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:: DATENSPEICHER DER ZUKUNFT Resistive Zellen könnten Computer leistungsfähiger machen :: Kerosin aus Algen: Mit nachhaltigem Treibstoff fliegen :: Digitales Puzzle: Viele Schritte zum Gehirnmodell „BigBrain“ Das Magazin aus dem Forschungszentrum 04|2013

Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

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Tagtäglich produzieren wir Daten: auf Computern, mit Digitalkameras oder Smartphones. Während die Datenmenge immer größer wird, sollen Speichermedien immer kleiner und schneller werden. Doch stoßen manche Bauteile mittlerweile an ihre physikalischen Grenzen. Eine neue Generation der Speichertechnik ist bereits in Sicht: Resistive RAM (ReRAM). Jülicher Forscher gelten auf diesem Gebiet als führend. Sie haben jetzt nachgewiesen, dass die Speicherzellen, auf denen ReRAMs beruhen, eine unerwartete Eigenschaft besitzen: Sie sind eine Art winzig kleine Batterie. Lesen Sie in dieser Ausgabe, warum das nützlich ist und was das mit Synapsen im menschlichen Gehirn zu tun hat. Außerdem in diesem Heft: Wie man Kerosin aus Algen gewinnt oder wie virtuelle Gehirnmodelle entstehen.

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Page 1: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

::DATENSPEICHERDERZUKUNFT Resistive Zellen könnten Computer leistungsfähiger machen

:: Kerosin aus Algen: Mit nachhaltigem Treibstoff fliegen

:: Digitales Puzzle: Viele Schritte zum Gehirnmodell „BigBrain“

Das Magazin aus dem Forschungszentrum 04|2013

::DATENSPEICHERDERZUKUNFT Resistive Zellen könnten Computer leistungsfähiger machen

:: Kerosin aus Algen: Mit nachhaltigem Treibstoff fliegen

:: Digitales Puzzle: Viele Schritte zum Gehirnmodell „BigBrain“

Das Magazin aus dem Forschungszentrum 04|2013

Page 2: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

:: IM BILDE

Nur anschauen, aber nicht anfassen: Schon ein Haar oder eine Hautschuppe kann die winzigen, etwa 100 Nanometer großen elektrischen Bau-elemente auf einem Wafer zerstören. Die Jüli-cher Forscher im Bereich Halbleiter-Nanoelek-tronik (PGI-9) im Peter Grünberg Institut verfü-gen über einen Reinraum mit allen notwendigen Geräten, um solche Bauelemente selbst herzu-stellen. Etwa Prototypen von neuartigen Transis-toren, die in der übernächsten Generation von Laptops oder Smartphones zum Einsatz kom-men sollen. Die Transistoren erbringen nicht nur mehr Leistung, sondern verbrauchen auch weni-ger Strom. Die Herstellung durchläuft verschie-dene Prozesse. Nach dem Belacken, Belichten und Entwickeln des Wafers kommt das soge-nannte Dotieren mit Hilfe eines Ionenimplanters. Dabei werden Ionen in das Grundmaterial des Wafers – in der Regel Silizium oder dem Silizium verwandte Materialien – eingebracht. Dadurch lassen sich gezielt Materialeigenschaften verän-dern, etwa die elektrische Leitfähigkeit.

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INHALT

146 22

34 | 2013 Forschen in Jülich

:: NACHRICHTEN 4

:: TITELTHEMA 6

6 GedächtniszellenfürkünftigeComputerhirne Top-Kandidaten der Datenspeicher von morgen

11 DieITderZukunft Große Leistung bei kleinem Stromverbrauch

:: FORSCHUNG IM ZENTRUM 12

12 FeineStrukturenverbessernKlimamodelleWie sich Luftmassen bewegen und mischen

14 MitAlgenfliegenKerosin aus nachwachsenden Rohstoffen

16 WiederTraumkatalysatorWirklichkeitwirdArbeit am Herzstück der Brennstoffzelle

18 DigitalesPuzzlespielDer lange Weg zum weltweit einzigartigen Hirnmodell „BigBrain“

20 TechnologiemitZukunft?Deutsche sind skeptisch gegenüber der CO2-Lagerung

:: SCHLUSSPUNKT 22

22 SovielNeugier!Tag der offenen Tür im Forschungszentrum

23 Impressum

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Forschen in Jülich 4 | 20134

Bitte ein Qubit

InstituteofComplexSystems| Ein internationales Team mit Jüli-cher Beteiligung hat eine neue genetische Ursache für einen der wichtigsten Auslöser der Bluthochdruckerkrankung, den soge-nannten primären Hyperaldosteronismus (PHA), aufgeklärt. Schät-zungen zufolge leiden etwa 12 Prozent aller Patienten mit Blut-hochdruck daran. Der PHA zugrunde liegt eine Überproduktion des Hormons Aldosteron, das in der äußersten Schicht der Neben-nierenrinde gebildet wird. In rund einem Drittel der Fälle sind gut-artige Tumoren für die Überproduktion verantwortlich. Die For-scher haben solche Tumoren von Patienten untersucht und dabei festgestellt, dass Mutationen des Gens CACNA1D das Zellwachs-tum beschleunigen und damit die Bildung der Tumoren. Die Er-kenntnisse ermöglichen neue Ansätze bei der Behandlung des Bluthochdrucks. ::

PeterGrünbergInstitut/InstituteforAdvancedSi-mulations| Im klassischen Computer schaltet die kleinste Informationseinheit, das Bit, zwischen den Werten „null“ und „eins“. Anders im Quantencom-puter: Quantenbits, kurz Qubits, können gleichzeitig mehrere einander überlagernde Zustände anneh-men. Dadurch lassen sich mit jedem Schaltvorgang viele Rechenvorgänge gleichzeitig durchführen und Rechnungen lösen, mit denen heutige Computer Jahre beschäftigt oder völlig überfordert wären. Ei-ne Idee, die Qubits zu realisieren, präsentiert ein internationales Forscherteam mit Jülicher Beteili-gung in der Fachzeitschrift „Nature Nanotechno-logy“: Die Wissenschaftler haben erstmals ein Qubit aus drei sogenannten Quantenpunkten hergestellt und gesteuert. Es zeigt sich, dass sich solche Tri-plett-Quantenbits einfacher kontrollieren lassen als Qubits aus einem oder zwei Quantenpunkten. Dies hatte der Jülicher Forscher David DiVincenzo be-reits im Jahr 2000 vorhergesagt. ::

Genmutation führt zu Bluthochdruck

Die Blutdruckmessung ist eine Standarduntersuchung. Meist wird eine Manschette um den Oberarm gelegt und aufgepumpt, bis der Blutstrom stoppt. Dann wird die Luft wieder abgelassen und der Blutdruck aus dem Zurück strömen des Blutes bestimmt.

Tagtäglich produzieren wir Daten: auf Computern, mit Digitalkameras oder Smart-phones. Während die Daten-menge immer größer wird, sollen Speichermedien im-mer kleiner und schneller

werden. Doch stoßen manche Bauteile mitt-lerweile an ihre physikalischen Grenzen. Eine neue Generation der Speichertechnik ist be-reits in Sicht: Resistive RAM (ReRAM). Jülicher Forscher gelten auf diesem Gebiet als füh-rend. Sie haben jetzt nachgewiesen, dass die Speicherzellen, auf denen ReRAMs beruhen, eine unerwartete Eigenschaft besitzen: Sie sind eine Art winzig kleine Batterie. Lesen Sie in dieser Ausgabe, warum das nützlich ist und was das mit Synapsen im menschlichen Ge-hirn zu tun hat. Außerdem in diesem Heft: Wie man Kerosin aus Algen gewinnt oder wie virtu-elle Gehirnmodelle entstehen.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre,

IhrProf.AchimBachemVorstandsvorsitzenderdes Forschungszentrums Jülich

:: EDITORIAL

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4 | 2013 Forschen in Jülich

NACHRICHTEN

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Weniger Lachgas durch Viehhaltung

Transport von Botenstoffen im Gehirn entschlüsseltInstitute of Complex Systems | Spezielle Botenstoffe, sogenannte Neuro-transmitter, sorgen dafür, dass Nervenzellen im Gehirn miteinander kommuni-zieren. Ein wichtiges Beispiel ist die Aminosäure Glutamat. Jülicher Forscher haben mit Hilfe von Fluoreszenzspektroskopie in Echtzeit beobachtet, wie Transportmoleküle die Signalübertragung mittels Glutamat beeinflussen. Die-se verhindern, dass der von einer Nervenzelle freigesetzte Botenstoff dauer-haft eine andere Zelle erregt. Dazu binden sie das Glutamat und setzen es erst im Inneren der Zellen wieder frei. Damit das funktioniert, darf die Bindung nicht zu stark, aber auch nicht zu schwach sein. Die Moleküle haben deshalb eine bewegliche Klappe, die sich nach dem Andocken des Botenstoffs erst mit Verzögerung schließt, um eine feste Bindung herzustellen. Der Mechanismus ist auch für die Medizin von Interesse, da beispielsweise bei Schlaganfällen einige Transporter nicht richtig funktionieren und zu hohe Glutamat-Konzen-trationen verursachen. ::

Institut für Bio- und Geowissenschaften | Der Jülicher Ökosystemforscher Prof. Nicolas Brüggemann hat ge-meinsam mit vier Mitgliedern einer deutsch-chinesi-schen Forschergruppe den Wissenschaftspreis des Stif-terverbandes – Erwin Schrödinger-Preis 2013 erhalten. Die Auszeichnung ist mit 50.000 Euro dotiert. Das Team hatte in einem Langzeitprojekt festgestellt, dass Step-pen- und Präriegebiete weniger klimaschädliches Lach-gas ausstoßen, wenn dort Viehhaltung betrieben wird. Bis dahin war die Forschung vom Gegenteil ausgegan-gen. Nicolas Brüggemann hatte während seiner Zeit am Karlsruher Institut für Technologie an dem Projekt mit-gewirkt. ::

Rechnen mit Neodym

Peter Grünberg Institut | Magnetische Moleküle gelten als aussichtsreiche Schaltelemente für die energieeffizien-te Informationsverarbeitung der Zu-kunft. Ein interdisziplinäres Forscher-team aus Jülich und Aachen hat nun einen besonders robusten Vertreter hergestellt, dessen magnetische Infor-mationen sich auf direktem Weg elek-trisch auslesen lassen. Möglich wurde dies durch die Wahl des Seltenerd-metalls Neodym als zentralen Baustein des Moleküls, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Nature Communi-cations“. ::

Pigment und Seltene Erde: Herzstück

des vielversprechenden Moleküls ist

das Seltenerdmetall Neodym (rot), ein-

gebettet zwischen zwei Molekülen des

Farbstoffs Phthalocyanin. Mit der Spitze

eines Rastertunnelmikroskops (oben)

leiteten die Forscher elektrischen Strom

durch den magnetischen Doppeldecker.

Die Untersuchungen fanden in der Inneren Mongolei in China statt;

Schnee und Grashöhe spielen bei der Lachgasemission eine Rolle.

externe Klappe geöffnet

lockere Bindung

Klappenschluss/feste Bindung

externe Klappe geschlossenNeurotransmitter

Zunächst öffnet sich die externe Klappe, der Neurotransmitter wird locker

gebunden. Dann verschließt die Klappe die Bindungstasche für den Trans-

mitter: Jetzt ist er besonders fest gebunden.

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Forschen in Jülich 4 | 20136 Forschen in Jülich 4 | 20136

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4 | 2013 Forschen in Jülich

TITELTHEMA|Informationstechnologie

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GedächtniszellenfürkünftigeComputerhirneSie sind Top-Kandidaten, um Computer und Smart- phones leistungsfähiger und vor allem stromsparender zu machen: resistive Speicherzellen. Neue Erkenntnisse von Jülicher Forschern können helfen, diese nanoelek-tronischen Bauteile in den nächsten Jahren als Daten-speicher zu etablieren. Später einmal werden die Bau-teile womöglich als künstliche Synapsen nach dem Vorbild biologischer Nervenzellen dienen.

Die meisten Menschen im Jahr 1999 dachten vor allem an die Festplat-te ihres PC, wenn sie den Begriff

Datenspeicher hörten. Manchen kam möglicherweise auch die CD oder der Ar-beitsspeicher ihres Computers, der DRAM, in den Sinn. Den USB-Stick dage-gen gab es noch nicht: Er kam erst im Folgejahr auf den Markt – mit Platz für nur acht Megabyte und 50 US-Dollar teu-er. Inzwischen gelten USB-Stick und an-dere FLASH-Speicher bei vielen jungen Menschen als die Datenspeicher an sich. Dabei sind Kapazitäten von mehreren Gi-gabyte Standard.

Man hat sich daran gewöhnt, dass im-mer mehr Information auf immer weniger Raum untergebracht werden kann. Doch selbstverständlich ist das nicht, denn die weitere Miniaturisierung der gängigen Datenspeicher stößt womöglich an na-turgegebene Grenzen. Und außerdem er-füllt bisher kein Datenspeicher alle Wün-

sche zugleich: Er soll sowohl rasend schnell als auch energiesparend arbei-ten, dabei Daten dauerhaft archivieren und zudem noch preiswert sein. Die In-formationen im DRAM-Modul des Ar-beitsspeichers etwa verflüchtigen sich, wenn der Strom abgeschaltet ist. Das ist bei Festplatten und FLASH-Speichern zwar anders, doch sind sie dafür ver-gleichsweise langsam.

Aus diesen Gründen entwickeln For-scher aus Wissenschaft und Industrie weltweit fieberhaft eine neue Art von Da-tenspeicher, den ReRAM (Resistive Ran-dom Access Memory). „Prinzipiell sollten ReRAMs in der Lage sein, Daten auf noch engerem Raum zu speichern als bei-spielsweise FLASH-Speicher und auch mit deutlich weniger Strom auszukom-men“, sagt Prof. Rainer Waser, Direktor am Peter Grünberg Institut des For-schungszentrums Jülich, der auch an der RWTH Aachen forscht und lehrt. Er und

4 | 2013 Forschen in Jülich

TITELTHEMA|Informationstechnologie

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GedächtniszellenfürkünftigeComputerhirneSie sind Top-Kandidaten, um Computer und Smart- phones leistungsfähiger und vor allem stromsparender zu machen: resistive Speicherzellen. Neue Erkenntnisse von Jülicher Forschern können helfen, diese nanoelek-tronischen Bauteile in den nächsten Jahren als Daten-speicher zu etablieren. Später einmal werden die Bau-teile womöglich als künstliche Synapsen nach dem Vorbild biologischer Nervenzellen dienen.

Die meisten Menschen im Jahr 1999 dachten vor allem an die Festplat-te ihres PC, wenn sie den Begriff

Datenspeicher hörten. Manchen kam möglicherweise auch die CD oder der Ar-beitsspeicher ihres Computers, der DRAM, in den Sinn. Den USB-Stick dage-gen gab es noch nicht: Er kam erst im Folgejahr auf den Markt – mit Platz für nur acht Megabyte und 50 US-Dollar teu-er. Inzwischen gelten USB-Stick und an-dere FLASH-Speicher bei vielen jungen Menschen als die Datenspeicher an sich. Dabei sind Kapazitäten von mehreren Gi-gabyte Standard.

Man hat sich daran gewöhnt, dass im-mer mehr Information auf immer weniger Raum untergebracht werden kann. Doch selbstverständlich ist das nicht, denn die weitere Miniaturisierung der gängigen Datenspeicher stößt womöglich an na-turgegebene Grenzen. Und außerdem er-füllt bisher kein Datenspeicher alle Wün-

sche zugleich: Er soll sowohl rasend schnell als auch energiesparend arbei-ten, dabei Daten dauerhaft archivieren und zudem noch preiswert sein. Die In-formationen im DRAM-Modul des Ar-beitsspeichers etwa verflüchtigen sich, wenn der Strom abgeschaltet ist. Das ist bei Festplatten und FLASH-Speichern zwar anders, doch sind sie dafür ver-gleichsweise langsam.

Aus diesen Gründen entwickeln For-scher aus Wissenschaft und Industrie weltweit fieberhaft eine neue Art von Da-tenspeicher, den ReRAM (Resistive Ran-dom Access Memory). „Prinzipiell sollten ReRAMs in der Lage sein, Daten auf noch engerem Raum zu speichern als bei-spielsweise FLASH-Speicher und auch mit deutlich weniger Strom auszukom-men“, sagt Prof. Rainer Waser, Direktor am Peter Grünberg Institut des For-schungszentrums Jülich, der auch an der RWTH Aachen forscht und lehrt. Er und

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seine Mitarbeiter arbeiten eng mit Unter-nehmen wie Intel und Samsung Electro-nics zusammen und gelten als führend auf dem Forschungsgebiet der resistiven Schaltbauelemente.

Der jüngste Coup: Die Forscher ha-ben nachgewiesen, dass die resistiven Speicherzellen, auf denen ReRAMs beru-hen, als winzige kleine Batterien be-trachtet werden müssen. „Das wider-spricht nicht nur der gängigen Theorie, sondern hat auch praktische Konse-quenzen“, sagt Dr. Ilia Valov, Elektroche-miker in Wasers Forschergruppe und Hauptautor der entsprechenden Publika-tion in der Fachzeitschrift „Nature Com-munications“.

SCHALTBARERWIDERSTANDEin tieferer Blick in die Funktionsweise der resistiven Speicherzellen hilft, die Bedeutung der neuen Erkenntnis zu ver-stehen. Resistive Zellen speichern die beiden Grundelemente aller Computer-sprachen, die Null oder die Eins, auf eine grundsätzlich andere Weise als etwa ei-ne Festplatte oder ein FLASH-Speicher. Bei der Festplatte befindet sich die Infor-mation auf der magnetischen Schicht ei-ner rotierenden Scheibe, während FLASH-Speicher die Bits in Form von elektrischen Ladungen auf einem beson-deren Transistor festhalten. Eine resisti-ve Zelle dagegen merkt sich ein Bit mit Hilfe ihres elektrischen Widerstandes, der zwischen hohen und niedrigen Wer-

ten schaltbar ist – und behält ihren Zu-stand selbst dann, wenn keine äußere Spannung mehr anliegt.

Resistive Zellen, wie sie derzeit in den Laboren weltweit hergestellt und erkundet werden, haben eine Kantenlän-ge unter 30 Nanometern, also einem dreißigtausendstel Millimeter. „Verein-zelt berichten Kollegen auf Kongressen aber bereits von noch winzigeren Zellen mit Abmessungen im Bereich weniger Nanometer“, weiß Valov.

In einer verbreiteten Bauform beste-hen diese Zellen aus drei dünnen Materi-alschichten mit unterschiedlicher Funkti-on. Das Material in der Mitte, der Elektrolyt, liegt dabei wie der Belag zwi-

schen zwei Sandwich-Hälften. Von die-sen besteht die eine Hälfte aus einer ak-tiven Metallelektrode, zum Beispiel aus Kupfer, und die andere aus einer che-misch inaktiven Gegenelektrode wie Pla-tin (siehe Grafik).

Legt man eine Spannung an, lösen sich positiv geladene Kupfer-Ionen aus der aktiven Elektrode und wandern zur Gegenelektrode. Dort wandeln sich die Ionen durch Elektronenaufnahme wieder in elementare Kupfer-Atome um. Die Ato-me bilden so etwas wie einen feinen Pfad durch den Elektrolyten – Fachleute spre-chen von einem Filament. Hat sich auf diese Weise ein elektrisch leitender Kon-takt zwischen den beiden Elektroden ausgebildet, ist der Widerstand der ge-samten Zelle gering und sie befindet sich im „ON-Zustand“, entsprechend der Eins in der Computersprache. In diesem Zu-stand bleibt die Zelle so lange, bis eine ausreichende Spannung umgekehrter Po-larität angelegt wird. Das Filament löst sich auf, der Widerstand der Zelle steigt auf einen hohen Wert: Die Zelle befindet sich nun im OFF- oder Null-Zustand.

„Für den Auf- und Abbau des Filamen-tes, die Schaltprozesse und somit die In-formationsspeicherung sind hauptsäch-

SofunktionierteineresistiveSpeicherzelleIm OFF-Zustand (a) hat die resistive Zelle einen hohen elektrischen Widerstand. Beim Anlegen einer Span-nung (b) lösen sich positiv geladene Ionen (grau) aus der Kupfer-Elektrode und wandern zur Platin-Elektro-de, wo sie durch Elektronenaufnahme wieder zu Atomen (grün) werden. Zwischen den beiden Elektroden entsteht ein elektrisch leitendes Filament (c). Somit hat die Zelle einen niedrigen Widerstand (ON-Zustand). Wird eine ausreichende Spannung umgekehrter Polarität angelegt (d), löst sich das Filament wieder auf.

Weltweit gefragter Experte für resistive Schaltbauelemente: Prof. Rainer Waser von der Jülich Aachen Research Alliance (JARA)

Cu Cu Cu Cu

Pt Pt Pt Pt

+

+–

Cu+ Cu+ Cu+

a) b) c) d)

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seine Mitarbeiter arbeiten eng mit Unter-nehmen wie Intel und Samsung Electro-nics zusammen und gelten als führend auf dem Forschungsgebiet der resistiven Schaltbauelemente.

Der jüngste Coup: Die Forscher ha-ben nachgewiesen, dass die resistiven Speicherzellen, auf denen ReRAMs beru-hen, als winzige kleine Batterien be-trachtet werden müssen. „Das wider-spricht nicht nur der gängigen Theorie, sondern hat auch praktische Konse-quenzen“, sagt Dr. Ilia Valov, Elektroche-miker in Wasers Forschergruppe und Hauptautor der entsprechenden Publika-tion in der Fachzeitschrift „Nature Com-munications“.

SCHALTBARERWIDERSTANDEin tieferer Blick in die Funktionsweise der resistiven Speicherzellen hilft, die Bedeutung der neuen Erkenntnis zu ver-stehen. Resistive Zellen speichern die beiden Grundelemente aller Computer-sprachen, die Null oder die Eins, auf eine grundsätzlich andere Weise als etwa ei-ne Festplatte oder ein FLASH-Speicher. Bei der Festplatte befindet sich die Infor-mation auf der magnetischen Schicht ei-ner rotierenden Scheibe, während FLASH-Speicher die Bits in Form von elektrischen Ladungen auf einem beson-deren Transistor festhalten. Eine resisti-ve Zelle dagegen merkt sich ein Bit mit Hilfe ihres elektrischen Widerstandes, der zwischen hohen und niedrigen Wer-

ten schaltbar ist – und behält ihren Zu-stand selbst dann, wenn keine äußere Spannung mehr anliegt.

Resistive Zellen, wie sie derzeit in den Laboren weltweit hergestellt und erkundet werden, haben eine Kantenlän-ge unter 30 Nanometern, also einem dreißigtausendstel Millimeter. „Verein-zelt berichten Kollegen auf Kongressen aber bereits von noch winzigeren Zellen mit Abmessungen im Bereich weniger Nanometer“, weiß Valov.

In einer verbreiteten Bauform beste-hen diese Zellen aus drei dünnen Materi-alschichten mit unterschiedlicher Funkti-on. Das Material in der Mitte, der Elektrolyt, liegt dabei wie der Belag zwi-

schen zwei Sandwich-Hälften. Von die-sen besteht die eine Hälfte aus einer ak-tiven Metallelektrode, zum Beispiel aus Kupfer, und die andere aus einer che-misch inaktiven Gegenelektrode wie Pla-tin (siehe Grafik).

Legt man eine Spannung an, lösen sich positiv geladene Kupfer-Ionen aus der aktiven Elektrode und wandern zur Gegenelektrode. Dort wandeln sich die Ionen durch Elektronenaufnahme wieder in elementare Kupfer-Atome um. Die Ato-me bilden so etwas wie einen feinen Pfad durch den Elektrolyten – Fachleute spre-chen von einem Filament. Hat sich auf diese Weise ein elektrisch leitender Kon-takt zwischen den beiden Elektroden ausgebildet, ist der Widerstand der ge-samten Zelle gering und sie befindet sich im „ON-Zustand“, entsprechend der Eins in der Computersprache. In diesem Zu-stand bleibt die Zelle so lange, bis eine ausreichende Spannung umgekehrter Po-larität angelegt wird. Das Filament löst sich auf, der Widerstand der Zelle steigt auf einen hohen Wert: Die Zelle befindet sich nun im OFF- oder Null-Zustand.

„Für den Auf- und Abbau des Filamen-tes, die Schaltprozesse und somit die In-formationsspeicherung sind hauptsäch-

SofunktionierteineresistiveSpeicherzelleIm OFF-Zustand (a) hat die resistive Zelle einen hohen elektrischen Widerstand. Beim Anlegen einer Span-nung (b) lösen sich positiv geladene Ionen (grau) aus der Kupfer-Elektrode und wandern zur Platin-Elektro-de, wo sie durch Elektronenaufnahme wieder zu Atomen (grün) werden. Zwischen den beiden Elektroden entsteht ein elektrisch leitendes Filament (c). Somit hat die Zelle einen niedrigen Widerstand (ON-Zustand). Wird eine ausreichende Spannung umgekehrter Polarität angelegt (d), löst sich das Filament wieder auf.

Weltweit gefragter Experte für resistive Schaltbauelemente: Prof. Rainer Waser von der Jülich Aachen Research Alliance (JARA)

Cu Cu Cu Cu

Pt Pt Pt Pt

+

+–

Cu+ Cu+ Cu+

a) b) c) d)

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TITELTHEMA|Informationstechnologie

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lich Ionen verantwortlich“, sagt Valov. Dies sei ein wesentlicher Vorteil gegen-über FLASH-Datenspeichern, bei denen Elektronen eingelagert werden. Denn: „Elektronen sind sehr beweglich und klein, so dass sie sehr leicht einen Weg finden auszubrechen – die Information geht somit verloren“, erläutert Valov. Verhindern lässt sich das etwa mit Isola-torschichten, durch die aber Speicher-dichte und Geschwindigkeit herabge-setzt werden. Ionen dagegen sind besser handhabbar und zur zuverlässigen Infor-mationsspeicherung prinzipiell besser geeignet.

Bislang wurden resistive Speicherzel-len mit Hilfe der Theorie der „Memristo-ren“ beschrieben – ein Kunstwort, zu-sammengesetzt aus den zwei englischen Begriffen „memory“ (Speicher) und „re-

sistor“ (Widerstand). Demnach wären resistive Speicherzellen wie Kondensato-ren, Spulen und Widerstände passive Bauelemente, die ein Signal nicht ver-stärken können und keine Steuerungs-funktion haben. Ein wichtiges Kennzei-chen solcher passiven Bauelemente ist, dass ohne angelegte Spannung kein Strom hindurchfließt. Und dass umge-kehrt keine Spannung zu messen ist, wenn kein Strom fließt.

Die Forscher um Valov konnten nun theoretisch herleiten, dass dies bei re-sistiven Zellen von Natur aus anders sein muss. Die Zellen erzeugen wie eine win-zig kleine Batterie eine Spannung. Und die Forscher konnten dies auch mit Er-gebnissen von Messungen untermauern, die sie an unterschiedlichen Repräsen-tanten solcher Zellen erhalten hatten.

Prof. Regina Dittmann hat den Aufbau des „Oxid­Clusters“ koordiniert – ein 3,7 Millionen Euro teures Labor, in dem Ma­terialschichten und resistive Speicherzel­len im Ultrahochvakuum hergestellt und untersucht werden.

4 | 2013 Forschen in Jülich

TITELTHEMA|Informationstechnologie

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lich Ionen verantwortlich“, sagt Valov. Dies sei ein wesentlicher Vorteil gegen-über FLASH-Datenspeichern, bei denen Elektronen eingelagert werden. Denn: „Elektronen sind sehr beweglich und klein, so dass sie sehr leicht einen Weg finden auszubrechen – die Information geht somit verloren“, erläutert Valov. Verhindern lässt sich das etwa mit Isola-torschichten, durch die aber Speicher-dichte und Geschwindigkeit herabge-setzt werden. Ionen dagegen sind besser handhabbar und zur zuverlässigen Infor-mationsspeicherung prinzipiell besser geeignet.

Bislang wurden resistive Speicherzel-len mit Hilfe der Theorie der „Memristo-ren“ beschrieben – ein Kunstwort, zu-sammengesetzt aus den zwei englischen Begriffen „memory“ (Speicher) und „re-

sistor“ (Widerstand). Demnach wären resistive Speicherzellen wie Kondensato-ren, Spulen und Widerstände passive Bauelemente, die ein Signal nicht ver-stärken können und keine Steuerungs-funktion haben. Ein wichtiges Kennzei-chen solcher passiven Bauelemente ist, dass ohne angelegte Spannung kein Strom hindurchfließt. Und dass umge-kehrt keine Spannung zu messen ist, wenn kein Strom fließt.

Die Forscher um Valov konnten nun theoretisch herleiten, dass dies bei re-sistiven Zellen von Natur aus anders sein muss. Die Zellen erzeugen wie eine win-zig kleine Batterie eine Spannung. Und die Forscher konnten dies auch mit Er-gebnissen von Messungen untermauern, die sie an unterschiedlichen Repräsen-tanten solcher Zellen erhalten hatten.

Prof. Regina Dittmann hat den Aufbau des „Oxid­Clusters“ koordiniert – ein 3,7 Millionen Euro teures Labor, in dem Ma­terialschichten und resistive Speicherzel­len im Ultrahochvakuum hergestellt und untersucht werden.

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Forschen in Jülich 4 | 201310

sondern auch Zwischenzustände einneh-men. Dies ist eine gute Voraussetzung, um lernfähige Computersysteme nach dem Vorbild der Synapsen aufzubauen, den Kontaktstellen der Zellen im biologi-schen Nervensystem.

„Es gibt zudem einige Parallelen zwi-schen der Arbeitsweise der biologi-schen Synapsen und den resistiven Bauelementen“, sagt Dr. Susanne Hoffmann- Eifert aus Wasers Forscher-gruppe. So beruht die Funktion von Sy-napsen genau wie die der resistiven Zellen auf der Bewegung von Ionen. Ei-ne weitere Ähnlichkeit: Eine Verbin-dung zwischen menschlichen Nerven-zellen ist umso stärker und effizienter, je häufiger und intensiver sie zuvor ge-nutzt wurde. „Auch die leitfähigen Fila-mente in den resistiven Speicherzellen sind umso kräftiger, je mehr Strom zu-vor hindurchgeleitet wurde“, so Hoff-mann-Eifert. Dieser Effekt könnte ein-mal helfen, Computer zu bauen, die selbstständig von ihrer Programmie-rung abweichen können, wenn eine Verbindung unerwartet intensiv genutzt wird. ::

Dr. Frank Frick

Dr. Ilia Valov hat zusammen mit Kollegen herausgefunden, dass resistive Speicher­zellen Spannung erzeugen – wie eine winzige Batterie.

Weist auf Parallelen zwischen den bio­logischen Synapsen im Gehirn und den resistiven Bauelementen hin: Dr. Susanne Hoffmann­Eifert

Dafür hatten sie zahlreiche Zellen, wie sie von den Gruppen weltweit erforscht werden, aufwendig hergestellt und cha-rakterisiert.

Die Wissenschaftler begriffen sofort, dass sich die neue Erkenntnis vom Auf-treten einer Batteriespannung nutzen lässt, um das Auslesen der Informatio-nen von ReRAMs zu verbessern. Bislang ging die Fachwelt davon aus, dass Strom benötigt wird, um festzustellen, ob sich resistive Zellen im ON- oder OFF-Zu-stand befinden. Dieser Strom könnte aber den Zustand empfindlicher Zellen verändern. Die Batteriespannung lässt sich dagegen auch stromlos und somit zerstörungsfrei messen. Entsprechende Methoden haben die Wissenschaftler bereits zum Patent angemeldet. „Darü-ber hinaus muss das Auftreten einer Bat-teriespannung beispielsweise auch bei der Verschaltung der resistiven Zellen oder bei der Entwicklung zuverlässiger ReRAMs berücksichtigt werden“, sagt Valov.

Andere Wissenschaftler der Jülich Aachen Research Alliance um Rainer Wa-ser bauen bereits resistive Speicher zu größeren Einheiten zusammen oder si-mulieren am Rechner die Integration von ReRAMs in die bestehende Halbleiter-technik. Das Unternehmen Panasonic baut sogar bereits seit wenigen Wochen serienmäßig ReRAMs in Mikrocontroller ein. Doch wie Valov ist auch seine Kolle-gin Prof. Regina Dittmann überzeugt, dass weiterhin grundlegende Untersu-chungen an resistiven Zellen nötig sind, um etwa die Langlebigkeit und die Schaltgeschwindigkeit von ReRAMs zu verbessern. „Immer wieder stößt die In-dustrie in dieser Hinsicht an Grenzen, die nur durch ein noch tieferes Verständ-

nis der elementaren Vorgänge zu über-winden sind“, sagt Dittmann.

OHNEKONTAKTmITDERLUFTFür die grundlegenden experimentellen Untersuchungen steht den Wissenschaft-lern seit kurzem ein neues Labor im Jüli-cher Peter Grünberg Institut zur Verfü-gung, der „Oxid-Cluster“. „Darin können wir Materialschichten und resistive Zellen herstellen und die Atome und Elektronen dann mit neuesten mikroskopischen und spektroskopischen Methoden beispiels-weise bei Schaltvorgängen und somit gleichsam bei der Arbeit beobachten – ohne dass die Materialien dabei das Ul-trahochvakuum verlassen“, erläutert Ditt-mann. Das ist wichtig, weil der Kontakt mit der Luft die Abläufe an den Material-oberflächen beeinflussen würde.

Resistive Speicherzellen können prin-zipiell nicht nur zwischen zwei Wider-standswerten wechseln, sondern zwi-schen mehreren. Damit könnten sie nicht nur die Zustände null und eins,

Forschen in Jülich 4 | 201310

sondern auch Zwischenzustände einneh-men. Dies ist eine gute Voraussetzung, um lernfähige Computersysteme nach dem Vorbild der Synapsen aufzubauen, den Kontaktstellen der Zellen im biologi-schen Nervensystem.

„Es gibt zudem einige Parallelen zwi-schen der Arbeitsweise der biologi-schen Synapsen und den resistiven Bauelementen“, sagt Dr. Susanne Hoffmann- Eifert aus Wasers Forscher-gruppe. So beruht die Funktion von Sy-napsen genau wie die der resistiven Zellen auf der Bewegung von Ionen. Ei-ne weitere Ähnlichkeit: Eine Verbin-dung zwischen menschlichen Nerven-zellen ist umso stärker und effizienter, je häufiger und intensiver sie zuvor ge-nutzt wurde. „Auch die leitfähigen Fila-mente in den resistiven Speicherzellen sind umso kräftiger, je mehr Strom zu-vor hindurchgeleitet wurde“, so Hoff-mann-Eifert. Dieser Effekt könnte ein-mal helfen, Computer zu bauen, die selbstständig von ihrer Programmie-rung abweichen können, wenn eine Verbindung unerwartet intensiv genutzt wird. ::

Dr. Frank Frick

Dr. Ilia Valov hat zusammen mit Kollegen herausgefunden, dass resistive Speicher­zellen Spannung erzeugen – wie eine winzige Batterie.

Weist auf Parallelen zwischen den bio­logischen Synapsen im Gehirn und den resistiven Bauelementen hin: Dr. Susanne Hoffmann­Eifert

Dafür hatten sie zahlreiche Zellen, wie sie von den Gruppen weltweit erforscht werden, aufwendig hergestellt und cha-rakterisiert.

Die Wissenschaftler begriffen sofort, dass sich die neue Erkenntnis vom Auf-treten einer Batteriespannung nutzen lässt, um das Auslesen der Informatio-nen von ReRAMs zu verbessern. Bislang ging die Fachwelt davon aus, dass Strom benötigt wird, um festzustellen, ob sich resistive Zellen im ON- oder OFF-Zu-stand befinden. Dieser Strom könnte aber den Zustand empfindlicher Zellen verändern. Die Batteriespannung lässt sich dagegen auch stromlos und somit zerstörungsfrei messen. Entsprechende Methoden haben die Wissenschaftler bereits zum Patent angemeldet. „Darü-ber hinaus muss das Auftreten einer Bat-teriespannung beispielsweise auch bei der Verschaltung der resistiven Zellen oder bei der Entwicklung zuverlässiger ReRAMs berücksichtigt werden“, sagt Valov.

Andere Wissenschaftler der Jülich Aachen Research Alliance um Rainer Wa-ser bauen bereits resistive Speicher zu größeren Einheiten zusammen oder si-mulieren am Rechner die Integration von ReRAMs in die bestehende Halbleiter-technik. Das Unternehmen Panasonic baut sogar bereits seit wenigen Wochen serienmäßig ReRAMs in Mikrocontroller ein. Doch wie Valov ist auch seine Kolle-gin Prof. Regina Dittmann überzeugt, dass weiterhin grundlegende Untersu-chungen an resistiven Zellen nötig sind, um etwa die Langlebigkeit und die Schaltgeschwindigkeit von ReRAMs zu verbessern. „Immer wieder stößt die In-dustrie in dieser Hinsicht an Grenzen, die nur durch ein noch tieferes Verständ-

nis der elementaren Vorgänge zu über-winden sind“, sagt Dittmann.

OHNEKONTAKTMITDERLUFTFür die grundlegenden experimentellen Untersuchungen steht den Wissenschaft-lern seit kurzem ein neues Labor im Jüli-cher Peter Grünberg Institut zur Verfü-gung, der „Oxid-Cluster“. „Darin können wir Materialschichten und resistive Zellen herstellen und die Atome und Elektronen dann mit neuesten mikroskopischen und spektroskopischen Methoden beispiels-weise bei Schaltvorgängen und somit gleichsam bei der Arbeit beobachten – ohne dass die Materialien dabei das Ul-trahochvakuum verlassen“, erläutert Ditt-mann. Das ist wichtig, weil der Kontakt mit der Luft die Abläufe an den Material-oberflächen beeinflussen würde.

Resistive Speicherzellen können prin-zipiell nicht nur zwischen zwei Wider-standswerten wechseln, sondern zwi-schen mehreren. Damit könnten sie nicht nur die Zustände null und eins,

Page 11: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

TITELTHEMA|Informationstechnologie

4 | 2013 Forschen in Jülich

Vom MP3-Player, kaum größer als eine Briefmarke, bis zu den Jüli-cher Supercomputern mit ihrer

immensen Rechenkraft – die heutige In-formationstechnologie basiert darauf, Elektronen gezielt zu verschieben oder diese Träger der elektrischen Ladung auf andere Weise gleichsam im Griff zu ha-ben. Äußerst erfolgreich hat die Halblei-terindustrie in der Vergangenheit die Elektronen durch immer winzigere Bau-elemente geschickt: Doch das Gesetz von Gordon Moore aus dem Jahr 1965, dem zufolge sich die Zahl der Transisto-ren auf einem Mikrochip etwa alle zwei Jahre kostenneutral verdoppelt, verliert absehbar seine Gültigkeit. Jülicher Wis-senschaftler arbeiten daran, dass die Mi-niaturisierung trotzdem weitergeht. Vor allem aber entwickeln sie Niedrigenergie-Bauelemente. Denn inzwischen gehen rund 12 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland auf das Konto informations-technologischer Geräte – Tendenz stei-gend.

Andere Jülicher Wissenschaftler wol-len statt der Ladung eine weitere Eigen-schaft von Elektronen nutzen: Diese rotie-ren um ihre eigene Achse, besitzen also einen Drehimpuls, den Spin. Die soge-nannte Spintronik gilt als mögliche Nach-folgerin der Halbleitertechnologie, wenn deren Bauteile einmal nicht mehr weiter verkleinert werden können. Sie ver-spricht, Informationen besonders schnell und energiesparend zu verarbeiten.

NEUARTIGECOmPUTERBAUSTEINEDoch Information steckt auch in der An-ordnung – Fachsprache: Konfiguration – von Atomen, Ionen und Molekülen. Ne-ben dem Team von Prof. Rainer Waser (siehe Hauptartikel) erkunden auch an-dere Jülicher Forschergruppen die grundlegenden chemischen und physika-lischen Prozesse, die ablaufen, wenn sich die Konfiguration bestimmter Mate-rialsysteme ändert. Das Ziel der For-scher ist es, Konfigurationswechsel auf der kleinstmöglichen Skala steuern zu

können – und so zu neuartigen Com-puterbausteinen zu kommen.

Schließlich verfolgen Wissenschaft-ler in einer weiteren Jülicher For-schungslinie Projekte zum Quanten-computer: Dieser ist prinzipiell in der Lage, anders als herkömmliche Pro-zessoren mit jedem Schaltvorgang viele Rechenoperationen gleichzeitig durchzuführen. Denn während her-kömmliche Rechner als kleinste Infor-mationseinheiten Bits verwenden, die nur die Werte null und eins annehmen können, arbeiten Quantencomputer mit Quanten-Bits, kurz Qubits, die aus vielen einander überlagernden Zustän-den bestehen. ::

Dr. Frank Frick

DieITderZukunftJülicher Aktivitäten im Überblick

11

WachsenderEnergiehungerEntwicklung des Stromverbrauchsder Informations- und Kommunika-tionstechnologie in Deutschland (Gigawattstunden/Jahr)

Kernnetze

Unternehmen PC+

Mobilfunk

Haushalt Rest

Rechenzentren

Haushalt TV+

Unternehmen Rest

Haushalt PC+

70.000

50.000

30.000

10.000

60.000

40.000

20.000

02007

5.961

11.217

15.833

6.196

9.122

3.1073.329

2010

6.323

11.560

17.409

6.418

9.558

2.9473.329

2020

5.801

16.016

19.047

6.386

12.319

3.2143.329

Quelle: FhG-IZM und FhG-ISI

„+“ inkl. Peripheriegeräte

TITELTHEMA|Informationstechnologie

4 | 2013 Forschen in Jülich

Vom MP3-Player, kaum größer als eine Briefmarke, bis zu den Jüli-cher Supercomputern mit ihrer

immensen Rechenkraft – die heutige In-formationstechnologie basiert darauf, Elektronen gezielt zu verschieben oder diese Träger der elektrischen Ladung auf andere Weise gleichsam im Griff zu ha-ben. Äußerst erfolgreich hat die Halblei-terindustrie in der Vergangenheit die Elektronen durch immer winzigere Bau-elemente geschickt: Doch das Gesetz von Gordon Moore aus dem Jahr 1965, dem zufolge sich die Zahl der Transisto-ren auf einem Mikrochip etwa alle zwei Jahre kostenneutral verdoppelt, verliert absehbar seine Gültigkeit. Jülicher Wis-senschaftler arbeiten daran, dass die Mi-niaturisierung trotzdem weitergeht. Vor allem aber entwickeln sie Niedrigenergie-Bauelemente. Denn inzwischen gehen rund 12 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland auf das Konto informations-technologischer Geräte – Tendenz stei-gend.

Andere Jülicher Wissenschaftler wol-len statt der Ladung eine weitere Eigen-schaft von Elektronen nutzen: Diese rotie-ren um ihre eigene Achse, besitzen also einen Drehimpuls, den Spin. Die soge-nannte Spintronik gilt als mögliche Nach-folgerin der Halbleitertechnologie, wenn deren Bauteile einmal nicht mehr weiter verkleinert werden können. Sie ver-spricht, Informationen besonders schnell und energiesparend zu verarbeiten.

NEUARTIGECOMPUTERBAUSTEINEDoch Information steckt auch in der An-ordnung – Fachsprache: Konfiguration – von Atomen, Ionen und Molekülen. Ne-ben dem Team von Prof. Rainer Waser (siehe Hauptartikel) erkunden auch an-dere Jülicher Forschergruppen die grundlegenden chemischen und physika-lischen Prozesse, die ablaufen, wenn sich die Konfiguration bestimmter Mate-rialsysteme ändert. Das Ziel der For-scher ist es, Konfigurationswechsel auf der kleinstmöglichen Skala steuern zu

können – und so zu neuartigen Com-puterbausteinen zu kommen.

Schließlich verfolgen Wissenschaft-ler in einer weiteren Jülicher For-schungslinie Projekte zum Quanten-computer: Dieser ist prinzipiell in der Lage, anders als herkömmliche Pro-zessoren mit jedem Schaltvorgang viele Rechenoperationen gleichzeitig durchzuführen. Denn während her-kömmliche Rechner als kleinste Infor-mationseinheiten Bits verwenden, die nur die Werte null und eins annehmen können, arbeiten Quantencomputer mit Quanten-Bits, kurz Qubits, die aus vielen einander überlagernden Zustän-den bestehen. ::

Dr. Frank Frick

DieITderZukunftJülicher Aktivitäten im Überblick

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WachsenderEnergiehungerEntwicklung des Stromverbrauchsder Informations- und Kommunika-tionstechnologie in Deutschland (Gigawattstunden/Jahr)

Kernnetze

Unternehmen PC+

Mobilfunk

Haushalt Rest

Rechenzentren

Haushalt TV+

Unternehmen Rest

Haushalt PC+

70.000

50.000

30.000

10.000

60.000

40.000

20.000

02007

5.961

11.217

15.833

6.196

9.122

3.1073.329

2010

6.323

11.560

17.409

6.418

9.558

2.9473.329

2020

5.801

16.016

19.047

6.386

12.319

3.2143.329

Quelle: FhG-IZM und FhG-ISI

„+“ inkl. Peripheriegeräte

Page 12: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

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Die Tücke steckt oftmals im Detail. So verhält es sich auch mit der aktuellen Klimaforschung. Als En-

de September 2013 der neue Klimabe-richt der UNO vorgestellt wurde, hagelte es Kritik. Der UNO-Klimarat warnt darin eindringlich vor steigenden Meeresspie-geln, extremen Wetterkapriolen und der Verschiebung ganzer Klimazonen auf der Erde. Wieso aber seit 15 Jahren die Durchschnittstemperatur der Erdober-fläche nicht so stark ansteigt, wie von den Modellen vorhergesagt, erklärt er nicht. Offenbar berücksichtigen die der-zeitigen Klimamodelle noch nicht alle Details des Klimageschehens. Das be-stätigt auch Dr. Jörn Ungermann vom In-stitut für Energie- und Klimaforschung (IEK) des Forschungszentrums Jülich: „Der Klimawandel steht außer Zweifel. Es ist jedoch so, dass die bisherigen Mo-delle gewisse Defizite haben. Auch bei den Austauschprozessen zwischen der Troposphäre und der darüberliegenden Stratosphäre fehlen uns bislang präzise-re Daten.“

GEZIELTERBLICKDANKGLORIAAber genau in dieser Schicht, zwischen der trockenen und kalten Stratosphäre und der darunter liegenden feuchten und warmen Troposphäre, entscheidet sich das Schicksal unseres Klimas. Einerseits befeuern Treibhausgase wie CO2 oder Methan und Wasserdampf den Anstieg der Erdtemperatur. Andererseits wirken atmosphärische Aerosole wie ein Son-nenschirm und haben einen kühlenden Effekt. Was aber passiert, wenn die ver-schmutzte und feuchte Luft der Tropo-

sphäre in die trockene Stratosphäre hin-eingelangt? Welche chemischen Prozesse laufen dann ab und wie intensiv ist der Austausch überhaupt? Um genau diese Dynamik und die chemischen Prozesse in der Region besser zu verstehen, entwar-fen Forscher und Techniker aus Jülich und Karlsruhe ein einzigartiges Instru-ment: GLORIA.

GLORIA ist eine neuartige Infrarot-kamera, welche die von atmosphäri-schen Gasen und Aerosolen ausgesand-te Wärmestrahlung in Spektralfarben zerlegt. Dadurch können die Strömun-gen der Luft genauer als bisher abgebil-det werden. „In der Vertikalen erreichen wir eine sehr gute Auflösung von etwa 200 Metern“, erläutert Dr. Peter Preusse vom IEK. „Das wird derzeit nur von GLO-RIA erreicht“, ergänzt er. An Bord des

deutschen Forschungsflugzeugs HALO absolvierte das Gerät im Sommer und Herbst 2012 rund 88.000 Flugkilometer und sammelte dabei fast 30 Terabyte Da-ten.

Ganz besonders stolz sind die Jülicher Forscher auf ihre 3D-Datensätze. „Dank einer hervorragenden Flugplanung und vorausschauenden chemischen Wetter-modellierung ist es uns gelungen, zwei interessante Luftpakete in einem großen Sechseck zu umfliegen. Eins vor der Küs-te Norwegens und das andere an der Randzone des starken antarktischen Hö-henwindes, der dort stets den Pol um-kreist“, sagt Preusse. In dieser Region, so erklärt es der Forscher, gibt es Gebie-te mit enorm un terschiedlichen Windge-schwindigkeiten. Dadurch kommt es zu einer Mischung von troposphärischer

Forscher aus Jülich und Karlsruhe konnten nachweisen, dass dünne und lang gezogene Ausläufer extrem trockener Luft aus der Stratosphäre bis weit hinunter in die Troposphäre reichen. Diese Vorgänge werden in bisherigen Klimamodellen noch nicht berücksichtigt.

Erleichterung im Kontrollzentrum: GLORIA arbeitet auch während des 3D­Fluges zuverlässig (v.l.n.r.): Dr. Guido Maucher (KIT), Tobias Guggenmoser (FZJ), Hermann Oelhaf (KIT, stehend), Thomas Gulde (KIT), Axel Schönfeld (FZJ, Hintergrund), Felix Friedl­Vallon (KIT) und Dr. Peter Preusse (FZJ: Forschungszentrum Jülich, KIT: Karlsru­her Institut für Technologie)

Forschen in Jülich 4 | 2013

Page 13: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

FORSCHUNG IM ZENTRUM | Klimaforschung

und Klimaforschung des Karlsruher Insti-tuts für Technologie aus. Bis hier jedoch detaillierte Ergebnisse vorliegen, können nach Einschätzung des Forschers noch einige Monate vergehen. Gleichzeitig pla-nen die Teams aber schon den nächsten Einsatz von GLORIA: Ende 2015 und An-fang 2016 steht eine erneute Reise an Bord von HALO zu den Polar regionen auf dem Programm. Vorher wird es aber noch turbulent: Im Sommer 2015 geht es an Bord des russischen Stratosphären-fliegers GEOPHYSICA in Richtung Tropen: mitten hinein in den indischen Monsun. ::

Brigitte Stahl-Busse

Die Flugrouten der

Klimamesskampag-

nen 2012 reichten

vom Nordpolarkreis

über Spitzbergen rund

um Afrika bis hinunter

zur Antarktis. Insgesamt

absolvierte das For-

schungsflugzeug HALO

hierbei 126 Flugstunden

und legte 88.000 Kilo-

meter zurück.

und stratosphärischer Luft. „GLORIA wird dabei zum Tomografen und liefert 3D-Ansichten der umflogenen Luftmas-sen“, ergänzt er.

DATENSCHATZ ZU HEBENIn akribischer Detektivarbeit werten die Forscher diesen Datenschatz nun aus. Was für Kriminologen Fasern und DNA-Spuren sind, sind für Atmosphärenfor-scher zum Beispiel Salpetersäure oder Wasserdampf. Sie dienen als Marker, um stratosphärische und troposphärische Luftmassen voneinander zu unterschei-den. Salpetersäure (HNO3) wird als na-türliches Spurengas in der Stratosphäre gebildet und ist dort relativ stabil. In der Troposphäre hingegen kommt die Säure kaum vor, dafür gibt es dort viel Wasser-dampf. Extrem trockene Luftmasse mit einem hohen Anteil an Salpetersäure stammt folglich aus der Stratosphäre. Mit Hilfe von GLORIA konnten die For-scher nun viele sehr feine Filamente stra-tosphärischer Luft nachweisen, die bis sieben Kilometer über der Erdoberflä-che in die Troposphäre hinunter-reichten. Diese Filamente waren dabei weniger als einen Kilo-meter hoch und nur acht Ki-lometer breit. „Welche Struktur solche Filamen-

te in ihrer Längsrichtung haben, wird uns die 3D-Auswertung verraten“, sagt Peter Preusse. „Wir erwarten, dass wir mit Hil-fe der neuen GLORIA Daten den Masse-transport zwischen Troposphäre und Stratosphäre besser verstehen und ge-nauer bestimmen werden“, fügt er hinzu.

Bei der Auswertung konzentrieren sich die Jülicher Forscher darauf, wie sich Luftmassen bewegen und mischen. Die Karlsruher Kollegen analysieren die chemischen Verhältnisse in der Grenz-schicht zwischen Troposphäre und Stra-tosphäre. „Blausäure, Kohlenwasserstof-fe, Schwefeldioxid oder ein Spurengas mit dem Namen Peroxyacetylnitrat – bes-ser bekannt unter der Bezeichnung PAN – stehen zum Beispiel auf unserer Liste“, führt Dr. Michael Höpfner vom Insti-tut für Meteorologie

13

Die Flugrouten der

Klimamesskampag-gg

4 | 2013 Forschen in Jülich

Page 14: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

Forschen in Jülich 4 | 201314

Treibstoffe aus Biomasse haben ei-nen zwiespältigen Ruf. Den einen gelten sie als probate Lösung für

Energie- und Klimaprobleme. Denn Bio-masse ist gespeicherte Sonnenenergie: Aus Licht und Kohlendioxid produzieren Pflanzen bei der Fotosynthese organi-sches Material. Beim Verbrennen der da-raus gewonnen Kraftstoffe wird nur so viel vom Treibhausgas Kohlendioxid frei, wie die Pflanzen zuvor beim Wachstum verbraucht haben. Für das Klima also theoretisch ein Nullsummenspiel. Prak-tisch muss allerdings der Energiebedarf für Düngung, Transport und Verarbeitung der Pflanzen eingerechnet werden.

Andere weisen darauf hin, dass da, wo Energiepflanzen auf den Feldern wachsen, keine Nahrungsmittel erzeugt werden können. „Tank oder Teller“ heißt die Alternative. Angesichts von 840 Milli-onen Menschen, die hungern, und einer weiter wachsenden Weltbevölkerung ge-rät daher der Anbau von Mais für die Bioethanol-Produktion oder von Raps für die Erzeugung von Biodiesel zunehmend

in die Kritik. Jülicher Wissenschaftler prüfen mit elf Partnern aus Forschung und Industrie im Verbundprojekt AUF-WIND einen möglichen Ausweg aus die-sem Dilemma: Biomasse aus Mikroal-gen. Aus winzigen Algen, die bis zu 70 Prozent fette Öle enthalten, soll der Flugzeugtreibstoff Kerosin entstehen. Das Ziel: eine nachhaltige Energiequelle für die Luftfahrt. Das Bundesministeri-

um für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) fördert das Vorhaben, das ein Gesamtvolumen von 7,4 Millionen Euro hat, über zweieinhalb Jahre mit 5,75 Millionen Euro.

„Wir wollen auf nachhaltige Weise Bio-masse für Treibstoff produzieren, ohne dabei landwirtschaftliche Flächen zu ver-brauchen“, erläutert Dr. Andreas Müller vom Jülicher Institut für Bio- und Geowis-senschaften. Denn die Algen wachsen in durchsichtigen Schläuchen oder Röhren, sogenannten Fotobioreaktoren, die sich fast überall aufstellen lassen – sei es auf Industriebrachen oder auf anderen unge-nutzten Flächen. Auf vergleichsweise we-nig Raum können so große Mengen Algen heranwachsen. Denn zum einen vermeh-ren sich die winzigen Organismen sehr rasch und ihre Produktivität ist sieben- bis zehnmal so hoch wie die von Land-pflanzen. Zum anderen lassen sich die Wasserbehälter, in denen sie leben, in die Höhe bauen, so dass sich der Platz-bedarf gegenüber dem Anbau von Acker-pflanzen in Grenzen hält.

Dr. Andreas Müller untersucht, wie Mikroalgen am besten wachsen – und das nicht nur im Labormaßstab.

mitAlgenfliegenInmillionenvonJahrenistErdölausAlgenundanderenPflanzensowieweiterenmeeresorganismenentstanden.BeträchtlichschnellersollenmikroalgeninBioreaktorendieBasisfürTreibstoffliefern–unddamitnachhaltigFlugzeugeantreiben.Wiesichdastechnologischundwirtschaftlichoptimierenlässt,istKerndesVerbundprojektsAUFWIND,dasJülichkoordiniert.

Page 15: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

4 | 2013 Forschen in Jülich 15

FORSCHUNG IM ZENTRUM|Bioökonomie

Vorläufig werden die Behälter für die Algen jedoch auf dem Gelände des For-schungszentrums Jülich aufgebaut. Und zwar gleich drei verschiedene. „Unsere Aufgabe ist es herauszufinden, welche Bioreaktoren die besten Ergebnisse lie-fern“, erklärt Andreas Müller. Dafür ver-gleichen die Jülicher auf je 500 Quadrat-metern die Algenzuchtanlagen von drei kommerziellen Anbietern. „Es gibt zwar schon viele Publikationen von interes-sierter Seite, die die Herstellung von Treibstoff aus Mikroalgen beschreiben. Aber es fehlt ein unabhängiger Vergleich verschiedener Anlagen unter ökologi-schen und ökonomischen Aspekten“, hebt Müller hervor. „Als Forschungszent-rum sind wir prädestiniert für die Schiedsrichterrolle, denn uns kann es egal sein, welches System sich am Ende als das beste herausstellt.“

Auch darüber hinaus ist der Standort Jülich für einen solchen Test bestens ge-eignet. Hier gibt es ausreichend Fläche, alle nötigen Versorgungseinrichtungen und auch schon eigene Erfahrungen mit

der Algenzucht. In einem früheren Pro-jekt untersuchten Jülicher Forscher mit dem Energieversorger RWE, wie die CO2-Abgase eines Kraftwerks für die Produkti-on von Mikroalgen genutzt werden kön-nen.

KEROSINUNDVIELESmEHRBeim Projekt AUFWIND sind als Indus-triepartner unter anderem der Flug-zeugkonzern EADS und das internatio-nale Öl- und Gasunternehmen OMV beteiligt. Andreas Müller erläutert, war-um aus den Algen gerade Kerosin her-gestellt werden soll: „Im Luftverkehr gibt es zu flüssigen Treibstoffen mittel-fristig keine Alternative. Für Autos werden längst verschiedene Antriebe erprobt – etwa Elektromotoren oder Brennstoffzel-len. Aus Gewichts- und Sicherheitsgrün-den kommen die für Flugzeuge aber nicht in Betracht.“ Auch werden im internatio-nalen Luftverkehr Lösungen benötigt, die die vorhandene Infrastruktur nutzen kön-nen. Wenn Tankfahrzeuge am Flughafen künftig aus Algenöl statt aus Erdöl er-

zeugtes Kerosin in die Flugzeuge pumpen würden, wäre dafür keine große Umstel-lung erforderlich.

Ganz so weit ist es aber noch nicht. Es gab zwar schon erfolgreiche Probeflüge mit Algenöl im Tank. Aber bisher ist das nachwachsende Kerosin aus dem Bio-reaktor zu teuer. Konkurrenzfähig werden könnte der grüne Treibstoff, wenn die Erd-ölpreise weiter steigen. Oder wenn es ge-lingt, aus den Algen neben Kerosin weite-re attraktive Produkte zu gewinnen. Denn die kleinen grünen Zellen haben es in sich: Vitamine und Farbpigmente, Amino-säuren und Zucker stecken darin. „Denk-bar wäre die Gewinnung von Lebensmit-telzusatzstoffen und von hochwertigen Produkten für die Kosmetik- und Chemie-industrie“, erläutert Müller. Was dann noch übrig bliebe, könnte als Viehfutter Verwendung finden oder in Kraftwerken verbrannt werden. In Summe eine um-weltfreundliche und vielseitige Alternative zum Erdöl. ::

Dr. Wiebke Rögener

Jülicher Forscher vergleichen verschie-dene Fotobioreaktoren, in denen Algen heranwachsen. In einem solchen Reak-tor tropft die Nährlösung mit den Algen durch Siebe, so dass die Algen effektiv Licht und CO2 aus der Umgebungsluft aufnehmen können (großes Bild). In einem anderen Reaktor gedeihen die Algen in durchsichtigen Kunststoffmat-ten (kleines Bild).

Page 16: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

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Als weiße Punkte in einer grauen Fläche leuchten einzelne Atome auf dem Monitor vor dem Jülicher

Forscher Dr. Marc Heggen. Es sind Pla-tin- und Nickelatome. Sie sind zu Drei-ecken angeordnet und bilden einen knapp 10 Nanometer kleinen Oktaeder. Von oben betrachtet sieht er aus wie die Cheops-Pyramide.

Marc Heggen sitzt vor einem der hochauflösendsten Elektronenmikrosko-pe der Welt im Jülicher Ernst Ruska-Zen-trum für Mikroskopie und Spektroskopie mit Elektronen. Auf seinem Bildschirm betrachtet er einen der leistungsfähigs-ten Katalysatoren, der bisher für Brenn-stoffzellen entwickelt wurde.

Wissenschaftler wetteifern seit Jah-ren darum, effektive Katalysatoren für die Brennstoffzelle herzustellen. Die Gründe sind einfach: Die Brennstoffzelle erzeugt aus dem Energieträger Wasser-stoff elektrische Energie, indem dieser mit Sauerstoff reagiert. Dabei erzeugt sie keinen Abfall außer Wasser. In Elek-troautos könnte sie beispielsweise den

Noch teurer als Gold: Der hohe Preis von Platin verhindert die kommerzielle Nutzung der Brennstoff­zelle.

Akku ersetzen. Die Vorteile: Die Brenn-stoffzelle ist leichter als ein Akku. Sie würde es außerdem ermöglichen, die Elektroautos mit Wasserstoff zu betan-ken, was schneller und einfacher ist, als einen Akku aufzuladen.

Doch der Knackpunkt: Die Brenn-stoffzelle benötigt das teure Platin als Katalysator. „Erst das Platin in den Elek-troden bringt die Reaktion von Wasser-

stoff und Sauerstoff in Gang“, erklärt Heggen. Ohne Platin würde die Brenn-stoffzelle nicht funktionieren, und mit ihm ist sie zu teuer, um wettbewerbsfä-hig zu sein.

DIEGEOmETRIEENTSCHEIDETAus diesem Grund arbeiten Wissen-schaftler seit langem an Katalysatoren, die mit weniger Platin dieselbe Leistung

WiederTraumkatalysatorWirklichkeitwirdOhne Platin geht es nicht, doch mit ihm ist es zu teuer: Das Edelmetall ist als Katalysator das Herzstück jeder Brennstoffzelle. Eine Variante mit gleicher Effizienz bei weniger Platin entwickeln Berliner und Jülicher Forscher derzeit. Die ultrahoch-auflösende Elektronenmikroskopie unterstützt sie dabei.

Forschen in Jülich 4 | 2013

Page 17: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

17

FORSCHUNG IM ZENTRUM|materialforschung

bringen. Zum einen mischen sie dazu das Platin mit weniger edlen Metallen wie Nickel. Da die Katalyse an der Ober-fläche geschieht, wo die Atome ando-cken, sind möglichst kleine Nanopartikel besonders nützlich; sie besitzen bei glei-cher Masse eine größere Oberfläche. Auf diese Weise lässt sich zwar die nöti-ge Menge Platin verringern, doch weil kleine Partikel die Neigung haben, beim Gebrauch in der Brennstoffzelle zu ver-klumpen, reduziert dies die Lebenszeit der Katalysatoren.

Einen anderen aufregenden Vorschlag hat 2007 der chemische Physiker Sta-menkovic gemacht. Er hat gezeigt, dass eine Platin-Nickel-Legierung mit der kris-tallografischen Oberfläche eines Okta-eders in der Theorie 90-mal effektiver als bisherige Katalysatoren arbeiten würde. Heggen erklärt: „Wenige Nanometer gro-ße Platin-Nickel-Oktaeder, die während der Reaktion stabil bleiben, wären der absolute Traumkatalysator für Brenn-stoffzellen.“ Die Nano-Geometrie der Oberfläche ist entscheidend, um die Leistungsfähigkeit des Katalysators zu steigern.

Seit der serbische Forscher diesen idealen Katalysator beschrieben hat, versuchen Wissenschaftler aus aller Welt, ihn herzustellen. Auch Heggen und seine Projektpartner von der TU Berlin nehmen an diesem Rennen teil. Die

Blick ins kleinste Detail: Marc Heggen untersucht mit Hilfe des Elektronenmikroskops die atomare Struktur des Traumkatalysators für Brennstoffzellen.

Berliner Chemiker synthetisieren Platin- Nickel-Nanopartikel, Heggen untersucht diese unter den Elektronenmikroskopen und gibt ein „Mikrofeedback“, das den Berlinern hilft, die Nanopartikel-Kataly-satoren weiter zu verbessern.

Vor einigen Monaten gelang dem Team ein Durchbruch: „Wir haben einen Katalysator hergestellt, der zehnfach ef-fizienter als vergleichbare Platin-Nanop-artikel und damit einer der leistungs-stärksten Katalysatoren ist, die jemals entwickelt wurden“, erzählt Heggen. Al-lerdings sind noch einige Fragen offen: Haben die Partikel die richtige Oktaeder-form? Wie verteilen sich die Atome ge-nau? Und was geschieht mit ihnen, wäh-rend der Katalysator in Betrieb ist?

üBERRASCHENDESmUSTERENTDECKTDie Antworten auf solche Fragen sind ein wichtiger Schritt, um den Katalysa-tor weiter zu optimieren. Also legt Heg-gen die Nanopartikel unter die weltweit einzigartig genauen Mikroskope des Ernst Ruska-Centrums. Mittels der Ras-terelektronenmikroskopie sowie der Elektronenenergieverlust-Spektroskopie hat er extrem genaue Schnappschüsse angefertigt. Sie zeigen die Oktaeder Atom für Atom.

„Wir haben ein überraschendes Mus-ter entdeckt“, erzählt Heggen. „Die Ato-me sind nicht so gleichmäßig verteilt, wie wir angenommen haben. An den Kanten der Oktaeder hat sich viel Platin angelagert, während sich das Nickel auf den Flächen verteilt.“ Dies beeinträch-tigt sowohl die Aktivität als auch die Le-bensdauer des Katalysators. „Während des Betriebs lösen sich die Nickel-Ato-me, wodurch sich erst konkave Oberflä-chen bilden, bis schließlich nur noch ein Platin-Gerippe übrig bleibt. Weil dadurch die für die Reaktion wertvollen Okta-ederflächen verschwinden, verliert der Katalysator nach und nach an Aktivität“, erläutert Heggen. „Wir wissen nun, wie wir den Katalysator weiter verbessern können, und haben schon einige Ideen, um die Anlagerung von Nickel auf den Oktaederflächen zu verhindern.“

Dementsprechend wird der Physiker bald neue, optimierte Nanopartikel er-halten und diese mit dem Elektronenmi-kroskop untersuchen. Gut möglich, dass darunter dann ein Traumkatalysator ist, der künftig Elektroautos mit antreibt. ::

Christoph Mann

4 | 2013 Forschen in Jülich

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Forschen in Jülich 4 | 201318

Ein umfunktioniertes Hutband leis-tet an Ferdag Kocaers Arbeitsplatz seit Jahren hervorragende Dienste.

Die medizinisch-technische Assistentin (MTA) ist die Hirnschnittspezialistin im Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1). Bei ihr gehen die für die Forschung gespendeten Gehirne von Ver-storbenen ein, auf deren Basis die virtu-ellen Hirnmodelle wie etwa „BigBrain“ entstehen. Die MTA schneidet dafür das Gehirn nach einem mehrstufigen Präpa-rationsverfahren in über 7.400 hauch-

DigitalesPuzzlespielJülicher Forscher um Prof. Katrin Amunts sorgten mit dem weltweit einzigartigen Hirnmodell „BigBrain“ vor einigen Monaten international für Furore. Das virtuelle 3D-Modell, das gemeinsam mit kanadischen Kollegen entwickelt worden war, zoomt bis auf die Ebene von Nervenzellen ins menschliche Gehirn. Doch wie entsteht ein solches Hirnmodell? Überraschenderweise nicht nur durch Hightech, sondern auch durch eine Vielzahl handwerklicher Ideen und Arbeitsschritte.

Fingerfertigkeit, Geduld, Stehvermö-gen und vor allem Konzentration sind ge-fragt, wenn das Mikrotom in mehreren Tagen die 20 Mikrometer feinen Schnitte erstellt, die deutlich dünner sind, als der Durchmesser eines Haares. Probleme sind daher vorprogrammiert: „Die hauch-dünnen Schnitte rollen sich gern ein oder reißen vor allem an der Peripherie“, er-klärt Ferdag Kocaer. Die MTA streicht mit einem feinen Pinsel die Schnitte auf dem Fließband wieder glatt oder versucht, leicht gelöstes Gewebe an die ursprüngli-

dünne Scheiben zur weiteren wissen-schaftlichen Verwertung an einem so ge-nannten Mikrotom.

Wichtig ist hierbei, dass die Schnitte ganz gleichmäßig gemacht werden und ein Schnittband bilden. Vor Jahren bot al-lerdings kein medizinischer Geräteher-steller ein Mikrotom mit integriertem Fließband an. Kreativität vor Ort war ge-fragt. Eine Kollegin aus dem Düsseldorfer C. und O. Vogt-Institut für Hirnforschung hatte die zündende Idee: Sie nähte aus dehnbarem Hutband ein Fließband.

Dr. Sebastian Bludau (li.) und Hartmut Mohlberg

arbeiteten mehrere Jahre am virtuellen Hirnmodell

„BigBrain“.

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4 | 2013 Forschen in Jülich 19

FORSCHUNG IM ZENTRUM|Neurowissenschaften

che Position zu bringen. „An manchen Tagen brauche ich außerdem einen lan-gen Atem“, lacht die 37-jährige. Mit die-sem haucht sie „schwieriges“ Gewebe vor dem Schneiden an, um es anzufeuch-ten und damit Rissen vorzubeugen.

Wie bei allen Hirnmodellen wurde auch bei „BigBrain“ im Anschluss jeder einzelne der 7.400 Gewebeschnitte auf gläserne Objektträger gezogen und dann gefärbt. „Mit einem speziellen Verfahren werden die Zellkörper grau-schwarz ein-gefärbt. Damit sind sie im nächsten Ar-beitsschritt gut zu erkennen“, berichtet Ferdag Kocaer. Mit einem Flachbettscan-ner werden die Gewebeschnitte mit ei-ner Auflösung von 1.200 dpi als digitales Bild auf die Jülicher Rechner übertra-gen – der Schritt vom echten zum virtu-ellen Gewebe ist getan.

REPARATURENAmBILDSCHIRmDas gescannte Bild auf dem Rechner entspricht dem realen Gewebe – mit all seinen beim Schneiden entstandenen Rissen, Gewebeablösungen oder Verzer-rungen. Für das „BigBrain“-Team in Jülich und Montreal begann nun ein äußerst zeitintensives Reparieren am Rechner. „Um die Daten verwerten zu können, setzten wir uns mit mehreren mobilen Festplatten, auf denen sämtliche Daten der Hirnschnitte gespeichert waren, in ein Flugzeug und überquerten den Oze-an“, schmunzelt Hartmut Mohlberg. Aus heutiger Sicht kaum vorstellbar: „Sämtli-che Versuche, die Informationen übers Internet zu den Kollegen zu senden, wa-ren zuvor gescheitert. Die Datenmenge war einfach zu groß, und der persönliche

Kontakt, bei dem die Projekte dann im Detail besprochen werden, ist unglaublich wichtig“, berichtet der Diplom-Physiker.

Rund 30 Prozent aller 7.400 Hirn-schnitte, so schätzt Hartmut Mohlberg, mussten in mehrstündigen Sitzungen nachgearbeitet werden: „Um grobe Feh-ler zu beheben, beispielsweise komplett abgerissene Gewebeinseln wieder an-zuhängen, haben wir mit einer Art spezi-alisiertem Bildverarbeitungs-Programm gearbeitet“, berichtet er. Kleinere Gewe-befehler, etwa zarte Risse, ließen sich im Anschluss durch einen Referenzab-gleich mit benachbarten Hirnschnitten von einer speziellen Software erkennen und herausrechnen. Insgesamt erfor-derten allein die Reparaturarbeiten an den digitalen Abbildern der Hirnschnit-

te von „BigBrain“ etwa 260.000 Compu-terstunden.

Die Wissenschaftler rund um Alan C. Evans am Montrealer McConnell Brain Imaging Center waren und sind für die Jülicher gefragte Kooperationspartner. Die Kanadier hatten eine Software entwi-ckelt, mit der sämtliche 7.400 „BigBrain“-Hirnschnitte nach der Reparatur exakt „registriert“, das heißt präzise aneinan-der angepasst werden konnten. „Unsere kanadischen Kollegen sind einfach be-gnadete 3D-Puzzler“, bringt es Hartmut Mohlberg auf den Punkt.

„BIGBRAIN“ALSARBEITSWERKZEUGFür Wissenschaftler rund um den Globus ist das Hirnmodell kostenlos zugänglich. Die Datensätze liegen auf Höchstleis-tungsrechnern und können unter http://bigbrain.cbrain.mcgill.ca abgerufen wer-den. Wie viele Hirnforscher kommt auch der Jülicher Neurowissenschaftler Dr. Sebastian Bludau ins Schwärmen: „Mit ,BigBrain‘ haben wir weltweit erstmals ein vollständiges und realistisches 3D- Hirnmodell, in das wir auf die Ebene von 20 Mikrometer hinein zoomen können. So lassen sich nicht nur die Grenzen markanter Areale, wie die des visuellen oder primär motorischen Kortexes, er-kennen, sondern auch komplexere Hir-nareale mit feinen mikrostrukturellen Änderungen.“ Zum Beispiel das Brod-mann Areal 10 (BA 10), das Sebastian Bludau im Frontalpol exakt lokalisieren konnte. Es ist unter anderem an der Pla-nung zukünftiger Aktionen beteiligt. ::

Ilse Trautwein

Ferdag Kocaer schnitt das gespendete Postmortem­Gehirn für das BigBrain­Hirnmodell in über 7.400 hauchdünne Scheiben.

Die hauchdünnen Gewebeschnitte wurden einzeln gescannt und ihre digitalen Bilder an Rechnern grob zusammengesetzt (linker Bildschirm). Anschließend bearbeiteten die Forscher die digitalen Abbilder der beschädigten Hirnschnitte mit Hochleistungsrech-nern und spezieller Bildbearbeitungssoftware. Zuletzt fügten sie sämtliche Schnittbilder zum virtuellen Hirnmodell „BigBrain“ zu-sammen (rechter Bildschirm).

VomrealenHirnschnittzumvirtuellenHirnmodellBigBrain

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Forschen in Jülich 4 | 201320

Die CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) soll klimaschädli-ches Kohlendioxid (CO2) aus den

Abgasen von Kohlekraftwerken abtren-nen und unter der Erde speichern. Aber: „CCS hat ein negatives Image und wird in Deutschland nicht als Erfolgsmodell gehandelt“, sagt Dr. Wilhelm Kuckshin-richs vom Forschungszentrum Jülich. Er ist Mitautor und Herausgeber einer Stu-die, die CCS und die Perspektiven dieser Technik umfassend bewertet hat.

Dazu hatten die Wissenschaftler die Publikationen der letzten Jahre zu CCS gesichtet, Experten befragt und repräsen-tative Teile der Bevölkerung interviewt. Beteiligt waren Ingenieure, Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaftler aus Jü-lich sowie von der RWTH Aachen und dem Helmholtz-Zentrum Potsdam, dem Deutschen GeoForschungsZentrum.

KOHLENDIOxIDLAGERUNERWüNSCHTDas Ergebnis: Neben der gesellschaftli-chen Akzeptanz sind auch Kosteneffizi-enz und Wirtschaftlichkeit umstrittene Faktoren. Das sind aber gerade die Punk-te, die aus Sicht der Experten am wich-tigsten für den Erfolg der Technik sind.

„In der Bevölkerung stößt vor allem die unterirdische Lagerung auf wenig Gegenliebe, und die Politik reagiert dar-auf“, sagt Kuckshinrichs. Als Beispiel führt er Schleswig-Holstein an: Dort soll-te bis zum Jahr 2015 ein Kohlendioxid-Endlager entstehen. Aber nach vehe-menten Bürgerprotesten kippte der Landtag das Projekt. Viele Menschen sehen unterirdische Kohlendioxidlager als ein unbeherrschbares Risiko: Sie be-fürchten, dass das Gas austreten und zu Erstickungen führen könnte. Wissen-schaftler schätzen das anders ein: „Das Gefahrenpotenzial ist relativ gering“, sagt Kuckshinrichs. „Vorausgesetzt, alle technischen und geologischen Voraus-

TechnologiemitZukunft?Erstmals haben Wissenschaftler alle Aspekte der Abscheidung und Lagerung des Klimagases CO2 unter die Lupe genommen. Ihr Resümee: Die Technik wird es in Deutschland schwer haben.

setzungen sowie alle Sicherheitsvorkeh-rungen werden beachtet.“ Er fügt hinzu, dass ein Restrisiko natürlich nicht auszu-schließen sei, „das gilt aber auch für vie-le andere heutige Techniken“.

Dass die Wirtschaftlichkeit des CCS viele Minuspunkte bekam, liegt einfach daran: Kohlendioxid abzutrennen kostet viel Geld. Investitionen in Kraftwerke mit CO2-Abscheidung sind der Studie nach um bis zu 70 Prozent höher als bei kon-ventionellen Kraftwerken. Vor allem sinkt der Wirkungsgrad, also die Menge des Stroms die aus einer bestimmten Menge Kohle erzeugt wird: Insbesondere die Ab-scheidung, aber auch der Transport und die Einlagerung von Kohlendioxid (ver)brauchen Energie − und die geht von dem im Kraftwerk erzeugten Strom ab. Der Wirkungsgrad des Kraftwerks verrin-gert sich durch die Abscheidung bei-spielsweise von 42 auf 34 Prozent.

Die höheren Kosten müsste ein Kraft-werk durch den Emissionshandel wieder hereinholen. Derzeit gilt: Eine Tonne ein-gespartes Kohlendioxid ist rund 3 Euro wert. Damit sich der Umstieg auf CCS lohnt, müsste der CO2-Preis aber bei et-

wa 40 bis 50 Euro liegen, haben die For-scher ermittelt.

Kuckshinrichs ist zwar optimistisch, dass es in Zukunft gelingt, die Wirkungs-gradeinbußen durch technische Entwick-lungen zu verringern. Etwa durch Mem-branen, an denen auch das Forschungs- zentrum Jülich forscht; sie sollen das Treibhausgas effizient und energiespa-rend abtrennen. Allerdings: Sinken wird der Wirkungsgrad eines Kraftwerks durch CCS immer.

KEINEGENERELLEABSAGETrotz aller Widrigkeiten sehen die Wis-senschaftler für CCS eine Zukunft − wenn auch nicht unbedingt in Deutsch-land. Zwar hat Deutschland 2012 ein CCS-Gesetz eingeführt, das es erlaubt, bis zu 4 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr unterirdisch zu speichern. Somit ermög-licht das Gesetz die weitere Erforschung der Technik. „Aber auf dieser Basis dür-fen wir keine großen Investitionen erwar-ten, vor allem nicht in größere Demons-trationsanlagen“, sagt Kuckshinrichs. Dafür sei die genehmigte Speichermen-ge viel zu gering. Demonstrationsanla-gen seien aber eine Voraussetzung, da-mit sich die Technik bis zur Marktreife entwickeln könne.

Andere Länder hingegen könnten schon bald auf die Technik angewiesen sein. „Der weltweite Bedarf gerade an Kohlekraftwerken wächst stetig, insbe-sondere in Ländern wie China und Indi-en. Deren Ausbaustrategie kann nur mit der geforderten CO2-Reduktion einher-gehen, wenn CCS kommt“, erklärt Kuckshinrichs. Und er fügt hinzu: „Wenn wir in Deutschland die Aktivitäten zu-rückfahren, wird deshalb nicht auch der Rest der Welt die Entwicklung von CCS einschränken.“ ::

Brigitte Osterath

Dr. Wilhelm Kuckshinrichs ist Mitautor und Herausgeber einer Studie zur Akzep­tanz der CO2 ­Lagerung.

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4 | 2013  Forschen in Jülich 21

FORSCHUNG IM ZENTRUM|Energiepolitik

Kraftwerk

Elektrizität

Kohle

-Transport

DieCCS-TechnikCCS (Carbon Capture and Storage) bedeu-tet frei übersetzt: Kohlenstoff einfangen und speichern. In Kraftwerken entstehen-des Kohlendioxid soll dabei nicht in die Atmosphäre gelangen, sondern aus dem Abgas abgetrennt werden. Dann wird es über Pipelines zu unterirdischen Lager-stätten transportiert.

Für die Abtrennung kommen drei verschie-dene Verfahren infrage:

Pre-combustionDurch Kohlevergasung – der Reaktion von Kohle mit Wasserdampf – entstehen Wasserstoff und Kohlendioxid. Wasser-stoff wird verbrannt, Kohlendioxid wird abgetrennt.

Oxy-fuelcombustionKohle verbrennt mit reinem Sauerstoff, und das dabei entstehende Kohlendioxid lässt sich relativ leicht verdichten und abtransportieren.

Post-combustionCO2 wird aus dem Abgas des Kraftwerks abgeschieden.

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22 Forschen in Jülich 4 | 2013

SovielNeugier!Am letzten Sonntag im September war es so weit: Das Forschungszentrum Jülich öffnete seine Tore für Besucher. Von 10 bis 17 Uhr konnten große und kleine Gäste gucken, fragen oder selbst experimen-tieren. Supercomputer, Teilchenbeschleuniger, At-mosphärensimulationskammer und virtuelles Ge-hirn zählten zu den insgesamt 260 Präsentationen, davon rund 100 Mitmachaktionen. Passend zum diesjährigen Motto „Zukunftscampus“ pflanzten Baumpaten 40 Apfelbäume.

Mehr als

300Tweets zu Highlightsaus der Forschung

20.000Besucher zog es bei

strahlendem Sonnenschein ins Forschungszentrum

310von Kindern gebaute

kartesische Taucher zurDruckmessung in

Flüssigkeiten

Über

1.000Mitarbeiter im

Einsatz

Page 23: Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

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SCHLUSSPUNKT

ImPRESSUm

ForscheninJülich Magazin des For-schungszentrums Jülich, ISSN 1433-7371 Herausgeber: Forschungs-zentrum Jülich GmbH | 52425 Jülich KonzeptionundRedaktion: Annette Stettien, Dr. Barbara Schunk, Dr. Anne Rother (V.i.S.d.P.) Autoren: Dr. Frank Frick, Christian Hohlfeld, Christoph Mann, Brigitte Osterath, Dr. Wiebke Rögener, Tobias Schlößer, Dr. Barbara Schunk, Brigitte Stahl-Busse, Ilse Trautwein, Angela Wenzik GrafikundLayout: SeitenPlan GmbH, Corporate Publishing, Dortmund Bild-nachweis:Forschungszentrum Jülich (1, 2, 3 re., 4, 5 u., 6-7, 8, 10 li., 14 u., 17 o., 18, 19 o. re. und li., 19 u., 20, 22 o.); Forschungszentrum Jülich/Pössinger (1, 3 li., 8 o., 10 li., 9 und 10 techn. Zeichnung); Forschungs-zentrum Jülich/Ludwig Koerfer (22 o. und u. li.); Forschungszentrum Jülich/Kurt Steinhausen (23 m. re. und u.); DLR (CC-BY 3.0) (13 Flugzeug); Benja-min Wolf, EMPA (5 o.); HORIZON PBR IGV GmbH/IGV Biotech (14-15 großes Motiv); kurhan/Shutterstock.com (4 u.); Boguslaw Mazur/Shutter- stock.com (13); Phytolutions GmbH (15 o. klein); ppart/Shutterstock.com(16-17 u.); Dr. Peter Preusse (12); privat (9 re.); BorisShevchuk/Shutter-stock.com (19 Monitor/PC); Bernd Struckmeyer (21); Peter Winandy (9); www.novagreen-microalgae.com (3 m.); Elemente für Composing Titel u. Schwerpunkt: bioraven, Boris-Shevchuk, phipatbig, VoodooDot (alle Bilder Shutterstock.com) (1, 3, 2, 6-7, 8-9,10-11) Kontakt: Geschäftsbereich Unternehmenskommunikation | Tel.: 02461 61-4661 | Fax: 02461 61-4666 | E-Mail: [email protected] Druck: Schloemer Gruppe GmbH Auflage:6.000.

4 | 2013 Forschen in Jülich

Print kompensiertId-Nr. 1334084

www.bvdm-online.de

300gefahreneSegway- Kilometer

260Präsentationen zu

Wissenschafts- undForschungsthemen

50teilnehmendeInstitute und

Organisations-einheiten

100Mitmach- aktionen

Mehr als

1.000Teilnehmer an derForschungsrallye

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