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Das Wrack im Eis

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Atlan - Held von Arkon

Nr. 182

Das Wrack im Eis

Maahks auf der Welt des Sehers -der Kampf um das Erbe der

Varganen entbrennt

von H. G. Ewers

Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9.Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III. ein bruta-ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Nach-folge antreten zu können.

Gegen den Usurpator kämpft Atlan, der Kristallprinz des Reiches und rechtmäßigerThronerbe, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen.

Doch mit dem Tag, da der junge Atlan erstmals Ischtar begegnet, der schönenVarganin, die man die Goldene Göttin nennt, hat er noch mehr zu tun, als sich mitOrbanaschols Schergen herumzuschlagen oder nach dem »Stein der Weisen« zusuchen, dem Kleinod kosmischer Macht.

Atlan – er liebt Ischtar und hat mit ihr einen Sohn gezeugt – muß sich auch derNachstellungen Magantillikens, des Henkers der Varganen, erwehren, der die EisigeSphäre mit dem Auftrag verließ, Ischtar zu töten.

Gegenwärtig befindet sich Atlan in der Gewalt des Vrentizianex, den man den Kyri-liane-Seher nennt. Atlan, der eine Sklavenrevolte gegen den wahnsinnigen Seherangezettelt hat, um seine Freiheit wiederzuerlangen, wird nach dem Scheitern derRevolte von Vrentizianex inmitten der Schneewüste ausgesetzt und dem Kältetodüberantwortet.

Atlans einzige Chance ist DAS WRACK IM EIS …

Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Kristallprinz führt einen aussichtslosen Kampf.Vrentizianex - Ein varganischer Mutant.Woogie - Ein Sklave wird Atlans Gefährte.Grek-1 - Kommandant eines Sohlachtschiffs der Maahks.

1.

Die Lähmung fiel allmählich von mir ab,und ich konnte mich so bewegen, daß ichwieder in der Lage war, meine Umgebungzu überschauen.

Als erstes sah ich durch eine transparenteWandung hindurch dichte schneeweißeWolken und einen hellen gelblichen Fleck,der hindurchschien.

Dann erblickte ich zwei Lebewesen. Daseine war eines jener hellhäutigen Wesen, dieim Palast des Kyriliane-Sehers als Sklavenfungierten.

Und das andere war der Seher Vrentizia-nex selbst, groß und massig, mit metallischschimmernder bronzefarbener Haut, Hän-den, die wie große Krallen aussahen und ei-nem mit dem Kopf verwachsenen Schup-penhut. Er trug noch immer sein Gewandaus rotem Samt.

Irgendwie mußte Vrentizianex trotz seinerBlindheit gemerkt haben, daß die Paralysevon mir abgefallen war, denn er wandte mirplötzlich sein Gesicht zu. Ich blickte in diebeiden funkelnden Kristalle, mit denen seineAugenhöhlen ausgefüllt waren.

Ein trauriges Lächeln huschte über dasentstellte Gesicht, dann sagte der Varganemit leiser Stimme:

»Du wolltest nicht in meinem Palast blei-ben, Atlan. Gut, du sollst deinen Willen ha-ben. Ich bringe dich fort.«

Er sprach wieder diese seltsame Sprache,die ich am Anfang nicht verstanden hatte.Erst durch eine Hypnoschulung hatte ich ge-lernt, die Sprache des Sehers wie meine ei-gene Sprache zu gebrauchen und zu verste-hen.

»Wohin bringst du mich?« fragte ich.Vrentizianex machte eine umfassende Be-

wegung mit einer Hand; mit der anderenHand steuerte er das Fahrzeug, das, wie icherkannte, ein Gleiter war.

»Ich setze dich im Gebirge aus«, antwor-tete der Seher. »Dort wirst du frei sein, wiedu es wolltest.«

Ich richtete mich auf und warf einen Blickdurch die teilweise durchsichtige Wandungdes Gleiters nach unten.

Was ich sah, ließ mich erschaudern. Unteruns erstreckte sich, soweit das Auge zublicken vermochte, ein schnee- und eisbe-decktes Gebirge.

»Alles hat seinen Preis«, erklärte der Se-her … »Auch die Freiheit. Aber du wirstnicht allein sein müssen. Ich gebe dir Woo-gie …«, er deutete mit einer schwachenKopfbewegung auf das hellhäutige Wesen,»… als Begleiter mit. Außerdem erhaltet ihrNahrung für einen Tag.«

Ich warf einen skeptischen Blick auf denSklaven, der nur etwa einen Meter groß und– wie ich aus Erfahrung wußte – wie alleseine Artgenossen nicht sehr intelligent war.Er würde mir bestimmt keine große Hilfesein.

Dann sah ich an mir herab. Ich trug jetztnur die einfache Bordkombination der Ar-kon-Raumfahrer, aber nichts mehr von mei-ner wertvollen Ausrüstung und auch keineWaffen. Es war sehr unwahrscheinlich, daßich in dieser Kleidung und mit Nahrungsmit-teln für nur einen Tag in der eisigen Schnee-wüste dort unten länger als anderthalb Tageüberleben würde.

»Damit verurteilst du mich zum Tode,Vrentizianex!« protestierte ich. »Warumgibst du mir nicht eine bessere, eine echteChance?«

Die kristallenen Augen des Sehers funkel-ten und glitzerten, als wären sie auf geheim-nisvolle Art am Leben.

Das Wrack im Eis 3

»Du hast noch eine Chance, Atlan«, ant-wortete er leise. »In der Nähe des Platzes, andem ich dich und Woogie aussetzen werde,liegt ein altes varganisches Raumschiff –mein Raumschiff. Ich habe es seit undenkli-chen Zeiten nicht mehr benutzt, aber wenndu es erreichst, wirst du dort überleben kön-nen.«

Die Chance, das Raumschiff zu erreichenund dort zu überleben, kann nicht sehr großsein! raunte mir der Logiksektor meines Ex-trahirns zu. Vrentizianex ist psychisch krank,und seinem kranken Hirn kann nur eineneue Teufelei eingefallen sein!

Ich überdachte den Einwand und kam zudem Schluß, daß ich eine Teufelei des Se-hers nicht ausschließen durfte. Folglichmußte ich versuchen, ihn in einem günstigenAugenblick zu überwältigen. Dann konnteich mit dem Gleiter in seinen Palast zurück-kehren und mir die Mittel beschaffen, dienotwendig waren, um zu Ischtar zurückzu-kehren oder nach Kraumon zu Fartuloon undmeinen anderen Freunden.

Scheinbar jedoch ergab ich mich in meinSchicksal. Ich blickte resigniert vor mich hinund warf ab und zu einen flüchtigen Blickauf die Schneelandschaft unter uns.

Nach kurzer Zeit setzte der Vargane zurLandung an. Ein Hügel wuchs uns scheinbarentgegen, dann setzte das Fahrzeug auf.

Vrentizianex deutete mit einer Krallen-hand auf die Tür, die sich geöffnet hatte unddurch die eisige Luft hereinwehte.

»Geht!« befahl er.Ich tat so, als wollte ich auf die Tür zuge-

hen. Im letzten Augenblick wirbelte ich her-um und sprang den Seher an. Dummerweiselief mir in diesem Augenblick Woogie inden Weg. Wir stießen zusammen, und ichstürzte. Als ich mich wieder aufrichtete, trafdie zur Faust geballte Krallenhand des Se-hers mein Gesicht. Ich flog zurück, pralltegegen den Türrahmen und wollte mich er-neut auf den Varganen stürzen.

Doch Vrentizianex hatte inzwischenWoogie gepackt und schleuderte ihn mitvoller Wucht gegen mich. Der Anprall des

lebenden Wurfgeschosses fegte mich ausdem Gleiter.

Ich fiel in den Schnee und versank bis zuden Knien darin. Bevor ich mich wieder auf-gerappelt hatte, flog Woogie mir nach. DieTür des Gleiters schloß sich, und das Fahr-zeug startete senkrecht und tauchte in dieWolkendecke ein.

Zitternd vor Zorn und Enttäuschungblickte ich nach oben, dann wandte ich michum und unterzog das Gelände einer genauenMusterung. Dabei beruhigte ich mich all-mählich wieder.

Neben mir wühlte sich Woogie aus demSchnee. Tränen liefen über sein bleiches Ge-sicht.

»Noch leben wir, Woogie«, versuchte ichdas Wesen zu trösten. »So lange man lebt,braucht man nicht aufzugeben. Vielleichtsollten wir zu Fuß zum Palast des Sehers zu-rückkehren.«

»Nein, nein!« erwiderte Woogie mitschriller Stimme. »Der Herr würde uns tö-ten!«

Damit ist zu rechnen! teilte mir mein Ex-trahirn mit. Außerdem dürfte der Weg zumPalast des Sehers zu weit für einen Fußmar-sch sein. Ihr würdet unterwegs zusammen-brechen und erfrieren.

Ich holte tief Luft und merkte dabei, daßes hier und jetzt nicht so kalt war, daß wirerfrieren könnten – jedenfalls nicht, solangewir Nahrung besaßen, um unseren Stoff-wechsel aufzuheizen. Allerdings würde esnachts viel kälter werden.

»Wir brauchen einen Platz, von dem auswir das Gelände übersehen könnten«, erklär-te ich und deutete auf einen Berg, der in derNähe aufragte. »Diesen Berg beispielsweise.Verlieren wir keine Zeit!«

*

Als wir den Fuß des Berges erreicht hat-ten, hielt ich nach der besten Aufstiegsmög-lichkeit Ausschau.

Woogie stand teilnahmslos neben mir. Erwar die ganze Zeit über schweigend hinter

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mir hergetrottet. Wahrscheinlich war erdurch sein Sklavendasein abgestumpft undhatte sich damit abgefunden, in Schnee undEis zu sterben.

Aber ich war nicht gewillt, mich damitabzufinden. Ich würde bis zum letztenAtemzug gegen den weißen Tod kämpfen,denn ich hatte ein Ziel, und wenn ich es er-reichen wollte, mußte ich überleben.

Endlich glaubte ich, eine günstige Auf-stiegsmöglichkeit entdeckt zu haben. Ichsetzte mich in Bewegung und stieg einenschneebedeckten Hang hinauf. Es war be-schwerlich, da ich bei jedem Schritt bis zumKnie im Schnee versank.

Auf halber Höhe drehte ich mich um undblickte zurück.

Woogie stand noch immer dort, wo ichihn verlassen hatte. Er war wirklich keinegroße Hilfe für mich. Doch ich durfte ihnnicht einfach seinem Schicksal überlassen.

»Woogie!« rief ich. »Worauf wartest du!Komm endlich!«

Das Wesen schrak auf, dann setzte es sichin Bewegung. Möglicherweise war es durchsein früheres Sklavendasein so unselbstän-dig geworden, daß es zu keiner eigenen In-itiative mehr fähig war. Ich würde es alsSklaven behandeln müssen, wenn ich wollte,daß es mit mir kam und nicht elend zugrun-de ging.

Woogie arbeitete sich den Hang heraufund hatte mich bald erreicht. Ich nickte ihmzu, dann ging ich weiter.

Nach einiger Zeit erreichten wir einenSteilhang, den wir nicht hätten bewältigenkönnen, wenn sich nicht ein schmales Fels-band, schräg aufwärts führend, an ihm ent-langgewunden hätte.

Allerdings war das Felsband uneben undeisbedeckt, und schon nach wenigen Meternglitt ich aus und wäre um ein Haar abge-stürzt. Im letzten Augenblick konnte Woo-gie mich festhalten.

»Danke!« sagte ich, nachdem ich michvom ersten Schreck erholt hatte. Der kleineBursche war also doch ein brauchbarer Ge-fährte.

Auch im weiteren Verlauf des Aufstiegsbewies Woogie, daß ich ihm zuwenig zuge-traut hatte. Er bewegte sich sehr geschicktüber das Felsband, und ich lernte sogar vonihm, daß es günstiger war, auf allen vierenüber das glatte Band zu kriechen anstatt auf-recht zu gehen.

Dennoch waren wir beide froh, als wirden Steilhang bewältigt hatten. Vor uns lageine nur schwach ansteigende Felsschulter,und dahinter kam die eigentliche Gipfelregi-on des Berges.

Unsere Freude währte jedoch nicht lange.Auf der Felsschulter lag, was zu erwartengewesen war, eine viel höhere Schneedeckeals auf den Hängen. Ich Versank oft bis zurHüfte und mußte mich sehr mühsam voran-kämpfen. Woogie erging es noch schlechter.Er versank manchmal bis unter die Achselnim Schnee.

Als ich mich nach dem ersten Drittel derStrecke umdrehte, war der kleine Burschesogar ganz verschwunden.

»Woogie?« rief ich.Keine Antwort.Ich rief noch einige Male, dann sah ich

ein, daß ich es auf mich nehmen mußte, denbeschwerlichen Weg bis zu Woogie zurück-zugehen. Schließlich konnte ich ihn nichtsich selbst überlassen.

Zwischendurch rief ich immer wiedernach meinem Gefährten, aber Woogie ant-wortete nicht.

Als ich plötzlich ein Loch im Schnee ent-deckte, ahnte ich, was geschehen war. Äu-ßerst vorsichtig tastete ich mich an das Lochheran, das sich nur ein paar Schritt weit vonmeiner alten Spur befand. Als mein linkerFuß keinen Halt mehr fand, warf ich michzurück.

Schweratmend hockte ich im tiefenSchnee und überlegte.

Woogie mußte in eine Felsspalte gestürztsein, als er von meiner Spur abgewichenwar. Ich mußte daran denken, daß ich eben-so dort unten liegen konnte, denn von derFelsspalte war ja nichts zu sehen gewesen.

Vielleicht war Woogie tot. Aber sicher

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konnte ich dessen nicht sein, auch wenn ermir nicht antwortete. Er mochte nur das Be-wußtsein verloren haben und würde elendzugrunde gehen, wenn ich ihm nicht half.

Aber wie sollte ich ihm helfen?Ich besaß weder ein Seil noch Kletterha-

ken, ja nicht einmal eine Stange, mit der ichihn – vielleicht – erreichen konnte.

Durfte ich es riskieren, ohne Hilfsmittelden Abstieg in die Felsspalte zu wagen unddabei ebenfalls abzustürzen? War nicht dieMission, die noch vor mir lag, weitaus wich-tiger als das Leben eines nur schwach intel-ligenten Wesens?

Die Erhaltung deines eigenen Lebens hatden Vorrang! raunte mir mein Logiksektorzu.

Aber ich hatte nicht vor, auf diesen Rat zuhören. Er war zwar logisch begründbar, aberauch nur dann, wenn ich den großen Rah-men übersah, in dem die Ursachen und Wir-kungen aller kosmischen Dinge eingespon-nen sind. Den aber konnte ich infolge mei-ner Bildung nicht übersehen, und eine derlogischen Folgerungen, die sich aus diesemÜberblick ergaben, war die, daß intelligenteLebewesen sich gegenseitig helfen müssen,und zwar mit der zwingenden Notwendig-keit eines Naturgesetzes, da Einzelwesennicht ohne die Gemeinschaft existierenkonnten und Ausbrüche aus den Gesetzmä-ßigkeiten sich schädlich auf die Gemein-schaften auswirken mußten.

In diesem Sinne war es logisch, Woogieunter allen Umständen zu helfen, es zumin-dest zu versuchen, ganz abgesehen davon,daß es dafür auch einen gefühlsmäßig be-dingten Beweggrund gab.

Ich machte mich daran, zuerst den Schneemit den Händen wegzuschaufeln, bis ich denfelsigen Rand des Loches selbst erkennenkonnte. Es war ein gezackter Rand, und dieWandung darunter wies ebenfalls zahlreicheVorsprünge auf, die ich als Kletterhilfen be-nutzen konnte.

Allerdings konnte ich nur etwa drei Meterweit sehen. Darunter lag Dunkelheit.

Wieder rief ich – und diesmal antwortete

Woogie, wenn auch nur mit einem schmerz-lichen Stöhnen.

Immerhin bewies mir das Stöhnen, daßder Bursche noch lebte, und das sporntemich zu noch größerer Leistung an.

Dennoch nahm ich mir viel Zeit, denn ichkonnte Woogie nur helfen, wenn ich unver-letzt unten ankam. Behutsam arbeitete ichmich hinunter. Die Öffnung über mir wurdezu einem immer kleineren Lichtfleck – undplötzlich ertasteten meine Füße festenGrund.

Vorsichtig stellte ich beide Füße auf denGrund, wartete einen Moment und ließ erstdann die Vorsprünge los, die ich bis dahinmit beiden Händen umklammert hatte. Da-nach tat ich einen vorsichtigen Schritt.

Ich stieß gegen etwas Weiches, bücktemich und konnte Woogies Körper ertasten.

»Bist du verletzt?« fragte ich.Woogie stöhnte abermals, dann sagte er:»Mein Kopf!«Ich tastete nach Woogies Kopf, fühlte das

Gesicht, den Schädel und konnte bald daraufeine mächtige Beule entdecken, die sich anWoogies Hinterkopf gebildet hatte. Dann ta-stete ich seine Arme und Beine ab, die je-doch nicht gebrochen waren.

»Du hast nur eine Beule am Kopf, weiternichts«, sagte ich. »Wenn du nicht hier er-frieren willst, mußt du dich schon aufraffen.Ich helfe dir, aus der Spalte zu kommen.«

Es dauerte noch eine Weile, bis Woogiesich so weit erholt hatte, daß er meinem Ratfolgen konnte. Dann aber brauchte er meineHilfe kaum noch. Wir erreichten den Randder Spalte gleichzeitig, krochen ein Stückweiter und befanden uns wieder in Sicher-heit.

Besorgt musterte ich Woogie. Doch derkleine Bursche schien einen harten Schädelzu haben. Er hatte sich von dem Sturz er-staunlich gut und schnell erholt.

Nach kurzer Rast marschierten wir weiter.Wir erreichten den Gipfelaufstieg, als dieSonne versank. Kurz darauf fegte ein eisigerWind übers Gelände, und wenig später be-gann es zu schneien.

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Aus dem Schneefall wurde ein regelrech-ter Schneesturm. Es war unmöglich gewor-den, den Gipfel zu besteigen. Statt dessenmußten wir befürchten, im Schneesturm zuerfrieren, da er unsere Kleidung durchdrangund uns stark auskühlte.

Glücklicherweise hatte ich bei Tageslichteinen Schneewall gesehen, der sich etwafünfzig Schritt links von uns auftürmte.Wenn es uns gelang, ihn zu erreichen unduns darin einen Unterschlupf zu bauen,konnten wir die Nacht vielleicht überleben.

Ich teilte meine Überlegungen Woogiemit. Der kleine Bursche faßte sie als Befehlauf, was ich stillschweigend akzeptierte,denn es erleichterte in diesem Fall unsere Si-tuation erheblich.

Wir kämpften uns durch den Schnee-sturm.

*

Es war die Hölle.Um uns tobte und brauste der Sturm,

peitschte uns Schneekristalle ins Gesichtund nahm uns den Atem. Wir hielten uns anden Händen, um uns nicht zu verlieren.

Endlich hatten wir den Schneewall er-reicht. Wir stürzten uns wie Berserker aufden weißen Hügel, der nur deshalb nichtvom Sturm weggeblasen worden war, weileine fingerdicke Eiskruste ihn überzog.

Nachdem wir die Eiskruste durchbrochenhatten, wühlten wir uns einen etwa fünf Me-ter langen Gang. Danach waren wir so aus-gepumpt, daß wir uns einfach fallen ließen.

Ich mußte in dem Augenblick eingeschla-fen sein, als ich zu Boden sank, denn als icherwachte, war das das letzte, an das ich micherinnerte.

Ich setzte mich auf und lauschte eineWeile dem Heulen des Schneesturms, dannfiel mir auf, daß ich außer meinen eigenenkeine Atemzüge hörte.

Ich tastete um mich, konnte Woogie abernicht finden, obwohl die Höhle so eng war,daß er nicht aus meiner Reichweite gekro-chen sein konnte.

Es sei denn, in Richtung Ausgang.»Woogie?« rief ich fragend.Niemand antwortete.Ich stieß eine Verwünschung aus. Wenn

Woogie die Höhle verlassen haben sollte,dann war er verloren, und diesmal, so nahmich mir vor, riskierte ich mein Leben nicht,um ihm zu helfen.

Dennoch hielt ich die Ungewißheit nichtlange aus.

Ich kroch durch den Stollen zurück. DerEingang war zur Hälfte zugeschneit, und inder Wehe fand sich tatsächlich die SpurWoogies. Der kleine Bursche mußte aus un-erfindlichen Gründen ins Freie gekrochensein. Möglicherweise war er längst erfroren.

Ich kroch ein Stück weiter und stellte miteinemmal fest, daß es gar nicht mehr schnei-te. Nur der Sturm tobte mit unverminderterHeftigkeit.

Ich kroch aus der Schneehöhle und wärebeinahe von der Gewalt des Sturmes umge-rissen worden. Seltsamerweise war es nichtmehr stockdunkel, und als ich aufblickte, er-kannte ich den Grund dafür.

Der Sturm hatte die Wolken hinwegge-fegt. Der Himmel war völlig klar, und vonseiner so endlich erscheinenden und dochunendlichen Wölbung herab funkelten undglitzerten Tausende von Sternen in klarerkalter Pracht.

Lange hielt ich mich bei dem Anblick al-lerdings nicht auf, denn es war eisig kalt.

Ich schaute mich um, ohne Hoffnung,Woogie dadurch finden zu können. Er warso gut wie verloren, denn ich konnte bei die-sem eiskalten Wind nicht lange im Freienbleiben, ohne zu einem Eiszapfen zu erstar-ren.

Sehr verwundert war ich, den reglosenKörper meines Begleiters nur wenige Schrit-te entfernt im Schnee liegen zu sehen.

Mit klappernden Zähnen stapfte ich hin-über, packte den Burschen unter den Schul-tern und schleifte ihn in die relative Wärmeund Geborgenheit der Schneehöhle zurück.

Als ich nach seinem Puls tastete, spürteich ihn zwar langsam, aber doch regelmäßig

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schlagen. Ich nahm Schnee und rieb seinGesicht kräftig damit ein.

Nach einiger Zeit kam der kleine Kerlwieder zu sich.

»Was hattest du dir dabei gedacht, einfachhinauszugehen?« fuhr ich ihn zornig an.»Wenn ich nicht rechtzeitig erwacht wäre,wärst du schon tot.«

Aber Woogie antwortete nicht. Er blicktemich nur ängstlich aus seinen großen Augenan.

»Ab sofort handelst du nur noch mit mei-ner ausdrücklichen Erlaubnis!« befahl ichihm. »Ist das klar?«

»Ja, Herr!« antwortete Woogie schüch-tern.

Ich war überzeugt davon, daß er gehor-chen würde, deshalb versuchte ich, wiedereinzuschlafen, denn ich würde morgen alleEnergiereserven brauchen, die mein Körperaufzubieten hatte.

Doch es gelang mir nicht.Die Ereignisse, die dazu geführt hatten,

daß ich schließlich in einer engen Schnee-höhle auf einem unbekannten Planeten ge-landet war, zogen wie ein Trivideofilm anmeinem geistigen Auge vorbei. Ich grübeltedarüber nach, was aus Ischtar, aus Fartuloonund meinen anderen Gefährten gewordenwar, und da ich keine Antwort darauf fand,wurde ich so unruhig, daß ich am liebstengleich aufgebrochen wäre.

Aber noch immer tobte draußen der eisigeSturm, und solange er wehte, würde ich in-nerhalb kurzer Zeit draußen erfrieren. Ichmußte meine Ungeduld bezähmen und war-ten, bis der Sturm nachließ und es Tag ge-worden war. Wenn die Sonne schien, würdees auch wärmer werden.

Etwas neidisch horchte ich auf Woogie,der fest eingeschlafen war und tief und ruhigatmete. Manchmal hatten fehlendes Wissenund geringe Intelligenz auch ihre unbestreit-baren Vorteile. Wer nicht über den Rahmender eigenen Existenz hinausblicken konnte,dem wurden dadurch viel Unruhe, Ungeduldund Ängste erspart. Aber trotz allem wollteich nicht mit Woogie tauschen.

Endlich wurde das schrille Heulen desSturmes leiser, sank zu einem Winseln abund erstarb schließlich ganz.

Als ich aus der Höhle trat und mich um-schaute, sah ich die Sonne aufgehen und dieGipfel wie in roter Feuersglut baden. Aberich sah auch die riesige Weite der Gebirgs-landschaft. Kein anderes Lebewesen ließsich sehen. Wahrscheinlich befanden sichaußer Woogie und mir nur der varganischeSeher und seine Sklaven auf diesem Plane-ten.

Ich kehrte in die Höhle zurück und weck-te Woogie. Wir aßen etwas von den Vorrä-ten, die Vrentizianex uns überlassen hatte,und tranken eine teeähnliche Flüssigkeit ausdem Isolierbehälter. Danach brachen wirauf.

Der Aufstieg zum Gipfel erwies sich alsschwieriger, als es am Tage zuvor ausgese-hen hatte. Der Sturm hatte hohe Schneewäl-le an den flachen Stellen des Hanges zusam-mengetrieben, die sich unter der Sonnenbe-strahlung erwärmten und sich nicht haltenkonnten.

Einmal donnerte eine mächtige Schneela-wine dicht an uns vorüber und hüllte uns ineine Wolke von Schneestaub. Wir mußtendie Gesichter zwischen den Armen bergen,um nicht zu ersticken.

Als die Lawine verschwunden war, kro-chen wir aus der staubfeinen Schneewehe,die uns zugedeckt hatte, und setzten unver-drossen den Aufstieg fort.

Und endlich hatten wir den Gipfel er-reicht.

Ich reckte und dehnte mich in der frost-klaren Luft, die angenehm durch die wärme-nden Sonnenstrahlen gemildert wurde. VomGipfel aus blickte ich weit über die eisigeGebirgslandschaft. So weit das Auge reich-te, sah ich eisbedeckte Gipfel, dazwischenTäler und schneebedeckte Hochebenen.

Dann fiel mein Blick in das Tal auf deranderen Seite – und ich spürte, wie sich allesin mir zusammenkrampfte.

Denn auf der Oberfläche des gewaltigenGletschers, der sich schlängelnd durch das

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Tal wand, lag ein langes, walzenförmigesGebilde, dessen Formen mir nur zu gut be-kannt waren.

Ein Raumschiff der Maahks!

2.

Ich stand fast eine ganze Minute lang wieerstarrt auf dem Berggipfel und starrte unbe-wegt auf das riesige schwarze Walzengebil-de.

Ein Großkampfschiff der Maahks, derErzfeinde des Großen Imperiums, war dasletzte, was ich auf diesem Planeten zu sehenerwartet hatte.

Ich spürte, wie der Haß auf diese Wasser-stoff atmenden Intelligenzen in mir hoch-stieg und die klare Überlegung zurückzu-drängen drohte. Der Haß verstärkte sichnoch, als ich die Gestalten sah, die von hieroben insektenhaft klein wirkten und um dasSchiff herumwimmelten: Die Besatzungs-mitglieder des Maahkschiffes.

Die Maahks machten sich an einer riesi-gen Ausgrabungsstelle auf der Mittelmoränedes Gletschers zu schaffen. Dort standengroße Energiefräsen und Saugstrahlbaggermit Druckkabinen und legten etwas frei, dasich zuerst nicht erkennen konnte.

Als ich es aber dann doch erkannte, ver-stärkte sich mein Haß auf die Maahks nochmehr, denn das, was sie dort auszugraben imBegriff waren, war nach dem, was ich davonbisher sehen konnte, ein varganisches Dop-pelpyramidenschiff.

Das Raumschiff des Sehers?Es ist anzunehmen, daß es sich um das

Raumschiff des Sehers handelt! teilte mirmein Extrasinn mit. Vrentizianex dürfte nurdieses eine Schiff besessen haben. Aber esist auch als sicher anzusehen, daß Vrentizia-nex von der Anwesenheit der Maahks wußte.

Das leuchtete mir ein.Vrentizianex hatte mir also doch eine Fal-

le gestellt. Es erschien mir typisch für denSeher, daß er ein Raumschiff verschenkte,von dem er wußte, daß er selbst nicht mehrdarüber verfügen konnte.

Aber es wäre sinnlos gewesen, sich dar-über aufzuregen.

Dieses Raumschiff bedeutete für Woogieund mich die einzige Möglichkeit zumÜberleben. Folglich mußten wir dort hinabund versuchen, in das Varganenschiff einzu-dringen.

Und das, obwohl es dort unten vonMaahks wimmelte, die bestimmt nicht zim-perlich mit einem Arkoniden umgehen wür-den. Immerhin befanden sich das Große Im-perium und das Sternenreich der Maahks imKriegszustand – und dieser Krieg war dererbittertste und erbarmungsloseste, der jezwischen den Sternen geführt worden war.

Ein Krieg, in dem wir Arkoniden längstuntergegangen wären, wenn wir infolge vonSchock und Furcht nicht längst einen mörde-rischen Haß auf den Todfeind entwickelthätten, der allein uns dazu befähigte, imKampf notfalls den eigenen Tod einzukalku-lieren, wenn nur dem Feind dadurch Verlu-ste zugefügt werden konnten.

In deinem Fall ist Haß ein schlechter Rat-geber! teilte mir mein Logiksektor mit. Eineinzelner Mann kann mit Haß gegen einganzes Raumschiff voller Feinde nichts er-reichen, noch dazu, wenn er die Pflicht hat,dafür zu sorgen, daß er selbst überlebt.

Diese Argumentation war von so zwin-gender Logik, daß ich mit aller Kraft gegenmeinen Haß ankämpfte und ihn schließlichüberwand.

Endlich hatte ich meine klare Überlegungzurückgewonnen.

Ich wandte mich um und sah, daß Woogieebenfalls auf das Raumschiff im Gletscher-tal starrte.

Als er meinen Blick bemerkte, erwiderteer ihn und fragte:

»Freunde?«»Nein, Feinde«, antwortete ich. »Wenn

sie uns entdecken, werden sie uns töten.Dennoch müssen wir hinunter, denn das alteRaumschiff der Varganen ist unsere einzigeMöglichkeit zum Überleben.«

Woogie machte ein ängstliches Gesicht.»Aber wenn wir zu dem Schiff gehen,

Das Wrack im Eis 9

muß man uns entdecken«, wandte er ein.»Nur, wenn wir offen an die Ausgra-

bungsstelle gehen«, erwiderte ich. »Wirmüssen bei Tag hinab ins Tal, aber an eineStelle, wo die Maahks – so heißen die Lebe-wesen aus dem schwarzen Walzenschiff –uns nicht sehen können. Dort warten wir denEinbruch der Dunkelheit ab, dann schleichenwir uns an.«

Ich deutete auf die diesseitige Wallmorä-ne, die sich neben dem Gletscher hinzog undeinen hohen Wall aus Geröll bildete.

»Hinter diesem Wall können wir uns ver-borgen halten«, erklärte ich. »Allerdingsdürfen wir nicht an dieser Seite des Bergesabsteigen, sondern müssen den Weg zurück-gehen, den wir gekommen sind. Dann umge-hen wir den Berg und pirschen uns an dieSeitenmoräne an.«

Ich überlegte, ob ich den Burschen über-haupt mitnehmen sollte, denn dort untenwürde er genauso in Gefahr sein wie ich. Erwürde mir gegenüber sogar im Nachteilsein, da er keinerlei Kampferfahrung besaßund erst recht nicht wußte, was bei der An-näherung an Maahks besonders zu beachtenwar.

Doch ich hatte keine Wahl. Ließ ich Woo-gie hier zurück, kam er niemals in das var-ganische Raumschiff hinein und würde dienächste Nacht nicht überleben. Folglichmußte ich ihn mitnehmen.

Er erhob auch keinerlei Einwände, son-dern folgte mir, als ich mich an den Abstiegmachte. Hinab ging es etwas leichter als hin-auf, da wir auf den flachen Eisfeldern rut-schen konnten. Dennoch schwitzten wir, alswir den Fuß des Berges erreicht hatten.

Aber von nun an ging es besser voran.Wir marschierten durch ein schmales Tal,das teilweise vom Sturm schneefrei geblasenworden war, kämpften uns durch einige ho-he Schneewehen und erreichten am frühenNachmittag den Steinwall der Seitenmoräne.

Als ich mich vorsichtig über den Wallschob und zu den Maahks spähte, sah ich,daß sie ihre Ausgrabungsarbeiten intensi-viert hatten. Noch mehr Energiefräsen,

Saugstrahlbagger und Antigravheber warenaus dem Walzenschiff zur Ausgrabungsstel-le gebracht worden, und ihr Arbeitslärmdröhnte bis zu uns herüber.

Die Maahks wollen das Varganenschiffbergen! teilte mein Extrahirn mir mit.

Ich starrte hinüber und kämpfte erneut ge-gen den aufsteigenden Haß an.

Eine neue Überlegung brach sich Bahn.Wenn es den Wasserstoffatmern gelingen

sollte, das Raumschiff des Sehers zu bergenund dessen technische Anlagen, die sowohldenen der Maahks als auch denen der Arko-niden hoch überlegen waren, zu ergründen,dann würden sie diese Technik in großemMaßstab einsetzen. Damit aber würde derUntergang des Großen Imperiums besiegeltsein.

Folglich kam es nicht mehr allein daraufan, daß Woogie und ich in dem Varganen-schiff die Möglichkeit fanden, selbst zuüberleben. Wir mußten außerdem verhin-dern, daß die Maahks die Technik der Var-ganen untersuchten und für ihre Zweckenutzten.

Das bedeutete, ich mußte kämpfen. NachMöglichkeit hatte ich das Walzenschiff derMaahks so zu beschädigen, daß es mit Bord-mitteln nicht mehr repariert werden konnte,und auch die Hyperfunkanlage mußte ichunbrauchbar machen. Dann würden dieMaahks für immer auf diesen Planeten ver-bannt bleiben.

Noch besser würde es natürlich sein, ichkonnte das Schiff mitsamt allen Maahks indie Luft sprengen. Wenn sie überlebten, be-stand immer die Gefahr, daß sie den Palastdes Sehers entdeckten und dort die Möglich-keit fanden, über Hyperkom einen Notrufauszustrahlen.

Sicher befanden sich andere Maahkschiffein Funkreichweite. Ich kannte die Taktik derMaahks. Sie schickten ständig Aufklärungs-verbände in Regionen der Galaxis, die vonihnen noch nicht erforscht waren. DieseVerbände teilten sich einen bestimmtenRaumsektor in Suchkuben auf, und jedeseinzelne Schiff flog einige Dutzend Sonnen-

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systeme an, um auf eventuellen Sauerstoff-planeten nach arkonidischen Stationen oderStützpunkten zu suchen.

Fand eines ihrer Schiffe einen Stützpunkt,den es nicht allein vernichten konnte, rief esüber Funk eines oder mehrere der anderenSchiffe herbei. Das bedingte natürlich, daßdie anderen Schiffe über Hyperfunk erreich-bar sein mußten.

Bei dem im Tal gelandeten Walzenschiffkonnte es sich nur um ein solches Suchschiffhandeln. Es gehörte jedenfalls zum entspre-chenden Typ. Es hatte sich zweifellos ineinen Orbit um diesen Planeten begeben, ummit seinen Ortungsgeräten nach eventuellenarkonidischen Stützpunkten zu suchen – unddabei war das alte Varganenschiff entdecktworden.

Ich seufzte.Es spielte in diesem Zusammenhang über-

haupt keine Rolle, daß ich dem ImperatorOrbanaschol und seiner korrupten Regierungden Kampf angesagt hatte. Wenn auch Or-banaschol und ich auf verschiedenen Seitenstanden, so war ich dennoch voll und ganzauf der Seite meines, des arkonidischen Vol-kes.

Das änderte die Sachlage, denn in diesemFall hatte ich mich notfalls zu opfern, wennes mir dadurch nur gelang, den Maahks dastechnische Erbe der Varganen vorzuenthal-ten.

Wenn ich hier starb, würde Fartuloon denKampf gegen Orbanaschol eben allein mitunseren Freunden führen müssen.

»Hast du Angst, Herr?« fragte Woogie.Ich lächelte.»Nein, jetzt nicht mehr«, antwortete ich.

*

Nachdem wir den Rest unserer Lebens-mittel gegessen hatten, warteten und beob-achteten wir weiter.

Erneut bewölkte sich der Himmel. DieLuft roch förmlich nach neuem Schneefall.Ich hoffte, daß nicht auch diesmal bei Ein-bruch der Dunkelheit ein Schneesturm los-

brach. In ihm hätten wir den Weg zur Aus-grabungsstelle nicht geschafft.

Es wurde kälter, da die Kraft der Sonnenicht genügte, um durch die Wolken hin-durch ausreichend Wärme zu spenden. Woo-gie und ich zitterten heftig. Wir verschafftenuns notgedrungen Bewegung, um unserenKreislauf anzuheizen, obwohl wir damitkostbare Energie verbrauchten, ohne siedurch Nachschub an Nahrungsmitteln erset-zen zu können.

Ich schätzte, daß wir den nächsten Tagnicht mehr erlebten, wenn es uns nicht wäh-rend dieser einen Nacht gelang, in das var-ganische Schiff zu kommen und damit derKälte zu entfliehen.

Kaum war die Sonne versunken, fing eswieder an zu schneien. Glücklicherweise fie-len die Schneeflocken sehr spärlich, und esgab keinen Sturm.

Überall im Tal flammten die Scheinwer-fer auf, die die Maahks an ihre Ausgra-bungsgeräte montiert hatten. Auch beimWalzenschiff leuchteten starke Scheinwer-fer. In den Lichtkegeln bewegten sich dieMaahks in ihren schweren Schutzanzügen.Für sie war die Sauerstoffatmosphäre diesesPlaneten hochgiftig. Außerdem hätten siedie Kälte keine Minute lang ausgehalten,denn ihr Stoffwechsel benötigte viel höhereTemperaturen und Dichten, als sie selbst auftropischen Sauerstoffplaneten herrschten.

Wir warteten noch zwei Stunden, dannbrachen wir auf. Der Schneefall schützte unsvorläufig noch gegen direkte Beobachtung.Das änderte sich, als wir an die Grenze deserhellten Bereichs kamen.

Wir schützten uns dagegen, indem wirnoch innerhalb der Dunkelzone auf die Seiteder Mittelmoräne gingen, die vom Walzen-schiff der Maahks abgewandt war. DieserWall aus rund geschliffenen Steinen undFelsblöcken zog sich, wie schon sein Nameverriet, ungefähr in der Mitte des Gletschersentlang und wurde durch den Druck des Ei-ses auf beiden Seiten hochgeschoben, so daßer wie eine riesige Mauer wirkte.

Als wir noch ungefähr zweihundert Meter

Das Wrack im Eis 11

von der Stelle der Mittelmoräne entfernt wa-ren, an der sich die Ausgrabungsstelle be-fand, hielten wir an.

Es wurde höchste Zeit, daß ich mir einenPlan zurechtlegte, wie wir direkt an die Aus-grabungsstelle und durch sie an das Varga-nenschiff kommen konnten, ohne von dendort herumwimmelnden Maahks entdeckt zuwerden.

Ich hatte mir schon die ganze Zeit überden Kopf zerbrochen, um eine brauchbareMöglichkeit zu finden, aber erfolglos. So-bald wir auf den Rücken der Mittelmoränestiegen, würden wir von den Lichtkegeln derScheinwerfer erfaßt werden. Dann war esaus, denn wir besaßen keine Waffen, mit de-nen wir uns gegen die Maahks verteidigenkonnten.

Ich erwog die Möglichkeit, mich denMaahks offen zu nähern und mich von ihnengefangennehmen zu lassen, um dann in ih-rem eigenen Schiff nach einer Gelegenheitzu suchen, etwas gegen sie zu unternehmen.

Doch zu vieles sprach dagegen.Erstens war es gar nicht sicher, ob die

Maahks überhaupt Wert darauf legten, michlebend in ihre Gewalt zu bringen. Normaler-weise töteten sie jeden Arkoniden, den sieantrafen, sofort. Das war ja gerade das Grau-enhafte an diesem Krieg, den man denGroßen Methankrieg nannte. Die Wasser-stoffatmer kämpften nicht, um das GroßeImperium zu besiegen; sie kämpften, um je-den intelligenten Sauerstoffatmer zu töten.Nur darum hatten wir Arkoniden diesen un-bändigen Haß gegen sie entwickeln können.Nur in Ausnahmefällen machten die MaahksGefangene – und wir verhielten uns ebenso.

Zweitens war zu bedenken, daß ein Sauer-stoffatmer sich in dem Raumschiff von Was-serstoffatmern nicht frei bewegen konnte –auch wenn es ihm gelingen sollte, sich ausseiner Zelle zu befreien. Der erste Atemzughätte mich umgebracht, denn selbstverständ-lich würden die Maahks mir keinen Druck-anzug mit Sauerstoffversorgung überlassenund mir dadurch die Gelegenheit zum Aus-bruch aus meiner Zelle geben.

Folglich mußte ich mir etwas anderes ein-fallen lassen.

Und es waren die Maahks selbst, die michauf eine Idee brachten.

Das lag natürlich nicht in der Absicht derMaahks, sondern es geschah rein zufällig,daß eine Energiefräse ihren Standort an derAusgrabungsstelle genau in dem Augenblickveränderte, als einige Maahks mit Hilfe vonDetonatoren einige größere Felsblöckewegsprengten.

Dabei strichen die Lichtkegel der Maschi-nenscheinwerfer über das Firnfeld auf unse-rer Seite der Mittelmoräne – und in ihremhellen Lichtschein sah ich eine kleine Glet-scherspalte, aus der im Takt der Detonator-explosionen Wölkchen von Eisstaub wirbel-ten.

Sekunden später waren die Scheinwerferder Energiefräse wieder auf die Ausgra-bungsstelle gerichtet. Die Gletscherspalteentzog sich meinen Blicken.

Doch ich hatte genug gesehen, um mireinen Reim darauf machen zu können.

Erstens einmal existierte dort vorn eineSpalte. Das war an sich weder etwas Unge-wöhnliches noch für mich Bedeutsames. Be-deutsam wurde es erst durch den Umstand,daß die Eisstaubwölkchen im gleichen Takthochgeschleudert worden waren, wie dieDetonatoren der Maahks arbeiten.

Es mußte folglich etwas geben, ein Medi-um, das die Detonationserschütterungen be-sonders gut leitete und das bis direkt unterdie Gletscherspalte reichte, so daß die Vi-brationen den Schneestaub aufwirbeln konn-ten.

Und welches Medium eignete sich besserzur Leitung von Vibrationen als die stähler-ne und mit zahlreichen Hohlräumen verse-hene Außenzelle eines Raumschiffs …?

Wenn aber das varganische Schiff mit ei-nem Teil bis unter die Gletscherspalte reich-te, dann brauchten Woogie und ich nicht biszur Ausgrabungsstelle zu schleichen, um anes heranzukommen.

Wir brauchten nur in die Gletscherspaltehinabzusteigen.

12 H. G. Ewers

Ob wir dort dann die Möglichkeit findenwürden, in das Varganenschiff zu gelangen,stand natürlich wieder auf einem anderenBlatt. Zumindest aber war die Chance, diesich uns überraschend bot, einen Versuchwert.

Ich unterrichtete Woogie über meinenPlan, dann brachen wir auf und marschiertenim Sichtschutz des Moränenwalls zur Spalte.

*

Wir gelangten zu der Gletscherspalte, oh-ne daß die Maahks uns entdeckten. Nur ein-mal huschte ein Scheinwerferkegel über unshinweg, da er aber nicht dazu bestimmt war,nach jemandem zu suchen, sondern nur zu-fällig während eines Positionswechsels dieseGegend überstrichen hatte, achteten dieMaahks naturgemäß nicht darauf, was vondem Lichtkegel erfaßt wurde.

Wir hatten uns hingeworfen, als derScheinwerferkegel uns traf, und wir bliebenauch danach noch eine Weile bewegungslosliegen. Doch nichts geschah. Erleichtertsetzten wir unseren Weg fort.

An der Gletscherspalte angekommen, sa-hen wir, daß sie zirka achtzig Meter langund durchschnittlich etwa drei Meter breitwar. Wie tief sie war, konnten wir nicht er-kennen. Aber daraus, daß die Maahks mitihren Maschinen sehr tief nach dem Varga-nenschiff hatten graben müssen, konnte ichschließen, daß die Außenzelle des Schiffs andieser Stelle mindestens fünfzehn Meter tiefliegen mußte.

Ich wußte, wie gefährlich es war, sich oh-ne Seil oder andere Sicherheitsmaßnahmenin eine fünfzehn Meter tiefe Gletscherspaltezu wagen, deren Eiswände naturgemäß glattwaren.

Wir hatten nur dann eine Chance, heilhinabzukommen, wenn es ausreichend Rissegab, in denen wir uns festzukrallen ver-mochten.

Aber uns blieb keine andere Wahl, wennwir nicht erfrieren wollten. Die Nachtkältemachte sich ohnehin schon bedenklich be-

merkbar. Woogie und ich waren schon halbirr vor Kälte und steckten unsere bloßenHände immer wieder in die Achselhöhlen,damit uns die Finger nicht abfroren. In mei-nen Ohren schien ein höllisches Feuer zubrennen, und meine Nase war schon ganzgefühllos geworden.

Woogie schnüffelte am Rand des finste-ren Abgrunds, dann meinte er:

»Ich rieche etwas Fremdes, Herr.«»Das wird das Raumschiff sein«, erwider-

te ich, obwohl ich nichts Fremdes roch.Aber die Sinne dieses kleinen Wesens warenzweifellos schärfer als meine.

»Woogie steigt zuerst hinunter«, sagte derkleine Bursche. »Er kann besser klettern alsAtlan.«

Das stimmte zwar, aber mir widerstrebtees, meinen Gefährten vor mir die gefährlicheEiswand hinabklettern zu lassen.

Er hat recht! raunte mir mein Logiksektorzu. Eure Chancen vergrößern sich, wenn duin diesem Fall auf ihn hörst.

»Einverstanden, Woogie«, erklärte ich.»Aber nimm dich in acht! Geh kein unnöti-ges Risiko ein! Es spielt keine Rolle, ob wirein paar Minuten früher oder später untensind.«

»Woogie ist geschickt und vorsichtig«, er-widerte der kleine Bursche.

Ich sah zu, wie er sich auf den Bauch leg-te und sich rücklings in die Gletscherspaltehinabließ. Seine Hände krallten sich in denRand, während seine Füße weiter unten nacheinem Halt suchten.

»Gut!« sagte er nach einer Weile zufrie-den, nahm eine Hand vom Rand der Spalteund tastete mit ihr die Wand ab. Dann nahmer auch die andere Hand weg.

Bald darauf tauchte er in die Finsternisder Spalte ein. Nur sein keuchendes Atmenund das gelegentliche Scharren seiner Stiefelam Eis verrieten, daß Woogie sich noch un-ter mir befand.

Ich legte mich ebenfalls auf den Bauchund ließ meinen Unterkörper in die Spaltegleiten. Meine Hände krallten sich in denRand, der so kalt war, daß mir die Finger zu

Das Wrack im Eis 13

erstarren drohten. Ich fragte mich, ob ichmich unter diesen Umständen lange genugwürde halten können, um den Grund derSpalte zu erreichen. Doch ich schob dieseBedenken wieder zur Seite. Es gab nur zweiMöglichkeiten: entweder ich kam heil untenan oder mit zerschmetterten Gliedern. Eineandere Möglichkeit gab es einfach nicht.

Dennoch glaubte ich unterwegs mehr-mals, daß ich mich nicht länger halten konn-te. Meine Finger wurden immer gefühlloser.Ich riß mir die Haut an scharfen Eiskantenauf. Das herausquellende Blut gefror an dereisigen Luft fast sofort; den Schmerz spürteich nicht.

Nur mit äußerster Willensanstrengungzwang ich mich immer wieder dazu, nachneuen Möglichkeiten zu suchen, Halt für Fü-ße und Hände zu finden. Einmal brach einRiß im Eis, in den ich meine Stiefelspitzengezwängt hatte, weg, und ich sackte ab.Wenn meine Hände sich nicht durch denRuck in einer anderen Spalte verklemmt hät-ten, wäre ich abgestürzt.

Verzweifelt suchte ich mit den Füßennach einem neuen Halt, fand ihn und stemm-te mich einige Zentimeter hoch. Als ich dieHände aus dem Eisspalt zog, ging die Hautin Fetzen mit ab. Diesmal spürte ich denSchmerz und mußte die Zähne zusammen-beißen, um nicht laut aufzuschreien.

Und noch immer war ich nicht unten.Als Woogie mir zurief, daß er am Grund

der Gletscherspalte angekommen sei, wurdemir vor Erleichterung so schwach, daß ichmich nicht mehr halten konnte.

Ich rutschte an der Eiswand hinab, pralltemit den Füßen auf etwas Hartes und wurdeim nächsten Moment von Woogie festgehal-ten, damit ich nicht nach hinten kippte undmir den Schädel aufschlug.

Nach einer Weile machte ich mich los,kauerte nieder und betastete den Grund derGletscherspalte.

Im ersten Augenblick war ich enttäuscht,weil meine Finger nicht auf Metall stießen,sondern auf Eisstaub, unter dem eine grob-körnige Eisschicht lag. Aber dann machte

ich mir klar, daß ich nicht erwarten durfte,daß die Außenhaut des Varganenschiffs frei-lag. Auch wenn die Spalte bis direkt auf dasSchiff reichte, so war doch im Verlaufe derZeit immer wieder abbröckelndes Eis undhereinwehender Staub herabgefallen.

Ich wollte mit den Fingern im Eis wühlen,da meldete sich abermals mein Extrasinn.

Es wäre zwecklos, nach der geschlosse-nen Außenhaut des Schiffes zu suchen! teilteer mir mit. Du könntest sie mit bloßen Hän-den doch nicht durchdringen. Eure einzigeChance besteht darin, ein Leck zu finden,und das müßte sich durch eine Einsenkungbemerkbar machen.

Das war absolut logisch, aber es machteunsere Lage so gut wie hoffnungslos. Es wä-re ein zu großer Zufall gewesen, wenn wirausgerechnet in dem uns zugänglichen Teilder Außenhülle ein Leck entdeckt hätten.Die Wahrscheinlichkeit dafür war nach mei-ner Schätzung so verschwindend gering, daßsie als vernachlässigbar angesehen werdenmußte.

Ich kalkulierte sie dennoch mit ein, weilmir einfach nichts anderes übrigblieb. Fan-den wir kein Leck, konnten wir uns hinlegenund auf den Tod warten, und wir würdennicht lange warten müssen. Ich spürte be-reits die Müdigkeit, den ersten Vorboten desTodes durch Unterkühlung. Bald würdenmeine Stoffwechselvorgänge so stark herab-gesetzt sein, daß ich mich nicht mehr gegendie Müdigkeit auflehnen konnte, sonderneinschlief. Es würde ein Schlaf werden, ausdem es kein Erwachen gab.

Nachdem ich meinem Gefährten erklärthatte, wonach wir suchen mußten, gingenwir nach verschiedenen Richtungen ausein-ander.

Ich wankte einfach mit vorgestrecktenHänden durch die Finsternis und bemühtemich, an der linken Seitenwand der Spaltezu bleiben. Sobald ich ihr Ende erreicht hat-te, wollte ich umkehren und an der rechtenSeitenwand entlang zurückgehen. Danachmußte ich mich in der Mitte halten – und da-nach brauchte ich überhaupt nichts mehr zu

14 H. G. Ewers

tun, falls Woogie oder ich keine Vertiefunggefunden hatten, die ein Leck verriet.

Ich hatte an der rechten Seitenwand unge-fähr die Hälfte meiner Suchstrecke zurück-gelegt, als ich einen unterdrückten SchreiWoogies vernahm.

Ich wollte rufen, brachte aber nur ein hei-seres Krächzen zuwege. Meine Augenlidersanken herab, und ich stieß meinen Kopf andie Eiswand, um mich am Einschlafen zuhindern.

»Herr!« hörte ich Woogie rufen.»Ja?« brachte ich lallend hervor.»Ich habe gefunden, was du suchst,

Herr!« rief Woogie.Die Erleichterung raubte mir den letzten

Rest meiner Kraft. Ich knickte in den Knienein und wäre zusammengebrochen, wennmein kleiner Gefährte nicht gekommen wäreund mir wieder auf die Beine geholfen hätte.

Gemeinsam wankten wir zu der Stelle, ander Woogie eine Vertiefung entdeckt hatte.Wir hatten nicht mehr die Kraft, vor derVertiefung stehenzubleiben, sondern stolper-ten einfach weiter.

Ich merkte, wie ich auf eine abschüssigeFläche geriet, konnte mich aber nicht halten.Kraftlos stürzte ich nach vorn, brach durcheine dünne Eiskruste und schlug unsanft aufeinem harten Boden auf.

Eine Weile blieb ich liegen, dann tasteteich mit den Händen umher, bekam einHandrad zu fassen und drehte daran. Es ließsich spielend leicht bewegen, denn dieHandradgewinde moderner Raumschiffesind unempfindlich gegen Temperaturein-flüsse. Ihre Fluoroplastbeschichtung garan-tiert unter aller Bedingungen eine einwand-freie »Schmierung« und damit auch Beweg-lichkeit aller Teile gegeneinander.

Schräg vor mir bildete sich ein Spalt,durch den der matte Lichtschimmer einerArt Notbeleuchtung drang.

Ich hätte am liebsten laut gejubelt, dochdazu fehlte mir die Kraft. Meine Energiereichte gerade noch aus, das Handrad zu dre-hen, bis der Spalt groß genug war, um michdurchzulassen.

Ich kroch auf allen vieren hinein, spürte,wie Wärme mich umgab, und brachte es ge-rade noch fertig, nach Woogie zu rufen, alsdie Erschöpfung mich übermannte.

3.

Als ich erwachte, waren meine Gliederimmer noch bleischwer vor Erschöpfung.

Dennoch fühlte ich mich schon erheblichbesser, denn ich wußte, daß es mir – allerWahrscheinlichkeitsschätzungen zum Trotz– gelungen war, in das Varganenschiff ein-zudringen.

Da ich diese Doppelpyramidenschiffe,dank Ischtar, inzwischen fast so gut kanntewie unsere arkonidischen Raumschiffe,wußte ich, daß ich nicht erfrieren konnte,auch wenn die Energieaggregate des Schif-fes zweifellos seit undenklichen Zeiten des-aktiviert waren.

Aber die Varganen hatten gewisse Not-vorrichtungen in ihre Raumschiffe einge-baut. So beispielsweise bioaktive Überzügeauf den Innenwandungen, die aus Mikrole-bewesen bestanden, die mit Hilfe speziellerEnzyme in der Lage waren, sich von der sieumgebenden Masse sehr langsam zu ernäh-ren, wobei die Ausscheidungen ihrer Stoff-wechselprozesse Licht und Wärme erzeug-ten.

Zwar reichte das auf diese wunderbareWeise entstehende Licht gerade aus, um einungewisses Halbdunkel zu schaffen, undauch die abgegebenen Wärmemengen warensehr gering, aber wenigstens konnte mansich dabei orientieren und brauchte vor al-lem nicht zu erfrieren.

Ich erkannte, daß ich mich in einerSchleusenkammer befand. Es war demnachdoch kein absoluter Zufall gewesen, dermich ins Innere des Varganenschiffs ge-bracht hatte. Jemand – vielleicht Vrentizia-nex – hatte, bevor er das Schiff verließ, dasAußenschott einer Mannschleuse geöffnetoder nur vergessen, es zu schließen. Es wäreauch zu unwahrscheinlich gewesen, daß sichgerade am Grund der Gletscherspalte ein

Das Wrack im Eis 15

Leck in der Außenhülle befunden habensollte, die so fest war, daß sie selbst starkemStrahlbeschuß eine gewisse Zeitspanne langwiderstand.

Woogie, der mir gegenüberlag und festschlief, schreckte empor, als ich mich erhob.

»Es ist alles in Ordnung, Woogie«, sagteich. »Wir sind im Raumschiff des Sehersund können wenigstens nicht erfrieren. Al-lerdings dürfen wir es nicht dabei bewendenlassen. Wir brauchen Waffen und Ausrü-stung – und wenn sich an Bord dieses Schil-fes Nahrungskonzentrate befinden, könnenwir auch unseren Hunger stillen.«

Und das, so überlegte ich, kam an ersterStelle. Ich fühlte mich trotz des erholsamenSchlafes sehr schwach. Die Strapazen unddie Kälte hatten an den Reserven meinesKörpers gezehrt, und wenn ich etwas gegendie Maahks unternehmen wollte, mußte ichdiese Reserven erst wieder auffüllen.

Ich war ziemlich sicher, daß es, wenn sichan Bord Schutzanzüge befanden, kein Pro-blem sein würde, unseren Hunger zu stillen.Zu jedem Schutzanzug gehörte auch bei denVarganen eine eiserne Ration an biosynthe-tischen Nahrungskonzentraten und versie-gelten Wasserkonserven. Beides hatte einepraktisch unbegrenzte Haltbarkeit.

Woogie erhob sich ebenfalls, dann be-wegten wir uns durch den Korridor, in demwir aufgewacht waren, tiefer in das Schiffhinein. Von irgendwo waren Geräusche zuhören; es konnten nur die Geräusche derAusgrabungsmaschinen sein, die von derSchiffszelle weitergeleitet wurden.

Ob sich bereits Maahks an Bord befan-den, konnten wir von unserem Standort ausnicht feststellen. Aber vorsichtshalber be-wegten wir uns so leise wie möglich vor-wärts.

Unser Korridor war ein Stichkorridor, derin einen Rundumkorridor mündete. Dieenergetischen Transportbänder waren desak-tiviert und demnach nicht vorhanden. Ich er-kannte lediglich die Abstrahlpulsatoren fürdie Gleitenergie, die sich bei aktiviertenTransportbändern wie festes Material be-

wegte und sehr tragfähig war.Da ich den Bauplan dieses Schiffstyps im

Kopf hatte, bereitete es mir keinerleiSchwierigkeiten, mich im Rundumkorridorzu orientieren, nachdem ich erst einmal imnächsten Raum festgestellt hatte, in welcherSchiffssektion wir uns befanden.

Es handelte sich bei dem betreffendenRaum um einen Kontrollstand für die Kli-maanlage. Er wurde bei den Varganenschif-fen normalerweise niemals benutzt, denn al-le Systeme funktionierten vollautomatisch,wurden durch ein Positronengehirn gesteuertund überwacht und konnten von der Haupt-zentrale aus von einer einzigen Person kon-trolliert werden.

Praktisch wurden derartige Kontrollständenur benötigt, wenn nach einer Überholungdes Schiffes alle Funktionen an Ort undStelle durchgecheckt wurden – oder wenndurch irgendwelche Einwirkungen dieHauptpositronik und die Einrichtungen derHauptzentrale gleichzeitig beschädigt wor-den waren.

Ich hätte also von hier aus die Klimaanla-ge einschalten können, denn ich sah, daß au-genscheinlich nichts beschädigt war. Fallsnicht alle Brennstoffelemente restlos aufge-braucht waren, was sehr unwahrscheinlichwar, dann würden die Kraftwerke des Schif-fes arbeiten und Energie liefern.

Allerdings hütete ich mich davor, auchnur einen Schalter zu berühren. Den Ener-gietastern des Maahkraumschiffs wäre dieAktivität der Kraftwerke nicht entgangen,und wir wären verraten gewesen.

Immerhin wußte ich jetzt, daß eine derAusrüstungskammern des Varganenschiffssich nur zwei Decks tiefer und rund dreihun-dert Meter in rechter Richtung befand. Daswar unser nächstes Ziel.

Wir stiegen die Nottreppe des nächstenAntigravschachts hinab, verließen denSchacht zwei Decks tiefer und eilten auf dieAusrüstungskammer zu.

Das Schott öffnete sich selbstverständlichebensowenig wie die Schotte der Schleuseund des Kontrollstandes, da sie von der zen-

16 H. G. Ewers

tralen Energieversorgung abhängig waren.Ich betätigte deshalb auch hier das für Not-fälle vorhandene Handrad.

Als das Schott sich geöffnet hatte, betra-ten wir die Ausrüstungskammer, die ebensoim Halbdunkel lag wie das gesamte Inneredes Varganenschiffs.

Meine Augen hatten sich inzwischen andie kärgliche Beleuchtung gewöhnt, so daßich die Magnethalterungen mit den daranaufgehängten Kampfanzügen sofort sah.

Mein Herz schlug höher, als ich die ty-pisch varganischen Energieaggregate aufden Rückenteilen der Kampfanzüge erblick-te. Es handelte sich demnach um flugfähigeKonstruktionen, die auch einen hochwerti-gen energetischen Schutzschirm aufbauenkonnten.

Die Kampfanzüge waren von unterschied-licher Größe, und ich suchte mir einen her-aus, der wie für mich gemacht zu sein schi-en. Leider gab es keine Schutzanzüge, dieWoogie gepaßt hätten. Kein erwachsenerVargane war so klein gewesen wie meinhellhäutiger Gefährte, nämlich knapp übereinen Meter groß.

Woogie mußte also wohl oder übel ohneSchutzanzug auskommen.

Ich streifte mir den Kampfanzug über,den ich ausgesucht hatte. Er paßte wie ange-gossen.

Allerdings wagte ich nicht, das Energie-aggregat einzuschalten, denn die Maahkshätten die entsprechende energetische Akti-vität orten können. Doch vorerst benötigteich das Energieaggregat ja noch nicht.

Dafür konnten wir uns mit den Konzen-traten sättigen, die wir in allen Anzügen vor-fanden. Es handelte sich, wie ich wußte, da-bei um hochenergetische Nahrung, die au-ßerdem alle Vitamine und Mineralstoffe ent-hielt, die ein auf Eiweißbasis aufgebauterOrganismus benötigte.

Auch die hermetisch versiegelten Wasser-konserven waren brauchbar. Das Wasserwar so klar und schmeckte so frisch, als hät-ten wir es aus einem Bergquell geschöpft.

Nachdem wir Hunger und Durst gestillt

hatten, steckten wir soviel Konzentrate ausanderen Anzügen ein, daß wir damit minde-stens vierzehn Tage leben konnten.

Anschließend machte ich mich auf die Su-che nach Waffen, die es in jeder Ausrü-stungskammer gab.

Ich fand die Energiestrahler in einem ver-siegelten Stahlplastikschrank, den ich erstmühsam aufbrechen mußte. Es handelte sichum relativ leichte handliche Waffen, die ge-nau in die länglichen Außentaschen paßten,die – unter anderem – an den Außenseitender Schenkel an den Anzügen angebrachtwaren.

Ich steckte zwei der Strahler sowie einigeEnergiemagazine ein, dann wollte ich Woo-gie im Gebrauch der Waffen unterweisen,als plötzlich eine harte Erschütterung durchdas Schiff lief.

Die Schiffszelle schüttelte sich förmlich,so daß wir das Gleichgewicht verloren undstürzten.

»Bleib liegen!« rief ich Woogie zu.Meine Vermutung bestätigte sich. Noch

siebenmal schüttelte sich die Schiffszellesehr hart, dann trat für kurze Zeit Ruhe ein,bevor das Schiff mit einem lauten Krach ir-gendwo aufsetzte.

Ich wußte sofort, was das bedeutete.Die Maahks hatten das Varganenschiff

mit Fesselfeldern und Antigravprojektorenangehoben und wieder abgesetzt.

Ob es ihnen gelungen war, das Schiff be-reits an die Oberfläche zu bringen oder obsie nur einen ersten Versuch zur vollständi-gen Bergung unternommen hatten, konnteich freilich nicht wissen.

Aber ich mußte damit rechnen, daß dieDoppelpyramide gehoben worden war. Trafdas zu, so konnte es nicht mehr lange dau-ern, bis die ersten Untersuchungskomman-dos der Maahks an Bord kamen.

Mit knappen Worten unterrichtete ichWoogie über die veränderte Lage, dann bra-chen wir auf, um uns davon zu überzeugen,ob ich richtig vermutet hatte.

*

Das Wrack im Eis 17

Ungefähr zweihundert Meter vor derHauptschleuse versteckten wir uns in einerKorridornische.

Ich hatte gezögert, Woogie bei meinemAufklärungsunternehmen mitzunehmen,denn bei einem Zusammenstoß mit Maahkswäre er infolge seiner mangelnden Kampfer-fahrung und ohne Schutzanzug etwa hun-dertmal so stark gefährdet wie ich.

Andererseits konnte ich den kleinen Kerlnicht irgendwo im Schiff verstecken, dennwenn die Maahks das Schiff gründlichdurchsuchten, würden sie ihn finden – undohne mich wußte er nicht, wie er sich ver-halten sollte.

Folglich war mir nichts weiter übrigge-blieben, als ihn bei mir zu behalten und da-für zu sorgen, daß er sich nicht versehentlichin Gefahr begab.

Wir brauchten nicht lange zu warten,dann vernahmen wir einen dumpfen Schlag.

Die Maahks hatten das Außenschott derHauptschleuse aufgesprengt.

Ich bedeutete Woogie, sich still zu verhal-ten, und zog mich mit ihm zur Mündung desnächsten Stichkorridors zurück, durch denwir einen Nebenliftschacht erreichen undauf ein beliebiges anderes Deck überwech-seln konnten.

Kurz darauf wurde das Innenschott derHauptschleuse von einer Explosion aufgeris-sen.

Eine Weile war es still, dann ertönten pol-ternde Geräusche. Mehrere Scheinwerferke-gel flammten auf und warfen ihr Licht inden Korridor. Wenig später tauchten einigeGestalten in schweren Schutzanzügen auf.

Ich preßte die Lippen zusammen, als ichunter den transparenten Druckhelmen die fürMaahks charakteristischen wulstförmigenSichelköpfe mit den oben aufgesetzten Au-gen erkannte.

Das waren Todfeinde meines Volkes, undalles in mir drängte darauf, sie anzugreifen.

Ich hätte diesem inneren Zwang nur zugern nachgegeben und mußte alle Willens-kräfte mobilisieren, um ihm zu widerstehen.Mir war klar, daß die varganischen Waffen,

die ich bisher erbeutet hatte, unzureichendwaren, um damit gegen mehrere schwerbe-waffnete Maahks zu bestehen. Ich hätte viel-leicht einen von ihnen töten können, aber dieanderen hätten das Feuer sofort erwidertund. Woogie und mich umgebracht.

Deshalb zogen wir uns ein Stück weiterzurück, als die Maahks sich unserem Ver-steck näherten. An die Nottreppe des näch-sten Antigravschachts gepreßt, warteten wir,bis die Maahks im Hauptkorridor vorbeige-stampft waren. Ich zählte fünf Wasserstof-fatmer, und sie trugen außer ihren WaffenGeräte bei sich, mit denen sie wahrschein-lich die Einrichtung des Varganenschiffsüberprüfen wollten.

Der ersten Gruppe folgten vier weitereGruppen zu je fünf Maahks, danach trat Ru-he ein. Wir hatten es also mit insgesamtfünfundzwanzig Maahks zu tun, die sich imSchiff aufhielten.

Ich überlegte, was ich unternehmen konn-te.

Viel war es nicht, das wurde mir sofortklar. Offen konnte ich nicht gegen dieMaahks vorgehen. Blieb mir nur die Mög-lichkeit, sie zu beobachten, ohne selbst ent-deckt zu werden.

Ich gab Woogie durch Zeichen zu verste-hen, was ich vorhatte, dann schlichen wirder letzten Gruppe von Maahks nach.

Die fünf Wasserstoffatmer stiegen dieNottreppe des nächsten Liftschachts hoch.

Woogie und ich kauerten uns neben denEinstieg und blickten den Maahks nach. Alsich sah, daß die Maahks in dem Deck aus-stiegen, in dem sich die Hauptzentrale be-fand, schwang ich mich ebenfalls in denSchacht und stieg ihnen lautlos nach. Woo-gie folgte mir.

Wir stiegen nicht aus, als wir das Haupt-deck erreichten, sondern spähten nur ausdem Ausstieg.

Die fünf Maahks standen vor dem Panzer-schott der Hauptzentrale und beratschlagtenanscheinend, wie sie weiter vorgehen soll-ten. Leider war es mir nicht möglich, michin ihr Gespräch einzuschalten und zu hören,

18 H. G. Ewers

was sie sagten. Ihre Helmsender arbeitetenoffenbar auf einer Welle und Frequenz, diefür das varganische Helmfunkgerät uner-reichbar war.

Nach einiger Zeit streckte einer derMaahks seine Tentakelarme nach demHandrad aus, das auch neben dem Panzer-schott der Hauptzentrale vorhanden war.

Er brachte etwa drei Umdrehungen zuwe-ge, dann füllte sich der Korridor vor derHauptzentrale mit einem grellblauen Leuch-ten, das nicht länger als einen Herzschlaganhielt.

Als das Leuchten erlosch, waren alle fünfMaahks verschwunden.

Woogie schrie auf, und ich mußte ihm dieHand auf den Mund pressen, um ihn zumSchweigen zu bringen. Dabei war ich selberentsetzt über das, was wir gesehen hatten.

Nicht, daß ich das Verschwinden der fünfMaahks bedauert hätte. Jeder tote oder ver-schwundene Maahk bedeutete einige toteArkoniden weniger. Nein ich war entsetztdarüber, daß ich keine Ahnung von der Fallegehabt hatte, die die Hauptzentrale diesesVarganenschiffs vor dem Eindringen Frem-der schützte. Wären die Maahks nicht schonjetzt an Bord gekommen, hätte ich wahr-scheinlich selbst versucht, in die Hauptzen-trale einzudringen – und dabei wäre es mirund Woogie zweifellos ebenso ergangen wieden Maahks.

Vrentizianex mußte das Fallensystemnachträglich in sein Raumschiff eingebauthaben.

Das gab den Geschehnissen einen anderenAspekt. Vielleicht hatte der Seher wirklichnichts davon gewußt, daß die Maahks seinaltes Raumschiff entdeckt hatten. Er brauch-te sie ja gar nicht, um sicher zu sein, daßWoogie und ich umkamen. Er wußte, daßwir früher oder später in die Hauptzentraleseines Schiffes eindringen würden und dabeivon dem grellblauen Leuchten beseitigt wer-den würden.

Aber wir hatten keine Zeit, lange darübernachzudenken. Ich nahm an, daß alleMaahks in ständiger Funkverbindung mit ih-

rem Raumschiff standen beziehungsweisegestanden hatten. Wenn das zutraf, dannmußte es dem Kommandanten desMaahkschiffes verdächtig erscheinen, daßdie Verbindung zu einer der Gruppen abge-brochen war. Er würde eine andere Gruppehinterherschicken, um die Sache aufzuklä-ren.

Wenn Woogie und ich dort blieben, wowir uns befanden, mußten wir entdeckt wer-den.

Deshalb mußten wir ein besseres Verstecksuchen.

Ich entschloß mich, mit Woogie in dieKabine des Kommandanten zu gehen, dennes war die einzige Kabine auf Schiffen die-ses Typs, die einen zum darunterliegendenDeck führenden Notausgang besaß. Falls dienächsten Maahks auf den Gedanken kom-men sollten, in diese Kabine einzudringen,würden Woogie und ich uns immer noch zu-rückziehen können.

Als ich das Handrad neben dem Schottder Kabine betätigte, verspürte ich einPrickeln im Genick. Es war Angst, Angstdavor, die Kabine des Schiffskommandantenkönnte genauso oder ähnlich abgesichertsein wie die Hauptzentrale.

Doch nichts geschah.Das Schott öffnete sich. Woogie und ich

schlüpften in die Kabine und verschlossendas Schott hinter uns bis auf einen winzigenSpalt.

Durch diesen Spalt hindurch vernahm ichwenig später das Trampeln schwerer Stiefelaus dem Nottreppenschacht des Lifts. FünfMaahks mit eingeschalteten Brustscheinwer-fern tauchten auf und blickten sich im Korri-dor um.

Zwei von ihnen nahmen kleine Geräts ausMagnethaltungen ihrer Waffengürtel unduntersuchten damit peinlich genau das Pan-zerschott der Zentrale sowie Boden, Wändeund Decke des Korridors unmittelbar davor.

Als sie damit fertig waren, standen siestill. Offenbar unterhielten sie sich über dieHelmfunkgeräte mit ihren Gefährten und si-cher auch mit ihrem Kommandanten.

Das Wrack im Eis 19

Hatten sie etwas Verdächtiges festge-stellt?

Ich wußte es nicht, aber ich nahm es an,denn kurz darauf zogen sie sich in den Nott-reppenschacht zurück, und einer von ihnennahm das Panzerschott der Zentrale mit ei-nem schweren Detonator unter Beschuß.

Wieder flammte das grellblaue Leuchtenauf, aber diesmal wurde kein Maahk davonerfaßt.

Als das Panzerschott unter der Wirkungdes anhaltenden Detonatorbeschusses förm-lich zerbarst, erlosch das grellblaue Leuch-ten.

Die Maahks verhielten sich eine Weilestill, dann stieg einer von ihnen aus demNottreppenschacht und ging auf das gebor-stene Panzerschott zu.

Ich konnte nicht umhin, seine Tapferkeitanzuerkennen. Er mußte wissen, daß er sichin größte Gefahr begab, denn es war nichtausgeschlossen, daß die Falle auch bei zer-störtem Panzerschott noch funktionierte. Erstellte sich praktisch als Testperson zur Ver-fügung.

Doch er hatte Glück.Ich ertappte mich dabei, daß ich aufatme-

te, als der Maahk das zerstörte Schott unbe-helligt erreichte und die Hauptzentrale be-trat.

Verwirrt versuchte ich, meine Gefühle zuanalysieren.

Wie hatte ich erleichtert darüber sein kön-nen, daß einer der Todfeinde meines Volkesnicht zu Schaden gekommen war? Hätte ichihm nicht auf alle Fälle den Tod wünschenmüssen?

Ja und nein! gab mein Logiksektor durch.Ja, weil alle Maahks die Todfeinde deinesVolkes sind. Nein, weil es außerhalb allenHasses, der ein vergängliches Phänomen ist,ein natürliches Verbundenheitsgefühl zwi-schen allen Angehörigen intelligenter Artengibt, vor allem, wenn sie die Entwicklungs-stufe erreicht haben, auf der sie in großemMaße Weltraumforschung betreiben. DieEntwicklung strebt gesetzmäßig auf einenZusammenschluß aller Intelligenzen jeder

Galaxis zu einer Art Gesamtorganismus zu,und die Tendenz ist deshalb schon heutefühlbar, weil sie in einer viel früheren Stufeder Evolution erworben und im genetischenGedächtnis verankert wurde.

Ich runzelte die Stirn.Verbundenheitsgefühl zwischen Maahks

und Arkoniden, das zu konstatieren, kammir so ungeheuerlich vor, daß ich es kaumzu fassen vermochte.

Befanden wir uns nicht in einem Krieg,bei dem entweder sie oder wir untergehenmußten? Wieso konnte ich da Verbunden-heit mit einem Maahk fühlen?

Und doch hatte ich dieses Gefühl gespürt.Darum kam ich nicht herum. Vielleicht wardieses Gefühl die Ankündigung gewesen,daß irgendwann einmal – allen Prognosenzum Trotz – eine Annäherung zwischen unsund den Wasserstoffatmern zustande kom-men würde.

Doch wie dem auch sei, ich durfte nichtvergessen, daß eine solche hypothetischeAnnäherung noch weit außerhalb der Reali-täten lag. Diese Maahks waren die Todfein-de meines Volkes, und entsprechend mußteich mich verhalten.

*

Ich hatte mit dem inneren Handrad denSpalt zwischen den beiden Schotthälften derKabine vergrößert und sah, daß die übrigenvier Maahks ihrem Gefährten in die Haupt-zentrale folgten.

»Warte hier auf mich!« befahl ich Woo-gie, dann verließ ich die Kabine und schlichden Maahks nach.

Durch das zerstörte Panzerschott hindurchsah ich, wie die Wasserstoffatmer die Kon-trollen der Hauptzentrale systematisch mitden Geräten untersuchten, die sie bei sichführten. Offenbar handelte es sich bei den anBord gegangenen Gruppen um hochqualifi-zierte Wissenschaftler und Techniker. Daskonnte ich jedenfalls aus der Art ihres Vor-gehens schließen.

Nach rund zwei Stunden hatten die

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Maahks nur drei Kontrollpulte untersucht.Sie stellten ihre Arbeiten ein und berietensich, ohne daß ich etwas hören konnte, ob-wohl ich immer wieder an den Einstellknöp-fen meines Helmfunkgeräts drehte.

Etwas später setzten die fünf Maahks ihreUntersuchungen fort. Ich war so beschäftigtdamit, sie genau zu beobachten, daß ich dieGeräusche hinter mir beinahe zu spät gehörthätte.

Erst, als es im Liftschacht polterte, wurdeich aufmerksam.

Ich lief sofort zurück in die Kabine, dreh-te am Handrad und schloß die beidenSchotthälften wieder bis auf einen ganzschmalen Spalt.

Kurz darauf tauchten vier Maahks auf. Je-der saß auf einer Antigravplattform, die eraus dem stillgelegten Antigravschacht in denKorridor steuerte. Das verräterische Polternmußte daher gekommen sein, daß eine derPlattformen an die Liftschachtwandung ge-stoßen war. Andernfalls hätten die Maahksmich überrascht – und das wäre das Endegewesen.

Ich brauchte nicht lange herumzurätseln,aus welchem Grund die Maahks vier Anti-gravplattformen in die Hauptzentrale desVarganenschiffs brachten. Dafür gab es nureine Erklärung: Sie wollten alle wichtigenKontrollsysteme, die sich ausbauen ließen,abmontieren und in ihr Walzenschiff brin-gen, um sie dort in aller Ruhe untersuchenzu können.

Und diese Erklärung gefiel mir ganz undgar nicht, denn sie bedeutete, daß dieMaahks die Funktionsprinzipien einer ver-gleichsweise höherwertigen Raumschiffs-technik ergründen und in absehbarer Zeit ingroßem Maßstab anwenden würden.

Dadurch aber würden die Raumschiffeder Maahks gegenüber denen des GroßenImperiums die entscheidende Überlegenheiterringen – und das Schicksal meines Volkeswäre besiegelt.

Eine grauenhafte Vision bildete sich vormeinem geistigen Auge: Die drei Arkonpla-neten verwüstet und entvölkert, die Flotte

des Großen Imperiums zerschlagen und diewenigen Überlebenden meines Volkes gna-denlos von einer Welt zur anderen gehetzt,bis sie schließlich alle zugrunde gegangenwaren.

Ich konnte und wollte nicht zulassen, daßdiese Vision sich erfüllte. Was in meinerMacht lag, mußte ich tun, um zu verhindern,daß die Maahks sich des technischen Erbesder Varganen bemächtigten.

In der Hauptzentrale allerdings vermochteich vorläufig nichts auszurichten. Aber dieMaahks würden mit den dort vorhandenenKontrollsystemen solange nichts anfangenkönnen, wie sie nicht auch die dazugehöri-gen Funktionssysteme demontiert und in ihrSchiff gebracht hatten.

Folglich mußte ich so viele Funktionssy-steme wie nur möglich zerstören.

Es war mir klar, daß die Maahks sehr baldmerken würden, daß sich jemand an denFunktionssystemen zu schaffen machte.Aber das mußte ich in Kauf nehmen. Wennich nur genügend Schaden anrichten konnte,bevor ich gestellt und getötet wurde, hattemein Opfer sich bezahlt gemacht. Nur dar-auf kam es an.

Flüsternd machte ich Woogie klar, wasich vorhatte. Ich verschwieg ihm auch dieGefahren nicht, in die wir uns damit bringenwürden. Doch der kleine Bursche versuchtenicht, mich von meinem Vorhaben abzubrin-gen. Er erklärte, daß er bei mir bleiben undnotfalls mit mir zusammen sterben wollte.

Im Grunde genommen blieb ihm auchnichts anderes übrig. Wenn ich ihn weg-schickte, würden entweder die Maahks ihnentdecken und töten, oder er würde in derEiswüste umkommen. Dann war es schonbesser, daß er mir half, so gut er konnte.

Wir verließen die Kabine durch den Not-ausgang und begaben uns zuerst zum vollau-tomatischen Feuerleitsystem des Varganen-schiffs. Der Zugang war auch hier durch einPanzerschott versperrt, das sich mit Hilfe ei-nes Handrads öffnen ließ.

Ich zögerte eine Weile, das Handrad zubetätigen. Noch zu deutlich stand mir das

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Bild der fünf Maahks vor Augen, die vordem Panzerschott der Hauptzentrale in einerblauen Leuchterscheinung verschwundenwaren, als sie versucht hatten, das Handradzu betätigen.

Möglicherweise war auch die zweitwich-tigste Schiffssektion besonders abgesichert,und Woogie und ich vergingen oder ver-schwanden ebenfalls in einer grellblauenLeuchterscheinung.

Da wir jedoch über keine schweren Waf-fen verfügten, mit denen sich das starkwan-dige Panzerschott der Feuerleitzentrale in ei-ner vertretbaren Zeitspanne zerstören ließ,blieb mir nichts weiter übrig, als das Risikoeinzugehen.

Ich winkte Woogie zur Seite, bevor ichdas Handrad anfaßte. Wir brauchten unsschließlich nicht beide mutwillig in Gefahrzu begeben, obwohl der kleine Bursche ohnemich auch verloren wäre.

Ich transpirierte, als ich das Handrad be-wegte. Aber kein blaues Leuchten flammteauf, und auch sonst erfolgte keine feindseli-ge Reaktion. Ungehindert konnte ich dasPanzerschott öffnen.

Als die Öffnung groß genug war, winkteich Woogie zu mir. Wir drangen in die Feu-erleitzentrale ein, und ich blickte mich indem auch hier herrschenden Halbdunkelaufmerksam um.

Es war jammerschade, diese wertvollentechnischen Anlagen einfach zu zerstören.Wie viele Jahrtausende mochte die vargani-sche Technik gebraucht haben, um etwaswie das hier hervorzubringen? Vielleichtmehr als zehntausend Jahre. Die arkonidi-sche Technik jedenfalls war mindestensnoch zehntausend Jahre von diesem Ent-wicklungsstand entfernt.

Ich unterdrückte mein Bedauern und wiesWoogie an, mit seinen Waffen die eine Hälf-te der Einrichtung zu zerschießen. Ich nahmmir die andere Hälfte vor.

Die Energiestrahlen unserer kleinen Waf-fen fraßen sich durch die Verkleidungsplat-ten in die wertvollen Funktionssysteme undvernichteten unschätzbare Werte. Es wurde

heiß, aber ich schloß meinen Druckhelmnicht, da ich Woogie gegenüber nicht imVorteil sein wollte.

Wir hatten etwa drei Viertel der Einrich-tung zerstört, als von draußen das Polternund Stampfen schwerer Schritte zu hörenwar.

»Aufhören!« rief ich Woogie zu. »Wirmüssen weg von hier!«

Wir liefen zum Schott, blickten auf denKorridor – und prallten erschrocken zurück.

Von rechts rannten drei schwerbewaffneteMaahks herbei. Sie waren schon zu nahe, alsdaß wir ungesehen hätten entkommen kön-nen. Wir wären abgeschossen worden, wennwir uns in den deckungslosen Korridor ge-wagt hätten.

Kurz entschlossen packte ich WoogiesArm und zog ihn hinter den einzigen nochunbeschädigten freistehenden Schaltblock.

»Du bleibst in Deckung!« befahl ich ihmund warf mich hinter einen halb zusammen-geschmolzenen Schaltblock. Ich wollte dasFeuer der Maahks nicht auf WoogiesDeckung lenken.

Allerdings gab ich mich keinen Illusionendarüber hin, daß wir lebend hier herauskom-men würden. Wir konnten nur versuchen, solange wie möglich Widerstand zu leistenund so viele Maahks wie möglich zu töten.Das heißt, eigentlich fiel diese Aufgabe mirallein zu. Woogie war nicht in der Lage,einen einzigen Schuß abzugeben, ohneselbst getroffen zu werden.

Als die drei Maahks mit angeschlagenenWaffen vor dem offenen Schott auftauchten,hob ich meine Waffe und schoß.

Aber der Energiestrahl traf nur die gegen-überliegende Korridorwandung, denn dieMaahks waren alle drei plötzlich ver-schwunden.

Zuerst vermutete ich, sie hätten sich soschnell hingeworfen, daß mir die Bewegungentgangen war, aber das erschien mir bei ge-nauerem Nachdenken unmöglich.

Ich riskierte es, meine Deckung zu verlas-sen und rannte im Zickzack auf das Schottzu.

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Doch niemand schoß auf mich.Als ich durch die Schottöffnung blickte,

lag der Gang davor völlig verlassen da, undauch rechts und links war kein Maahk zu se-hen.

Nachdenklich blickte ich auf den Gangbo-den, auf dem die drei Wasserstoffatmer kurzzuvor gestanden hatten. Meine Augen trän-ten – bei jedem Arkoniden das Anzeichenfür starke Erregung –, als ich die kaumsichtbaren feinen Linien auf dem Gangbo-den erkannte.

Was tatsächlich geschehen war, konnteich allerdings nur mit Hilfe der Phantasie re-konstruieren.

Die Feuerleitzentrale mußte durch einFallensystem abgesichert sein. Bei mir undWoogie hatte es jedoch nicht funktioniert,was nur den einen Schluß erlaubte, daß esausschließlich auf artfremde Lebewesen an-sprach, deren Metabolismus von dem vonVarganen und Arkoniden grundverschiedenwar.

Da es zu keiner Leuchterscheinung ge-kommen war, mußte sich, wie die feinen Li-nien andeuteten, unter den Maahks eine Öff-nung gebildet haben, und da sie blitzartigverschwunden waren, konnte das nur durchein starkes Saugfeld bewerkstelligt wordensein.

Grauenhaft für die Betroffenen, aber vor-teilhaft für Woogie und mich. Wir warennoch einmal davongekommen und konntenunser Zerstörungswerk an anderer Stellefortsetzen – allerdings kaum ungestört, denndas Auftauchen der drei Maahks schien zubeweisen, daß die Wasserstoffatmer gemerkthatten, daß sich jemand in ihrem Beuteschiffaufhielt.

»Komm!« sagte ich zu Woogie. »Wir ma-chen weiter!«

4.

Während wir durch die Gänge undSchächte des Varganenschiffs eilten, nahmder von den Maahks verursachte Lärm darinständig an Lautstärke zu.

Die Wasserstoffatmer suchten nach uns.Glücklicherweise kannte ich mich an

Bord dieser Doppelpyramiden gut aus, wäh-rend die Maahks erst angefangen hatten, ihreErfahrungen in diesem Schiffstyp zu sam-meln. So wußten sie offenbar noch nichtsvon den separaten Gängen für Hilfsroboter,die die starken Innenwandungen des Schif-fes durchzogen. Die alten Varganen hattenwährend des Niedergangs ihre Kultur eineAversion gegen Roboter entwickelt, warenaber gleichzeitig nicht ohne ihre Hilfe aus-gekommen. Also hatten sie als Kompromiß-lösung dafür gesorgt, daß ihnen ihre roboti-schen Hilfskräfte so wenig wie möglich be-gegneten.

Das kam Woogie und mir zugute, als wiruns zur nächsten wichtigen Schiffssektionbegaben; den Funktionselementen für denÜberlichtantrieb der Varganen.

Es war einigermaßen mühsam, in den en-gen Gängen und Schächten vorwärts zukommen. Zeitweise blieb mir nichts anderesübrig, als das Flugaggregat meines Kampf-anzugs einzuschalten, Woogie auf die Armezu nehmen und so durch senkrecht verlau-fende Schächte zu schweben.

Natürlich wurde dabei Streuenergie frei-gegeben. Doch da es wegen der aufwendi-gen Lebenserhaltungssysteme dermaahkschen Schutzanzüge eine ganze Men-ge an energetischer Aktivität im Schiff gab,brauchte ich eine Anmessung der geringfü-gigen Streustrahlung nicht zu befürchten.

Endlich hatten wir die gesuchte Sektionerreicht. Ein einzelner Maahk bewachte denrelativ großen Raum. Mehr hatten die Was-serstoffatmer wohl vorerst nicht abstellenkönnen, da sie naturgemäß versuchen muß-ten, möglichst alle Sektionen zu bewachen.

Flüsternd instruierte ich Woogie, wie ersich verhalten sollte, dann schlüpfte ich aufden Robotergang und huschte zwischenzwei Elementblöcken hindurch neben einpyramidenförmiges Aggregat.

Der Maahk hatte mich nicht bemerkt.Dennoch konnte ich das Feuer noch nicht er-öffnen, denn sein Schutzschirm war aktiviert

Das Wrack im Eis 23

und ich würde einige Zeit brauchen, um ihnmit Strahlschüssen aufzureißen. Nur Woogiekonnte mir die benötigte Zeit verschaffen.

Der Maahk marschierte in dem Raum hinund her. Die Augen auf seinem sichelförmi-gen Kopfwulst beobachteten die Umgebungaufmerksam und sehr präzise.

Als Woogie aus seinem Versteck feuerte,sprang der Maahk mit einem gewaltigenSatz zur Seite, warf sich hin und zielte aufdas Versteck des kleinen Burschen.

Ich wartete, bis er seinen Strahler abfeuer-te. Woogie war nicht gefährdet, wenn ermeine Anweisung beachtet und sich sofortzurückgezogen hatte.

Als aus dem Strahler des Maahks ein son-nenheller Energiestrahl brach, feuerte ich.

Der Maahk reagierte nicht schnell genug,weil er lang und weil er sich auf den anderenGegner konzentriert hatte. Bevor er sich her-umwerfen konnte, hatte mein Dauerfeuerseinen Schutzschirm so stark belastet, daß erin einer flimmernden Leuchterscheinung zu-sammenbrach.

Mein Energiestrahl zerstörte den Schutz-anzug des Maahks, und der einströmendeSauerstoff tötete das Wesen beim erstenAtemzug.

»Du kannst kommen, Woogie!« rief ich.Mein kleiner Gefährte kam zögernd aus

seiner Deckung hervor. Furchtsam musterteer den riesigen Maahk in dem unförmigenSchutzanzug. Er sah ein solches Wesen zumerstenmal aus unmittelbarer Nähe, und werzum erstenmal einen Maahk sah, der konntesich schon bei dem Anblick fürchten.

»Fangen wir an!« sagte ich.Wieder schossen mir mit unseren vargani-

schen Energiewaffen auf die Funktionsele-mente. Doch diesmal konnten wir nur knappdie Hälfte davon zerstören, bevor dieMaahks es bemerkten und uns einen Ein-satztrupp schickten.

Wir kamen nur mit dem Leben davon,weil in dem Augenblick, in dem die Maahksdurch das Schott in den Raum stürmten, di-rekt vor ihnen ein Funktionsblock explodier-te und die ersten Wasserstoffatmer tötete.

Das gab Woogie und mir die winzigeZeitspanne, die wir brauchten, um uns inden Robotergang zurückzuziehen.

Wir waren schon mindestens zwanzigMeter tief in den Gang eingedrungen, als dieersten Strahlschüsse hineinfuhren und dieWände zerschmolzen.

Ich packte Woogie und stieß ihn in einenschräg abwärts führenden Schacht, dannsprang ich hinterher.

Fürs erste waren wir außer Gefahr. DieMaahks wußten zwar, auf welchem Wegewir gekommen waren, aber sie konnten unsnicht folgen, da die Robotergänge zu eng fürdiese riesigen Lebewesen waren.

Nach einer Weile legten wir eine Rast ein.Woogie zitterte an allen Gliedern. Für diesesfriedfertige Wesen waren die Kämpfe ein-fach zuviel.

Ich überlegte, wohin wir uns als nächsteswenden konnten. Sicher schickten dieMaahks immer mehr Leute aus ihrem Schiffherüber, und es würde immer schwierigerund gefährlicher werden, irgendwo Schadenanzurichten.

Doch das spielte längst keine Rolle mehr.Ich war sicher, daß die Maahks uns sowiesotöten würden – und da wir in dem Varganen-schiff nicht für alle Zeiten untertauchenkonnten, würde das früher oder später ein-treten.

»Wir nehmen uns die AstronomischeSpeichersektion vor«, überlegte ich laut.»Dort werden die Maahks uns am wenigstenerwarten, und doch ist es wichtig, daß sie diegespeicherten astronomischen Daten nichtbekommen. Sie würden Hinweise auf anderevarganische Welten und Stützpunkte erhal-ten und damit die Chance, weitere techni-sche Geheimnisse dieses uralten Volkes zufinden.«

»Ja, Herr!« erwiderte Woogie.»Sag nicht ›Herr‹ zu mir«, erklärte ich.

»Ich bin dein Freund, Woogie. Nenne michAtlan.«

Aber der kleine Bursche getraute sichnicht, von meinem Angebot Gebrauch zumachen. Zu tief war das Sklavenbewußtsein

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in seiner Psyche verwurzelt.Ich klopfte ihm auf die Schulter, dann

machte ich mich auf den Weg zur Astrono-mischen Speichersektion. Unterwegs ent-schloß ich mich, einen Vorstoß in eine ande-re Ausrüstungskammer zu wagen. Dort wa-ren, jedenfalls bei Ischtars Raumschiff,schwere Waffen und handliche Bomben ge-lagert. Vor allem die Bomben konnten unssicher sehr nützlich sein.

Es gelang uns tatsächlich, die betreffendeAusrüstungskammer zu betreten, denn siewar unbewacht.

Schnell raffte ich zusammen, was ich er-reichen konnte, dann wandte ich mich wie-der dem Robotergang zu.

Plötzlich hörte ich vor dem geschlossenenSchott der Kammer das Stampfenmaahkscher Raumstiefel.

Ich stieß meinen Gefährten vorwärts,nahm eine eigroße Fusionsbombe mit verzö-gerter Reaktionsdauer, stellte sie auf eineZünderlaufzeit von zwei Minuten und warfsie hinter ein Regal mit Detonatoren. Danneilte ich Woogie nach.

Wir waren kaum mehr als zehn Meter inden Robotergang eingedrungen, als wir hör-ten, daß die Maahks in die Ausrüstungskam-mer stürmten.

Ich schaltete mein Flugaggregat ein, pack-te Woogie und steuerte durch den stark ge-wundenen Gang, ohne Rücksicht darauf, daßich immer wieder mit den Schultern und denArmen gegen die Wandung stieß und mirschmerzhafte Prellungen zuzog.

Wir schwebten gerade einen kurzen senk-rechten Schacht nach oben, als uns eineWelle kochender Luft traf und gleich einemKorken durch den Schacht trieb. Wir wur-den in eine runde Kammer gewirbelt, undich schaltete mein Flugaggregat aus, damitwir wieder unser normales Gewicht erhiel-ten.

Schwer fielen wir zu Boden.Um uns orgelte und pfiff hocherhitzte

Luft durch das separate Gangsystem, dannexplodierten Waffenmagazine und andereBomben und verwandelten einen Teil des

Schiffes in ein Inferno.Als der Lärm aufhörte und die Luft all-

mählich wieder abkühlte, wartete ich darauf,daß die Maahks mit massierten Kräften nachuns suchen würden.

Doch nichts dergleichen geschah.Es blieb still, beinahe unheimlich still.

Nur von ferne vernahm ich manchmal lautesPoltern, das sich aber mehr und mehr ab-schwächte.

Die Maahks verlassen das Schiff! teiltemir mein Logiksektor mit.

Ich überlegte noch, ob die Wasserstoffat-mer etwa riskieren würden, die Doppelpyra-mide mit den Geschützen ihres Walzenschif-fes zu beschießen und dabei die Zerstörungwertvollster technischer Anlagen in Kauf zunehmen, da fühlte ich plötzlich eine raschzunehmende Schwäche.

Narkosestrahlen! konnte ich noch denken,dann erlosch mein Bewußtsein.

*

Es war, als hätte ich lange auf dem Grun-de eines tiefen Sees gelegen und schwebtejetzt zur Oberfläche empor.

Als mein Kopf die Oberfläche des imagi-nären Sees durchbrach, kam ich wieder vollzu Bewußtsein.

Bevor ich irgendwie reagieren konnte,raunte mir mein Extrasinn zu:

Vorsicht! Passiv verhalten, bis die Lagegeklärt ist! Die Maahks hatten das Varga-nenschiff mit Narkosestrahlen beschossen;folglich sind sie hier, um nachzusehen, werihnen so sehr auf die Nerven fiel.

Ich richtete mich nach dem Rat, doch dieMaahks hielten wohl nicht viel von meinerPassivität, denn ich wurde von starken Hän-den gepackt, hochgerissen und auf die Füßegestellt.

Dabei sah ich Woogie – beziehungsweisedas, was von dem armen Kerl übriggeblie-ben war. Die Maahks hatten ihn mit einemDetonator getötet, wahrscheinlich, als ernoch bewußtlos gewesen war. Wenigstenshatte er dadurch weder Furcht noch Schmer-

Das Wrack im Eis 25

zen verspüren können.Ich konnte mir vorstellen, was die

Maahks dazu bewogen hatte, Woogie zu tö-ten. Sie hatten ihn als unbedeutende Hilfs-kraft eingestuft, die für sie ohne Wert war,und Maahks nahmen niemanden gefangen,der ihnen nicht irgendwie von Nutzen seinkonnte.

Bei mir lagen die Dinge anders. Ich warunverkennbar ein Arkonide. Außerdem hatteich durch meine Aktionen im Varganen-schiff verraten, daß ich große Kampferfah-rung besaß und ein guter Taktiker war, wor-aus die Wasserstoffatmer schließen mußten,daß ich ein hochgestellter Arkonide im Offi-ziersrang war.

Es spielte vorerst keine Rolle, daß sie sichin dieser Beziehung irrten. Wichtig war nur,daß ich noch lebte und überlegen konnte,wie ich den Maahks soviel Schaden wie nurmöglich zufügen konnte. Allerdings würdendie Maahks das voraussehen und sich ent-sprechend verhalten.

Aber ich würde nicht aufgeben, solangeich lebte.

Ein Maahk hielt mich fest, während einanderer mich entwaffnete. Dann stießen dieWasserstoffatmer mich vorwärts. Es warklar, daß sie mich aus dem Varganenschiffbringen wollten. Ich leistete keinen Wider-stand, da ich, unbewaffnet, wie ich war, ge-gen die überlegenen Körperkräfte meinerFeinde nichts ausrichten konnte.

Unterwegs zur Hauptschleuse begegnetenwir weiteren Maahks. Manche transportier-ten auf Antigravplattformen demontierteMaschinenteile und Kontrollinstrumente, an-dere schleppten Spezialwerkzeuge mit sichherum.

Ich wurde nicht sonderlich beachtet, undauch meine Wächter behandelten mich nichtausgesprochen brutal. Sie gingen lediglichso rauh mit mir um wie mit einer beliebigenSache. Ob sie überhaupt hassen konnten,war von unseren Kosmopsychologen nochnicht genau herausgefunden worden. VieleWissenschaftler behaupteten, die Maahkswären überhaupt keines Gefühls fähig, also

auch nicht des Hasses. Sie töteten und ver-nichteten nur, weil es ihnen logisch erschien,einen Feind völlig zugrunde zu richten, daein toter Feind sich nicht wieder gegen sieerheben konnte.

Als wir das Varganenschiff verließen, wares draußen heller Tag. Die Sonne schien alsgelblicher Fleck durch eine geschlosseneWolkendecke. Es schneite nicht, und es warauch nicht unerträglich kalt.

Das Walzenraumschiff der Maahks ragteals riesiges schwarzes Gebilde aus demSchnee. Ich klassifizierte es als neunhundertMeter langes und dreihundert Meter durch-messendes Schlachtschiff mit Zusatztrieb-werken zur Erzielung höherer Beschleuni-gungswerte und normaler Bewaffnung.

Meine Bewacher trieben mich durch eineGasse im Schnee auf ihr Raumschiff zu. Wirbetraten das Schiff durch eine Nebenschleu-se. Vorher mußte ich meinen Druckhelm zu-klappen und den Schutzanzug schließen,denn in der Wasserstoff-Me-than-Ammoniak-Atmosphäre innerhalb desMaahkschiffs wäre ich sonst umgekommen,ganz abgesehen vom hohen Druck und derhohen Temperatur der Atmosphäre, die vonden Maahks geatmet wurde. Außerdemherrschte an Bord des Walzenschiffs einekonstante Schwerkraft von schätzungsweisedrei Gravos, die allerdings vom Antigravdes varganischen Schutzanzugs bis auf denvarganischen Normalwert kompensiert wur-de.

Als wir nach kurzem Gang durch dasSchiff eine kleine Halle betraten, die durcheine transparente Stahlwand unterteilt war,wußte ich, daß die Maahks mich in eine Nie-derdruckkammer mit Sauerstoffatmosphäreund den übrigen für Arkoniden zuträglichenBedingungen sperren würden.

Allerdings hatte ich erwartet, daß man mirbefehlen würde, in der Übergangsschleuseden Schutzanzug abzulegen. Zu meinem Er-staunen verzichteten die Maahks jedoch dar-auf.

Ich hütete mich selbstverständlich, sie aufihr Versäumnis aufmerksam zu machen,

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denn im Besitz des Schutzanzugs würde ichmich gefahrlos innerhalb des Maahkschiffesbewegen können, falls ich mich aus meinemGefängnis befreien konnte – und daraufwollte ich mit aller Energie hinarbeiten.

Nachdem meine Bewacher die Schleuseelektronisch verriegelt hatten, ließen siemich allein.

Ich klappte den Druckhelm zurück undholte vorsichtig Luft.

Die Luft war sauber und sauerstoffreich;sie enthielt etwas mehr Sauerstoff als die At-mosphäre der drei Arkonwelten. Doch dasmachte mir nicht viel aus. Ich war es ge-wöhnt, mich an die abweichenden Umwelt-bedingungen unterschiedlicher Sauerstoff-welten rasch anzupassen.

Meine Zelle enthielt eine Konturliege undeinen Plastikhocker arkonidischer Bauweise,wahrscheinlich Beutestücke. Außerdem gabes ein gegen Sicht abgeschirmtes Abteil mithygienischen Einrichtungen. Das war beina-he mehr Komfort, als Arkonidenmaahkschen Gefangenen zukommen ließen.

Ich setzte mich auf den Hocker und dach-te nach.

Eines war mir klar: Die Maahks wolltenmich verhören und hofften, wertvolle Infor-mationen von mir zu erhalten. Sie konntenlogischerweise annehmen, daß ich nicht dereinzige Arkonide auf diesem Planeten war.Sicher vermuteten sie, daß es irgendwoeinen arkonidischen Stützpunkt gab – oderdoch zumindest das Schiff, mit dem ich ihrerAnsicht nach hergekommen war.

Ich fragte mich, wie lange ich sie hinhal-ten konnte, denn sobald sie merkten, daß eshier weder einen Stützpunkt noch ein Raum-schiff gab und ich ihnen keine Informatio-nen über militärische Details der Flotte desGroßen Imperiums geben konnte, würdensie mich als unbedeutend einstufen und ge-nau wie Woogie töten.

Als zwei maahksche Techniker auf deranderen Seite der transparenten Trennwanderschienen und einen Translator installier-ten, wußte ich, daß mein Verhör dicht be-vorstand.

Kaum waren die Techniker verschwun-den, als auch schon ein Maahk auftauchte,der, den Symbolen auf seinem Kampfanzugnach zu urteilen, der Kommandant diesesSchiffes sein mußte.

Das zirka 2,20 Meter große und 1,50 Me-ter breite Lebewesen musterte mich kalt ausseinen vier grünlich schillernden Doppelau-gen auf dem Grat seines Kopfwulstes.

Ich erwiderte den Blick mit äußerlicherGelassenheit, erhob mich jedoch, da ichnicht als unhöflich erscheinen wollte.

Nach einiger Zeit schaltete der Maahk denTranslator ein und bewegte seinen Mund.

Ich konnte nicht direkt hören, was er sag-te. Das Translatorgerät übersetzte mit sei-nem positronischen Funktionssystem die inKraahmak gesprochenen Worte meines Ge-genübers, und das elektronisch-mechanischeWortbildungssystem formte aus den von derPositronik kommenden Impulsen Wörterund Sätze in Interkosmo.

»Ich bin der Grek-1 dieses Raumschiffs«,sagte der Maahk.

Ich wußte, daß der jeweilige Komman-dant jeder beliebigen maahkschen Einheit –ob es sich nun um ein Raumschiff, einenStützpunkt oder eine ganze Raumflotte han-delte – immer den Titel Grek-1 trug. MeinGegenüber war also, was ich schon vermutethatte, der Kommandant des Walzenschiffs.

»Ich habe verstanden«, gab ich zurück,und der Translator funktionierte in umge-kehrter Richtung ebenso gut, was ich an derReaktion des Maahks bemerkte.

»Das ist gut«, erwiderte er. »Als arkonidi-scher Adliger werden Sie sicher begreifen,daß Sie mit mir kooperieren müssen, wennSie am Leben bleiben wollen.«

Das war logisch.Aus meinen Handlungen an Bord des

Varganenschiffs und aus meinem ganzenBenehmen mußten die Maahks zu demSchluß kommen, daß ich ein hochgestellterArkonide war – und nur adlige Arkonidenkonnten die hohen Ränge innerhalb unsererHierarchie erreichen.

Allerdings konnten die Maahks nicht ah-

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nen, wie hochgestellt ich tatsächlich war,auch wenn Orbanaschol bisher verhinderthatte, daß ich den mir zustehenden Rang imGroßen Imperium einnahm.

Und das war etwas, das ich ihnen auf garkeinen Fall verraten würde.

*

»Als Offizier des Großen Imperiums habeich mich unter Eid verpflichtet, keinemFeind unseres Reiches militärische Geheim-nisse preiszugeben«, antwortete ich.»Solange Sie diesen Punkt nicht berühren,will ich versuchen, mit Ihnen zu kooperie-ren. Aber warum haben Sie mich überhauptam Leben gelassen?«

»Das erfahren Sie später, Arkonide«,wehrte Grek-1 ab. »Aber Sie sehen Ihre La-ge noch nicht völlig klar. Da Sie sich in un-serer Gewalt befinden, könnten wir Mittelanwenden, um Ihnen militärische Geheim-nisse zu entreißen.«

»Ich werde lieber sterben, als Ihnen Infor-mationen zu liefern, mit deren Hilfe Sie demGroßen Imperium schaden könnten!« ent-gegnete ich mit der Arroganz, die die mei-sten hochgestellten Offiziere des Imperiumsan den Tag gelegt hätten.

»Wir erkennen Tapferkeit an«, erwiderteGrek-1. »Aber wir wissen auch, ohne daßSie etwas darüber sagen, daß es auf diesemPlaneten einen arkonidischen Stützpunkt ge-ben muß. Wir wissen auch, daß das Raum-schiff, in dem Sie gefangengenommen wur-den, kein arkonidisches Raumschiff ist. Siebegehen keinen Verrat, wenn Sie mir sagen,welches Volk dieses Schiff gebaut hat.«

»Sie haben dieses Raumschiff vor mirentdeckt«, antwortete ich wahrheitsgemäß.Dann allerdings log ich, denn wenn es auchkein Verrat arkonidischer Geheimnisse ge-wesen wäre, dem Maahk etwas über dieVarganen zu sagen, so hätte es ihm dochgenützt – und alles, was den Maahks nützte,schadete direkt oder indirekt meinem Volk.

»Folglich wissen Sie mehr darüber alsich«, fuhr ich fort. »Ich wurde mit meinem

Begleiter, den Ihre Leute erschossen haben,rein zufällig in diese Gegend verschlagenund stieß auf Ihr Schiff und auf das fremdeRaumschiff.«

»Das klingt logisch«, meinte der Maahk.»Und es ist auch logisch, daß Sie versuch-ten, uns daran zu hindern, die wichtigstentechnischen Anlagen des Schiffes zu demon-tieren und zu bergen. Ihr taktisches Ge-schick, Ihr Mut und Ihr Erfolg verdienenAnerkennung. Ich denke, daß Sie für unserVolk noch von großem Nutzen sein werden.Man wird Ihnen Nahrung bringen. Späterkomme ich wieder. Schalten Sie die Bild-schirme der Außenbeobachtung ein, die sichin Ihrer Niederdruckkabine befinden, und in-formieren Sie sich inzwischen über denFortgang unserer Bergungsarbeiten.«

Der Maahk wandte sich um und stapftehinaus.

Als sich das Schott hinter ihm geschlos-sen hatte, ging ich zur Bedienungskonsoleder Bildschirme und aktivierte die Anlage.

Die drei Bildschirme wurden hell undzeigten deutlich die Umgebung des Walzen-schiffs.

Ich sah, daß die Doppelpyramide etwa zurHälfte gehoben worden war. Zwischen ihrund dem Maahkschiff pendelten laufend An-tigravplattformen und transportierten Mate-rial aus dem Schiff des Sehers in das Raum-schiff der Maahks.

Grek-1 legte offenbar Wert darauf, daßich erkannte, wie groß die technische Aus-beute der Maahks trotz meiner Sabotageak-tionen war. Er mußte erkannt haben, daß dietechnischen Anlagen der Doppelpyramidefür jedes raumfahrttreibende Volk von uner-meßlichem Wert waren – und ich solltewahrscheinlich zu der Überzeugung kom-men, daß das Große Imperium sich vomheutigen Tag an auf der Bahn des Verlierersbefand.

Psychologische Zermürbungstaktik! teiltemir der Logiksektor meines Extrahirns mit.Du sollst einsehen, daß du an der aussichts-losen Lage deines Volkes nichts änderst,wenn du schweigst.

28 H. G. Ewers

Ich setzte mich wieder und dachte nach.Zweifellos war das Vorgehen von Grek-1

als psychologische Zermürbungstaktik zuwerten. Aber da ein Maahk streng logischdachte, konnte er nicht mit hundertprozenti-ger Gewißheit darauf zählen, daß ich unterder Last der Einsicht zusammenbrach. DieWahrscheinlichkeit dafür, daß ich fest blieb,war ebenso groß.

Folglich mußte Grek-1 noch einen ande-ren Zweck verfolgen. Allerdings besaß ichnoch keinen Anhaltspunkt dafür, welcherZweck das war.

Vielleicht hatte es mit dem Grund zu tun,aus dem die Maahks mich nicht getötet, son-dern gefangengenommen hatten. Für ge-wöhnlich reichte bei den Wasserstoffatmerndie Möglichkeit, durch Verhöre Informatio-nen zu bekommen, nicht aus, um eine Ge-fangennahme zu motivieren.

Aber so sehr ich auch darüber nachdachte,ich kam zu keinem befriedigenden Ergebnis.

Kurz darauf erschienen zwei Maahks. Ei-ner von ihnen öffnete die Durchgangs-schleuse, stellte ein Tablett mit Speisen undGetränken in die kleine Kammer und schloßwieder ab, während der andere Maahk mitschußbereitem Detonator darüber wachte,daß ich keinen Ausbruchsversuch unter-nahm.

Ich verhielt mich friedlich und nahm eineHaltung ein, aus der die Maahks, wenn sieetwas von arkonidischer Psychologie ver-standen, schließen würden, daß ich es fürunter meiner Würde hielt, einen ihres Vol-kes mit bloßen Händen anzugreifen und da-durch sozusagen körperlichen Kontakt her-zustellen.

Erst nachdem die beiden Maahks wiedergegangen waren, öffnete ich das unver-schlossene Innenschott der Schleuse undholte das Tablett herein.

Ich stellte es auf den Hocker, setzte michauf den Rand der Konturliege und mustertedie Speisen und Getränke.

Die Maahks behandelten mich tatsächlichgut, wahrscheinlich, weil ich durch denKampf, den ich ihnen in dem Varganen-

schiff geliefert hatte, ihre Achtung und ihrenRespekt gewonnen hatte. Derart kämpfe-risch veranlagte Naturen, wie die Maahks,respektierten nichts mehr als den persönli-chen Mut und den kämpferischen Erfolg ei-nes Wesens, auch wenn es sich um einenFeind handelte.

Was sie mir geschickt hatten, war nichtdie unansehnliche Synthonahrung, wie siearkonidische Mannschaftsdienstgrade aufden Schiffen des Großen Imperiums erhiel-ten. Es waren Speisen, wie sie den hohenOffizieren der Imperiumsflotte vorbehaltenwaren. Dazu gab es einen vorzüglichenWein.

Ich aß soviel, daß ich gesättigt war, abernicht soviel, daß mein Organismus dadurchzu sehr belastet wurde. Von dem Wein trankich nur einen Becher. Ich wollte nüchternbleiben, denn ich wußte, daß ich bald aus-brechen mußte. Wenn die Maahks mir erstmeinen varganischen Schutzanzug wegge-nommen hatten, war es damit vorbei.

Während der Mahlzeit legte ich mir mei-nen Plan zurecht. Eine Möglichkeit, ausmeinem Gefängnis zu entkommen, hatte ichinzwischen bereits entdeckt. Folglich kam esnur noch darauf an, mich nach dem Aus-bruch so zu verhalten, daß ich innerhalb kür-zester Zeit größtmöglichen Schaden anrich-ten konnte.

5.

Natürlich war es möglich, daß mein Ge-fängnis getarnte Teleaugen und Mikrophoneenthielt, doch dieses Risiko mußte ich einge-hen.

Grek-1 hatte, als er mich verließ, denTranslator nicht abgeschaltet. Das war seinentscheidender Fehler gewesen, denn so un-glaubhaft es klingen mochte, der Translatorstellte für mich ein Mittel dar, aus meinemGefängnis zu entkommen.

Genau genommen, boten sich mir mit ihmsogar zwei Möglichkeiten an. Ich hätte ihnbeispielsweise aus dem Stahlrahmen bre-chen können, in dem er in der transparenten

Das Wrack im Eis 29

Trennwand befestigt war. Das hätte aller-dings viel Zeit- und Kraftaufwand gekostet,aber das war es nicht, weshalb ich diesenPlan sofort wieder verwarf.

Ich konnte den Translator nämlich auf ei-ne viel einfachere Weise als Schlüssel be-nutzen, um mein Gefängnis zu verlassen.Die Methode war so einfach, daß dieMaahks wohl nur deshalb nicht an dieseMöglichkeit gedacht hatten. Für sie, die lo-gische und taktische Spiele geradezu liebten,waren simple Gedankengänge fast schon un-ter ihrer Würde.

Die Voraussetzung dafür, daß mein Planaufging, hatten mir die beiden Maahks gelie-fert, die mir das Essen gebracht hatten. Zwarhatte ich schon vorher bemerkt, daß dieelektronische Ver- und Entriegelung des Au-ßenschotts der Durchgangsschleuse mittelseines gesprochenen Kodeworts erfolgte,aber erst durch den versehentlich nicht abge-schalteten Translator hatte ich dieses Kode-wort auch hören und verstehen können.

Es hieß auf Interkosmo»Sechseck-Sternkonstellation«, und ichbrauchte es nur auszusprechen, um die Türzu meinem Gefängnis zu öffnen, denn da derTranslator nach beiden Seiten funktionierte,übersetzte er den Begriff»Sechseck-Sternkonstellation« praktisch oh-ne zeitliche Verzögerung in das entspre-chende Wort des Kraahmak – und auf genaudiese akustische Komposition sprach dieelektronische Verriegelung des Außen-schotts an.

Ich zögerte nicht, meinen Plan in die Tatumzusetzen.

Nachdem ich meinen Druckhelm über denKopf gestülpt und den varganischen Schutz-anzug geschlossen hatte, sprach ich das Ko-dewort aus.

Fast im gleichen Augenblick öffnete sichdas Außenschott der Durchgangsschleuse.

Ich öffnete das unverriegelte Innenschottund schloß es sofort wieder hinter mir, damitnicht zuviel von dem unter hohem Druckstehenden äußeren Gasgemisch in die Sauer-stoffzelle eindrang und dort vielleicht den

Alarm eines Prüfgeräts auslöste, dann eilteich zu dem auf den Schiffskorridor führen-den Schott.

Als das Schott sich vor mir öffnete, hieltich unwillkürlich den Atem an.

Mir war klar, daß mein Plan so gut wiegescheitert sein würde, wenn sich draußenMaahks in der Nähe befanden. Der rein äu-ßerliche Unterschied zwischen einem Maahkund einem Arkoniden war so groß, daß erniemals übersehen werden konnte.

Doch ich hatte Glück. Kein einzigerMaahk hielt sich draußen auf. Wahrschein-lich lag das daran, daß die meisten Maahkssich in dem Raumschiff des Sehers aufhiel-ten und der Rest der Besatzung auf den Sta-tionen war, damit das Walzenschiff beimeventuellen Auftauchen von Feinden ohneVerzögerung gefechtsbereit gemacht werdenkonnte.

Mein Ziel stand fest.Ich wollte in den Maschinenraum eindrin-

gen und die Energieleitsysteme so umschal-ten, daß beim Start des Walzenschiffs einEnergierückstau eintrat, der unweigerlichzur Explosion der Maschinen und damit zurZerstörung des Schiffes führen mußte.

Wenn mir das gelang, wollte ich versu-chen, aus dem Walzenschiff zu entkommenund in die Berge zu fliehen. Meine Überle-benschancen würden zwar dort auch nichtgroß sein, aber wenn ich an Bord blieb, wa-ren sie gleich Null.

Falls die Maahks meine Flucht verhinder-ten, würden sie mich entweder sofort er-schießen oder mich wieder einsperren. Daswürde mir zwar nicht gefallen, aber vielwichtiger war, daß das Maahkraumschiffmitsamt dem technischen Erbe der Varganenzerstört wurde, und wenn ich bei der Explo-sion mit umkam, hatte ich meinem Volk da-durch so sehr geholfen, daß mein Leben alsPreis dafür nicht zu hoch war.

Ich wußte, in welche Richtung ich michwenden mußte, um in die Maschinensektionzu gelangen. Deshalb stieg ich auf dasTransportband, das sich in der betreffendenRichtung bewegte.

30 H. G. Ewers

Nach kurzer Zeit erreichte ich das Ma-schinendeck, ohne einem Maahk zu begeg-nen.

Allerdings durfte ich nicht erwarten, auchim Maschinenraum selbst keinen Maahkvorzufinden. Selbstverständlich würden diedort stationierten Techniker und Ingenieureauf ihrer Station sein. Ich konnte vielleichtungesehen in den Maschinenraum gelangen,aber wenn ich mich an den Maschinen zuschaffen machte, würde ich mit Sicherheitentdeckt werden.

Es kam folglich darauf an, die Maahksüber meine wahre Identität zu täuschen.

Das aber konnte ich nur, wenn ich wenig-stens rein äußerlich so aussah wie einer derWasserstoffatmer.

Ich atmete auf, als ich feststellte, daß eineder Voraussetzungen meines Plans sich er-füllte. Zwar hatte ich es nicht sicher gewußt,aber ich hatte annehmen dürfen, daß auchdie Maahks direkt vor wichtigen und beson-ders gefährdeten Schiffssektionen eine Aus-wahl von Schutzanzügen bereitgestellt hat-ten, die im Alarmfall für die betreffendeMannschaft schnell erreicht werden konnte.

Und meine Annahme bestätigte sich.In einer rechteckigen Korridornische wa-

ren an Magnetklammern neun schweremaahksche Schutzanzüge aufgehängt. Ichbrauchte nur einen an mich zu nehmen undüber meinen eigenen Schutzanzug zu strei-fen, um aus einiger Entfernung wie einMaahk auszusehen.

Allerdings war das nicht so leicht, wie essich anhörte.

Ich merkte es, als ich den Schutzanzugübergestreift und seine Überlebenssystemeaktiviert hatte. Das aus den Rückenbehälterneinströmende Wasserstoff-Me-than-Ammoniak-Gemisch wurde von derApparatur auf den für Maahks erforderli-chen hohen Gasdruck gebracht, so daß ichmich kaum noch bewegen konnte.

Dazu kam, daß der maahksche Schutzan-zug für Lebewesen konstruiert war, derenKörperkräfte die von Arkoniden um einMehrfaches überstiegen. Entsprechend

starkwandig und schwer waren die einzelnenTeile gearbeitet. Jeder Schritt kostete michgenausoviel Kraft wie das Anheben einesGeräts von fünfzig Kilogramm Masse.

Nach drei Schritten war ich nahe daran,wieder aufzugeben. Es erschien mir unmög-lich, überhaupt bis in den Maschinenraumzu gelangen, ganz zu schweigen davon,mich darin so wie ein echter Maahk zu be-wegen.

Während ich verzweifelt dastand, erinner-te ich mich daran, daß Ischtar mir einmal et-was von einer Droge erzählt hatte, die dieVarganen Achtyl-Hachat nannten und diesie einzunehmen pflegten, wenn sie Bela-stungen ausgesetzt waren, die ihre normalenKräfte überstiegen.

Ich wußte nicht, wie die Droge – bezie-hungsweise ihre Darreichungsform – aussah,aber es erschien mir wahrscheinlich, daßvarganische Raumfahrer, falls sie diese Dro-ge bei sich führten, sie in ihrem Schutzanzugtrugen, und zwar innen.

Da das Achtyl-Hachat meine letzte Hoff-nung darstellte, suchte ich in fieberhafter Ei-le die zahlreichen Innentaschen des vargani-schen Schutzanzugs ab. Jeden Momentkonnte ein Maahk erscheinen und Verdachtschöpfen, wenn jemand, der ebenfalls wieein Maahk aussah, untätig herumstand, ob-wohl jedes Besatzungsmitglied eigentlichbeschäftigt war.

Es gab eine Menge kleiner und offenbarnicht sehr bedeutender Gegenstände, die ichaus den Innentaschen zutage förderte. Dar-unter befand sich jedoch auch eine durch-sichtige Plastikschachtel, in der drei violetteGallertkügelchen lagen.

Waren diese Kügelchen die Darreichungs-form der bewußten Droge?

Ich wußte es nicht. Ebensogut konnten esGiftkapseln sein, mit deren Hilfe vargani-sche Raumfahrer Selbstmord begehen konn-ten, wenn die Gefahr bestand, daß sie sonstauf eine andere, weniger sanfte Weise zuTode kommen würden.

Aber hatte ich überhaupt noch eine Wahl?Wenn es mir nicht gelang, etwas Wirksa-

Das Wrack im Eis 31

mes gegen die Maahks zu unternehmen, wares sicher besser, gleich zu sterben, denndann konnte Grek-1 mich nicht benutzen,wofür auch immer.

Dennoch brach mir der kalte Schweiß aus,als ich eines der Gallertkügelchen schluckte.Der Selbsterhaltungstrieb war auch beihochentwickelten Lebewesen immer nochder stärkste Trieb.

Wenige Augenblicke später wurde mirübel. Ich fror plötzlich und zitterte an allenGliedern, während ich gegen das Erbrechenankämpfte.

Und plötzlich schwanden diese Erschei-nungen wieder. Ich spürte, wie ungeahnteKräfte meinen Körper durchpulsten und wieich von großer Zuversicht erfüllt wurde, bei-nahe von Euphorie.

Das Achtyl-Hachat hatte gewirkt!

*

Als das Schott sich vor mir öffnete, blick-te ich in eine große Maschinenhalle. Insge-samt neun Maahks standen in dem Raum.Sie waren aber weit genug voneinander ent-fernt, daß ich zwischen ihnen hindurchgehenkonnte, ohne wegen des transparentenDruckhelms sofort als Arkonide erkannt zuwerden.

Es war wundervoll, wie leicht ich mich indem schweren Schutzanzug bewegte. Ichfühlte mich fähig, Bäume auszureißen.

Du Narr! raunte mir mein Logiksektor zu.Vergiß über dem Triumph nicht deine Auf-gabe!

Beschämt erkannte ich, daß ich tatsäch-lich für einen Moment vergessen hatte, wes-halb ich in den Maschinenraum gekommenwar. Das Achtyl-Hachat hatte offenbar eineNebenwirkung, die die Kritikfähigkeit starkherabsetzte. Vielleicht traf das nur bei mirzu, weil sich mein Metabolismus vom Meta-bolismus eines Varganen unterschied.

Langsam stapfte ich durch die Halle. Ichsuchte nach den Maschinen, an denen ichdie entscheidenden Schaltungen vornehmenmußte. Da sie zur Zeit nicht aktiviert waren,

standen auch keine Maahks dort.Ich trat vor die erste Maschine, öffnete die

Abdeckplatte über den Schaltungen und stu-dierte das Innenleben.

Natürlich unterschied es sich vom Innen-leben arkonidischer Maschinen, aber nur inDetails, denn die Systeme auf Maahkrau-mern und Arkonidenschiffen funktioniertennach den gleichen Prinzipien, da wir uns inetwa auf dem gleichen technischen Entwick-lungsstand befanden.

Trotzdem gaben mir diese Details mehrals genug Nüsse zu knacken. Ich brauchteetwa dreimal solange, wie ich an einer ent-sprechenden arkonidischen Maschine ge-braucht hätte, um die Umschaltung vorzu-nehmen.

Dennoch verlor ich meine Zuversichtnicht.

Ich warf einen Blick auf meine»Kollegen« und registrierte erleichtert, daßsie sich nicht um mich kümmerten. Schulddaran war wohl die strenge Disziplin auf denRaumschiffen der Maahks, die niemandemeinen Spielraum für Eigeninitiative ließ, je-denfalls nicht während der Dienstzeit, undnicht bei untergeordneten Kräften.

Die anderen Maahks hatten mich be-stimmt gesehen, aber sie mußten annehmen,daß ich mit einem speziellen Auftrag desKommandanten oder eines anderen Vorge-setzten in die Maschinenhalle gekommenwar. Folglich sahen sie keinen Anlaß, sichum mich und meine Tätigkeit zu kümmern.

Ich wandte mich der nächsten Maschinezu.

Diesmal ging es erheblich schneller, daich bei der ersten Maschinenschaltung Er-fahrungen gesammelt und aus ihnen gelernthatte.

Aber mitten in der Arbeit wurde mirschwarz vor Augen. Ich mußte mich an denRand der Maschine klammern, um nicht um-zufallen, denn meine Knie schienen plötz-lich aus Weichplastik zu bestehen.

Die Wirkung der Droge läßt nach! teiltemir mein Logiksektor mit.

Zum gleichen Schluß war ich von allein

32 H. G. Ewers

gekommen. Ich versuchte, die Schachtel mitden beiden restlichen Gallertkügelchen ausder Innentasche zu holen. Es wollte mirnicht gelingen, da ich meinen Arm nicht ausdem Ärmel des maahkschen Schutzanzugsbekam.

Endlich erreichte ich es doch. Ich zog dieSchachtel aus ihrer Tasche, öffnete sie undnahm ein Gallertkügelchen heraus. Als iches in den Mund schob, fiel die letzte Gallert-kugel aus der Schachtel und verschwand ir-gendwo in den Tiefen des maahkschenSchutzanzugs.

Wenn ich nicht zu schwach dazu gewesenwäre, hätte ich eine Verwünschung ausge-stoßen. Mit Hilfe der letzten Drogenkugelwäre es mir wahrscheinlich möglich gewe-sen, alle geplanten Umschaltungen durchzu-führen und die Maschinenhalle unerkanntwieder zu verlassen. Damit war es nun vor-bei.

Ich entschloß mich, nur noch dieses eineAggregat fertig umzuschalten und dann dieHalle zu verlassen. Mehr Zeit hatte ichnicht.

Endlich tauchten wieder die gleichen un-angenehmen Begleiterscheinungen auf. Ichfühlte mich übel, fror und zitterte und glaub-te, sterben zu müssen.

Doch diesmal kannte ich die Symptomeund konnte beruhigt die volle und positiveWirkung der Droge abwarten.

Danach führte ich meine Arbeit an derMaschine zu Ende und verließ den Maschi-nensaal wieder.

Draußen blickte ich mich um.Immer noch lag der Korridor verlassen

da.Sollten die Maahks noch nicht entdeckt

haben, daß ihr Gefangener ausgebrochenwar?

Es war kaum vorstellbar – und doch muß-te es so sein, sonst wäre längst Alarm gege-ben worden und im Schiff würde es vonSuchtrupps wimmeln.

Wahrscheinlich waren die führendemMaahks so stark von der Auswertung desFundes beansprucht, daß sie sich um nichts

anderes kümmerten.Hastig streifte ich den maahkschen

Schutzanzug wieder ab, dann stellte ichmich auf das Transportband, das in Richtungmeines Gefängnisses führte.

Mir war klar geworden, daß mir eineFlucht aus dem Walzenschiff nicht gelingenkonnte. Jeden Augenblick mußte die Wir-kung der Droge nachlassen. Dann würde ichentkräftet zusammenbrechen.

Es war deshalb besser, wenn die Maahksgar nicht erst bemerkten, daß ich mich füreinige Zeit unerlaubt aus meinem Gefängnisentfernt hatte. Dann würden sie auch nichtnachforschen, was ich während dieser Zeitin ihrem Schiff getrieben hatte.

Vor dem Schott zum Doppelraum sprangich vom Band, und als das Schott sich öffne-te, rannte ich hindurch. Aber auf halbemWege zum offenen Außenschott verließenmich meine Kräfte. Es war, als wäre ich einBallon, aus dem schlagartig das Gas ent-wich.

Ich konnte mich nicht mehr halten undbrach zusammen. Vor meinen Augen wog-ten rötliche Schleier, und hinter ihnen er-kannte ich undeutlich die Schottöffnung.

Unter Aufbietung meiner ganzen Willens-kraft kroch ich auf die Öffnung zu. Eine hal-be Ewigkeit schien zu vergehen, bis ich sieerreichte. Ich war so schwach, daß ich amliebsten aufgegeben und mich der Bewußtlo-sigkeit überlassen hätte, die mein Hirn zuvernebeln drohte.

Doch mein Extrasinn half mir über diekritischen Phasen hinweg, indem er michimmer wieder anspornte. Woher mein zu-sätzlicher aktivierter Hirnteil die Energienahm, die er dazu benötigte, war mir schlei-erhaft und auch gleichgültig.

Endlich hatte ich die Öffnung erreicht.Am liebsten wäre ich hindurchgekrochen,doch das durfte ich nicht, denn das Außen-schott schloß sich nicht automatisch undauch nicht mit Hilfe eines Kodeworts.

Ich mußte, damit es sich hinter mirschloß, eine schmale Schaltleiste berühren,die sich etwa in Schulterhöhe befand.

Das Wrack im Eis 33

Da ich kaum noch etwas sah, tastete ichverzweifelt nach dem Rand der Öffnung,dann versuchte ich, mich hochzuziehen. Dieersten Versuche schlugen fehl. Ich kamkaum kniehoch, bevor ich kraftlos zu-rücksank.

Ganz kurz dachte ich an das Gallertkügel-chen, das irgendwo in meinem Schutzanzuglag. Aber ich verwarf den Gedanken, danachzu suchen, wieder. Erstens hätte ich eshöchstwahrscheinlich nicht gefunden, undzweitens fürchtete ich, mich damit so aufzu-putschen, daß ich, sobald die Wirkungnachließ, mit einem völligen Kreislaufzu-sammenbruch rechnen mußte. Ich würdesterben, ohne zu erfahren, ob meine Aktionerfolgreich verlaufen war, und das wider-strebte mir.

Endlich gelang es mir, mich weit genughochzuziehen. Ich tastete blind nach derSchaltleiste, bekam sie zu fassen, drücktedarauf und ließ mich nach vorn in dieSchleusenkammer fallen.

Die zufahrenden Schotthälften streiftenmeinen rechten Fuß.

Weiter, weiter! drängte mein Extrasinn.Du darfst jetzt nicht aufgeben! Gleich hastdu es geschafft!

Ich dachte eine Verwünschung – ausspre-chen konnte ich sie nicht; dazu war ich zuschwach – und kroch weiter. Glücklicher-weise öffnete sich das Innenschott automa-tisch. Ich merkte es nur daran, daß ich keinHindernis spürte.

Meine Muskeln und Sehnen arbeitetenmechanisch weiter, während mein Geist fastvöllig von Bewußtlosigkeit überschattetwurde. Ich hielt erst an, als ich gegen einHindernis stieß. Es mußte die Konturliegesein.

Mit dem letzten Rest meiner Kräfte zogich mich auf die Liege, dann wurde es end-gültig dunkel um mich.

*

Als ich wieder zu mir kam, fühlte ichmich außerordentlich schwach, aber auch

zufrieden.Es war mir gelungen, die Maschinen des

Maahkraumers zu präparieren und anschlie-ßend meine Spuren wieder zu verwischen.Außerdem lebte ich noch, so daß ich, wenndie Maahks zu starten versuchten, für einenkurzen und letzten Augenblick mitbekom-men würde, daß mein Anschlag geglücktwar.

Ich schlug die Augen auf. Mein Blick fielgegen die Decke meines Gefängnisses. Dannbewegte ich meine Arme – und plötzlichverspürte ich eisigen Schrecken.

Mein varganischer Schutzanzug war weg!Ich trug nur noch meine einfache Kombi-

nation. Also mußten die Maahks mich wäh-rend meiner Bewußtlosigkeit entkleidet ha-ben.

Doch ich beruhigte mich schnell wieder.Schließlich konnten die Wasserstoffatmer janicht wissen, warum ich bewußtlos gewesenwar. Sie hatten mich sicher nur entkleidet,um mich zu untersuchen.

Ich setzte mich auf und blickte dabei aufdie Bildschirme. Die Maahks waren nochimmer dabei, Material aus dem Raumschiffdes Sehers in ihren Walzenraumer zu trans-portieren. Aber das würde ihnen nichts nüt-zen. Im Gegenteil. Je mehr sie von den tech-nischen Einrichtungen des Varganenschiffesherüberschleppten, desto weniger konntendie Maahks, die eventuell die Explosion derAntriebsmaschinen und die Zerstörung ihresSchiffes überlebten, mit dem in der Doppel-pyramide verbliebenen Rest anfangen.

Lächelnd schwang ich mich herum, umdie Füße auf den Boden zu stellen.

Mitten in der Bewegung erstarrte ich –und mein Lächeln gefror zu einer Maske desSchreckens.

Denn draußen, im anderen Teil des Dop-pelraums, stand Grek-1, und neben ihm lagmein varganischer Schutzanzug.

Rein intuitiv erfaßte ich, was ich konkretüberhaupt noch nicht erkennen konnte, daßnämlich die Maahks mein Spiel durchschauthatten.

Und die Worte des Maahks verrieten mir,

34 H. G. Ewers

daß ich mit meiner Intuition recht gehabthatte.

»Das war eine beachtliche Leistung, Ar-konide«, sagte Grek-1, und der Translatorübersetzte seine Worte ins Interkosmo.»Wenn Sie ein Maahk wären, würde ich Siezur Beförderung vorschlagen. Dennoch warIhre Aktion von vornherein zum Scheiternverurteilt. Ich wußte, daß Sie etwas unter-nehmen würden, und habe Sie ständig beob-achtet.«

Ich war wie betäubt.Aber ich ließ mich nicht überrumpeln. Es

konnte durchaus sein, daß der Kommandantdes Maahkraumers nur bluffte, um aus mirherauszulocken, was ich wirklich getriebenhatte. Vielleicht wußte er lediglich, daß ichfür einige Zeit mein Gefängnis verlassenhatte und mußte natürlich versuchen, denRest aus mir herauszulocken.

Doch so leicht wollte ich es ihm nicht ma-chen.

»Schade, daß mein Schutzanzug plötzlichundicht wurde«, erwiderte ich. »Dadurchwurde ich gezwungen, überstürzt in meinGefängnis zurückzukehren. Sonst hätte ichIhnen einen Besuch abgestattet und Sie getö-tet, Grek-1.«

Das Gesicht des Maahks verriet keine Re-gung. Nur die Augen funkelten.

»Ich habe nicht geblufft, Arkonide«, ent-gegnete Grek-1. »Ich hatte den Translatorauch keineswegs versehentlich nicht ausge-schaltet. Sie sollten vorübergehend entkom-men, denn ich wollte feststellen, was Sie un-ternehmen würden und welcher HilfsmittelSie sich bedienten. Das ist mir gelungen.Glauben Sie nur nicht, daß Sie im Maschi-nensaal unbehelligt die Umschaltungen hät-ten vornehmen können, wenn ich das Perso-nal nicht vorher entsprechend unterrichtethätte.«

Ich hatte das Gefühl, als würde der Him-mel einstürzen.

Nachträglich sah ich ein, wie unwahr-scheinlich alle die Zufälle gewesen waren,die es mir erst ermöglicht hatten, meine Sa-botageaktion erfolgreich durchzuführen und

wieder in mein Gefängnis zurückzukehren.Sie ließen sich tatsächlich nur damit erklä-ren, daß mir Grek-1 alle Hindernisse ausdem Weg geräumt hatte.

»Ich hatte Sie unterschätzt«, erklärte ichmatt, aber auch, respektvoll. »EntschuldigenSie, bitte, daß ich Ihren Intelligenzquotien-ten zu gering einschätzte.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldi-gen, Arkonide«, sagte der Maahk. »Wennich mich in Ihrer Lage befände, hätte ichauch die geringste Chance wahrgenommen,meine Feinde zu töten und damit die Aus-wertung der Beute zu verhindern. Immerhinnehmen Sie in Kauf, dabei ebenfalls umzu-kommen, und das war sehr logisch gedacht.«

Ich zuckte mit den Schultern.»Sie haben recht«, erwiderte ich. »Ich

würde es wieder versuchen, wenn ich auchnur die kleinste Möglichkeit sähe. Diesmalhaben leider Sie gewonnen. Aber das Spielist erst zu Ende, wenn ich tot bin.«

»Richtig«, sagte der Maahk. »Noch läuftdas Spiel. Wie ich sagte, wollten wir unteranderem feststellen, welcher Hilfsmittel Siesich bedienen würden, um Ihren Plan auszu-führen.«

Er hob einen Plastikwürfel hoch, und ichsah darin eingebettet das violette Gallertkü-gelchen, das mir abhanden gekommen war.

»So sieht eines Ihrer Hilfsmittel aus, Ar-konide«, erklärte er. »Wir haben festgestellt,daß sich in Ihrer Rückenmarksflüssigkeitnoch Spuren der Substanz befanden, aus derauch diese Kugel besteht. Es handelt sichum einen Wirkstoff, der die schlafendeEnergie eines Organismus weckt, sofern die-ser Organismus Sauerstoff atmet und auf Ei-weiß basiert.«

Ich ahnte, was noch kommen würde, undich mußte mich anstrengen, um mir nicht an-merken zu lassen, wie sehr mich die Fest-stellungen des Maahks erschreckten.

»Wie Sie sich denken können«, fuhrGrek-1 fort, »haben wir auch die anderenSchutzanzüge untersucht, die sich an Borddes fremden Raumschiffs befanden. In ei-nem von ihnen entdeckten wir ebenfalls eine

Das Wrack im Eis 35

Plastikschachtel mit solchen Kugeln. Es istnur logisch, anzunehmen, daß es sich beidem Wirkstoff, den Sie gezielt benutzten,um das Produkt des Volkes handelte, demdas fremde Schiff gehörte. Und es ist außer-dem logisch, anzunehmen, daß Sie mehrüber dieses Volk und seine Zivilisation wis-sen, als Sie bisher zugegeben haben, dennsonst hätten Sie nicht gewußt, daß die be-treffende Droge Ihre schlafende Energie mo-bilisiert.«

Er hatte natürlich recht – und er konnte esbeweisen. Dennoch entschloß ich mich da-zu, weiterhin alles abzustreiten.

»Ich gebe zu, daß Ihre Argumentation lo-gisch ist«, erklärte ich. »Aber sie basiert aufeiner angenommenen Voraussetzung, dienicht zutrifft. Tatsächlich wußte ich nicht,worum es sich bei diesen Kügelchen handel-te. Ich hoffte nur, daß es ein Aufputschmittelwar, und ich ging das Risiko, daß es sich umein tödlich wirkendes Gift handelte, ausVerzweiflung ein.«

»Verzweiflung ist keine logische Motiva-tion«, hielt mir der Maahk entgegen.

»Natürlich nicht«, erwiderte ich. »Es isteine emotionale Regung, die von einemMaahk mangels Gefühl nicht praktischnachvollzogen werden kann – und theore-tisch nur sehr schwer.«

»Sie irren sich, Arkonide«, entgegnete derMaahk. »Wir Maahks haben ein sehr starkesZusammengehörigkeitsgefühl. Das ist auchder Grund, weshalb wir den Krieg gewinnenwerden, denn dieses Gefühl ist bei Arkoni-den nur sehr schwach ausgeprägt. Mir ist be-kannt, daß es innerhalb der höchsten Be-fehlsstellen des Großen Imperiums immerwieder zu Machtkämpfen kommt, obwohldie Bedrohung von außen groß genug ist,um alle internen Streitigkeiten auszusetzen.Ihr Arkoniden seid nicht diszipliniert genugund deshalb eine Sackgasse der Evolution.«

»Warum sagen Sie mir das, Grek-1?«fragte ich. »Es könnte Ihnen doch nur rechtsein, wenn unsere militärische Stärke durchinterne Machtkämpfe geschwächt würde –was aber bestimmt nicht der Fall ist. Im Ge-

genteil. Solche Machtkämpfe sind nur dieäußeren Zeichen unserer ausgeprägten Indi-vidualität, und das ist ein entscheidenderVorteil gegenüber einem Volk von gleichge-schalteten Individuen.«

»Sie begreifen nicht, wie wir wirklichdenken und wie wir uns verwirklichen, Ar-konide«, sagte der Maahk. »Ich habe Ihnendas alles nur gesagt, damit Sie einsehen, daßArkon diesen Krieg niemals gewinnen kann.Sobald wir das Material aus dem fremdenRaumschiff ausgewertet und in großemMaßstab für unsere Zwecke dienstbar ge-macht haben, werden wir das Große Imperi-um endgültig zerschlagen. Wenn ich Sie wä-re, würde ich meinen Freunden raten, mitmir und mit möglichst vielen Raumschiffenvoller qualifizierter Männer und Frauen ineinen entlegenen Winkel der Galaxis zu flie-hen, wo sie die nächsten Jahrtausende sicherwären.«

Ich horchte auf.Bestimmt sagte Grek-1 so etwas nicht nur

so daher. Er verfolgte einen logisch fundier-ten Zweck mit seinen Reden, sonst hätte ernicht seine knappe Zeit dafür geopfert.

»Dazu werde ich wohl keine Gelegenheithaben, da ich ja doch erschossen werde, so-bald Sie mich nicht mehr brauchen«, entgeg-nete ich.

»Sie werden nicht getötet werden, Arko-nide«, entgegnete Grek-1. »Wir beabsichti-gen, Sie gegen einen wichtigen Grek auszut-auschen, der sich in arkonidischer Gefan-genschaft befindet. Da Sie ein Adliger sind,wird das Oberkommando Ihrer Raumflottebestimmt auf unser entsprechendes Angeboteingehen. Bitte, ruhen Sie sich aus. Wir wer-den bald starten.«

Er verließ den Raum, und ich blickte ihmgrübelnd nach.

Es gefiel mir ganz und gar nicht, daß dieMaahks mich gegen einen der ihren austau-schen wollten. In maahkscher Gefangen-schaft gab es immerhin eine geringe Wahr-scheinlichkeit, daß ich überleben würde.Wenn ich mich aber in der Gewalt des Flot-tenkommandos befand, würde ich sehr

36 H. G. Ewers

schnell als Atlan identifiziert werden – undOrbanaschol würde dafür sorgen, daß ichihm nie mehr Schwierigkeiten bereitete.

Ich konnte es drehen und wenden, wie ichwollte: Meine Zukunftsaussichten waren soschlecht wie die eines Todeskandidaten.

6.

Auf den Bildschirmen konnte ich beob-achten, wie die Maahks weiter Material ausdem Varganenschiff holten.

Erbittert starrte ich auf ein Geschehen,das ich nicht verhindern konnte.

Mir war inzwischen vieles klar geworden,was ich vor dem letzten Gespräch mit demKommandanten des Maahkschiffes nochnicht verstanden hatte.

Die Maahks ließen mich deshalb bei derBergung des varganischen technischen Ge-räts zuschauen, weil sie wollten, daß ichnach meinem Austausch mit ihrem wichti-gen Grek darüber berichtete.

Sie versprachen sich davon Erschreckenund Resignation beim Flottenkommando desGroßen Imperiums, und daraus resultierendeine Erlahmung unseres Widerstandswillens.

Außerdem hofften sie wohl, daß ich dieAnregung von Grek-1 aufnahm und auf-grund meiner angenommenen hohen Stel-lung in der Lage sein würde, einen erhebli-chen Teil der arkonidischen Flotte dazu zumißbrauchen, mit einem ausgewählten Teilmeines Volkes in einen entlegenen Winkelder Galaxis zu fliehen.

Dadurch würde nicht nur die Kampfkraftder arkonidischen Flotte entscheidend ge-schwächt werden, sondern es würde auchdie Elite der arkonidischen Soldaten, Offi-ziere, Techniker und Wissenschaftler aus derVerfügungsgewalt der Kriegsmaschineriedes Großen Imperiums abgezogen werden,da die Maahks annahmen, daß ich nur diebesten Kräfte mitnehmen würde.

Die unmittelbar Folge davon wäre derbaldige Zusammenbruch der arkonidischenVerteidigung, so daß die Flotten der Maahksbis zu den Arkonwelten vorstoßen und sie

vernichten konnten.Was Grek-1 nicht wissen konnte, war, daß

ich niemals in der Lage sein würde, mit ei-nem Teil der Arkonflotte zu desertieren, wasich selbstverständlich auch dann nicht getanhätte, wenn es mir möglich gewesen wäre.Wahrscheinlich würde das Oberkommandoder Arkonflotte auch nichts darüber erfah-ren, daß die Maahks sich in den Besitz einesTeils des varganischen Erbes gesetzt hatten.Orbanaschols Schergen würden mich sofortnach dem Austausch verhaften und sicher-lich noch am gleichen Tag ermorden.

Der psychologisch an sich raffinierte Plandes Maahks konnte also gar nicht aufgehen.

Allerdings würde ich ihm das nicht verra-ten. Sollte er ruhig glauben, mich psycholo-gisch zermürbt zu haben. Ich konnte denTrost mit in den Tod nehmen, daß dieRaumflotten der Maahks, wenn sie in derHoffnung angriffen, einen stark geschwäch-ten Gegner vor sich zu haben, zurückge-schlagen werden würden.

So schnell konnten sie nämlich das varga-nische Erbe nicht verwerten. Das würde Jah-re dauern, und vielleicht gelang es Fartuloonund seinen Getreuen unterdessen, Orbana-schol zu stürzen und die wirtschaftlichenund militärischen Maßnahmen straffer undkonsequenter zu organisieren. Vielleicht halfIschtar ihm dabei, indem sie dem GroßenImperium die Technik ihres Volkes zur Ver-fügung stellte.

Nein, ich brauchte nicht verzweifelt zusein. Dennoch ärgerte es mich sehr, daß Or-banaschol, der Mörder meines Vaters, dieGenugtuung bekommen sollte, auch denSohn und rechtmäßigen Erben des Impera-tor-Throns zu ermorden.

Mein Grübeln wurde unterbrochen, als er-neut zwei Maahks erschienen und mir etwaszu essen brachten. Ich stürzte mich heiß-hungrig auf die Mahlzeit, denn die Wirkungder Droge hatte an den Energiereserven mei-nes Körpers verheerend gezehrt.

Nach dem Essen fühlte ich mich nicht nurkräftiger, sondern auch seelisch wieder woh-ler. Ich streckte mich auf der Konturliege

Das Wrack im Eis 37

aus und versuchte ein wenig zu schlafen.Die Lage wirkte zwar aussichtslos für

mich, aber ich hatte schon zu oft in Situatio-nen gesteckt, die absolut aussichtslos er-schienen, und hatte sie schließlich doch ir-gendwie gemeistert. Deshalb wußte ich, daßes ein Fehler gewesen wäre, die Hoffnungaufzugeben. Ich mußte abwarten, und, wennsich eine Gelegenheit zum Handeln ergab,konsequent zupacken.

Mit diesen Gedanken schlief ich tatsäch-lich ein.

Ich erwachte vom Rumoren schwerer Ag-gregate und einem stetigen Vibrieren.

Als ich mir die Bildschirme ansah, er-kannte ich, daß sich weder Maahks nochBergungsgeräte draußen befanden. Der ge-hobene Teil des Varganenschiff es lag ver-lassen da.

Demnach bereiteten die Maahks den Startihres Schiffes vor.

Ich machte mir keine Illusionen darüber,daß meine Sabotage wirken könnte. Da dieMaahks genau wußten, an welchen Maschi-nen ich Umschaltungen vorgenommen hatte,würden sie den Fehler behoben haben, kaumdaß ich den Maschinensaal wieder verlassenhatte.

Das Rumoren nahm an Lautstärke zu, unddie Schiffszelle erbebte unter den Erschütte-rungen, die sich durch den ganzen Walzen-raumer fortpflanzten.

Ich fragte mich, wohin die Maahks vonhier aus fliegen würden. Es war kaum anzu-nehmen, daß sie mich schon in den nächstenTagen zu einem Planeten brachten, auf demder Austausch zwischen mir und dem gefan-genen Grek stattfinden sollte. Darüber muß-te erst zwischen den beiden Oberkomman-dos verhandelt werden, und das dauerte er-fahrungsgemäß Wochen oder gar Monate.

Sehnsüchtig blickte ich zu dem Schutzan-zug, der immer noch in der anderen Hälftedes Raumes lag. Ich mußte versuchen, ihnirgendwann wieder in die Hände zu bekom-men, denn ohne ihn konnte ich mich nichtaus meinem Gefängnis herauswagen.

Ohne Hoffnung, damit Erfolg zu haben,

sprach ich das Kodewort»Sechseck-Sternkonstellation« aus. Abernicht einmal der Translator reagierte darauf,geschweige denn die Verriegelung des Au-ßenschotts. Immerhin hatte ich es versuchenmüssen.

Endlich wurde das Rumoren leiser undgleichmäßiger. Die Erschütterungen klangenab.

Auf den Bildschirmen wurde die Umge-bung durch ein unerträglich grelles Leuchtenund Wabern ausgelöscht, als das Walzen-schiff mit voll aktivierten Impulstriebwerkenstartete.

Kurz danach schwächte sich das Leuchtenso stark ab, daß ich das Tal mit dem Varga-nenschiff zirka zweitausend Meter unter unserkannte. Das Maahkraumschiff schien still-zustehen.

Plötzlich zuckten grelle Strahlbahnen insTal hinab, trafen das Varganenschiff und lie-ßen es an mehreren Stellen aufglühen.

Nach fünf schweren Energiesalven bro-delte dort, wo zuvor das Schiff gelegen hat-te, blauweiß strahlendes Magma in einemlänglichen Krater.

Es erschien mir logisch, daß die Maahksdas fremde Raumschiff vernichteten, nach-dem sie es ausgeplündert hatten. Sie mußtenverhindern, daß Arkoniden das Schiff fan-den und die darin verbliebenen technischenAnlagen untersuchten.

Allerdings hatte es keinen logischenGrund gegeben, die Vernichtung so spekta-kulär zu gestalten. Normalerweise wäre eineBombe installiert und später über Funk ge-zündet worden.

Ich konnte mir das von der Norm abwei-chende Verhalten der Wasserstoffatmer nurso erklären, daß sie mir ihre Kampfkraft de-monstrieren wollten.

Aber auch das erschien mir nicht ganz lo-gisch, denn eigentlich hätte ein hochgestell-ter Offizier der Arkonflotte die Kampfkraftaller maahkscher Raumschiffstypen genaukennen müssen. Da man mich aber für einenhochgestellten Offizier der Arkonflotte hielt,wäre es überflüssig gewesen, mir die eigene

38 H. G. Ewers

Kampfkraft zu beweisen.Ich schob diese Gedanken beiseite, als das

Walzenschiff erneut beschleunigte, wie ichan den Arbeitsgeräuschen und an den kleinerwerdenden Details der Landschaft unter mirerkannte.

Es schien, als wollten die Maahks diesenPlaneten schon verlassen.

Doch der Schein trog.Ich merkte es, als das Walzenschiff bei ei-

ner geschätzten Höhe von dreihundert Kilo-metern in einen Orbit ging.

Was das bedeutete, war mir sofort klar:Die Maahks suchten nach der angeblichenarkonidischen Station, aus der ich ihrer Mei-nung nach gekommen sein mußte.

*

Nachdem das Schiff den Planeten sech-zehnmal umkreist hatte, ohne das Gebäudedes Sehers zu finden, wurde mir klar, daßVrentizianex über eine Möglichkeit verfü-gen mußte, seinen Palast gegen Ortung ausdem Raum zu tarnen.

Das hätte dir von Anfang an klar seinmüssen! teilte mir der Logiksektor meinesExtrahirns mit. Wenn Vrentizianex sein Ge-bäude nicht getarnt hätte, wäre es von denMaahks gefunden worden, bevor sie das un-ter Eis- und Geröllmassen liegende Varga-nenschiff entdeckten.

Das leuchtete mir ein.Ein nicht getarnter Palast wäre auf Anhieb

geortet worden, nicht aber ein verborgenesund energetisch totes Raumschiff. In diesemFall aber hätten die Maahks zuerst die Stati-on beziehungsweise den vermeintlichen ar-konidischen Stützpunkt angegriffen.

Nach der dreiundzwanzigsten Umkrei-sung schienen die Maahks einzusehen, daßsie so den Stützpunkt nicht finden würden.Aber sie gaben nicht auf. So etwas lag nichtin der Natur dieser Lebewesen.

Ich bemerkte, daß das Walzenschiff tieferging, indem es abbremste und sich von derSchwerkraft des Planeten herabziehen ließ.Zwar konnte ich auf den Bildschirmen in

meinem Gefängnis nicht erkennen, ob derKommandant die Schutzschirme aktivierthatte. Ich nahm es jedoch als sicher an, dennwenn er mit dem Schiff tiefer ging, erhöhtesich die Gefahr, von planetarischen Abwehr-batterien beschossen und getroffen zu wer-den.

Soviel ich wußte, verfügte der Kyriliane-Se-her allerdings über keine Raumabwehr.Doch ganz ausschließen durfte ich das nicht.Es konnte sein, daß es Teile des Palastesgab, die ich niemals entdeckt hatte. Von derTarnmöglichkeit hatte ich schließlich auchnichts gewußt.

Doch wir wurden nicht beschossen.Als wir nur noch etwa fünfzig Kilometer

hoch waren, erkannte ich, daß das Walzen-schiff sich wieder dem Gebirge näherte, indem die Maahks das Varganenschiff ent-deckt hatten.

An der Stelle von Grek-1 hatte ich genau-so gehandelt, denn da ich zu Fuß gewesenwar, konnte mein vermeintlicher Stützpunktnicht weiter als einen Tagesmarsch vomFundort des Varganenschiff es entfernt sein.

Wir waren noch ungefähr zwanzig Kilo-meter hoch, da erkannte ich an mehrerenaufblinkenden Lichtreflexen, daß dieMaahks Flugsonden abgeschossen hatten.

Flugsonden waren ferngesteuerte kleineDiskuskörper, die mit ihren Impulstasternund Weitwinkelobjektiven eine genaue Un-tersuchung begrenzter Geländeabschnitte er-möglichten. Sie konnten im Konturenflugüber das Gelände gesteuert werden, waspraktisch die einzige Möglichkeit war, Ob-jekte aufzuspüren, die unter einem Tarnfeldlagen.

Das erforderte allerdings große Ausdauer,denn ein getarntes Objekt konnte nur aufge-spürt werden, wenn eine Flugsonde beimKonturenflug unter das Tarnfeld geriet.

Doch die Maahks waren bekanntlich sehrzäh und ausdauernd. Ich nahm an, Grek-1wäre notfalls einige Tage über dem verdäch-tigen Oberflächenabschnitt geblieben.

Aber so lange dauerte es nicht.Offenbar hatte eine Flugsonde ein Tarn-

Das Wrack im Eis 39

feld durchflogen und die Aufnahmen vomPalast des Sehers an Bord des Walzenschif-fes übermittelt, denn das Maahkschiff stopp-te plötzlich.

Kurz darauf dröhnte es laut.Eine Breitseite aus den schweren Energie-

geschützen schoß auf etwas zu, das auf mei-nen Bildschirmen ein Berggipfel war. Dannfüllten die Entladungen meine Bildschirmemit grellem Leuchten.

Als das Leuchten verschwand, entdeckteich auf einem der Bildschirme das Gebäudedes Sehers, und ich entdeckte die Verwü-stungen, die die erste Breitseite angerichtethatte.

In mir krampfte sich alles zusammen. Ichmußte an die vielen hellhäutigen Sklavendes Sehers denken, die sich in dem riesigenPalast aufhielten. Sie würden alle umkom-men, wenn die Maahks ihren Beschuß fort-setzten.

Und ich hatte keine Möglichkeit, das zuverhindern. Ich konnte nicht einmal Verbin-dung mit Grek-1 aufnehmen und ihn darumbitten, das Leben der Sklaven zu schonen.Er hätte außerdem nicht auf mich gehört.

Das Walzenschiff schoß Breitseite aufBreitseite ab. Jede riß eine neue Bresche inden Palast, und bald war das gesamte riesigeBauwerk in ein glühendes Trümmermeerverwandelt.

Endlich stellten die Maahks das Feuer ein.Auf den Bildschirmen sah ich, wie das

Walzenschiff in einem Tal unterhalb deszerstörten Palasts landete. Kleine Truppsvon schwerbewaffneten Maahks schleustensich aus und tauchten im Gelände unter.

Ich fragte mich, ob der Kyriliane-Sehernoch lebte. Die Maahks konnten längst nichtalle Teile seines Palastes zerstört haben. Esgab tief unter der Oberfläche Regionen, dieauch durch massiven Beschuß nicht zu errei-chen waren. Wenn Vrentizianex sich dorthinzurückgezogen hatte, lebte er noch.

Aber die meisten seiner Sklaven mußtenbei dem Bombardement den Tod gefundenhaben. Es war wie bei jeder bewaffnetenAuseinandersetzung mit modernen Kampf-

mitteln: Am schlimmsten wurden immer dieUnbeteiligten betroffen.

Als sich das Schott auf der anderen Seiteder Trennwand öffnete, blickte ich hoch.

Grek-1 betrat den Raum, begleitet vonzwei schwerbewaffneten maahkschenRaumlandesoldaten.

Der Kommandant schaltete den Translatorein und sagte:

»Wie Sie sehen konnten, haben wir IhrenStützpunkt trotz des Tarnfelds entdeckt undzerstört, Arkonide. Es interessiert mich, wiedas Tarnfeld erzeugt wurde.«

»Mich auch«, gab ich zurück. »Sie hättenden Stützpunkt nicht zu zerstören brauchen,Maahk. Die Besatzung hätte sich wahr-scheinlich kampflos ergeben.«

»Ich brauche weder den Stützpunkt nochseine Besatzung«, entgegnete Grek-1. »Aberunsere Hohlraumtaster haben unter denTrümmern ausgedehnte Hohlräume festge-stellt. Ich werde mir diese Anlagen persön-lich ansehen – und Sie werden mich beglei-ten, Arkonide.«

»Ich bin nicht daran interessiert«, erwi-derte ich, zornig über die sinnlose Tötungder unschuldigen Sklaven.

»Es ist sinnlos, sich zu sträuben, Arkoni-de«, sagte der Maahk. »Entweder kommenSie freiwillig mit, dann erhalten Sie IhrenSchutzanzug zurück – oder meine Leutebringen Sie gewaltsam nach draußen undnehmen Ihnen außerhalb meines Schiffesden Schutzanzug wieder ab.«

Ich erhob mich langsam und erwiderteironisch:

»Ihre Argumente sind von so zwingenderLogik, daß ich nicht länger widerstehenkann. Reichen Sie mir den Anzug herein,und vergessen Sie nicht, mir meine Energie-waffen zurückzugeben.«

»Die letzte Forderung ist unerfüllbar«,entgegnete Grek-1.

Beinahe hätte ich laut gelacht, obwohl mirgar nicht danach zumute war. Es war typischfür einen Maahk, daß er nicht in der Lagewar, zwischen etwas Ernstgemeintem undeinem Scherz zu unterscheiden.

40 H. G. Ewers

»Schon gut«, sagte ich.Einer der Raumsoldaten öffnete das Au-

ßenschott der Durchgangsschleuse, warfmeinen Schutzanzug hinein und verschloßes wieder.

Ich wartete, bis in der Schleusenkammereine für mich atembare Atmosphäre herrsch-te, dann holte ich mir den Schutzanzug undstreifte ihn mir über.

Vorläufig war mir noch völlig unklar, auswelchem Grund der Kommandant desMaahkschiffs mich dabeihaben wollte, wenner die tieferen Regionen des Stützpunktesuntersuchte. Falls er dachte, mich als Geiselvorzeigen zu wollen, um »meine Untergebe-nen« zur Kapitulation zu zwingen, würde ereine Überraschung erleben. Wenn Vrentizia-nex noch lebte, würde er ganz bestimmt kei-ne Rücksicht auf mein Leben nehmen.

Doch vielleicht ergab sich im Palast eineMöglichkeit zur Flucht. Ich würde sie auf je-den Fall nutzen.

*

Als wir ins Freie traten, war es dunkel ge-worden. Starke Scheinwerfer erhellten dieUmgebung des Walzenschiffs, und zahlrei-che Scheinwerferpaare krochen die Berg-hänge hinauf. Wahrscheinlich handelte essich um die Scheinwerfer schwerer Gleisket-tenfahrzeuge, mit denen die Maahks denUnterschlupf des Sehers umzingelten.

Ein Gleiskettenfahrzeug hielt neben uns.Es war fast doppelt so groß wie arkonidischeFlugpanzer, und aus seiner drehbaren Turm-kuppel ragten eine schwere Impulskanoneund ein schweres Desintegratorgeschütz.

Grek-1 schaltete den kleinen Translatorein, der ihm an einem Riemen vor der mäch-tigen Brust hing und durch ein Kabel mitdem Helmfunkgerät des Maahks verbundenwar.

»Aufsteigen!« schallte es aus dem Laut-sprechersystem des Geräts.

Ich gehorchte, kletterte auf das Heck desFahrzeugs und packte mit beiden Händeneinen der stählernen Haltegriffe, die am

Aufbau unter dem Turm befestigt waren.Grek-1 und die beiden maahkschen

Raumlandesoldaten folgten mir. Ich sah, daßdie beiden Soldaten mich im Auge behiel-ten. Doch keiner richtete eine Waffe aufmich. Die Maahks wußten genau, daß siemit einem unbewaffneten Arkoniden jeder-zeit spielend fertig werden würden. Sie wa-ren nicht nur viel kräftiger als ich, sondernauch viel schneller, so daß ich ihnen nichtfortlaufen konnte.

Das Gleiskettenfahrzeug ruckte so hart an,daß ich beinahe den Halt verloren hätte undin den Schnee geschleudert worden wäre.Ich stieß eine Verwünschung aus und klam-merte mich fester an.

In schneller Fahrt ging es den nächstenHang hinauf. Hinter den zwei Meter breitenGleisketten wirbelten Eis und Schnee hoch.Das Fahrzeug schaukelte heftig. Ichschwankte hin und her, aber Grek-1 und diebeiden Soldaten standen reglos auf demHeck des Panzers und hielten sich lässig nurmit je einer Hand fest.

Oben schwenkte das Fahrzeug scharfnach rechts ab, wühlte sich eine Geröllhaldehinauf und hielt stark wippend zwischenzwei anderen Panzern, deren Kanonenrohreauf einen glühenden Trümmerhaufen gerich-tet waren.

Ich sah, daß es sich um die Überreste ei-nes Seitenflügels des Gebäudes von Vrenti-zianex handelte. Mitten in den glühendenTrümmern klaffte ein torgroßes Loch. Diedavonwehenden Schleier grünlichen Gasesverrieten mir, daß die beiden anderen Panzerdas Loch in den Trümmern mit Hilfe ihrerDesintegratorgeschütze geschaffen hatten.

Eine Weile geschah nichts.Grek-1 hatte seinen Translator ausge-

schaltet und unterhielt sich offenbar überHelmfunk mit den Besatzungen der dreiPanzer.

Nach einiger Zeit schaltete er den Trans-lator wieder ein und sagte zu mir:

»Hinter der Öffnung liegt einer der ange-messenen Hohlräume. Falls dort Abwehrein-richtungen sein sollten, so sagen Sie es uns,

Das Wrack im Eis 41

Arkonide, denn wir werden zuerst hineinfah-ren.«

»Dort gibt es keine Abwehreinrichtun-gen«, sagte ich, nachdem ich die Außenlaut-sprecher meines Schutzanzugs eingeschaltethatte, so daß der Translator meine Worteaufnehmen konnte.

Allerdings wußte ich nicht, ob es stimmte,was ich gesagt hatte. Wenn es nicht stimmte,würde ich eventuell mit den Maahks sterben.Das mußte ich jedoch riskieren, denn es be-stand eine kleine Chance, im Durcheinandereines Gefechts zu entkommen.

»Sie müssen es ja wissen«, gab derMaahk zurück.

Er schaltete den Translator wieder aus.Wahrscheinlich sollte ich nicht mithören,welche Befehle er über Helmfunk durchgab.

Unser Panzer rollte wieder an. Die Licht-kegel seiner beiden starken Bugscheinwerferstachen in die Finsternis der Höhlung undhellten sie auf. Vorerst enthüllten sie jedochnichts Besonderes.

Als wir in die Höhlung einfuhren, blickteich zurück und sah, daß die beiden anderenPanzer uns folgten. Ich nahm an, daß dieMaahks an mehreren Stellen ähnliche Ein-bruchsöffnungen geschaffen hatten undgleichzeitig mit uns dort eindrangen, um ei-ne eventuelle Restbesatzung des vermeintli-chen Stützpunkts niederzukämpfen.

Der von den Desintegratorgeschützendurch Trümmer und Felsen geschaffeneStollen war etwa fünfzig Meter lang. An sei-nem Ende lag eine stählerne Wand, die vonden Desintegratoren nur oberflächlich aufge-löst worden war.

Das Material mußte demnach aus moleku-larverdichtetem Metallplastik bestehen. Ichhatte nichts davon gewußt, daß es im Palastdes Sehers molekularverdichtete Wändegab.

Die Panzer hielten an, dann feuerte unserFahrzeug mit seinem Desintegratorgeschützauf die stählerne Wand. Der grünlich flirren-de Energiestrahl, der die molekulare Bin-dungsenergie jeder Materie neutralisierte,hätte eine normale Metallplastikwand inner-

halb kurzer Zeit völlig aufgelöst. Bei dieserWand kam der Prozeß erst nach einigen Mi-nuten in Gang und verlief so langsam, daßich sehr genau hinsehen mußte, um diehauchdünnen molekularen Gase überhauptzu bemerken, die von der Wand aufstiegen.

Aber die Maahks waren ausdauernd undzäh. Was sie sich einmal vorgenommen hat-ten, das führten sie auch durch. Ununterbro-chen schoß der desintegrierende Strahl ge-gen die Wandung und löste eine hauchdünneSchicht nach der anderen auf.

Die beiden übrigen Panzer konnten sichan dem Beschuß nicht beteiligen, da derStollen nicht breit genug war. Sie wartetenmit laufenden Antriebsaggregaten.

Nach rund zwei Stunden brach der Desin-tegratorstrahl durch die letzte Stahlplastik-schicht der Wandung. Er vollführte einigekreisförmige Bewegungen, um auch dieRänder aufzulösen und die Öffnung groß ge-nug zu machen, dann erlosch er.

Unser Panzer ruckte an, rollte durch dieÖffnung- und befand sich plötzlich in einerriesigen Halle, deren Wände und Decke mitMillionen großer Kristalle besetzt waren, dieim Licht der Scheinwerfer irisierend funkel-ten und glitzerten.

Unser Fahrzeug rollte bis in die Mitte derHalle, dann blieb es stehen. Die beiden an-deren Panzer folgten und hielten neben unsan.

Dann geschah etwas Seltsames.Alle Maahks verließen ihre Fahrzeuge.

Auch Grek-1 und die beiden Soldaten stie-gen ab. Dann gingen die Wasserstoffatmerlangsam und wie in Trance zu den Wändender Halle, streckten ihre Arme aus und be-rührten mit den behandschuhten Händen dieKristalle.

Danach blieben sie reglos stehen.Ich wußte nicht, was ich davon halten

sollte.Die Maahks verhielten sich so, als wären

sie einer Art hypnotischem Einfluß erlegen.Aber ich spürte absolut nichts.

War es möglich, daß der unbekannte Ein-fluß, der vielleicht von den Kristallen aus-

42 H. G. Ewers

ging, nur die Gehirne Wasserstoff atmenderLebewesen angriff, nicht jedoch die Gehirnevon Sauerstoffatmern?

Das spielt keine wesentliche Rolle! teiltemir der Logiksektor meines Extrahirns mit.Wichtig ist nur, daß du damit eine Gelegen-heit zur Flucht erhalten hast, wie sie so baldnicht wiederkehren wird. Nutze sie!

Ich holte tief Luft.Und ob ich diese Gelegenheit nutzen wür-

de!Ich kletterte zum offenen Einstieg des

Panzers, setzte mich in den riesigen Sesseldes Piloten und musterte die Schaltungen,mit denen das ungefüge Fahrzeug gesteuertwerden konnte.

Danach schloß ich das Luk, schaltete denAntrieb ein und steuerte den Panzer auf dasandere Ende der Halle zu.

7.

Die Maahks standen immer noch reglosan den Kristallwänden, als ich das andereEnde der Halle erreicht hatte.

Es sah unheimlich aus, und ich fragtemich, was in diesen Wesen wohl vorgehenmochte. Gaukelten ihnen die Kristalle viel-leicht eine imaginäre Aktivität in einer ima-ginären Umgebung vor? Steuerte der Kyri-liane-Seher die Kristalle und damit indirektauch die Maahks vielleicht mit Hilfe seinerAugenkristalle?

Konnte er mich vielleicht über die Kristal-le in der Halle sehen? Und wie würde er dar-auf reagieren, daß ich tiefer in sein geheimesReich eindrang?

Vorerst jedoch sah es nicht so aus, als obich in Schwierigkeiten geraten würde. Amanderen Ende der Halle befand sich ein Tor,und es stand offen.

Ich ließ den Panzer langsam durch dieÖffnung rollen und beobachtete auf demSichtschirm die Lichtkegel der beidenScheinwerfer, die in die Dunkelheit stachen.

Als sie mehrere seltsame Gestalten erfaß-ten, hielt ich das Fahrzeug an.

Doch die Gestalten bewegten sich nicht.

Sie standen still wie Statuen, und sie warenoffenbar tatsächlich Statuen, die unbekannteWesen von ebenso unbekannten Planetendarstellten.

Ich ließ die Lichtkegel kreisen und ent-deckte noch mehr dieser seltsamen Statuen.Einige sahen überhaupt nicht wie die Nach-bildungen von Lebewesen aus, sondern eherwie die Gebilde einer ins Extrem gesteiger-ten abstrakten Kunst. Bei ihnen versagte dieFähigkeit, sie zu beschreiben, weil an ihnennichts Vergleichbares war.

Nach einiger Zeit fuhr ich wieder an. Ichsteuerte zwischen den Statuen hindurch.Doch diese Gebilde standen immer dichter,je weiter ich in die zweite Halle hineinfuhr.Bald steckte ich fest.

Ich überlegte, ob ich zurückfahren sollte.Aber wohin konnte ich mich draußen

schon wenden? Der Panzer würde von denOrtungstastern des Walzenschiffs sofort er-faßt werden, und auch zu Fuß konnte ichnicht weit kommen. Inzwischen mußte manauf dem Maahkschiff wegen der abgebro-chenen Funkverbindung mit Grek-1 und denanderen Soldaten Verdacht geschöpft haben.Wahrscheinlich schwärmten draußen weite-re Soldaten aus. Die Möglichkeiten, ihnenzu entgehen, waren verschwindend klein.

Natürlich hätte ich die im Wege stehen-den Statuen einfach mit dem Desintegrator-geschütz des Panzers auflösen können. Daich jedoch nicht wußte, welche Reaktionenich dadurch auslösen würde, verzichtete ichlieber darauf.

Die Möglichkeiten des Kyriliane-Sehers,seinen Schlupfwinkel zu verteidigen, schie-nen vielfältig zu sein. Wenn ich ihn erzürn-te, war ich verloren. Wenn es mir dagegengelang, ihn als Verbündeten zu gewinnen,fand ich vielleicht doch noch eine Möglich-keit, das Maahkraumschiff zu vernichten.

Ich entschloß mich, den Panzer zu verlas-sen und zu Fuß weiterzugehen.

Als ich den Panzer verlassen hatte, wirk-ten die unheimlichen Statuen noch viel grö-ßer auf mich als vorher. Gab es tatsächlichirgendwo in unserer Galaxis Planeten, auf

Das Wrack im Eis 43

denen solche Lebewesen existierten, wie sievon den Statuen dargestellt wurden? Undwenn, warum waren wir Arkoniden bishernicht einmal auf eine einzige dieser Artengestoßen?

Konzentriere dich darauf, zu überleben!mahnte mein Extrasinn. Alles andere hatZeit bis später!

Ich glaubte zwar nicht daran, daß ich spä-ter einmal Zeit finden würde, mich mit demRätsel der Statuen zu befassen, doch ich sahein, daß ich mich nicht selbst mit gegen-wartsfernen Gedankengängen ablenkendurfte, wenn ich den Maahks entkommenund überleben wollte.

Und das war nicht einmal alles. Ich mußteaußerdem nach einer Möglichkeit suchen,die Maahks am Start von diesem Planeten zuhindern und möglichst ihr Raumschiff zuzerstören.

So schnell wie möglich bewegte ich michvorwärts, zwischen den Statuen hindurch,deren Anblick mir beinahe unerträglich wur-de.

Gerade wollte ich meine Handlampe, diein einer Magnethalterung auf dem Brustteilmeines Schutzanzugs befestigt war, ein-schalten, da ich den Lichtkreis der Panzer-scheinwerfer verließ, als ich den Eindruckhatte, daß sich eine der Statuen bewegte.

Ich blieb stehen und wagte kaum zu at-men.

Erst jetzt wurde mir bewußt, daß ich nochimmer unbewaffnet war. Ich hätte mir viel-leicht eine der maahkschen Handwaffen an-eignen sollen, auch wenn sie eigentlich vielzu schwer für einen Arkoniden waren. Aberdieser Einfall kam zu spät. Im Panzer hatteich keine Handwaffen entdeckt, sonst hätteich sicher eine an mich genommen.

Einen Augenblick später erkannte ich, daßsich tatsächlich eine der Statuen bewegte. Eswar ein Gebilde von der doppelten Größe ei-nes Maahks und besaß weder einen Kopfnoch Arme und Beine. Eigentlich war über-haupt nichts zu sehen, was an Extremitätenerinnerte. Dennoch bewegte sich das Gebil-de vorwärts – und zwar in meine Richtung.

Ich überlegte, was ich tun sollte.Sollte ich in den Panzer zurückkehren?

Dort war ich bestimmt sicher vor dieser zumLeben erwachten Statue. Doch dann wäreich dazu verurteilt, in dem Fahrzeug zu blei-ben. Passivität aber löste keines meiner Pro-bleme.

Ich beschloß, dem Wesen auszuweichen.Rasch eilte ich zwischen anderen Statuen

hindurch nach rechts, da der Alptraum vonlinks kam. Danach schlug ich wieder dieRichtung zur gegenüberliegenden Seite derHalle mit den Statuen ein.

Es nützte mir nichts.Rechts vorn bewegte sich ebenfalls etwas,

und als ich meine Handlampe einschalteteund den Lichtkegel dorthin richtete, ent-deckte ich eine weitere zum Leben erwachteStatue.

Und sie bewegte sich ebenfalls in meineRichtung.

Es war nicht nur unheimlich, es war grau-enhaft. Die beiden Wesen bewegten sichvöllig lautlos auf mich zu.

Aber wie konnten Statuen zum Leben er-wachen?

Statuen können nicht zum Leben erwa-chen! erklärte der Logiksektor meines Extra-hirns. Folglich muß es sich um energetischkonservierte Lebewesen handeln – oder umLebewesen, die mit Hilfe individuell abge-stimmter Projektoren in eine Zeitstarre ver-setzt wurden.

Das leuchtete mir ein. Aber egal, wie die-se Lebewesen in Statuen verwandelt wordenwaren, sie konnten nicht von selbst zu neu-em Leben erwacht sein.

Wenn es jemanden gab, der sie erweckthatte, dann nur Vrentizianex, der vargani-sche Seher.

Und er mußte sie mit der Absicht wieder-erweckt haben, mich zu töten!

Ich klappte den Druckhelm meinesSchutzanzugs zurück, holte tief Luft undrief:

»Vrentizianex! Hier spricht Atlan! Du be-gehst einen schweren Fehler, wenn du michbekämpfst. Wir sollten uns verbünden, denn

44 H. G. Ewers

draußen ist ein gemeinsamer Feind, der unsbeiden zum Verhängnis werden kann. Haltedeine Kreaturen zurück und nimm Kontaktmit mir auf!«

Aber der Kyriliane-Seher antwortetenicht. Er ging auch nicht auf mein Angebotein, wie ich an den beiden Wesen bemerkte,die sich weiterhin auf mich zubewegten.

Ich hatte keine andere Wahl mehr, alsmich in den maahkschen Panzer zurückzu-ziehen. Wenn ich den beiden Kreaturen ent-kam, aktivierte der Seher bestimmt andereStatuen.

Ich wandte mich um und rannte zu demPanzer zurück.

Es wunderte mich, daß Vrentizianex nichtnoch andere Statuen zum Leben erweckte,denn er mußte doch bemerken, daß die bei-den mich nicht aufzuhalten vermochten: Siebewegten sich zu langsam für mich.

Aber warum auch immer, er schickte kei-ne weiteren Statuen in den Kampf.

Ungehindert erreichte ich den Panzer,kletterte durch das offene Luk und verriegel-te es. Dann setzte ich mich in den Sessel vorder Steuerung, schaltete den Antrieb an undaktivierte die Bildschirme der Rundum-Beobachtung.

Die beiden unheimlichen Lebewesen hat-ten ihre Bewegungsrichtung geändert undkamen nunmehr genau auf den Panzer zu.

Ich wußte, daß ich mich bald entscheidenmußte, und obwohl ich wußte, wie meineEntscheidung auszusehen hatte, zögerte ichdennoch, denn sie barg neue Gefahren, dieich noch nicht ermessen konnte.

Aber ich hatte keine Wahl.Der Panzer ruckte an, als ich meinen Fin-

ger auf die Plus-Taste der Beschleunigungs-schaltung drückte. Die erste der im Wegestehenden Statuen barst beim Aufprall desstählernen Monstrums auseinander, und ihreTrümmer flogen beiseite.

*

Unaufhaltsam rollte der Panzer weiter.Sein Bug schleuderte Statuen beiseite, seine

Gleisketten zermalmten Trümmer. Esschmerzte mich, Leben vernichten zu müs-sen, auch wenn der Zustand, in dem sichdiese Kreaturen befanden, kaum als Lebenzu bezeichnen war.

Ich fragte mich, warum Vrentizianex die-se Entwicklung nicht vorausgesehen undentsprechend gehandelt hatte. Er hätte ver-hindern können, daß seine Sammlung – oderwie immer er die zu Statuen erstarrten Krea-turen nannte – dezimiert wurde. Statt dessenhatte er ihre teilweise Zerstörung geradezuherausgefordert.

Die beiden wiedererweckten Kreaturentrafen keine Anstalten, dem stählernen Un-getüm auszuweichen. Im Gegenteil, sie be-wegten sich weiter auf den Panzer zu.

Vernichte sie, bevor sie den Panzer errei-chen! warnte mich mein Extrasinn. Viel-leicht haben sie in belebtem Zustand Mög-lichkeiten, das Fahrzeug wirksam anzugrei-fen.

Ich sah ein, daß eine solche Möglichkeitbestand, auch wenn sie mir unwahrschein-lich vorkam. Aber ich durfte kein Risikoeingehen, wenn es sich irgendwie vermeidenließ. Ich mußte überleben, um das Schiff derMaahks und mit ihm das technische Erbeder Varganen zerstören zu können.

Widerwillig betätigte ich die Waffen-schaltungen. Die positronisch gesteuertevollautomatische Zieleinrichtung erfaßte diebeiden Kreaturen und richtete die Geschützeauf sie. Ich brauchte nur noch den Feuer-knopf zu drücken.

Beide Turmgeschütze schickten ihre tod-bringende Energie los. Ein armstarker Im-pulsstrahl erfaßte das eine Wesen und lösch-te es förmlich aus.

Das andere Wesen wurde vom Strahl desDesintegratorgeschützes getroffen. Ich er-wartete, daß es sich in eine Gaswolke ver-wandelte. Doch nichts dergleichen geschah.

Fast völlig eingehüllt von dem grünlichleuchtenden Strahlenkegel, bewegte es sichmit unverminderter Geschwindigkeit auf denPanzer zu.

Das konnte es doch gar nicht geben!

Das Wrack im Eis 45

Trotz meines Erschreckens reagierte ichmit der Routine eines Mannes, dem so gutwie alle Gefechtssituationen vertraut waren.Ich drückte die Minus-Taste der Beschleuni-gungsschaltung. Der Panzer kam ruckartigzum Stehen, dann wirbelte er Trümmer undStaub auf, als die Gleisketten sich in umge-kehrter Richtung bewegten und das Fahr-zeug zurückrissen.

Dadurch konnte ich verhindern, daß dieüberlebende Kreatur in den toten Winkel derTurmgeschütze geriet – und ich gewannZeit, um die Zieleinrichtung zu veranlassen,das Impulsgeschütz auf den Gegner zu rich-ten.

Auf dem vorderen Bildschirm beobachte-te ich, wie der sonnenhelle Energiestrahldort einschlug, wo die Kreatur eben nochgewesen war.

Aber er brannte nur einen Krater in denBoden, denn die Kreatur war verschwunden.

Sie mußte sich versteckt haben, obwohlich ihr die Schnelligkeit, mit der das gesche-hen war, niemals zugetraut hätte.

Wieder reagierte ich beinahe automatischauf die veränderte Situation. Ich stellte beideGeschütze auf Dauerfeuer und ließ denTurm so weit nach links und rechts herum-schwenken, daß die Energiestrahlen auf je-den Fall auch das Versteck der Kreatur er-fassen mußten.

Vor dem Panzer brach die Hölle aus.Als ich den Finger vom Feuerknopf

nahm, brodelte und kochte vor mir ein Lava-meer, in dem sich nichts regte. Von derKreatur war nichts zu sehen. Sie konnte die-ses Inferno nicht überlebt haben.

Dennoch wartete ich noch eine Weile, bisdie Oberfläche des Lavameers erstarrt war.Dann schaltete ich wieder auf positive Be-schleunigung und hielt den Finger so langeauf dem entsprechenden Knopf, bis der Pan-zer mit voller Beschleunigung durch dieÜberreste der Statuen raste.

Vor mir tauchte die andere Wand der Hal-le auf – und auch in ihr befand sich wiederein offenes Tor.

Ich hatte das Gefühl, daß alles zu leicht

für mich gewesen war, deshalb bremste ichden Panzer vor dem Tor so weit ab, daß ernur mit mäßiger Geschwindigkeit durch dieÖffnung rollte.

Auf den Bildschirmen erschien das Ge-sicht einer weiteren Halle. Aber diesmal ent-deckte ich in ihr weder Kristalle noch Statu-en, sondern nur eine verwirrende Vielfaltunbekannter Pflanzen, die einen üppigenDschungel bildeten.

Ich hielt das Fahrzeug an, musterte dieneue Umgebung und überlegte, wie ich vor-gehen sollte.

Im Grunde genommen wußte ich aber,daß es gar keine andere Möglichkeit fürmich gab, als mit den Geschützen eine Gas-se durch den Dschungel zu brennen. Er warzu dicht, als daß ich ihn zu Fuß hätte durch-queren können, und ich wollte auch nichtriskieren, daß sich so viele Schlingpflanzenim Rollenlaufwerk und in den Gleiskettenverfingen, daß sie sie blockierten.

Wieder betätigte ich die Waffenschaltun-gen. Da es diesmal kein fest umrissenes Ein-zelziel gab, war die vollautomatische Zie-leinrichtung unbrauchbar und ich mußte dieGeschütze mit Hilfe der Servosteuerungselbst ausrichten.

Doch als ich die entsprechenden Tastendrückte, geschah überhaupt nichts. Wederder Turm noch die Geschütze bewegtensich.

Während ich noch überlegte, ob es beiden Panzern der Maahks vielleicht eine Zu-satzschaltung gab, mit der man die Servo-steuerung der Geschütze zuerst aktivierenmußte, erstarb das Rumoren des Antriebsmit einem Laut, der wie das Röcheln einessterbenden Sauriers klang.

Ich suchte und fand die Taste, mit der sichdie Reparaturschaltung aktivieren ließ. Wiebei unseren arkonidischen Geräten, so ver-fügten auch die maahkschen Geräte überEinrichtungen, die unter positronischerSteuerung zahlreiche Schäden behebenkonnten, die an irgendwelchen Systemenauftraten.

Das Kontrollauge der Reparaturschaltung

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leuchtete auf, aber schon nach kurzer Zeitflackerte es mehrmals und erlosch dannganz, was nur bedeuten konnte, daß die Re-paraturschaltung selbst wegen eines Defektsausgefallen war.

Als ich auf den Feuerknopf drückte, ge-schah es eigentlich nur noch deshalb, weilich die Bestätigung dafür haben wollte, daßnacheinander alle Systeme des Panzers aus-gefallen waren.

Und ich erhielt die Bestätigung.Keines der beiden Geschütze strahlte auch

nur ein Minimum an Energie ab.Ich unterdrückte die aufsteigende Panik

und versuchte, ruhig zu überlegen.So viele Ausfälle konnte es an einem

technisch derart hochwertigen Gerät wie ei-nem Panzer gar nicht geben. Die Wahr-scheinlichkeit dafür war praktisch gleichNull.

Es sei denn, äußere Einflüsse waren fürdie Ausfälle verantwortlich.

Davon aber hätte ich etwas merken müs-sen.

Plötzlich gab es einen Ruck. Danach lagder Panzer schief. Er hing nach links über.

Ich musterte auf den Bildschirmen dasGelände vor dem Dschungel. Aber dort gabes keinen Sumpf, in den die linke Gleiskettevielleicht gesunken sein könnte. Im Gegen-teil, der Boden bestand aus solidem Fels.

Merkst du noch immer nicht, daß etwassich an dem Panzer zu schaffen macht? mel-dete sich der Logiksektor meines Extrahirns.Etwas ist in das Fahrzeug eingedrungen undzerfrißt es förmlich.

Unwillkürlich dachte ich an die Kreatur,die sich als unempfindlich gegen Desinte-gratorbeschuß erwiesen hatte und dann spur-los verschwunden war.

Ein Lebewesen, das dem Beschuß aus ei-nem schweren Desintegratorgeschütz stand-hielt, verfügte zweifellos über außergewöhn-liche Fähigkeiten. Warum sollte eine dieserFähigkeiten nicht darin bestehen, eine Wandaus Stahlplastik zu durchdringen und einenPanzer von innen heraus aufzufressen?

Noch während ich darüber nachdachte,

wurden die Bildschirme dunkel.Ich entschloß mich, das Fahrzeug zu ver-

lassen, denn es war nicht nur nutzlos gewor-den, sondern machte mich auch blind, solan-ge ich mich in seinem Innern aufhielt.

Was mich draußen erwartete, wußte ichnicht. Blieb ich aber in dem Panzer, dannwurde ich vielleicht ebenso wie er schließ-lich von der unheimlichen Kreatur aufge-fressen.

Ich entriegelte den Lukendeckel und klet-terte hinaus. Als ich auf dem Felsbodenstand, ging ich einmal um das Fahrzeug her-um. Dabei sah ich, daß sich die linke Gleis-kette zu einem Drittel in eine von Schaumdurchsetzte gelbe Gallertmasse verwandelthatte. Und dieser Zersetzungsprozeß gingweiter und erfaßte immer mehr von demFahrzeug.

Ich entfernte mich einige Schritte vondem Panzer, denn in seiner unmittelbarenNähe fühlte ich mich unbehaglich. Danachblickte ich wieder zu dem Dschungel hin-über.

Wäre mein varganischer Schutzanzugnoch vollständig gewesen, wäre ich natür-lich einfach über den Dschungel geflogen.Aber die Maahks hatten, bevor sie mir denAnzug zurückgaben, dafür gesorgt, daß ichnicht mit ihm davonfliegen konnte. Das An-tigravaggregat ließ sich gerade noch dazugebrauchen, die hohe Schwerkraft an Bordeines maahkschen Raumschiffs auf Werte zureduzieren, die für einen Arkoniden erträg-lich waren. Unter den normalen Schwer-kraftbedingungen, wie sie auf diesem Plane-ten herrschten, hätte ich einige hohe undweite Luftsprünge vollführen können, mehraber nicht.

Ich durfte es selbstverständlich nicht ris-kieren, etwa zehn Meter weit über den Randdes Dschungels zu springen und an einemPlatz zu landen, den ich mir nicht aussuchenkonnte. Vielleicht landete ich dann genauauf einer Giftpflanze oder in der Falle einerfleischfressenden Pflanze.

Ich konnte den Dschungel auch nirgendsumgehen. Er reichte bis an die glatte Wan-

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dung der Halle. Wenigstens aber spendeteeine an der Decke schwebende Kunstsonneso reichlich Licht, daß ich auch am Grundedes Dschungels ohne meine Lampe auskom-men würde.

Entschlossen ging ich auf den Dschungelzu.

*

Es war still, unheimlich still.Wider Erwarten kam ich recht gut vor-

wärts. Es schien, als wären die Gewächsedes Dschungels mir wohlgesinnt.

Das mag versponnen klingen, aber ichwußte, daß pflanzliche Lebewesen nicht nurfühlen, sondern auch die Gehirnströme an-derer Lebewesen erfassen und deren Gefüh-le erkennen konnten. Eine Pflanze spürte, objemand, der sich ihr näherte, das in guteroder – für sie – böser Absicht tat, und einePflanze konnte im Rahmen ihrer begrenztenMöglichkeiten entsprechend reagieren.

Da ich mich, unbewaffnet wie ich war,notgedrungen sehr behutsam durch dasPflanzengewirr arbeiten mußte, reagiertendie Pflanzen möglicherweise so darauf, daßsie ihren Widerstand verringerten und sichmühelos beiseite schieben ließen.

Allerdings ließ ich mich nicht dazu verlei-ten, meine Wachsamkeit zu verringern.Wenn ich eine Pflanze sah, deren Anblickdurch Farbenpracht oder Gestalt besondersanziehend war, wich ich ihr geflissentlichaus. Ich hatte keine Lust, den Verlockungenfleischfressender Pflanzen zu erliegen, dennwenn eine Pflanze auf Fleisch als Nahrungangewiesen war, konnte sie auf meine Be-hutsamkeit oder positiven Gefühle ebensowenig Rücksicht nehmen wie wir Arkonidenauf die Sanftmut unserer Schlachttiere.

Auf diese Weise erreichte ich ungefährdie Mitte des Dschungels, als ich eine Stim-me hörte, die mich zur Reglosigkeit erstar-ren ließ.

Es war die Stimme vom Vrentizianex,und sie sagte, von einem Lautsprecher ver-stärkt:

»Du bist verloren, Arkonide, auch wenndu versuchst, die Pflanzen auf deine Seite zuziehen!«

Unwillkürlich mußte ich lächeln.Der Kyriliane-Seher hatte also gehofft,

ich würde mich im Pflanzengewirr desDschungels verfangen, indem ich die Pflan-zen durch meine negativen Gefühle zum Wi-derstand reizte.

Inzwischen mußte er erkannt haben, daßer sich geirrt hatte, und ich konnte mir gutvorstellen, daß ihn das in Wut versetzte.

»Wir müssen uns nicht bekämpfen, Vren-tizianex!« rief ich zurück. »Die Maahks sindsowohl deine als auch meine Gegner. Wennwir uns verbünden, haben wir vielleicht bei-de noch eine Chance, wenn nicht, werdendie Maahks uns früher oder später beide fan-gen oder töten.«

Der Seher lachte höhnisch.»Die Maahks sind von meinen Kyrathon-

Kristallen eingefangen worden. Ihr Geistwird sich solange in imaginären Welten be-wegen, bis ihre Körper tot sind.«

»Du hast nur wenige Maahks fangen kön-nen«, entgegnete ich. »Die anderen Maahkswerden bald Mittel und Wege finden, mitdeinen Kristallen fertig zu werden. Du irrstdich, wenn du meinst, sie so einfach besie-gen zu können. Warum orientierst du dichnicht an den Realitäten?«

Das kann er nicht, weil sein Geist ver-wirrt ist! teilte mir mein Logiksektor mit.

Ich wußte es, aber ich mußte trotzdemversuchen, mich irgendwie mit Vrentizianexzu verständigen. Wenn wir uns bekämpften,zogen nur die Maahks Vorteile daraus.

»Ich werde zuerst dich vernichten unddann die Maahks!« schrie der Seher mitüberschnappender Stimme. »Niemand kannmich, den Kyriliane-Seher, besiegen!«

Ich seufzte.Der Geist von Vrentizianex war durch die

lange Verbannung auf diesen Planeten zusehr verwirrt worden. Der Mann konnte zwi-schen Einbildung und Realität nicht mehrunterscheiden, sonst hätte er erkannt, daßsich eine derart geschulte und erfahrene

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Kampftruppe wie die Besatzung einesMaahkraumschiffs nicht von ein paar hyp-notischen Kristallen aufhalten ließ – jeden-falls nicht auf die Dauer.

»Dann versuche, mich zu besiegen, du al-ter Narr!« rief ich.

Ein Wutschrei ertönte, dann hörte ich dieEntladung einer Energiewaffe.

Aber der Schuß hatte offenbar nicht mirgegolten, denn ich sah nicht einmal einschwaches Aufblitzen. Wahrscheinlich ver-suchte der Seher, sich eine Gasse in denDschungel zu brennen, um mich zu stellenund zu erschießen.

Ich wandte mich nach links und glitt ge-schmeidig durch das nachgiebige Gewirr derzahllosen unterschiedlichen Pflanzen. Wennes mir gelang, Vrentizianex in großem Bo-gen zu umgehen und dorthin zu gelangen,woher er gekommen war, hatte ich schonviel gewonnen.

Wieder hörte ich die Entladung einerEnergiewaffe. Ich mußte einer riesigenPflanze ausweichen, die in allen Farben desSpektrums schillerte. Dabei merkte ich, daßdie anderen Pflanzen mir zu helfen versuch-ten. Ihr Widerstand hatte sich in Richtungauf die buntschillernde Pflanze erhöht. Eswar, als versteiften sich die sonst biegsamenZweige und Lianen, um mich von dem ge-fährlichen Weg abzubringen.

Plötzlich erstarrte ich mitten in der Bewe-gung.

Ein anhaltendes dumpfes Donnern undTosen erschütterte die Luft. Ich spürte, wiedie Pflanzen, die ich berührte, schwach vi-brierten, als zitterten sie vor einer drohendenGefahr.

Und ich wußte, daß das Gespür der Pflan-zen sie nicht trog, denn das Donnern undTosen kam von den Entladungen zahlreicherstarker Energiewaffen.

Die Maahks hatten demnach die Kristall-höhle und ihre Gefahren überwunden unddrangen tiefer in die Hohlräume des Sehersein. Dabei zerstörten sie vorsichtshalber al-les, was ihnen irgendwie verdächtig erschi-en.

Ungeachtet der Gefahr, daß Vrentizianexdadurch meinen neuen Standort erkennenmußte, rief ich:

»Das sind die Maahks, die du vernichtenwolltest, Seher! Wenn wir jetzt nicht zusam-menarbeiten, sind wir beide verloren. Wirhaben keine Zeit mehr zu verlieren.«

Diesmal antwortete mir der Seher garnicht erst. Er gab einen neuen Strahlschußab. Wenige Augenblicke später stieß ereinen schrillen Schrei aus.

Ich konnte nur ahnen, was mit ihm ge-schehen war. Wahrscheinlich war er von ei-nigen Pflanzen gefangen worden. Wie siedas bewerkstelligt hatten, konnte ich mir al-lerdings nur in meiner Phantasie ausmalen.Vielleicht hatten sie einer beweglichenFangpflanze geholfen, an ihn heranzukom-men. Vielleicht aber war er auch nur durchsein eigenes Ungestüm zu nahe an eine ge-fährliche Pflanze geraten.

Ich überlegte, ob ich ihm helfen konnte.Denk jetzt nicht an andere, sondern nur

an dich selbst! raunte mein Extrasinn mir zu.Die Maahks können jeden Augenblick hierauf tauchen.

Eine neue Energieentladung aus Vrenti-zianex' Richtung bewies mir, daß der Sehersich schon selbst geholfen hatte. Deshalb zö-gerte ich nicht länger, sondern arbeitetemich in Richtung auf die gegenüberliegendeSeite der Dschungelhalle vor.

Aber es war zu spät.Als ich das Dröhnen schwerer Triebwerke

hörte, wußte ich, daß die Maahks in dieDschungelhalle eingedrungen waren. Wahr-scheinlich würden sie den Dschungel mit ih-ren Energiewaffen niederbrennen und dabeisowohl den Seher als auch mich töten.

Dennoch konnte ich meinen Wissensdurstnicht bezähmen. Ich kletterte auf einen selt-sam geformten Baum, um mir einen Über-blick zu verschaffen.

Mindestens zwanzig Flugpanzer derMaahks kreisten über dem Dschungel. Abernoch hatten sie das Feuer nicht eröffnet.

Da zuckte eine sonnenhelle Energiebahnaus einem anderen Teil des Dschungels em-

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por, traf einen der Flugpanzer und beschä-digte ihn schwer. Das Fahrzeug schmierte abund landete krachend im Dschungel.

Die übrigen Flugpanzer formierten sichzum Angriff. Aber seltsamerweise feuertensie nicht auf die Stelle, von der aus Vrenti-zianex geschossen hatte.

Doch darin hatte ich mich geirrt.Ich erkannte meinen Irrtum, als zahlreiche

Maahks mit Hilfe von Fluggeräten aus ihrenFahrzeugen sprangen und im Dschungel lan-deten, ohne daß sie von dem Seher beschos-sen wurden.

Das konnte nur bedeuten, daß sie Vrenti-zianex mit Narkosewaffen betäubt hatten.

Wenig später sah ich, daß zwei Maahksden Seher gepackt hatten und mit ihm zu ei-nem der schwebenden Panzer flogen.

Aber meine Hoffnung, daß der Fall damitfür mich ausgestanden sei und ich nur nochden Abzug der Maahks abzuwarten brauch-te, erfüllte sich nicht.

Aus einem starken Lautsprecher ertönteeine von einem Translator übersetzte Stim-me.

»Hier spricht Grek-1!« sagte sie. »Ichdenke, daß Sie sich ebenfalls in diesemDschungel verkrochen haben, Arkonide. Daich daran interessiert bin, Ihr Leben zu er-halten, gebe ich Ihnen eine Frist von zweiMinuten. Haben Sie sich bis dahin nicht zuerkennen gegeben, lasse ich den gesamtenDschungel verbrennen. Sie würden dabeiumkommen, hätten also nichts gewonnen.Die Zeit läuft ab jetzt, Arkonide.«

Ich zermarterte mir mein Hirn, aber ichwußte auch so, daß ich verloren hatte. Grek-1 hatte recht, wenn er sagte, daß ich nichtsgewinnen würde, wenn ich mich töten ließ.Dann konnte ich den Maahks zwar nichtsmehr nützen, aber auch nicht schaden.

Resigniert richtete ich mich auf demBaumwipfel auf und winkte. Kurz darauf er-schienen zwei Maahks, ergriffen mich undflogen mit mir zum Führungspanzer.

Während man mich wie Frachtgut fest-band, sah ich, daß drei Panzer, die irgend-wann vorher gelandet waren, wieder starte-

ten. Ich konnte mir denken, was das zu be-deuten hatte. Doch ich sagte nichts, weil ichwußte, daß ich mit meinen Argumenten beieinem Maahk niemals durchgekommen wä-re.

Außerdem fand ich keine Zeit dazu, denn»mein« Flugpanzer drehte ab, sobald ichfestgebunden war. Er flog durch die nun-mehr vollständig verwüstete Statuenhallezurück.

Als wir die Kristallhöhle erreichten, sahich, daß die Kristalle blind waren. Sie wirk-ten wie beschlagen. Ich vermutete, daß dieMaahks, als sie erst einmal erkannten, daßdie Kristalle eine hypnotische Wirkung aufsie ausübten, die Halle mit einem Gas gefüllthatten, das die Kristalle abstumpfte und ih-nen dadurch ihre Wirkung nahm.

Sie waren eben nicht nur tapfere, sondernauch intelligente Kämpfer, diese Maahks.

*

Zu meiner Verwunderung brachte manmich nicht sofort ins Raumschiff zurück,sondern auf eine einigermaßen ebene Ge-röllfläche, die von starken Scheinwerfern inhelles Licht getaucht wurde.

Als ich losgebunden und auf die Flächegestoßen wurde, sah ich, daß neben dem be-wußtlosen Vrentizianex einige tote Sklavenauf dem Geröll lagen, das von einer nur dün-nen Schicht Schnee bedeckt war.

Sicher fragten die Maahks sich, warumsie keine toten Arkoniden gefunden hatten.Und von mir würden sie wissen wollen, werdieses Lebewesen mit dem Schuppenhutwar, das sie gefangengenommen hatten.

Als ich Grek-1 auf mich zustapfen sah,bereitete ich mich innerlich auf einige pein-liche Fragen vor – und ich legte mir einigeLügen zurecht.

Der Kommandant des Maahkraumschiffskam jedoch nicht sofort zu mir, sondern gingerst zu Vrentizianex und musterte die massi-ge Gestalt mit der bronzefarbenen Haut,dem Schuppenhut und den Krallenhänden.Besonders mußte die Maahks natürlich die

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Tatsache interessieren, daß ihr Gefangenerstatt Augen zwei große Kristalle trug.

Als Grek sich mir zuwandte, glaubte ich,seine Augen vor Erregung flackern zu se-hen.

War es möglich, daß der Anblick diesesseltsamen Wesens sogar einen kalten Maahkerregt hatte?

»Wer ist dieses Wesen mit den Kristallau-gen?« tönte es aus dem Translator desMaahks. »Haben die Arkoniden etwa neueVerbündete gefunden?«

»Dieses Wesen ist relativ unbedeutend füruns Arkoniden«, erwiderte ich. »Wir habenes zusammen mit seinem Palast auf dieserWelt gefunden und uns mit ihm geeinigt,Teile des Palastes als Station benutzen zudürfen. Mehr weiß ich auch nicht.«

»Ich glaube Ihnen nicht ganz, Arkonide«,erklärte Grek-1. »Wo ist die arkonidischeBesatzung der Station? Wir haben die Trüm-mer untersucht, aber nur die Leichen dieserhellhäutigen kleinen Lebewesen gefunden.«

»Sie müssen noch unter den Trümmernliegen, Grek-1«, log ich. »Die hellhäutigenWesen waren übrigens nur die Sklaven die-ses Wesens.« Ich streckte die Hand aus unddeutete auf Vrentizianex.

»Und warum haben Sie uns nichts überdie Halle mit den hypnotischen Kristallengesagt?« forschte der Maahk weiter.

»Ich wußte nichts davon«, antwortete ichwahrheitsgemäß. »Aber selbstverständlichhätte ich auch dann nichts gesagt, wenn ichBescheid gewußt hätte. Ich bedaure nur, daßmir die Flucht nicht gelungen ist.«

»Sie hätten uns niemals auf die Dauer ent-kommen können, Arkonide«, versicherteGrek-1, und es klang fast, als versuchte ermich zu trösten.

Ich zuckte mit den Schultern.Dabei sah ich, daß Vrentizianex wieder zu

sich kam. Die Kristalle in seinen Augenhöh-len funkelten. Ich ahnte, daß der Seher eineUnbesonnenheit plante, aber ich kam nichtmehr dazu, ihn zu warnen.

Blitzartig schnellte Vrentizianex hoch,stemmte sich mit den Füßen ab und sprangGrek-1 an.

Der Maahk taumelte infolge der Wuchtdes Anpralls, dann schleuderte er den Sehervon sich – und als Vrentizianex in denSchnee fiel, zog Grek-1 seinen Impulsstrah-ler und drückte ab.

Der Kyriliane-Seher war augenblicklichtot.

Doch mit seinen Augenkristallen geschahetwas Grauenhaftes. Sie zersprangen förm-lich, und die Bruchstücke fielen weit ver-streut in den Schnee.

Grek-1 schob seine Waffe ins Gürtelhalf-ter zurück, wandte sich wieder an mich undsagte:

»Ein Lebewesen, das so unüberlegt han-delt, kann keine große Bedeutung haben, Ar-konide. Deshalb habe ich dieses Wesen ge-tötet. Aber wahrscheinlich hätte ich sowiesoseinen Tod befohlen.«

Als ich nichts darauf erwiderte, fuhr erfort:

»Wir bringen Sie jetzt wieder in unserSchiff und werden diesen Planeten verlas-sen. Vorher aber zünden wir durch Funkim-pulse die atomaren Sprengsätze, die wir inden Höhlen der Station zurückgelassen ha-ben. Es wird nichts von der Station übrig-bleiben.«

Auch darauf erwiderte ich nichts.Was hätte ich schon sagen sollen?Als zwei Maahks mich an den Schultern

packten und in Richtung Raumschiff scho-ben, schloß ich den Druckhelm meinesSchutzanzugs.

Vor mir lag eine ungewisse Zukunft, undes gab so gut wie keinen Anhaltspunkt da-für, daß ich dieses Schiff mitsamt dem Erbeder varganischen Technik zerstören konnte.

Dennoch war ich fest entschlossen, nichtaufzugeben. Sobald sich wieder eine Gele-genheit ergab, würde ich wieder handeln,denn ich hatte ein Ziel, für das ich kämpfenund mich notfalls opfern konnte.

ENDE

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