiter, denn ein unbestimmtes Gefühl warnte mich – mein Extrahirn begann zu arbeiten. Und das tat es zumeist wenn eine unmittelbare Gefahr drohte.

»Vorsicht!« flüsterte ich Fartuloon zu, der längst sein Schwert gezogen hatte. Auch ich hatte meinen Strahler bereits entsichert, ließ ihn aber noch im Gürtel, um die Hände frei zu haben. »Irgend etwas ist in der Nähe …«

Wir erreichten die Mauern des Gebäudes und hielten an. Der Eingang mußte weiter rechts sein, wenn es einen gab. Behutsam strich ich mit den Fingern über das glatte, helle Material, das keine Spuren von Verwitterung zeigte.

Wenige Meter über meinem Kopf blitzte es plötzlich auf, dann begann die Stelle der Mauer aufzuglühen. Verdampfende Tropfen fielen herab und ließen das vertrocknete Gras zu unseren Füßen aufflammen.

Fartuloon warf sich mit einem Satz hinter einen Busch. »Runter!« brüllte er mir zu. »In Deckung …« Ich riß meinen Strahler aus dem Gürtel und suchte nach einem Ziel,

aber noch fand ich keins. Ein zweiter Energieschuß verfehlte mich nur um einen knappen Meter und schmolz ein Loch in die Mauer aus unbekann­tem Material. Diesmal aber hatte ich das Aufblitzen gesehen und feuerte sofort zurück, ehe der unsichtbare Schütze sich in Sicherheit bringen konnte. Ein Aufschrei bewies, daß ich getroffen hatte.

»Du sollst dich hinlegen!« rief Fartuloon. »Und töte sie nicht! Tote kön­nen nicht mehr reden!«

Da hatte er wieder recht. Ich kroch auf allen vieren in seine Richtung, immer darauf bedacht, daß

man mich vom Waldrand aus nicht sehen konnte. »Wer kann das sein?« fragte ich, als ich dicht bei ihm war. Er nickte mir bedeutungsvoll zu. »Kralasenen – die grausamen Söldner des Blinden Sofgart!« Wo sie waren, war auch der Blinde nicht weit. Er hatte uns auf diese un­

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bekannte Welt gelockt, um uns ein für allemal zu erledigen. Und wir wa­ren darauf hereingefallen …

Wieder zischten ein paar Energieschüsse dicht über uns hinweg und schmolzen beachtliche Löcher in die Mauer. Fartuloon schoß zurück und kroch weiter. Ich sah, daß er eine flache Mulde erreichen wollte, die mehr Deckung und Sicherheit bot. Vorsichtig folgte ich ihm, ohne noch einmal zum Schuß zu kommen.

Links von uns war das Gebäude, und nun sah ich auch einen Eingang. Ein dunkler Gang führte in das Innere des Hauses, aber mehr war nicht zu erkennen. Rechts waren die Angreifer.

Dicht nebeneinander lagen wir in der Mulde. »Und was nun?« fragte ich nicht sehr optimistisch. »Es können Hunder­

te von ihnen sein. Wir müssen Morvoner um Unterstützung bitten.« »Er hat alles mitbekommen, aber seit zwei Minuten befindet sich die

KARRETON wieder hinter der Planetenkrümmung. Er müßte Kurs und Geschwindigkeit ändern, und dazu erhielt er keinen Befehl. Wir müssen versuchen, allein mit den Kralasenen fertig zu werden. Wir brauchen einen Gefangenen, dann erfahren wir vielleicht mehr.«

Das war leichter gesagt als getan. Zuerst einmal mußten wir uns weh­ren. Die Kralasenen kannten keine Gnade, und sicherlich hatte Orbana­schol bereits den Tötungsbefehl erlassen, nachdem er wußte, wer ihn ver­folgte.

Und es gab keinen zuverlässigeren Henker als den Blinden Sofgart. Vorsichtig schob ich mich weiter vor, bis ich über den Rand der Mulde

blicken konnte. Ich sah vier Kralasenen in zerschlissenen Söldnerunifor­men. Sie blickten nicht in unsere Richtung, hatten uns also im Augenblick verloren.

»Wir können sie in der Flanke erwischen«, hauchte ich Fartuloon zu, der mir kriechend gefolgt war und nun zufrieden nickte. Er richtete die Spitze seines Schwertes gegen die Gegner.

Wir eröffneten gleichzeitig das Feuer. Die Kralasenen waren so überrascht, daß sie jede Gegenwehr vergaßen

und voller Panik in den Schutz des Urwalds flohen. Einer nur blieb zu­rück, und an seinen ungeschickten Bewegungen erkannte ich, daß er ver­wundet sein mußte. Vielleicht war es der Mann gewesen, den ich gleich zu Anfang erwischt hatte.

»Wenn wir Glück haben, Fartuloon, wartet dort unser Gefangener auf uns.«

»Du gibst mir Deckung«, gab er zurück und kroch über den Rand der Mulde.

»Bist du verrückt?« entfuhr es mir entsetzt. Er nickte und erwiderte trocken:

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»Ja, Atlan! Wir sind es alle …« Er kroch weiter, aber kein Schuß blitzte am Waldrand auf. Ich behielt

die Bäume im Auge, aber nichts rührte sich dort. Die Kralasenen mußten einfach davongerannt sein, ohne sich um den Verwundeten zu kümmern. Für mich war das der Beweis, das der Blinde Sofgart nicht unmittelbar an dem Überfall beteiligt war. Er hätte es nicht zugelassen, daß auch nur ei­ner seiner Söldner floh.

Fartuloon erreichte den Waldrand, packte den sich nicht wehrenden Verwundeten und kam aufrecht zu mir zurück. Vorsichtig legte er ihn in die Mulde und untersuchte die Wunde.

»Nicht sehr schlimm, aber schmerzhaft. Etwas tiefer, und er wäre tot. Wir haben Glück gehabt.«

»Der Kralasene aber auch«, stellte ich fest, ohne damit aufzuhören, die Umgebung zu beobachten. Ich rechnete noch immer damit, daß die Krala­senen zurückkehrten. »Ob er redet?«

»Er wird schon, verlaß dich darauf!« Es dauerte eine Weile, bis unser Gefangener sich von seinem ersten

Schreck erholt hatte. Ungläubig betrachtete er Fartuloons ungewöhnliche Kleidung und das Schwert, das nun wieder in der Scheide steckte. Dann musterte er mich.

»Nun?« erkundigte sich Fartuloon schließlich. »Wie wäre es denn, wenn du einiges erzählen würdest – zum Beispiel, was ihr hier zu suchen habt? Wo steckt der Blinde Sofgart? Ist er mit von der Partie?«

Der Kralasene verstand jedes Wort, das sah ich an seinem Gesicht. Sie sprachen alle arkonidisch. Er richtete sich ein wenig auf, ließ sich aber so­fort wieder zurücksinken.

»Wir sind allein«, erwiderte er endlich resigniert. »Der Blinde Bluthund ist nicht mit uns, und wenn er wüßte, wo wir stecken, wären wir verloren.«

»Verloren?« wunderte sich Fartuloon. Der Verwundete nickte mühsam. »Er würde uns töten. Wir sind desertiert und mit einem Schiff hierher

geflohen. Das Schwarze System ist berüchtigt, und niemand würde uns verfolgen. Dann sahen wir euer kleines Schiff landen und nahmen an, es seien die Leute des Blinden. Seid ihr es wirklich nicht?«

So ganz konnte ich seine Geschichte nicht glauben. Sie klang mir zu plausibel. Solche Zufälle gab es nicht, davon war ich überzeugt, und dabei vergaß ich, wie oft ich selbst einem puren Zufall mein Leben zu verdanken hatte.

Deserteure also? Fartuloon beugte sich zu dem Mann hinab und sagte: »Wenn ich einen anderen von euch habe und sich seine Aussagen nicht

mit deiner decken, stirbst du, mein Freund. Ich will die Wahrheit hören,

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überlege es dir gut, wenn ich dich noch einmal frage: wer seid ihr und wer schickt euch?«

Ich beobachtete den Gesichtsausdruck und war mit noch immer nicht si­cher. Vielleicht war er ein guter Schauspieler.

»Es ist, wie ich sagte! Wir sind geflohen, denn wir wollten nicht noch weiter in das tödliche Spiel verstrickt werden, in das wir hineingeraten wa­ren. Es geht um kosmische Politik, und damit wollten wir nichts mehr zu tun haben. Der Blinde Sofgart ist der Satan, aber das haben wir zu spät er­kannt. Er darf nie erfahren, wo wir nun leben. Hier sind wir frei, und wir werden lieber sterben, als diese Freiheit jemals zu verlieren. Das ist alles.«

Es klang wirklich überzeugend, und in dieser Hinsicht täuschte ich mich nur selten.

»Wie heißt du?« wollte Fartuloon wissen. »Ich bin Allzon.« »Wieviel seid ihr?« »Zwölf.« »Und der Blinde weiß nicht, wohin ihr geflohen seid?« Zum ersten Mal zögerte Allzon, dann sagte er: »Doch, er weiß es, denn er war selbst hier. Aber er konnte uns nicht fin­

den.« »Der Blinde Sofgart war auf diesem Planeten?« »Ja, das stimmt. Aber er verließ ihn auch wieder.« Davon waren Fartuloon und ich nicht so ganz überzeugt, wenn es natür­

lich auch möglich war, daß er zu einem der Schwarzen Planeten geflogen war und dort auf der Lauer lag. Wenn Allzon die Wahrheit sprach, würde der Blinde alles daransetzen, die Deserteure einzufangen, um sie zu bestra­fen. Hinzu kam: er mußte wissen, daß auch wir den Planeten Gebharon finden würden. Er konnte also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Fartuloon richtete sich auf. »Na schön, Allzon. Wir werden dich hier zurücklassen. Deine Freunde

werden sich um dich kümmern. Sage ihnen, daß wir keine feindlichen Ab­sichten gegen sie hegen und sie in Ruhe lassen. Dafür sollen sie aber auch uns unbehelligt lassen. Deine Verwundung ist leichter Natur. Du wirst sie bald vergessen haben.«

»Ich bin frei?« »Wie ich sagte.« Fartuloon deutete in Richtung des Eingangs. »Wißt

ihr, was das dort ist?« »Nein! Und wir wollen es auch nicht wissen. Es muß Geister hier ge­

ben. Keiner von uns würde das Gebäude betreten. Wir haben Geräusche gehört, die nicht von Lebenden stammen können.«

Ich sagte überzeugt: »Es gibt keine Geister, Allzon! Was waren das für Geräusche?«

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»Sie sind nicht zu beschreiben. Merkwürdige Geräusche, mehr kann ich dazu nicht mitteilen. Geht nicht hinein! Es wäre sicher euer Tod.«

»Komm, mein Sohn!« unterbrach Fartuloon unser Gespräch, und dies­mal nannte er mich so, um meinen Namen nicht preiszugeben. »Wir sehen uns das mal an.« Und zu Allzon sagte er: »Du weißt Bescheid, mein Freund! Wenn ihr uns noch einmal überfallt, werden wir besser zielen.«

Allzon blieb liegen und sah uns nach. Seinem Gesicht war deutlich an­zumerken, daß er uns bereits in diesem Augenblick für tot hielt. Dann drehte er sich auf die andere Seite und blickte hinüber zum Waldrand, wo er seine Gefährten vermutete. Er winkte, aber zwischen den Bäumen rühr­te sich nichts.

Nebeneinander betraten wir das rätselhafte Gebäude.

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2.

Als in seinem Innern das Licht aufflammte, fuhr uns der Schreck in die Glieder, aber dann erkannten wir, daß hier sämtliche Anlagen automatisch funktionierten. Da standen fremdartig wirkende Maschinenblöcke in lan­gen Reihen an den hohen Wänden riesiger Säle, und in deren Mitte gab es übersichtlich angeordnete Kontrollpulte mit automatisch geschalteten In­strumenten.

Staunend durchwanderten wir das Labyrinth, merkten uns jedoch einige markante Stellen, um den Rückweg nicht zu verlieren. Unter der Oberflä­che entdeckten wir mächtige Energieanlagen – wenigstens nahmen wir an, daß es sich um solche handelte. Die Bauart und Wirkungsweise war uns fremd.

»Eine automatische Kontrollstation, Zweck unbekannt«, stellte Fartu­loon schließlich nüchtern fest. »Das erklärt auch die seltsamen Geräusche, die Allzon erwähnte. Wahrscheinlich springen hin und wieder einige Ma­schinen an, um diesen oder jenen Zweck zu erfüllen. Ich frage mich nur, was das alles bedeuten soll und was das mit dem Stein der Weisen zu tun hat. Man hat uns doch nicht hierhergeschickt, um mit schwimmenden In­seln herumzugondeln.«

»Sicher nicht«, gab ich ihm recht. »Aber vielleicht sollen wir in dieser Station etwas finden.«

Er sah mich verwundert an. »Etwas finden? Und was, zum Beispiel?« Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung – wir haben ja auch noch gar nicht danach gesucht.« »Über den Maschinenräumen und den Kontrollzentren liegt noch eine

weitere Etage. Vielleicht finden wir dort einen Hinweis.« Auch diesmal fanden wir die Treppe nach oben erst nach einigem Su­

chen. Einen Lift entdeckten wir nicht. Die Stufen der Treppe hatten durch­aus die normale Höhe und Breite. Es waren also keine Ungeheuer, die sie gebaut hatten. Sie mußten so ausgesehen haben wie wir – oder zumindest so ähnlich.

Wir erreichten einen breiten Korridor ohne Türen rechts oder links. Ge­nau vor uns jedoch befand sich eine, breit und halb geöffnet. Wir konnten von unserem Standpunkt aus nicht erkennen, was hinter ihr war.

»Sehen wir uns das an«, schlug Fartuloon vor, ohne den Griff seines Schwertes loszulassen.

Die Tür ließ sich mit dem Fuß aufstoßen. Wir betraten den Raum dahin­ter und blieben verblüfft stehen.

Wir sahen einen riesigen, relativ leeren Saal. Die Wände waren nackt

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und kahl. Auch unter der gewölbten Decke bemerkten wir nichts, das un­seren Verdacht geweckt haben könnte.

Aber in der Mitte des Saales stand eine Art Podest, kaum einen Meter hoch, quadratisch und nach allen vier Seiten mit drei Stufen versehen, so daß man leicht hinaufsteigen konnte. Auf dem Podest ruhte ein durchsich­tiger Kubus mit einer Seitenlänge von einem guten Meter.

»Da ist etwas drin, und es schwimmt«, flüsterte Fartuloon mir zu. »Mein Gefühl sagt mir, daß es genau das ist, was wir suchen sollen.«

Vorsichtig gingen wir näher und stiegen auf das Podest. Nun konnten wir besser sehen, was da vor uns war. In dem kubischen Behälter befand sich ein zweiter, kleinerer Behälter in Zylinderform, der mit einer gelbli­chen Flüssigkeit gefüllt war, und in dieser Flüssigkeit schwamm etwas.

Mir war sofort klar, daß es sich um ein Organ handelte, wenn ich es auch nicht identifizieren konnte. Jedenfalls handelte es sich um organische Materie in einer Nährflüssigkeit. Der kleine Behälter war durch Leitungen mit einem Lebenserhaltungssystem verbunden, das außerhalb des transpa­renten Kubus stand.

»Hm«, machte Fartuloon zweifelnd. »Was ist das?« »Ein Organ, kein Zweifel. Es wird künstlich am Leben erhalten.« »Und vom wem stammt es?« »Keine Ahnung. Aber ich glaube, wir nehmen es mit. Vielleicht ergibt

sich eine Gelegenheit, mit ihm Kontakt aufzunehmen, wenn es mich auch kaum an ein Gehirn erinnert.«

»Es ist auch keins, Atlan! Trotzdem stimme ich dir zu: wir nehmen es mit. In der KARRETON können wir es untersuchen. Die notwendigen Mittel dazu sind an Bord.«

Wir überzeugten uns davon, daß der Behälter und das Lebenserhal­tungssystem ohne Beschädigung aus dem Kubus genommen werden konn­te. Es gab keine weiteren Verbindungen, die unterbrochen worden wären. Zuviel Gewicht besaßen die beiden Gegenstände auch nicht.

»Und dafür die ganzen Maschinen?« wunderte sich Fartuloon. »Ich ver­stehe das nicht.«

»Vielleicht verstehen wir es später einmal«, vertröstete ich ihn. Vorsichtig traten wir den Rückzug an, und mit wenig Freude machte ich

den Weg durch den Urwald. Natürlich hätte einer von uns vorgehen und das Beiboot holen können, aber wir hielten es beide für besser, uns nicht zu trennen.

Allzon war nicht mehr dort, wo wir ihn zurückgelassen hatten. Entwe­der hatte er sich allein fortbewegen können, oder seine Freunde hatten ihn geholt. Es spielte im Augenblick auch keine Rolle.

Ich trug den Zylinder mit dem schwebendem Organ, während Fartuloon den Metallkasten unter seinen Arm geklemmt hatte. Die rechte Hand be­

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hielt er frei, um jederzeit sein Schwert ziehen zu können. Ohne Zwischenfall erreichten wir eine halbe Stunde später unser Boot,

das unversehrt am alten Platz stand. Morvoner meldete sich, wir unterrichteten ihn. Er sagte:

»Die Berechnungen ergeben, daß es bei euch in zwei Stunden dunkel wird. Wollt ihr die Nacht dort unten verbringen?«

»Das hängt von verschiedenen Dingen ab«, sagte ich. »Wie sieht es bei euch aus? Du hast unseren genauen Standort, kannst uns also helfen. Sind südlich noch weitere Gebäude in der Nähe?«

Es dauerte ein paar Sekunden, dann kam die Antwort: »Südlich ist nur ein zweihundert Meter breiter Waldstreifen, dann be­

ginnt eine schmale Landbrücke, die zu einer Insel führt. Sie ist bewaldet, und auf einer Lichtung steht ein einzelnes Gebäude. Es ist nicht groß, sieht aber gut erhalten aus.«

»Wie weit insgesamt von uns entfernt?« »Nicht mehr als achthundert Meter.« Ich sah Fartuloon an. Der nickte. »Also gut, Morvoner, wir werden uns die Insel ansehen. In zwei Stun­

den nehmen wir wieder Kontakt auf.« Wir hatten das unbekannte Organ mit seiner gesamten Anlage in einem

leeren Lagerraum des Beiboots untergebracht. Fartuloon sicherte alles durch Halterungen, damit beim Start keine Beschädigung eintreten konnte.

Als Morvoner abschaltete, sagte er: »Wir haben zwei Stunden, zur kleinen Insel zu gehen. Achthundert Me­

ter sind nicht viel, aber vielleicht sollten wir doch besser das Boot neh­men.«

»Warum? Wir legen die Strecke in ein paar Minuten zurück und haben dann Zeit genug, das von Morvoner erwähnte Gebäude zu untersuchen. Wenn wir nichts finden, sind wir in einer Stunde zurück und können uns immer noch überlegen, ob wir zur KARRETON fliegen oder nicht. Wozu ein doppelter Start?«

»Vielleicht hast du recht. Aber dann gehen wir auch gleich, damit wir nicht von der Dunkelheit überrascht werden.«

Wir kamen gut voran und erreichter bald den Strand. Vor uns lag ein Meeresarm, nicht breiter als abermals zweihundert Meter, dahinter die In­sel. Sie hatte kaum einen Durchmesser von tausend Metern. Die Land­brücke allerdings sah nicht besonders vertrauenserweckend aus. Sie schwankte in der Dünung hin und her wie eine Hängematte.

»Na ja«, murmelte Fartuloon besorgt. »Versuchen können wir es ja mal …«

Die fest ineinander verschlungenen Pflanzen trugen unser Gewicht, aber sie sanken ein Stück ins Wasser ein. Hätten wir keine Stiefel getragen, wä­

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ren wir gleich zu Anfang naß geworden. Ich stellte fest, daß es sich in er­ster Linie um Schlingpflanzen handelte, die wahrscheinlich genausogut im Wasser wie auf dem Land wuchsen.

Einmal durchbrach Fartuloons rechter Fuß den Untergrund und ver­schwand zwischen dem Grünzeug. Hastig zog er ihn wieder hoch, und der Stiefel war naß.

»Paß auf!« rief er mir zu. »Eine schwache Stelle.« Die Länge der Brücke betrug höchstens dreihundert Meter, aber wir be­

nötigten dafür fast eine halbe Stunde. Dann erreichten wir endlich »festes« Land und atmeten auf. Schon jetzt dachte ich voller Sorge an den Rück-wog, den wir in spätestens einer Stunde antreten mußten.

Das Gebäude wurde zu einer Enttäuschung. Es war zwar gut erhalten, aber völlig leer. Trotzdem durchsuchten wir es mit aller Sorgfalt.

Als wir wieder im Freien standen, färbte sich der Himmel im Osten be­reits dunkelblau. Bald brach die Dämmerung an.

»Es wird Zeit«, mahnte ich Fartuloon, der das Naturschauspiel mit In­teresse beobachtete. »Ich habe keine Lust, zu unserer Insel schwimmen zu müssen.«

Er grinste und ging wieder voran. Das sei sicherer, meinte er, denn sein Gewicht sei größer. Wenn er nicht durch die Pflanzenbrücke fiele, dann hätte ich freie Bahn.

Aber er fiel! Wir hatten die Hälfte bereits hinter uns, und es wurde schnell dunkler,

als er plötzlich einen überraschenden Ruf ausstieß und mit einem mächti­gen Platscher keine zwei Meter vor mir in einem Wasserloch verschwand, das vorher nicht vorhanden gewesen war. Er tauchte sofort unter, kam aber nur wenige Meter von der Brücke entfernt wieder an die Oberfläche zu­rück. Er trat Wasser, um den Kopf oben zu behalten.

»Verdammt naß!« rief er mir zu. »Gib mir die Hand …« Ich bückte mich, um ihm zu helfen, aber ich hatte den schwankenden

Untergrund vergessen. Als er meine Hand ergriff, verlor ich das Gleichge­wicht, stürzte kopfüber ins Meer und tauchte unter.

Fartuloon ließ sofort los und hielt sich an den Schlingpflanzen fest, die ihm jedoch keinen festen Halt gaben. Ich hingegen brauchte einige Zeit, um wieder an die Oberfläche zu gelangen, weil sich einige der Pflanzen um meine Füße schlangen und mich in die Tiefe zu ziehen drohten.

Endlich konnte ich wieder atmen. »Weg von der Brücke!« warnte ich Fartuloon, der noch immer wie ein

nasser Sack an dem wuchernden Teppich hing und versuchte, sich an sei­nem Rand emporzuziehen. »Wir schwimmen zum Ufer, das ist sicherer.«

Es waren knapp hundert Meter, und wir kamen schneller voran, als wenn wir gegangen wären. Unsere Füße berührten relativ festen Boden,

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dann waren wir in Sicherheit. »Ein Bad kann nie schaden«, stellte Fartuloon fest und schüttelte sich.

»Jetzt aber hinein in trockene Sachen. Es wird kalt.« Schnell kletterten wir ins Boot und verschlossen die Luke. Wir zogen

uns aus und schlüpften in die Ersatzkleidung. Sofort begannen wir uns wieder wohl zu fühlen. Fartuloon nahm Verbindung mit Morvoner auf und schilderte ihm unser Abenteuer.

»Ihr habt es gut«, war dessen trockener Kommentar. »Ich wollte schon immer mal wieder ein richtiges Bad nehmen. Habt ihr auf der kleinen Insel etwas finden können?«

»Nichts, Morvoner. Morgen suchen wir weiter – aber mit dem Boot! Weckt uns nicht, bevor es hell wird. Wir wollen uns ausschlafen.«

»Ich bleibe jedenfalls auf Empfang, Fartuloon, damit ich euch im Not­fall hören kann. Gute Nacht!«

Später ging ich noch einmal allein in den Lagerraum und betrachtete den Behälter mit dem fremdartigen Organ.

Sein Durchmesser betrug etwa dreißig Zentimeter, die Höhe fünfzig. Das Organ mochte ungefähr faustgroß sein und war von feinen Äderchen durchzogen. Im Boden des Behälters begannen die Leitungen die zum Le­benserhaltungssystem führten, jenem anderthalb Meter langen Kasten, der wie ein kleiner Sarg aussah und zum Glück nur wenig Gewicht hatte. Sei­ne Oberfläche war mit bunten Schaltelementen bestückt, und dann ent­deckte ich noch etwas, das ich bisher nicht beachtet hatte.

An der einen Seite gab es ungenutzte Verbindungsstücke, die mit jenen identisch waren, an die das Organ angeschlossen war. Das brachte mich auf die Vermutung, daß es noch andere Zylinder mit Organen geben mochte, die man vielleicht mit diesem hier verbinden konnte.

Nachdenklich kehrte ich zu Fartuloon zurück, der es sich bereits be­quem gemacht hatte. Er lag auf seinem zurückgefahrenen Kontursessel und hatte sich ein paar Decken übergeworfen. Ich berichtete ihm von mei­ner Vermutung.

»Ziemlich makaber, findest du nicht?« »Sicher, aber auch genial. Wir werden ja sehen.« Ich legte mich ebenfalls hin, konnte aber nicht sofort einschlafen. In

meinem Kopf jagten sich die Gedanken. »Die Kralasenen – sie machen mir Sorge. Ich traue ihnen nicht.« »Aber Allzon hat nicht gelogen!« »Vielleicht nicht, Fartuloon, doch wir wissen nicht, wie seine Freunde

über uns denken. Sie sind Deserteure, wenn Allzon die Wahrheit sprach, und als solche müssen sie ständig damit rechnen, daß sie jemand verrät.«

»Sind wir ohnehin«, brummte er ein wenig unwirsch. »Gute Nacht!« Ich wünschte ihm ebenfalls eine gute Nacht und löschte das Licht. Mei­

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ne Gedanken eilten zu Farnathia, die über mir mit der KARRETON ihre Kreise um Gebharon zog. Am nächsten Tag setzten wir unsere Suche fort. Dabei leistete uns Morvo­ner hervorragende Dienste, denn von der KARRETON aus hatte er eine bessere Übersicht als wir, da wir in nur geringer Höhe flogen.

Wir erfuhren, daß in einer Entfernung von achthundert Kilometern ein ähnlich aussehendes Gebäude stand wie jenes, in dem wir das Organ ge­funden hatten. Wir ließen uns die geographischen Daten geben, ehe die KARRETON wieder in die Zone der Funkstille eintauchte.

Noch während wir gestartet waren, hatten unsere Fernorter ein Flugob­jekt angezeigt. Wir waren ziemlich sicher, daß es sich um das Fluchtschiff der Kralasenen handelte, und wunderten uns, daß sie nicht auf die Idee ka­men, so schnell wie möglich das System zu verlassen und sich in Sicher­heit zu bringen. Wenn Allzons Angaben stimmten, hatte der Blinde Sof­gart sie ja bereits entdeckt. In dem Ganzen steckte ein Widerspruch, den wir nicht verstanden.

Wir überflogen eine Insel nach der anderen, und auf vielen entdeckten wir Ansammlungen von Hütten und auch größeren Häusern, aber kein ein­ziges Gebäude, das dem gesuchten ähnelte.

»Gebharon muß einmal dicht bewohnt gewesen sein«, meinte Fartu­loon. »Ich frage mich nur, wo sie alle geblieben sind. Sie können doch nicht einfach spurlos verschwunden sein.«

»Zumindest nicht ohne Grund«, pflichtete ich ihm bei. »Eine Naturkata­strophe?«

»Kaum, Atlan. Es sei denn, alles wäre früher einmal ein einziger Konti­nent gewesen der zerriß und in der Form Tausender von Inseln auseinan­dertrieb. Das wäre zumindest eine Erklärung für die noch heilen Gebäude. Die an den Bruchstellen versunkenen können wir nicht sehen, aber die Massetaster zeigen auch unter der Oberfläche des Meeres Materienan­sammlungen an.«

»Die können natürlichen Ursprungs sein.« »Stimmt auch wieder!« Wir kamen zu keinem Ergebnis und sahen bald ein, wie müßig unsere

Überlegungen waren. Nach zwei Stunden näherten wir uns in langsamem Flug der von Mor­

voner bezeichneten Insel. Dicht glitten wir über den Urwald dahin, bis die Lichtung vor uns auftauchte – und damit auch das große Gebäude, das dem ersten in der Tat zum Verwechseln ähnlich sah. Wir landeten ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen dicht davor, sicherten die Bootsluke und suchten den Eingang.

Fartuloon sagte: »Wollen wir wetten, daß es innen genauso aussieht wie in dem anderen

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Bau?« »Und wollen wir wetten«, erwiderte ich. »daß wir auch hier ein Organ

finden?« »Ich wette nur selten«, lehnte Fartuloon strikt ab und widersprach sich

damit selbst. Dabei hätten wir beide unsere Wette gewonnen. Diesmal sah das Organ anders aus, wenn es auch weder kleiner noch

größer als das erste war. Der Transport zum Boot gestaltete sich diesmal einfacher, und bereits

eine Stunde nach der Landung hatten wir es im Lagerraum verstaut. Ich widerstand der Versuchung, es sogleich an die andere Anlage anzuschlie­ßen, denn zwei Organe waren zu wenig. Ich war davon überzeugt, daß wir nun noch mehr davon finden würden. Es sah ganz so aus, als habe jemand sämtliche Organe eines Körpers auf der Oberfläche des Planeten Gebharon verstreut, in der Absicht, jemanden danach suchen zu lassen.

Aber warum? Was war der Grund dieses seltsamen Versteckspiels? Und dann begann ich mich zu fragen, warum der Blinde Sofgart dieses

Spiel nicht mitmachte, denn er suchte doch wie wir den sogenannten Stein der Weisen. Hatte er aufgegeben? Sicherlich nicht, denn die Organsuche schien mir verhältnismäßig einfach zu sein. Wir hatten schon schwierigere Aufgaben gelöst. Und der Blinde auch.

Warum also mischte er plötzlich nicht mehr mit? Wir warteten, bis wieder eine Verbindung mit Morvoner möglich war

und ließen uns die Position der nächsten Gebäude geben, in denen wahr­scheinlich ebenfalls Organe untergebracht waren. Das würde bis zur näch­sten Kontaktaufnahme reichen.

Der Tag war noch lang.

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3.

Um die Mittagszeit herum wurde es so warm, daß Fartuloon mit einer Ver­schnaufpause sofort einverstanden war, als ich sie ihm vorschlug. Wir hat­ten das dritte Organ gefunden und im Beiboot untergebracht. Es unter­schied sich nur in seinem Äußeren von den ersten beiden.

Wir saßen im Freien im Schatten des kleinen Schiffes und verzehrten ei­nige in Wasser aufgelöste Konzentrate. Unlustig kaute Fartuloon den farb­losen Brei und knurrte schließlich:

»Wie war das mit dem Hubakkel? Du wolltest doch eins erlegen, damit wir Frischfleisch für die Leute bekommen.«

»Ich habe keins mehr gesehen.« »Kein Wunder, daß du immer magerer wirst!« Das war zwar reichlich übertrieben, aber auf der anderen Seite hatte er

recht. Nur stimmte das, was ich behauptete. Ich hatte wirklich seit gestern keine der grasfressenden Tiere mehr gesehen. Vielleicht lebten sie nur auf den Inseln, die wir zuerst betreten hatten.

»Warum nutzt du die Pause nicht zur Jagd?« erkundigte ich mich. »Vielleicht leben sie im Wald, wo man sie nicht so schnell entdeckt.«

»Zu faul«, lehnte Fartuloon ab. Ich seufzte. Wir würden es also wohl dem Zufall überlassen müssen, ob

wir zu unserem Frischfleisch kamen oder nicht. Morvoner bestätigte uns ein wenig später die Lage des nächsten Organ­

gebäudes und bestellte Grüße für mich von Farnathia. Ra ließ anfragen, ob wir schon ein Hubakkel geschossen hätten.

Als wir starteten, sagte Fartuloon: »Wir hätten Ra mitnehmen sollen, er ist ein erfahrener Jäger. Ich glau­

be, ihm fehlt das Fleisch mehr als uns allen zusammen.« Ich gab keine Antwort. Die Sache mit dem Frischfleisch drohte zu einer

Manie zu werden, was durchaus verständlich war. Auch mir lief das Was­ser im Mund zusammen, wenn ich nur daran dachte, wie gut es wäre, ein saftiges Steak über einem offenen Feuer zu braten.

Diesmal legten wir nur knapp fünfhundert Kilometer zurück, um die be­zeichnete Insel zu erreichen. Sie war größer als die anderen und besaß am Nordrand sogar ein flaches, welliges Gebirge. Davor lag die Ebene mit dem Gebäude, das ebenfalls völlig identisch mit den zuvor entdeckten war.

Wir landeten. Bevor wir die Luke öffneten, nahm ich noch einmal die Orterschirme in

Betrieb und suchte den Luftraum über uns ab. Morvoner hatte uns einen entsprechenden Hinweis gegeben, das beobachtete Objekt jedoch wieder

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aus den »Augen« verloren. Für mich stand es inzwischen fest, daß die Kralasenen uns ständig auf

den Fersen blieben. Allzons Bericht, wenn er ihn in unserem Sinne gege­ben hatte, schien sie nicht überzeugt zu haben. Vielleicht aber, und auch das war eine mögliche Erklärung für ihr Verhalten, suchten sie ebenfalls nach dem Stein der Weisen, und Allzon hatte uns belogen.

Noch phantastischer war eine dritte Erklärung, die mir in diesem Au­genblick einfiel: der Blinde hatte sie beauftragt, uns nach den Organen su­chen zu lassen, um sich selbst die Arbeit zu ersparen. Sie – waren also kei­ne Deserteure, sondern ganz einfach Sofgarts Beauftragte.

Ich teilte Fartuloon meinen Verdacht mit. Er schwieg eine Weile dazu, dann meinte er: »Nicht sehr wahrscheinlich, denn die Suche scheint mit nur wenig Ge­

fahren verbunden zu sein. Warum sollte der verfluchte Blinde die Chance verpassen, uns zu erledigen, nur um einer Arbeit aus dem Wege zu gehen, die er sehr gut von seinen Leuten verrichten lassen kann? Ich glaube, eine Kombination der von dir gebrachten Theorien ist die Lösung.«

Der Massetaster zeigte ein festes Objekt am Fuß des Gebirges an, gab aber kerne genaue Definition. Den Daten nach zu urteilen, konnte es sich durchaus um ein kleineres Schiff handeln. Es war mehr als drei Kilometer von unserem Landeplatz entfernt.

Fartuloon zuckte die Achseln und öffnete die Luke. Ich nahm meinen Strahler und folgte ihm. Da wir den Weg kannten, fanden wir das Organ schnellstens. Wir

brachten es ins Schiff und befestigten die Anlage in der Halterung. Dann verschlossen wir die Luke, ließen den Orter eingeschaltet und warteten auf den nächsten Funkkontakt mit der KARRETON.

»Die Suche nach den Dingern scheint nicht schwierig zu sein«, sagte Fartuloon mit einem zweifelnden Unterton in der Stimme. »Wir müßten nur genau wissen, wie viele Organe wir benötigen, um das Rätsel lösen zu können. Vier? Zehn? Oder noch mehr? Erst wenn man alle Stücke eines Puzzlespiels hat, kann man es zusammensetzen.«

»Es wird Morvoner nicht schwerfallen, sämtliche entsprechenden Sta­tionen zu finden und uns die Standorte mitzuteilen. Kann sein, daß wir das eine oder andere Gebäude zweimal betreten, weil sie kaum zu unterschei­den sind. Aber uns könnte Schlimmeres passieren. Die Kralasenen machen mir Sorge.«

»Mit denen werden wir schon fertig.« Meine Sorgen erwiesen sich – vorerst wenigstens – als überflüssig. Wir

blieben unbehelligt, und dann meldete sich Morvoner: »Wenn ihr weiter nach Westen fliegt, etwa tausend Kilometer, seht ihr

unter euch eine zwanzig Kilometer durchmessende Insel, fast rund und

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stark bewaldet. Genau in der Mitte steht die Station auf einer Lichtung. Wie steht es mit der Suche?«

»Wir haben jetzt vier«, berichtete Fartuloon. »Das wäre dann also das fünfte Organ. Wir schaffen es noch vor Einbruch der Dunkelheit und war­ten dann bis morgen. Übrigens haben wir das Schiff der Kralasenen wie­der entdeckt. Es hält sich in unserer Nähe auf, macht aber keine Anstalten, uns anzugreifen.«

»Laßt es nicht aus den Augen«, rief Morvoner. Sie unterhielten sich noch eine Weile, dann starteten wir. Fartuloon hat­

te die Kontrollen übernommen, während ich mich ausschließlich um den Orter kümmerte. Zu meiner Verblüffung rührte sich das vermeintliche Schiff der Kralasenen nicht von der Stelle, und bald lieferte auch der Mas­setaster keine Daten mehr. Wir hatten die Reichweite des Instruments überschritten.

Wir legten die Strecke in neunzig Minuten zurück. Eine volle Stunde verloren wir, als wir auf einer weiten Steppe zwischenlandeten und Fartu­loon ein Hubakkel schoß. Er zerlegte das Tier in aller Eile und brachte die besten Stücke ins Kühlfach. Als er sich wieder hinter die Kontrollen setz­te, meinte er befriedigt:

»Heute abend feiern wir!« Wenn man uns läßt, dachte ich skeptisch. Wir erreichten, ohne das Orter oder Taster angesprochen hätten, die von

Morvoner beschriebene Insel und fanden sofort die Lichtung und die Stati­on. Fartuloon setzte das Beiboot unter dem dichten Dach einiger Bäume ab, so daß es vor Sicht geschützt war. Natürlich bot das keine Sicherheit gegen elektronische Ortung, aber es beruhigte uns. Meiner Schätzung nach blieb es jetzt noch vier Stunden hell.

Wir bewaffneten uns und verließen das Schiff, nachdem wir es entspre­chend gesichert und die Luke verschlossen hatten. Die Strecke bis zum Eingang der Station betrug nicht mehr als dreihundert Meter. Wir ließen uns Zeit.

»Die Tür ist verschlossen«, bemerkte Fartuloon, als wir nahe genug her­angekommen waren. »Das erste Mal ist die Tür verschlossen.«

Wir waren stehengeblieben. Die Tür hob sich kaum von der Mauer des Gebäudes ab, die aus dem gleichen hellen Material bestand wie alle ande­ren auch. Ich erkannte sie nur an der feinen Fuge, die ihre Umrisse kenn­zeichneten. Ein Schloß sah ich nicht.

»Sehr ungewöhnlich«, gab ich zu. »Was hat das zu bedeuten?« »Das werden wir herausfinden, die Hauptsache ist, wir können die Tür

öffnen.« Er legte unwillkürlich seine Hand gegen den Griff des Skarg. »Notfalls hiermit.«

Wir gingen weiter, bis wir vor der Mauer und der rechteckig verlaufen­

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den Fuge standen. Fartuloon zog sein Schwert aus der Scheide und mani­pulierte am Griff, wo die verborgenen Kontrollen untergebracht waren. Dann richtete er entschlossen die Spitze gegen die Tür.

Ein nadelfeiner, bläulicher Energiestrahl fuhr aus dem Schwert, drang in die Fuge ein und folgte ihr. Mit meiner Waffe hätte ich niemals einen so feinen und konzentrierten Strahl erzeugen können.

»Das haben wir gleich«, knurrte Fartuloon. »Ich kann nur hoffen, daß wir damit keine Alarmvorrichtung auslösen.«

Das hoffte ich allerdings auch, und mir war plötzlich gar nicht mehr so wohl zumute. Ich drehte mich um und suchte unser Beiboot. Es lag fried­lich unter den Bäumen, und nichts hatte sich verändert. Von dem Schiff der Kralasenen war nichts zu sehen.

Fartuloon zog plötzlich das Schwert zurück und packte mich am Arm. Ohne ein Wort riß er mich zurück, und dann kippte die Tür nach außen und polterte auf den steinigen Boden. Dahinter wurde der Eingang sicht­bar, der ins Innere des Gebäudes führte.

»Na also!« knurrte Fartuloon und steckte das Schwert in die Scheide zu­rück. »Das hätten wir …«

Ich folgte ihm nur zögernd, denn meine Unruhe und mein ungutes Ge­fühl waren stärker geworden. Vorsichtshalber zog ich meinen Handstrah­ler, um abwehrbereit zu sein, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wer hier als Gegner auftauchen sollte.

Fartuloon strebte auf die Treppe zu, die wir nun schon von den anderen Stationen her kannten. Aber bevor wir sie erreichen konnten, drangen klei­ne, menschenähnliche Gestalten zu Dutzenden aus den Seitenöffnungen des Korridors und stürmten uns entgegen.

Sie schienen nicht bewaffnet zu ein, umringten uns jedoch von allen Seiten und griffen uns mit ihren bloßen Händen an.

Mit Händen, die so hart wie Metall waren. Metall …? »Es sind Roboter!« rief Fartuloon mit gezogenem Schwert. »Unser ge­

waltsames Eindringen hat sie geweckt – sie oder die Programmierungszen­trale. Los!«

Wir zerstörten einige Dutzend Mitglieder des unfreundlichen Emp­fangskomitees und verschafften uns Luft. Zu meinem nicht geringen Er­staunen gab der Rest auf und zog sich zurück. Bisher hatte ich immer an­genommen, Roboter würden niemals eine Niederlage hinnehmen, weil sie keine Furcht vor dem Tod kannten. Aber in diesem Fall mußte eine Be­fehlsstelle den entsprechenden Auftrag zum Rückzug gegeben haben.

Bevor wir uns noch von der Überraschung erholen konnten, schnappte eine zweite Falle zu. Niemand von uns hatte bisher auf die Decke geach­tet, die sich über den Korridor spannte. In ihr öffneten sich breite Spalten,

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aus denen metallene Netze auf uns herabregneten und uns unter sich be­gruben. Ehe wir auch nur eine Bewegung der Abwehr machen konnten, drückte uns die Last auf den Boden nieder, und weder Fartuloon noch ich konnten uns mehr bewegen. Außerdem verstrickten wir uns mit den Ar­men und Beinen in den weiten Maschen.

»Verdammt!« fluchte der Dicke wütend über seine eigene Unachtsam­keit. »Jetzt sitzen wir aber fest!«

Ich bewegte vorsichtig meinen Arm. Mit der Hand umklammerte ich krampfhaft den Griff meines Strahlers, um ihn nicht zu verlieren. Der Lauf und die Zieleinrichtung hatten sich in den Maschen der Netze verstrickt. Trotzdem mußte es mir gelingen, ihn freizubekommen, denn er bot das einzige Mittel zur Befreiung.

Da hatte es Fartuloon mit seinem Schwert einfacher, denn es wies an der Schneide keine Hindernisse und Unregelmäßigkeiten auf. Allerdings war es länger als seine Arme, die er nicht richtig bewegen konnte.

Zum Glück kehrten die Roboter in diesem entscheidenden Augenblick nicht zurück. Sie hätten uns ohne Schwierigkeit unschädlich machen kön­nen. Und noch besser schien es mir, daß die Kralasenen nicht gerade jetzt auftauchten.

Ich wälzte mich auf den Rücken und nahm einen Teil der Netze dabei mit. Der Lauf meines Strahlers zeigte nun in eine andere Richtung, so daß ich Fartuloon nicht mehr gefährden konnte. Nur für eine Sekunde drückte ich auf den Feuerknopf, um die Wirkung festzustellen.

Der Energiestrahl war gefächert, trotzdem berührte er nur einige feste Stellen der Netze, während der Rest durch die Maschen schlüpfte und ge­gen die Decke zischte. Verdampfende Tropfen fielen herab, zum Glück weit genug von uns entfernt.

»Warte, ich habe gleich das Skarg frei. Das ist besser geeignet!« Er hatte recht. Ich beobachtete, wie er sich abmühte, dann gab er es auf

und versuchte eine andere Methode, die sich auch dann als vorteilhafter er­wies. Allerdings wurde es auch höchste Zeit, denn aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich, wie sich im Boden des Korridors ein Spalt auftat und ständig vergrößerte. Der Boden, auf dem wir lagen, bewegte sich dabei nicht, was mir unerklärlich blieb. Nicht mehr lange jedenfalls, und wir stürzen hilflos in die Tiefe.

Auch Fartuloon sah das herannahende Verhängnis und handelte. Aus der Schneide seines Schwertes züngelten plötzlich kurze Energieflammen, die das Metall der Netze im Bruchteil einer Sekunde zerschmolzen. Aber es dauerte eine ganze Weile, ehe Fartuloon sich bewegen konnte. Dann al­lerdings war er wenige Augenblicke später frei.

Er kam zu mir und »schnitt« mich los. Wir lagen auf der Seite des Spaltes, die zur Treppe führte. Ich betrachte­

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te das als einen glücklichen Zufall, wenn uns auch der Rückzug abge­schnitten worden war. Wir würden schon einen Weg zum Schiff zurück finden, und wenn wir vom Dach springen mußten.

Fartuloon schritt voran, und als er die fünfte oder sechste Stufe erreich­te, erlebten er und ich eine Überraschung. Er fühlte es, ich aber sah es nur.

Er schien von einer Sekunde zur anderen sein Gewicht verloren zu ha­ben, so als sei er in ein Feld der Schwerelosigkeit geraten. Durch den Schwung eines letzten Schrittes setzte sich dieser Schritt ins Nichts fort. Er strampelte und schwebte, sich dabei langsam überschlagend, der Decke entgegen.

Der Augenblick war so komisch, daß ich laut auflachen mußte, obwohl unsere Situation alles andere als komisch war. Fartuloon reagierte dann auch entsprechend und begann fürchterlich zu schimpfen, was seine Lage allerdings nicht sonderlich verbesserte. Immerhin erreichte er die Decke, an der er sich festhalten konnte und schwebte langsam nach unten. Dabei geriet er aus dem Bereich des irgendwo verborgenen Antigravstrahlers und fiel das letzte Stück.

Geistesgegenwärtig federte er sich mit den Beinen ab, fiel aber trotzdem hin. Ich half ihm auf.

»Jetzt kannst du ja mal vorgehen«, schlug er bissig vor. »Wir halten uns bei den Händen«, lautete mein Gegenvorschlag. Vorsichtig näherte ich mich jener Stufe, die Fartuloon zu seinem vierfa­

chen Salto verholfen hatte. Als ich den plötzlichen Verlust meines Ge­wichtes spürte, ging ich weiter, indem ich sehr behutsam Fuß vor Fuß setzte. Es genügte, mich halb schweben zu lassen, aber ich verlor den Bo­den nicht. Es mußte also noch ein geringer Rest von Anziehungskraft üb­riggeblieben sein.

Fartuloon folgte mir. Er sah aus wie ein gewaltiger Urbar, der mit Zeit­lupe aufgenommen worden war, Mühsam nur konnte ich mir ein erneutes Auflachen verkneifen. Ich wartete auf das Ende der Sperre.

Hinter uns war ein schnarrendes Geräusch. Als ich mich vorsichtig um­blickte, sah ich zu meiner Überraschung, daß der Spalt auf dem Boden des unteren Korridors verschwunden war.

Mein Gewicht kehrte zurück und ich ging in die Knie. Mit einem sanf­ten Ruck zog ich Fartuloon nach vorn, bis auch er wieder sicher auf den Beinen stand.

»Da bin ich aber auf die nächste Überraschung gespannt«, sagte er schnaufend. »Ich kam mir vor wie ein Luftballon.«

»So ähnlich hast du auch ausgesehen«, eröffnete ich ihm und stieß mich weiter.

Die Tür weit vor uns war geöffnet, so daß ich automatisch annahm, es könne keine weiteren Fallen geben. Meine Vermutung täuschte mich

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nicht. Ohne Zwischenfall erreichten wir den Saal mit dem künstlich am Leben erhaltenen Organ.

Es war nur ein wenig größer als die anderen und besaß eine gelbliche Färbung. Die Nährflüssigkeit sah wieder aus wie verflüssigter Honig.

Alles war wie immer. »Langsam komme ich mir vor wie ein Dieb, der für eine illegale Organ­

bank arbeitet«, meinte Fartuloon und hob das Lebenserhaltungssystem an, um sein Gewicht zu prüfen.

In diesem Augenblick ertönte eine metallisch klingende Stimme, die ir­gendwo aus der Wand kam und im besten Arkonidisch sagte:

»Ihr habt die Prüfung bisher bestanden und zwingt mich darum, euch zu dienen. Ich erwarte die Anweisung. Antwortet!«

Fartuloon hatte den länglichen Kasten beim ersten Wort wieder abge­stellt. Er richtete sich auf und sah mich verdutzt an. Dann flüsterte er:

»Was soll denn das nun wieder? Wer soll uns dienen?« »Wer bist du? Was ist der Sinn deines Daseins?« Ich wollte herausfinden, ob es sich um eine vorprogrammierte Anlage

handelte oder nicht. Es war sie Stimme eines Roboters gewesen, aber das hatte nur wenig zu bedeuten. Die Frage war nur, ob er auch unmittelbar reagieren und sich einer neuen Situation anpassen konnte.

»Ich diene jenen, die alle Prüfungen bestehen und würdig sind, das Ge­heimnis zu lüften. Wie lautet euer Befehl?«

Fartuloon zuckte die Schultern und schwieg. Sein Blick verriet nur zu deutlich, daß er mir die Verhandlung mit dem Roboter überlassen wollte.

Na schön, das konnte er haben. »Mit diesem hier haben wir fünf Organe gefunden. Was sollen wir

tun?« Die Antwort kam prompt: »Wenn ihr alle zwölf Organe gefunden habt, kehrt zu mir zurück. Ich

werde euch dann sagen, was ihr zu tun habt. Und nun geht.« Das war alles. Ich nickte Fartuloon zu. »Du hast es gehört. Wir müssen noch sieben finden und im Beiboot un­

terbringen. Ich nehme wenigstens an, daß wir es tun müssen, denn der Ro­boter hat nichts Gegenteiliges behauptet. Los, pack mit an!«

Abermals schleppten wir eine Organanlage aus einer Station und brach­ten sie ins Schiff.

Das heißt, wir wollten sie ins Schiff bringen, aber beim Ausgang des Gebäudes erwartete uns eine böse Überraschung.

Die Kralasenen empfingen uns mit einem Energiefeuerwerk. Schnell setzten wir den Organbehälter und den dazugehörenden Metall­

kasten ab und schlichen uns dann wieder bis zum Ausgang vor. Die her­

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ausgeschmolzene Tür lag ein wenig schräg und bot ein Minimum an Deckung.

Ich zählte acht Kralasenen und etwa zwei Dutzend zerlumpter Gestal­ten. Sie waren größer als die Söldner des Blinden Sofgart und besaßen feingeschnittene Gesichter. Vielleicht waren sie die fernen Nachkommen jener, die einst auf diesem Planeten gelebt hatten. Jedenfalls gehörten sie nun zu den Kralasenen und waren damit unsere Gegner.

»Sie haben versucht, ins Beiboot zu kommen. Wahrscheinlich wollten sie die Organe stehlen.« Fartuloon legte sein Schwert zurecht, um es jeder­zeit einsetzen zu können. »Die werden sich wundern!«

Aber es kam umgekehrt. Wir waren es, die sich wunderten. Die Kralasenen feuerten, was ihre Energiewaffen hergaben, und ihre un­

bekannten Helfer setzten altertümliche Flinten ein, deren explodierende Sprenggeschosse alles andere als angenehm waren. Die Splitter flogen uns nur so um die Ohren, und bald wurde es höchste Zeit, daß wir uns in den Gang zurückzogen.

Ich hatte zu meiner Beruhigung bemerkt, daß sich der energetische Schutzschirm unseres Bootes automatisch eingeschaltet hatte, so daß die Kralasenen vergeblich einen Einbruch versuchten. Selbst mit Punktfeuer würden sie den Schirm nicht zum Zusammenbruch veranlassen können.

Aber es war unmöglich, unsererseits einen Gegenangriff vorzutragen. Wir saßen fest und wurden belagert. Ich dachte an das Frischfleisch im Kühlraum des Bootes und unsere Ab­

sicht, am offenen Feuer ein Stück davon zu braten. Obwohl ich sonst nicht viel Wert auf Essen legte, packte mich nun eine ziemliche Wut auf die Kralasenen. Ich schaltete den Telekom ein und rief die KARRETON.

Fartuloon sah auf seine Uhr. »Sie können nicht vor einer halben Stunde im Funkbereich sein«, klärte

er mich auf. »Bis dahin dürfte es noch hell sein.« »Wir können also gar nichts machen?« Er nickte. »Doch – warten!« Er hatte eine merkwürdige Art von Humor, fiel mir wieder auf. Nur ge­

fiel es mir nicht, daß er scheinbar resignierte. Ich mußte einfach etwas un­ternehmen. Unmöglich konnte ich untätig herumsitzen.

»Ich sehe nach, was sie tun. Wenn sie uns hier im Gang überraschen, sind wir erledigt.«

»Das stimmt.« Er nickte mir gleichmütig zu. »Einer von uns sollte sie beobachten.«

Ich kroch vor, bis ich die Lichtung einigermaßen überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Einige der Kralasenen waren noch immer damit beschäftigt, das Beiboot unter Punktfeuer zu nehmen, aber sie wür­den bald einsehen müssen, wie zwecklos das war. Die anderen saßen mit

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den unbekannten Helfern in Mulden oder schnell ausgeworfenen Gräben, vor sich ihre Waffen, und ließen das Gebäude, in dem wir uns versteckt hatten, nicht aus den Augen.

Es ähnelte einer Patt-Situation. Ich drehte den Kopf. »Im Augenblick herrschte Waffenruhe. Sie haben das Feuer einge­

stellt.« »Das habe ich auch schon bemerkt«, erwiderte Fartuloon schlechtge­

launt. Vielleicht dachte er an seinen Braten. »In fünfzehn Minuten rufen wir Morvoner. Er soll das zweite Beiboot schicken, um den Burschen ein­zuheizen. Ich bin es jetzt leid!«

Das war ich auch. Und abermals fragte ich mich, warum sie sich über­haupt die Mühe machten, uns bestehlen zu wollen, wo sie doch selbst ohne besondere Schwierigkeit die Organe hätten holen können.

Ich blieb ruhig liegen und beobachtete sie. Zwanzig Minuten mochten vergangen sein, als Fartuloon mich leise rief. Ich kroch ein Stück zurück und richtete mich auf.

»Keine Veränderung draußen«, berichtete ich kurz. »Wir können Morvoner nun erreichen. Sprich mit ihm, während ich

dich ablöse.« Er schob sich zum Ausgang vor und verdeckte ihn durch seinen massi­

gen Körper. Ich hingegen nahm Verbindung zur KARRETON auf. Morvo­ner meldete sich sofort.

»Wir bekommen eure Insel bald auf den Bildschirm. Alles klar?« »Überhaupt nichts ist klar, Morvoner. Die Kralasenen belagern uns, und

mit ihnen zwei Dutzend zweifelhafter Existenzen. Kannst du uns das zwei­te Beiboot schicken?«

»Gut, mache ich. Ra und Vorry sitzen schon wie auf Kohlen und verge­hen vor Langeweile. Corpkor wird das Kommando über die KARRETON übernehmen.«

»Vielleicht solltest du besser im Schiff bleiben.« »Wieso denn das? Ich habe schon immer mal Kralasenen jagen wol­

len!« Ich seufzte. »Na schön, wie du meinst. Aber kehrt zur KARRETON zurück, sobald

sie erledigt oder verjagt sind. Wir brauchen euch als ständige Rücken­deckung. Ist das klar?«

»Sicher, Atlan. Wie du meinst. In dreißig Minuten sind wir dort und räumen auf. Ende!«

Ich wollte noch etwas sagen, aber er hatte bereits abgeschaltet. Wahr­scheinlich hatte er Angst, ich könnte es mir anders überlegen. Vorsichtig kroch ich ein Stück vor und unterrichtete Fartuloon, der keinen Kommen­

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tar gab. Er hatte Nerven, um die ich ihn oft genug beneidete. Die Kralasenen schienen auf die Nacht zu warten, um in der Dunkelheit

den entscheidenden Angriff einzuleiten. Sie würden sich wundern. Immer­hin gab es einen Trost: Sie mußten uns lebendig fangen, wenn sie in unser kleines Schiff wollten, um die Organe zu holen. Damit schied ein tödlicher Angriff aus. Und wieder warteten wir. Wir konnten nur in westliche Richtung sehen, und dort war es noch hell, als das Beiboot erschien, auf das wir sehnsüchtig gewartet hatten. Es eröff­nete das Feuer aus den Bugkanonen und rollte die provisorische Stellung der Belagerer in wenigen Minuten auf.

Die Überlebenden sprangen auf und flohen in alle Richtungen, um sich in Sicherheit zu bringen. Kaum jemand dachte an eine Gegenwehr. Sie lie­fen wie die Hasen oder Hubakkels, wenn das große Treiben begann. Ich verzichtete darauf, ihnen einen Energiestrahl nachzuschicken, obwohl ich mich wahrscheinlich genauso wie Fartuloon über die vergeudete Zeit är­gerte.

Das Beiboot landete. Nur Morvoner kam heraus und begrüßte uns. Er half uns, das fünfte Organ mit den Geräten in unser Schiff zu bringen. Dann führten wir ihn zur Kühlkammer und baten ihn, für sich und die Mannschaft den Hauptteil mitzunehmen. Wir behielten uns nur genug zu­rück, um ein- oder zweimal richtig satt werden zu können.

Hochbefriedigt zog Morvoner ab und versprach, die nähere Umgebung noch einmal nach den Kralasenen abzusuchen. Dann startete das Beiboot und verschwand in der Dämmerung.

Fartuloon sagte: »Wir werden ebenfalls diesen ungastlichen Ort verlassen und auf einer

anderen Insel landen. Wenn schon, dann möchte ich einen ruhigen Abend erleben. Die nächste Organstation ist nur zweihundert Kilometer westlich. Dort bricht also ebenfalls die Nacht an. Wir versäumen nichts.«

Ich war mit dem Vorschlag einverstanden, und bereits zehn Minuten später landeten wir auf einer besonders kleinen Insel und sahen uns um.

Hier gab es weder Hütten noch Häuser, nur Wald, Steppe und schwan­kenden Boden. Ringsum war der Ozean, dessen Geruch wir in der Nase spürten. Und es gab genug trockenes Holz, um das lang ersehnte Lagerfeu­er entzünden zu können.

»Unsere Vorfahren – und auch Ras Gefährten – hätten es sich niemals träumen lassen, daß ein Stück Fleisch in ferner Zukunft einmal ein Luxus­artikel sein wird. Um so mehr sollten wie diesen Augenblick genießen. Die Kralasenen haben vorerst genug. Wir sind hier sicher.«

»Ich genieße bereits«, gab ich zurück und legte Holz nach. Ich hatte oft genug darüber nachgedacht, warum ein einfaches Holzfeu­

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er ein derartiges Gefühl der Geborgenheit und Behaglichkeit verbreitete, und mir war der Gedanke gekommen, daß es nichts anderes als die schlummernde Generationserinnerung war, die bis zu den Anfängen unse­rer Existenz zurückreichte. Das Feuer mußte das gewaltigste Erlebnis un­serer frühesten Vorfahren gewesen sein. Ich konnte Ra verstehen, wenn er von Macht sprach, die ihm das Feuer verliehen hatte, als er noch in den Höhlen, Wäldern und Steppen seines wilden, namenlosen Planeten lebte.

Allmählich wurde es dunkel. Fartuloon kam und schob die Fleisch­stücke auf einen primitiven Holzspieß, den ich auf die sorgfältig geschich­teten Steine legte, im richtigen Abstand über den züngelnden Flammen.

Sofort verbreitete sich ein anregender Bratenduft, der Fartuloon fast zur Verzweiflung trieb. Er rannte zurück ins Schiff und rief mir dabei zu:

»Ich hole etwas zum Trinken!« Dann war er verschwunden. Für eine überzüchtete Superzivilisation war der Rückfall in die Primiti­

vität ein großes Erlebnis – sofern er freiwillig erfolgte. Ich konnte mir vor­stellen, daß eine zwangsbedingte Ausnahmesituation alles andere als ein Vergnügen bedeutete.

Es war dunkel. Das Feuer warf zuckende Schatten gegen die Blätter der uns umgebenden Bäume und ließ sie lebendig werden. Dabei wußten wir schon lange, wie lebendige Pflanzen wirklich waren. Schon vor Jahrhun­derten hatten unsere Wissenschaftler ihre ersten telepathischen Experi­mente mit ihnen durchgeführt und erstaunliche Ergebnisse erzielt. Pflan­zen erkannten unsere Emotionen und Absichten. Sie waren nicht in der Lage, sich zu wehren, wenn wir die Absicht hatten, sie zu töten, was zur Erhaltung unseres Lebens unbedingt notwendig war. Aber seitdem ich das wußte, bemühte ich mich, pflanzliches Leben zu schonen, wenn es mög­lich war. Zum Feuermachen hatte ich auch nur abgestorbene Äste benutzt.

Doch das Gesetz der Natur und der Erhaltung des Lebens – und auch des eigenen Lebens – ließ es unerläßlich erscheinen, daß eine Art die die andere tötete, um weiter existieren zu können. Es kam nur darauf an, die­sen Vorgang so weit wie möglich einzuschränken, um sich nicht selbst zu töten.

Das kosmische Gleichgewicht mußte erhalten bleiben. Fartuloon kehrte zurück und unterbrach meine Überlegungen. »Wein habe ich gefunden, im letzten Fach der Notvorräte. Ich nehme

an, wir sind in Not.« »Natürlich sind wir das«, beruhigte ich ihn. »Das Fleisch ist in wenigen

Minuten gar.« Es war ein Festmahl, wie wir es lange nicht gehabt hatten, und als wir

uns gesättigt in das Gras zurücklegten, sehnte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben danach, auf einen primitiven Urweltplaneten verschlagen

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zu werden. Dort würden alle meine Sorgen zu einem Nichts werden. Mei­ne einzige Sorge würde es dann nur noch sein, überleben zu können – und dazu gehörte ein Feuer wie das vor uns, ein Stück Fleisch, und in der Hand eine gute Waffe, um Gegner abzuwehren.

Nur wenige Sterne waren zu sehen, weil es sich inzwischen bewölkt hatte. Ich erwartete Regen, aber der kam nicht.

Fartuloon sagte: »Mein Sohn, das war ein Essen! Ich kann mir vorstellen, daß die Mann­

schaft der KARRETON inzwischen ihre Furcht vor dem Schwarzen Sy­stem vergessen hat.«

»Auf der KARRETON gibt es kein Holzfeuer und keinen bewölkten Himmel. Die strahlende Wärme der lebendigen Flammen konnte nicht durch den Elektronenrost ersetzt werden. Die Männer sitzen auf harten Stühlen, nicht auf weichem, trockenen Gras. Sie essen von Plastiktellern. Und, glaube mir, ihr Fleisch schmeckt nicht so gut wie das unsere.«

Fartuloon verstand, was ich damit sagen wollte.

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4.

Am nächsten Tag fanden wir weitere fünf Organe, womit sich die Gesamt­zahl auf zehn erhöhte. Es fehlten lediglich noch zwei Organe, die wir am nächsten Tag einzubringen gedachten. Die Kralasenen waren nicht mehr aufgetaucht. Dafür war es uns gelungen, mehrere noch bewohnte Ansied­lungen zu orten. Am Ende des Tages beschlossen wir einmütig, in einer dieser Siedlungen zu landen, zumindest auf einer Insel, die eine solche Ansiedlung trug.

Ich hatte es verstanden, Fartuloons Neugier zu wecken. Das romanti­sche Nachtmahl des vorangegangenen Tages hatte seine Wirkung nicht verfehlt.

»Vielleicht sind es die Nachkommen schiffbrüchiger Arkoniden, die sich bis hierher vorwagten«, versuchte er, eine Erklärung für das Vorhan­densein von intelligenten Lebewesen im Schwarzen System zu finden. »Wenn wir sie nicht fragen, werden wir es nie herausfinden.«

»Genau das ist meine Absicht. Wir werden also landen?« »Wenn du keine Einwände hast.« Ich hatte keine. Im Gegenteil: ich war Feuer und Flamme. Wir unterrichteten Morvoner und zerstreuten seine Bedenken. Immerhin

verabredeten wir einen Zeitpunkt, der es ihm ermöglichte, sofort mit ei­nem Beiboot einzugreifen, falls es Schwierigkeiten gab.

Wir erhielten die Koordinaten einer fast fünfzig Kilometer durchmes­senden Insel, auf, auf der es einige bewohnte Dörfer und kleinere Ansied­lungen gab. Ich hatte beschlossen, für diese Nacht meine Rache, meine Aufgabe und alles, was damit zusammenhing, zu vergessen. Immer wieder mußte ich an Ra denken, der uns nun eine große Hilfe gewesen wäre, weil er das Leben im untersten Stadium der Entwicklung noch aus eigenem Er­leben kannte, aber ich wollte es ebenfalls aus eigener Erfahrung kennen­lernen.

Als es dämmerte, näherten wir uns der Insel. Wir kannten die geogra­phische Lage der beiden letzten Organstationen und waren auf keine wei­teren Informationen angewiesen. Morgen früh würden wir starten und sie auf Anhieb finden.

In der beginnenden Dämmerung war es nicht leicht, einen geeigneten Landeplatz zu finden. Morvoners Angaben waren zwar exakt gewesen, aber zwischen Theorie und Praxis gab es noch immer einen sehr großen Unterschied.

Wir verließen uns auf die Augen, nicht auf die Instrumente. Es gab mehrere Siedlungen mit kleinen Hütten und größeren Gebäuden,

die wir in geringer Höhe überflogen. Dabei gingen wir immer tiefer und

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näherten uns einer Steppe, die sich über mehr als ein Dutzend Kilometer erstreckte.

Am Rande der Steppe sahen wir Lichter. Es konnte sich nur um eine weit ausgedehnte Stadt handeln, wenn auch alle Häuser nur flach und ein­stöckig gebaut waren.

»Da hat jeder seine eigene Bude«, vermutete Fartuloon. Wir sicherten das Boot und schlossen die Luke. Die wenigen hundert

Meter bis zur Siedlung wollten wir zu Fuß gehen. In einem Beutel trugen wir die Geschenke, die wir den Eingeborenen überreichen wollten.

Das Licht, das aus den Häusern drang, war zweifellos elektrischer Na­tur. Sie besaßen also entsprechende Energieanlagen. Vielleicht hatten sie doch nicht alles vergessen, was einst gewesen war. Funkverkehr jedenfalls kannten sie nicht, sonst hätten wir längst ihre Sendungen empfangen.

Kurz bevor wir das erste Haus erreichen konnten, blitzte dicht vor uns ein Scheinwerfer auf und bannte uns in seinen Kegel. Gleichzeitig sagte jemand mit barscher Stimme:

»Bleibt ganz ruhig stehen und bewegt euch nicht. Es sind mehr als ein Dutzend Gewehre auf euch gerichtet. Der Dicke kann sein Schwert behal­ten, aber der andere soll die Energiewaffe vorsichtig aus dem Gürtel zie­hen und fallen lassen!«

Gegenwehr hätte jetzt wenig Sinn gehabt, ganz abgesehen davon, daß wir uns ja mit den Leuten unterhalten wollten. Also befolgte ich den Be­fehl.

»So, nun kommt näher«, forderte die Stimme uns auf. »Gehört ihr zu diesen verfluchten Kerlen, die unsere Jungs angeworben haben?«

Mit einem Schlag wurde mir alles klar. Fartuloon auch, denn er stieß einen erleichterten Seufzer aus, der ihm allerdings im Augenblick auch nicht weiterhalf. Die Männer hinter dem Scheinwerfer blieben mißtrauisch – vorerst wenigstens.

»Die gleichen Kerle haben uns überfallen«, versuchte ich sie zu über­zeugen. »Es waren auch Leute von euch dabei.«

Einige kamen nun zu uns, hielten sich aber noch immer in sicherer Ent­fernung. Sie trugen die gleichen Gewehre, mit denen wir schon Bekannt­schaft gemacht hatten. Energiewaffen schienen sie nicht zu besitzen, kann­ten aber ihre Wirkungsweise.

»Wer seid ihr und von wo kommt ihr?« »Eine lange Geschichte«, sagte Fartuloon, »die wir euch gern erzählen

werden, sobald wir gemütlich in einem der Häuser um einen Tisch sitzen. Wir sind freiwillig zu euch gekommen und haben keine bösen Absichten. In dem Beutel hier sind Geschenke für euch – wenn einige von ihnen euch lächerlich vorkommen sollten, so bedenkt bitte, daß wir keine Ahnung hat­ten, wen wir antreffen würden. Und vor allen Dingen wissen wir nicht, auf

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welcher Zivilisationsstufe ihr euch befindet. Nehmt also unseren guten Willen für die Tat.«

Gemessen an dem, was er sonst redete, war das ein langer Vortrag. Und er klang auch überzeugend und verfehlte seine Wirkung nicht. Der Scheinwerfer erlosch. In der Dämmerung wurden die anderen Män­

ner sichtbar, die bisher hinter der Lichtquelle gestanden hatten. Der bishe­rige Sprecher, ein breitgewachsener Hüne mit einem dunklen Vollbart, kam zu uns, nachdem er sich gebückt und meinen Strahler aufgenommen hatte. Er betrachtete ihn eingehend, dann gab er ihn mir zurück.

»Kommt mit, wir wollen eure Geschichte hören.« Sie nahmen uns in ihre Mitte, aber nicht mehr wie Gefangene, sondern

wie lang erwartete Freunde und Gäste. Meiner Meinung nach handelten sie leichtfertig und zu vertrauensselig, wenn das auch für uns nur günstig sein konnte. Viel schlechte Erfahrung schienen sie bisher noch nicht mit Fremden gemacht zu haben.

Sie führten uns in ein größeres Haus, das eine Art Gasthaus zu sein schien, denn es gab eine lange Reihe von Tischen und Stühlen, auf denen wir Platz nahmen. Der Bärtige setzte sich zwischen Fartuloon und mich. Die Gewehre wurden neben der Tür zusammengestellt. Einer der Männer verschwand und kehrte mit einem riesigen Krug zurück, der sofort die Runde zu machen begann.

»Wir stellen es selbst her«, erklärte der Mann mit dem Vollbart, der bei den anderen beachtlichen Respekt genoß. »Trinkt nicht zuviel, denn es wirkt berauschend. Aber es löscht den Durst.«

Als die Reihe an mich kam, nahm ich den Krug und einen Schluck. Die braune Flüssigkeit schmeckte gut, wenn auch ganz anders als unser Wein. Ich konnte mir vorstellen, daß sie genau das Richtige war, um einen safti­gen Braten herunterzuspülen.

»Bevor wir reden, hätten wir einige Fragen«, sagte ich. »Auch wir möchten wissen, wer ihr seid und wie ihr hierher gelangt seid. Wie lange lebt ihr auf dieser Welt, die nicht eure Urheimat sein kann? Habt ihr die Häuser gebaut und jene Stationen, die zum Teil von Robotern bewacht werden?«

Der Bärtige gab den Krug weiter. »Wir leben schon immer hier, und wir haben auch die Hütten und Häu­

ser gebaut. Von den großen Stationen haben wir gehört, aber es gibt keine auf unserer Insel. Reisende haben uns von ihnen berichtet. Niemand weiß, wer sie errichtet hat, und sie gehen uns auch nichts an. Doch immer wieder kommen Fremde von anderen Welten und betreten sie. Viele von ihnen wurden getötet, andere flohen in panischem Entsetzen. Es ist nicht gut, das Erbe der Götter anzutasten.«

»Erbe der Götter? Wer waren diese Götter?«

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»Niemand weiß es. Vielleicht haben unsere Vorfahren es einst gewußt, als sie mit vielen Schiffen hier landeten, um für immer hier zu leben. Sie haben die Schiffe im Meer versenkt, damit niemand zurückkehren konnte. Das war vor langer Zeit, und es gibt keine Unterlagen. Sie wurden eben­falls vernichtet. Das ist eigentlich alles, was wir zu berichten haben. Und ihr?«

Nun, immerhin wußten wir schon etwas, wenn auch längst nicht alles. Ich gedachte, später noch einige Fragen zu stellen. In kurzen Worten er­klärte ich ihm unsere Situation, ohne allerdings die Hintergründe zu er­wähnen. Vor allen Dingen wies ich darauf hin, daß die Kralasenen unsere Gegner waren und sie ihre Söhne so schnell wie möglich zurückholen soll­ten.

»Ihr seid mit einem Schiff gekommen, von einer anderen Welt?« verge­wisserte sich der Bärtige. »Wo ist das Schiff?«

»Es steht hoch am Himmel, und wir können jederzeit mit ihm sprechen und es herabholen. Ein kleineres Schiff brachte uns zur Oberfläche. Es wartet draußen auf der Lichtung.«

Inzwischen hatte Fartuloon die Geschenke ausgepackt und auf den Tisch gelegt. Da gab es von winzigen Generatoren gespeiste Taschenlam­pen, die ewig brannten, Messer mit Schneiden aus härtestem Arkonitstahl, mit denen sich selbst Steine mühelos zerteilen ließen, elektronische Feuer­zeuge und andere praktische Gegenstände, von denen ich insgeheim hoff­te, daß sie die Erinnerung der vergessenen Siedler auffrischten.

Aber niemand zeigte sich sonderlich beeindruckt, wenn die Gaben auch dankbar angenommen wurden.

»Unsere Vorfahren haben ähnliche Dinge besessen, aber sie sind selten geworden. Sie brachten sie mit.«

Mir war klar, was geschehen war, und ich hatte es fast erwartet. Eine Flotte von Siedlerschiffen war auf Gebharon gelandet und man beschloß, für immer hier zu bleiben. Damit niemand die Position der neuen Heimat verraten konnte, wurden die Schiffe versenkt. Dann kam mit der Zeit das große Vergessen, als Generation nach Generation geboren wurde, lebte und schließlich starb.

»Wart ihr schon hier, als die Katastrophe geschah?« »Welche Katastrophe?« lautete die Gegenfrage. Ich versuchte ihnen unsere Theorie mit den Inseln zu erklären, daß sie

einmal ein einziger Kontinent gewesen waren, der auseinandergerissen wurde und die Inseln bildete.

Der Bärtige lachte dröhnend und nahm einen Schluck aus dem Gemein­schaftskrug.

»Die Insel gab es schon immer, und ständig entstehen neue. Das leichte Gestein steigt vom Meeresgrund auf, wird durch die Schlingpflanzen zu­

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sammengehalten und mit der Zeit fest verbunden. So entsteht eine Platt­form. Pflanzen sterben und bilden Humus, auf dem neue Pflanzen gedei­hen. Ein paar hundert Jahre, und eine neue Insel treibt auf dem Meer. Viel­leicht verbindet sie sich mit einer anderen, vielleicht aber auch nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, eine Katastrophe hat es nie gegeben. Aber ei­nes Tages in ferner Zukunft mag es nur noch ein Land geben, wenn alle Inseln sich zusammengeschlossen haben. Dann wird das Meer unter uns sein.«

Die Frage blieb offen, wer die Stationen gebaut und die zwölf Organe in ihnen untergebracht hatte. Die Männer hier würden uns die Antwort nicht geben können, das war mir klar.

Fartuloon stellte noch einige Fragen und erhielt bereitwillig Auskunft, soweit das möglich war. Wir taten dem Bärtigen den Gefallen und spra­chen mit Morvoner, der sich über unser Erlebnis freute und gleichzeitig bekanntgab, daß sich das Schiff der Kralasenen auf der Suche nach uns be­fand. Unaufhaltsam näherte es sich der Insel, auf der wir gerade waren. Es mußte unser Beiboot früher oder später orten, wahrscheinlich morgen früh.

Der Bärtige, der wie seine anderen Männer arkonidisch mit Akzent sprach, hatte alles verstanden.

»Unsere Söhne kehren zurück«, meinte er zufrieden. Ich warnte ihn vor allzu großem Optimismus. »Sie sind die Knechte der Kralasenen, mein Freund. Man wird sie in

den Kampf gegen uns treiben, wenn ihr sie nicht rechtzeitig aufklärt. Es würde uns leid tun, sie im Kampf töten zu müssen, auf der anderen Seite haben wir keine Lust, uns von den Kralasenen umbringen zu lassen. Wollt ihr uns helfen?«

»Ihr seid unsere Gäste«, erwiderte der Bärtige. »Und das Gastrecht ist heilig. Wir werden euch verteidigen, auch wenn der eine oder andere von uns oder unseren Söhnen dabei fällt. Wir glauben, daß ihr die Wahrheit gesagt habt. Bis morgen haben wir eine Lösung gefunden. Wir werden euch nun den Raum zeigen, in dem ihr die Nacht verbringen könnt.«

Er befand sich in dem selben Haus im ersten Stock. Es war ein geräumi­ges Zimmer mit mehreren Betten und einer Toilette, einfach aber sauber. Es gab sogar fließendes Wasser, und ich fragte mich, wieso es auf einer im Meer schwimmenden Insel Süßwasser geben konnte, denn auch hier war das Meerwasser salzig, wie überall.

Sie verabschiedeten sich und versprachen, uns sofort zu wecken, wenn das Schiff der Kralasenen auftauchte.

Fartuloon warf sich aufs Bett. »Ich glaube, wir können beruhigt schlafen, wenn ich jetzt auch lieber im

Boot wäre. Aber die Kralasenen werden unser Boot nicht vernichten. Sie würden alle zehn Organe verlieren, und um die geht es ihnen offensicht­

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lich. Sie werden also zuerst versuchen müssen, uns in ihre Gewalt zu brin­gen.«

»Du glaubst, wir können uns auf die Männer hier verlassen?« »Davon bin ich fest überzeugt. Sie sind ehrlich, das spüre ich. Sie wer­

den uns helfen, das war kein leeres Geschwätz. Morgen sehen wir weiter.« Ich kleidete mich aus und wusch mich. Dann kroch ich unter die

Decken, nachdem ich den Strahler auf den Tisch gelegt hatte. Unter mir schwankte das Bett etwas, so als stünde es in einem Schiff. Auf Gebharon konnte man selbst auf dem Land seekrank werden.

Als der Morgen dämmerte, erwachte ich nach einem festen und traumlo­sen Schlaf. Fartuloon schnarchte noch. Leise erhob ich mich, denn vor dem Haus hörte ich Geräusche und Stimmengemurmel. Ich sah aus dem Fenster und erblickte eine große Menschenmenge auf der Straße. Die Männer trugen Gewehre und gefüllte Patronengurte. Die Frauen, einfach und fast ärmlich gekleidet, verteilten Pakete mit Lebensmitteln. Es sah so aus, als planten die Männer einen größeren Ausflug.

Ich weckte Fartuloon, der sich nur unwillig erhob und aufstand. Er be­trachtete die Vorbereitungen auf der Straße und wusch sich dann. Ich zog mich unterdessen an.

»Vielleicht ziehen sie in den Wald, um das Schiff der Kralasenen dort zu erwarten. Sie werden es überraschen wollen, denn vergiß nicht, daß ihre Söhne in ihm sind. Dumm sind sie nicht, diese Burschen, denn die nehmen folgerichtig an, daß die Kralasenen in der Nähe unseres eigenen Bootes landen, und das werden sie längst gefunden haben.«

Es klopfte, dann trat der Bärtige in unser Zimmer. Er stellte sein Ge­wehr neben die Tür und setzte sich auf eins der freien Betten.

»Ich habe noch während der Nacht ein Dutzend Männer in der Nähe eu­res kleinen Schiffes postiert. Sie lassen niemanden heran.«

Fartuloon, der seine Toilette inzwischen beendet hatte, kam herbei und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.

»Gut gemacht, mein Freud, wenn es auch überflüssig ist. Niemand kann unser Schiff stehlen. Es wird durch einen Energieschirm geschützt. Trotz­dem besten Dank!«

»Und die Leute draußen auf der Straße?« wollte ich wissen. Der Bärtige grinste. »Sie gehen aus der Stadt, sobald das Schiff der anderen gelandet ist. Um

unsere Söhne ohne Verluste zu befreien, werden sie den Kralasenen ihre Dienste anbieten. Sobald der richtige Augenblick gekommen ist, fallen sie über sie her. Einfacher, aber, aber wirksamer Plan.«

Das mußten auch wir zugeben. Wir wären niemals auf den Gedanken gekommen, von unseren Gastgebern ein solches Risiko zu verlangen. Nun taten sie es freiwillig, ihrer Söhne wegen, die dem Verlangen nach einem

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Abenteuer erlegen waren. Ich nahm Verbindung mit Morvoner auf. »Wo ist es?« fragte ich nach der Einleitung. »Es nähert sich der Insel, Atlan. Die Entdeckung muß bald erfolgen.

Was dann geschieht, weiß ich nicht.« »Wir auch nicht, aber wir werden es rechtzeitig erfahren. Ich glaube

nicht, daß wir das zweite Boot zur Unterstützung benötigen. Wie lange ha­ben wir Funkkontakt?«

»Noch eine gute Stunde.« »Gut. Melde dich wieder, sobald ihr zurückkommt.« »Soll ich nicht doch lieber das Beiboot …?« »Überflüssig!« brüllte Fartuloon in mein Mikrophon. »Wir kommen

schon mit ihnen klar. Macht euch keine Sorgen.« »Na, dann eben nicht!« knurrte Morvoner und unterbrach die Verbin­

dung. Es kam mir zu Bewußtsein, daß wir völlig unnötig eine Gefahr herauf­

beschworen, der wir gut hätten aus dem Weg gehen können. Noch war Zeit, zum Schiff zurückzukehren und zu starten. Wir konnten uns in Si­cherheit bringen, ehe die Kralasenen eintrafen. Aber damit würden wir auch die Nachkommen der ehemaligen Siedler im Stich lassen.

Also blieben wir, um ihnen und uns zu helfen. Der Bärtige stand auf. »Ich muß zu meinen Männern. Wollt ihr uns begleiten? Aber die Krala­

senen dürfen euch nicht zu früh sehen, sonst mißlingt unser Plan. Haltet euch im Hintergrund, versprecht ihr das?«

»Selbstverständlich«, versicherte ich. »Sie sollen uns im Boot vermuten, wenn sie landen. Und noch etwas: Es ist nicht nötig, daß ihr sie tötet, so­bald ihr eure Söhne befreit habt. Sie sollen leben, sie sollen fliehen, damit wie sie verfolgen können. Wir brauchen die Spur, die sie hinterlassen.«

»Aha, ich verstehe.« Er grinste breit. »Sie sollen euch irgendwohin füh­ren?«

»Sehr richtig, das sollen sie.« Er nahm sein Gewehr. »Also gut, gehen wir. Die anderen warten schon, und wir haben nicht

mehr viel Zeit.« Das stimmte. Wir folgten ihm, begrüßten einige alte Bekannte von ge­

stern abend und dann die übrigen. Die Frauen gaben unsere Grüße scheu zurück und verschwanden dann in den Häusern. Fartuloon sah ihnen nach und flüsterte mir dann geschmeichelt zu:

»Sie sind sehr hübsch, findest du nicht auch? Und dann diese vornehme Zurückhaltung und Verlegenheit, als sie erkennen mußten, daß wir viel schöner und begehrenswerter als ihre eigenen Männer sind.«

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»Eingebildeter Bauchaufschneider!« gab ich ebenso leise zurück. Wir verließen die Ansiedlung, die ich nun genauer betrachten konnte.

Die flachen und kleinen Häuser lagen am Waldrand und Hügelhang. Oben auf dem flachen Kamm stand ein runder Wasserbehälter, von dem aus Lei­tungen ins Dorf hinabführten. Auch Masten mit Drahtleitungen sah ich.

Wovon sie lebten, war mir nicht klar. Vielleicht war es oben in den Hü­geln trockener, und sie hatten Gärten und Felder angelegt, und die Männer mochten auf die Jagd gehen, falls es keine gezähmten Hubakkels gab. Sie hatten auf jeden Fall ihr Auskommen, und sie lebten friedlich und harmo­nisch.

Man konnte sie beneiden. Unser kleines Boot stand unverändert unter dem Blätterdach der Bäume. Der bärtige Anführer und seine Männer betrachteten es ohne sonderliches Interesse, dann verteilten sie sich am Waldrand und verbargen sich so, daß sie wie vom Erdboden verschluckt schienen. Nur etwa zwei Dutzend la­gerten mitten in der Steppe, packten die Vorräte aus und begannen, Holz für ein Feuer zu sammeln.

Man hätte sich keine besseren Lockvögel als sie vorstellen können. Fartuloon, der Bärtige und ich fanden eine Mulde, in der wir uns hinein­

gleiten ließen, nachdem wir die »Stellungen« inspiziert hatten. Die Män­ner standen untereinander durch Melder in Verbindung.

Nun konnten wir in Ruhe abwarten, was geschehen würde. Zwei Stunden lang geschah überhaupt nichts, und sehnsüchtig wartete

ich auf den Augenblick, in dem Morvoner wieder Kontakt zu uns aufneh­men konnte. Dann würden wir erfahren, wo die Kralasenen steckten.

Immer höher kletterte die Sonne, und es wurde wärmer. Fartuloon hatte sein Lederwams aufgeknöpft und schon mehrmals einen kräftigen Zug aus der Flasche genommen, die der Bärtige ihm reichte. Ich war in der Hin­sicht vorsichtiger, aber Fartuloon vertrug auch mehr als ich.

Endlich meldete sich Morvoner: »Wie ist der Empfang?« Fartuloon sagte schnell: »Bis jetzt fand noch keiner statt. Wo stecken die Kralasenen?« »Hm«, knurrte Morvoner, der den Funkempfang gemeint hatte. »Sie

sind dort, fast über euch. Sie setzen zur Landung an, denn sie haben das Boot geortet. Ihre Aufmerksamkeit scheint sich auf die zwanzig Männer auf der Lichtung zu konzentrieren.«

»Die Söhne in ihrem Schiff werden ihre Väter erkannt haben.« »Möglich. Achtung, jetzt gleich landen sie. Ihr müßtet sie nun sehen

können. Wir passen auf euch auf.« »Sehr beruhigend«, gab Fartuloon zurück, ließ das Gerät eingeschaltet

und griff nach seinem Schwert. »Nun bin ich gespannt …«

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Die Männer auf der Lichtung winkten dem sich langsam senkenden kleinen Schiff entgegen, damit deutlich klar wurde, daß sie keine feindli­chen Absichten hegten. Wir selbst lagen in guter Deckung, die restlichen Leute auch.

Das Schiff landete, und wenig später öffnete sich die Luke. Ein Kralase-ne kam daraus hervor und betrachtete die winkenden Männer voller Miß­trauen. Dann sah er hinüber zu unserem Schiff. Er konnte offensichtlich mit der Situation nicht viel anfangen, denn er verschwand wieder, um we­nig später mit einem der zerlumpten Siedlersöhne wieder zu erscheinen. Er deutete auf die winkenden Männer, sagte etwas zu dem Jungen und schickte ihn dann vor.

Wir konnten nicht verstehen, was der Junge erzählte, aber das war auch nicht so wichtig. Wichtig war nur, daß er den Kralasenen die richtige Bot­schaft zurückbrachte. Dann erst würde sich zeigen, was sie wirklich von uns wollten.

Der Junge kehrte zum Schiff zurück. Er verschwand in der Luke und begab sich abermals in die freiwillig gewählte Gefangenschaft.

»Was hat er euren Leuten gesagt?« fragte ich. Der Bärtige meinte: »Keine Ahnung, ich weiß nur, daß er den Kralasenen neue Hilfskräfte

anbietet. Außerdem überbringt er unseren Vorschlag, euer Boot aufzubre­chen. Bleibt ruhig liegen! Wenn sie euch vorzeitig bemerken, ist alles aus.«

Nun kamen vier Kralasenen zum Vorschein, zögerten einen Augen­blick, als sie die bewaffneten Männer sahen, rückten dann ihre Handwaf­fen im Gürtel zu recht und stiegen über die Leiter zur Lichtung hinab. Sie gingen den Leuten des Dorfes entgegen.

»Jetzt schlagen meine Männer ihnen vor, die Söhne freizugeben – im Austausch gegen sie selbst«, flüsterte der Bärtige.

Nicht schlecht ausgedacht, mußte ich zugeben. Die Frage war nur, ob die Kralasenen darauf eingingen. Und wenn ja, was geschah dann?

Unsere Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, dann kehrten end­lich zwei der Kralasenen zum Schiff zurück und verschwanden darin. Die anderen beiden blieben bei den Männern, ihre Hände in der Nähe ihrer Strahler.

Die jungen Siedler kamen aus dem Schiff. Ich wußte, daß einige von ih­nen fehlen würden, denn nicht alle hatten den Angriff auf uns überlebt. Die alten Siedler wußten das, aber sie gaben uns keine Schuld.

Es gab eine herzliche Begrüßung, die jedoch von den Kralasenen bald unterbrochen wurde. Sie traten aus dem Schiff, drei von ihnen, mit gezo­genen Waffen und entschlossenen Gesichtern. Ich bemerkte, daß der Bug des gelandeten Schiffes gegen unser Boot gerichtet war. Wahrscheinlich

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rechnete man damit, daß wir plötzlich daraus hervorkommen und sie an­greifen würden. Solange die Luke geschlossen blieb, drohte ihnen keine Gefahr.

Fünf Kralasenen waren nun im Freien, und sie sprachen mit drohenden Gebärden auf die Siedler ein, die ihre Söhne inzwischen weitergeschickt hatten. Erst als sie in sicherer Entfernung waren, flüsterte der Bärtige uns zu:

»Länger können meine Leute nun nicht mehr Theater spielen, ohne die Kralasenen mißtrauisch zu machen. Auf keinen Fall werden sie mit ihnen ins Schiff gehen. Ich habe übrigens festgestellt, daß vier der jungen Män­ner fehlen. Ein hoher Preis für ein solches Abenteuer.«

»Es tut mir leid«, gab ich zurück. »Sehr leid.« »Schon gut«, wehrte der Bärtige ab. »Achtung, es ist soweit …« Weder Fartuloon noch ich hatten eine Ahnung, ob der Bärtige mit sei­

nen Leuten ein Zeichen zum Angriff verabredet hatten, aber wahrschein­lich handelten sie aus der Situation heraus. Sie hatten noch nie in ihrem Leben von dem Blinden Sofgart und 1 seiner scheußlichen Aufgabe ge­hört, aber unser kurzer Bericht reichte ihnen wohl. Hinzu kam, daß sie vier junge Männer verloren hatten.

Auch wußten wir nicht, wieviel Kralasenen noch im Schiff waren. Im­merhin waren fünf von ihnen draußen.

Der Bärtige schob den Lauf seines Gewehrs über den Rand der Mulde und zielte sorgfältig. Fartuloon legte sein Schwert zurecht, und ich zog meinen Handstrahler. Die fünf Kralasenen boten ein ausgezeichnetes Ziel, denn die Siedler gingen nicht zu nahe an sie heran.

Die Verhandlung schien jedenfalls gescheitert zu sein, denn wütend richtete einer der Kralasenen seine Waffe in die Menge. Die Androhung genügte, den Bärtigen handeln zu lassen.

Sein Schuß war zugleich das Signal zum Angriff. Der Kralasene, der die Männer bedroht hatte, stürzte getroffen zu Bo­

den. Die anderen vier reagierten blitzschnell, sprangen in Richtung Schiff zurück und erwiderten das Feuer, das von den Siedlern unmittelbar nach dem Signal eröffnet wurde. In der Luke des Schiffes erschienen drei weite­re Kralasenen, die in das Gefecht eingriffen.

Um sie kümmerte ich mich. Die Entfernung war zwar ziemlich groß, aber ich war kein ungeübter Schütze. Noch ehe sie Schaden anrichten konnten, erwischte ich alle drei mit einem einzigen Energiebündel. Ich wußte nicht, ob sie tot waren, jedenfalls wurden sie von der Wucht des ge­fächerten Treffers ins Schiff zurückgeworfen, das Sekunden später mit ge­öffneter Luke startete und hinter den Kronen der nahen Bäume ver­schwand.

Nun erst konnte ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf

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der Lichtung zuwenden. Nur einer der Kralasenen lebte noch, und er lag in einer Bodenrinne und schoß wie verrückt um sich. Seine ganze aufgespei­cherte Wut über den Verrat entlud sich in sinnloser Gegenwehr, die ihm schließlich den Tod brachte. Einer der Siedler erschoß ihn.

Wir kamen aus unserer Deckung. Inzwischen waren auch die befreiten Söhne zurückgekehrt und berichteten, wie man sie hereingelegt und als Gefangenen behandelt hatte, nachdem der erste Angriff auf uns fehlge­schlagen war.

Auch sie trugen uns nichts nach und bedankten sich für unsere Hilfe. Morvoner nahm wieder Kontakt mit uns auf. Ich berichtete, was geschehen war. Meiner Schätzung nach konnten in

dem geflohenen Schiff nur noch zwei oder drei unverletzte Kralasenen sein, zu wenig jedenfalls, um die ihnen gestellte Aufgabe zu bewältigen. Dabei wußten wir nicht einmal mit Sicherheit, ob die Söldner wirklich im Auftrag des Blinden handelten oder aus eigener Initiative.

Morvoner berichtete, daß er sie nicht mehr länger mit den Instrumenten verfolgen konnte, weil die KARRETON sich zu schnell in der entgegenge­setzten Richtung entfernte.

Dafür gab er uns die Koordinaten der Insel, auf der sich die Station mit dem elften Organ befand.

Wir verabschiedeten uns von den freundlichen Siedlern, die eine Sie­gesfeier abhalten wollten und versprachen ihnen wiederzukommen, sobald uns das möglich sei. Dann gingen wir in unser Schiff und starteten.

Der Bärtige stand mitten unter seinen Männern, die ihre Waffen schwenkten und uns zuwinkten, als wir die Insel verließen.

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5.

»Ich glaube«, sagte Fartuloon unterwegs, als noch ein paar hundert Kilo­meter vor uns lagen, »daß ich die Zusammenhänge allmählich begreife. Natürlich setze ich voraus, daß noch immer Angehörige des Volkes der Varganen existieren.«

»Das nehme ich auch an.« »Eben! Um nun zu verhindern, daß jeder Beliebige sie und ihr letztes

Versteck findet, haben sie ein kosmisches Puzzlespiel geschaffen, das nur von wirklich qualifizierten Intelligenzen zusammengesetzt werden kann.«

»Und uns hältst du für qualifiziert im Sinne der Varganen?« fragte ich ihn ein wenig spöttisch.

Er nickte. »Wir haben bereits mehrere Prüfungen bestanden, oder hast du die Ro­

botstimme vergessen, zu der wir zurückkehren sollen, sobald wir die zwölf Organe eingesammelt haben?«

Natürlich hatte ich sie nicht vergessen. »Die zwölf Organe … ob sie zu einem einzigen Körper gehören? Ich

nehme an, daß wir sie miteinander verbinden müssen, um mehr zu erfah­ren. Praktisch erweckten wir damit jemand vom Tode, jemand, der uns weiterhelfen soll. Seinen Körper bekommt er nicht wieder, aber seine Or­gane bilden eine Einheit, mit der wir dann wahrscheinlich Kontakt aufneh­men müssen.«

»So ähnlich stelle ich es mir auch vor. Und der Blinde Sofgart sicherlich auch. Nur wunderte ich mich noch immer, daß er uns für sich suchen läßt. Er besitzt genügend Intelligenz, um diese Aufgabe allein bewältigen zu können. Es muß demnach noch ein anderes Hindernis geben, das zu schwierig für ihn ist. Und in diesem Zusammenhang komme ich nicht dar­um herum, an die schwarzen Planeten zu denken.«

Die Dunkelwelten bereiteten mir schon eine ganze Zeit lang Sorgen, ab­gesehen von der Tatsache, daß es keine physikalische Erklärung für ihr Vorhandensein gab. Wenn sie ebenfalls zu dem Puzzlespiel gehörten, stand uns noch einiges bevor, und sicher nichts Erfreuliches.

Die KARRETON befand sich nun wieder auf der anderen Seite von Gebharon, so daß wir keine Funkverbindung erhielten. Aber die von Mor­voner bezeichnete Insel kam in Sicht. Am Nordrand stand die Station am Fuß eines Gebirgszugs. Davor erstreckte sich eine weite Ebene mit kleinen Seen, die wahrscheinlich nichts anderes waren als Löcher in der schwan­kenden Oberfläche der Insel.

Vorsichtig landeten wir in unmittelbarer Nähe des Gebäudes, dessen Aussehen uns nun schon richtig vertraut war. Ich konnte den Eingang

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deutlich erkennen, als wir das Schiff verließen, obwohl die Entfernung fast zweihundert Meter betrug und die Sicht durch Büsche behindert wurde.

Fartuloon wartete, bis ich bei ihm war. Er schüttelte den Kopf. »Merkwürdig«, murmelte er. »Du glaubst doch wohl auch nicht, daß die

Büsche Spazierengehen?« Ich starrte ihn verwundert an. »Wie meinst du das?« Er deutete in Richtung des Gebäudes, von dem wir jetzt nur den oberen

Teil sehen konnten. Der untere wurde von den Büschen verdeckt. »Sie sind mir zu regelmäßig gewachsen, fast in gewundenen Reihen, die

wieder Gänge bilden. Diese Gänge verändern sich ständig. Eben noch konnte ich bis ans Ende sehen, jetzt nicht mehr. Es ist, als habe sich eine Lücke geschlossen, noch während wir ausstiegen.«

Wandernde Büsche? Das wäre nichts Ungewöhnliches gewesen. Es gab unzählige Lebensformen, und manche von ihnen überstiegen sogar das Vorstellungsvermögen der an manche Wunder gewöhnten Kosmobiolo­gen. Aber auf Gebharon hatten wir bisher noch keine Pflanzen angetrof­fen, die Gänge bildeten und Labyrinthe formten.

Fartuloon zog sein Schwert und ging voran. In seinem Gesicht bemerkte ich einen grimmigen Ausdruck. So ein Gesicht machte er immer dann, wenn es galt, einer unbekannten Gefahr entgegenzutreten.

Ich folgte ihm mit gemischten Gefühlen und konnte feststellen, daß die Büsche absolut normal aussahen und fest im Erdreich verwurzelt zu sein schienen. Die Blätter waren dick und fleischig, die Zweige kräftig und stark verästelt.

Als wir das Ende des Blättergangs erreichten, nahm Fartuloon sein Schwert zu Hilfe. Die beiden Schneiden begannen bläulich zu flimmern und zerschnitten selbst die dicksten Äste mühelos. Sekunden nur dauerte es, dann war der Weg frei. Rechts und links blieben die rauchenden Reste der Büsche zurück.

Mehrmals noch mußte Fartuloon sein Skarg einsetzen, dann blieb er plötzlich mit einem Ruck stehen. Ich wäre fast gegen ihn gelaufen, denn ich hatte die Büsche beobachtet, um eine neuerliche Bewegung festzustel­len.

»Atlan!« sagte Fartuloon, und seine Stimme zitterte ein wenig. »Sag mir, daß ich nicht verrückt bin! Wo ist die Station geblieben?« Ich sah an ihm vorbei, und vor uns waren nun keine Büsche mehr.

Der Platz, an dem das Gebäude eben noch gestanden hatte, war leer. Wir sprachen mindestens eine Minute lang kein Wort. Stumm ließen wir das Unglaubliche auf uns einwirken und versuchten, eine Erklärung zu fin­den. Endlich sagte Fartuloon:

»Eine Illusion. Entweder war die Station eine Spiegelung, oder aber der

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leere Platz ist eine solche Spiegelung. Warum aber dann diese Labyrinth­pflanzung? Es ergibt keinen Sinn.«

»Wir brauchen das elfte Organ«, erinnerte ich ihn. »Gehen wir und ver­suchen wir, es herauszufinden. Wenn das Gebäude dort steht, dann finden wir es auch! Auch dann, wenn wir es nicht sehen.«

Er setzte sich zögernd in Bewegung, das Schwert vorgesteckt. Auch ich hatte meinen Strahler gezogen und entsichert. In der warmen Luft, lauerte eine Atmosphäre der Spannung und Gefahr. Weit vor uns lag das Gebirge, nicht mehr durch die Mauern der Station verdeckt.

Wie ließen das Feld mit den Büschen hinter uns. Es war so, als hätten wir die nicht gerade freundliche Behandlung mit dem Skarg gelernt und es aufgegeben, uns festzuhalten. Sehr ernsthaft war dieser Versuch ohnehin nicht gewesen.

Fartuloon ging jetzt sehr langsam. Mit der Spitze seines Schwertes ta­stete er den leeren Raum vor sich ab, ehe er den nächsten Schritt machte. Er stieß auf kein Hindernis.

Nach einer halben Stunde waren wir sicher: an dieser Stelle stand keine Station, und es hatte auch nie eine hier gestanden. Den Unbekannten, de­ren Spur wir verfolgten, war es gelungen, eine perfekte Illusion zu schaf­fen, die auf der anderen Seite so materiell war, daß sie selbst die Orterge­räte und Massetaster der KARRETON irregeführt hatte.

Wir warteten, bis Morvoner Kontakt aufnahm. Mit besorgter Stimme er­kundigte er sich, ob wir einen Sonnenstich hätten, denn er habe die Station deutlich sichtbar auf dem Bildschirm. Von uns allerdings könne er nicht die geringste Spur entdecken.

Fartuloon verlor keine Zeit mit unnützen Spekulationen. »Gib uns die Koordinaten der nächsten Station, wir wollen uns nicht

länger mit der hier aufhalten. Die Zeit wird knapp.« Wir erhielten die Daten und kehrten zum Schiff zurück. Diesmal hatten

die Pflanzen eine regelrechte Gasse gebildet, an deren Ende unser Beiboot auf uns wartete. Wir erreichten es ohne Zwischenfall und starteten wenige Minuten später.

Vor uns lag nur eine Strecke von zweihundert Kilometern. Alles ging glatt. Ohne jedes Hindernis konnten wir das elfte Organ aus der Station bergen, aber dann wurde das eigentliche Problem akut.

»Nun haben wir elf Organe, aber wir sahen zwölf Stationen. Kann es sein, daß auch das zwölfte Organ nichts als eine Illusion ist?«

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn, denn der Transport des Or­gans mit seiner Anlage war bei der Mittagshitze kein Vergnügen gewesen. Bis zum Beiboot waren es noch knapp hundert Meter. Verbindung mit Morvoner gab es erst wieder in einer halben Stunde.

»Eine Illusion? Bestimmt nicht! Es muß demnach eine dreizehnte Stati­

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on geben. Morvoner sollte sie inzwischen gefunden haben.« »Wir werden ja sehen«, knurrte Fartuloon wenig überzeugt. »Die

Hauptsache ist, wir finden die fünfte Station wieder. Sie ist die einzige bis­her, die Informationen lieferte. Aber wenn wir nur elf Organe haben …«

»Wir werden zwölf haben!« unterbrach ich ihn energisch. Manchmal ging mir sein Pessimismus auf die Nerven. Besonders dann, wenn ich selbst nicht allzu zuversichtlich war und es mir gegenüber nicht zugeben wollte. »Und wenn Morvoner die zwölfte Station nicht findet, dann wer­den wir sie eben finden!«

Er stand auf und gab damit das Zeichen zum Weitertransport unseres elften Organs. Es dauerte noch etwa sieben Stunden, ehe es dunkel wurde.

Wir verstauten die Anlage in dem Raum, in dem auch die anderen Orga­ne untergebracht waren. Viel Platz war nun nicht mehr vorhanden, aber für das zwölfte reichte er noch. Die Frage war nur, ob wir es auch fanden.

Morvoners Stimme wirkte beruhigend auf uns. »Noch eine Station wie die anderen? Na schön, der Ortungskomputer

hat alle Daten automatisch gespeichert. Ich werde ihn abfragen lassen.« »Tu das!« riet Fartuloon. »Wir müssen sie noch heute finden.« »Keine Sorge. Wenn es sie gibt, finden wir sie auch.« Es dauerte einige Minuten, ehe er einigermaßen verblüfft zugab: »Ihr habt recht: es gibt eine dreizehnte Station! Allerdings habt ihr eine

Flug vor euch, der euch in die Nachtzone bringt. Fast zwanzigtausend Ki­lometer, auf der anderen Seite von Gebharon. Eine große Insel mit hohen Gebirgen. Die Station steht auf einem Plateau, und kommt mir nur nicht wieder und behauptet, ich litte unter Halluzinationen. Sie ist vorhanden!«

»War die andere auch, den Instrumenten nach zu urteilen.« »Es gibt Photos, die werden euch beweisen …« »Gib uns die Koordinaten«, unterbrach ich ihn. »Wir haben keine Zeit

zu verlieren.« »Es wird dunkel dort sein und …« »Wir haben den Bugscheinwerfer, Morvoner. Die Koordinaten, bitte!« Er gab sie uns und wünschte uns viel Glück. Wir starteten und flogen so schnell, daß wir die Sonne überholten. Als

wir die Insel erreichten, lag sie in tiefer Dunkelheit unter uns. Erst in fünf Stunden würde die Dämmerung anbrechen. Obwohl wir müde waren, be­schlossen wir, zu landen und den Versuch zu unternehmen, das Organ noch in der Nacht zu bergen.

Morgen wollten wir dann der fünften Station unseren zweiten Besuch abstatten und Aufklärung verlangen.

Wir fanden das von Morvoner beschriebene Hochplateau und die Stati­on. Real und wirklich lag sie im Lichtkegel unseres Scheinwerfers, und als wir zur Landung ansetzten, entdeckte ich an den Hängen der nicht beson­

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ders steilen Berge mehrere Ansiedlungen. Als ich entsprechende Bedenken äußerte, winkte Fartuloon ab. »Na, und

wenn schon? Es sind ebenfalls Siedler von früher, und selbst wenn sie das Licht im Himmel gesehen haben, werden sie sich hüten, mitten in der Nacht nachzusehen, wer da zu Besuch gekommen ist. Wir haben ja gehört, daß die Stationen für sie tabu sind.«

»Das muß nicht für alle gelten«, gab ich zu bedenken. »Die hier leben auf der anderen Seite des Planeten und haben vielleicht eine völlig andere Entwicklung hinter sich als ihre Gefährten. Ich würde vorsichtig sein.«

»Aber du hast doch wohl nichts dagegen, wenn wir jetzt landen?« Er landete bei vollem Scheinwerferlicht. Meiner Schätzung nach waren

die Ansiedlungen mehr als fünf Kilometer entfernt, so daß uns Zeit genug blieb, unser Vorhaben sofort auszuführen.

Das Beiboot stand so, daß der Lichtkegel den Eingang des Gebäudes anstrahlte. Als wir darauf zugingen, waren unsere Körper extrem lange Schatten, denen wir folgten.

Diesmal hatten wir es offensichtlich nicht mit einer Spiegelung zu tun, und auch sonst gab es keine Hindernisse auf unserem Weg. Mehr als zwei­hundert Meter hatten wir nicht zurückzulegen. Der Boden war in dieser Höhe fest. Er schwankte auch nicht und gab uns ein Gefühl der Sicherheit, das wir in der Ebene nicht kannten.

Vor dem offenen Eingang hielten wir an. Nicht daß wir plötzlich Be­denken gehabt hätten, das Gebäude zu betreten, es war mehr eine Ver­schnaufpause.

»Na, worauf warten wir?« fragte ich ungeduldig. Fartuloon schüttelte mißbilligend den Kopf. »Immer diese Jugend!« seufzte er. »Impulsiv und meistens zu schnell in

ihren Entschlüssen. Und dadurch meist unvorsichtig. Wir müssen überle­gen.«

»Was gibt es denn da zu überlegen?« fragte ich erstaunt. »Diese Station ist nicht verschieden von den anderen, wenn wir von der unsichtbaren mal absehen.«

»Es ist die zwölfte!« »Sie könnte auch die erste oder vierte sein. Die Reihenfolge haben doch

wir gewählt! Ich sehe keinen Grund, hier unsere Zeit zu verschwenden.« »Du denkst an die Siedler? Aber nicht doch, Atlan! Sie bedeuten keine

Gefahr, selbst wenn sie wütend werden, weil wir in die Station eindringen und ein etwaiges Heiligtum stehlen.«

Ich zuckte die Achseln und ging an ihm vorbei, um als erster die Station zu betreten. Da nun das Licht unseres Bugscheinwerfers nicht mehr aus­reichte, schaltete ich die mitgebrachte Taschenlampe an.

Es gab keine Fallen oder angreifende Robotter, sondern nur die Stufen,

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die nach oben führten. Fartuloon, der mir gefolgt war, stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er die Halle mit der Organanlage sah.

Nichts geschah, als wir sie untersuchten und schließlich aus der Station transportierten. Wieder im Licht unseres starken Scheinwerfers warnte mich mein Extrahirn vor einer drohenden Gefahr.

»Können wir eine Pause machen?« fragte ich Fartuloon. Er ging weiter und erwiderte, ohne sich umzudrehen: »Es sind noch fünfzig Meter, die wirst du wohl noch schaffen, oder …« Rechts und links waren vereinzelte Felsen, die allerdings bereits im

Dunkel lagen. So angestrengt ich auch hinsah, ich konnte keine Bewegung entdecken, und doch wußte ich, daß dort die unbekannte Gefahr lauerte. Vielleicht waren es die Siedler, vielleicht eine Falle der Varganen, deren Spur wir folgten.

Da Fartuloon weiterging, folgte ich ihm. Auf keinen Fall durften wir die Zuleitungen zwischen Organbehälter und Lebenserhaltungssystem unter­brechen. Ich mußte auf den steinigen Weg aufpassen, gleichzeitig aber versuchte ich auch, eventuelle Gegner in der finsteren Umgebung zu er­kennen.

Als wir das Schiff erreichten, setzten wir die Anlage ab. Wir standen nicht mehr im Bereich des Scheinwerferkegels, der uns

blendete und unsere Sicht beeinträchtigte. Als ich mich gerade bücken wollte, um den Behälter mit dem schwim­

menden Organ aufzuheben, erhielt ich aus dem Dunkel einen fürchterli­chen Schlag auf den Kopf und verlor sofort das Bewußtsein.

Ich sah nur noch, wie Fartuloon stürzte. Dann wußte ich nichts mehr.

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6.

Als ich erwachte, war es hell. Über mir stand die Sonne hoch am Himmel, und ich lag gefesselt auf nacktem Gestein vor dem Eingang einer Höhle, die in den Hang hineinführte. Mit dem Rücken mußte ich zur Ebene hin liegen, aber ich konnte sie nicht sehen.

Mein Handstrahler fehlte, und zu meinem Schrecken auch der Telekom. Man hatte mir beides abgenommen.

Das kleine Plateau war leer. Nirgends entdeckte ich eine Spur von Far­tuloon, der ebenso wie ich niedergeschlagen worden sein mußte. Ich hatte es schließlich noch gesehen, bevor ich bewußtlos wurde.

Die Siedler – wenn es die Siedler waren – hatten uns überrascht. Zwar konnte ich mir nicht erklären, wie sie in der halben Stunde die relativ große Entfernung zurückgelegt hatten, aber sie waren zur Stelle gewesen, als wir in die Station eindrangen. Vielleicht eine ständige Wache?

Es wurde Zeit, daß einer von ihnen auftauchte, damit ich ihnen erklären konnte, daß wir keine bösen Absichten hegten. Vor allen Dingen wollte ich wissen, was mit Fartuloon geschehen war. Warum hatte man uns ge­trennt.

Vielleicht ein Verhör? Ich begann mit dem Versuch, meine Fesseln zu lösen, gab es aber bald

wieder auf. Die Stricke waren ungemein fest und gaben keinen Millimeter nach, so sehr ich mich auch anstrengte. Im Gegenteil: sie schienen immer fester zu werden. Bald begann mein Blut in den Adern zu stocken.

Ich verfluchte unsere Leichtsinnigkeit. Dabei hatte ich drohende Gefahr rechtzeitig geahnt, mir aber Fartuloon gegenüber keine Blöße geben wol­len.

Nun ja, Morvoner würde die Angelegenheit in die Hände nehmen, wenn wir uns nicht meldeten. Er wußte ja, wo wir steckten.

Während ich so über unser Mißgeschick nachdachte, sah ich einen Mann aus der Höhle kommen. Er trug ein langes und lose herabhängendes Gewand, das bis zum Boden reichte und seine Füße verdeckte. Statt eines Gürtels schlang sich ein dicker Strick um seinen Körper, in dem ein Mes­ser steckte. Seine Haare waren dicht und wirkten ungepflegt.

Finster betrachtete er mich, dann sagte er etwas, das ich nicht verstand. Es war eine Sprache, die ich noch nie in meinem Leben vernommen hatte.

Im Beiboot gab es einen Translator, ein handliches Übersetzergerät, das mir aber im Augenblick nur wenig nützte. Wie sollte ich dem Kerl klarma­chen, was ich im Schiff holen wollte?

»Was habt ihr mit meinem Begleiter angestellt?« fragte ich, obwohl ich nun annehmen mußte, daß er mich nicht verstand. »Ihr begeht einen

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großen Fehler, wenn ihr uns festhaltet. Unsere Freunde werden kommen und euch bis ins Meer jagen, wenn ihr uns nicht sofort freilaßt.«

Er reagierte überhaupt nicht auf meine Drohung, sondern betrachtete mit wissenschaftlichem Interesse. Dabei sah er so aus wie ich und alle Ar­koniden. Ich konnte keine Unterschiede feststellen, wenigstens nicht auf den ersten Blick.

Wieder sagte er etwas in der mir unbekannten Sprache und reckte dabei die geballte Faust in den sonnigen Himmel. Es hörte sich wie eine Dro­hung an, und sicherlich war es auch eine. Ich kann nicht behaupten, in die­sem Augenblick besonders zuversichtlich gewesen zu sein. Wenn wir reli­giösen Fanatikern in die Hände gefallen waren, die das Gebäude mit den Organen als Heiligtum betrachteten, stand uns nichts Gutes bevor.

Wo nur Fartuloon steckte …? Der Priester, oder was immer seine Funktion auch sein mochte, wurde

wütend, weil ich ihn nicht verstand. Er trat mit dem Fuß nach mir und war so unvorsichtig, nicht gleich zurückzuspringen. Ich federte mich ab und erwischte ihn mit beiden gefesselten Füßen direkt im Unterleib. Der Schwung war so gewaltig, daß er einige Meter durch die Luft geschleudert wurde und gegen die Felswand prallte. Wie ein Sack fiel er zu Boden und blieb regungslos liegen.

Ich hoffte, ihn nicht ernstlich verletzt zu haben, denn ich wollte ihm nur einen Denkzettel verpassen, den er nicht so schnell vergessen sollte. Nun lag er da und rührte sich nicht mehr. Vielleicht hatte er sich das Genick ge­brochen.

Mühsam kroch ich weiter, bis ich den Eingang der Höhle erreichte. In­dem ich mich mehrmals herumrollte, inspizierte ich sie eingehend. Es gab eine primitive Feuerstelle, einige mir unverständliche Geräte, die an der Wand an Haken hingen, Kleidungsstücke und ein einfaches Bett mit bun­ten Decken.

Das, was ich verzweifelt suchte, fand ich nicht. Dann fiel mir das Messer ein, das der Priester im Gürtel trug. Mühsam wälzte und kroch ich wieder aus der Höhle, zurück auf das

Plateau. Der Mann war noch immer bewußtlos. Aber noch bevor ich ihn erreichen konnte, hörte ich Stimmen. Jemand kam zu mir aufs Plateau her­auf.

Schnell wälzte ich mich zur Seite und blieb ruhig liegen. Die Augen fast völlig geschlossen, wartete ich ab, wer mich besuchen wollte.

Es waren drei Männer, ähnlich gekleidet wie der von mir überrumpelte. Sie blieben verblüfft stehen, als sie ihren Genossen regungslos an der Fels­wand liegen sahen, dann liefen sie zu ihm und untersuchten ihn. Um mich kümmerten sie sich nicht.

Es wäre sinnlos gewesen, die Situation ausnutzen zu wollen. Da war nur

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noch die Höhle und an drei Seiten der Abgrund. Die drei Männer hätten mich mühelos unschädlich machen können, wenn ich mich auch nur ge­rührt hätte. Außerdem hatte einer von ihnen längst das Messer an sich ge­nommen, daß der Bewußtlose im Gürtel trug.

Ich konnte nur abwarten, was sie tun würden. Sie trugen ihren Gefährten in die Höhle und legten ihn aufs Bett, dann

kehrten sie zu mir aufs Plateau zurück. Finster betrachteten sie mich, un­tersuchten meine Fesseln und schienen zu überlegen, wie ich es wohl ge­schafft hatte, ihren Freund unschädlich zu machen.

Sie redeten in demselben unverständlichen Idiom, mit dem ich nichts anfangen konnte, auf mich ein. Wahrscheinlich stellten sie Fragen. Aber ich wollte keine Fragen beantworten, selbst wenn ich sie verstanden hätte. Ich wollte wissen, was mit Fartuloon geschehen war.

Aber sie verstanden mich genausowenig wie ich sie. Schließlich entfernten sie sich wieder und ließen mich mit meiner Un­

gewißheit zurück – und mit dem bewußtlosen Priester in seiner Höhle. Ich blieb ruhig liegen, um meine Kräfte zu schonen. Es konnte nicht

mehr lange dauern, bis Morvoner Verdacht schöpfte, wenn wir seine Fun­krufe nicht beantworteten. Dem Beiboot konnte nicht viel passieren …

Der Schreck fuhr mir in die Glieder, heiß und fast schmerzhaft. Das Beiboot! Fartuloon hatte das elektronische Schloß und damit den Einstieg geöff­

net, bevor wir überfallen wurden! Fast zehn Minuten lag ich in der Sonne, ohne etwas unternehmen zu kön­nen. Ich konnte kaum denken, so groß war meine Enttäuschung. Die Fremden Siedler konnten die Organe herausholen oder sie den Kralasenen überlassen, wenn sie zufällig auf der Insel landeten.

Ich war so hilflos wie nie zuvor in meinem Leben, und das alles nur we­gen ein paar Stricke, die mich fest umschlangen. Der Bewußtlose in der Höhle konnte mir nicht helfen … oder doch?

Ich konnte ihn bedrohen, wenn er wieder zu sich kam, und ich konnte ihn zwingen, meine Fesseln zu lösen, wenn ich schneller war als er. Aber dann durfte ich auch keine Zeit mehr verlieren.

Als ich meinen Entschluß faßte, war es bereits zu spät. Die drei Siedler oder Priester kehrten auf das Plateau zurück. Zu meiner

Überraschung trug einer von ihnen den Translatorkasten aus dem Beiboot. Sie hatten es also bereits betreten und untersucht – und sie hatten die Be­deutung des Geräts anscheinend begriffen.

Sie setzten sich auf das warme Gestein und sahen mich fragend an. Ei­ner fummelte an der Einstellung des Translators herum, bis er das Gerät richtig einschaltete.

Na, wenigstens das! Ich konnte ihre Sprache verstehen.

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»Wer seid ihr?« Ich hatte keine Lust, ihnen das zu erzählen. Außerdem wußte ich nicht,

ob sie Fartuloon bereits verhört hatten. »Warum habt ihr uns überfallen? Wir haben euch nichts getan.« »Wir stellen die Fragen«, kam es aus dem Translator zurück. »Ihr habt

unser Heiligtum geschändet und verdient den Tod. Ihr sollt jedoch vorher die Möglichkeit erhalten, eure Sünden zu bereuen.«

Meine Vermutung stimmte. Sie hatten aus den Stationen, die schon eine Ewigkeit vorhanden waren, Heiligtümer gemacht. Wahrscheinlich wußten sie nicht, was sie bedeuteten und welchen Zweck sie ursprünglich gehabt hatten. Vielleicht verehrten sie sogar die Organe als Götter.

Und sie waren keine Arkoniden! Abkömmlinge von Arkoniden, sicherlich. Vielleicht sogar die Nachfah­

ren der Varganen, die ihre Herkunft längst vergessen hatten. »Was ist mit meinem Freund geschehen? Ich werde erst dann antwor­

ten, wenn ich das weiß.« »Es geht ihm gut, wenn er uns auch eine wirre und unglaubwürdige Ge­

schichte erzählte. Jedenfalls seid ihr in den Tempel eingedrungen und habt das Symbol gestohlen. Wir haben die anderen in eurem Schiff gefunden und wissen nun, daß ihr Tempelschänder seid. Der Rat der Priester hat eu­ren Tod beschlossen.«

»Das ist doch alles Unsinn!« rief ich ihnen entgegen. »Holt meinen Freund, wir werden euch alles erklären. Erinnert ihr euch nicht mehr an eure Vergangenheit, an das technische Erbe eurer Väter und Großväter? Ihr wißt doch, was ein Raumschiff ist, und ihr wißt, daß es andere Welten gibt, zu denen man mit einem solchen Schiff fliegen kann. Eure Tempel sind keine Heiligtümer, sondern die Hinterlassenschaft eines hochzivili­sierten Volkes. Ihr habt einen religiösen Kult daraus gemacht und wollt uns töten, nur weil ihr den Sinn dieser Stationen nicht kennt. Laßt mich mit den Vertretern eures Volkes reden – und löst endlich meine Fesseln.«

»Wir sind die Vertreter unseres Volkes, Fremder!« Auch das noch! Die Priester unterstanden niemandem. Sie beherrschten

das Volk, indem sie ihm abergläubische Furcht vor den Tempeln einflö­ßten, rachedurstige Götter erfanden, deren Zorn nur durch sie, die mächti­gen Priester, besänftigt werden konnte.

Und dadurch, daß gelegentlich ein Opfer dargebracht wurde, das zu­gleich dem Zweck diente, unerwünschte Personen loszuwerden.

Der Mann auf dem Bett kam wieder zu sich. Mühsam stand er auf, rieb sich die schmerzenden Glieder und kam dann zu uns heraus auf das Pla­teau. Wütend starrte er mich an.

»Er hat tausendfach den Tod verdient«, stellte er fest und ballte die Fäu­ste. »Diesmal werde ich selbst das heilige Amt übernehmen.«

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Ich konnte mir schon denken, was an dem Amt so heilig war. Wenn doch Morvoner endlich handeln würde! Die KARRETON hatte

seit dem letzten Funkkontakt jetzt bald dreimal den Planeten umrundet. So lange hatte bisher noch keine Funkpause gedauert.

Sie schalteten den Translator ab und berieten. Dann packten sie mich an Armen und Beinen und schleppten mich einen schmalen Pfad entlang, der nach unten führte. Ich konnte nichts sehen, außer über mir den Himmel und manchmal die Felsen auf der Seite des Weges.

Dann trugen sie mich in einen Raum ohne Fenster. Der Übergang von Helligkeit zu Dunkelheit war so abrupt, daß ich nichts mehr sehen konnte. Sie legten mich auf den Boden und gingen. Die Tür blieb geöffnet.

»Alles in Ordnung?« Das war Fartuloons besorgte Stimme. Meine Au­gen gewöhnten sich allmählich an das Dunkel. Er lag neben mir auf dem Boden. »Nun rede schon …!«

»Ich bin heil geblieben, aber sonst ist nichts in Ordnung«, gab ich zu­rück. »Wo sind wir? Im Dorf, das wir vom Schiff aus sahen?«

»Nein, wir sind bei den Priestern. Sie hausen abseits vom Dorf hinter der Station, meist in Höhlen. Sie werden schon gute Gründe dafür haben, sich von den übrigen Siedlern abzusondern.«

Er räusperte sich. »Und ob sie die haben! Sie sind die Wächter der Stati­on, aus der sie einen Tempel gemacht haben. Übrigens haben sie die Orga­ne in die Station zurückgeschleppt. Sie sagten es mir.«

»Und mir sagten sie, daß wir geopfert werden sollen.« »Das könnte ihnen so passen! Morvoner wird ihnen einen Strich durch

die Rechnung machen. Wie ich ihn kenne, ist er schon mit dem zweiten Beiboot unterwegs und hat längst herausgefunden, was geschehen ist. Er wartet nur den richtigen Augenblick ab.«

Hoffentlich war seine Vermutung richtig. Ohne Morvoner waren wir verloren, wenn es uns nicht rechtzeitig gelang, die Fesseln zu lösen und an unsere Waffen heranzukommen.

»Haben sie dir das Skarg abgenommen?« »Natürlich, aber sie können nichts damit anfangen.« Wir schwiegen und rollten uns so, daß wir mit den Händen zusammen­

kamen, die auf den Rücken gefesselt waren. Wir versuchten, die Stricke zu lösen, gaben unsere Bemühungen aber bald wieder auf.

»Es ist sinnlos«, keuchte Fartuloon. Zwei Stunden mochten wir in der Hütte gelegen haben. Wir hatten Hun­

ger und Durst, aber niemand dachte daran, uns etwas zu essen oder zu trin­ken zu bringen. Wahrscheinlich hielten sie das angesichts unseres bevor­stehenden Opfertodes ohnehin für eine Verschwendung.

Es war um die Mittagszeit, als wir Schritte hörten. Vier Priester betraten die Hütte und holten uns heraus. Dabei gingen sie nicht gerade zart mit

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uns um. Sie nahmen unsere Beine und zerrten uns über den Boden. Die Haut an meinen gefesselten Händen wurde abgeschürft.

Vom Berg herab kamen sie in feierlicher Prozession, mindestens fünf­zig Männer in langen Gewändern. Ihr eintöniger Singsang sollte wohl die Bedeutung der Stunde unterstreichen, für Fartuloon und mich bedeutete er den Totengesang.

Sie legten uns auf zwei Bahren, dann nahm uns der Zug in die Mitte und geleitete uns in die Ebene hinab, wo links die Station und rechts unser Schiff war. Und nun sah ich auch, welches Ende man uns zugedacht hatte. Zwischen Station und Schiff war ein riesiger Scheiterhaufen aufgeschich­tet worden. Eine roh zusammengezimmerte Treppe führte zu ihm herauf, und die beiden Pfähle ließen kein Mißverständnis darüber aufkommen, wie sich die Priester die Feierlichkeit vorgestellt hatten.

In respektvoller Entfernung hatte sich das Volk versammelt, um dem Schauspiel beizuwohnen. Ich war davon überzeugt, daß man den Siedlern eine haarsträubende Geschichte erzählt hatte, die uns als verbrecherische Tempelräuber und Heiligtumsschänder hinstellte. Um die Götter nicht noch mehr zu erzürnen, mußten wir sterben. Es würde kaum jemanden ge­ben, der gegen das Urteil der Priester protestierte. Wer sich ihnen entge­genstellte, würde wohl das nächste Opfer sein …

Ich lag auf dem Rücken und suchte den Himmel nach einem winzigen, silbernen Punkt ab, konnte aber nichts entdecken. Wenn Morvoner recht­zeitig eingreifen wollte, mußte er sich beeilen.

Unser Beiboot schien unversehrt zu sein, wenigstens konnte ich außen an der Hülle keine Beschädigungen entdecken. Die Luke war weit geöff­net. Spuren zeigten nur zu deutlich, daß mehr als ein Dutzend Männer die Organe in ihre Anlagen in die Station geschleppt hatten.

Die Bahren wurden abgesetzt. Die Priester bildeten einen Kreis um uns. Einer hielt eine Ansprache, und ich bedauerte, kein Wort davon zu verste­hen. Dann erschien jemand aus dem Hintergrund. Er trug eine Art Tablett, auf dem Fartuloons Skarg lag. Keine Spur hingegen von meinem Hand­strahler.

Das Skarg wurde auf den Scheiterhaufen gebracht und zwischen den beiden Pfählen niedergelegt.

Fartuloon knurrte: »Es wird mit uns geopfert, Atlan! Die Brüder haben den Wert meines

Schwertes erkannt! Welche Ehre!« »Ich finde, Morvoner läßt sich zuviel Zeit«, gab ich zurück. Man löste die Fesseln von unseren Füßen, aber mehr auch nicht. Durch

Gebärden gab man uns zu verstehen, daß wir aufstehen sollten. Zwei der Priester – oder Henker – machten sich bereit, uns zu begleiten. Wahr­scheinlich wollte man uns an die Pfähle fesseln.

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So lange aber wollten weder Fartuloon noch ich warten. Als ich diesmal nach oben blickte, sah ich das zweite Beiboot.

Fartuloon grinste, als er die Leiter emporstieg. Auch er hatte den silbernen Punkt am Himmel gesehen und wußte, daß Morvoner hinter den Kontrol­len hockte und den Vorgang hier unten genau beobachtete. Ra würde bei ihm sein, vielleicht auch Vorry.

»Wie lange wartet er denn noch?« flüsterte ich, als wir die Leiter em­porstiegen. »Ich habe keine Lust, mich an den Pfahl binden zu lassen.«

Fartuloon sagte mit unverkennbarem Hang zum Masochismus: »Vielleicht ist das da oben gar nicht Morvoner, sondern es sind die

Kralasenen …« Ich hätte ihn in diesem Augenblick ohrfeigen können, aber leider war

ich gefesselt. Die beiden Priester, die uns begleiteten, nahmen uns auf der Plattform

in Empfang. Ich blickte unauffällig nach oben, und es sah so aus, als bäte ich sämtliche Götter um Verzeihung.

Das Beiboot stürzte wie ein Stein in die Tiefe, genau auf uns zu. Fartuloon hatte es genau gesehen. Er stand so, daß er mit dem rechten

Fuß den Kontrollgriff des auf dem Holz liegenden Skargs berührte. Ich be­merkte, daß die beiden Schneiden wieder zu flimmern begannen, aber zum Glück lag das Schwert so, daß das Holz kein Feuer fing.

Ich begriff Fartuloons Absicht. Als er mir zunickte, gab ich dem einen der Priester mit der Schulter einen so kräftigen Stoß, daß er strauchelte, den Halt verlor und vom Scheiterhaufen stürzte. Der zweite folgte ihm, als er auf mich zurannte und Fartuloon ihm ein Bein stellte.

Gleichzeitig bückte sich Fartuloon und hob das Schwert auf, die Hände noch immer auf dem Rücken zusammengebunden.

»Los, halte die Stricke gegen die Energieschneide – aber sei vorsichtig! Und dann binde mich los. Morvoner beginnt gleich mit seinem Feuer­werk.«

Keine zehn Sekunden später war ich frei und löste Fartuloons Fesseln mit dem Skarg.

Inzwischen standen die weiter entfernten Siedler wie erstarrt. Sie hatten gesehen, wie wir uns befreiten, und das herabstürzende Beiboot war ihnen auch nicht entgangen. Sie mochten es zuerst für ein Zeichen der Götter ge­halten haben, die ihr Wohlwollen über das Verhalten der Priester bekun­den wollten. Aber dann geschah das Unfaßbare auf dem Scheiterhaufen.

Ihr Glaube begann schwankend zu werden. Die Priester glaubten ohnehin nicht an ihren eigenen Unfug, aber der

von Fanatismus geschürte Zorn über ihre plötzliche Ohnmacht den Ge­schehnissen gegenüber verlieh ihnen den Mut der Verzweiflung. Sie muß­ten ahnen, wer uns da zu Hilfe kam, denn die beiden Beiboote waren in ih­

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rer äußeren Form identisch. Sie stürmten den Scheiterhaufen. Einer warf eine Fackel, und das trockene Holz begann sofort lichterloh

zu brennen. In diesem Augenblick war Morvoner heran und eröffnete das Feuer mit

der Bugkanone. Die zuckenden Energiebündel fuhren mitten in die Prie­ster hinein und fegten sie wie Spreu zur Seite. Mit Befriedigung konnte ich bemerken, daß er die Siedler verschonte, die noch immer wie erstarrt in ei­niger Entfernung standen und das Strafgericht ihrer Götter beobachteten.

Mir wurde es heiß, denn die ersten Flammen züngelten bereits nach oben. Fartuloon nahm einen Anlauf und sprang einfach in die Tiefe. Er landete hart auf dem Boden, überrollte sich und stand schon wieder auf den Beinen. Er winkte mir zu.

»Na, worauf wartest du denn?« Ich sprang ebenfalls, aber da meine Beine noch steif waren, verstauchte

ich mir einen Fuß. Neben Fartuloon humpelte ich zu unserem Beiboot. Inzwischen räumte Morvoner mit den Priestern endgültig auf. Einige von ihnen blieben reglos liegen, während die anderen versuch­

ten, sich in den nahen Felsen in Sicherheit zu bringen. Immer neue Ener­giesalven trieben sie voran, bis sie endlich ihre Hütten und Höhlen erreich­ten, in die sie sich verkrochen.

Das Beiboot landete, und Morvoner kam heraus. Er traf uns mitten zwi­schen seinem Schiff, dem unseren und den Siedlern, die alles mit aufgeris­senen Augen und mit Scheu beobachteten, ohne zu fliehen.

»Du kamst reichlich spät«, sagte Fartuloon mit leisem Vorwurf. »So eine lebensechte Vorstellung bekommt man nur selten zu sehen,

Fartuloon. Ich hatte euch schon lange im Bild, aber ich wollte warten, bis das erhebende Schauspiel eurer Verbrennung seinen Höhepunkt erreich­te.«

»Sehr überzeugend«, beschwerte auch ich mich. »Trotzdem besten Dank für die Hilfe.« Ich deutete in Richtung der Siedler. »Klären wir sie auf?«

»Warum denn?« fragte Fartuloon. »Die Macht der Priester ist nun ge­brochen, und die Siedler werden ihre Schlußfolgerungen ziehen. Wenn sie es nicht tun, haben sie nichts anderes verdient. Aber wie ich das so sehe, werden die Priester in Zukunft arbeiten müssen, wenn sie essen wollen. So, und nun wollen wir die Organe aus der Station holen. Es wäre gut, wenn uns jemand dabei helfen würde …«

Morvoner deutete auf einige Priester, die sich wieder zu bewegen be­gannen. Die paralysierenden Energiebündel verloren ihre betäubende Wir­kung.

»Ich wüßte ein paar billige Arbeitskräfte«, sagte er.

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Und so kam es, daß die Siedler Zeuge wurden, wie ihre Priester im Schweiße ihres Angesichts das sogenannte Heiligtum selbst plünderten und die zwölf Organanlagen wieder in unser Beiboot zurückschleppten. Nach und nach verliefen sie sich und kehrten in ihre Siedlungen zurück, manche von ihnen sicherlich sehr nachdenklich geworden.

Die Priester ließen wir ungeschoren. Die Niederlage würde nicht ohne machtpolitische Folgen bleiben, das stand fest. Es gab keinen Grund für uns, die weitere soziale Entwicklung der Siedler zu beeinflussen. Sie hat­ten ihre Lektion erhalten, und es lag an ihnen, die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Morvoner sagte: »Nun habt ihr die zwölf Organe und damit einen Teil der Aufgabe ge­

löst. Was nun?« »Wir kehren zu Station fünf zurück, dort erhalten wir weitere Informa­

tionen. Du wartest in der Umlaufbahn auf uns.« Ich sah ihn an und lächel­te. »Und vielleicht bist du so gut, uns nicht aus den Augen zu lassen. Und das nächste Mal, bitte warte nicht so lange. Wir haben ganz schön Angst gehabt.«

»Also gut, das nächste Mal beeile ich mich, aber ich hoffe, es wird nicht mehr notwendig sein. Die überlebenden Kralasenen werden keine Schwie­rigkeiten mehr machen. Ich starte jetzt, und sobald ich die KARRETON erreiche, gebe ich euch die Koordinaten der fünften Station durch, oder habt ihr die Lage noch im Kopf?«

»Eine Insel sieht aus wie die andere.« »Na schön, dann also die Koordinaten. Bis dann!« Er kletterte in das zweite Beiboot, das wenig später anhob und in den

aufgezogenen Wolken verschwand. Der Scheiterhaufen war inzwischen abgebrannt. Von den Siedlern und

Priestern war nichts mehr zu sehen. Beide Gruppen würden nun mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sein.

Fartuloon klemmte seinen fetten Bauch hinter die Kontrollen. »Du kannst mir was zum Essen holen«, schlug er vor.

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7.

Wir fanden den alten Landeplatz wieder und tarnten das Beiboot gegen Sicht von oben. Die Station war dreihundert Meter entfernt, und deutlich konnten wir die herausgeschmolzene Eingangstür erkennen, obwohl es noch dunkel war. Wir hatten den Bugscheinwerfer nur für einige Sekun­den aufleuchten lassen.

Von den Kralasenen war nichts zu sehen, und auch Morvoner schien ih­re Spur verloren zu haben. Wir sicherten das Boot und legten uns ein paar Stunden schlafen. Hier waren wir in Sicherheit.

Ich erwachte, als es zu dämmern begann. Vom Sessel aus, in dem ich lag, sah ich den anbrechenden Tag durch die große Sichtscheibe über den Kontrollen schimmern. Das vertraute Geräusch von Fartuloons Schnar­chen erfüllte den Kontrollraum und wirkte beruhigend.

Ich gähnte und stand auf, um mich zu waschen und das Frühstück zu bereiten. Fartuloon sollte ruhig noch etwas schlafen.

Erst als ich in der kleinen Toilette mit der Duschanlage stand, kam mir zu Bewußtsein, daß außerhalb dieses Schiffes etwas war, das ich vorher nicht bemerkt hatte. Etwas hatte sich draußen verändert, und ich hatte es nur im Halbschlaf bemerkt, ohne weiter darauf zu achten.

Ich beeilte mich und kehrte in den Kontrollraum zurück, um nochmals durch die Sichtscheibe zu blicken.

Die Roboter! Da standen sie, aufgereiht wie Soldaten und mit den leeren Händen sa­

lutierend, als wollten sie uns willkommen heißen. Die Geste war eindeutig friedlich und ihre Bedeutung absolut klar. Wahrscheinlich hatte die Kom­puteranlage die entsprechende Anweisung an die zentrale Kontrolle gege­ben, nachdem die zwölf Organe eingesammelt und wir hier gelandet wa­ren.

Die Roboter bildeten eine Gasse, die zum Stationseingang führte. Ich weckte Fartuloon und zeigte ihm das Empfangskomitee. Er grunzte

befriedigt: »Läuft ja alles nach Programm, Atlan. Jetzt werden wir anständig früh­

stücken und dann dem Robotchef einen Besuch abstatten. Bin gespannt, was er uns zu sagen hat.«

»Ich kann es mir schon denken.« »So, und was denn?« »Das unsere Aufgabe noch nicht erfüllt ist. Es fehlt noch etwas?« »Und was fehlt?« »Ein Zentralorgan – ich will es mal so nennen. Die zwölf Organe ähneln

einander alle, keines von ihnen weist die Besonderheiten eines Zentralor­

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gans auf. Ein wenig verstehe ich von der Beschaffenheit eines harmonisch funktionierenden Körpers. Außerdem weisen die Leitungen und fehlenden Anschlüsse darauf hin, daß noch ein Organ in unserer Sammlung fehlt. Ich hoffe, wir erhalten einen Hinweis, wo wir es zu suchen haben.«

»Na, wir werden ja sehen …« Er ließ sich den Appetit durch meine Theorie nicht verderben und aß für

drei. Ich holte mir den Ersatzhandstrahler aus dem gesicherten Fach, über­prüfte die Ladung und schob ihn in den Gürtel. Ob feierlicher Empfang durch die Roboter oder nicht, ich hatte keine Lust, abermals in eine Falle zu rennen.

Morvoner meldete sich, kurz bevor wir das Boot verließen. »Ich habe die Kralasenen entdeckt. Sie sind nicht weit von euch entfernt

gelandet und verhalten sich abwartend. Kann sein, daß sie abermals an­greifen, aber ich glaube es nicht. Die haben genug.«

»Das hoffen, wir auch. Behalte sie im Auge.« »Nicht mehr lange, dann sind wir wieder auf der anderen Seite.« »Dann schleuse das Beiboot aus. Es genügt, wenn Vorry und Ra die La­

ge kontrollieren. Jedenfalls würden wir uns sicherer fühlen können.« »Gut, wird gemacht. Seid vorsichtig.« »Verlaß dich darauf!« Der Gedanke, daß das zweite Beiboot über unsere Sicherheit wachte,

beruhigte mich. Fartuloon behauptete zwar, es handele sich um eine abso­lut überflüssige Vorsichtsmaßnahme, aber sehr überzeugend klangen seine Worte nicht.

Die Sonne stand schon zwei Handbreit über dem Horizont, als wir die Luke öffneten. Fartuloon hatte nicht darauf verzichtet, sein Skarg mitzu­nehmen.

Die Roboter rührten sich nicht. Wir sicherten das Boot und verschlossen die Luke. Trotz der friedlichen Atmosphäre konnte ich ein ungutes Gefühl nicht unterdrücken, als wir an den bewegungslosen Robotern vorbeischrit­ten. Weit vor uns war die umgestürzte Tür, dahinter der Eingang zur Stati­on.

Unauffällig blickte ich nach oben. Die Wolken von gestern hatten sich verzogen oder waren noch nicht bis hierher gelangt, jedenfalls war der Himmel klar und blau. Und genau über uns, sehr hoch, entdeckte ich das Beiboot.

Das Spalier der Roboter endete fünzig Meter vor dem Eingang. Fartuloon blieb stehen. »Na schön, verlassen wir uns auf die Fairneß einer automatischen Anla­

ge. Behalte die Hand in der Nähe deines Strahlers. Wenn uns jemand her­einlegen will, frage nicht viel. Ich habe jetzt die Nase endgültig voll.«

»Komputer sind zuverlässig«, beruhigte ich ihn. »Wir haben nach sei­

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nen Anweisungen gehandelt und damit die Prüfung bestanden.« Fartuloon nickte. »Sicher, das haben wir, aber ich frage mich schon seit Tagen, warum

ein Roboter, der doch wahrscheinlich von den verschollenen Varganen programmiert wurde, ausgerechnet unsere Sprache spricht. Arkonidisch!«

Für einen Augenblick war ich verwirrt. Fartuloon hatte recht. Aber was hatte das schon zu bedeuten? Wahrscheinlich war er in mehreren Sprachen programmiert worden. Als seine Sensoren uns abtasteten, schaltete seine Programmierung richtig. Die Robotanlage wußte, daß wir Arkoniden wa­ren, also redete sie uns auch in unserer Sprache an.

Ich erklärte es Fartuloon, der sicher eine ähnliche Theorie entwickelt hatte, denn er ging ohne Entgegnung weiter.

Das Licht flammte im Korridor auf, als wir ihn betraten. Diesmal wur­den wir nicht von kleinen Robotern empfangen, auch nicht von Falltüren und Netzen, die von der Decke fielen. Selbst die Antigravsperre fehlte.

Ohne Zwischenfall erreichten wir den oberen Gang und den Saal mit der inzwischen von uns entfernten Anlage. Nur der Sockel war geblieben, und die unsichtbaren Lautsprecher in den Wänden.

Vorsichtig näherten wir uns dem Podiumssockel und blieben abwartend stehen.

Wenn wir mit Begrüßungsworten gerechnet hatten, so wurden wir ent­täuscht. Alles blieb ruhig, und nichts bewegte sich.

Endlich gab ich mir einen Ruck und sagte: »Wir haben die Aufgabe erfüllt und alle zwölf Organe mit ihren Anla­

gen eingesammelt. Du batest uns, zu dir zurückzukehren, damit du uns weitere Informationen geben kannst. Hier sind wir.«

Die Antwort kam prompt: »Ich weiß, daß ihr die Aufgabe bisher erfüllt habt, aber ihr müßt den

Quaddin-Körper zum Sprechen bringen, dann erst wird er in der Lage sein, euch den Weg in das letzte Reich der Varganen zu zeigen.«

»Quaddin-Körper? Wir verstehen nicht ganz …« »Ihr habt zwölf Organe gefunden und in euer Schiff gebracht. Also fehlt

noch ein Organ, das dreizehnte. Es ist das Zentralorgan, ohne das der Quaddin-Körper stumm bleibt. Findet noch das Zentralorgan, sonst war al­les umsonst.«

Meine Vermutung hatte sich bestätigt. Es gab also noch ein weiteres Or­gan, wahrscheinlich das wichtigste, irgendwo auf diesem verrückten Pla­neten, und wir mußten es finden.

»Wo finden wir das Zentralorgan?« fragte Fartuloon, ehe ich die gleiche Frage stellen konnte. »Wir brauchen jeden erlaubten Hinweis. Wirst du ihn uns geben?«

Es entstand eine kleine Pause. Ich konnte mir vorstellen, daß der Robo­

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ter den Programmierungsspeicher befragte, was erlaubt und was verboten war. Obwohl ich mir allmählich wie ein untergeordneter Diener einer au­tomatischen Anlage vorkam, hätte ich jetzt nicht aufgegeben, wenigstens nicht so dicht vor dem Ziel.

Die Stimme unterbrach die bedrückende Stille: »Hinweise genehmigt. Der erste: das gesuchte Hauptorgan befindet sich

nicht, ich wiederhole: nicht auf dieser Welt, die ihr Gebharon genannt habt. Aber es befindet sich in diesem Sonnensystem. Ende der Informati­on.«

Fartuloon sah mich an. »Nicht auf Gebharon? In diesem System? Wo denn?« »Das sind drei Fragen. Ich bin beauftragt, nur noch eine einzige zu be­

antworten.« Zum Glück schaltete Fartuloon schnell genug, um unsere letzte Chance

nicht zu vergeben. »Wo befindet sich das Zentralorgan – auf welchem Planeten?« Die Antwort kam sofort: »Auf der schwarzen Welt Za'Ibbisch, auf dem sechsten Planeten dieses

Sonnensystems. Dies war der letzte Hinweis auf die geographische Lage. Es folgen nur noch Ratschläge.«

Die waren immer noch besser als nichts, dachte ich bei mir, und ich sah an Fartuloons Gesichtsausdruck, daß seine Gedankengänge in ähnlichen Bahnen verliefen.

»Haben schon andere vor uns versucht, den Quaddin-Körper zusam­menzusetzen? Warum gelang es ihnen nicht, falls es der Fall war?«

Es gab wieder eine kürzere Unterbrechung. Ich konnte mir vorstellen, daß der Informationsspeicher der Robotanlage eine Unzahl von Daten in sich aufnehmen konnte, die darauf warteten bei Bedarf abgerufen zu wer­den. Dann gab es sicherlich eine Kontrollstelle, die vorher die Genehmi­gung erteilen mußte, eine Art Sperre, die wir selbst nicht durchbrechen konnten. Sonst wäre alles viel einfacher gewesen …

»Andere haben es versucht«, sagte die Robotstimme endlich, »aber sie scheiterten. Sie waren nicht qualifiziert. Mehr darf ich nicht mitteilen.«

Ich sah Fartuloon an, daß er krampfhaft nach der nächsten Frage suchte, aber auch ihm schien es nun klarzuwerden, daß unsere Chancen geringer wurden, je mehr Fragen wir stellten. Wahrscheinlich war die Zahl be­schränkt, und wenn wir die genehmigte Menge erreichten, oder wenn wir sie gar überschritten, war das Unternehmen gescheitert.

Er schwieg. »Noch Fragen und Informationswünsche?« lockte das Robotgehirn. »Keine Fragen mehr«, sagte ich schnell, ehe Fartuloon in anderem Sin­

ne antworten konnte. »Wir werden mit den zwölf Organen nach Za'Ibbisch

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fliegen und sie mit dem Zentralorgan vereinigen. Das letzte Reich der Var­ganen wird sich später seiner Besucher nicht zu schämen brauchen. Wir danken dir für deine Kooperation.«

»Kooperation ist meine Pflicht, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Ende.«

Die Stimme schwieg. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß noch eine für uns ungemein wichti­

ge Information fehlte, aber es war nun zu spät, weitere Fragen zu stellen. Damit hätten wir vielleicht alles nur verdorben.

Vielleicht hatte der Blinde Sofgart diesen Fehler begangen. Das wäre ei­ne logische Begründung für sein Verhalten, uns die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen. Aber warum dann wieder die sinnlosen Angriffe der Kralasenen?

Fartuloon sagte einfach: »Gehen wir, die Aufgabe liegt vor uns.« Wir erreichten den Korridor und den Eingang. Die Roboter standen

noch immer Spalier. Sie hatten sich in der Zwischenzeit nicht von der Stel­le gerührt – eine beruhigende Tatsache. Vielleicht hatten sie sogar den Auftrag erhalten, unser Beiboot zu bewachen.

Fartuloon sah auf seine Uhr und schaltete den Ersatz-Telekom ein, den er vorsichtshalber mitgenommen hatte.

»Morvoner müßte wieder auf Empfang sein«, murmelte er. »Wir wollen ihm mitteilen, daß wir zu KARRETON zurückkehren.«

»Mit unserem schönen, frischen Fleisch?« fragte ich mit Betonung. Er warf mir einen überraschenden Blick zu. »Du willst doch damit nicht etwa andeuten, daß wir …?« Er verstummte, denn Morvoner meldete sich leise. Wahrscheinlich kam

das Schiff gerade über den Horizont, und die Entfernung war noch zu groß.

»Bleibt besser, wo ihr jetzt seid!« riet er, als Fartuloon den Empfang be­stätigt hatte. »Da ist einiges los inzwischen.«

Ich übernahm. »Was ist los? Berichte!« »Erst einmal folgendes: ein automatisch gesteuerter Raumtorpedo folgt

der KARRETON, holt aber nicht auf. Der Abstand bleibt gleich. Er ist mit Sicherheit unbemannt und fliegt mit Automatik, aber mit Zielsteuerung. Frage: sollen wir ihn unschädlich machen, ehe sich die Programmierung es anders überlegt?«

»Woher kommt er?« fragte ich verblüfft. »Kurs läßt sich nicht zurückberechnen, da Änderungen im Flug nicht

ausgeschlossen. Wir haben den Eindruck, es handelt sich mehr um eine Beobachtungsstation, die notfalls auch das Ziel vernichten kann.«

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»Der Abstand verändert sich nicht?« »Er bleibt gleich«, wiederholte Morvoner. Fartuloon nickte mir zu, ließ aber den Telekom, der an seinem Arm be­

festigt war. »Gut, dann behaftet es unter Aufsicht. Sobald es die Geschwindigkeit

erhöht und sich der KARRETON nähert, vernichtet das Ding.« »In Ordnung.« Ich erkundigte mich: »Das war die erste Information. Was ist sonst noch los?« »Das dürfte vielleicht nicht so wichtig sein, aber es ist zumindest inter­

essant. Auf der anderen Seite von Gebharon ist jetzt Nacht. Auf der Insel, auf der die Priester euch verbrennen wollten, scheint der Teufel ausgebro­chen zu sein. Der Fuß des Gebirges steht in Flammen.«

»Was soll das heißen: in Flammen?« »Alles brennt! Besonders in der Umgebung der Station brennt es.« Mir war sofort klar, was geschehen war. Die Siedler hatten viel schnel­

ler reagiert, als ich es erwartet hatte. Sie mußten sich entschlossen haben, der Herrschaft der Priester sofort ein Ende zu machen. Sie hatten sich zu­sammengetan und die Wohnstätten der Männer mit den langen Gewändern angegriffen und in Brand gesteckt.

Ich konnte ein Gefühl der Genugtuung nicht unterdrücken, wenn ich auch durchaus die positiven Seiten einer Religion zu schätzen wußte. Was ich haßte, war nur das Parasitentum gewisser Personen, die es verstanden hatten, sich eine Machtposition zu erschwindeln und von der Angst des Volkes zu leben. Es gab unzählige Beispiele dieser Art, und stets wurde die tief im Herzen einer jeden Intelligenz schlummernde Furcht vor dem Tode dazu benutzt, sich Vorteile zu schaffen.

Ich gönnte den Priestern von Gebharon ihr jetziges Schicksal. »Es brennt nur in der Nähe der Station?« vergewisserte ich mich vor­

sichtshalber. »Nur dort. In den Ansiedlungen ist es dunkel, bis auf vereinzelte Lichter

in den Häusern. Sollen wir uns darum kümmern?« »Nein, Morvoner. Ich glaube, wir haben dort schon genug geholfen. Mir

bereitet nur der Torpedo Sorgen. In einer halben Stunde sind wir bei euch. Sendet das Peilzeichen. Wir starten in zehn Minuten.«

»Gut, wir erwarten euch. Ende.« Fartuloon meinte bedauernd: »Nun wird es doch nichts mit deinem Vorschlag, das Fleisch betref­

fend.« Ich konnte es ihm nachfühlen, denn auch ich bedauerte, Gebharon

schon verlassen zu müssen. »Das Fleisch verdirbt nicht. Wir werden schon eine Gelegenheit finden,

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das Versäumte nachzuholen. Öffne die Luke.« Die Kralasenen schienen endgültig aufgegeben zu haben. Sie griffen

uns nicht mehr an und ließen uns unbehindert starten. Minuten später waren wir unterwegs zur KARRETON, die uns auf ihrer

Kreisbahn entgegenkam. Der Raumtorpedo war etwa zehn Meter lang und folgte dem Schiff mit ei­ner Präzision, die mich in Erstaunen versetzte. Es war offensichtlich, daß er Massetaster besaß, die mit der Navigation und Zieleinrichtung gekop­pelt sein mußten. Die geringste Kursänderung der KARRETON genügte, auch seinen Kurs zu ändern.

Wir hatten das Beiboot im Hangar verankert und die zwölf Organanla­gen vorerst im Lagerraum gelassen. Da waren sie sicher.

Morvoner sah auf den Panoramaschirm und runzelte die Stirn. »Das gefällt mir nicht, Atlan. Jemand muß das Ding ja hinter uns herge­

schickt haben, aber wer? Die Kralasenen vielleicht? Das glaube ich nicht. Wenn sie es gekonnt hätten, wäret ihr nicht so glimpflich davongekommen auf Gebharon. Und die Siedler? Sie sind froh, wenn sie elektrisches Licht haben und Gewehre mit Sprenggeschossen. Wer also?«

»Der Blinde Sofgart?« vermutete Fartuloon, der bequem in seinem Kontursessel lag und den Bildschirm nicht aus den Augen ließ. Seine rech­te Hand lag in der Nähe der Kontrollen für den Feuerleitstand. »Warum sollte er, wenn wir für ihn die Aufgabe lösen?«

»Noch haben wir sie nicht gelöst«, machte ich ihn aufmerksam und füg­te hinzu: »Außerdem greift der Torpedo ja auch nicht an.«

»Glaubst du, es ist ein schönes Gefühl, ihn ständig hinter uns zu wis­sen? Ich bin gespannt, was er tun wird, wenn wir beschleunigen, um den sechsten Planeten anzusteuern. Ob er uns folgt?«

»Und wenn er es tut, was dann?« fragte Morvoner. Ich wußte, daß die beiden Fragen eine Entscheidung für mich bedeute­

ten. Und ich hatte mich längst entschieden. »Dann vernichten wir ihn«, sagte ich. Morvoner bereitete das Abflugmanöver vor und programmierte es. Wir

würden aus der Umlaufbahn ausbrechen und hoch beschleunigen, mit di­rektem Kurs auf den sechsten Planeten, den die Robotanlage auf Gebharon mit dem Namen Za'Ibbisch bezeichnet hatte.

Ich ließ den uns folgenden Torpedo nicht aus den Augen. Er war klein, aber seine schimmernde Hülle strahlte eine Tödlichkeit aus, die mich schaudern ließ. Wie sollte ich wissen, was er in seinem Innern barg? An eine bloße Beobachtungsstation glaubte ich nicht.

Morvoner sagte: »Die Beschleunigung beginnt in zehn Sekunden, gleichzeitig erfolgt die

notwendige Kurskorrektur. Achtung, noch fünf Sekunden …«

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Fartuloon hatte inzwischen längst die Feuerleistelle auf das Ziel pro­grammiert. Wenn er auf den Knopf drückte, würden unsere Geschütze Tod und Verderben gegen den Torpedo schleudern und ihn vernichten.

Wir spürten den Andruck nicht, als die KARRETON aus ihrer bisheri­gen Flugbahn gerissen und auf den neuen Kurs gebracht wurde. In der gleichen Sekunde setzte die Beschleunigung ein.

Gebannt beobachtete ich, was der Torpedo machte. Die dort vorprogrammierte Anlage reagierte ohne Zeitverlust. Der Tor­

pedo beschleunigte ebenfalls und folgte uns. Er schien mit der KARRE­TON durch unsichtbare Kommandoleitungen verbunden zu sein.

Fartuloon sah mich fragend an. »Das wäre es dann ja wohl«, murmelte ich und nickte ihm zu. Er drückte den Knopf ein und lehnte sich zurück, um besser sehen zu

können. Die Entfernung zum Torpedo betrug dreieinhalb Kilometer. Die grellen Energiebündel schossen aus dem Heck, auf unserem Bild­

schirm deutlich zu erkennen, der schon längst auf Heck geschaltet war. Sie hüllten den Torpedo ein und ließen ihn für einen Moment verschwinden, so als hätten sie ihn verschluckt.

Dann erfolgte die Explosion. Es war, als entstände hinter der KARRETON eine neue Sonne, die sich

rasend schnell aufblähte und deren feuriger Rand uns einzuholen drohte. Aber wir waren bereits zu schnell.

Morvoner holte tief Luft. »Das Ding hat aber eine ziemlich wirksame Ladung an Bord gehabt!

Nicht nur Kameras und Sensoren.« »Antimaterie, durch eine normale Atombombe gezündet«, vermutete

Fartuloon. »Der Torpedo hätte uns mit einem großartigen Feuerwerk ins Jenseits befördert.«

Der Feuerball wurde wieder kleiner und blieb zurück, weil wir noch im­mer beschleunigten. Er bedeutete keine Gefahr mehr für uns und unser Schiff.

Morvoner schaltete den Bugschirm wieder ein, damit wir unser Ziel ausmachen konnten, wenn die Positronik der Navigation es auch schon längst erfaßt hatte.

Zuerst sah ich überhaupt nichts, nur die fremden Sternbilder und unbe­kannten Konstellationen. Aber dann, als Morvoner mich darauf aufmerk­sam machte, erkannte ich den Dunkelplaneten Za'Ibbisch.

Vor dem milchigen Hintergrund der Galaxis hob sich ein schwarzer Fleck ab, der ständig größer wurde. Mir war, als stürzten wir in einen lichtlosen Krater hinein.

Fartuloon sagte mit verhaltener Stimme:

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»Za'Ibbisch, der sechste Planet des Schwarzen Systems! Unser Ziel! Das Zentralorgan wartet dort auf uns. Wir werden es finden!«

Ich fand seinen plötzlichen Optimismus wenig überzeugend und fehl am Platz.

Irgendwo, tief in meinem Unterbewußtsein, meldete sich mein Extra­hirn und warnte mich. Bisher hatte es noch nie ohne Grund gewarnt.

Stumm und voll banger Ahnung sah ich auf den Bildschirm. Was erwartete uns auf einer Welt, die kein Licht kannte? Fartuloon war es, der mich aus meinen Gedanken riß. »Was ist, Atlan? Hast du vergessen, was wir von Gebharon mitbrach­

ten? Wir haben noch einige Stunden Zeit, und ich glaube, wir haben uns ein kräftiges Abendessen verdient.«

Nur zu bereitwillig ließ ich mich ablenken. »Das Hubakkel, richtig! Morvoner, dürfen wir dich einladen?« Morvoner nahm einige Schaltungen vor. »In fünf Stunden muß ich wieder übernehmen, bis dahin überlassen wir

die KARRETON der Automatik. Ich nehme die Einladung an! Aber ich glaube, auch die anderen würden sich freuen …«

Ich stand hastig auf. »Sicher, auch die anderen. Ich gehe Farnathia holen.« ENDE

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