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PREMIERE 9.3.2018 von Anna Seghers Regie: Lars-Ole Walburg DAS SIEBTE KREUZ

DAS SIEBTE KREUZ · 2020-01-31 · Anna Seghers Roman „Das siebte Kreuz“ zeigt, wie sich Vertreter*innen verschiedener ge-sellschaftlicher Gruppen Deutschlands zum nati-onalsozialistischen

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Anna Seghers, als Jüdin und Kommunistin doppelt gefährdet, emigrierte bereits im Frühjahr 1933 mit ihrer Familie über Frankreich nach Mexiko. Sie schrieb in den fünfzehn Jahren des Exils fünf Romane, zahlreiche Erzählungen und beteiligte sich auch publizistisch am antifaschistischen Kampf. Für ihre Romane „Transit“ und „Das siebte Kreuz“ erhielt sie diverse Ehrungen und Preise, die die Schriftstellerin weltberühmt machten. Nach ihrer

Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen. → William Faulkner

Ich werde einen kleinen Roman beenden nach einer Begebenheit, die sich vor kurzem in Deutschland zutrug. Eine Fabel also, die Gelegenheit gibt, durch die Schicksale eines ein-

zelnen Mannes sehr viele Schichten des faschistischen Deutschlands kennenzulernen.→ Anna Seghers, 1938

Sieben Männer fliehen aus einem Konzentrationslager. Einer wird sofort geschnappt, die anderen werden nach und nach wieder eingefangen und im KZ an Platanen gebunden, die, mit gekuppter Krone und mit Querbalken versehen, als Kreuze die vermeintliche Allmacht der faschistischen Staatsgewalt demonstrieren. Nur einer der sieben, Georg Heisler, befindet sich am Ende noch auf der Flucht. Sollte das für ihn gedachte Kreuz leer bleiben?

Ein kleiner Triumph, gewiss, gemessen an unserer Ohnmacht. Und doch ein Triumph, der einen die eigene Kraft plötzlich fühlen ließ nach wer weiß wie langer Zeit,

jene Kraft, die lang genug taxiert worden war, sogar von uns selbst. → Das siebte Kreuz

Nach den Romanen „Der Kopflohn“ und „Die Rettung“, die sich mit dem Erstarken des Nati-onalsozialismus und den Bedingungen seiner Machtübernahme auseinandersetzen, werden im „siebten Kreuz“ Alltag, Herrschaftsform und Widerstand im konsolidierten Faschismus zum Thema. Anna Seghers Roman „Das siebte Kreuz“ zeigt, wie sich Vertreter*innen verschiedener ge-sellschaftlicher Gruppen Deutschlands zum nati-onalsozialistischen System verhalten und wie sie allzu bereitwillig mitmachen, sich anpassen oder sich dagegen wehren und dies aus ganz unter-schiedlichen Motiven. Die Geschichte der Flucht Heislers wird über den konkreten zeithistorischen Kontext hinaus zu einem Paradigma. Georg Heisler wird dabei zum Symbol des Flüchtenden, der in sieben Tagen kaum ein Auge zu macht, der wie ein Tier durch Abwasserkanäle kriecht und im dauernden Verkleidungs- und Versteckzwang durch Mainz und Frankfurt irrt. Die Vielstimmig-keit und Episierung des Textes steht dabei für die gesamte Gesellschaft, für das Handeln von und

Rückkehr 1947 entschied sie sich für ein Leben in Ost-Berlin. Bis 1978 war sie als Vorsitzende des Schriftstellerverbandes eine der wichtigsten litera-rischen Repräsentant*innen der DDR. Für sie gab es nur eine Lebensaufgabe: „Schreiben, um zu verändern.“ Und das hieß konkret aus der Vergan-genheit zu lernen und zu helfen eine Gesellschaft aufzubauen, die diese schrecklichen Fehler der Vergangenheit nie mehr wiederholt.

in der Gemeinschaft. Die Flucht Heislers treibt die Figuren an, zwängt alle mit ihm in Berührung kommenden Figuren in eine Konfliktsituation und verlangt ihnen eine bewusste Entscheidung ab. Dabei wird der ständige Wechsel zwischen Fluchtverhalten, dem dauerhaften in Bewegung sein und all dem Unausgesprochenen während des gemeinsamen, ängstlichen Abwartens, schier unerträglich. Heisler muss das eigene Leben immerfort in die Hände anderer legen und gleich-zeitig nimmt er in Kauf, dass seine Helfer mitsamt ihrer Angehörigen in eine lebensbedrohliche Situation gebracht werden. Dabei trifft er, nach seiner langen Haft im Konzentrationslager, auf eine veränderte Welt, in der sich die meisten mit dem System Nazideutschland arrangiert zu haben scheinen. Im „siebten Kreuz“ werden Menschen gezwungen, sich zu entscheiden und damit zu offenbaren, ob sie den humanen Kern noch be-sitzen, der, wie es im Roman heißt, „unangreifbar und unverletzbar“ ist. Die Frage ist universell: Wie würde ich mich entscheiden?

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Das Wagnis ist: Wir fangen etwas an; wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Bezie-hungen. Was daraus wird, wissen wir nie. Wir sind alle darauf angewiesen zu sagen: Herr vergib ihnen, was sie tun, denn sie wissen nicht, was sie tun. Das gilt für alles Handeln.

Einfach ganz konkret, weil man es nicht wissen kann. Das ist ein Wagnis. Und nun würde ich sagen, daß dieses Wagnis nur möglich ist im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt, in einem – schwer genau zu fassenden, aber grundsätzlichen – Vertrauen auf das

Menschliche aller Menschen. Anders könnte man es nicht. → Hannah Arendt

Die Flucht symbolisiert aber auch eine Kraft, einen potenziellen Widerstand, der sich dem Bestehenden entzieht. Selbst in der grausamsten Unterdrückung, in der die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, steht die Flucht für die Antastbarkeit und

Es darf sich, wer sich als Allmacht aufspielt, niemals irren, weil es entweder Allmacht ist oder gar nichts.

→ Das siebte Kreuz

Das Unterwandern und infrage stellen ihrer vermeintlichen Allmacht ist anhand der Geschichte Georg Heislers exemplarisch. Die Menschen, die sich für Heisler einsetzen, antizipieren perspektivisch bereits ein Stück Leben, Menschlichkeit und Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Wie Erinnerung stattfindetWie wird 73 Jahre nach dem Ende des nationalso-zialistischen Regimes eigentlich in Deutschland erinnert? In einer Studie der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ am Institut für inter-disziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld wurde im Februar 2018 eine repräsentative Befragung von 1.000 Personen im Alter von 16 bis 92 Jahren durchgeführt. Über den Nationalsozialismus erfahren fast alle Interviewten in der Schule (98,4%). Das Internet spielt als Informationsquelle bei jüngeren Befrag-ten eine immer wichtigere Rolle: 94,3% der unter 30-Jährigen setzen sich dort mit dem Thema auseinander. Diese Informationsquelle wird aber gleichzeitig als wenig prägend erlebt. Ein Großteil der befragten Personen gibt schließlich an, Orte des Erinnerns wie Gedenkstätten oder Mahnmale aufzusuchen. Dabei hinterlässt der Besuch von Stätten, die an die Vernichtung von Menschen durch den Nationalsozialismus erinnern, nach Meinung der Befragten den stärksten bleibenden Eindruck.

Fehlbarkeit solcher Systeme. Der Ausbruch ist im „siebten Kreuz“ der Versuch, sich der vermeint-lichen Allmacht des Systems zu entziehen. Die Aufgabe des Terrors, die lückenlose Vernichtung des Widerstandes, ist für einen Moment gescheitert.

Auch wenn die Diskussion um den obligatorischen Besuch in Auschwitz oder Dachau immer wieder neu entfacht, Fakt ist: „Wir haben kein anderes Mittel als Aufklärung“, so Julius H. Schoeps, Professor für deutsch-jüdische Geschichte. Erst recht in Zeiten, in denen in geschlossenen Facebook-Gruppen bekennende Rechte gegen Flüchtlinge hetzen, den Holocaust leugnen, vor einer „muslimischen Invasion“ warnen, die neue Rechte pseudowissenschaftlich mit der Rassen-lehre argumentiert und eine in den Bundestag gewählte rechtspopulistische Partei gegen unsere Rechtsstaatlichkeit agiert, ein rechtskonservatives Familienbild und völkisches Gesellschaftmodell propagiert, das Grundgesetz umdeutet und das Recht auf Presse- und Religionsfreiheit angreift. Erinnern bedeutet, Geschehnisse der Vergan-genheit im Bewusstsein zu halten, die unsere Gegenwart bestimmen und uns der Grundlagen unseres Zusammenlebens zu versichern. Erinnern ist deshalb auf die Vergangenheit, die Gegenwart und auf die Zukunft gerichtet.

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Dauer: ca. 110 Minuten, ohne PauseAufführungsrechte: Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH, Berlin

Nachweise: Angela Drescher (Hg.), „Christa Wolf - Anna Seghers. Das dicht besetzte Leben. Briefe, Gespräche und Essays“, Berlin 2003; William Faulkner, „Requiem für eine Nonne“, Zürich 1956; Anna Seghers, „Das siebte Kreuz. Ein Roman aus Hitlerdeutschland“, Berlin 1998; Werner Roggausch, „Das Exilwerk von Anna Seghers, 1933-1939“, München 1979; Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, in der Sendung „Zur Person“, ZDF 28.10.1964; www.stiftung-evz.de/service/presse-bereich/pressemitteilungen-2018/pm-studie-erinnerungskultur.html

Besonderer Dank an Hans Berkessel (Historiker, Mainz)

Herausgeber: Theater Oberhausen, Will-Quadflieg-Platz 1, 46045 Oberhausen Telefon: 0208/85 78 184; [email protected]: Florian Fiedler Redaktion: Patricia Nickel-Dönicke Gestaltung, Titelbild: moxie.de Foto: Ant PalmerAuf dem Foto: Martin Engelbach Druck: Druckverlag Kettler

Das siebte Kreuzvon Anna Seghersin einer Bühnenfassung von Lars-Ole Walburg

Mit: Clemens Dönicke, Martin Engelbach, Burak Hoffmann, Emilia Reichenbach, Daniel Rothaug und Lise Wolle

Regie: Lars-Ole Walburg; Bühne: Maria-Alice Bahra; Kostüme: Annika Lohmann; Musik: Martin Engelbach; Dramaturgie: Patricia Nickel-Dönicke

Regieassistenz: Josef Zschornak; Bühnenbildassistenz: Deborah Kötting; Kostümassistenz: Andrea Barba; Regiehospitanz: Lorenz Krieger; Dramaturgiehospitanz: Lena Carle; Theaterpädagogik: Anke Weingarte; Technischer Direktor: Bodo von Husen; Licht: Thomas Tarnogorski; Ton & Video: Philipp Schmidt (Leiter), Torsten Hennig; Bühnenmeister: Gunther Elsasser; Chefmaskenbildner: Thomas Müller; Maske: Ilka Freiin von Forstner, Jürgen Korkesch (stellv. Chefmaskenbildner); Werkstätten: Andreas Parker; Gewandmeisterei: Daphne Kitschen; Ankleiderinnen: Ewelina Fischer, Sabrina Jacoby; Requisite: Rainer Taegener (Leiter), Judith Bayer, Roman Firgau; Inspizienz: Stephanie Simons; Soufflage: Markus Henkel

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Eine Wirklichkeit ist unsaus den Büchern gekommen,

die wir im Leben nochnicht gekannt haben.

→ Anna Seghers

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