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§ 7. Das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung in den Schriften der römischen Klassiker: II. Die Besitzumwandlung unter Lebenden A. Eigentumserwerb durch Besitzumwandlung I. D. 41,2, 3,19-20: Eigentumserwerb des Detentors Wir beginnen mit einem recht einfach gelagerten Sachverhalt, den Paulus im 54. Buch seines Ediktskommentars diskutiert: 1. Text und Übersetzung Paulus libro LIV ad edictum: § 19. Mud quoque a veteribus praeceptum est neminem sibi ipsum causam pos- sessionis mutare posse. § 20. Sed si is, qui apud me deposuit vel commodavit, earn rem vendiderit mihi vel donaverit, non videbor causam possessionis mihi mutare, qui ne posside- bam quidem. Paulus in seinem 54. Buch zum Edikt: § 19. Auch haben die Alten angeordnet, niemand könne sich eigenmächtig den Grund seines Besitzes verändern. § 20. Wenn aber deqenige, der mir etwas in Verwahrung gegeben oder gelie- hen, mir diese Sache (anschließend) verkauft oder geschenkt hat, so wird man von mir nicht behaupten können, ich änderte mir den Grund meines Besitzes, besaß ich doch (zuvor) nicht einmal. 2. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Ebenso wie Julian weist auch Paulus am Anfang seiner Entscheidung auf die traditionale Überkommenheit unseres Diktums hin. Er entnimmt die Re- Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 12/8/14 1:01 AM

Das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung im römischen Privatrecht (Ein Beitrag zur rechtshistorischen Spruchregelforschung) || § 7. Das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung

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§ 7. Das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung in den Schriften der römischen Klassiker: II. Die Besitzumwandlung unter Lebenden

A. Eigentumserwerb durch Besitzumwandlung

I. D. 41,2, 3,19-20: Eigentumserwerb des Detentors

Wir beginnen mit einem recht einfach gelagerten Sachverhalt, den Paulus im 54. Buch seines Ediktskommentars diskutiert:

1. Text und Übersetzung

Paulus libro LIV ad edictum: § 19. Mud quoque a veteribus praeceptum est neminem sibi ipsum causam pos-sessionis mutare posse. § 20. Sed si is, qui apud me deposuit vel commodavit, earn rem vendiderit mihi vel donaverit, non videbor causam possessionis mihi mutare, qui ne posside-bam quidem.

Paulus in seinem 54. Buch zum Edikt: § 19. Auch haben die Alten angeordnet, niemand könne sich eigenmächtig den Grund seines Besitzes verändern. § 20. Wenn aber deqenige, der mir etwas in Verwahrung gegeben oder gelie-hen, mir diese Sache (anschließend) verkauft oder geschenkt hat, so wird man von mir nicht behaupten können, ich änderte mir den Grund meines Besitzes, besaß ich doch (zuvor) nicht einmal.

2. Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Ebenso wie Julian weist auch Paulus am Anfang seiner Entscheidung auf die traditionale Überkommenheit unseres Diktums hin. Er entnimmt die Re-

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216 2. (Besonderer) Teil

gel dem überlieferten Gedankengut der veteres, der (spät)republikanischen Juristen, von denen sie als Rechtsvorschrift aufgestellt worden sei. Die Worte praeceptum est sowie die Berufung auf die auctoritas der veteres deuten an, daß noch der Spätklassiker Paulus sich an das Rechtsprinzip ge-bunden fühlt, den normativen Geltungsanspruch der Verbotsanordnung an-erkennt.487 Fraglich ist allein, ob nemo sibi ipse... im vorliegenden Fall zur Anwendung kommt: Der Eigentümer einer (beweglichen) Sache hatte diese leihweise oder zur Verwahrung in die Hände des ego gegeben. Später ver-kauft oder schenkt der Eigentümer dem ego die anvertraute Sache. Steht das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung dem Eigentumserwerb des ego entgegen?

Ein Eigentumserwerb durch traditio scheitert hier nicht bereits an der fehlenden Übergabe der Sache. In spätklassischer Zeit war längst anerkannt, daß der Realakt der Besitzübertragung entbehrlich ist, wenn der Erwerber die Sachgewalt schon vor Abschluß des Erwerbsgeschäfts erlangt hat. Die an sich erforderliche (erneute) Übergabe wird in diesem Fall durch eine den Eigenbesitz des Erwerbers begründende Vereinbarung der Parteien ersetzt, gemeinrechtlich sogenannte brevi manu traditio.m Der danach prinzipiell mögliche Eigentumserwerb durch brevi manu traditio setzt freilich voraus, daß der neubegründete Eigenbesitz des Erwerbers auf einer wirksamen iusta causa possessionis basiert. Eine solche iusta causa könnte ego aufgrund des Kaufgeschäfts respektive aufgrund der Schenkung erlangt haben, nämlich den Erwerbstitel pro emptore oder pro donato. Es fragt sich allerdings, ob ego sich diesen Erwerbstitel nicht durch eigenmächtiges causam mutare verschafft hat. Man ist geneigt zu antworten: Selbstverständlich nicht! Zwar verwandelt ego seine ursprüngliche Besitzgrundlage: Aus Leihe oder Ver-wahrung, mithin bloßer Detention, wird zivilrechtlich qualifizierter Eigen-besitz. Doch nimmt ego die Besitzumwandlung nicht eigenmächtig vor,

487 Zur Bindungswirkung normativ geltender Rechtsprinzipien oben, § 4 D.I. (S. 57f.) u. ΠΙ. (S. 60).

488 S. o., § 5 B.I.3.a)cc) (S. 137) mit Fn. 375; zu unserer Stelle ausfuhrlich Gordon, Transfer of Property, S. 39ff.

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§ 7. Besitzumwandlung unter Lebenden 217

sondern im Einverständnis mit dem verfügungsberechtigten Eigentümer. Sein Verhalten ist daher nicht sanktionsbedürftig, für einen Verstoß gegen nemo sibi ipse... bleibt kein Raum.489

Paulus indes wählt eine andere Begründung, um die Anwendung unserer Spruchregel auszuschließen. Da ego die Sache vor Abschluß des Erwerbs-geschäfts nicht besessen habe, fehle es bereits an der von nemo sibi ipse... geforderten Besitzgrundänderung. Genau wie Julian in D. 41, 3, 33, 1, Fall B.)490, verleiht Paulus dem Besitzbegriff unserer Maxime also bewußt eine enge Interpretation, die die Fälle der Detention nicht erfaßt. Er beschränkt das Merkmal der possessio auf die Tatbestände des juristisch qualifizierten Besitzes und schließt den Detentor damit von vornherein aus dem Kreis der Verbotsadressaten aus. In der Begründung des Eigenbesitzes durch ego liegt demnach keine Besitzveränderung, sondern der Ersterwerb der possessio, deren zivilrechtliche Qualifikation den Erwerb des quiritischen Eigentums rechtfertigt.

Auf dem argumentativ einfachsten Weg erreicht Paulus somit das ge-wünschte Ergebnis, dem ego den Eigentumserwerb zu gestatten. Er läßt das Eingreifen der Maxime an demjenigen Tatbestandsmerkmal scheitern, des-sen Verneinung den geringsten Begründungsaufwand erfordert, am anfäng-lich fehlenden Besitz des ego. Eine Beschränkung des Merkmals possessio auf die Fälle des rechtlich anerkannten Besitzes entzieht den ego als bloßen Detentor von vornherein dem Geltungsbereich der Spruchregel. Daraus folgt allerdings nicht, Paulus habe die Anwendbarkeit des Satzes nemo sibi ipse... auf die Tatbestände der Detention generell ablehnt. Lediglich dort, wo der Detentor keine unzulässige Besitzumwandlung begeht, sorgt eine präzisierende Auslegung im Einzelfall dafür, daß die Reichweite der Ver-

489 Mit genau dieser Begründung verneint Julian einen Verstoß gegen nemo sibi ipse... in D. 41, 3, 33, 1, Fallbeispiel Α.Π.Ι.). Dort allerdings besaß der Käufer zuvor nicht als Detentor, sondern als pro possessore possidetis; vgl. ο., § 6 B.n.2.c)aa) (S. 181). Gleich-wohl meinen Schloßmann, SZ 24 (1903), S. 40, und Hausmaninger, Nemo sibi ipse, S. 404, mit derselben Begründung hätte auch Paulus die Anwendung der Maxime ablehnen müssen.

490 S. o., § 6 B.n.2.d) (S. 188).

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botsanordnung eingeschränkt wird.491 Der Jurist erhält so die Möglichkeit, auf die schnellste und kürzeste Weise die Unbeachtlichkeit unseres Diktums zu begründen.

II. D. 41, 6 , 1 , 2 : Schenkungsersitzung des geschiedenen Ehegatten

Ein weiteres Paulusfragment aus demselben 54. Buch seines Ediktskom-mentars behandelt die Ersitzung eines Geschenks unter Ehegatten:

1. Text und Übersetzung

Paulus libro LIV ad edictum: a.) Si inter virum et uxorem donatio facta sit, cessat usucapio. b.) item si vir uxori rem donaverit et divortium intercesserit, cessare usucapio-nem Cassius respondit, quoniam non possit causam possessionis sibi ipsa mu-tare: c.) alias ait post divortium ita usucapturam, si eam maritus concesserit, quasi nunc donasse intellegatur.

d.) possidere autem uxorem rem a viro donatam lulianus putat.

Paulus in seinem 54. Buch zum Edikt: a.) Wurde zwischen Mann und Frau eine Schenkung vorgenommen, so entfällt die Ersitzung. b.) Ebenso, antwortet Cassius, entfalle die Ersitzung, wenn der Mann seiner Frau eine Sache geschenkt habe und die Ehe (anschließend) geschieden worden sei, denn sie (die Frau) könne sich nicht eigenmächtig den Grund ihres Besitzes verändern: c.) Ansonsten sagt er, nach der Scheidung werde sie dann ersitzen, wenn der Ehemann (ihr) die Sache überlassen habe, so als nähme man an, die Schenkung sei erst jetzt erfolgt. 491 Dies übersieht Hausmaninger, Nemo sibi ipse, S. 404, der annimmt, die Begrün-

dung des Paulus hätte „die unsinnige Konsequenz, daß zwar kein possessor eigenmächtig seinen Besitzgrund ändern dürfte, wohl aber jeder beliebige Detentor". Daß ein solcher Umkehrschluß nicht zulässig ist, haben wir oben, § 6 Β.ΠΙ.2. (S. 199f.), bereits eingehend dargelegt.

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§ 7. Besitzumwandlung unter Lebenden 219

d.) Julian meint immerhin, daß die Frau die ihr vom Manne geschenkte Sache besitze.

2. Sachverhalte und Entscheidungsgründe

Der Gedankengang des Juristen wird strukturiert durch die vier Sätze, die das Fragment untergliedern. In den ersten drei Sätzen (a.-c.) variiert Paulus das Grundthema: die Vornahme einer Schenkung unter Ehegatten in drei unterschiedlichen Fallgestaltungen, die alle die Ersitzung der geschenkten Sache betreffen. Die Varianten b.) und c.) entlehnt er aus den Schriften des Frühklassikers Cassius, der die beiden Fälle möglicherweise in der Praxis entschieden hat. Unter d.) schließlich beleuchtet Paulus die besitzrechtliche Seite der Problematik, zu der er die Ansicht des hochklassischen Juristen Julian zitiert.

a) Unwirksamkeit der Schenkung

Alle Fallvarianten sind mit derselben Fragestellung verbunden. Ein Ehe-mann schenkt seiner Frau eine Sache und verschafft ihr mittels Übergabe den Besitz. Vermag die Frau durch usucapio quiritisches Eigentum zu er-werben? Im Ausgangsfall (a.) verneint Paulus die Ersitzungsmöglichkeit. Der Grund liegt auf der Hand: Der für eine Schenkungsersitzung benötigte Usukapionstitel pro donato ist nicht gültig zustande gekommen. Denn die Schenkung verstößt gegen das in Rom seit alters geltende Schenkungsver-bot unter Ehegatten.

Danach waren die Eheleute daran gehindert, sich wirksam unentgeltliche Zuwendungen zu machen und damit das Vermögen des jeweils anderen auf

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eigene Kosten zu bereichern.492 In der altrömischen manus-Ehe freilich verstand sich die Unmöglichkeit der Ehegattenschenkung von selbst. Denn die Frau war vermögensunfähig, konnte also weder eigenes Vermögen auf den Ehemann übertragen noch von diesem empfangen.493 Das Schenkungs-verbot dürfte mithin fur die gewaltfreie Ehe aufgestellt worden sein. Dort sicherte es, daß die Vermögensmassen der Ehegatten im Stamm der beiden Familien erhalten blieben. Neben diesem vermögensrechtlichen Aspekt be-tonen die Quellen vor allem die ethische Funktion des Schenkungsverbots, das sittliche Ideal der römischen Ehe zu verwirklichen: Die Eheleute sollten nicht durch Gewinnstreben von der wichtigen Aufgabe der Kindererziehung abgehalten werden. Insbesondere sollte das Verbot verhindern, daß der eine Ehegatte die Liebe des anderen zur Erreichung finanzieller Vorteile aus-nutzt und den Fortbestand der Ehe von der Freigiebigkeit seines Partners abhängig macht494

Verbotswidrige Schenkungen unter Ehegatten wurden in Rom von jeher als nichtig angesehen.495 Der Schenker blieb Eigentümer der geschenkten Sache und konnte diese von seinem Ehepartner jederzeit vindizieren. Erst eine oratio Severi aus dem Jahre 206 n. Chr. ließ die bei Lebzeiten des Schenkers nicht widerrufenen Schenkungen mit seinem Tode wirksam wer-den.496 In unserem Ausgangsfall hat die Frau folglich keine Möglichkeit, zu Lebzeiten des Mannes Eigentum an der geschenkten Sache zu erwerben. Die Nichtigkeit der Schenkung verhindert die Entstehung einer wirksamen

492 Zum Inhalt des Schenkungsverbots, insbesondere zum einschränkenden Erforder-nis der Be- und Entreicherung zwischen den Ehegatten Misera, Bereicherungsgedanke, S. 6ff. und passim; Schlei, Schenkungen unter Ehegatten, S. 42ff.

493 Statt aller Söllner, Actio rei uxoriae, S. 127. 494 S. nur D. 24 ,1 ,1 (Ulpianus libro ΧΧΧΠ ad Sabinum) und D. 24 ,1 ,2 (Paulus libro

VIT ad Sabinum). Zur ratio des Schenkungsverbots ausfuhrlich Misera, Grund des Schenkungsverbots, S. 419ff. und passim; Holzapfel, Ehegattenschenkungen, S. 69ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 485ff.; Schlei, Schenkungen unter Ehegatten, S. 17ff.

495 Näher Misera, Bereicherungsgedanke, S. 84ff.; Käser, Verbotsgesetze, S. 115f. 496 Über die oratio Severi berichtet uns Ulpian im 33. Buch seines Sabinuskommen-

tars (D. 24, 1, 32 pr.-§ 2); s. zuletzt Baldus, Vertragsauslegung, S. 527ff.

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iusta causa possessionis. Die usucapio scheitert mithin am Fehlen eines zivilrechtlich anerkannten Erwerbstitels.

aa) Ersitzungserwerb vor Scheidung der Ehe

Es fragt sich allerdings, warum Paulus gerade die Ersitzung erörtert und nicht den Direkterwerb des quiritischen Eigentums. Drei Möglichkeiten kommen in Betracht. Erstens: Bei dem Geschenk könnte es sich um eine res mancipi handeln, die der Ehemann seiner Frau formlos tradiert hat. Zum zweiten könnte sich die Sache lediglich im Ersitzungsbesitz des Mannes befunden haben. Drittens schließlich könnte es sich um eine fremde Sache handeln, an der der Ehemann keinen Ersitzungsbesitz erworben hatte.497 In allen drei Fällen könnte die Frau, auch wenn die donatio wirksam wäre, das quiritische Sacheigentum nur durch Ersitzung erwerben.498

Zumindest die letzte Möglichkeit wird man ausschließen können. Hätte der Mann seiner Frau eine fremde Sache geschenkt, die er selber nicht usu-kapieren konnte, so läge kein Verstoß gegen das Verbot der Ehegatten-schenkung vor. Denn das Schenkungsverbot greift nur dann ein, wenn die Zuwendung auf Seiten des Schenkers zu einer Entreicherung fuhrt. Die Schenkung einer res aliena, an der der schenkende Ehegatte nicht einmal den Ersitzungsbesitz erlangt hat, wird von dieser einschränkenden Voraus-setzung nicht erfaßt. Eine solche Zuwendung macht den Schenker nämlich nicht ärmer. Dem beschenkten Ehepartner ist daher der gutgläubige Erwerb durch Ersitzung gestattet.499 Da Paulus zum gegenteiligen Ergebnis gelangt,

497 Die Ersitzung des Mannes dürfte in diesem Fall freilich nicht an seiner Bösgläu-bigkeit scheitern. Sollte der Mann das Geschenk nämlich wissentlich vom Nichtberech-tigten erworben haben, so beginge er mit der Schenkung ein furtum und machte die Sa-che dadurch unersitzbar; vgl. Gaius, Inst. Π, 50; dazu Käser, TR 30 (1962), S. 338; Mise-ra, Bereicherungsgedanke, S. 71, Fn. 7.

498 Ebenso MacCormack, BIDR 75 (1972), S. 79 mit Fn. 8. 499 Vgl. D. 41, 6, 3 (Pomponius libro XXIV ad Quintum Mucium) sowie D. 24, 1, 25

(Terentius Clemens libro V ad legem Iuliam et Papiam); zu beiden Fragmenten einge-

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betrifft unser Fall nicht die Schenkung einer fremden Sache, die sich nicht im Ersitzungsbesitz des Mannes befand.

Hinsichtlich der zweiten Möglichkeit ist zu differenzieren: Besaß der Ehemann das Geschenk als bonitarischer Eigentümer, etwa weil er eine res mancipi durch traditio erworben hatte, dann läge in der Tat eine verbots-widrige Ehegattenschenkung vor. Der Mann würde durch die Zuwendung entreichert, denn er verlöre seine gesicherte Anwartschaft, nach Ablauf der Ersitzungszeit quiritisches Eigentum zu erwerben. Mit einem solchen Fall könnten wir es also vorliegend zu tun haben. Wie aber verhält es sich, wenn der Mann den Ersitzungsbesitz nicht als bonitarischer Eigentümer, sondern als Erwerber einer res aliena ausübte? Ob das Kriterium der Entreicherung auf Seiten des schenkenden Ehegatten auch in diesem Falle erfüllt ist, darf zumindest bezweifelt werden. Dafür ließe sich immerhin anführen, der Er-sitzungsbesitzer einer fremden Sache genieße ebenso wie der bonitarische Eigentümer den Schutz der actio Publiciana. Auch er habe eine „Anwart-schaft" auf den Eigentumserwerb und erleide daher durch die Schenkung einen Vermögensverlust.500 Andererseits ist zu berücksichtigen, daß eben nicht jede Vermögenswerte Zuwendung dem Schenkungsverbot unterfallt. Auch derjenige, der eine fremde Sache verschenkt, die er nicht ersitzen kann, büßt zumindest die Gebrauchsmöglichkeit ein und verliert insofern einen Vermögenswert. Dennoch macht ihn die Zuwendung im Sinne des Schenkungsverbots nicht ärmer.501 Ob anders zu entscheiden ist, wenn sich die geschenkte Sache im Usukapionsbesitz des Schenkers befand, lassen die Quellen offen. Gegen die Annahme einer Entreicherung spricht freilich, daß der Ersitzungsbesitzer einer fremden Sache im Gegensatz zum bonitari-schen Eigentümer keine gesicherte Erwerbsposition innehat. Bis zur

hend Misera, Bereicherungsgedanke, S. 70ff.; Schlei, Schenkungen unter Ehegatten, S. 6ff. u. 13ff.

500 So unter anderen bereits Savigny, System IV, S. 114; vgl. aus der neueren Literatur insbesondere Misera, Bereicherungsgedanke, S. 70f.; ihm zustimmend Mayer-Maly, SZ 93 (1976), S. 424.

501 So mit Recht Bauer, Ersitzung, S. 55f.

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Vollendung der Ersitzungsfrist kann der Eigentümer ihm die Sache noch jederzeit mit der rei vindicatio streitig machen. Dem Ersitzungsbesitzer er-wachsen dann zwar gegebenenfalls Eviktionsansprüche gegen seinen Ver-äußerer. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Schenkung der Sache zu einer verbotswidrigen Entreicherung führt. Die vermögensrechtliche Funktion des Schenkungsverbots besteht ja darin, das Vermögen der Eheleute im Stamm ihrer Familien zu erhalten. Diesen Zweck vermag das Verbot aber nur dort zu erfüllen, wo dem schenkenden Ehegatten solches Vermögen von dritter Seite nicht mehr entzogen werden kann. Dies ist der Fall beim bonitarischen Eigentümer, nicht hingegen beim Ersitzungsbesitzer einer res aliena.

Die besseren Gründe sprechen mithin dafür, daß die römischen Juristen die Schenkung fremder Sachen an den Ehepartner ohne Einschränkung zu-ließen.502 Der Ehemann in unserem Paulusfragment dürfte seiner Frau daher eine eigene Sache zugewendet haben503, und zwar entweder eine res manci-pi, die in seinem quiritischen Eigentum stand und die er der Frau lediglich tradiert hat, oder eine Sache aus seinem bonitarischen Eigentum. In beiden Fällen verstieß die donatio gegen das Schenkungsverbot unter Ehegatten. Eine Schenkungsersitzung der Frau findet deswegen nicht statt.

bb) Ersitzungserwerb nach Scheidung der Ehe

Zum selben Ergebnis gelangt Paulus im Anschluß an eine Entscheidung des Frühklassikers Cassius im zweiten Satz des Fragments (b.). Auch wenn die Ehe nach der Schenkung geschieden wird, gelangt der für eine Schen-kungsersitzung erforderliche Erwerbstitel pro donato nicht zur Entstehung. Als Begründung führt Cassius an, die Frau könne sich nicht eigenmächtig ihre Besitzgrundlage verändern. Der nachträgliche Erwerb einer wirksamen

502 Ebenso Bauer, Ersitzung, S. 57; Wache, TR 64 (1996), S. 340 mit Fn. 108. 503 So im Ergebnis auch Misera, Bereicherungsgedanke, S. 70, Fn. 1; Bauer, Ersit-

zung, S. 54 mit Fn. 28.

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causa donationis scheitert mithin am Eingreifen unserer Spruchregel. Die Frau handelt eigenmächtig, wenn sie die Scheidung zum Anlaß nimmt, ihre bisherige Besitzgrundlage in einen zivilrechtlich anerkannten Ersitzungstitel zu verwandeln. Ob die Frau die Sachherrschaft vor der Scheidung als bloße Detention oder immerhin als (unberechtigten) Eigenbesitz ausübte, läßt Cassius offen und muß hier nicht entschieden werden.504 Jedenfalls hielt sie das Geschenk nicht als Ersitzungsbesitzerin in Händen. Die Scheidung als solche hat daran nichts geändert. Sie bewirkt keine Heilung der nichtigen Ehegattenschenkung. Insofern bleibt der vorhandene Besitzgrund von der Scheidung unberührt. Der Frau ist es deshalb verwehrt, sich unter Berufung auf ihren veränderten Familienstand den fur die usucapio benötigten Besitz-titel pro donate selbst zu verschaffen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Frau auf die konvaleszierende Wirkung der Scheidung vertraut oder nicht. Selbst wenn sie meinte, die Schenkung werde durch die Scheidung geheilt, käme nemo sibi ipse... zur Anwendung. Die Frau unterläge dann lediglich einem unbeachtlichen Rechtsirrtum, der dem Eingreifen unserer Maxime nicht entgegenstünde.

Auch in Fallvariante b.) scheidet ein Ersitzungserwerb der Frau demnach aus. Wie der mit „quoniam" eingeleitete Begründungssatz zu erkennen gibt, beruht dieses Ergebnis methodisch auf einer unmittelbaren Schlußfolgerung aus der abstrakten Rechtsaussage unseres Diktums. Cassius gewinnt seine Entscheidung, indem er den Sachverhalt unter die Tatbestandsmerkmale des Besitzumwandlungsverbots subsumiert. Weil diese Merkmale vorliegend erfüllt sind, gelangt die Regel nemo sibi ipse... zur Anwendung. Die kon-krete Fallösung ermittelt der Jurist mithin im Wege der Deduktion.505

Das dergestalt gefundene Ergebnis korrespondiert insbesondere mit dem ethischen Zweck des Schenkungsverbots unter Ehegatten. Hätte die Frau nämlich die Möglichkeit, nach der Scheidung eine Ersitzung anzufangen, so

504 Zur Ansicht Julians über die Besitzverhältnisse an der geschenkten Sache sogleich, unter c).

505 Ebenso Hausmaninger, Nemo sibi ipse, S. 403f.

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bestünde der Anreiz, die Ehe im Hinblick auf den in Aussicht gestellten Ei-gentumserwerb zu beenden. Gerade dies will das Schenkungsverbot, das ja die Fortdauer der Ehe von der Gewährung unentgeltlicher Zuwendungen unabhängig machen soll506, verhindern. Die Scheidung darf der Frau daher keinen finanziellen Vorteil bescheren. Dem entspricht es, daß die Ersitzung des Geschenks auch nach Beendigung der Ehe ausgeschlossen bleibt.

b) Bestätigung der Schenkung

Anders verhält es sich dagegen nach Satz c.), wenn die Ehe geschieden worden ist und der Mann die geschenkte Sache der Frau überlassen hat. Hier gelangt der für die Schenkungsersitzung erforderliche Usukapionstitel pro donato zur Entstehung. Der Grund liegt in der Überlassung des Ge-schenks nach der Ehescheidung. Concedere („überlassen") bedeutet nun nicht etwa, daß der Mann seiner früheren Frau erstmals die tatsächliche Gewalt über die geschenkte Sache einräumt. Denn die Sachherrschaft übte die Frau bereits vor der Scheidung aus. Was also ist mit der Überlassung des Geschenks gemeint? Ins Deutsche übertragen, heißt concedere neben „überlassen" vor allem „gewähren", „abtreten", auch „zugestehen" oder „erlauben".507 In diesem Sinne verstanden, meint concedere hier, daß der Mann seiner geschiedenen Frau gestattet hat, die Sache zu

behalten. Die rechtliche Bewertung dieses Zugeständnisses entnehmen wir dem letzten Halbsatz der Fallvariante: „quasi nunc donasse intellegatur". Die Überlas-sung des Geschenks soll zu der Annahme führen, die Schenkung sei erst jetzt, nämlich im Zeitpunkt der Überlassung, erfolgt. Cassius formuliert also eine Auslegungsregel, nach der die Abtretung des Geschenks an die Frau als

506 Vgl. nochmals Misera, Grund des Schenkungsverbots, S. 414; Holzapfel, Ehegat-tenschenkungen, S. 70f.; Schlei, Schenkungen unter Ehegatten, S. 20.

507 S. nur Heumann /Seckel, Handlexikon, s. v. Concedere. 508 Zur Abgrenzung gegenüber einem unerlaubten „res amovere" ausführlich Wacke,

Actio rerum amotarum, S. 3Iff.

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erneute Vornahme der Schenkung zu werten ist. Die Überlassung wirkt mit-hin als Bestätigung des während der Ehe ungültig vorgenommenen Schen-kungsgeschäfts.509 Da der Mann erst nach der Scheidung auf die Sache ver-zichtet, steht das Schenkungsverbot unter Ehegatten der Bestätigung nicht entgegen. Denn das Schenkungsverbot greift nach Beendigung der Ehe nicht mehr ein.510 Die Neuvornahme der donatio ist deshalb wirksam und verhilft der Frau zu dem für die usucapio pro donato erforderlichen Er-werbstitel.

In Fallvariante c.) liegt danach keine unzulässige Besitzumwandlung vor. Die causa-Änderung beruht hier nicht auf einem eigenmächtigen Vorgehen der Frau, sondern auf der Erlaubnis ihres früheren Ehemannes, die Sache behalten zu dürfen. Die Frau erlangt den Ersitzungstitel pro donato also im Einverständnis mit dem Berechtigten.511 Für die Annahme einer eigenmäch-tigen Besitzumwandlung bleibt somit kein Raum. Die Regel nemo sibi ipse... kommt daher nicht zur Anwendung.

Dennoch scheint der Mann, zumindest wenn man davon ausgeht, Cassius habe den Fall in der Praxis entschieden, das Geschenk mit der rei vindicatio zurückverlangt zu haben. Warum aber sollte der Mann die Frau auf Heraus-gabe in Anspruch nehmen, wenn er ihr doch die Sache zuvor überlassen hatte? Der Grund kann nur darin bestanden haben, daß die Überlassung zwischen den geschiedenen Eheleuten streitig war. Mithin dürfte der Mann im Vindikationsprozeß behauptet haben, die Frau sei nicht berechtigt, das Geschenk zu behalten. Die Frau wird erwidert haben, die Sache sei ihr nach der Scheidung vom Manne zugestanden worden. Grundsätzlich oblag es da-nach dem Mann zu beweisen, daß sein Eigentum auch nach der Scheidung

509 Vgl. Misera, Index 3 (1972), S. 401 mit Fn. 43. Zum Problem der Bestätigung nichtiger Rechtsgeschäfte im römischen Recht eingehend Markus Müller, Bestätigung, S. 144ff.; ferner Wacke, Folgen-Berücksichtigung, S. 560f. (zur Bestätigung nichtiger Ehe-gattenschenkungen durch Vermächtnis); über die Regelung des § 141 BGB im geltenden deutschen Recht zuletzt Gröschler, NJW 2000, S. 248f.

510 Statt aller Schlei, Schenkungen unter Ehegatten, S. 42ff. 511 Daß das Geschenk im Eigentum des Mannes stand, haben wir bereits dargelegt; s.

o.,a)aa)(S. 22Iff.).

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fortbestand.512 Zu dieser Nachweispflicht gehört jedoch nicht, den Einwand der Überlassung zu entkräften. Wenn die Frau nämlich geltend macht, nach der Scheidung ein Recht zum Behaltendürfen der Sache erworben zu haben, so erhebt sie eine Einrede, für deren tatsächliche Voraussetzungen sie die Darlegungs- und Beweislast trägt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen vermag die Frau allerdings nicht bereits durch Berufung auf die Scheidung nachzuweisen. Denn die Scheidung allein gibt ihr kein Recht zum Behalten-dürfen der Sache. Vielmehr verstößt die Frau, wie sich aus Fallvariante b.) ergibt, gegen die Rechtsregel nemo sibi ipse..., wenn sie die Scheidung zum Anlaß nimmt, eine usucapio pro donato anzufangen. Um den Vorwurf des eigenmächtigen Vorgehens zu widerlegen, mußte die Frau daher zusätzlich vortragen, nach der Scheidung habe der Mann auf das Geschenk verzichtet und ihr dadurch die Ersitzung ermöglicht. Folglich hatte die Frau darzutun und zu beweisen, daß ihr die Sache vom Manne überlassen worden war.

Dies stimmt gut zusammen mit dem, was wir in § 6 über die prozessuale Funktion des Besitzumwandlungsverbots im Erbrecht erkannt haben: Wer als Beklagter eines Herausgabeprozesses behauptet, keine eigenmächtige Besitzumwandlung begangen zu haben, muß diejenigen Tatsachen darlegen und gegebenenfalls beweisen, die eine Anwendung der Regel nemo sibi ipse... ausschließen.513 Dies gilt insbesondere dort, wo sich der Sachinhaber, wie bei der Erbschaftsersitzung oder bei der donatio, auf opferlosen Erwerb beruft. Opferloser Erwerb verdient nämlich nicht den gleichen Schutz wie entgeltlicher Erwerb. Für den Schenkungseinwand ist der Beklagte daher darlegungs- und beweispflichtig. Denn schon im römischen Recht wurden Schenkungen nicht vermutet.514 Wer also geltend macht, die streitbefangene

512 Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im klassischen Formularprozeß ausführlich oben, § 6 Β.ΙΠ.1. (S. 194f.).

513 Vgl. nochmals oben, § 6 B.ffl.l. (S. 196f.). 514 Das Prinzip donatio non praesumitur stammt freilich erst aus der Zeit des Natur-

rechts; in einige Kodifikationen wurde es sogar ausdrücklich aufgenommen; grundlegend Wacke, AcP 191 (1991), S. 2ff. und passim; zuletzt noch einmal Wacke, ZZP 2001, S. 95; Bohr, NJW 2001, S. 2061.

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228 2. (Besonderer) Teil

Sache geschenkt erhalten zu haben, dem obliegt es, sämtliche Umstände darzutun und zu beweisen, die diese Einrede begründen.

c) Die Meinung Julians

Aus den prozessualen Überlegungen zu Fallvariante c.) erhellt zugleich die Bedeutung des Schlußsatzes, in dem sich Paulus der besitzrechtlichen Seite des Falles zuwendet. Er zitiert den Hochklassiker Julian, nach dessen Rechtsauffassung die Frau an der geschenkten Sache die possessio ausübt. Wie das adversative autem andeutet, scheint sich Paulus veranlaßt gesehen zu haben, die Besitzverhältnisse an der Sache außer Zweifel zu stellen. Die possessio der Frau dürfte demnach zumindest nicht unbedenklich gewesen sein.515 Daraus folgt zunächst, daß die Meinung Julians nicht den unter c.) behandelten Sachverhalt betrifft. Dort nämlich übt die Frau die Sachgewalt eindeutig als juristisch anerkannte possessio aus, aufgrund der Überlassung des Geschenks sogar als zivilrechtlich qualifizierten Eigenbesitz. Fraglich kann somit nur gewesen sein, wie sich die Rechtslage ohne die (umstrittene) Bestätigung des Schenkungsgeschäfts darstellte.

Die Ansicht Julians könnte sich danach auf die Besitzlage nach der Ehe-scheidung beziehen, genauso gut aber auch auf die Besitzverhältnisse wäh-rend der Ehe. Wenn Julian der Frau noch in der Ehe rechtlich qualifizierte possessio zuerkennen wollte, so hätte die Scheidung daran jedenfalls nichts geändert. Wie sich nämlich aus Fallvariante b.) mittelbar ergibt, verursacht

515 Wir wollen hier nicht so weit gehen wie die meisten Stimmen in der romanisti-schen Literatur, die aus dem letzten Satz des Fragments einen Meinungstreit zwischen dem Hochklassiker Julian und dem Frilhklassiker Cassius herauslesen; s. etwa Nieder-länder, Bereicherungshaftung, S. 54f.; Käser, Eigentum und Besitz, S. 357ff.; ders., Zum Fruchterwerb, S. 419. Danach habe Cassius der Frau jeden (juristischen) Besitz abge-sprochen, Julian ihr zumindest die titellose possessio pro possessore zuerkannt. Dem „awte/w" allein läßt sich jedoch, wie sogleich zu zeigen sein wird, eine solche Kontrover-se nicht entnehmen, und erst recht nicht, wie Misera, Bereicherungsgedanke, S. 89 mit

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§ 7. Besitzumwandlung unter Lebenden 229

die Scheidung keine Verschlechterung der bisherigen Besitzposition. Sollte Julian also die Besitzverhältnisse während der Ehe gemeint haben, wäre die Frau auch nach Beendigung der Ehe als juristische Besitzerin anzusehen gewesen.

Wie aber verhält es sich, falls Julian, vielleicht der herrschenden Lehre in der römischen Fachjurisprudenz folgend, der Frau während der Ehe keinen juristischen Besitz, sondern bloße Detention zugesprochen hätte? Dann stellte sich in der Tat das Problem, ob die Frau mit der Scheidung nicht zu-mindest interdiktsgeschützte possessio pro possessore erlangte. Das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung könnte eine dahingehende Verbes-serung der vorhandenen Besitzposition ausschließen. Nun haben wir aller-dings bereits mehrfach festgestellt, daß unsere Maxime den Detentor zwar daran hindert, sich durch eigenmächtiges causam mutare eine erwerbsrecht-fertigende iusta causa possessionis zu verschaffen. Nicht aber sperrt die Verbotsanordnung die Begründung possessorisch geschützten Eigenbesit-zes.516 Faßt die Frau also nach der Scheidung den Entschluß, das ihr angeb-lich vom Manne überlassene Geschenk zu behalten, so verhindert unser Diktum nicht, daß sich ihre Detention in rechtlich anerkannten Interdikten-besitz verwandelt. Zu eben diesem Ergebnis gelangt auch Julian, wenn man seine Äußerung auf die Besitzverhältnisse nach der Ehescheidung bezieht. Danach hätte Paulus ihn zitiert, um klarzustellen, daß die Regel nemo sibi ipse... der Erlangung interdiktsgeschützten Eigenbesitzes nicht entgegen-steht.

Für die Frage, wie die Besitzlage nach der Scheidung zu beurteilen ist, kann es demzufolge dahinstehen, ob sich die Ansicht Julians auf die vor-oder auf die nachehelichen Besitzverhältnisse bezieht: Nach der Scheidung übt die Frau die Sachherrschaft in jedem Fall als juristisch qualifizierte pos-sessio aus. Sie gelangt dadurch nicht nur in den Genuß der prätorischen Be-

Fn. 13, vermutet, ein Schulengegensatz zwischen Sabinianern und Prokulianern, der erst von Julian überwunden worden sei.

516 Vgl. o., § 5 B.ü.l.b) (S. 144ff.), u. § 6 B.V.2.b)(S. 209)zuD. 5,4,10.

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sitzschutzgarantie. Vor allem, und gerade darauf kommt es vorliegend an, erhält sie die Passivlegitimation zu einem dinglichen Herausgabeprozeß.517

Der Mann kann die Frau also, wenn es - wie hier - nach der Scheidung zum Streit um das Behaltendürfen der Sache kommt, mit der rei vindicatio in Anspruch nehmen; ebenso könnten seine (späteren) Erben das Geschenk mit der hereditatis petitio herausverlangen518. Die Bedeutung des Schlußsatzes ist damit erkannt: Er beantwortet und bejaht die prozessuale Frage, ob die Frau trotz der Anwendung des Besitzumwandlungsverbots die erforderliche Beklagteneigenschaft für einen Herausgabestreit um die Sache besitzt.

d) Ergebnis

Zusammengefaßt läßt sich festhalten: In drei geschickt aufeinander auf-bauenden Fallkonstellationen erörtert Paulus die usucapio eines Geschenks unter Ehegatten. Während der Ehe scheidet ein Ersitzungserwerb der Frau an der im Eigentum des Mannes stehenden Sache von vornherein aus (a.). Die donatio verstößt gegen das Schenkungsverbot unter Ehegatten und ist daher nichtig. Die Ersitzung scheitert mithin am Fehlen einer wirksamen causa donationis. Ebenso verhält es sich unter b.). Dort entscheidet Cassius, daß die Frau das Geschenk auch dann nicht ersitzen kann, wenn die Ehe inzwischen geschieden worden ist. Denn die Scheidung als solche bewirkt keine Heilung der nichtigen Ehegattenschenkung. Wegen des Satzes nemo sibi ipse... vermag die Frau ihre bislang als Ehegattin ausgeübte Sachherr-schaft daher nicht in zivilrechtlich anerkannten Schenkungsbesitz zu ver-

517 Vgl. Käser, Eigentum und Besitz, S. 359; über die passivlegitimierende Wirkung des juristischen Besitzes fur den Herausgabeprozeß ausfuhrlich oben, § 5 Β.Π.2. (S. 148ff.).

518 Daß der Mann nach der Scheidung verstorben wäre, dafür bietet der Text keinerlei Anhaltspunkte. Wenn dem so wäre, hätte sein Tod jedenfalls nichts an der Unwirksam-keit des Schenkungsgeschäfts geändert. Denn nach der oben erwähnten oratio Severi werden nichtige Ehegattenschenkungen mit dem Tode des Schenkers nur geheilt, wenn die Ehe im Todeszeitpunkt noch besteht; vgl. Baldus, Vertragsauslegung, S. 528.

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§ 7. Besitzumwandlung unter Lebenden 231

wandeln. Dieses Ergebnis, das Cassius im Wege der Deduktion unmittelbar aus dem Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung herleitet, entspricht dem ethischen Zweck des Schenkungsverbots, das Weiterbestehen der Ehe gegen das Streben nach finanziellen Vorteilen zu sichern.

Zum gegenteiligen Ergebnis gelangt Cassius in Fallvariante c.). Der für die Schenkungsersitzung erforderliche Erwerbstitel pro donato kommt zu-stande, wenn der Frau die geschenkte Sache nach der Ehescheidung vom Manne überlassen wird. Cassius bewertet die Überlassung als Neuvornahme der donatio, die das während der Ehe ungültig vorgenommene Schenkungs-geschäft bestätigt. Die Bestätigung verhilft der Frau zu einer wirksamen causa donationis. Denn nach der Scheidung greift das Schenkungsverbot unter Ehegatten nicht mehr ein. Da die Bestätigung durch den Berechtigten veranlaßt wird, bleibt für die Anwendung des Besitzumwandlungsverbots kein Raum. Dies gilt freilich nur, wenn es der Frau im Herausgabeprozeß um die Sache gelingt, die Überlassung des Geschenks nachzuweisen. Denn sie, und nicht etwa der Mann, trägt die Darlegungs- und Beweislast für die einredebegründende Neuvornahme der Schenkung.

Daß es vorliegend in der Tat zu einem Vindikationsstreit um die Sache gekommen sein dürfte, entnehmen wir dem Schlußsatz des Fragments. Dort zitiert Paulus den Hochklassiker Julian, der sich zu den Besitzverhältnissen an der geschenkten Sache äußert. Julian will der Frau unabhängig von der Bestätigung des unwirksamen Schenkungsgeschäfts rechtlich anerkannten Eigenbesitz zusprechen, vielleicht schon während der Ehe, jedenfalls aber nach der Scheidung. Er stellt damit klar, daß die Frau trotz der Anwendung der Regel nemo sibi ipse... zu einem Herausgabeprozeß um das Geschenk passivlegitimiert ist. Kommt es also nach Beendigung der Ehe zum Streit um das Behaltendürfen der Sache, so kann der Mann seine frühere Frau mit der rei vindicatio in Anspruch nehmen.

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Β. Besitzrechtliche Konsequenzen der cawsa-Änderung

Von den abschließend zu untersuchenden Digestenstellen D. 41,2, 18 pr. und D. 41, 2, 19, 1, die sich beide mit den besitzrechtlichen Folgen einer caiAsa-Änderung beschäftigen, behandeln wir zuerst das berühmte Cel-susfragment über die Begründung des Besitzkonstituts:

I. D. 41,2,18 pr.: Übertragung des Eigenbesitzes durch In-Sich-Konstitut

1. Text und Übersetzung

Celsus libro ΧΧΠΙ digestorum: Quod meo nomine possideo, possum alieno nomine possidere: nec enim muto mihi causam possessionis, sed desino possidere et alium possessorem ministe-rio meo facio. nec idem est possidere et alieno nomine possidere: nam possidet, cuius nomine possidetur, procurator alienae possessioni praestat ministerium.

Celsus im 23. Buch seiner Digesten: Was ich in meinem Namen besitze, kann ich (auch) in fremdem Namen besit-zen: Ich ändere mir damit nicht den Grund meines Besitzes, sondern ich höre auf zu besitzen und mache mit meiner Hilfe einen anderen zum Besitzer. Denn es ist keineswegs dasselbe, (für sich) zu besitzen oder fur einen anderen zu besitzen: Es besitzt nämlich nur der, in dessen Namen der Besitz ausgeübt wird; ein Prokurator leistet fremdem Besitz (bloße) Hilfestellung.

2. Rechtsfragen

Der Text entstammt dem Hauptwerk des Hochklassikers Celsus, seinen insgesamt 39 Bücher umfassenden Digesten. Er steht an der Spitze eines

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längeren Abschnitts über Erwerb und Verlust des Besitzes.519 Ob es sich um eine konkrete Einzelfallentscheidung handelt, läßt sich angesichts des ab-strakt-generellen Charakters der Ausführungen nicht mit Sicherheit beurtei-len.520 Immerhin gibt der Hinweis auf den Prokurator am Ende des Frag-ments zu erkennen, daß Celsus eine bestimmte Fallkonstellation vorge-schwebt haben dürfte, etwa: Ein von seinem früheren Herrn zum Prokurator bestellter Freigelassener tätigt im Rahmen der ihm obliegenden Vermö-gensverwaltung521 den Ankauf einer beweglichen Sache. Der Verkäufer übergibt ihm die Sache in Abwesenheit des Geschäftsherrn zu Eigentum. Vermag der Prokurator die Sache auch ohne körperliche Übergabe auf den Geschäftsherrn zu übertragen?

Celsus bejaht dies: Was der Geschäftsführer für sich besitze, könne er an-fangen, für einen anderen zu besitzen, nämlich für den Geschäftsherrn. Der Jurist gestattet damit die Umwandlung des vorhandenen Eigenbesitzes in Fremdbesitz. Eine Mitwirkung des (abwesenden) Geschäftsherrn bei der Besitzumwandlung ist nicht erforderlich und wird im Text auch nicht er-wähnt. Es genügt, daß der Prokurator in seiner Funktion als Geschäftsführer den nach außen erkennbaren Beschluß faßt, die aufgrund des Kaufgeschäfts in seinen Eigenbesitz gelangte Sache nicht länger für sich, sondern fortan für den Geschäftsherrn zu besitzen. Durch diese Willensänderung beendet der Prokurator seinen bisherigen Eigenbesitz und macht den Geschäftsherrn zum Besitzer.

Mithin behandelt Celsus vorliegend die Entstehung eines Besitzkonstituts durch Insichgeschäft. Der Prokurator, der nach außen als mittelbarer Stell-

519 Vgl. Lenel, Pal. 1,157f. (Nr. 195 zu P. Iuventius Celsus). 520 Die theoretische Natur der Textaussage hat viele an der Echtheit der Stelle zwei-

feln lassen; s. nur Gordon, Constitutum possessorium, S. 314ff., u. Transfer of Property, S. 28ff. mit umfangreichen Nachweisen zur einschlägigen Literatur. Für eine nachklassi-sche Überarbeitung liefert der Text jedoch keinen Anhaltspunkt; als genuin betrachten ihn daher zu Recht Wieacker, Iura 13 (1962), S. 19, Fn. 38; Wache, Besitzkonstitut, S. 10f., Fn. 34, u. SZ 103 (1986), S. 245 mit Fn. 72.

521 Zur Stellung und Funktion des Prokurators in klassischer Zeit eingehend Behrends, SZ 88 (1971), S. 219ff. und passim; Angelini, II 'procurator', S. 17ff. und passim.

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Vertreter handelt, begründet ein Besitzmittlungsverhältnis, vermöge dessen der Eigenbesitz auf den Geschäftsherrn übertragen wird.522 Die Errichtung dieses Besitzmittlungsverhältnisses, dem als konkrete Kausalbeziehung das zwischen procurator und dominus bestehende Geschäftsführungsverhältnis zugrunde liegt , ermöglicht nicht nur die Übertragung des Besitzes, son-dern auch die Verschaffung des Eigentums. Der für die Übereignung an sich erforderliche Realakt der körperlichen Übergabe bleibt somit erspart. Da-durch wird eine wesentliche Verkehrserleichterung geschaffen, die den Be-dürfnissen des Rechtsverkehrs gerade dort Rechnung trägt, wo sich jemand zur Erledigung seiner Vermögensangelegenheiten fremder Hilfe bedient.524

Da die Begründung eines solchen Besitzmittlungsverhältnisses auf Seiten des Geschäftsführers zu einer von ihm veranlaßten Besitzveränderung führt, fragt sich allerdings, ob die Übertragung des Eigenbesitzes durch In-Sich-Konstitut nicht gegen nemo sibi ipse... verstößt. Celsus verneint die Anwen-dung unserer Spruchregel mit dem Argument, der Prokurator ändere sich nicht den Grund seines Besitzes, sondern höre auf zu besitzen. Auf den ers-ten Blick scheint diese Begründung mit der tatsächlichen Besitzlage nicht zusammenzustimmen. Der Geschäftsführer übt auch weiterhin die faktische Gewalt über die Sache aus. Wenn Celsus also annimmt, der Prokurator höre auf zu besitzen, so kann damit nur gemeint sein, daß der Prokurator mit der Errichtung des Besitzkonstituts seinen juristisch qualifizierten Eigenbesitz

522 So mit Recht Wache, Besitzkonstitut, S. lOf. Aus Sicht des geltenden deutschen Rechts freilich stieße bei mittelbarer Stellvertretung die Vereinbarung eines antizipierten Besitzkonstituts auf geringere konstruktive Schwierigkeiten als die Begründung eines In-Sich-Konstituts. Das antizipierte Besitzkonstitut war den Römern jedoch unbekannt; vgl. Waake, aaO., S. 12 mwN.

Zum Besitzerwerb durch den Prokurator zuletzt Flume, Rechtsakt und Rechtsverhält-nis, S. 85ff.; Krenz, Labeo 43 (1997), S. 359ff. (zu den Anforderungen an seinen Besitz-willen), sowie Wacke, Folgen-Berücksichtigung, S. 560.

523 Dies übersehen Gordon, Constitutum possessorium, S. 316f., und Hausmaninger, Nemo sibi ipse, S. 405, die die Erörterung eines abstrakten Besitzkonstituts annehmen und den Text insoweit für interpoliert halten.

524 Auf die Notwendigkeit einer Verkehrserleichterung bei der Wahrnehmung fremder Vermögensangelegenheiten macht neuerdings noch einmal Krenz, Labeo 43 (1997), S. 352, aufmerksam.

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verliert. Folglich ist genau zu unterscheiden zwischen der (Fortdauer der) tatsächlichen Sachherrschaft und dem (Verlust von) Eigenbesitz. Zu dieser Differenzierung gelangt Celsus im zweiten Teil der Stelle: „nec idem est possidere et alieno nomine possidere: nam possidet, cuius nomine posside-tur". Danach hält der Prokurator die Sache zwar immer noch in Händen, die possessio (seil, den Eigenbesitz) jedoch übt allein deijenige aus, für den der Prokurator die Sache innehat, nämlich der Geschäftsherr. Celsus verleiht dem Begriff der possessio also bewußt eine enge Interpretation, der zufolge der Besitz ausschließlich einer Person zugewiesen sein kann und wird, dem rechtlich anerkannten Eigenbesitzer. Den Fremdbesitz des Geschäftsführers versteht der Jurist demnach als aliud zur possessio, als bloße Hilfestellung, die der Prokurator dem (fremden) Besitz seines Geschäftsherrn leistet.

Die Anwendung des Besitzumwandlungsverbots scheitert mithin bereits an der fehlenden Fortdauer des Besitzes.525 Denn nach Celsus' restriktiver Auslegung des Besitzbegriffs ist der Geschäftsführer nach der Begründung des Besitzkonstituts nicht mehr als Besitzer anzusehen. Um das Eingreifen der Regel nemo sibi ipse... abzulehnen, operiert Celsus also gewissermaßen seitenverkehrt mit dem gleichen Argument wie Julian in D. 41,3 ,33,1 (Fall B.) und Paulus in D. 41, 2, 3, 20.526 So wie diese den anfanglichen Besitz des Detentors verneinen, verneint Celsus das Andauern des Besitzes und schließt den Geschäftsführer damit ebenfalls von vornherein aus dem Gel-tungsbereich der Verbotsanordnung aus.

Diese Parallelität in der Entscheidungsbegründung spiegelt besonders eindrucksvoll die Verwandtschaft zwischen dem Besitzkonstitut und der bei Paulus, D. 41, 2, 3, 20, behandelten brevi manu traditio: Das constitutum possessorium stellt die spiegelbildliche Umkehrung zur brevi manu traditio dar.527 Während die Übereignung durch Übergabe kurzer Hand bei Paulus allerdings unter fremder Mitwirkung (seil, des Eigentümers) geschieht, er-

525 Zum Erfordernis der Besitzfortdauer als Anwendungsvoraussetzung unserer Ma-xime oben, § 5 B.I.2.b) (S. 120).

526 Vgl. o., § 6 B.II.2.d) (S. 188) u. § 7 A.I.2. (S. 217). 527 Näher Wacke, Besitzkonstitut, S. 8f.

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folgt die Errichtung des Besitzkonstituts bei Celsus ohne Zutun des Ge-schäftsherrn. Man könnte deshalb auf den Gedanken verfallen, Celsus habe das Kriterium der Eigenmächtigkeit außer acht gelassen, das grundsätzlich jede vom Sachinhaber selbst vorgenommene Besitzveränderung erfaßt. Wie wir jedoch den beiden Julianfragmenten D. 41, 5, 2, 1 und D. 41, 3, 33, 1 entnommen haben, handelt der Sachinhaber nur dann eigenmächtig, wenn er die Besitzumwandlung lucri faciendi causa herbeifuhrt, also im eigenen Interesse, zur Verbesserung seiner bisherigen Rechtsstellung. Dies ist hier nicht der Fall. Denn die Umwandlung von Eigen- in Fremdbesitz fuhrt nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Verschlechterung der vorhandenen Besitzposition. Der Prokurator degradiert sich selbst vom possessor civilis zum bloßen Detentor des Geschäftsherrn. Im Hinblick auf das Tatbestands-merkmal der Eigenmächtigkeit fehlt es demnach an der von nemo sibi ipse... geforderten Eigennützigkeit.529 Die von Celsus auf den Aspekt des Besitz-verlustes gestützte Unanwendbarkeit unseres Diktums entspricht somit auch wertungsmäßig den Vorgaben des Besitzumwandlungsverbots.

II. D. 41 ,2 ,19 , 1: Rückerwerb nach Besitzaufgabe

Von der Besitzfortdauer als Anwendungsbedingung des Satzes nemo sibi ipse... handelt auch das letzte für unser Thema relevante Quellendokument, die Marcellusstelle D. 41, 2,19, 1:

528 S. o., § 6 B.I.2.b)aa) (S. 164f.) u. II.2.a) (S. 172). 529 So übereinstimmend Schloßmann, SZ 24 (1903), S. 42; Mayer-Maly, Locatio con-

ductio, S. 118; Wieacker, Iura 13 (1962), S. 19, Fn. 38; Hausmaninger, Nemo sibi ipse, S. 406; Nörr, SZ 89 (1972), S. 63; Voci, Iura 38 (1987), S. 75, Fn. 18.

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§ 7. Besitzumwandlung unter Lebenden 237

1. Text und Übersetzung

Marcellus libra XVÜ digestorum: Quod scriptum est apud veteres neminem sibi causam possessionis posse muta-re, credibile est de eo cogitatum, qui et corpore et animo possessioni incum-bens hoc solum statuit, ut alia ex causa id possideret, non si quis dimissa pos-session prima eiusdem rei denuo ex alia causa possessionem nancisci velit.

Marcellus im 17. Buch seiner Digesten: Wenn bei den Alten geschrieben steht, niemand könne sich den Grund seines Besitzes verändern, so ist damit wahrscheinlich deqenige gemeint, der sowohl körperlich als auch willentlich den Besitz innehat und sich lediglich ent-schließt, dasselbe aus einem anderen Grund zu besitzen. Nicht aber (trifft dies zu), wenn jemand nach der Aufgabe seines ersten Besitzes an derselben Sache aus einem anderen Grund erneut Besitz erwerben will.

2. Rechtsfragen

Nach der unter A.I. besprochenen Paulusstelle D. 41, 2, 3, 19 haben wir hier das zweite Fragment vor uns, das unsere Rechtsregel der vorklassischen Jurisprudenz der veteres zuschreibt. Auch Marcellus zitiert das dictum also unter Berufung auf die auctoritas der spätrepublikanischen Juristen und gibt damit klar zu erkennen, daß er keinerlei Zweifel an der Verbindlichkeit des Besitzumwandlungsverbots hegt. Der weit gefaßte Anwendungstatbestand des Satzes nemo sibi ipse... stellt den spätklassischen Juristen allerdings vor ein Auslegungsproblem. Aus der historischen Distanz von rund 300 Jahren vermag Marcellus nicht mehr genau zu bestimmen, welche Fälle die veteres als eigenmächtige Besitzumwandlung auffaßten. Sein Interpretationsver-such zum Ursprung der Verbotsanordnung ist daher mit einer gewissen Un-sicherheit belastet, die in der Wendung „credibile est de eo cogitatumii deut-lich zum Ausdruck kommt.530

530 Daß das Verständnis der Spruchregel Marcellus Schwierigkeiten bereitet, hat schon Schloßmann, SZ 24 (1903), S. 25f., zutreffend erkannt und kritisch gewürdigt; vgl.

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α) Zum Verständnis der Spruchregel bei Marcellus

Marcellus hält es mithin für glaubhaft, daß nemo sibi ipse... diejenigen Fälle betrifft, in denen jemand körperlich und willentlich den Besitz an ei-ner Sache ausübt und den Entschluß faßt, seinen Besitz fortan auf eine an-dere causa possessionis zu stützen als die bislang vorhandene. Grundvor-aussetzung für die Anwendbarkeit unserer Spruchregel ist danach zunächst die Innehabung der possessio, die sowohl corpore als auch animo ausgeübt werden muß. Marcellus nennt damit genau jene Anforderungen, die schon in spätrepublikanischer Zeit an den Erwerb des Besitzes gestellt wurden: die Herstellung einer physischen Nähebeziehung zwischen der Sache und dem Erwerber, getragen vom Willen des Erwerbers, die Sache zu beherrschen.531

Daß der Erwerber, um diese Anforderungen zu erfüllen, juristischen Besitz erlangen muß, daß Marcellus die Tatbestände der Detention also von vorn-herein dem Regelungsbereich des Besitzumwandlungsverbots entzieht, ver-mögen wir der corpore et animo-Formel nicht zu entnehmen.532 Marcellus weist lediglich darauf hin, daß eine Veränderung des Besitzgrundes über-haupt nur dort in Betracht kommt, wo zuvor sowohl körperlich als auch wil-lentlich ein Sachherrschaftsverhältnis begründet worden ist.533

Auslegungsschwierigkeiten bereitet Marcellus dementsprechend nicht so sehr der Besitzbegriff unserer Maxime als vielmehr das Merkmal der Eigen-mächtigkeit. Seiner Meinung nach handelt der Sachinhaber eigenmächtig,

aus der neueren Literatur Hausmaninger, Nemo sibi ipse, S. 402; Schmidlin, Rechtsre-geln, S. 91; Nörr, SZ 89 (1972), S. 63; Giaro, BIDR 90 (1987), S. 90, Fn. 316.

531 Näher oben, § 5 B.I.2.a) (S. 118ff.). 532 Im Ergebnis ebenso MacCormack, BIDR 75 (1972), S. 89; anders indessen Fie-

berg, Nemo sibi ipse, S. 37 und öfter, der aus den Worten et corpore et animo possessio-ns incumbens folgert, daß sich nemo sibi ipse... ausschließlich gegen den juristischen Besitzer gerichtet habe; dagegen bereits oben, A. 307 mit Fn. 307.

533 So gelesen, ergibt die corpore et animo-Formel guten Sinn. Die von Hausmanin-ger, Nemo sibi ipse, S. 402, Fn. 13; MacCormack, SZ 86 (1969), S. 124, Fn. 52, und zuletzt Lambrini, Situazioni possessorie, S. 75 mwN., gegen die Wendung et corpore et animo possessioni incumbens vorgetragenen Echtheitsbedenken erweisen sich daher als unbegründet.

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§ 7. Besitzumwandlung unter Lebenden 239

wenn er seinen Besitzwillen verändert mit dem Ziel, die vorhandene Besitz-grundlage durch eine neue causa zu ersetzen. Daraus folgt zum einen, daß der causa- Wechsel nicht unter fremder Mitwirkung, insbesondere nicht auf Veranlassung des Berechtigten erfolgen darf; zum anderen und vor allem aber, daß die Besitzumwandlung auf einer bloßen Willensänderung beruhen muß, die den äußeren Innehabungstatbestand unberührt läßt. Das Eingreifen unseres Diktums setzt danach notwendig die Aufrechterhaltung des Besitzes voraus.

Den zuletzt genannten Aspekt, das Erfordernis der Besitzfortdauer als unverzichtbare Anwendungsbedingung der Regel nemo sibi ipse..., vertieft Marcellus im zweiten Teil der Stelle. Dort erläutert der Jurist, welche Fälle das Besitzumwandlungsverbot nicht erfaßt, und diesmal - das einleitende „non iz" deutet es an - ist sich Marcellus sicher: Keine Anwendung findet nemo sibi ipse..., falls der Sachinhaber seinen ursprünglichen Besitz aufgibt und später an derselben Sache aus einem anderen Grund von neuem Besitz erwerben will. Für die Annahme einer eigenmächtigen Besitzumwandlung soll demzufolge kein Raum sein, wenn die Besitzveränderung zum Verlust der possessio führt. Dies ist nicht nur dort der Fall, wo sich der Sachinhaber sowohl corpore als auch animo seiner Gewalt über die Sache vollständig begibt. Wie wir soeben dem Celsusfragment D. 41, 2, 18 pr. entnahmen, und wie sich überdies aus dem principium zu D. 41, 2, 19 ergibt534, hört der Sachinhaber auch dann zu besitzen auf, wenn er seinen bisherigen Eigenbe-sitz in Fremdbesitz verwandelt. Die faktische Sachgewalt bleibt dort zwar erhalten. Das weitere In-Händen-Halten der Sache allein genügt jedoch

534 D. 41, 2, 19 pr. lautet: Qui bona fide alienum fimdum emit, eundem a domino con-duxit: quaero, utrum desinat possidere an non. respondi: in promptu est, ut possidere desierit. Nach Ansicht von MacCormack, BIDR 75 (1972), S. 88f., und Lambrini, Situa-zioni possessorie, S. 74f., beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen in D. 41, 2, 19, 1 unmittelbar auf diese Entscheidung. Doch ist zu bedenken, daß der gutgläubige Käufer in D. 41, 2, 19 pr. seinen Besitz mit Abschluß des Pachtvertrages endgültig verliert und ihn später nicht noch einmal zurückerlangt. Den im principium behandelten Sachverhalt kann Marcellus in § 1 also nicht gemeint haben.

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nicht, um die strengen Anforderungen an eine Besitzfortdauer im Sinne von nemo sibi ipse... zu erfüllen.535

b) Die Bindung an den Wortlaut des Besitzumwandlungsverbots

Ebenso wie Celsus macht somit auch Marcellus die Anwendbarkeit des Besitzumwandlungsverbots vom Fortbestand des Besitzes abhängig. Wird die possessio zwischenzeitlich verloren, später aber auf der Grundlage einer neuen causa possessionis zurückerworben, so ist diese Voraussetzung nach Ansicht von Marcellus nicht erfüllt, dann handelt es sich nicht um eine ver-botene Besitzumwandlung. Damit sind dem Geltungsbereich unserer regula von vornherein diejenigen Fälle entzogen, in denen der Sachinhaber eine Besitzveränderung in der Weise vornimmt, daß er die possessio zunächst aufgibt, um sie sodann aus einem „besseren" Grund wiederzuerlangen. Nehmen wir als Beispiel an: Der Pächter eines Landgutes veräußert dieses mit der Behauptung, er sei der Eigentümer, an einen gutgläubigen Dritten und verschafft ihm den Alleinbesitz. Der Dritte fängt an, den fundus als Käufer zu ersitzen.536 Nach Ablauf der Ersitzungsfrist kauft der frühere Pächter das Landgut von seinem Käufer zurück. Hier begründet der Pächter erneut Besitz an den Ländereien, und zwar - wie von Marcellus angegeben -„ex alia causa'''', nämlich aufgrund des Rückkaufs, der ihm den zivilrecht-lich anerkannten Erwerbstitel pro emptore verschafft. Da der unredliche Pächter vom Berechtigten erwirbt, verhilft ihm diese iusta causa unmittel-bar zu (wenn er den fundus nur tradiert erhält: bonitarischem) Eigentum. Ob und gegebenenfalls wie die römischen Juristen dem (früheren) Eigentümer

Zu D. 41, 2, 19 pr. vgl. außerdem Gordon, Constitutum possessorium, S. 309f.; Voci, Iura 38 (1987), S. 75, Fn. 18.

535 Nähere Einzelheiten oben, B.I.2. (S. 234f.). 536 Die Ersitzung scheitert hier nicht etwa daran, daß sich der Pächter als Eigentümer

geriert und dadurch ein furtum begeht, das den fundus fur den Käufer unersitzbar macht. Nach klassischem Recht ist ein furtum an unbeweglichen Sachen ausgeschlossen; s. Gai-us, Inst. Π, 51 aE.

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§ 7. Besitzumwandlung unter Lebenden 241

in dieser Situation zur Hilfe kommen, lassen wir dahinstehen. Nemo sibi ipse... jedenfalls greift nicht ein. Denn der Pächter verändert zwar lucri fa-ciendi causa seinen Besitz. Weil er die Besitzveränderung aber durch eine Unterbrechung des Sachherrschaftsverhältnisses herbeiführt, entspricht sie nicht den Anforderungen unserer Rechtsregel.

Der Fall zeigt deutlich, daß ein am Wortlaut orientiertes Verständnis des Satzes nemo sibi ipse... fast unweigerlich Umgehungsspielräume schafft.537

Dennoch scheinen die klassischen Juristen nicht bereit gewesen zu sein, die von den veteres übernommene Verbotsanordnung auf ihren Rechtsgedanken zurückzuführen. Nemo sibi ipse... galt ihnen als restriktiv zu interpretieren-de Schrankenbestimmung, deren Geltungsbereich nicht über die Grenzen ihres Wortlauts hinausreicht. Das Besitzumwandlungsverbot greift nur dann ein, wenn seine Tatbestandsvoraussetzungen ihrem Buchstaben nach erfüllt sind. Mit dieser vom Wortlaut vorgegebenen Regelungsweite erhielt sich nemo sibi ipse... als verbindlich geltende Rechtsvorschrift bis in die Spät-klassik hinein.

C. Zusammenfassung

Die Fragmente zur Besitzumwandlung unter Lebenden zeigen danach ein ähnliches Bild wie die Quellen aus dem römischen Erbrecht. Hier wie dort behandeln die Klassiker das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung als präskriptiv wirkende Rechtsnorm, die im Falle ihrer Anwendbarkeit die Lösung des zur Entscheidung gestellten Einzelfalles verbindlich vorgibt. Methodisch vollzieht sich die Rechtsgewinnung anhand der Spruchregel nach einem einheitlichen Muster: Der weit gefaßte Anwendungstatbestand des Diktums wird durch Auslegung präzisiert und so für die Entscheidungs-

537 Das hat bereits Franz Klein, Sachbesitz, S. 441, richtig gesehen; ähnlich Pernice, Labeo Π, 1, S. 428f.

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findung fruchtbar gemacht. Sodann untersucht der Jurist, ob die einzelnen Tatbestandsmerkmale durch entsprechende Tatsachen erfüllt sind.

Die strikte Einhaltung dieses Verfahrens zeigt sich am deutlichsten bei Cassius-Paulus, D. 41, 6, 1, 2. Hier wird die Fallösung mittels Deduktion der abstrakten Regelaussage unmittelbar entnommen: Macht ein Ehemann seiner Frau eine verbotene Ehegattenschenkung, so findet auch nach der Scheidung der Ehe keine Ersitzung statt. Nemo sibi ipse... hindert die Frau daran, sich unter Berufung auf die Scheidung den für eine Schenkungsersit-zung erforderlichen Besitztitel pro donato selbst zu verschaffen. Anders verhält es sich, wenn die Frau im Herausgabestreit um die Sache nachweist, daß ihr das Geschenk nach der Ehescheidung vom Manne überlassen wurde. Dann findet nemo sibi ipse... keine Anwendung. Denn die Überlassung, die als erneute Vornahme der Schenkung zu werten ist, erfolgt auf Veranlas-sung des Berechtigen. Für die Annahme eines eigenmächtigen causam mu-tare bleibt deshalb kein Raum.

Auch in D. 41, 2, 3, 20, wo Paulus dem Detentor einen Eigentumserwerb durch brevi manu traditio gestattet, geschieht die Besitzgrundänderung mit Einwilligung des Berechtigten. Den Grund für die Unbeachtlichkeit unseres Diktums erkennt Paulus allerdings nicht in der Mitwirkung des Eigentümers bei der Besitzumwandlung; vielmehr läßt er das Eingreifen der Spruchregel bereits am fehlenden Besitz des Detentors scheitern. Der Jurist beschränkt den Begriff der possessio auf die Tatbestände des juristischen Besitzes und scheidet den Detentor damit von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Verbotsanordnung aus.

Gleichsam spiegelbildlich entscheidet Celsus in D. 41, 2, 18 pr. Hier scheitert die Anwendung des Besitzumwandlungsverbots an der fehlenden Fortdauer des Besitzes: Ein Prokurator, der seinen bisherigen Eigenbesitz in Fremdbesitz verwandelt, verstößt selbst dann nicht gegen nemo sibi ipse..., wenn er die Besitzveränderung ohne fremde Mitwirkung vornimmt. Celsus anerkennt damit die Möglichkeit, die possessio durch In-Sich-Konstitut auf den Geschäftsherrn zu übertragen. Um das Eingreifen unserer Spruchregel abzulehnen, verleiht Celsus dem Besitzbegriff der Maxime eine restriktive

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Interpretation, der zufolge der Geschäftsführer mit Errichtung des Besitz-konstituts zu besitzen aufhört. Dieses Ergebnis korrespondiert mit der ratio des Besitzumwandlungsverbots, das eine Abänderung des Besitzgrundes nur dort verhindern will, wo der Sachinhaber eine Verbesserung seiner Rechtsstellung erstrebt.

Von der Fortdauer des Besitzes macht auch Marcellus, D. 41, 2, 19, 1, die Anwendbarkeit des Satzes nemo sibi ipse... abhängig. Wer die possessio aufgibt und sie später aus einem anderen Grund wiedererlangt, begeht keine verbotene Besitzumwandlung. Denn der Tatbestand unseres Diktums setzt seinem Wortlaut entsprechend voraus, daß der Besitz den causa- Wechsel überdauert. Eine durch Unterbrechung des Inhabungsverhältnisses herbeige-führte Besitzveränderung erfüllt diese Anforderung nicht. Bei wortgetreuer Auslegung der Maxime eröffnen sich daher Umgehungsmöglichkeiten, wie der Rückerwerb des Nichtberechtigten anschaulich belegt. Gleichwohl war die klassische Jurisprudenz nicht bereit, den Anwendungsbereich der regula über ihren Wortlaut hinaus zu erweitern. Die Klassiker fühlten sich an die von den veteres autorisierte Spruchfassung gebunden, in der das Besitzum-wandlungsverbot seinen normativen Geltungsanspruch über Jahrhunderte hinweg behaupten konnte.

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