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FRIEDRICH-ALEXANDER UNIVERSITÄT NÜRNBERG-ERLANGEN THEOLOGISCHE FAKULTÄT ERLANGEN David Chytraeus (1530-1600) als Erforscher und Wiederentdecker der Ostkirchen Seine Beziehungen zu orthodoxen Theologen, seine Erforschungen der Ostkirchen und seine ostkirchlichen Kenntnisse Dissertation von Daniel Benga E R L A N G E N 2 0 0 1

David Chytraeus (1530-1600) als Erforscher und ...David+Chytraeus... · 2 Siehe: Gabriel Liiceanu, Despre limită, 24 ff. 3 Warum werden aber diese Elemente als intim und fremd in

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FRIEDRICH-ALEXANDER UNIVERSITÄT NÜRNBERG-ERLANGEN

THEOLOGISCHE FAKULTÄT ERLANGEN

David Chytraeus (1530-1600) als Erforscher

und Wiederentdecker der Ostkirchen

Seine Beziehungen zu orthodoxen Theologen, seine Erforschungen der Ostkirchen und seine ostkirchlichen Kenntnisse

Dissertation von Daniel Benga

E R L A N G E N

2 0 0 1

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Tag der mündlichen Prüfung: 10.12.2001 Vorsitzender der Promotionskommission: Prof. Dr. Walter Sparn Erstgutachter: Prof. Dr. Karl Christian Felmy Zweitgutachter: Prof. Dr. Berndt Hamm

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David Chytraeus (1530-1600) als Erforscher und Wiederentdecker der Ostkirchen

Seine Beziehungen zu orthodoxen Theologen, seine Erforschungen der

Ostkirchen und seine ostkirchlichen Kenntnisse

1 Einführung.................................................................................... 10

1.1 Eingrenzung der Thematik ........................................................ 10

1.2 Forschungsüberblick .................................................................. 14

2 Der Kenntnisstand über die Ostkirchen zu Beginn der Reformation und die Beziehungen der Reformatoren zu Orthodoxen vor David Chytraeus............................................... 19

2.1 Der Kenntnisstand Luthers über die Ostkirche....................... 19

2.1.1 Einleitende Vorbemerkungen..........................................................19

2.1.2 Luthers Kenntnisstand über den zeitgenössischen

orthodoxen Osten..............................................................................21

2.1.3 Die Leipziger Disputation als Quelle für die Kenntnisse und

die Stellung Luthers zur Orthodoxie ..............................................23

2.1.4 Luther zur Tradition der alten Kirche ...........................................25

2.1.5 Andere Aspekte seiner reformatorischen Theologie in Bezug

auf die orthodoxe Kirche..................................................................28

2.1.6 Persönliche Beziehungen Luthers zu einem Orthodoxen? ...........30

2.1.7 Zusammenfassung ............................................................................31

2.2 Die Kenntnisse Melanchthons über die Orthodoxie und

seine Beziehungen zu orthodoxen Theologen........................... 34

2.2.1 Melanchthon und der Geist des Humanismus im Luthertum......34

2.2.2 Melanchthon vor der Tradition der alten Kirche: Die

östlichen Kirchenväter, die altkirchlichen

Glaubensbekenntnisse und die ökumenischen Konzilien..............36

2.2.3 Die Kenntnis von Lehren und Praktiken der orthodoxen

Kirche .................................................................................................40

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2.2.4 Die Beziehungen Melanchthons zu den Orthodoxen als

Quellen für seine ostkirchlichen Kenntnisse ..................................42

2.2.5 Zusammenfassung ............................................................................50

2.3 Primus Truber und die erste Beschreibung der

Ostkirchen durch einen Reformator......................................... 52

2.3.1 Primus Truber und die südslawische Druckerei in Urach ...........52

2.3.2 Die erste Beschreibung des liturgischen Lebens der

Ostkirche durch einen Reformator: die Beschreibung des

Primus Trubers (1562) .....................................................................56

2.3.2.1 Die Entstehung und der Grund dieser Beschreibung ..............57

2.3.2.2 Die Quellen Trubers für die Redaktion der Beschreibung......59

2.3.2.3 Trubers Beschreibung des liturgischen Lebens der

südslawischen Ostkirchen .......................................................62

2.3.3 Die Bewertung dieser ersten Beschreibung der Ostkirche ...........69

3 Kurze Einführung in das Leben und das historische Werk des David Chytraeus ................................................................... 72

3.1 Das Leben des Humanisten und des lutherischen

Theologen David Chytraeus....................................................... 72

3.2 Die irenische Einstellung von Chytraeus und sein

Verständnis vom Theologiestudium.......................................... 77

3.3 Die historische Lehrtätigkeit und das historische Werk

des David Chytraeus ................................................................... 79

4 Chytraeus’ Österreich- und Ungarnreise. Die äußeren Umstände, die seine Aufmerksamkeit auf die östlich-orthodoxe Kirche gelenkt haben ................................................ 86

4.1 Die Berufung des Chytraeus nach Österreich und seine

Österreich- und Ungarnreise (1568-1569) ................................ 86

4.2 Die persönliche Begegnung mit den Griechen Jacobos

Paleologos und Michael von Thessaloniki ................................ 92

5 Oratio Davidis Chytraei de Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Africa, etc. - 1569 ........................... 101

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5.1 Einleitendes................................................................................ 101

5.2 Die von Chytraeus benutzten Quellen für die Redaktion

seiner „Oratio“ .......................................................................... 104

5.2.1 Die mündlichen Quellen .................................................................104

5.2.2 Die schriftlichen Quellen und ihre Funktion................................107

5.3 Die verschiedenen Auflagen der „Oratio“, die

Unterschiede zwischen ihnen und die Beifügung eines

Anhangs...................................................................................... 111

5.4 Darstellung und Analyse der „Oratio Davidis Chytraei

de Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia,

Africa“........................................................................................ 115

5.4.1 Die Einleitung der Rede über die Ostkirchen ..............................115

5.4.2 Die Beschreibung der Lage der orthodoxen Patriarchate ..........118

5.4.2.1 Das Patriarchat von Konstantinopel......................................119

5.4.2.2 Das Patriarchat von Antiochien ............................................124

5.4.2.3 Das Patriarchat von Jerusalem ..............................................126

5.4.2.4 Das Patriarchat von Alexandrien ..........................................129

5.4.3 Die Darstellung der Kirche der Georgier .....................................131

5.4.4 Die Darstellung der altorientalischen Kirchen aus Asien und

Afrika ...............................................................................................132

5.4.4.1 Die Kirche der Armenier.......................................................132

5.4.4.2 Die Kirchen der Nestorianer und der Maroniten ..................136

5.4.4.3 Die Kirchen der Jakobiten und der Kopten...........................138

5.4.4.4 Die Kirche der Äthiopier.......................................................140

5.4.5 Der Kenntnisstand und die Stellung des Chytraeus zu

Lehren, Kultus und Frömmigkeit der byzantinischen

Kirchen ............................................................................................145

5.4.6 Die Beschreibung der Lage der Christen unter der

türkischen Herrschaft.....................................................................155

5.5 Die Bewertung der Rede des Chytraeus über die

Ostkirchen.................................................................................. 159

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6 Der Anhang der Oratio als Informationsquelle für die Forschungen, die Kenntnisse und die Veröffentlichungen des David Chytraeus im Hinblick auf die Ostkirchen............. 163

6.1 David Chytraeus zwischen Tübingen und Byzanz ................ 170

6.1.1 Die Weitererforschung der griechischen Kirche durch David

Chytraeus dank der Beziehungen zwischen den Tübinger

Theologen und dem Ökumenischen Patriarchen Jeremias II.

(1573-1581) und die Veröffentlichung mehrerer Briefe aus

dieser Korrespondenz.....................................................................170

6.1.2 Der Briefwechsel zwischen David Chytraeus und dem

Patriarchen Ieremias II. .................................................................177

6.2 Wenzeslaus Budowitz von Budowa als Beauftragter des

David Chytraeus mit der Weitererforschung der

Ostkirchen.................................................................................. 182

6.2.1 Die an Chytraeus geschickten Berichte des Wenzeslaus

Budowitz über die Lehre und den Zustand der

orientalischen Kirchen ...................................................................184

6.2.2 Die Mitteilungen des Budowetz über seine Beteiligung bei

der Übersetzung der Confessio Augustana Graeca in die

georgische Sprache und über die Kirche der Georgier...............191

6.3 Franziskus von Billerbeg als direkter Mittelsmann des

David Chytraeus zum griechischen Osten.............................. 195

6.3.1 Die Berichte des Franziskus Billerbeg an David Chytraeus

über die Lage der wichtigsten Stätten der östlichen

Christenheit .....................................................................................197

6.3.2 Billerbegs Vermittlung eines Briefwechsels zwischen David

Chytraeus und dem alexandrinischen Protosyncellos

Meletios Pegas .................................................................................201

6.3.3 Die Sendung einer Abschrift des Glaubensbekenntnisses des

Patriarchen Gennadios Scholarios von Konstantinopel nach

Rostock.............................................................................................207

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6.4 Paul Oderborn als Schüler und Beauftragter des

Chytraeus mit der Erforschung der russischen Religion

und die Veröffentlichung seines Berichtes über die

Religion der Russen und Ruthenen......................................... 215

6.5 Die Veröffentlichung des Briefes der

konstantinopolitanischen Kirche an die Hussiten aus

dem Jahr 1452 ........................................................................... 226

6.6 Die Veröffentlichung einer durch ihn bearbeiteten

Fassung der in Lissabon 1534 abgefaßten äthiopischen

Glaubensdarstellung ................................................................. 234

6.7 Die Veröffentlichung zweier Schreiben vom Berg Sinai

aus den Jahren 1561 und 1569 durch David Chytraeus ....... 241

7 Die Auseinandersetzung um die chytraeische Rede über die Ostkirchen zwischen Possevinus und Chytraeus als Quelle für die Ergänzung des Bildes vom Rostocker Ostkirchenkundler ..................................................................... 247

7.1 Der kirchenpolitische Hintergrund......................................... 250

7.2 Die Anfänge und die erste Streitschrift des Possevinus ........ 253

7.3 Die Antwort des Chytraeus auf die Angriffe der Oratio

durch Possevinus und Mylonius als Quelle für die

Ergänzung seines Bildes als Ostkirchenkundler.................... 267

8 Schlußfolgerungen: die Bedeutung der chytraeischen ostkirchlichen Veröffentlichungen........................................... 285

Abkürzungsverzeichnis für verwendete Zeitschriften ................ 291

LITERATUR ..................................................................................... 294

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David Chytraeus (1530-1600) als Erforscher und

Wiederentdecker der Ostkirchen

Seine Beziehungen zu orthodoxen Theologen, seine Erforschungen und

Veröffentlichungen zu den Ostkirchen und seine ostkirchlichen Kenntnisse

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1 Einführung

Die Begegnung zwischen Orthodoxie und Luthertum im 16. Jahrhundert bildet „ein

beachtenswertes Kapitel der allgemeinen Kirchen-, Geistes- und Kulturgeschichte“ in

Europa.1 Es geht hier um zwei seit langer Zeit getrennte und kirchengeschichtlich ganz

verschieden entwickelte Welten, Identitäten und theologische Kulturen, die sich damals

bemühten, um das gemeinsam Verbliebene wieder zu entdecken.

Eine Reihe von Elementen, die wesentlich für unsere Identität sind und uns in derselben

Zeit Grenzen setzen, sind uns vor unserer freien Auswahl gegeben: die somatische Erbe,

die mentale Erbe, die Vorfahren, die Rase, die Nation, das Land, die Epoche, die Sprache,

die Religion usw.2 Sie bilden die Elemente des intim-fremden Hintergrundes bei allen

Menschen.3

Die Begegnung zwischen den Menschen, die verschiedenen theologischen Kulturen und

Konfessionen angehören, erfolgt in den Begrenzungen des menschlichen intim-fremden

Hintergrundes. Aus dieser Perspektive werden wir auch die Begegnung zwischen der

Reformation und Orthodoxie am Beispiel des David Chytraeus betrachten. Letztlich ist die

Begegnung zwischen Orthodoxie und Luthertum nicht eine abstrakte Begegnung, sondern

eine ganz konkrete zwischen ganz bestimmt theologisch geprägten Personen, die dem

Luthertum bzw. der Orthodoxie angehören.4

1.1 Eingrenzung der Thematik

Die Geschichte der Reformation und der nachreformatorischen Zeit war gleichzeitig auch

eine Begegnung zwischen der Reformation und den Kirchen des Ostens und nicht nur eine

Auseinandersetzung mit Rom. Bei der Auseinandersetzung mit Rom wurde von Anfang an

auch die Ostkirche herangezogen. Nachdem Martin Luther auf der Leipziger Disputation 1 Oskar Wagner, Reformation und Orthodoxie, 21. 2 Siehe: Gabriel Liiceanu, Despre limită, 24 ff. 3 Warum werden aber diese Elemente als intim und fremd in derselben Zeit bezeichnet? Der intime

Hintergrund, weil alle diese Elemente wesentlich unser Wesen bestimmen und unsere Identität prägen. Der fremde Hintergrund, weil die obengenannten Koordinaten uns vor unserer freien Auswahl gegeben wurden. So erscheinen wir auf der Welt in verschiedenen Epochen, Regionen, Religionen und Kulturen.

4 Die Begegnung erfolgte in den Grenzen, die jeder Mensch von Anfang an und von seiner Entwicklung her bekommt. Es gibt keine Menschen, die nicht ihre Grenzen haben und in ihren Grenzen handeln. Darüber schrieb Harnack: „Ein Mensch sein heißt erstlich, eine so und so bestimmte und damit begrenzte und beschränkte geistige Anlage besitzen, und zweites, mit dieser Anlage in einem wiederum begrenzten und beschränkten geschichtlichen Zusammenhang stehen. Darüber hinaus gibt es keine „Menschen.“ Hieraus folgt aber unmittelbar, daß nichts, schlechterdings nichts, von einem Menschen gedacht, gesprochen und

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1519 entschieden die Aufmerksamkeit der Abendländer auf die Ostkirche gelenkt hatte,

versuchten einige von seinen Nachfolgern, unter denen Philipp Melanchthon und David

Chytraeus an erster Stelle zu nennen sind, diese alte sich damals unter der türkischen

Herrschaft befindende Kirche weiter und besser zu erforschen und kennenzulernen.

Durch seine ostkirchlichen Erforschungen führte der Rostocker die lutherische und

melanchthonische Tradition so weit, daß er aufgrund der großen Fortschritte in der

Kenntnis der Lage und der Lehre dieser Kirchen zu seiner Zeit im deutschen

protestantischen Raum und dank der öffentlichen Vermittlung dieser Kenntnisse durch

seine ostkirchlichen Veröffentlichungen als „der Begründer einer protestantischen

Ostkirchenkunde“ bezeichnet werden konnte.5

Es hat im Jahrhundert der Reformation Begegnungen und Auseinandersetzungen von

reformatorischen und orthodoxen Christen im täglichen, leibhaftigen Miteinander gegeben

sowie auch eine Begegnung und eine Auseinandersetzung mehr akademischer,

literarischer, humanistischer Art über die europäischen und sogar asiatischen Räume

hinweg.6

In diese akademische, literarische und humanistische Form der Begegnung und der

Auseinandersetzung zwischen der Orthodoxie und dem Luthertum des 16. Jahrhunderts

gliedert sich auch David Chytraeus ein.7 Das Interesse der Reformatoren, ihrer Schüler und

Nachfolger in Westeuropa an dem Kirchentum des Ostens ist vielfach mit humanistischem

Gedankengut, der Liebe zum altem Griechentum und der Pflege der griechischen Sprache

verbunden.8 So vermochten auch im Fall des Rostocker Theologieprofessors David

Chytraeus theologische und humanistische Interesse einander zu befruchten.

gethan werden kann ohne die Koeffizienten seiner eigentümlichen Anlage und Zeit.“ Adolf Harnack, Das Wesen des Christentums, 8.

5 Thomas Kaufmann, David Chyträus, 377-378. 6 Vgl. Wilhelm Kahle, Vorahnung der Ökumene, 309. 7 Ein Überblick über alle bis heute bekannten Beziehungen zwischen Orthodoxie und Protestantismus im 16.

Jahrhundert bei: Oskar Wagner, Reformation und Orthodoxie, 18-61. Ein Überblick über die Beziehungen zwischen Orthodoxie und Protestantismus von den Versuchen der Hussiten, eine kirchliche Union mit Byzanz zu schaffen, bis ins 18. Jahrhundert bei: Gunnar Hering, Orthodoxie und Protestantismus, 823-874. Die Berührung der Reformationskirchen mit den Kirchen der Orthodoxie umfaßt eine ganze Fülle von Möglichkeiten interkonfessioneller und auch ökumenischer Kontakte, sogar bis hin zu der ernsthaft gestellten Frage, ob die anderen überhaupt Christen seien. Vgl. Hans-Dieter Döpmann, Das Verhältnis Luthers, 321. Eine vollständige Untersuchung über die Beziehungen zwischen Orthodoxie und Luthertum im 16. Jahrhundert ist noch nicht geschrieben worden, und es ist fast unmöglich eine solche zu verfassen. Zur Vollständigkeit würde jede Begegnung einzelner und für uns namenloser orthodoxer und evangelischer Christen gehören, die irgendwo und irgendwie je erfolgt ist. Außerdem muß man immer die Tatsache in Betracht ziehen, so wie die Reformationsgeschichte in eine Fülle politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Fakten eingegliedert ist, so ist auch die Begegnung der reformatorischen Kirchen mit dem Christentum des Ostens sehr vielschichtig. Vgl. Wilhelm Kahle, Vorahnung der Ökumene, 309-310.

8 Vgl. Wilhelm Kahle, Vorahnung der Ökumene, 310.

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Das Ziel dieser Arbeit ist, die Tätigkeit des David Chytraeus als Ostkirchenkundler, als

Erforscher und Wiederentdecker des orthodoxen Orients für das Abendland vorzustellen.

Sie will dadurch einen Beitrag zur besseren Kenntnis des kirchengeschichtlichen und

ökumenischen Wirkens des Rostocker Theologieprofessors in Bezug auf die Ostkirchen

sein.

Nach einem einführenden Kapitel, in dem der Kenntnisstand über die Ostkirchen zu

Beginn der Reformation und die Beziehungen Martin Luthers, Philipp Melanchthons und

Primus Trubers zu Orthodoxen vor 1569 vorgestellt werden, folgt die Schilderung der

Tätigkeit des Chytraeus als Ostkirchenkundler. Dabei werden seine Beziehungen zu

orthodoxen Theologen, seine ostkirchlichen Kenntnisse, seine Erforschungen der

orthodoxen und altorientalischen Kirchen des Morgenlandes und seine Veröffentlichungen

in Bezug auf diese Kirchen im Zentrum unserer Untersuchung stehen.

Nachdem im dritten Kapitel die inneren Voraussetzungen, die zur Beschäftigung des

Chytraeus mit den östlich-orthodoxen Kirchen führten, vorgestellt worden sind, werden im

vierten Kapitel die äußeren Umstände, die sein Interesse für diese Kirchen weckten,

geschildert.

Im Kapitel fünf wird seine Rede aus dem Jahre 1569 über den damaligen Zustand der

Kirchen in Griechenland, Asien und Afrika ausgewertet und kritisch analysiert. Diese

Rede, die schon im 16. Jahrhundert in mehreren Auflagen und in verschiedenen Städten

gedruckt wurde, ist ein einzigartiges Werk hinsichtlich der Beziehungen der deutschen

Reformatoren zu den Ostkirchen, das bis heute fast unbeachtet geblieben ist.9 Es geht in

dieser chytraeischen „Oratio“ nicht um irgendein Büchlein über die Ostkirchen, sondern

um das wichtigste Büchlein, das (so klein es auch war) die Darstellung der orthodoxen

Kirchen im protestantischen geographischen Raum des 16. Jahrhunderts betrifft. Ebenso

handelt es sich hier nicht um irgendeinen protestantischen Ostkirchenkundler, sondern um

den protestantischen Ostkirchenkundler des 16. Jahrhunderts schlechthin, den einzigen, der

ein eigenes systematisches Buch über den Zustand und die Lehre der Ostkirchen

geschrieben hat.10

9 Zum Stand der Forschung siehe Kap. 1.2. 10 Sogar die Veröffentlichung der Turcograecia des Martin Crusius ist eine Reaktion auf die

Veröffentlichungen des Rostockers, dessen Ziel der Tübinger auch in Entsprechung zur chytraeischen Rede bestimmte. Vgl. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 360. Die Turcograecia des Crusius übertrifft, was den Umfang betrifft, die Oratio von Chytraeus mit dem Anhang, aber dennoch handelte es sich bei Crusius um eine Editionstätigkeit, auch wenn er seinen eigenen Kommentar hinzufügte. Außerdem veröffentlichte Chytraeus seine erste Ausgabe der Oratio 15 Jahre vor der Erscheinung der Turcograecia.

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13

Das sechste Kapitel ist der Untersuchung der Erforschungen und der Darstellung der

Veröffentlichungen des David Chytraeus im Hinblick auf Lehre und Lage der orthodoxen

und der altorientalischen Kirchen im 16. Jahrhundert gewidmet. Dabei werden alle

wichtigen Dokumente, die in mehreren Jahren als Anhang zur „Oratio“ oder als

Flugschriften durch David Chytraeus veröffentlicht wurden, untersucht. Das Büchlein von

1569 wurde mit der Beifügung des ständig erweiterten Anhangs zu einem richtigen Buch

von 271 Seiten in der Ausgabe des Jahres 1583.

In einem siebten Kapitel wird die Auseinandersetzung zwischen David Chytraeus und dem

Jesuiten Antonius Possevinus um die chytraeische Rede in Bezug auf die Ostkirchen als

Quelle für die Ergänzung des Bildes des Rostocker Ostkirchenkundlers und für seine

Stellung zu den Ostkirchen vorgestellt.

Die Fragestellungen, die in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die Tätigkeit des David

Chytraeus als Ostkirchenkundler die Untersuchung beherrschen, sind die folgenden: Was

wußte der Rostocker und wie richtig waren seine Informationen über die Ostkirchen? Wie

erwarb er seine ostkirchlichen Kenntnisse? Was hat er dem Abendland an ostkirchlichen

Informationen vermittelt und wie hat er das gemacht? Was für eine Stellung gegenüber den

Ostkirchen hatte Chytraeus? Wie sind seine Stellung gegenüber den Ostkirchen und seine

Kenntnisse über diese Kirchen im Vergleich zu anderen lutherischen Reformatoren des 16.

Jahrhunderts einzuschätzen? Hat er die im 16. Jahrhundert in den Beziehungen zwischen

Orthodoxie und Luthertum existierenden Stereotypen überwinden können? Auf alle diese

Fragen und viele andere versucht diese Dissertation Antworten zu finden.

Es ist auch notwendig, die Tatsache in Betracht zu ziehen, daß David Chytraeus bei der

Begegnung mit den Vertretern der Ostkirchen und bei seinen persönlichen Erforschungen

dieser Kirchen immer die aktive und anregende Person der Kontakte und Erforschungen

war, wie es auch in den meisten Fällen der Beziehungen zwischen Orthodoxie und

Luthertum im 16. Jahrhundert der Fall war, wo die Vertreter der Reformation die Anreger

der Beziehungen waren.11

11 Der einzige Fall, wo die Orthodoxen die Initiative der Beziehungen hatten, war, als mehrere Orthodoxe

Philipp Melanchthon wegen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Wittenberg besucht hatten. Siehe dazu: Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 34-93.

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1.2 Forschungsüberblick

Was die Literatur in Hinblick auf die Beziehungen von David Chytraeus zu den

Orthodoxen und seine Erforschungen der Ostkirchen betrifft, muß man auf die

Vernachlässigung dieser Seite der Wirksamkeit des Chytraeus schon durch die früheren

Biographen hinweisen.12

Der älteste mir bekannte Biograph von Chytraeus Adam Melchior erwähnt Mitte des 17.

Jahrhunderts die Reise des Chytareus nach Österreich und Ungarn, gibt aber keine

Hinweise auf seine Begegnung mit den zwei Griechen in Prag und Wien oder auf seine

„Oratio“.13 Otto Friedrich Schütz ist der erste Biograph, der am Anfang des 18.

Jahrhunderts über die Österreich- und Ungarn-Reise des Chytraeus ausführlich berichtet14

und auch sein Treffen mit den Griechen Michael von Thessalonich und Jakobus

Palaeologus erwähnt.15

Theodor Pressel erwähnt in der Mitte des 19 Jahrhunderts, daß David Cytraeus nach der

Rückkehr aus Österreich eine Vorlesung über den Zustand der Kirchen in Griechenland

etc. hielt.16 1881 schrieb Richard Hausmann,17 daß David Chytraeus unter „den

westeuropäischen Historikern, welche auch den Verhältnissen des Ostens ihre

Aufmerksamkeit schenken“, an erster Stelle stehe.18 Er erwähnt auch einige von Chytraeus

über Ostkirchen veröffentlichte Flugschriften.19 Peter Paulsen, der im Jahr 1897 eine erste

Dissertation über David Chytraeus als Historiker geschrieben hat, verliert kein Wort über

die geschichtliche Tätigkeit des Chytraeus hinsichtlich der Ostkirchen.20

Detloff Klatt hat in seiner Dissertation aus dem Jahr 190821 zum ersten Mal die Bedeutung

der chytraeischen Rede über die Ostkirchen erkannt, indem er ihren Inhalt in einem Kapitel

12 Gottfried Holtz schrieb darüber: „Es stellt dem älteren Schrifttum über Chytraeus kein gutes Zeugnis aus,

daß es die epochenmachende Bedeutung der Rede (Oratio de Statu – 1569) nicht erkannte.“ Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 94.

13 Vgl. Adam Melchior, Vitae Germanorum Theologorum, 688. 14 Vgl. Otto Friedrich Schütz, De vita Davidis Chytraei, II, 1 ff. 15 Vgl. Otto Friedrich Schütz, De vita Davidis Chytraei, II, 89 ff. 16 Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 31 und Anm. 17. Vgl. auch: Otto Krabbe, David Chyträus,

Stiller’sche Hofbuchhandlung, Rostock, 1870. 17 Richard Hausmann, Studien zur Geschichte des Königs Stephan von Polen, I. Teil, Diss., Dorpat, 1880. 18 Richard Hausmann, Studien, 72. 19 Vgl. Richard Hausmann, Studien, 75ff. Er bemerkte schon damals die Notwendigkeit eines Studiums

hinsichtlich seiner ostkirchlichen Forschungen: „Die Frage, woher Chyträus sein reiches Material zugegangen, ist bisher einer eingehenden Prüfung noch nicht unterzogen, nicht einmal für das Chronikon Saxoniae, geschweige denn für die Flugschriften, auf die bisher überhaupt kaum geachtet ist.“ Richard Hausmann, Studien, 80.

20 Vgl. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 1897. 21 Detloff Klatt, David Chytraeus als Geschichtsschreiber und Geschichtslehrer, Rostock, 1908, 84-93.

Page 15: David Chytraeus (1530-1600) als Erforscher und ...David+Chytraeus... · 2 Siehe: Gabriel Liiceanu, Despre limită, 24 ff. 3 Warum werden aber diese Elemente als intim und fremd in

15

über einige unbeachtete Schriften des Rostockers vorstellte22 und die Unterscheidung

zwischen der eigenen Rede und dem in den letzten Ausgaben beigefügten Anhang deutlich

machte.23

Der erste Forscher, der die Bedeutung des David Chytraeus als Wiederentdecker der

östlich-orthodoxen Kirche und den Wert seiner Beschreibung der Ostkirchen hoch

eingeschätzt hat, war Walter Engels im Jahre 1939.24 Er hat in seinem Aufsatz den Inhalt

der Rostocker Rede des Chytraeus über die Ostkirchen aus dem Jahr 1569 und auch einige

Dokumente aus dem Anhang der „Oratio“ vorgestellt. Der junge Kirchenhistoriker

versprach, in einer weiteren Untersuchung neue Einzelheiten vorzustellen,25 aber er fiel im

Sommer 1944 an der Invasionsfront in Italien,26 so daß sein Wunsch unerfüllt geblieben

ist. Durch diesen Aufsatz ist mir zum ersten Mal die Notwendigkeit einer Fortsetzung

seiner Arbeit bewußt geworden.

Gottfried Holtz rechtfertigte im Jahr 1952 ein erneutes Eingehen auf die „Oratio“ des

David Chytraeus, weil die „Kriegsveröffentlichung des Walter Engels das Schicksal ihrer

meisten Genossen teilt, kaum bekannt geworden zu sein.“27 Er bringt durch seinen Aufsatz

einige neue Erkenntnisse, aber ohne den Aufsatz Walter Engels zu überbieten.28 Noch

1952 schrieb er: „Es stellt dem älteren Schrifttum über Chytraeus kein gutes Zeugnis aus,

daß es die epochenmachende Bedeutung der Rede (scil. Oratio de Statu) nicht erkannte.“29

Friedrich Heyer versuchte 1991 in einem ganz knappen Aufsatz30 erneut die

Aufmerksamkeit auf die ostkirchlichen Erforschungen des Chytraeus zu lenken, wobei sein

Aufsatz auf den Erkenntnissen Walter Engels beruht, ohne sie weiterzuführen.

Was die internationale chytraeische Forschung betrifft, kann man schon seit den 40er

Jahren des 20. Jahrhunderts die Erwähnung der ostkirchlichen Forschungen des Chytraeus

in breiteren Zusammenhängen beobachten. Eine Reihe von Forschern und

Kirchenhistorikern wiesen in ihren Studien auf einige Aspekte aus der

ostkirchenkundlichen Tätigkeit des David Chytraeus hin. 22 Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 87-91. 23 Vgl. ebd., 85. 24 Walther Engels, Die Wiederentdeckung und erste Beschreibung der östlich-orthodoxe Kirche in

Deutschland durch David Chytraeus (1569), in: Kyrios, 4 (1939-1940), 262-285. 25 Vgl. Walther Engels, Die Wiederentdeckung, 276. 26 Zu Einzelheiten vgl. Walther Engels, Salomon Schweigger, 225, Anm. 1. 27 Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 94. 28 Vgl. Gottfried Holtz, David Chyträus und die Wiederentdeckung der Ostkirche, in: WZ(R), II (1952-

1953), 93-101. 29 Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 94.

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In seiner Darstellung über Venzeslaus Budowitz und die Unionsversuche der Protestanten

mit der orthodoxen Kirche aus Konstantinopel stützt der rumänische Kirchenhistoriker

Milan Şesan 1937 seine Untersuchung31 auf die Korrespondenz zwischen Budowitz und

Chytraeus, wobei der Rostocker immer nur am Rande erwähnt wird.32

Im Jahr 1964 schrieb Denys Guillaume auch 3 Seiten über die Beschreibung der Armenier

durch David Chytraeus und gab den Text aus der „Oratio“ und ein Dokument über die

Armenier, das von Chytraeus im Anhang seiner Rede veröffentlicht wurde und von den

Zufügungen der Armenier beim Glaubenssymbol handelte, in französischer Übersetzung

heraus.33

In zwei knappen Aufsätzen aus den Jahren 1981 und 2000 untersuchten zwei ungarische

Forscher, Holl Béla34 und Szabó András,35 die chytraeischen Kenntnisse von Ungarn, die

Rezeption seiner Schriften in Ungarn und seine Ungarnreise aus dem Jahr 1569, wobei

keiner von ihnen die während dieser Österreich-Ungarnreise erfolgte Begegnung des

Rostockers mit den beiden Griechen in Prag und Wien erwähnt.36

Letztendlich seien noch die Hinweise des finnischen Forschers Martti Parvio37 1583 auf

die Bedeutung erwähnt, die dem Rostocker David Chytraeus bei der Entstehung des

Gedanken des schwedischen Königs, die schwedische Liturgie ins Griechische zu

übersetzen und Unionsverhandlungen mit den Griechen von Konstantinopel zu beginnen,

zukommt.

30 Friedrich Heyer, David Chytraeus als Erforscher der Orthodoxie, in: Der Ökumenische Patriarch Jeremias

II. von Konstantinopel und die Anfänge des Moskauer Patriarchates, hrsg. von Martin Batisweiler, Karl-Christian Felmy und Norbert Kotowski, Erlangen, 1991, S. 141-145.

31 Milan Şesan, Václav Budovec şi încercările de unire ale Protestanţilor cu biserica ortodoxă din Constantinopole (Václav Budovec und die Unionsversuche der Protestanten mit der orthodoxen Kirche von Konstantinopel), Cernăuţi, 1937.

32 In seiner Darstellung befinden sich einige Fehler hinsichtlich der Beziehungen zwischen Wenzeslaus Budowitz und David Chytraeus und auch was den Ostkirchenkundler Chytraeus selbst betrifft. Näheres dazu im Kapitel 6. 2.

33 Denys Guillaume, L’Église arménienne et les théologiens protestants du XVIe siècle: David Chytraeus, Stephen Gerlach et Salomon Schweigger, in: REArm, I (1964), 254-256 und 272-275.

34 Holl Béla, Adatok David Chytraeus magyarországi vonatkozásairól, (Beiträge zu den ungarischen Beziehungen von David Chytraeus), in: „Acta Historiae Litterarum Hungaricarum“, Szeged, Tomus XVIII (1981), 55-63.

35 Szabó András, David Chytraeus és Magyarország (David Chytraeus und Ungarn). Ich besitze dank der Vermittlung des Dr. Zoltàn Csepregi von der lutherischen Fakultät Budapest, dem ich hier auch für die Übersetzung der beiden ungarischen Aufsätze ganz herzlich danke, eine private Xerokopie dieses Aufsatzes, der in der Festschrift für Tibor Fabiny, Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 2000 erscheinen sollte.

36 Hier wäre die falsche Aussage von Holl Béla zu widerlegen, gemäß der Chytraeus sogar bis nach Alexandrien in Ägypten gereist wäre. Vgl. Holl Béla, Adatok David Chytraeus, 57.

37 Martti Parvio, Luterilais-ortodoksiset teologineuvottelut Narvassa vuonna 1615, (Luheran – Orthodox Consultations at Narva in 1615), in: Xenia Oecumenica. In Honorem Ioannis Metropolitae Helsingiensis Sexagenarii, Editor Hannu T. Kamppuri, Vammala, 1983, 193-194.

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Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts bis heute kann man eine Wiederbelebung der

Chytraeus-Forschung in Deutschland beobachten. Nach dem Erscheinen eines

Sammelbandes zu den Brüdern David und Nathan Chytraeus als Humanisten 1993,38

folgten 1994 und 1997 die Habilitationsschriften von Rudolf Keller39 und Thomas

Kaufmann,40 die David Chytraeus in den Prozeß der lutherischen Konfessionalisierung und

Bekenntnisbildung als auch in seiner Bedeutung als Universitätsprofessor einzuordnen

versuchten. Chytraeus wurde wiederum 1997 von Rudolf Keller41 unter die wichtigsten

Schüler Melanchthons eingereiht.

Anläßlich des 400. Todestages von David Chytraeus erschien endlich im Jahre 2000 ein

neues Sammelwerk über David Chytraeus.42 Trotz des vielversprechenden Titels wird der

Tätigkeit des Rostockers in Bezug auf die Ostkirchen oder Osteuropa auch hier kein

Aufsatz gewidmet, auch wenn seine Beziehungen zu den Tübingern Martin Crusius und

Stephan Gerlach (S. 32) und der Besuch der orthodoxen Gesandten des russischen Zaren in

Rostock (S. 75-76) in zwei verschiedenen Aufsätzen kurz erwähnt werden.

Seitdem im Jahre 1938 der Aufsatz von Walter Engels über Chytraeus und die

Wiederentdeckung der Ostkirche erschien, zeigte sich die Fortsetzung seiner Untersuchung

als ein notwendiges Desiderat. Durch diese Dissertation beabsichtige ich eine ausführliche

Auswertung und Analyse der „Oratio“ und der Dokumente in Hinblick auf die orthodoxen

und altorientalischen Kirchen, die von David Chytraeus als Anhang zu seiner „Oratio“, in

Flugschriften und in anderen Werken veröffentlicht wurden, zu geben. Damit will ich die

in der vierten Auflage der RGG4 – 1999 gemachte Behauptung von Thomas Kaufmann

38 Vgl. David und Nathan Chytraeus. Humanismus im konfessionellen Zeitalter, Hrsg. Karl-Heinz Glaser,

Hanno Lietz und Stephan Rhein, Ubstadt-Weiher, 1993, 231 S. Hier ist wieder die Tätigkeit des David Chytraeus im Bezug auf die Wiederentdeckung der Ostkirchen unberücksichtigt geblieben. Daß er eine Rede über die Ostkirchen geschrieben hat, ist dennoch zweimal ganz kurz erwähnt. Vgl. Ebenda, 80, 84.

39 Vgl. Rudolf Keller, Die Confessio Augustana im theologischen Wirken des Rostocker Professors David Chyträus (1530-1600), Göttingen, 1994, 239 S. Auch diese Arbeit von Dr. Rudolf Keller hatte nicht als Zweck, die ostkirchliche Seite der Wirksamkeit des Chytraeus zu behandeln. Die Beschreibung des Lebens der Ostkirchen durch David Chytraeus ist dennoch auf der Seite 191 kurz erwähnt.

40 Vgl. Thomas Kaufmann: Universität und lutherische Konfessionalisierung. Die Rostocker Theologieprofessoren und ihr Beitrag zur theologischen Bildung und kirchlicher Gestaltung im Herzogtum Mecklenburg zwischen 1550 und 1675, Gütersloh, 1997. Der Verfasser erwähnt in seiner Arbeit nur, daß Chytraeus Korrespondenzpartner auch in Konstantinopel und Riga hatte (S. 120) und gibt die von ihm bekannten Auflagen der „Oratio“ des Chytraeus über den Zustand der Ostkirchen wieder (S. 630), was für die Ausgaben der „Oratio“ sehr wichtig ist.

41 Rudolf Keller, David Chytraeus (1530-1600). Melanchthons Geist im Luthertum, in: Melanchthon in seinen Schülern, hrsg. von Heinz Scheible, Wiesbaden, 1997, S. 361-371.

42 David Chytraeus (1530-1600): norddeutscher Humanismus in Europa; Beiträge zum Wirken des Kraichgauer Gelehrten, hrsg. Karl-Heinz Glaser und Steffen Stuth, Ubstadt-Weiher, 2000, 195 S.

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stützen, daß David Chytraeus „als Begründer einer protestantischen Ostkirchenkunde weit

über die Konfessionsgrenzen hinauswirkte.“43

Angekündigt sind zur Zeit andere zwei Dissertationen von Otfried Czaika (München) und

Harald Bollbuck M.A. (Rostock/Kiel), die Chytraeus als Forschungsgegenstand haben.

Herr Otfried Czaika will die universitären Verbindungen der Universität Rostock nach

Skandinavien zwischen 1550-1600 untersuchen, wobei die Kontakte des Chytraeus nach

Schweden eine wichtige Rolle spielen. Herr Harald Bollbuck will Chytraeus erneut im

modernen Forschungskontext als Historiker thematisieren.44

43 Thomas Kaufmann, David Chyträus, 377-378. In der dritten Auflage der RGG3 steht nichts über die

Tätigkeit des Chytraeus als Ostkirchenkundler. Vgl. † G. Loesche (H. Liebing), David Chyträus, in: „RGG3“, hrsg, von Kurt Galling, Erster Band, Tübingen, 1957, col. 1823. Peter F. Barton schrieb aber im Artikel „David Chyträus“ aus „TRE“, Band 8, daß Chytraeus von den Jesuiten wegen „der von ihm für den deutschen Protestantismus „neu entdeckten“ Ostkirche (Engels, Holtz)“ bekämpft wurde. Peter F. Barton, David Chyträus, in: TRE 8, 88.

44 Vgl. Markus Völkel, Theologische Heilsanstalt, 138, Anm. 5.

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2 Der Kenntnisstand über die Ostkirchen zu Beginn der Reformation und die Beziehungen der Reformatoren zu Orthodoxen vor David Chytraeus

2.1 Der Kenntnisstand Luthers über die Ostkirche

2.1.1 Einleitende Vorbemerkungen

Die Reformation entsprang aus der Stille der Klosterzellen von Erfurt und Wittenberg, in

denen Martin Luther durch ein eindringliches Studium der Bibel einen anderen Weg zu

Gott fand, als ihn die katholische Kirche seiner Zeit lehrte. Aus seiner Botschaft, die er als

Professor im Hörsaal, als Prediger auf der Kanzel und als Schriftsteller in seinen Büchern

ausbreitete, war eine neue kirchliche Bewegung geworden, deren Legimität vor den

Angriffen der anderen katholischen Theologen verteidigt werden mußte. Diese

Notwendigkeit hat dazu geführt, daß Luther auch nach Osten geblickt hat, wo es eine

christliche, nicht unter der Souveranität des Papstes stehende Kirche, gab.45 Die Geschichte

der Reformation kann wegen dieser östlichen Orientierung Luthers nicht ausschließlich in

der Auseinandersetzung mit dem Papsttum und der mittelalterlichen Kirche des Westens

gesehen werden, weil es ebenso eine Begegnung Luthers und der anderen lutherischen

Reformatoren nach ihm mit den Kirchen des Ostens gegeben hat.46

Mit seiner Hinwendung zur Orthodoxie setzte Luther eine Tradition fort, die schon im 15.

Jahrhundert bei der reformatorischen Bewegung der Hussiten anzutreffen ist.47 Es ist aber

sehr wahrscheinlich, daß Martin Luther die Verhandlungen der Hussiten mit dem

Ökumenischen Patriarchat nicht gekannt hat, obwohl die Grundlinien der hussitischen

Bewegung ihm bekannt wurden.48

45 Ică, Martin Luther, 488. „Die Existenz einer alten christlichen Kirche, die unabhängig vom päpstlichen

Stuhl war, hat von Anfang an ein großes ekklesiologisches Interesse für die Reformatoren repräsentiert.“ 46 Vgl. Kahle, Vorahnung der Ökumene, 309. Mehedinţu, Ostkirche, 294: „Die sachliche theologische Auseinandersetzung der Reformation mit der katholischen Theologie brachte auch die Ostkirche ins Spiel.“ 47 Zu den Verhandlungen zwischen Hussiten und Byzantinern siehe: Heineccius, Abbildung, I, 3, 182-185.

Pavlova, L´Empire Byzantin, 158-225. Leb, Relatiile husitilor, 254-263. Zur politischen Lage siehe: Polisensky, Bohemia, 82-108. Der Text der Glaubensdarstellung der Hussiten für die Griechen bei Dositheos, Tomos, 320-325. Das Antwortschreiben der Griechen Ebenda, 325-332 sowie Chytraeus, Oratio, 261-267.

48 Vgl. Lohse, Luthers Theologie, 139-140, 142, 189, 295, 298. Über die Einflüsse des Hussitismus auf die Lehre Luthers siehe auch Wagner, Luther-Osteuropa, 82. Luthers Einstellung gegenüber Hus und den Hussiten Thomson, Luther and Bohemia, 160-181.

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Im Hinblick auf seine Stellung zur Orthodoxie und auf seine Kenntnisse über die

Ostkirchen sind bis jetzt schon einige Studien geschrieben worden.49 Der Zweck unserer

Untersuchung ist es, zu zeigen, wie viel Martin Luther über die Lehre, die Geschichte und

den Zustand der orthodoxen Kirchen des 16. Jahrhunderts wußte, um einen Vergleich

zwischen seinen Kenntnissen und den ostkirchlichen Kenntnissen des David Chytraeus

machen und dabei auch den Fortschritt des gegenseitigen orthodoxen-lutherischen

Kennenlernens betrachten zu können.

Bevor wir auf die ostkirchlichen Kenntnisse Luthers ausführlich eingehen, müssen wir

auch das Bild der orthodoxen Kirche im Bewußtsein der abendländischen Christenheit am

Anfang des 16. Jahrhunderts in Betracht ziehen, um seine Kenntnisse objektiv einschätzen

zu können. Nach dem Fall Konstantinopels – 1453 – unter die türkische Herrschaft und

der Ablehnung der in Florenz aufgezwungenen Union durch die Orthodoxen50 war das Bild

der orthodoxen Kirche im Bewußtsein der abendländischen Christenheit ganz negativ

geprägt. Für die katholische Kirche erschien der Untergang Konstantinopels als Vollzug

einer gerechten göttlichen Strafe für das Schisma, an dem nach römischer Auffassung die

griechische Kirche schuld war, und folglich waren die orthodoxen Schismatiker für sie von

keinem weiteren Interesse mehr. Daß die Unwissenheit über die orthodoxe Kirche des

Ostens groß war, berichtet uns Michael Heineccius am Anfang des 18. Jahrhunderts: „Ja es

wurden die Griechen denen Europäern und sonderlich den Deutschen so unbekannt, daß

man so wohl vor als eine Zeit lang nach der Reformation zweiffelte, daß noch eine

Christliche Gemeinde in diesen Ländern anzutreffen sey.“51 Daran waren aber auch die

zahlreichen griechischen Emigranten schuld, die vor den Türken auf abendländischen

Boden flohen, aber keinen Versuch unternahmen, dem Abendland ein geschichtliches Bild

vom Leben und der Geschichte der orthodoxen Kirche zu vermitteln.52 Die anderen

orthodoxen Länder, besonders das Großfürstentum Moskau, waren zu Beginn des 16.

Jahrhunderts noch nicht in die Vorstellungswelt der westlichen Christenheit eingetreten.53

Später, fast 25 Jahre nach dem Tode Luthers, bekam der Westen durch die „Oratio“ des

David Chytraeus ausführliche Informationen über die orthodoxen Kirchen des Ostens. 49 Zwischen den wichtigsten Studien sind Karmiris, Luther und Melanchthon, 77-104, Wagner, Luther-

Osteuropa, 69-90, Mehedintu, Ostkirche, 291-309. Benz, Die östliche Orthodoxie, 101-160. Idem, l´Eglise orthodoxe, 406-418, neulich Pătuleanu, Begegnung, 21ff.

50 Eine von dem Patriarchen Symeon I. einberufene Synode hat im Jahr 1484 die Beschlüsse der Florentiner Synode abgelehnt. Vgl.Podskalsky, Griechische Theologie, 16. Im Russland herrschte ebenfalls ein Lateinerhaß, der von Konstantinopel her den Russen durch die Jahrhunderte eingeimpft worden war. Vgl. dazu Schaeder, Moskau, 21f.

51 Heinecius, Abbildung, I, 3, 186. 52 Vgl. Benz, Die Ostkirche, 3.

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Dazu soll noch gesagt werden, daß während der Herrschaft Suleimans I.(1520-1566)54, der

in seinem Universalreich 30 unterworfene Königreiche und Länder zählte und sich „Kaiser

der Kaiser, Fürst der Fürsten, Verteiler der Kronen der Welt, Schatten Gottes über beide

Erdteile, Beherrscher des Schwarzen und Weißen Meeres, von Asien und Europa“55

nannte, die Türken großen Druck an den Grenzen des Deutschen Reiches ausgeübt

haben.56 Eine solche politische Lage hat die Beziehungen zwischen Ost- und Westeuropa

sehr stark beeinträchtigt und die Unmöglichkeit eines besseren Kennenlernen geschaffen,

obwohl diese Lage auch dazu beigetragen hat, daß viele orthodoxe Christen Zuflucht im

Abendland fanden und dabei deutschen Reformatoren und Christen begegnet sind.

2.1.2 Luthers Kenntnisstand über den zeitgenössischen orthodoxen Osten

Im Gegensatz zu Chytraeus war Luther kein reiselustiger Mann und reiste daher sehr

selten. In ein Land außerhalb Deutschlands ist er nur einmal im Jahre 1510 gereist, als er

eine Reise nach Rom unternahm57, und danach hat er Deutschland nicht mehr verlassen.

Den Osten kannte er aus persönlicher Anschauung nicht, weil er ostwärts nie über Leipzig

hinaus kam.58 Das Abendland hat erst einige Jahre später durch die Reisebeschreibungen

einiger Gesandter mehr über den christlichen Osten erfahren.59

Obwohl Martin Luther seit dem Jahre 1518 laufend sein geschichtliches und

kirchengeschichtliches Wissen vertiefte, waren seine Kenntnisse über den Osten doch

gering. So lag für ihn Livland noch 1523 „am Ende der Welt“60, obwohl es noch Teil des

Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war und obwohl er 1520 in seiner Schrift

53 Vgl. Wagner, Luther-Osteuropa, 75-76. 54 Nach Josef Matuz, Das osmanische Reich, 115, Anm. 2, sollte man Suleiman den Prächtigen nicht als II.,

sondern als I. bezeichnen. 55 Der zitierte Satz gehört Ranke und befindet sich bei Stadtmüller, Geschichte Südosteuropa, 267. Über die

Feldzüge Suleimans in Europa Iorga, Geschichte, II, 366-426 und III, 3-115. 56 Über die politische Lage an der Südostgrenze des Deutschen Reiches im 16. Jahrhundert siehe: Stökl, Die

deutsch-slavische Südostgrenze, 78-91. 57 Vgl. Döpmann, Das Verhältnis Luthers, 323. 58 Vgl. Wagner, Luther-Osteuropa, 71. 59 Die erste Beschreibung der russischen Religion stammt vom Freiherrn Sigmund von Herberstein (1486-

1566), der von den Russen „Columbus Russlands“ genannt wurde, ab, sie wurde aber erst 3 Jahre nach dem Tod Luthers veröffentlicht: Sigmund von Herberstain, Rerum Moscovitarum Comentarii,Wien, 1549. Eine deutsche Übersetzung ist schon 1567 erschienen: Freyherr zu Herberstein, Moskoviter wunderbare Historien..., Basel, 1567. Als kaiserlicher Gesandte hat er in den Jahren 1516-18 und 1526 zwei Reisen nach Moskau unternommen. Die Berichte über diese beiden Reisen Herbersteins haben zum ersten Mal dem Abendland ein deutlicheres Bild von der russischen Kirche vermittelt. 20 Jahre später hat das Abendland durch die Veröffentlichung der „Oratio“ Davidis Chytraei viel über den Zustand der orthodoxen Kirchen in Griechenland, Asien, Afrika,... erfahren.

60 WA 12, 148.

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„Von dem Papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig“61 einen

Unterschied zwischen „Moskovitern“ und „Weißen Russen“ machte und erstmalig in

seinen Schriften von deren Glauben sprach. Die Moskoviter und die Weissen Reußen – so

Luther – erkennen neben den Griechen und Böhmen die Autorität des Papstes nicht an und

haben denselben Glauben, Taufe und Predigt wie die Lutheraner.62 Aus dieser Aussage

kann man schon ersehen, daß Luther die interkonfessionellen Unterschiede im Hinblick auf

die Taufe63 und den Glauben der orthodoxen Russen nicht kannte. Nicht viel klarer waren

die Kenntnisse Luthers und seine Vorstellungen von den Gebieten jenseits der Grenzen des

türkischen Herrschaftsbereichs in Südosteuropa. Er erwähnte einmal die Rumänen

(Walachen),64 aber die Bulgaren und Serben nannte er nie.65 Später mögen ihm manche

Nachrichten aus Kreisen der Kaufleute, Studenten, Besucher, ehemaliger türkischer

Gefangener, der Fürsten und vor allem durch Melanchthon zugekommen sein. So äußerte

er im Jahre 1538 in einem Gespräch mit Melanchthon den Glauben, daß in Armenien,

Äthiopien, Indien und den morgenländischen Gebieten noch viele Christen seien, aber in

Kleinasien seien sie alle unter dem Türken.66 Aber vom Glauben dieser Christen konnte

Luther nichts berichten, eine Tatsache, die uns den Schluß zu ziehen erlaubt, daß bei

Luther „von einer wirklichen Kenntnis Osteuropas und der orthodoxen Kirchen nicht

gesprochen werden kann.“67

Hinsichtlich seiner theologischen Ausbildung hatte Luther das theologische und

philosophische Wissen des Abendlandes in sich aufgenommen, aber die Vertreter der

orthodoxen Theologie der letzten fünf Jahrhunderte – Nikolaos Kabasilas, Gregorios

Palamas, Markos Eugenikos, Gennadios Scholarios68 - kannte er nicht. Der letzte

griechische Theologe, den Luther kannte, dürfte der Mystiker Symeon der Neue Theologe

61 WA 6, 285-324. 62 „...als da sein die Moscobiten, weysse Reussen, die Kriechen, Behemen und vil andere grosse lendere in

der Welt. Dan diesse alle glewben wie wir, teuffen wie wir, predigen wie wir, leben wie wir,...“ WA 6, 287 Vgl. auch WA 6, 314. Vgl. auch Elert, Morphologie – Band 1 , 254.

63 Das Problem der Taufe wurde von der russischen Kirche ganz anders gesehen, in der nämlich bis 1667 alle zur orthodoxen Kirche konvertierenden Abendländer wiedergetauft wurden. Siehe Felmy, Die orthodoxe Theologie, 180.

64 „Anno 39. 11 Februarii nuntiabatur Turcae victoria contra Walachos.“ WA, Tischreden, 4, Nr. 4739. 65 Vgl. Wagner, Luther-Osteuropa, 72. 66 „Et credo in Armenia, Aethiopia, Iudaea (vielleicht India), et in orientalibus regionibus multos adhuc esse

christianos, sed in Minori Asia omnes sunt sub turca.“ WA Tischreden 5, 6038. 67 Wagner, Luther-Osteuropa, 86. Vgl. dazu WA, Tischreden, 1, Nr. 904; WA, Tischreden, 2, Nr. 1341 und

1445; WA, Tischreden, 5, Nr. 6035. 68 Das Glaubensbekenntnis, das Patriarch Gennadios im Jahre 1456 Sultan Mohamed nach der Eroberung

Konstantinopels überreicht hat, wurde zum erstenmal 1530 von dem Wiener Humanisten Alex. Bressicanus herausgegeben. Auch David Chytraeus veröffentlichte es im Anhang seiner Oratio, 173-194 mit einer lateinischen Übersetzung unter dem Titel: „Confessio fidei a Gennadio Patriarcha Constant. Statim post captam a Turcis urbem anno 1453 Mahometi II. postulanti exhibita.“

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(gest. 1022) gewesen sein, der von Georg Major in dessen Ausgabe der „Vita patrum“

aufgenommen wurde, zu der Luther 1544 die Vorrede schrieb.69 Wie viel er über die

Kirchenväter der ersten zehn Jahrhunderte wußte, werden wir in einem nächsten Kapitel

sehen.

Auf der anderer Seite kannte Luther die westlichen Kirchenväter sehr gut: Hieronymus,

Augustin, Bernhard von Clairvaux, aber auch die Hauptvertreter der Scholastik – Thomas

von Aquin, Duns Scotus, Petrus Lombardus, Bonaventura – und die Humanisten seiner

Zeit: Erasmus von Rotterdam, Reuchlin, Lefèbre, etc. Den größten Einfluß auf ihn haben

Augustin, der Ockhamismus, Johannes von Staupitz, der Humanismus, die deutsche

Mystik des 14. Jahrhunderts und Bernhard von Clairvaux ausgeübt.70 Alle diese

Theologen, Philosophen und Humanisten gehörten zu einer ganz anders geprägten Welt als

der östlich-orthodoxen Welt, einer Welt, die sich schon seit der Antike von der

byzantinischen Welt distanzierte.71 Infolgedessen war Luthers Begegnung mit den

orthodoxen Kirchenvätern, die seit langer Zeit im Abendland vergessen worden waren, und

letztlich mit der Orthodoxie eine Begegnung zwischen zwei verschiedenen Welten,

zwischen zwei ganz anders geformten Identitäten. Daß er nicht viel von seiner Tradition in

der orthodoxen Tradition gefunden hat, war nicht seine Schuld, sondern das natürliche

Ergebnis eines durch die Jahrhunderte hindurch vollzogenen kirchengeschichtlichen

Entfremdungsprozesses. Wie viel Einfluß diese andere orthodoxe Welt auf ihn gehabt hat,

werden wir in den nächsten Kapiteln sehen.

2.1.3 Die Leipziger Disputation als Quelle für die Kenntnisse und die Stellung Luthers zur Orthodoxie

Die Leipziger Disputation 1519 zwischen Martin Luther und dem katholischen Theologen

Johannes Eck (1486-1543)72 bildet eine sehr wichtige Quelle im Hinblick auf die

Kenntnisse Luthers über die Ostkirche. Wir werden weder den Verlauf dieser Disputation

noch die Argumentation der beiden Theologen verfolgen,73 sondern nur untersuchen, was

69 WA 54, 109-111. Vgl. Wagner, Luther-Osteuropa, 73. 70 Vgl. dazu Lohse, Luthers Theologie, 35-40. 71 Werner Conze bemerkte zu der Zeit nach der Kaiserkrönung Karls im Jahre 800: „Es gab fortan in der

Wirklichkeit zwei Kaiserreiche und zwei Reichskirchen, die sich in ihren Missionsbestrebungen gegenseitig ausschlossen.“ Siehe Conze, Ostmitteleuropa, 14 f.

72 Der Text der Disputation in WA 2, 250-383 und WA 59, 427-605 und auch bei Otto Seitz (hrsg.) Der authentische Text, Berlin, 1903. Eine Einführung und der Verlauf der Disputation, bietet Selge, Die Leipziger Disputation, 26-40. Vgl. auch Lohse, Luthers Theologie, 134-143.

73 Darüber siehe Karmiris, Luther und Melanchthon, 82-92. Benz, Die Ostkirche, 10-14. Schäfer, Kirchenhistoriker,45-69.

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Luther zu jener Zeit über die Ostkirche wußte und welches seine Stellung gegenüber dieser

Kirche war.

Der Anlaß dieser Disputation war die These seines Gegners Eck, daß der Primat des

römischen Bischofs über die Gesamtkirche eine Setzung göttlichen Rechtes sei.74 Um diese

These als eine Neuerung der katholischen Kirche zu entlarven und seine Lehre zu

legitimieren, berief sich Luther auf die Praxis und die Lehre der orthodoxen Kirche. Der

Streitpunkt zwischen Luther und Eck, aber auch im allgemeinen zwischen Rom und den

Reformatoren, war eben: „War Rom der alten Tradition treu geblieben, oder war es vieler

ungerechtfertigter Neuerungen und Zusätze schuldig? Umgekehrt, war die Reformation

wirklich eine Rückkehr zur Lehre und Praxis der Urkirche oder war sie eine Abweichung

von ihr? In dieser Debatte war das Zeugnis der östlichen Kirche von hervorragender

Bedeutung,“75 und der erste, der Bezug auf die Ostkirche genommen hat, war Martin

Luther.76

Die Einstellungen der beiden Theologen der Orthodoxie gegenüber sind ganz verschieden.

Während Johannes Eck die Griechen als Schismatiker und sogar als die größten Häretiker77

oder als Christen, die ihren Glauben zusammen mit dem Reich verloren haben,78

bezeichnet, verteidigt Luther die orthodoxen Griechen79 und die Ostkirche gegen alle diese

Vorwürfe. Für Luther ist die Kirche von Jerusalem die älteste Kirche und die Mutter aller

Kirchen, aus der auch die römische Kirche hervorgegangen ist.80 Er gesteht, daß kein Teil

der gesamten Kirche mehr und hervorragendere Schriftsteller hervorgebracht hat81 als die

griechische Kirche und erkennt an, daß viele von ihnen das Heil erlangt haben, obwohl sie

das Primat des römischen Stuhls nicht anerkannt haben.82 Die über 1400 Jahre alte

74 Vgl. Benz, Die Ostkirche, 9, 10 f. Selge, Die Kirchenväter, 211: „Die Primatsdebatte ist der zentrale

Gegenstand der Leipziger Disputation.“ 75 Florowski, Die orthodoxen Kirchen, 239. Es ist erstaunlich, wie sich der Kampf um die Orthodoxie

zwischen Katholiken und Protestanten entfaltet hat. Zwischen Sokolovius und den Tübinger Theologen oder Possevinus und Chytraeus finden wir in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts denselben Versuch zu argumentieren, daß ihre Lehre mit der Lehre der alten Kirche übereinstimme.

76 Die Behauptungen von Benz und Karmiris, daß Luther in der orthodoxen Kirche das Modell der wahren Kirche, oder die echte und autoritative Repräsentantin der Urkirche, in der die Lehre, der Kult und die Verfassung der alten Kirche beibehalten wurden, gesehen habe, sind übertrieben. Vgl. Karmiris, Luther und Melanchthon, 80 und Benz, Beziehungen, 21.

77 „Grecos longo tempore non solum fuisse schismaticos, sed haereticissimos“ WA 2, 269. 78 „De Grecis fateor, eos olim fuisse Christianissimos et doctissimos, cum Romanam ecclesiam primam

appellabant sedem: sed superbia elati et invidia infecti ab obedientia Romane sedis se substrahentes in pessimos inciderunt errores et simul fidem cum imperio perdidere“ WA 2, 273.

79 Luther und nach ihm Melanchthon und die anderen Reformatoren haben unter dem Begriff „griechische Kirche“ die orthodoxe Kirche verstanden und die Orthodoxen als Griechen bezeichnet.

80 Vgl. Karmiris, Luther und Melanchthon, 82 und Benz, Die Ostkirche, 10. 81 „...cum in universa ecclesia nulla pars dederit plures et excellentiores scriptores quam graeca“ WA 2, 272. 82 „scio quod salvati sunt Gregorius Nazanzenus, Basilius magnus, Epiphanius Cyprius et innumerabiles alii

Gretie Episcopi, et tamen hunc articulum non tenuerunt...“ WA 2, 279.

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Ostkirche betrachtete Luther in seiner Apologie als den besseren Teil der ökumenischen

Kirche – „meliorem partem universalis Ecclesiae“ – und machte damit den Anfang für eine

radikale Veränderung des Bildes der Ostkirchen im abendländischen

Geschichtsbewußtsein.

Im Bezug auf seine Kenntnisse über die alte Ostkirche kann man feststellen, daß er

ziemlich gute altkirchengeschichtliche Kenntnisse besaß und auch einiges über die

Kirchenväter wußte.83 Aber alle die von ihm gekannten Traditionen und Väter der alten

Kirche waren nur deswegen wichtig, weil sie deutlich machten, daß es eine alte Kirche

gegeben hat, die nie dem römischen Stuhl untergeordnet war.

Aus der Gesamtdisputation von Leipzig kann man den Schluß ziehen, daß Luther die

orthodoxe Kirche verteidigt und sich auf ihre Lehre und Praxis gestützt hat. Daß Luthers

Rückgriff auf die Orthodoxie auch aus eigenen Interesse geschah, kann seine durchaus

positive Einstellung der orthodoxen Kirche gegenüber nicht beeinträchtigen.84 Diese seine

Haltung hat natürlich viele spätere protestantische Theologen positiv beeinflußt und hat

dazu beigetragen, daß die Beziehungen zwischen Orthodoxie und Luthertum schon im 16.

Jahrhundert einen großen Aufschwung genommen haben, so daß sich die beiden

Konfessionen am Ende des Jahrhunderts viel besser kannten.

2.1.4 Luther zur Tradition der alten Kirche

So wie die Humanisten seiner Zeit hat auch Luther versucht „ad fontes“ der alten Kirche

zurückzukehren. Er selbst hat für sich ausdrücklich den Anspruch erhoben, er habe die

Kirchenväter mehr und besser als seine scholastischen Gegner studiert85 und das sei etwas

Neues gegenüber der bisherigen, in dem scholastischen Schul- und Lehrbetrieb üblichen

Methode gewesen.86 Er hat aber ihre Lehre nicht unkontrolliert angenommen, sondern hat

sich gefragt, in welchem Sinn ihre Autorität verstanden werden soll und hat sich in ein

kritisches Verhältnis zu ihr gesetzt.

83 Schäfer bemerkte, daß Luther die alte Kirchengeschichte bis Gregor den Großen gut kannte, aber die

Geschichte des Mittelalters nicht ausreichend. Vgl. Schäfer, Kirchenhistoriker, 66-67. Über die Heranziehung der Kirchenväter auf der Leipziger Disputation siehe: Selge, Die Kirchenväter, 197-212.

84 Vgl. Mehedintu, Ostkirche, 296. 85 „Ich hab die Veter auch gelesen, auch ehe denn ich so steiff wider den Babst mich setzet, Hab sie auch mit

besserm vleis gelesen...Denn ich weis, das ir keiner versucht hat, ein Buch der heiligen Schrifft in den Schulen zu lesen und die Veter schrifft dazu brauchen, wie ich getan.“ WA 50, 519.

86 Vgl. dazu Benz, Die östliche Orthodoxie, 112-113.

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Die ihm sehr wenig bekannten östlichen Kirchenväter wie Athanasius von Alexandrien,

Basilius der Große, Gregor von Nazianz oder Johannes Chrysostomus87 waren für ihn

deswegen wichtig, weil sie seinen Gegnern deutlich machten, daß diese großen Lehrer der

Christenheit nicht dem römischen Stuhl untergeordnet waren.88 Ansonsten ist zum Beispiel

Chrysostomus für ihn „ein lauter wescher, lest den text fallen“89 oder „der fürnehmeste

Rethor der Zeit, werde sehr viel Zuhörer gehabt haben; hat aber ohne Frucht und Nutz

gelehrt“90. Basilius ist von Luther regelmäßig als „nichts“ oder „Wescher“ bezeichnet, aber

wird dennoch Cyprian gegenüber gelobt.91 Origenes ist für ihn auch ein Schriftsteller, der

sehr viel geschrieben hat, aber bei ihm „non est verbum unum de Christo“92. Zur Mystik

von Dionysios Areopagita hat er auch kritisch Stellung genommen, indem nämlich die

Theologie Dionysios als „reines Possenwerk“ beurteilt wird.93 Diese östlichen Väter haben

ihm im Zusammenhang seiner Anfechtungen keine Antwort geben können und darum für

ihn sehr wenig Bedeutung gehabt. Im Gegensatz dazu steht Augustinus, bei dem Luther

einen Stützpunkt für das „sola fide“ gefunden hat, und gegenüber dem er immer seine

Bewunderung ausdrückt.94

Luther hat stets mit einer großen Selbständigkeit Theologie betrieben, und darum

vermochten weder die Scholastiker noch die anderen Kirchenväter eine Antwort auf seine

bohrenden Fragen zu geben. Außerdem gilt die Beobachtung Lohses, daß Luther die 87 Außer diesen vier Kirchenvätern nennt er noch Epiphanius, Origenes und Dionysius Areopagita aber von

allen hat Luther in seinen historischen Studien wenig Gebrauch gemacht. Vgl. Schäfer, Kirchenhistoriker, 170.

88 Vgl. Lohse, Luther und Athanasius, 105. „Sie sind ein Beispiel dafür, daß die Kirche des 4. Jahrhunderts ohne Papsttum war.“

89 WA Tischreden 1, Nr. 188. 90 Die lateinische Fassung lautet: „Et credo Chrysostomum, summum rethorem, habuisse auditorium

copiosum, sed sine fructu docuisse.“ WA Tischreden 4, Nr. 3975. 91 WA Tischreden 5, Nr. 6412. 92 WA Tischreden 1, Nr. 335. 93 Vgl. Benz, Die östliche Orthodoxie, 122-123: „Dieser Zorn ist bei Luther gar nicht als Resultat einer

normalen intellektuellen Reflexion zu begreifen – er ist vielmehr Resultat eines tief eingewurzelten, mit höchsten Affekten geladenen Ressentiments, des Ressentiments eines schwer Enttäuschten. Er hatte selber versucht, die mystische Leiter emporzusteigen und war dabei abgestürzt...Darum gilt dem Areopagiten sein ganzer Haß, und er erklärt diese Art mystischer Theologie für Schwindel“. Adolf Martin Ritter, Dionysius Areopagita, 157 bemerkte: „Luthers Kritik (an Dionysius) zielt auf zweierlei: Erstens die Beanspruchung des Dionys durch die Altgläubigen zur Stützung ihrer Ansprüche auf apostolischen Ursprung der hierarchischen Verfassung der römischen Kirche und ihres sakramentalen Systems... Zum zweiten zielt Luthers Kritik,... auf den mit dem Vorrang des „Platonischen“ vor dem „Christlichen“ für ihn zwangsläufig gegebenen Widerspruch gegen die theologia crucis.“ Reinhard Flogaus hat gezeigt, daß es bei Luther auch frühe Belege für die positive Aufnahme der apophatischen Theologie des Ps.- Areopagiten gibt, wenn auch bei ihm eine generelle Ablehnung der mystischen Spekulation festzustellen ist. Siehe: Reinhard Flogaus, Theosis, 285 und 291.

94 Vgl. Papandreou, Martin Luther, 183. Benz, Die östliche Orthodoxie, 117-118. Bernhard Lohse bemerkte im Hinblick auf Augustin: „Was weiter den Einfluß Augustins im ausgehenden Mittelalter angeht, so war Augustin auch damals, wie schon im frühen und im hohen Mittelalter, bei weitem der bedeutendste und

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genauen Konturen der Theologie des Athanasius nicht bekannt waren und daß er kaum

Kenntnis aus erster Hand über ihn und auch über die anderen östlichen Kirchenväter

gehabt habe.95 Er kannte sie nur, soweit sie von der römischen Kirche anerkannt und

übernommen waren. Anderseits waren die Kirchenväter für den Wittenberger Reformator

nur einfache Menschen, die dem Irrtum ausgesetzt sind, und nicht Heilige Väter, in denen

der Heilige Geist gewohnt hat und durch ihren Mund und ihre Schriften gesprochen hat, so

wie die orthodoxe Kirche bekannte und bekennt.96

Zusammenfassend können wir sagen, daß bei Luther eine zweifache Tendenz97 den

Kirchenvätern gegenüber zu beobachten ist. Einerseits ist er darum bemüht, die

Übereinstimmung mit den Vätern der alten Kirche nachzuweisen, auf die er sich oft beruft

(vgl. die Leipziger Disputation), anderseits wird ihre Autorität angezweifelt und an ihnen

viel Kritik geübt,98 weil ihre Lehren nicht mehr als Menschenlehren sind.99 Seine kritische

Beurteilung hat als Kriterium die Übereinstimmung ihrer Lehre mit der Heiligen Schrift.

Im Vergleich zu der Beurteilung der Kirchenväter ist Luthers Stellung zur altkirchlichen

dogmatischen Überlieferung positiv. Die Übereinstimmung mit der Lehre der alten Kirche

vollzog Luther in der Übernahme der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse und der

dogmatischen Entscheidungen der ersten vier ökumenischen Konzilien.100 Daraus läßt sich

jedoch nicht der Schluß ziehen, daß die obengenannte Übernahme Luthers die gesamte

einflußreichste Theologe. Bei Theologen aller Richtungen findet man im Zweifelsfall mehr Zitate von Augustin als von irgendeiner anderen Autorität.“ Lohse, Luthers Theologie, 25.

95 Vgl. Lohse, Luther und Athanasius, 101. Oskar Wagner sagte ebenfalls: „Die Theologie und die größten Theologen der griechisch-orthodoxen Kirche waren Luther fremd geblieben... Einen greifbaren Einfluß auf seine Theologie haben sie nicht gewonnen, so gerne er sich gelegentlich in Fragen der Exegese oder des päpstlichen Primats auf sie berief. Mit Johannes Damascenus (gest. um 750), der die Zeit der griechischen Kirchenväter abschließt, endet auch Luthers Kenntnis der Theologie der griechisch-orthodoxen Kirche.“ Wagner, Luther-Osteuropa, 73.

96 Die Tradition war in der alten Kirche identisch mit dem Werk des Heiligen Geistes. Vgl. Bakhuizen, La tradition dans l’Église, 276-278.

97 Scott H.Hendrix meint, daß es eine ambivalente Berufung auf die Kirchenväter bei allen Reformatoren gibt: „This ambivalent appeal to the fathers in one’s self-interest was, Schiendler believed, to some degree common to all the reformers.“ Hendrix, The Reformers and Patristic authority, 55.

98 Vgl. Mehedintu, Offenbarung und Überlieferung, 132, 134, 135. 99 Schneemelcher aber kritisierte diese Sicht, die sich in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts

einbürgerte: „Vor allem spielt das Wort der altkirchlichen Väter in unserer Theologie keine Rolle“ und weiter fragte: „Gibt es für uns überhaupt „Väter der Kirche?“ Schneemelcher, Wesen und Aufgabe der Patristik, 208 und 218. Siehe auch 221.

100 Vgl. WA 50, 605; Friz, Die Stimme, 14; Karmiris, Luther und Melanchthon, 95-98; Papandreou, Martin Luther, 179ff.; Völker, Luther, 179-181. Es ist fraglich, ob Luther die letzten drei Ökumenischen Konzilien gekannt hat. Schärfer bemerkte, daß das fünfte, sechste und siebente Konzil nicht dieselbe Geltung zu Luthers Zeit gehabt zu haben scheinen. Vgl. Schäfer, Kirchenhistoriker, 288-316. Luther erwähnt in seiner „Supputatio annorum mundi“, eine Chronik mit den wichtigsten Daten der Kirchengeschichte, zwischen den Jahren 630-1000 kein Ereignis. Wenn er eine negative Haltung gegenüber diesen Konzilien gehabt hätte, hätte er sie erwähnt, so wie er es mit dem von ihm scharf kritisierten Konzil von Konstanz gemacht hat. Über dieses Konzil schrieb Luther: „1414- Concilium Satanae Constantiense 4. annis.“ Zitat bei Schäfer, Kirchenhistoriker, 105.

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dogmatische orthodoxe Lehre einschließt, und es soll auch die Tatsache nicht

unberücksichtigt bleiben, daß der entscheidende Grund ihrer Übernahme für ihn darin

liegt, daß sich ihr Inhalt als schriftgemäß erweist.101

2.1.5 Andere Aspekte seiner reformatorischen Theologie in Bezug auf die orthodoxe Kirche

Luther berief sich immer zur Bekräftigung seines eigenen Standpunktes auf die

Geschichte, die Praxis und die Lehre der Ostkirche, sofern er wußte, daß eine neue Lehre

oder eine Praxis, die er in die Kirche wieder einführen wollte, auch bei der orthodoxen

Kirche im Gebrauch war. Wie schon oben ausgeführt wurde, ist die Existenz der

orthodoxen Christen außerhalb der Jurisdiktion des Papstes der größte Beweis für ihn, daß

die Kirche auch ohne Papst existiert hat und existieren kann.

Aber was wußte Luther über die Praxis und die Lehre der orthodoxen Kirche noch?

Eine andere übereinstimmende Lehre mit der Ostkirche war für Luther die gemeinsam

verworfene katholische Auffassung über das Fegefeuer. Schon im Jahre 1519 teilte Luther

Georg Spalatin aus Wittenberg mit: Wer nicht ans Fegefeuer glaubt, ist kein Häretiker,

weil auch die Griechen nicht ans Fegefeuer glaubten und bis zu den jüngsten

Ketzermachern nicht als Häretiker betrachtet wurden.102 Hiermit begründet er erneut eine

von ihm nicht anerkannte Lehre durch die orthodoxe Lehre und Praxis.

Die Lehre vom Fegefeuer war mit der Lehre über den Ablaß eng verbunden. Das

Verkaufen von Ablässen war für Luther ein großer Stein des Anstoßes gewesen. Er

entdeckte, daß es diese Lehre auch bei den Griechen und anderen Christen aus dem Orient

- der Türkei, Tatarei und Livland - nicht gab,103 und das war ein Beweis für ihn, daß es sich

um eine Neuerung der abendländischen Kirche handelte.

Im Hinblick auf die orthodoxe Taufe wußte er, daß in der griechischen Kirche die

gebräuchliche Taufformel ist: „Getauft wird der Knecht Gottes“ und er meinte, daß die

101 Vgl. Mehedintu, Ostkirche, 297-299. 102 „Hoc certum est, neminem esse hereticum, qui non credit esse purgatorium, nec est articulus fidei, cum

Greci illud non credentes nunquam sint habiti ob hoc pro hereticis nisi apud novissimos hereticantissimos hereticantes...“ WA Br. 1, Nr. 218. Vgl. auch WA 1, 571.

103 „...clarum esset, quod Canonicae poenae non obligabant Graecos, sicut nec nunc obligant siqui sunt Christiani non subiecti Papae, ut in Turcia, Tartaria, Livonia. Illis ergo nulla istarum indulgentiarum est necessaria, sed tantum in orbe Romane Ecclesiae constitutis...“ WA 1, 571. Vgl. auch Karmiris, Luther und Melanchthon, 99- 100.

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Apostel mit der Wendung: „Ich taufe dich im Namen Jesu Christi“ getauft haben.104 Aber

in seiner Behauptung wird keine Kritik an der orthodoxen Praxis geübt.

Die Griechen hätten auch nicht die römische Messe, die für ihn eine aus vielen Lügen

zusammengesetzte Rhapsodie war.105 Über die Existenz der Privatmesse bei den

Orthodoxen war Luther sich nicht sicher106 und auch darüber, ob die orthodoxe Liturgie als

Opfer verstanden wird oder nicht, war er nicht sicher.107

Schließlich erwähnt Luther die orthodoxe Kirche auch in seiner Lehre von der Kirche,

indem er die Existenz der Kirche in der ganzen Welt auch auf die Existenz der orthodoxen

Christen bezieht. Das hat er in seiner Schrift: „Vom Abendmahl Christi,

Bekenntnis“(1528) getan, wo er schrieb: „eine heilige Christliche Kirche sey auff erden,

das ist, die gemeyne vnd zal odder versamlunge aller Christen, ynn aller welt, die einige

braud Christi und sein geistlicher leib, des er auch das einige heubt ist...Und die selbige

Christenheit ist nicht allein unter Roemischen kirchen adder Bapst, sondern in aller welt

...das also unter Bapst, Tuercken, Persen, Tattern und allenthalben die Christenheit ...“108

Die außerhalb des päpstlichen Stuhls stehenden Christen mußten seiner Meinung nach ein

Teil der universalen Kirche sein. Es kann deshalb gesagt werden, daß sich für Luther durch

die Beschäftigung mit den östlichen Kirchenfragen die ökumenische Grundlage seines

Kirchenbegriffs klärte.

Wenn man alle diese auf die Orthodoxie bezogenen Äußerungen Luthers näher in

Augenschein nimmt, ist festzustellen, daß Luther sich auf jene orthodoxen Lehren

beschränkt hat, die ihm eine Unterstützung in der Auseinandersetzung mit Rom anbieten

konnten109 und daß ihm die anderen Lehren der Ostkirche fremd geblieben waren.

104 Vgl. WA 6, 531. Wagner, Luther-Osteuropa, 88. 105 „Cum canonem missalem legeret, admirabatur abominationes et videbat esse rhapsodias undiquaquam ex

mendaciis collectas; dicebat Graecos et Mediolanos illum canone non habere...“ WA Tischreden 4, Nr. 4760.

106 Es handelt sich um ein Gespräch mit Melanchthon, der zu Luther sagte, daß es in Asien keine Privatmesse gab. Vgl. WA Tischreden 5, Nr. 6035.

107 „Es sey, das die Krychen odder Behemen disser schlechten, eynseltigen weyße gebrauchen und thun das...“ WA 8, 510. Vgl. auch Wagner, Luther-Osteuropa, 88. Melanchthon wird auch dieses Problem im Kapitel XXIV der Apologie der Confessio Augustana behandeln. Vgl. BSLK, 371-375. Das Problem erscheint auch bei Chytraeus, wenn er die Liturgie der östlichen Kirche beschreibt.

108 WA 26, 506. Vgl. auch Karmiris, Luther und Melanchthon, 102-103. 109 Vgl. dazu auch Papandreou, Martin Luther, 184: „Es darf aber die Vermutung geäußert werden, daß

Luther sich hier dadurch eine Beschränkung auferlegte. Daß er nur das suchte, was er zu finden hoffte, nämlich die Unterstützung in der Auseinandersetzung innerhalb der Ostkirche.“

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2.1.6 Persönliche Beziehungen Luthers zu einem Orthodoxen?

In der abendländischen Forschung ist bis heute eine sehr interessante Nachricht im

Hinblick auf die Beziehungen Luthers zu Osteuropa fast unbekannt geblieben. Döpmann

schrieb 1984 über Luther: „Viele Ausländer besuchten ihn, aber keine Orthodoxen.“110 Es

scheint aber, daß ein Gelehrter aus der Walachei (Moldau) ihn in Wittenberg besucht hat,

damit sie zusammen eine deutsch-rumänisch-polnische Ausgabe des Neuen Testaments

vorbereiten111 und es ist nicht ausgeschlossen, daß er ein Orthodoxer gewesen ist.

Diese Nachricht befindet sich in den Briefen Nicolai Pflugers, die 1952 in Posen

veröffentlicht wurden.112 Der Inhalt des Briefs lautet: „Dives quidam doctor ex Walachia,

vir canus, qui non germanice, sed latine et polnice loquitur, venit Wittembergam, ut videat

audiatque Martinum Lutherum, vultque quattuor Evanghelia et Paulum in lingua

walachica, polnicaque et theutonica excudi curare, quasi Cracoviae in Universitate tam

eruditi doctores non sint. Miror tamen senem doctorem sic infatuari a seductore isto et tam

longe ex sua provincia Wittembergam evocari. Datum feria 2 post Laetare 1532.“113

Was die ethnische und konfessionelle Angehörigkeit dieses Gelehrten aus der Moldau

betrifft, befinden wir uns vor einer Menge von Problemen, die aufgrund dieser einzigen

Quelle im Bezug auf diese Episode nicht endgültig gelöst werden können. Deshalb müssen

wir hier uns mit Hypothesen begnügen, denn das Quellenmaterial reicht für sichere

Aussagen nicht aus.

In der Moldau lebten damals neben den orthodoxen Rumänen auch Ungarn und Deutsche,

die zum größten Teil zum Protestantismus bekehrt wurden.114 Dieser „Doctor“ aus der

„Walachia“ (Moldau) war mit Sicherheit kein Deutscher und kein Ungar aus der

110 Döpmann, Das Verhältnis Luthers, 323. 111 Der einzige Forscher m. W. nach, der diese Sache erwähnt, ist G. Hering: „Viertens versuchte er (Luther),

die Bibel durch Übersetzungen den Orthodoxen zugänglich zu machen: 1532 holte er einen Moldauer nach Wittenberg, um eine deutsch-rumänisch-polnische Ausgabe des NT vorzubereiten“ Hering, Orthodoxie, 827.

112 Der Brief ist in ACTA TOMICIANA, Tomus quartus decimus (XIV) epistolarum, legationum, responsorum, actionum et rerum gestarum serenissimi principis Sigismundi Primi Regis Poloniae Magni Ducis Lithuaniae, 1532, edidit Vladislaus Pociecha, Posnanie, 1952, S. 202-203 in Polnisch und Lateinisch veröffentlicht worden.

113 ACTA TOMICIANA, Tom XIV, 1952, s. 203. Auf diesen Brief hat zum erste Mal der rumänische Historiker Şerban Papacostea im Jahre 1958 hingewiesen. Er deutete diesen Brief als den Beweis für die Existenz eines lutherischen Proselitismus zu dieser Zeit in der Moldau (Rumänien). Vgl. Papacostea, Moldova in epoca Reformei, 64 –72.

114 Vgl. dazu: Hugo Weczerka, Deutschtum im Fürstentum Moldau, 80-109.

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Moldau,115 weil er dem Brief nach der deutschen und der ungarischen Sprache nicht

mächtig war.

Er könnte entweder ein Rumäne aus der Moldau oder ein Pole gewesen sein, der sich

damals in der Moldau aufhielt,116 und der bereits von der Botschaft Luthers beeindruckt

wurde, denn er fuhr eigens nach Wittenberg, um Luther zu hören und dann die Evangelien

und die Paulus-Briefe ins Rumänische und Polnische zu übersetzen. Da er auch der

lateinischen Sprache mächtig war und auch der Brief von einem Polen übermittelt wird,

liegt die Vermutung nahe, daß er ein katholischer Pole sein könnte, der zum Luthertum

bekehrt wurde. Man könnte auch seine rumänischen Sprachkenntnisse durch den

Aufenthalt in der Moldau erklären, aber dies alles sind nur Vermutungen.

Auf der anderen Seite ist uns die Tatsache bekannt, daß die ersten bis heute aufbewahrten

rumänischen Handschriften mit den Evangelien und den Episteln von Paulus in

rumänischer Sprache aus dem Osten der Moldau stammen, und Experten haben als Zeit der

Übersetzung die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts angegeben.117 Darum haben einige

rumänische Forscher in diesem Gelehrten aus der Moldau den Autor der Übersetzung des

rumänischen Textes des slawo-rumänischen Evangeliariums von Hermannstadt 1551- 1553

gesehen, wo Einflüsse der deutschen Übersetzung des Neuen Testaments durch Martin

Luther festgestellt wurden.118

Wenn das sich so verhielte, könnte man von einem lutherischem Einfluß schon in der

ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf die orthodoxen Rumänen sprechen und Luther wäre

auf diese Weise direkt an der Übersetzung der ersten Bücher des Neuen Testaments in die

rumänische Sprache beteiligt.119

2.1.7 Zusammenfassung

Die Begegnung Luthers mit der Tradition der Ostkirche ist die Begegnung zweier

verschiedener Welten, Identitäten und Kulturen. Es waren zwei seit langer Zeit getrennte

und ganz verschieden entwickelte Welten, die sich jetzt wieder trafen. Luther hat versucht

115 Zu dieser Zeit existierte in der Moldau eine sehr starke deutsche Ansiedlung. Vgl. Weczerka, Deutschtum

im Fürstentum Moldau, 81f. 116 Die politischen, wirtschaftlichen und religiösen Beziehungen zwischen Polen und der Moldau waren damals sehr lebendig. Vgl. dazu: Ekkehard Völkl, Das rumänische Fürstentum Moldau, 62-74. 117 Vgl. dazu Al. Rosetti, Istoria limbii romane, 751-757. 118 Vgl. Al. Rosetti, Cu privire la datarea, 20-21. 119 Der älteste in rumänischer Sprache gedruckte und bis heute aufbewahrte Text ist der rumänische Text des

slawo-rumänischen Evangeliariums von Sibiu 1551-1553. Die Übersetzung weist einige Übereinstimmungen mit dem deutschen Text der Bibel in der Übersetzung Martin Luthers. Ausführlicher dazu: Daniel Benga, Protestantismul, 163-164.

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in der orthodoxen Kirche etwas zu finden, das ihm mehr Identität geben konnte, konnte

aber in derselben Zeit auch nicht auf seine eigene Identität verzichten.

Der von ihm gefundene Weg zu Gott war ein anderer Weg als der Weg der katholischen

oder der ihm ganz wenig bekannten der orthodoxen Kirche120. Er war der neue Prophet mit

einem epochalen göttlichen Sendungsbewußtsein und überzeugt von seiner theonomen

Bestimmung,121 und Propheten blicken nicht mehr zurück, weil sie etwas Neues bringen

wollen. Neben seiner reformatorischen Leistung hat Luther auch in Bezug auf die

orthodoxe Kirche etwas Neues gebracht: er hat das Bild der orthodoxen Kirche im

Bewußtsein der abendländischen Christenheit verändert.122 Hierin liegt meiner Meinung

nach der größte Dienst Luthers an der Orthodoxie. Er hat die Aufmerksamkeit der

Abendländer auf die Ostkirche gelenkt und seine Nachfolger (Melanchthon, Chytraeus,

u.a.) wurden dadurch bestimmt, diese alte Kirche weiter und besser zu entdecken. Das

haben sie dann tatsächlich auch getan.

Angesichts der vorausgegangenen langen Entfremdung zwischen Ost und West und der

zusätzlichen Isolierung der byzantinischen Kirche durch die türkische Herrschaft, hat

Luther dennoch für seine Zeit eine ziemlich umfassende Kenntnis des orthodoxen Ostens

gehabt. Aber Luther hat sich nur für jene orthodoxen Lehren interessiert, die ihm eine

Unterstützung in der Auseinandersetzung mit Rom anbieten konnten, und darum sind ihm

die anderen Lehren der Ostkirche fremd geblieben.

Er hat auch einige östliche Kirchenväter

gekannt, ihnen gegenüber hat er aber eine

zweifache Tendenz gehabt: einerseits hat er an 120 Die m. E. geniale Charakterisierung der Einstellung Luthers zur Orthodoxie durch Berdjaev bleibt immer

noch maßgebend: „Soviel Luther auch immer gegen den Katholizismus auftrat und wetterte, innerlich blieb er doch eine Erscheinung des abendländisch-katholischen Typus, wurde bestimmt durch den Geist des seligen Augustinus, suchte mehr nach der Rechtfertigung denn nach der Umwandlung, und ihm war mehr eine antropologische, als eine kosmische Auffassung vom Christentum zueigen.“ Berdjaev, Orthodoxie und Ökumenizität, 5.

121 Vgl. dazu Höhne, Luthers Anschauungen, 124 f. Er gibt in diesem Kapitel eine Menge von Behauptungen Luthers wieder, in denen er über sein Sendungsbewußtsein und seine theonome Bestimmung spricht. Einige Beispiele seien nach Löhne wiedergegeben: „Ich hab die heilige schrifft und Gotts wort also an den Tag bracht, als jnn taussent jaren nicht gewesen ist.“ WA 23, 36. Er war davon überzeugt, daß Christi Wort durch ihn an den Tag gekommen sei: „Ich bin auch der erste gewest, den gott auff diesen plan gesetzt hat...Ich bin auch der gewest, dem es got zum ersten offenbart hat, auch solche seine wort zu predigen“ nach Höhne, Luthers Anschauungen, 124.

122 Panagopoulos bemerkte: „Seit dieser Zeit macht sich ein neues Verständnis der Orthodoxie bemerkbar, das die späteren Generationen entscheidend prägen wird...“ Panagopoulos, Die Orthodoxie, 180.

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ihnen scharfe Kritik geübt, anderseits suchte

er Übereinstimmung mit ihnen, um seine

Rückkehr ad fontes der alten Kirche

nachzuweisen. Außerdem muß mit Nachdruck

darauf hingewiesen werden, daß ihre Lehre

für Luther im Zusammenhang mit seinen

theologischen Anfechtungen und seinem

reformatorischen Durchbruch keine

nennenswerte Bedeutung gehabt hat.

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2.2 Die Kenntnisse Melanchthons über die Orthodoxie und seine

Beziehungen zu orthodoxen Theologen 2.2.1 Melanchthon und der Geist des Humanismus im Luthertum

Da David Chytraeus ein Schüler Melanchthons war123, ist es notwendig zu untersuchen,

was sein Wittenberger Lehrer über die Ostkirchen wußte und wieviel er aus seinem Geist

und aus seinen ostkirchlichen Kenntnissen auch seinem Schüler vermittelte.

Die Ausbildung Melanchthons erfolgte im Geist des Humanismus. Dieser Geist ist zwar

auch bei Luther zu finden,124 aber bei Melanchthon macht die Synthese von Humanismus

und Reformation gerade das Spezifische seiner theologischen Bedeutung aus.125 Er

studierte an der Pforzheimer Lateinschule und an den Universitäten Heidelberg und

Tübingen bis zu seiner Berufung nach Wittenberg als Professor für die griechische Sprache

im Jahre 1518.126 Melanchthon war kein voll ausgebildeter Theologe127 und auch kein

Kleriker, trotzdem wurde er zum wichtigsten Autor von Bekenntnissen und autoritativen

Lehrtexten der lutherischen Reformation und gilt als der Reformator neben Luther.

Bevor wir auf seine ostkirchlichen Kenntnisse ausführlich eingehen, ist für unsere

Untersuchung sehr wichtig, die Art des deutschen Humanismus und des Humanismus

Melanchthons näher zu bestimmen.128 In Italien, wo Humanismus als eine Wiedergeburt

der Antike erschien, beschäftigten sich die Italiener zunächst hauptsächlich mit der

Wiederbelebung der römischen Antike und fanden wenig Zeit für die griechische. Aber die

in den Westen nach dem Florentiner Konzil von 1438-1439 und nach dem Fall 123 Siehe darüber Keller, David Chytraeus (1530-1600), 361-371. Das Verhältnis zwischen Melanchthon und

Chytraeus wird in einem folgenden Kapitel ausführlicher behandelt werden. 124 „Als ein eigentlicher Vertreter des Humanismus kann Luther jedoch in seinen Erfurter und frühen

Wittenberger Jahren nicht gelten, auch wenn er gewisse humanistische Stilmittel und Ausdrucksformen aufgenommen hat. Dazu war Luther viel zu sehr ein Theologe, dem es um den rechten Sinn des göttlichen Wortes und um die Heilsfrage ging.“ Lohse, Luthers Theologie, 38. Vgl. auch S. 37.

125 Vgl. dazu Strohm, Reformator und Humanist, 9. Sperl, Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, 9: Das Leben und das Werk Melanchthons stehen zwischen Humanismus und Reformation. In den letzten 3-4 Jahren sind über 100 Bände und Studien über Melanchthon erschienen. Mehr als 20 von ihnen behandeln Melanchthon als Humanist und Lehrer. Vgl. dazu Scheible, Philipp Melanchthon, 43-53.

126 Vgl. Strohm, Reformator und Humanist, 11-14 und Scheible, Philipp Melanchthon, 17-19. Über seine Ausbildung auch Stupperich, Gelehrter und Politiker, 13 ff. Melanchthon hat eine große Liebe für die griechische Sprache gezeigt. Er hat im Jahre 1518 eine Griechische Grammatik verfaßt und 1549 eine „Oratio de studiis linguae Graecae“ geschrieben ( Diese Oratio befindet sich in C.R. 11, 855-867), in der er eine Begründung für das Studium der griechischen Sprache gibt. Er hat auch selbst griechische Gedichte verfaßt. Dazu vgl. Stefan Rhein, Philologie und Dichtung: Melanchthons griechische Gedichte, Diss. Heidelberg, 1987. Wahrscheinlich hat er auch die Confessio Augusta ins Griechische übersetzt.

127 „Melanchthon war kein voll ausgebildeter Theologe. Sein Studium der Theologie reichte lediglich bis zu dem am 19. Sept. 1519 erworbenen Grad des Baccalaureus biblicus.“ Strohm, Reformator und Humanist, 10.

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Konstantinopels 1453 geflohenen griechischen Gelehrten129 haben einen entscheidenden

Impuls zur Wiederbelebung der griechischen Antike gegeben.

Der Humanismus wurde unter anderem von Johannes Reuchlin, dem Großonkel

Melanchthons, aus Italien über die Alpen nach Deutschland gebracht. Hier waren kurz

danach Süddeutschland und der obersächsisch-thüringische Raum Schwerpunkte der

griechischen Studien in Deutschland.130 Der deutsche Humanismus ist ein christlich

orientierter Humanismus, charakterisiert durch den Wunsch nach religiöser Klärung. Er

wollte vor allem eine geistige Grundlage für die ethische Erneuerung der verweltlichten

Kirche schaffen.131 Die im humanistischen Geist ausgebildeten Reformatoren wollten, wie

z. B. Melanchthon , „ad fontes“ der alten Kirche gehen und daher schenkten sie den

Kirchenvätern als den Vertretern des für vorbildlich geltenden Urchristentums eine

besondere Aufmerksamkeit.132 Unter diesem Gesichtspunkt war der Humanismus eine

ungeheuer wichtige Voraussetzung für die Entdeckung der östlichen Traditionen der alten

Kirche und schließlich für die Entstehung der orthodox-lutherischen Beziehungen im 16.

Jahrhundert; diese Tatsache wurde bis heute von den Forschern nicht genug

berücksichtigt.133

Anderseits wollte man als Humanist fremde Länder kennenlernen, um seinen Horizont zu

erweitern und sich zu eigenem Genuß und Gewinn zu bilden. Infolgedessen wurden

Reisebeschreibungen und Berichte über die Religion und die Bräuche der anderen

geschrieben. In diese Kategorie der Humanisten ist auch David Chytraeus einzureihen.

Seine Oratio über den Zustand der morgenländischen Kirchen ist nach einer solchen Reise

an der ungarischen Grenze des Reiches entstanden und dann als Vorlesung für die

Rostocker Studenten gedacht. Damit haben wir einen anderen Aspekt des Humanismus 128 Über den Humanismus im allgemeinen siehe: Lewis W. Spitz, Humanismus, in TRE , Band 15, 639-661. 129 Zu ihnen zählt man den Platoniker und Juristen Gemisthos Pletho, den Metropoliten von Nicäea Johannes

Bessarion, der zum Katholizismus übergetreten war, Johannes Argyropoulos, Demetrius Calcondyles, Johannes und Constantin Lascaris, u. a. Über ihre Leben und Editionstätigkeit siehe: Harlfinger, Graecogermania, 3-92. Vgl. auch Lewis W. Spitz, Humanismus, in TRE , Band 15, 644-645.

130 Vgl. dazu Walther, Hellas in Deutschland, 72. 131 Vgl. Holzberg, Griechischer Humanismus, 288. 132 Vgl. dazu Harlfinger, Graecogermania, 351f. Fast alle großen Persönlichkeiten des deutschen

Humanismus versuchten, die Kirchenväter durch Übersetzungen zugänglich zu machen. Johannes Cuno, Willibald Pirckheimer, Erasmus von Rotterdam und besonders Johannes Oekolampadius in Basel haben viele Werke der östlichen Kirchenväter ins Deutsche oder Lateinische übersetzt. Über die Tätigkeit Oekolampadius siehe Walter Troxler, Johannes Oekolampad (1482-1531), in „Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon“, Band 6, 1133-1150. Im allgemeinen über die Rückkehr ad fontes: Sperl, Humanismus und Reformation, 12-13.

133 In Hinblick auf die wichtigsten Beziehungen zwischen Orthodoxie und Luthertum im 16. Jahrhundert, nämlich die Korrespondenz zwischen den Tübinger Theologen und dem Patriarchen Ieremias II., darf nicht vergessen werden, daß der Ausgangspunkt der Korrespondenz humanistischer und nicht kirchlich-

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genannt: den pädagogischen Aspekt. Dieser Aspekt ist sowohl bei Luther und Melanchthon

als auch bei Primus Truber, David Chytraeus oder Johannes Honterus zu finden, die alle

Reformatoren und Humanisten zugleich waren, aber jeder mit seinem besonderen

Merkmal. Besonders Melanchthon, der Praeceptor Germaniae, war nicht nur der

Organisator oder Reorganisator verschiedener Schulen und Hochschulen134, sondern auch

ein Lehrer, der sich um eine möglichst gute Bildung der Theologen sorgte,135 so daß gesagt

werden kann, daß für ihn die Synthese vom Christentum und antiker Bildung theologisches

Leitbild war. Als Konsequenz der ungeheuren Bedeutung, die Melanchthon der

Wissenschaft und Bildung als Voraussetzung für die richtige theologische Erkenntnis

beimißt, sagt er z. B. im Hinblick auf die Kirchenväter, daß die Wahrscheinlichkeit eines

Irrtums um so geringer ist, je gebildeter ein Kirchenvater ist.136 Und das ist nur ein Beispiel

für die Art, wie humanistisches Gedankengut die Theologen beeinflussen konnte. Letztlich

haben alle diese Elemente und Aspekte des Humanismus, wie wir weiter sehen werden,

eine sehr wichtige Rolle in der Begegnung mit der Orthodoxie und in den orthodox-

lutherischen Beziehungen des 16. Jahrhunderts im allgemeinen gespielt.

2.2.2 Melanchthon vor der Tradition der alten Kirche: Die östlichen Kirchenväter, die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse und die ökumenischen Konzilien

Melanchthons humanistische Bildung und besonders seine Liebe für die griechische

Sprache haben bei ihm das Interesse für die griechische Patristik geweckt.137 Er greift auch

deshalb auf die Kirchenväter zurück, um zu beweisen, daß seine Lehre nicht eine neue

Erfindung ist.138 Darum war es ganz natürlich, daß er die orthodoxe Kirche mit ihren

berühmten Vätern besser als Luther und die anderen Reformatoren139 kannte und sie auch

höher achtete.140 Es ist auffällig, wie oft Melanchthon in seinen Schriften (u. a. der

Confessio Augustana, der Apologie der Confession und den Loci Communes) die

griechischen Väter heranzieht.

theologischer Art war und daß einer der größten Humanisten jener Zeit, Martin Crusius, die Initiative zu diesem Dialog schuf. Vgl. dazu Engels, Tübingen und Byzanz, 243-247.

134 Siehe dazu Hartfelder, Praeceptor Germaniae, 489-538. 135 Über sein Bildungsprogramm siehe Scheible, Melanchthon und die Reformation, 99-114. 136 Wegen seiner humanistischer Bildung gelangte Melanchthon zu dem Ergebnis: „Nähe zur apostolischen

Zeit plus Bildung schließen einen Irrtum nahezu völlig aus.“ Sperl, Humanismus und Reformation, 178. 137 „Das humanistische Interesse für die griechische Sprache und die reformatorische Einsicht in das Wesen

der Kirche öffneten Philipp Melanchthon den Zugang zum Verständnis der orthodoxen Kirche des Ostens und zugleich die persönlichen Verbindungen zu ihr.“ Slenczka, Melanchthon und die orthodoxe Kirche, 98.Vgl. auch Benz, Mélanchthon et l’Église orthodoxe, 165.

138 Vgl. darüber Mehedintu, Offenbarung und Überlieferung, 148 ff. 139 Über die ostkirchlichen Kenntnisse Calvins und Zwinglis siehe Hering, Orthodoxie, 831.

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Da Melanchthon im Laufe der Zeit mit wachsender Intensität Belegstellen aus der Patristik

zusammengestellt hatte, um seine Lehrmeinungen abzustützen, versuchten zunächst

Ritschl und zuletzt Meinhold nachzuweisen, daß Melanchthon nach einer Phase rigorosen

Biblizismus’ der Tradition der ersten Jahrhunderte „autoritative Geltung“ zuerkannt

habe.141 Doch diese Auffassung wurde von den neueren Deutungen der Theologie

Melanchthons, die einen tieferen Einblick in seine Theologie gewonnen haben und den

Standort der Tradition in seinen Schriften umsichtiger und differenzierter beurteilen, nicht

mehr geteilt.142

Melanchthon kannte die östlichen Väter der alten Kirche besser als Luther. Daß er sie auch

mehr als Luther schätzte, zeigt uns eine Tischrede, bei der Melanchthon sich gezwungen

sah, Luther zu widersprechen und das Ansehen Basilius des Großen, den er in seinen

Werken mehr als die anderen zitiert, zu verteidigen.143 Dank der obenerwähnten

Untersuchung von E. P. Meijering wissen wir fast sicher, welche östlichen Kirchenväter

und welche ihrer Schriften Melanchthon kannte: Athanasius von Alexandrien (Ad

Serapionem und De Incarnatione Verbi sicher, wahrscheinlich Contra Arianos, Conta

Gentes, De Decretis Nicaenae Synodi, De sententia Dionysii und De synodis), Basilius der

Große (Epistulae, Homilia II in Hexaemeron, Homilia de humilitate, Homilia de Spiritu

Sancto, Regulae brevius tractatae, Liber de spiritu sancto und wahrscheinlich Homilia de

fide, Homilia XVI, In illud „In principio erat Verbum“ und Sermo de legendis libris

gentilium), Johannes Chrysostomus (Contra eos qui subintroductas habent vigines, De

ferendis reprehensionibus, Expositio in Psalmum CXL, De poenitentia homiliae, In

Matthaeum homilia XVIII, In Epistulam ad Romanos homiliae, In Epistulam primam ad

Timotheum homilia VII, In Epistulam ad Hebr. homilia XII und wahrscheinlich De 140 Vgl. Karmiris, Luther und Melanchthon, 151. 141 Vgl dazu Mehedintu, Offenbarung und Überlieferung, 148 und Hering, Orthodoxie, 828. Peter Meinhold

schrieb: „Neben die Bibel hat er die autoritative Geltung der ersten Jahrhunderte der Alten Kirche treten lassen. Auch sie geben eine Norm für die Theologie genauso wie die Bibel.“ Meinhold, Philipp Melanchthon, 75.

142 Vgl dazu Mehedintu, Offenbarung und Überlieferung, 148 ff. Hier sind die folgende zwei Arbeiten zu erwähnen: Peter Fraenkel, Testimonia patrum. The Funktion of the Patristik Argument in the Theology of Philip Melanchthon, Librairie E. Droz, Geneve, 1961, 382 S. ( The appeal to the Fathers S. 11-252 und The critique of Fathers S. 253-362.) und E.P. Meijering, Melanchthon and patristic Thought. The doctrines of Christ and Grace, the Trinity and the Creation, E.J.Brill, Leiden, 1983, 165 S.

143 „Philippus Melanchthon Basilium commendavit... Econtra D. M. Lutherus Cyprianum summis extulit laudibus...“ WA Tischreden 5, Nr. 6412. Meijering, Melanchthon and patristic Thought, 84 schrieb: „Greek Fathers like Basil, Gregory Nazianzen and Chrysostomus are judged much more positively by Melanchthon than by Luther, and in this respect the influence of Erasmus may be detected.“ Die humanistische Bildung spielt also auch hier eine wichtige Rolle. Er hatte zwei feste Regeln, nach denen er die Autorität eines Kirchenvaters einschätzte: 1. Die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums ist bei einem Kirchenvater um so geringer, je kürzer der Abstand von der biblischen Zeit ist. 2. Die Wahrscheinlichkeit

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incomprehensibili Dei natura homiliae, In Ioannem homiliae und De Anna sermo),

Clemens von Alexandrien (Stromata), Cyrill von Alexandrien (Adversus Nestorium,

Dialogus de Trinitate und wahrscheinlich Adversus Anthropomorphitas und Epistulae),

Johannes von Damascus (De fide orthodoxa), Didymus von Alexandrien (wahrscheinlich

De Trinitate), Epiphanius von Salamis (Adversus haereses), Eusebius von Cesareea

(Historia ecclesiastica), Gregor von Nazianz (Carminum liber, Orationes, Orationes

theologicae und wahrscheinlich Epistulae), Origenes (Commentarius in Matthaeum,

Commentarius in Ad Romanos, De Principiis und wahrscheinlich Contra Celsum) und

Theodoret von Cyros (Dialogus II - Inconfusus und Dialogus III - Impatibilis).144

Es dürfte als gesichert gelten, daß keiner der Reformatoren so viele Werke der östlichen

Kirchenväter kannte wie Melanchthon. Aber seine wichtigste patristische Quelle blieb

Augustin,145 wie wir auch schon bei Luther gesehen haben. Melanchthon hat sich der

Lehre der Kirchenväter gegenüber kritisch verhalten, aber bei ihm fehlt die scharfe Kritik,

die wir bei Luther antreffen. Für seine Beurteilung der Kirchenväter wendet er das

Kriterium der Übereinstimmung ihrer Lehre mit der Heiligen Schrift an. Die Autorität der

Kirchenväter ist der Autorität der Bibel untergeordnet, weil letztere eine absolute Autorität

hat, während die Kirchenväter nur eine relative Autorität haben.146 Letztlich kann seine

Stellung gegenüber den Kirchenvätern wie folgend charakterisiert werden: „Melanchthon

combined a certain criticism – at times even severe criticism – of the Fathers with the

positive appeal to their teaching.“147 Er wollte mit der Heranziehung der Lehre der

Kirchenväter zuerst die Übereinstimmung seiner Lehre mit der Lehre der Alten Kirche

beweisen und die Richtigkeit seiner Bekenntnisse zuerst mit der Begründung auf die

Schrift und danach mit der Lehre der Kirchenväter untermauern.

In der Schrift „De ecclesia et de autoritate verbi Dei“148 wurde von Melanchthon der

dogmatischen Tradition der alten Kirche große Bedeutung und Anerkennung beigemessen.

Aber die Motivation dieser Anerkennung ist wie bei der Übernahme der Glaubenssymbole

durch Luther: „propter verbum Dei.“149 Die höchste Bewertung der altkirchlichen

eines Irrtums ist um so geringer, je gebildeter ein Kirchenvater ist. Vgl. dazu Sperl, Humanismus und Reformation, 178.

144 Die Liste ist wiedergegeben nach Meijering, Melanchthon and patristic Thought, 148-163. 145 „ Augustin is obviously Melanchthon’s most important Patristic source.“ Meijering, Melanchthon and

patristic Thought, 19. 146 „Scripture and post-scriptural teaching are essentially the absolute and the relative parts of the one line,

which leads us back to divine revelation and thus to pure truth.“ Fraenkel, Testimonia patrum, 361. 147 Fraenkel, Testimonia patrum, 252. 148 Der Text dieser Schrift in : CR 23, 585-642 und St.A, Band 1, 323-386. 149 „Die Autorität, die die Kirche besitzt, ist nicht die eigene, sondern die des Wortes Gottes, das sie

verkündet und auslegt.“ Mehedintu, Offenbarung und Überlieferung, 151.

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Tradition findet ihren Ausdruck in der Aussage, daß Gott sich auch in den drei

altkirchlichen Symbolen geoffenbart hat.150 Melanchthon hat großes Interesse an den

Symbolen gezeigt,151 aber die Voraussetzung, daß die altkirchlichen Glaubenssymbole den

Inhalt der Schrift kurz zusammenfassen und darlegen, steht erkennbar im Hintergrund

dieses Gedankens, daß die Schrift und die Symbole göttliche Lehre seien. Sie stehen neben

der Schrift, weil sie für Melanchthon mit der Schrift in ihren inhaltlichen Aussagen einig

sind.152

Aus einigen Schriften Melanchthons geht hervor, daß er, wie auch Luther, nur die ersten

vier ökumenischen Konzilien der alten Kirche kannte.153 Erst 1558, zwei Jahre vor seinem

Tod, gab Melanchthon eine Chronik heraus, die Johannes Carion (1499-1538), der

berühmte Mathematiker des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg, verfaßt hatte und die

er vollständig überarbeitet hat.154 Dieses „Chronicon Carionis“ umfaßt auch die Geschichte

der griechischen Kirche bis zum 7. Ökumenischen Konzil von Nicäa (787). Die Geschichte

der alten Kirche wird kritisch betrachtet, aber auch die letzten drei ökumenischen

Konzilien werden erwähnt.155 Das 7. Ökumenische Konzil wird scharf kritisiert, weil es die

Bilderverehrung stabilisiert und auf diese Weise den Götzendienst in der Kirche vermehrt

habe.156 Da die Konzilien sich laut Melanchthon oft geirrt hätten und irren könnten, soll

man ihre Beschlüsse anhand der Schrift überprüfen.157 Richtig seien nur jene Beschlüsse

der Konzilien, die auf Grund der Schriftwahrheit formuliert wurden.

150 In einem Brief an Alberto Hardebergio, 26 Januar 1559, schrieb Melanchthon: „Tecum invoco verum

Deum, sicut se patefecit in scriptis propheticis et apostolicis, et Symbolis.“ CR 9, 733. 151 Melanchthon hatte zwei umfangreiche Werke, in denen er eine Interpretation, eine Auslegung des

nizänischen Symbols gibt: Enarratio Symboli Niceni – CR 23, 193-346 und Explicatio Symboli Niceni – CR 23, 347-584.

152 Vgl. Mehedintu, Offenbarung und Überlieferung, 154-155. 153 In der Schrift „De ecclesia et de autoritate verbi Dei“ erwähnt er nur die ersten vier ökumenischen

Konzilien, und auch einige lokale Konzilien aber nur bis ins fünfte Jahrhundert . Vgl. CR 23, 606-607. Auch in Loci communes, wo er über die Konzilien schreibt, erwähnt er die ersten Konzilien bis Ephesus und dann die römischen Konzilien vom Anfang des zweiten Jahrtausends. Vgl. Melanchthon, Loci communes, 3, 140-147.

154 Der ganze Titel lautet: „Chronicon Carionis latine expositum et auctum multis et veteribus et recentibus historiis, in narrationibus rerum Graecarum, Germanicarum et Ecclesiasticarum“ 1558. Der Text befindet sich in CR 12, 711-1094. Vgl. auch Benz, Die Ostkirche, 20.

155 Über das fünfte und sechste ökumenische Konzil wird gesagt: „ Quinta Synodus οικουµενικe a Iustiniano Constantinopolin convoccata est anno Christi 552...“ CR 12, 1052. „ Anno Christi sexcentesimo octuagesimo primo, Synodus οικουµενικe ab imperatore convocata est Byzantium...“ CR 12, 1082.

156 „ Tempore Irenes Synodus quae nominatur Septima οικουµενικe, in urbem Niceam translata est, quae decretum fecit de statuis et imaginibus restituendis. De qua controversia non addo disputationem. Sed manifestum est cultum idolorum cumulatum esse statuis.“ CR 12, 1094.

157 „Quandoquidem perspicuum est errare posse concilia, cur non exiguntur eorum decreta ad scripturam ?“ Melanchthon, Loci communes, 3, 149. Wir sollten aber nicht vergessen, daß sich die Reformatoren gegen die katholische Lehre, daß „concilium regitur immediate a spiritu sancto nec potest errare“ (Loci

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Zusammenfassend können wir sagen: Wenn der Tradition in der Theologie Melanchthons

auch eine bedeutendere Rolle als bei Luther zukommt, so hält er doch an der Absolutheit

der Schrift fest. Dennoch hat er viel mehr als Luther über die Lehre und die Kirchenväter

der Ostkirche gewußt. Auch in Hinblick auf die ökumenischen Konzilien der alten Kirche

kannte Melanchthon die wichtigsten dogmatischen Entscheidungen dieser Konzilien und

wußte auch einiges über ihren Verlauf. Sein Schüler Chytraeus wird ihn hinsichtlich der

Anerkennung der Autorität der Tradition der alten Kirche überholen.158

2.2.3 Die Kenntnis von Lehren und Praktiken der orthodoxen Kirche

Einen tieferen Einblick in die Kenntnisse Melanchthons über die Ostkirche bekommen wir,

wenn wir die von ihm verfaßten Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche – die

Confessio Augustana und die Apologie der Konfession – in Augenschein nehmen.

Besonders suchte er während der Ausarbeitung der Apologie zur Confessio Augustana und

in den religiösen Streitgesprächen159 Anhaltspunkte für bestimmte protestantische Lehren

in der Theologie und Praxis der orthodoxen Kirche.

In der Apologie finden wir wiederholte Berufungen auf die liturgische Ordnung der

griechischen Kirche beim Abendmahl. In Artikel X, dem Abendmahlsartikel der Apologie,

wird die Übereinstimmung mit der griechischen Kirche in der realen Gegenwart und im

Empfang des Leibes Christi hervorgehoben. Als Beleg für dieses Verständnis der

Realpräsenz wird auf die Epiklese der griechischen Liturgie160 und auf Stellen aus

Theophylakt von Bulgarien161 und Cyrill von Alexandrien162 hingewiesen. Im Artikel XXII

wird gegenüber der mittelalterlichen Praxis bei der Sakramentsausteilung in nur einer

Gestalt des Brotes darauf hingewiesen, daß vom Herrn das Abendmahl unter beiderlei

communes, 3, 136) gewandt haben, und gegen die Unfehlbarkeit des Papstes. Vgl. auch Hering, Orthodoxie, 828-829.

158 Vgl. dazu Kap. 7.3. 159 Zum Beispiel hat er in den Abendmahlsstreitigkeiten eine Belegsammlung von den Kirchenvätern verfaßt:

„Sententiae veterum aliquot scriptorum de coena Domini.“ CR 23, 727-752. 160 „Et comperimus non tantum romanam ecclesiam affirmare corporalem praesentiam Christi, sed idem et

nunc sentire et olim sensisse graecam ecclesiam. Id enim testatur canon missae apud illos, in quo aperte orat sacerdos, ut mutato pane ipsum corpus Christi fiat.“ BSLK, 248.

161 „Et Vulgarius, scriptor ut nobis videtur non stultus, diserte inquit, panem non tantum figuram esse, sed vere in carnem mutari.“ BSLK, 248. Über Theophylakt, Erzbischof von Ochrida im 11. Jahrhundert und seine Werke siehe: Maloney, History, 220-222.

162 „Et longa sententia est Cyrilli in Iohannem cap. 15., in qua docet, Christum corporaliter nobis exhiberi in coena.“ BSLK, 248. Vgl. auch Karmiris, Luther und Melanchthon, 152-153.

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Gestalt ursprünglich für die ganze Kirche eingesetzt worden ist. Melanchthon wußte, daß

„solcher Brauch auch heutiges Tages in der griechischen Kirche gehalten wird.“163

Melanchthon wußte auch, als er die römisch-katholischen Privatmessen bekämpfte, daß es

so etwas bei den Griechen nicht gibt: „Denn in den griechischen Kirchen werden auf

diesen Tag keine Privatmessen gehalten, sondern allein eine Messe, und dasselbige auf die

Sonntage und hohe Feste. Das ist alles ein Anzeigung des alten Brauchs der Kirchen.“ Die

lateinische Fassung bringt noch die Ergänzung: „In monasteriis fit cotidie missa, sed

tantum publica.“164 Damit zeigt Melanchthon nicht nur sein Vertrauen in die Bewahrung

der alten Tradition durch die Ostkirche, sondern daß er auch Kenntnisse über das

orthodoxe klösterliche Leben hatte.

Außerdem kannte Melanchthon die Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomus sehr gut,

aus der er oft zitiert,165 um den Gegnern zu beweisen, daß die Eucharistie bei den Griechen

kein für die Toten dargebrachtes Sühneopfer ist. So schreibt er im Artikel XXIV der

Apologie u.a.: „Und der griechisch Canon appliciert auch nicht die Messe als ein

Gnugtuung für die Toten; denn er appliciert sie zugleich für alle Patriarchen, Profeten,

Aposteln. Daraus erscheint, daß die Griechen auch als ein Danksagung opfern, nicht aber

als eine Satisfaktion für die Pein des Fegfeurs.“166 Melanchthon erkannte den Charakter

des Meßopfers in der griechischen Kirche richtig,167 indem er bemerkte, daß die orthodoxe

Kirche dem Opfer in der göttlichen Eucharistie keinen Satisfaktionscharakter zuerkennt.

Demselben Problem werden wir auch bei David Chytraeus begegnen.168

Andere Praktiken der Ostkirche, die Melanchthon auch bekannt waren, waren der Ehestand

der Geistlichen169 und vom Anfang an die Nichtanerkennung des päpstlichen Primats, des

Anspruchs des Papstes, „vicarius Christi in terris“ zu sein.170

Wie bei Luther kann man auch bei Melanchthon feststellen, daß er jene Praktiken und

Lehren der Ostkirche thematisiert, die Kontroverspunkte zwischen den Reformatoren und 163 BSLK, 329. 164 BSLK, 350-351. Über die Bedingungen, unter denen eine Messe in der orthodoxen Kirche zelebriert

werden darf, siehe: Karmiris, Luther und Melanchthon, 153-154. 165 Siehe: BSLK, 373 und 375. 166 BSLK, 375. Siehe auch den lateinischen Text bei derselben Seite. 167 „Es gibt keine orthodoxen Theologen, die den Opfercharakter der Liturgie in Frage stellen würden, den

die liturgischen Texten selbst so eindrücklich bezeugen. Wohl aber gibt es im Rahmen der orthodoxen Theologie sehr große Unterschiede in der Auslegung und Bestimmung dieses Opferscharakters.“: Felmy, Die orthodoxe Theologie, 210. Über die Art, wie der Opfercharakter der göttlichen Eucharistie in der orthodoxen Theologie verstanden wird, siehe: Felmy, Die orthodoxe Theologie, 209-213; Staniloae, Teologia Dogmatica Ortodoxa – 3, 71-78; Karmiris, Luther und Melanchthon, 154.

168 Siehe Kap. 5.4.5. 169 Siehe darüber: BSLK, 87-88 und 334, 348.

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den katholischen Theologen waren. Dennoch wußte er mehr als Luther über die Theologie

der östlichen Kirchenväter, die liturgischen Ordnungen der Ostkirche und über das

klösterliche Leben.

2.2.4 Die Beziehungen Melanchthons zu den Orthodoxen als Quellen für seine ostkirchlichen Kenntnisse

Melanchthon besaß in Osteuropa keine Anknüpfungspunkte verwandtschaftlicher Art, und

in den Osten des Reiches ist er niemals gekommen. Aber sein wissenschaftlicher Ruf ist

früh nicht nur in die deutschen Ostgebiete, sondern auch in das ganze Europa gedrungen,

so daß viele Studenten, Diplomaten und Gelehrte den berühmten Wissenschaftler aus

Wittenberg kennenlernen wollten.171 Einige haben ihm Briefe geschickt, unter ihnen auch

der in Venedig lebende griechische Gelehrte Antonius Eparchos,172 andere aber haben ihn

in Wittenberg besucht. Unter den Besuchern, die oftmals bei Melanchthon im Haus

untergebracht wurden,173 befanden sich auch einige Orthodoxe: Franciscus Magera von

Patras, Jakobus Heraklides Despota, Stephan von Capadokien, ein Grieche aus Nauplion

und der Diakon Demetrius. Nachdem Philipp Melanchthon schon von Magera, Eparchos,

Heraklides und den anderen Griechen einige Nachrichten über die Ostkirche erhalten hatte,

erhielt er eine tiefere und lebendige Kenntnis von der Ostkirche erst im Jahre 1559, als sich

der Diakon Demetrius bei ihm im Haus aufhielt.

Antonios Eparchos schrieb Melanchthon am 22. Februar 1543 einen Brief,174 in dem er ihn

vor der Bedrohung des christlichen Europa durch die Türken warnte. Der Brief vermittelte

Melanchthon sehr wenige und oberflächliche Daten über die Religion und den Zustand der

orientalischen Christen, aber er trug zur Entwicklung und Entfaltung der

170 Diesen Kontroverspunkt hat Melanchthon ausführlich in der Schrift „De potestate et primatu Papae“

erörtert. Siehe BSLK, 474 ff. und 485 ff. 171 Vgl. Stupperich, Melanchthon, 85. 172 Antonios Eparchos war ein griechischer Adeliger und wurde auf der Insel Korfu im Jahr 1492 geboren.

Um zu promovieren, begab er sich nach Venedig, wo er ein Schüler des Arsenios Apostolos wurde. Im Jahre 1520 wurde Eparchos durch die Bemühungen seines Verwandten Janos Laskaris Leiter der griechischen Akademie in Mailand. Später gründete er in Venedig unter dem Schutz der venezianischen Regierung eine Privatschule, wo er Griechisch unterrichtete. Von Venedig aus hat er 1543 sein Schreiben an Melanchthon gerichtet. Er ist im Jahre 1570 oder 1571 gestorben. Mehr über sein Leben und Werk bei: Legrand, Bibliographie Hellénique, S. CCX – CCXXVII. A. Tillyrides, An Epistle of Antonios Eparchos, 101ff.

173 Melanchthon war nicht nur durch seine Gelehrsamkeit berühmt, sondern auch durch seine Gastfreundlichkeit, mit der er Besucher aus dem Osten empfing, beriet und unterbrachte. Vgl. Stupperich, Melanchthon, 85.

174 Der Brief des Eparchos an Melanchton wurde im Jahr 1584 von Martin Crusius veröffentlicht: Crusius, Turcograecia, 543-545. Eine deutsche Übersetzung dieses Briefes befindet sich bei: Benz, Wittenberg und Byzanz, 6-12.

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melanchthonischen Eschatologie bei. Eparchos warnte Melanchthon: „Denn Soliman

bereitet sich, wie ich von glaubwürdigen Männern erfahren habe, zu Wasser und zu Lande

vor, wie niemals ehedem, und steuert mit vollen Segeln auf Deutschland los, und dabei

unmerklich auch gegen alle übrigen Christen...“175 Da die von den Türken bedrohte Welt,

nach der Meinung Melanchthons, in ihre Endzeit eintrete, sollten sich die versprengten

Reste der Christen zusammenschließen, denn Gott werde seine Kirche nicht untergehen

lassen. Diese eschatologische Auffassung wiederholte er immer wieder in sehr vielen

Briefen aus dem Jahr 1543,176 und das zeigt den starken Eindruck, den das Schreiben des

Antonios Eparchos auf Melanchthon gemacht hat. In dem Vorwort,177 mit dem

Melanchthon in demselben Jahr 1543 den Wittenberger Nachdruck der ersten

siebenbürgischen Reformationsordnung178 versah, erscheint wieder im Hinblick auf

Siebenbürgen, wo damals Reformation und Orthodoxie aufeinanderstießen, der Gedanke,

daß Gott immer einen „heiligen Rest“ erhalten wird: „er wird den Rest und eine

Versammlung erhalten, sofern das Evangelium in ihnen bleibt.“179 Die Katholiken haben

durch viel Aberglauben und viele Neuerungen den wahren Glauben entstellt, und die Strafe

für diesen Verfall des Glaubens ist durch die Türken nahe gekommen. Darum soll die

christliche Welt zum wahren Evangelium zurückkehren, wenn sie weiter existieren will.

Diese Geschichtseschatologie weckte sein Interesse für die zeitgenössische orientalische

Kirche. Die Türken hatten schon die Gebiete, in denen die griechische orthodoxe Kirche

existierte, erobert. War das nach Meinung Melanchthons eine Strafe für den Verlust des

alten authentischen Glaubens, für den Abfall von der Wahrheit? Er spricht nicht direkt

darüber, aber wenn wir zwei von seinen Briefen aus den Jahren 1559 in Betracht ziehen,

können wir uns schon einen Eindruck davon machen. Es handelt sich um einen Brief an

Hieronymus Baumgartner,180 seinen treuen Schüler und Ratsherrn der Stadt Nürnberg, und

den im klassischen Griechisch geschriebenen Brief an den ökumenischen Patriarchen.181 In

diesen beiden Briefen drückt Melanchthon seine Bewunderung aus, „daß Gott noch immer

175 Benz, Wittenberg und Byzanz, 11. Zur Stellung Melanchthons zum Islam siehe: Binder, Der Preaceptor

Germaniae, 116-118. 176 G. Hering gibt eine ganze Reihe von Briefen Melanchthons aus dem Jahr 1543, in dem er diese

Auffassung wiederholte: Hering, Orthodoxie, 829-830. 177 Das Vorwort ist abgedruckt in: Schriften des Johannes Honterus, Valentin Wagner und Markus Fronius in

deutscher Übersetzung, Verarbeitet vom Verfasser Iulius Groß, Guttenberg-Druckerei, Brasov-Kronstadt, 1927-1929, S. 47-48.

178 Johannes Honterus, Reformatio ecclesiae Coronensis ac totius Barcensis provinciae, Kronstadt, 1542. 179 Zitat aus dem Vorwort bei: Pitters, Weltweite Kirche, 455. Der Verfasser gibt eine neue Übersetzung des

Vorwortes begleitet von einem Kommentar. 180 Der Brief befindet sich in: CR 8, 924. Eine deutsche Übersetzung bietet: Benz, Die Ostkirche, 18. 181 Der Brief in griechischer und lateinischer Sprache befindet sich in: CR 9, 921-924. Deutsche Übersetzung:

Benz, Die Ostkirche, 18-19.

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in wunderbarer Weise eine nicht kleine Kirche in Thrazien und Kleinasien und

Griechenland erhält, so wie er einst die drei Männer in der chaldäischen Feuersflamme

erhalten hat. So danken wir nun also dem wahren Gotte, dem Vater Jesu Christi, daß er mit

starker Hand unter einer solchen Menge unfrommer und gotthassender Gegner sich eine

Herde erhält, die seinen Sohn Jesus Christus recht ehrt und anruft.“182 Wir finden in diesen

Zeilen die Anerkennung der Richtigkeit des orthodoxen Glaubens durch Melanchthon,

gemäß seiner Geschichtstheologie, nach der Gott nur jene Kirchen in der Geschichte erhält,

die ihn recht ehren und anrufen. Damit waren für Melanchthon auch die unter der

türkischen Herrschaft im Leben gebliebenen orthodoxen Kirchen ein „heiliger Rest.“

Dieser Brief von Antonios Eparchos hat Melanchthon „zur Abgrenzung des religiösen und

des politischen Aspekts der Reformation und zu einer Selbstbesinnung über die

geschichtliche Verantwortung der Reformation geführt.“183

Auch wenn immer wieder behauptet wurde, daß die erste Begegnung Melanchthons mit

einem orthodoxen Griechen die Begegnung mit Jakob Heraclid Despotes war,184 stimmt

das so nicht, weil der Wittenberger Reformator schon im Jahr 1541 in Regensburg den

griechischen Professor Franciscus Magera aus Patras kennengelernt hat.185 Dadurch ist das

Treffen Melanchthons mit Franciscus Magera das erste persönliche Treffen überhaupt

zwischen einem Reformatoren und einem Orthodoxen, das dem Anfang der Beziehungen

zwischen den Reformatoren und den Orthodoxen eigentlich fast zehn Jahre vorausgeht.186

182 Zitat nach Benz, Die Ostkirche, 19. 183 Benz, Wittenberg und Byzanz, 34. 184 Hans Petri, Jakobus Basilikus Heraklides, 108: „Heraclides ist wohl die erste Persönlichkeit aus der

griechischen Welt gewesen, die in den Gesichtskreis der deutschen Reformatoren trat.“ Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 34: „Hatte die erste Begegnung Melanchthons mit einem orthodoxen Griechen (Antonios Eparchos) zur Abgrenzung ..., so führt die zweite Begegnung mit einem Griechen dazu... Dieser Grieche war Jacobus Heraclide Despota.“ Hering Gunnar, Orthodoxie und Protestantismus, 830. Oskar Wagner, Reformation und Orthodoxie, 23-26 und Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 21-22.

185 Ich bin auf diese neue und bis jetzt unbekannte Episode aus den Beziehungen Melanchthons mit den orthodoxen Griechen durch eine Suche in Corpus Reformatorum und mit der Hilfe der Regesten - Heinz Scheible – Melanchthons Briefwechsel – gekommen.

186 In den Briefen, in denen sich Nachrichten über Magera befinden, finden wir keine Angaben, die seine orthodoxe Identität klar bestätigen. Aufgrund des für einen Griechen ungewöhnlichen Vornamens vermutete Martin Hein, daß „Magera nicht der griechisch-orthodoxen, sondern der seit der Unterwerfung Moreas durch die Franken dort ebenfalls ansässigen römischen Kirche angehörte.“ Martin Hein, Das Schicksal des Franz Magera, 309, Anm. 6. Ich bestehe darauf, daß er ein orthodoxer Grieche war und zwar aus den folgenden Gründen: 1. Nachdem Magera in Italien keine Hilfe bekommen hatte, wurde er auf dem Reichstag in Regensburg 1541 von den Protestanten und nicht von den Katholiken unterstützt. 2. Magera schreibt danach einen Brief nach Wittenberg, in dem er um Hilfe Martin Luthers und anderer lutherischen Theologen bat. 3. Als römisch-katholischer Christ konnte er Melanchthon nicht berichten, „daß die Reste des griechischen Volkes, die überall verstreut sind, noch mit großer Beharrlichkeit an der wahren Religion und Lehre Christi festhalten.“ Siehe: CR 4, Nr. 2221. 4. Wenn er ein Katholik gewesen wäre, könnte er Hilfe von Rom, Venedig oder katholischen Theologen erbitten.

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Melanchthon traf Magera in Regensburg während des Interims 1541 auf Empfehlung von

Veit Dietrich.187 Melanchthon schrieb Veith Dietrich am 5. April 1541, daß er den

Griechen kennengelernt hatte und daß sie sich schon unterhalten hätten.188 Nachdem

Melanchthon am 8. April einen neuen Brief an Veit Dietrich in Bezug auf Magera

geschickt hatte,189 stellte er zusammen mit anderen lutherischen Theologen190 eine

„Commendatio et intercessio pro Francisco Magera homine graeco“ aus,191 der wir sehr

interessante Auskünfte über Franciscus Magera und die Beziehung zwischen ihm und

Melanchthon entnehmen können.

Neben vielen biographischen Daten über Franciscus Magera192 erfahren wir, daß

Melanchthon ihn viel über die Lage der Studien und der Kirchen Griechenlands gefragt

hat.193 Melanchthon erfuhr, daß der Rest der Griechen, die überall zerstreut sind, mit

Beständigkeit die wahre Religion und die Lehre Christi aufbewahrt haben.194 Damit erfuhr

der Wittenberger Reformator, daß Gott sich „einen heiligen Rest“ auch unter den

orthodoxen Christen aufbewahrt hat.

Die Protestanten haben durch Magera viele neue Auskünfte über die Riten, die Lehre und

die Ordnung der griechischen Kirche kennengelernt.195 Zwei Monate haben die

Reformatoren und Magera zusammen verbracht, so daß sie die guten Sitten dieses

Griechen beobachten konnten.196

187 Veit Dietrich war Pfarrer und Prediger bei der Sebalduskirche in Nürnberg. Über ihn: Klaus Bernhard,

Veit Dietrich. Leben und Werk, Selbstverlag des Vereins für bayerische Kirchengeschichte, Nürnberg, 1958, 445 Seiten.

188 Der Text des Briefes: CR Band 4, Nr. 2178. Zusammenfassung: MBW Band 3, Nr. 2657. 189 Der Text des Briefes: CR Band 4, Nr. 2181. Zusammenfassung: MBW Band 3, Nr. 2659. 190 Die Semnataren des Gutachtens waren: Philipp Melanchthon, Martin Bucer, Johannes Pistorius, Wolfgang

Musculus, Veit Dietrich, Johannes Draconites, Antonius Corvinus, Martin Frecht und Johannes Brenz. CR Band 4, Nr. 2221, 271.

191 Die Empfehlung für Magera wurde unter dem Titel „Testimonium Magerae“ in: CR Band 4, Nr. 2221 veröffentlicht. Zusammenfassung: MBW Band 3, Nr. 2689. Der Brief wurde wahrscheinlich von Melanchthon selbst verfaßt, der ihn neben anderen acht lutherischen Theologen als erster unterschrieb.

192 „Exposuit igitur nobis, se in oppido Achaiae, cui nomen est vetus Patra, natum esse ac in scholis docuisse literas, et veteres graecos oratores et poetas iuventuti enarrasse. CR Band 4, Nr. 2221, 270.

193 „Venit ad nos in conventu Ratisponnensi hic Franciscus Magera vir graecus, quem cum animadvertissemus erudite loqui et scribere graeca lingua, multis de causis gavisi sumus, nobis cum eo commercium esse sermonis, ut de studiis et ecclesiis eius gentis, quae olim praecipuam doctrinae, virtutis, et pietatis laudem habuit, quaedam interrogaremus.“ CR Band 4, Nr. 2221, 269.

194 Narrat enim, reliquias graecae gentis, quae sparsae sunt passim, adhuc magna constantia veram religionem et Christi doctrinam retinere....“ CR Band 4, Nr. 2221, 270.

195 „Cum autem et de ecclesiis et disciplinis multum suscitaremur, satis erudite pleraque respondit, et ritus ac sententias ecclesiae graecae ita exposuit, ut appareat, eum in ecclesiastica doctrina recte institutum esse, pios ritus amare, et Christum filium Die, servatorem nostrum, pio pectore colere.“ CR Band 4, Nr. 2221, 270.

196 Cum que in ea familiari consuetudine duorum mensium licuerit nobis eius ingenium considerare, iudicamus eum placidis honestis moribus praeditum esse.“ CR Band 4, Nr. 2221, 270.

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Obwohl wir keine näheren Angaben über die Kenntnisse haben, die der griechische

Professor Franciscus Mageras aus Patras Philipp Melanchthon und den anderen mit ihm in

Regensburg anwesenden Reformatoren vermittelt hat, können wir aus den bekannten

Daten schließen, daß Melanchthon einzigartige Neuigkeiten über den Zustand der

orthodoxen Kirchen und der gelehrten Studien in Griechenland am Anfang der 40-er Jahre

des 16. Jahrhunderts erfahren hat.

Eine neue Begegnung Melanchthons mit einem Griechen führte dazu, „diesen selbst für die

Reformation zu gewinnen, ihn zum Vorkämpfer der evangelischen Lehre zu machen und

die Reformation auf das Gebiet der griechisch-orthodoxen Kirche selbst in die

Woiwodschaft Moldau vorzutragen.“197 Dieser Grieche war Jakobus Heraklide Despota,198

ein auf der Insel Rhodos um 1520 geborener Adliger, der sich in den Jahren 1550 und 1556

in Wittenberg aufhielt und auch mit Melanchthon in Korrespondenz stand.199 Während des

ersten Aufenthaltes in Wittenberg – 1550 – ist er wahrscheinlich von Melanchthon für die

reformatorischen Lehren gewonnen worden,200 und nachdem er im Jahr 1561, von

Melanchthon und anderen prominenten Protestanten unterstützt, die Herrschaft in der

Moldau übernommen hatte, versuchte er bei den orthodoxen Walachen den

Protestantismus einzuführen, ein Versuch, der mit seiner Ermordung endete.201

Heraklide Despota genoß in Wittenberg die persönliche Gastfreundschaft Melanchthons. In

den vielen mit ihm geführten Gesprächen hat Melanchthon mit Sicherheit viele

Neuigkeiten über die Lehre und den Zustand der zeitgenössischen Ostkirche erfahren. In

seinen Briefen, in denen Melanchthon ihm verschiedene Persönlichkeiten jener Zeit

empfiehlt, verrät er nicht viele Einzelheiten über ihre religiösen Gespräche. Wir wissen

aber sicher, daß sie viel über die evangelische Lehre gesprochen haben202 und daß

Melanchthon die christliche Bildung Heraklides hochschätzte.

197 Benz, Wittenberg und Byzanz, 34. 198 Eine das ganze Material umfassende Biographie fehlt. Die Quellen über sein Leben sind in folgenden

Quellensammlungen zusammengetragen: Emilé Legrand, Deux vies de Jaques Basilicos Seigneur de Samos, Marquis de Paros, Comte Palatin et Prince de Moldavie..., Paris, 1889; Nicolae Jorga, Nouveaux matériaux pour servir à l`histoire de Jaques l’Héraclide dit le Depote, prince de Moldvie, Bucharest, 1900.

199 Über seine Beziehungen und Korrespondenz mit Melanchthon siehe: Benz, Wittenberg und Byzanz, 34 ff. Petri, Jakobus Basilikus Heraklides, 109 ff. Karmiris, Luther und Melanchthon, 155-156.

200 In einem Empfehlungsschreiben an den dänischen Königs schrieb Melanchthon am 1. Juni 1556: „Denn er ist grekischer Sprach wohl geübt, auch wohl gelehret, und hat in Mathematica ziemlichen Verstand, hat auch guten Vestand christlicher Lehr und ist der Lehre in unsern Kirchen zugethan.“ CR 8, 770. Legrand, Deux vies de Jaques Basilicos, 279.

201 Zu diesen Ereignissen siehe: Papacostea, Nochmals Wittenberg und Byzanz, 254 ff. Petri, Jakobus Basilikus Heraklides, 109 ff. und neulich Crăciun, Protestantism and Orthodoxy, 127 ff und Pătuleanu, Begegnung, 57ff.

202 In seinem Empfehlungsschreiben an Henricus Buscoduvensis schrieb Melanchthon am 1.Juni 1556: „ ... venit (Heraklide) in Germaniam ac saepe nobiscum fuit; multi de doctrinis nobiscum familiariter

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Aus ihren Gesprächen hat Melanchthon erfahren, daß der griechische Patriarch von

Konstantinopel Joasaph II., der mit Heraklide verwandt war, ein „vir doctus“ sei,203 und

das hat auch später eine Rolle bei der Sendung des Briefes und der Confessio Augustana

Graeca von Melanchthon an den Patriarchen gespielt.

Kurz nach der Abfahrt des Jacobus Heraklides sind in Wittenberg bei Melanchthon zwei

andere orthodoxen Christen erschienen: Stephan aus Caesarea von Kapadokien und ein

anonymer Grieche aus Nauplion. Über diesen Besuch berichtet Melanchthon am 30. Juni

1556 demselben König Christian III. von Dänemark: „Zu Constantinopel ist ein großer

Terrae motus gewesen, und sind viel Gebäud eingefallen und haben viel Menschen

erschlagen. Jetzt sind zween Männer allhie, der eine von Cäsarea, Basilii Vaterland aus

Cappadocia, der ander aus Greckenland, von Nauplia. Sammelt der alte seine Kinder zu

lösen, sagen von der Türken Tyrannei; aber berichten, daß noch in allen Landen viel

Christen sind; aber der Türk nimmt jährlich jung Volk weg, Knaben und Meidlein, seines

Gefallens.“204 Dadurch wurden die Informationen des Franciscus Magera und des

Heraklides noch einmal bestätigt.

Wir wissen weiter, daß die zwei Griechen in Wittenberg eine Woche lang bei Melanchthon

geblieben sind. Am 7. August 1556 bestätigte Melanchthon die Abfahrt der Griechen von

Wittenberg in zwei Briefen, die an Johannes Mathesius (in Joachimsthal)205 und Joachim

Camerarius206 adressiert wurden.

Damit endet auch diese Episode der Beziehungen Melanchthons zu orthodoxen

Theologen.207 Wir kennen wieder keine Einzelheiten über den genauen Inhalt der

Gespräche zwischen Melanchthon und den beiden Griechen. Es waren vielleicht

allgemeine Informationen über den Zustand der Kirchen Gottes und der Christen unter der

colloquens.... Sperat autem reditum in patriam, quia etiam patriarcha Constantinopolitanus, vir doctus, laborat ut turcicus imperator ei restituat paternam haereditatem.“ CR 8, 772.

203 Vgl. die vorherige Anmerkung. 204 CR Band 8, Nr. 6040, 810-811. 205 „Hodie hinc abierunt Graeci, qui habent testimonia Patriarchae Constantinopolitani, quos existimo ad vos

quoque venturos esse.“ CR Band 8, Nr. 6046, 818. 206 „Senem Basilii Caesariensis civem dimisimus dato viatico, ac dissuasi iter Saxonicum, quia milites ibi

vagantur, qui adversus Elluones, inde enim nomen Livoniae esse arbitror, collecti sunt. Scripsi nomina urbium a Salinis ad Ratisponam usque, deinde regredi eos ad Rhenum iussi usque ad Genevam.“ CR Band 8, Nr. 6065, 837-838.

207 Joachim Camerarius hat auch in seiner Schrift über das Leben Melanchthons darüber geschrieben: „Annis duobus antecedentibus mortem Philippi Melanchthonis, hospitem hinc ad ipsum misimus, senem Cappadocem Caesariensem: qui habebat literas Patriarchae Constantinopolis, Graecè scriptas: quibus itineris ipsius causa indicabatur: & commendabatur nomini Christiano. Pro filijs hic suis numerare certam summa pecuniae debebat: qui interea in potestate Turcarum haberentur...“ Ioachimi Camerarii, De Vita Philippi Melanchthonis Narratio, Halae, MDCCLVII, 358-359. Martin Crusius, Turcograecia, 555 wiederholt denselben Abschnitt aus der Schrift von Camerarius. In den beiden Angaben ist das Jahr 1558 falsch. Die Briefe des Melanchthons bestätigen das Jahr 1556.

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türkischen Herrschaft, weil selbst die Kinder des Stephan von Kapadokien von den Türken

in Gefangenschaft genommen wurden.208

Genaueres über die orthodoxen Kirchen erfuhr Melanchthon drei Jahre später, also im

Jahre 1559, als sich der serbische Diakon Demetrius209 sechs Monate bei ihm aufhielt. Da

Demetrios Diakon der Konstantinopolitaner Kirche war210 und auch vor seiner Ankunft in

Wittenberg viele orthodoxe Länder bereiste211, konnte er Melanchthon mit Sicherheit viel

mehr als Heraklides über den Zustand der orthodoxen Kirchen berichten. Aus vielen

Briefen Melanchthons geht hervor, daß Demetrios ihm von dem Zustand der griechischen

Kirche unter türkischer Herrschaft erzählte und mit ihm über theologische Lehren der

Ostkirche sprach.212 Wenn wir bedenken, daß Demetrios in Wittenberg als Gast im Haus

Melanchthons mehr als vier Monate gewohnt hat,213 können wir annehmen, daß sie

wirklich sehr viel Zeit für religiöse Gespräche hatten. Wie wichtig für Melanchthon dieses

Treffen mit Demetrios war, verrät eine spätere Reihe von Briefen, in denen Melanchthon

208 Vgl. die Anmerkung von oben. 209 Über Demetrios besitzen wir nur wenige historische Quellen, dennoch können wir sein Leben in großen

Zügen, manchmal mit Lücken und angewiesen auf Vermutungen, schildern: Seiner Abstammung nach war Demetrios Serbe oder Grieche. Er war ein Schüler des Hermodoros Lestarchos und hatte als Mitschüler und Freund Jakob Heraklide Despota. Später wurde er Sekretär des Woiwoden der Walachei. In diesem Lebensabschnitt war er in Siebenbürgen zum ersten Mal mit dem Protestantimus in Berührung gekommen. Später ging er nach Konstantinopel, wo er, zum Diakon geweiht, drei bis sechs Jahre lang gewirkt hat. Demetrios kam im Mai 1559 nach Wittenberg, wo Melanchthon ihn als Gast bei sich vom 20. Mai bis Ende September 1559 aufnahm. Hier wurde er von Melachthon für die reformatorischen Ideen gewonnen. Danach ist er durch Deutschland, Ungarn, Siebenbürgen, die Moldau, Österreich und Venedig gereist. Sein Lebensende bleibt im Dunkeln. Siehe zu Einzelheiten: Benz, Wittenberg und Byzanz, 59-93 und Karmiris, Luther und Melanchthon, 156-173. Crusius, Turcograecia, 249, 264, 557. Kostrencic, Urkundliche Beiträge, 39,41-46, 53, 60-61, 68 und CR 9, Nr. 6763, 6764, 6827, 6832, 6847, 6853. Nachdem Hans Volz neue Quellen mit Bezug auf die Biographie von Demetrios veröffentlicht hat, Hans Volz, Zum Briefwechsel, 248-252, ist es unbedingt notwendig, eine neue Biographie des Demetrius zu schreiben, die die von Benz korrigieren und vervollständigen soll. Vgl. auch Georg Kretschmar, Die Confessio Augustana Graeca, 11-12, Anm. 2. Matei Cazacu versuchte den Diakon Demetrius mit dem Buchdrucker Dimitrie Ljubavić, der in der Walachei in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts tätig war. Der Verfasser benutzt eine Reihe von neuen Quellen, in denen der Name Demetrius erscheint, aber meiner Meinung nach geht es in einigen von diesen Quellen um gleichnamige aber verschiedene Personen. Vgl. Matei Cazacu, Dimitrie Ljubavic, 89-99. Zur Tätigkeit des Demetrios in den rumänischen Ländern siehe: Pătuleanu, Begegnung, 70ff.

210 „Anno 1559 scripsit Melanchthon, anno aetatis suae 63, Epistolam Graecam ad Joasaphum, Patriarcham Constantinopoltanit. Per Demetrium, Diaconum Ecclesiae Constantinopolitanae; qui venerat ad Vuitebergam...“ Crusius, Turcograecia, 264.

211 Außer Serbien war er sicher in Bulgarien, Griechenland und rumänischen Fürstentümern. Sein Aufenthalt in der Moldau oder Walachei ist belegt bei Crusius, Turcograecia, 249: „Hunc Demetrios fuisse Discipulum doctißimi Hermodori Lestarchaae; et Notarium, seu Scribam, Regis Bogdaniae, id est, Moldaviae.“ Vgl. darüber auch Papacostea, Diaconul sarb Dimitrie, 213-217. Von dort ist er nach Konstantinopel sehr wahrscheinlich über Bulgarien gereist. Auf dem Weg nach Deutschland hat er auch sein Vaterland, Serbien besucht.

212 Am 29. Mai 1559 schrieb Melanchthon an Alberto Hardebergio: „Est hic nobiscum Hungarus, qui triennio fuit Diaconus Constantinopoli, ac multa de Ecclesiis in Asia narrat.“CR 9, 827.

213 In einem Brief Ad Iac. Bordingum schrieb Melanchthon im September 1559: „...(Demetrios) tota aestate noster hospes fuit, ac narravit, multas adhuc Ecclesias in Asia et in Thracia et vicinis regionibus esse...“ CR 9, 935. Vgl. auch CR 9, 953.

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schrieb, daß er sich in der Zeit zwischen Mai und September 1559 mit Demetrios

ausführlich über die Lage der Ostkirche unterhalten hatte und daß sie viele Gespräche über

die Glaubenssätze der Ostkirche, über ihre wichtigsten Kirchenlehrer und über die

Tradition des Dogmas und die theologischen Schulen in der damaligen griechischen

Kirche geführt hatten.214 Einige Monate später erwähnte Melanchthon z. B. in seiner Rede:

„De lingua hebraica discenda“ (1560) die zeitgenössischen auf dem Berg Athos lebenden

Mönche, die Handarbeit betrieben, statt sich um die Wissenschaft zu kümmern.215

Höchstwahrscheinlich hatte er diese Information von dem Diakon Demetrios.

Doch nicht nur Demetrios hat Melanchthon über die Ostkirche berichtet, sondern

Melanchthon hat auch ihm sehr viel über die evangelische Lehre beigebracht, so daß

Demetrios in einem Brief an Melanchthon216 ihn „seinen Vater und seinen Lehrer“ nannte,

eine Tatsache, die zeigt, daß Demetrios offenbar von Person und Lehre Melanchthons tief

beeindruckt war.217

Das Treffen zwischen den beiden Theologen endete mit dem Entschluß Melanchthons,

einen Briefwechsel mit dem ökumenischen Patriarchen zu beginnen, in der Hoffnung auf

eine theologische Verständigung mit der Ostkirche und um die von den Katholiken

ausgestreuten Verleumdungen gegen die Protestanten zu beseitigen.218

Das Treffen beider Theologen hat zu einem tieferen gegenseitigen Kennenlernen der

beiden Kirchen beigetragen, als es bis 1559 möglich war. Mit Sicherheit wußten beide

Seiten nach ihren ausführlichen Gesprächen viel übereinander, aber der baldige Tod

Melanchthons219 und die Tatsache, daß sein Brief und die griechische Übersetzung der

Confessio Augustana den Empfänger nicht erreichten,220 haben die nachträgliche Wirkung

dieses orthodox-lutherischen Treffens aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stark

beeinträchtigt. 214 In einem Brief an Hieronimus Baumgartner schrieb Melanchthon am 25. September 1559: „Fuit enim

nobiscum hac aestate, vir Rascianus, qui narrat se Diaconum esse Ecclesiae Byzantii. Non iudicamus hominem vanus esse. Nam mores sunt honesti et de doctrina Ecclesiae pie loquitur; cumque Graecam linguam benen didicerit, sententias Graecorum scriptorum, qui dogmata apud eos tradiderunt, non inerudite recitat. Ait adhuc multas Ecclesias in Asia in insulis esse, ac in Chio, que est Genuensium, praecipua studia esse doctrinarum. Hanc narrationem eo scripsi, quia te sciebam gavirum esse, si quid boni de illarum regionum Ecclesiis audires.“ CR 9, 924-925. Vgl. auch CR 9, 925 und 948.

215 „Et Monachi plurimi prorsus illiterati, aut operas rusticas faciebant, ut adhuc in Atho monte faciunt , aut ventri serviebam ociosi, pauci literarum studiosi erant ...“ CR 12, 385. Für die Stellung Melanchthons dem Mönchtum gegenüber siehe auch: Melanchthon, Loci communes, 3, 93-107.

216 Der Brief wurde von Martin Crusius veröffentlicht, nachdem er ihn von Jacobus Monavius aus Breslau erhalten hatte: Crusius, Turcograecia, 263-264.

217 Vgl. auch: Benz, Wittenberg und Byzanz, 69-71. 218 Siehe den Brief Melanchthons an den Patriarchen: CR 9, 921-924. 219 Er starb am 19.04.1560, also 6 Monate nach dem Treffen mit Demetrios. Vgl. Stupperich, Melanchthon,

85.

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Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die griechische Übersetzung der

Confessio Augustana, von der, wie oben erwähnt, Melanchthon ein Exemplar dem Diakon

Demetrius für den Patriarchen mitgegeben hatte. Die erste Druckausgabe ist 1559 bei

Oporinus in Basel erschienen.221 Als Übersetzer ist aber der Arzt und Schulrektor Paulus

Dolscius222 aus Plauen genannt, der auch die lateinische Vorrede geschrieben hat. Darum

ist bis heute ungeklärt, in welchem Maße oder ob Melanchthon an der Übersetzung

beteiligt war, so wie Ernst Benz und Johannes Karmiris vermuten.223 Trotz einiger

Untersuchungen224 sind die noch weithin offenen Fragen nach Autor und Textgestalt der

Confessio Augustana Graeca liegengeblieben. Wenn wir von Seiten Melanchthons

mindestens eine Bearbeitung der von Paulus Dolscius verfertigten Übersetzung der CA

annehmen,225 müssen wir seine sehr gute Kenntnis der ostkirchlichen Tradition

hervorheben, weil er die dem orthodoxen Denken fremden juristischen abendländischen

Begriffe durch solche der ostkirchlichen Denktradition ersetzt hat und an manchen Stellen

besondere Erläuterungen für den orthodoxen Leser eingefügt hat.226 All dies verdeutlicht

seine gute Kenntnis der orthodoxen Lehren und Denkkategorien.

2.2.5 Zusammenfassung

Luther folgend, hat Melanchthon weiter zur Veränderung des Bildes der orthodoxen

Kirche im Bewußtsein der abendländischen Christenheit beigetragen. Unter denselben für

ein besseres gegenseitiges Kennenlernen ungünstigen historischen Umständen setzte

Melanchthon die für ihn vorbildliche Haltung Luthers der Ostkirche gegenüber fort. Nicht

220 Vgl. Hering, Orthodoxie, 830-831. 221 Eine zweite zweisprachige griechisch-lateinische Ausgabe ist in den „Acta et Scripta Theologorum

Wirtembergensium...“, Wittenberg, 1584 erschienen. Vgl. auch: Slenczka, Melanchthon und die orthodoxe Kirche, 110-111.

222 Paulus Dolscius studierte bei Melanchthon, dann in Padua Medizin und im Jahr 1559 arbeitete in Halle als Arzt und Ratsherr. Er war Freund mit Martin Crusius, dem er auch Komplimentsgedichte in griechischer Sprache gewidmet hat. Siehe: Walther, Hellas in Deutschland, 39.

223 Siehe: Johannes Karmiris, Luther und Melanchthon, 171. 224 Zur Übersetzung der Confessio Augustana siehe: Benz, Witenberg und Byzanz, 94-128; Benz, La

Confession d’Absbourg, 390-405; Fraenkel, Testimonia patrum, 332-337; Karmiris, Luther und Melanchthon, 169-171 und Kretschmar, Die Confessio, 11-39. Für Benz und Karmiris gibt es keinen Zweifel, daß Melanchthon der Übersetzer der CA ist. Fraenkel und Kretschmar erkennen mindestens eine Beteiligung Melanchthons an der Übersetzung an. Bei Crusius, der sehr befreundet mit Dolscius war, gibt es mehrere Stellen, in denen er Dolscius als der eigentliche Übersetzer anerkennt. „Ad illam Epistola addidit Philippus exemplar confeßionis Augustanae Graecum: nomine Dolcij editum, sed à Philippo copositu.“ Crusius, Turcograecia, 249. In einem Brief vom April 1579 an David Chytraeus schreibt Crusius, daß der Patriarch Jeremias II. „accepit deinde à nobis Exemplar Augustanae Confessionis, Graecè olim à D. D. Paulo Dolscio conuersae.“ David Chytraeus, Oratio, 104.

225 Fairy von Lilienfeld, Die bilateralen Dialoge, 221 vertritt dieselbe Meinung. 226 Zu Einzelheiten: Benz, La Confession d’Absbourg, 390-405.

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nur die reformatorische Einsicht in das Wesen der Kirche, sondern auch sein

humanistisches Interesse an der Antike und der griechischen Sprache öffneten Philipp

Melanchthon den Zugang zur Kenntnis der orthodoxen Kirche des Ostens und zugleich die

persönlichen Verbindungen zu ihr.227

Wie wir schon gesehen haben, wußte Melanchthon mehr als Luther über die Theologie der

östlichen Kirchenväter und die liturgischen Ordnungen der Ostkirche. Seine

kirchengeschichtlichen Kenntnisse waren auch reicher als die Luthers, nachdem auch die

Wissenschaft durch den deutschen Humanismus einen Aufschwung erlebt hatte. In seinen

Schriften benutzte er seine ostkirchlichen Kenntnisse nur im Hinblick auf jene Praktiken

und Lehren der Ostkirche, die Kontroverspunkte zwischen ihm und den katholischen

Theologen waren; und obwohl der Tradition in der Theologie Melanchthons auch eine

bedeutendere Rolle als bei Luther zukommt, hält er jedoch an der Absolutheit der Schrift

fest.

Seine Korrespondenz mit Antonios Eparchos und seine Begegnungen mit Franciscus

Magera aus Patras, Jakob Heraklides Despota, Stephan aus Kapadokien und dem Diakon

Demetrios hat nicht nur ihm viele neue Kenntnisse und Einsichten im Hinblick auf die

Lehre und die Lage der zeitgenössischen orthodoxen Kirchen gebracht, sondern auch die

späteren Reformatoren beeinflußt. Die vielen an seine Freunde und Schüler geschickten

Briefe, in denen er sie besonders über seine Begegnung mit Demetrios und über die Lage

der Orthodoxie benachrichtigte, waren die Saat, aus der die Früchte der späteren

ökumenischen Begegnungen zwischen den Theologen der deutschen Reformation und den

orthodoxen Theologen erwachsen sind. Man wußte nun wieder von der Existenz jener

unbekannten unter der türkischen Herrschaft existierenden Kirchen, und seitdem sind die

anderen lutherischen Reformatoren bestrebt, sie besser kennenzulernen, ihre Lehre und

Frömmigkeit sowie ihr Leben zu studieren und zu beschreiben.

Weil Melanchthon kurz nach seiner Begegnung mit Demetrios gestorben war, konnte er

seine Kenntnisse über diese Kirche seinen Zeitgenossen nicht weiter vermitteln. Sein

großer Dienst an der Orthodoxie liegt darin, daß er die Aufmerksamkeit seiner Schüler und

Freunde, die normalerweise Theologen waren, durch seine brieflichen Mitteilungen auf die

Ostkirche gelenkt hat, und sie dadurch beeinflußt hat, diese unbekannte morgenländische

Kirche weiter zu erforschen. Schon im nächsten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts finden wir

zwei bedeutende Reformatoren, Primus Truber (1562) und David Chytraeus (1569), die

227 Vgl. Slenczka, Melanchthon und die orthodoxe Kirche, 98.

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nach ihrer Begegnung mit anderen orthodoxen Theologen je eine Beschreibung des Lebens

der Ostkirche gegeben haben und damit die Orthodoxie im Abendland bekannter gemacht

haben.

2.3 Primus Truber und die erste Beschreibung der Ostkirchen durch einen Reformator

Auch wenn David Chytraeus als der Begründer der protestantischen Ostkirchenkunde in

Deutschland bezeichnet werden kann,228 ist unbedingt auch die Tatsache zu würdigen, daß

wir die erste Beschreibung einer Ostkirche durch einen Reformator dem slowenischen

Reformator Primus Truber verdanken. Schon sieben Jahre vor der Veröffentlichung der

Rede des David Chytraeus über den Zustand der orientalischen Kirchen jener Zeit

veröffentlichte Primus Truber im Jahre 1562 in der deutschen Vorrede des kroatischen

Neuen Testaments mit glagolitischen Buchstaben die erste bis heute bekannte

Beschreibung des liturgischen Lebens der südslawischen orthodoxen Kirchen.229 Darum ist

dieses Kapitel der Untersuchung und Bewertung dieser ersten bekannten Beschreibung der

Ostkirche von Primus Truber gewidmet. Dies ermöglicht aber auch eine genauere

Einschätzung der Bedeutung der im Jahre 1569 in Rostock veröffentlichten Rede des

Chytraeus über die morgenländischen Kirchen.

2.3.1 Primus Truber und die südslawische Druckerei in Urach

Der Laibacher Domherr Primus Truber230 aus dem alten Reichsland Krain, dem heutigen

Slowenien, wurde als Flüchtling in Deutschland zum Reformator seiner Heimat und zum

Begründer der slowenischen Schriftsprache und Literatur.

228 Siehe: Thomas Kaufmann, David Chyträus, 377-378. 229 Obwohl seit wenigen Jahren ein Band mit 41 Beiträgen zum Leben des Primus Trubers und zur

Reformation in Innerösterreich erschienen ist, befindet sich dort kein Aufsatz, der sich mit den Beziehungen Trubers zur Ostkirche beschäftigt. Siehe: Rolf-Dieter Kluge (Hrsg.), Ein Leben zwischen Laibach und Tübingen. Primus Truber und seine Zeit. Intentionen, Verlauf und Folgen der Reformation in Württemberg und Innerösterreich, München, 1995.

230 Die Arbeit, die bis heute für seine Biographie als normativ angenommen wird, ist: Mirko Rupel, Primus Truber. Leben und Werk des slovenischen Reformators, Deutsche Übersetzung und Bearbeitung von Balduin Saria, München, 1965, 312 Seiten. Die älteste Biographie stammt von seinem Freund Jakob Andreae, dem Kanzler der Universität Tübingen: Iacobus Andreae, Christliche Leichpredig bey der Begräbnus des ehrwürdigen und hochgelehrten Herrn Primus Trubern..., Tübingen, 1586. Der Text dieser Leichenpredigt auch in: Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 55-69. Andere Beiträge zu seiner Biographie: Theodor Elze, Primus Truber, Reformator in Krain, 669-674. Oskar Sakrausky, Primus Truber, 3-16, 20-25, mit reicher Literatur 27-31. Überblicke über verschiedene Aspekte aus seinem Leben und seiner Tätigkeit bietet: Rolf-Dieter Kluge (Hrsg.), Primus Truber und seine Zeit, 251-437.

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Der slowenische Reformator wurde im Jahre

1508 als Sohn eines Zimmermanns in dem

Dorf Rascica (südlich von Laibach, heute

Ljubljana in Slowenien) geboren. Nach dem

Besuch der Lateinschule in Fiume und der

benediktinischen Schule in Salzburg ging er

1524 nach Triest, wo er unter der Leitung des

humanistischen Bischofs Pietro Bonomo231 eine

humanistische Ausbildung erhielt. Im Jahre

1528 wurde Truber nach Wien geschickt, um

seine Studien fortzusetzen. Nach zwei Jahren

verließ er Wien, kehrte nach Triest zurück

und wurde mit 22 Jahren vom Bischof

Bonomo zum Priester geweiht. Nach fünf Jahren wurde Primus Truber Domherr in Laibach, wo er als Prediger die

Ablässe und die Pilgerfahrten angriff. Der katholische Bischof Urban Textor232 aus

Laibach wollte im Jahr 1548 den reformatorisch predigenden Priester festnehmen lassen,

231 Der Bischof Peter Bonomo von Triest (1501-1546) war ein einflußreicher Mann, der damaligen

humanistischen Richtung zugetan, und stand in brieflichem Verkehr mit Johannes Reuchlin. Für mehrere Einzelheiten über sein Leben siehe: Theodor Elze, Primus Trubers Briefe, 126. Zu den Beziehungen zwischen Bonomo und Truber siehe: Mirko Rupel, Primus Truber, 18-28.

232 Urban Textor, Fürstbischof von Laibach war der Beichtvater Kaiser Ferdinands. Er stand in enger Verbindung mit dem Begründer des Jesuitenorden Ignazius von Loyola. Urban Textor ist im Jahre 1558 in Nördlingen gestorben. Zu Einzelheiten siehe: Theodor Elze, Primus Trubers Briefe, p. 39.

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doch Primus Truber gelang die Flucht nach Nürnberg, wo er von Veit Dietrich empfangen

wurde.233 So verließ Primus Truber um des Glaubens willen sein Heimatland.

Es ist höchstwahrscheinlich, daß in Nürnberg,

wo Albrecht Dürer lebte und schuf und wo

Bücher in mehreren Sprachen gedruckt

wurden,234 auch das Interesse „des Luthers der

Slowenen“ für die Übersetzung von Büchern

in die slowenische Sprache erweckt wurde.235

Primus Truber ging von Nürnberg nach Rothenburg ob der Tauber und wirkte dort fünf

Jahre als Prediger. In dieser fremden Umgebung wollte er nichts anders als seinen

Landsleuten in Krain das Evangelium in seiner Muttersprache zu verkündigen.236 Schon

1550 waren von ihm unter fingierten Angaben über Verfasser, Drucker und Druckort in

Tübingen ein Katechismus237 und ein Abecedarium238 in slowenischer Sprache

erschienen.239

Im Jahre 1553 wurde der slowenische Reformator Pfarrer in der Reichsstadt Kempten.240

Hier lernte er den ehemaligen Bischof von Capo d’Istria Peter Paulus Vergerius241 kennen.

233 Veit Dietrich war einer der größten Prediger seiner Zeit. Er predigte als Pastor in der Sebalduskirche in

Nürnberg. Über sein Leben und seine Tätigkeit siehe: Bernhard Klaus, Veit Dietrich. Leben und Werk, Nürnberg, 1958, 445 Seiten.

234 Bemerkenswert ist z. B. die Übersetzungstätigkeit des Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer, der sehr viele Bücher aus dem Griechischen ins Lateinische und ins Deutsche übersetzte. Über seine Tätigkeit siehe: Niklas Holzberg, Willibald Pirckheimer. Greichischer Humanismus in Deutschland, München, 1981.

235 Vgl. Günther Stökl, Die deutsch-slavische Südostgrenze, 96-97. 236 Vgl. Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 12. 237 Trubers Katechismus ist das erste Buch in slowenischer Sprache überhaupt. Der ganze Titel lautet:

Catechismus In der Windischen Sprach / sambt einer kürtzen Außlegung in gesang weiß. Item die Litanai und ein predig vom rechten Glauben / gestelt / durch Philopatridum Illiricum. Vgl. Christoph Weismann, Reformation und Buchdruck bei den Südslawen, 18-19.

238 Der ganze Titel: Abecedarum und der klein Catechimus In der Windischen Sprach. Beide Bücher sind nur in je einem Exemplar, und zwar in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, erhalten. Vgl. Christoph Weismann, Reformation und Buchdruck bei den Südslawen, 19.

239 Vgl. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 145. 240 Vgl. *** Primus Truber in Kempten, Hrsg. Die Evang.-Luth. St. Mangkirche Kempten, Kempten, 1987. 241 Über Peter Paulus Vergerius siehe die Literatur bei: Christoph Weismann, Reformation und Buchdruck

bei den Südslawen, 20, Anm. 33.

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Durch ihn trat er in Verbindung mit Hans von Ungnad, Freiherr von Sonnegg,242 dem Feld-

und Landeshauptmann der Steiermark, der wie Primus Truber seine einflußreiche Stellung

in Österreich opferte, um persönlich frei dem Evangelium gemäß leben zu können.243 Das

Treffen dieser beiden Männer führte zur Gründung einer slowenischen und kroatischen

Bibelübersetzungsanstalt unter dem Protektorat des Württembergischen Herzogs

Christoph.244 Hans Ungnad gab den missionarischen Ideen Trubers einen realen

Untergrund und opferte sein gesamtes Vermögen für dieses Unternehmen.245

Primus Truber fand noch zwei Mitarbeiter, Stephan Consul246 und Anton Dalmata,247 die

seit 1557 seine slowenischen Schriften ins Kroatische zu übersetzen begannen.248 Die

Druckerei arbeitete zwischen den Jahren 1561 und 1565, und von ihr sind insgesamt 39

Drucke in über 30000 Exemplaren hervorgegangen: 30 in kroatischer Sprache – 13 in

glagolitischen, 10 in kyrillischen und 6 in lateinischen Lettern, während einer davon alle

drei Sorten von Typen aufweist – 3 in slowenischer und 6 in italienischer Sprache.249

Die Bücher, die hier gedruckt wurden, repräsentieren die typische Gebrauchsliteratur der

Reformationszeit: Katechismen, Teile der Bibel, Predigten, Bekenntnisschriften,

Kirchenordnungen und ein Gesangbuch.250 Fast alle diesen Schriften sind kompilatorische

Übersetzungen und Bearbeitungen deutscher Vorlagen durch Truber.251

Ein solches Unternehmen brauchte aber eine Menge Geld, um alle diese Bücher drucken

zu können. Hans von Ungnad versuchte auf Grund seiner Beziehungen zu König

Maximilian von Böhmen, von einigen der deutschen Fürsten und von den deutschen

242 Über das Leben und die Tätigkeit des Hans Ungnad (1493-1564) siehe: Theodor Elze, Hans Ungnad

Freiherr zu Sonneck, 308-310. Bernhard Hans Zimmermann, Hans Ungnad, Freiherr von Sonneck, 36-59. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 141 ff. Christoph Weismann, Reformation und Buchdruck bei den Südslawen, 23 ff.

243 In einem in Dresden geschriebenen Brief an Maximilian aus dem Jahre 1557 bestätigt er, daß er sein Heimatland verlassen hat, um frei nach dem Evangelium leben zu können. Vgl. Bernhard Hans Zimmermann, Hans Ungnad, Freiherr von Sonneck, 53.

244 Vgl. Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 12-13. Hermann Ehmer, Primus Truber und der südslawische Buchdruck, 438-439.

245 Vgl. Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 12-13. 246 Zu seinem Leben vgl: Theodor Elze, Primus Trubers Briefe, p. 40-41. 247 Zu seinem Leben vgl: ebd., p. 100-101. 248 Vgl. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 144-145. 249 Christoph Weismann, Reformation und Buchdruck bei den Südslawen, 26 und Anmerkung 48. 250 Eine Liste der bis am 30. April 1563 gedruckten Bücher befindet sich bei: Ernst Benz, Wittenberg und

Byzanz, 229-230. Es handelt sich um einen Brief, der von Hans Ungnad, Antonius Dalmata und Stephan Consul aus Urach am 30. April 1563 an den Landgrafen Philipp von Hessen geschickt wurde. Der Brief hat auch eine Beilage, in der „ein Verzaichnus was für windisch, Crabatisch Cirulisch und Wölsche Bücher getruckht Worden“ existiert. Die Bücher wurden im allgemeinen in einer Auflage von 2000 oder 1000 Exemplare gedruckt. Vgl. der Stand der gedruckten Bücher im August 1563 in einem anderen Brief des Hans Ungnad an Landgraf Philipp. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 233-234.

251 Christoph Weismann, Reformation und Buchdruck bei den Südslawen, 26.

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Reichsständen und Reichsstädten Geldspenden für Urach zu bekommen.252 Mit Hilfe der

Spenden von den evangelisch gesinnten deutschen Fürsten und Reichsstädten hofften

Ungnad und Truber durch die Verbreitung der in Urach gedruckten Bücher, neben den

Slowenen und Kroaten auch die Türken mit der Kraft des Wortes Gottes253 für das reine

und lautere Evangelium zu gewinnen.

2.3.2 Die erste Beschreibung des liturgischen Lebens der Ostkirche durch einen Reformator: die Beschreibung des Primus Trubers (1562)

Obwohl das Unternehmen von Urach „Bibelanstalt“ genannt wird, wurden hier sehr selten

Teile der Bibel gedruckt.254 Im Jahre 1562 erschien dennoch der erste Teil des kroatischen

Neuen Testaments in glagolitischer Schrift in einer Auflage von 2000 Exemplaren.255 Der

zweite Teil kam im folgenden Jahr heraus, desgleichen auch eine Ausgabe in kyrillischer

Schrift. Diese sind „die einzigen „Bibeldrucke“, die in der sogenannten „Bibelanstalt“ in

Urach erschienen, wenn man von der nur in 50 Exemplaren gedruckten Übersetzungsprobe

aus den Propheten des Alten Testaments, die 1564 gedruckt wurde, absieht.“256

Primus Truber versah fast alle seine gedruckten Bücher mit aufschlußreichen deutschen

Vorreden,257 in denen er die sozialen, kulturellen, politischen und religiösen Verhältnisse

in Krain und Kroatien schilderte. Die Vorreden bringen auch eine Menge historischer

Begebenheiten und volkskundlicher Tatbestände zur Sprache, bitten um finanzielle

252 Siehe das Sendschreiben von Hans Freiherr von Ungnad an die deutschen Städte, etliche Fürsten, etc. mit

der Bitte um Unterstützung des Uracher Werkes. Ivan Kostrencic, Urkundliche Beiträge, 172-179. Eine kurze Vorstellung der deutschen Fürsten und Städte, die Geldspenden für das Unternehmen von Urach gegeben haben, bietet: Bernhard Hans Zimmermann, Hans Ungnad, Freiherr von Sonneck, 42-43. Vgl. auch Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 204-208. Günther Stökl, Die deutsch-slavische Südostgrenze, 259-278 gibt die Antwortbriefe der folgenden deutschen Fürsten und Städte: Philipp von Hessen, Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen, Joachim von Anhalt, Joachim von Brandenburg, Johann von Brandenburg, Albrecht von Preußen, Barnim von Pommern, Wolfgang von Anhalt, August von Sachsen und die Städte: Regensburg, Nürnberg, Rothenburg ob der Tauber, Ulm, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Augsburg, Reutlingen, Frankfurt und Straßburg, als Anhang an seiner Arbeit wieder.

253 Zum Versuch einer Mission unter den Türken siehe: Christoph Weismann, Reformation und Buchdruck bei den Südslawen, 34-36. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 202 ff.

254 Christoph Weismann hat darauf aufmerksam gemacht, daß der Name „Bibelanstalt“ zu einseitig ist. Vgl. Christoph Weismann, Reformation und Buchdruck bei den Südslawen, 26.

255 In einem Brief des Hans Ungnad vom 30. April 1563 an Landgraf Philipp von Hessen, bestätigt Ungnad in einer Beilage zu diesem Brief, daß „Item die vier Evangelisten und die Apostelgeschicht mit Crabatischen Buechstaben – 2000 Exempl.“ gedruckt wurde. Vgl. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 229.

256 Hermann Ehmer, Primus Truber und der südslawische Buchdruck, 447. 257 Oskar Sakrauski wiedergibt 24 deutsche Vorreden des Primus Trubers. Siehe: Oskar Sakrausky, Primus

Truber. Deutsche Vorreden, 15.

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Unterstützung und stellen immer die Gewinnung der Slowenen und Kroaten für das

Evangelium in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen.258

In die deutsche Vorrede des kroatischen Neuen Testaments mit glagolitischen Buchstaben

aus dem Jahr 1562259 fügt Primus Truber auch eine ziemlich umfassende Beschreibung des

religiösen und liturgischen Lebens der orthodoxen Christen, die in Serbien, Bulgarien und

den umliegenden Ländern lebten, ein.260 Weil die Bedeutung dieser ersten Beschreibung

der Ostkirchen durch einen Reformator bis heute fast unbemerkt geblieben ist,261 will die

vorliegende Untersuchung eine Bewertung dieser Beschreibung bieten und den Platz dieser

Beschreibung in den Beziehungen der deutschen Reformatoren zur Ostkirche festlegen.

2.3.2.1 Die Entstehung und der Grund dieser Beschreibung

Primus Truber und Hans von Ungnad waren davon überzeugt, daß ihre Tätigkeit in Urach

„die ehr gottes befürdert unnd sein ware liebe christenheit erweitert“262 und „der

außbreitung seines evangelii“263 dient.264

Während die Verbreitung der Uracher Buchdrucke zunächst nur für die slowenischen und

kroatischen Evangelischen auf habsburgischen Boden bestimmt war, lassen sich vom Jahr

1561 an bei den Urachern sehr klar die Absichten erkennen, die Reformation durch die

Ausbreitung der kyrillischen Drucke auch auf das Sprachgebiet der kyrillischen Schrift in

Serbien, Bulgarien, in der Walachei und in der Moldau einzuführen.265

258 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 13. 259 Das Buch trug unter dem kroatischen Titel: „PRVI DEL NOVOGA TESTAMENTA, VA TOM JESU

SVI CETIRI Evangelisti i dijane Apustolko, iz mnohiz jazikov v opceni sadasni i razumni hrvacki jazik, po ANTONU Dalmatinu, i STIPANU Istrianu, s pomocu drugih bratov, sada prvo verno stlmacen.“, auch den folgenden deutschen Titel: „Der erst halb Theil des newen Testaments / darinnsein die vier Euangelisten / und der Apostel Geschicht / jetzt zum ersten mal in die Crobatische Sprach verdolmetscht / und mit Glagolitischen Buchstaben getruckt.“, Tübingen, 1562. Vgl. Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 203-204.

260 Diese Vorrede ist abgedruckt bei: Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 204-220. 261 Der einzige mir bekannte Forscher, der bemerkt hat, daß es hier um einen ausführlichen Bericht über das

religiöse Leben der Christen auf dem Balkan handelt, ist Günther Stökl. Es ist bei seiner Darstellung zu bemerken, daß wegen der ungenauen Kenntnis der orthodoxen liturgischen Praxis und Tradition mehrere Mißverständnisse vorliegen. Siehe: Günther Stökl, Die deutsch-slavische Südostgrenze, 231-233. Oskar Sakrausky, der neue Herausgeber dieser Vorrede, geht in seiner Einführung zur Vorrede auf diesen Aspekt nicht ein. Vgl. Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 197-202.

262 Zitat aus dem Sendschreiben Ungnads vom 4. September 1561an die deutschen Kurfürsten und Fürsten bei: Ivan Kostrencic (Hrsg.), Urkundliche Beiträge, 49.

263 Brief des Primus Trubers vom 16. Januar 1560 an Jacob Freiherr von Lamberg etc. bei: Theodor Elze (Hrsg.), Primus Trubers Briefe, 53.

264 Eine detaillierte Darstellung ähnlicher Gedanken bei Truber und Ungnad bietet: Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 146 ff.

265 Nicht nur diese Länder, sondern auch Siebenbürgen, das Baltikum, die Ukraine und Rußland waren für die Ausbreitung ihrer Drucke von Primus Truber und Hans von Ungnad in Blick genommen. Eine

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Die Mitarbeiter von Urach stammten alle aus der Nähe der deutsch-slawischen

Südostgrenze des Reiches. Das Leben an der Grenze des christlichen Abendlandes und die

ständigen Beziehungen zwischen Laibach und Urach ermöglichten den Uracher

Übersetzern einen Einblick in die unchristliche oder anderschristliche Welt des Ostens. Da

Primus Truber und seine Mitarbeiter kyrillische Bücher auch für die orthodoxen Christen

des Balkans druckten, fühlte er die Notwendigkeit, auch den helfenden Deutschen einen

Einblick in das religiöse und liturgische Leben dieser Christen zu vermitteln. Nur so

konnten sie verstehen, um was es bei dem Druck der serbokroatischen Bücher geht, und

konnten ihnen weiter helfen.266

Um diesen Einblick zu vermitteln, hat Primus Truber in der deutschen Vorrede des

kroatischen Neuen Testaments mit glagolitischen Buchstaben aus dem Jahr 1562 das

liturgische und kirchliche Leben der Balkanchristen geschildert. Die deutsche Vorrede

dieses Buches ist „Dem Druchleuchtigisten und Großmächtigsten Fürsten und Herrn,

Herrn Maximiliano, König zu Böheim, Ertzherzogen zu Österreich, Hertzogen zu

Burgundi, in obern und nidern Schlesien, Marggrauen zu Merhern, Grauen zu Tirol,

etc.“,267 einem der größten Spender und Unterstützter des Uracher Unternehmens,268

gewidmet und gehört, neben der deutschen Vorrede der slowenischen Übersetzung zum

gesamten Neuen Testament,269 zu den längsten deutschen Vorreden, die Primus Truber

verfaßt hat.270

Die Übersetzung des Neuen Testaments ins Kroatische war eines der Hauptanliegen

Trubers und darum widmet er dieses Werk gerade einer wichtigen Person, dem

böhmischen König Maximilian.271 Da dieses Buch auch für die orthodoxen Serben,

Bulgaren und Walachen bestimmt war, fühlte Truber die Notwendigkeit, die Art des

ausführliche Darstellung dieser Versuche und ihrer Ergebnisse befindet sich bei: Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 180 ff. Die missionarischen Versuche der Uracher Übersetzer haben ihren Höhepunkt im Jahr 1562 erreicht, als Wolf Schreiber in die Moldau geschickt wurde, um mit Hilfe des Fürsten Jakob Heraclid eine protestantische Druckerei in walachischer Sprache zu gründen. Zu dieser Episode siehe: Eudoxiu de Hurmuzaki, Documente privitoare la istoria românilor, Vol. II/1(1451-1575), Bucureşti, 1891, 418, 445-447, 453-454, 459-460, 462-463, 468-473 und 516-517. Martin Kriebel, Wolf Schreibers Mission, 18-42. Maria Holban, En marge de la Croisade protestante du groupe de Urach, 127-152.

266 Vgl. Günther Stökl, Die deutsch-slavische Südostgrenze, 230. 267 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 204. Weiter wird von dieser Vorrede nach der

Ausgabe von Oskar Sakrausky zitiert. 268 Vgl. Theodor Elze (Hrsg.), Primus Trubers Briefe, 166. Hermann Ehmer, Primus Truber und der

südslawische Buchdruck, 444 und 446. 269 Der Text dieser Vorrede, die dem Herzog Ludwig von Württenberg im Jahr 1582 gewidmet wurde, bei:

Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 413-431. 270 Die Vorrede hatte in der Originalschrift einen Umfang von 28 Seiten. Vgl. Oskar Sakrausky, Primus

Truber. Deutsche Vorreden, 197. 271 Primus Truber hat dem König Maximilian noch drei deutsche Vorreden gewidmet. Siehe die Texte dieser

Vorreden bei: Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 109 ff. , 179 ff. und 227 ff.

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religiösen Lebens jener Christen König Maximilian und damit also den deutschen Lesern

vorzustellen.272

Schon am Anfang der Vorrede behauptet Primus Truber, daß er ordentlich und gründlich

erzählen und zeigen will, „was das arm Christlich Windisch und Crobatisch Volck /

wölches an den Türckischen Gräntzen / und under den Türcken / in Boßna / in Seruia / in

Bulgaria / und in denselbigen umbligenden Ländern wonet / für eine Art / Eigenschafft /

Sitten / und Religion habe / wie und mit was Ceremonien / sie jre Gottesdienst vollbringen

/ und wie sie bißher kein gantze Bibel / noch Katechißmum in jrer Sprach und Geschrifft

gehabt / und was für grosse Angst / Nott und Trübsal / gemelte Völcker / von den Türcken

on underlaß leiden.“273

Truber teilt weiter auch den Abfassungsgrund und den Kreis der Personen, für die er diese

Beschreibung gedacht hat, mit, indem er berichtet, daß seine Darstellung nicht einen

Unterricht für König Maximilian sei, „sonder von wegen der obern / fromen / Gottseligen

Teutschen / bey denen wir jetzund unsere Herberg / Unterhalt und Wonung haben... / auch

von wegen anderer gutter Christen / die weitt von den Türckischen Gränitzen seind / und

wenig oder gar nichts von gemeltes Volcks Glauben / Sitten / Angst unnd Nott / etc.

wissen.“274

Der Kreis der Adressaten dieser Beschreibung ist ganz bewußt von Primus Truber auf die

Deutschen und alle anderen abendländischen Christen, die weit von der Grenze des

Reiches wohnten und der deutschen Sprache mächtig waren, erweitert. Die Beschreibung

ist nicht als eine private Unterrichtung für den König gedacht, weil der Verfasser selbst

vorher auch sehr wenig über die orthodoxen Christen jener Gegenden wußte.275 Er war

aber bewußt, daß die anderen abendländischen Christen sehr wenig oder gar nichts über

den Glauben der obengenannten Völker wußten.

2.3.2.2 Die Quellen Trubers für die Redaktion der Beschreibung

Woher schöpfte aber Primus Truber seine ziemlich umfangreichen ostkirchlichen

Kenntnisse? Darüber informiert uns der slowenische Reformator ganz kurz in derselben

272 Er kündigte das in der ersten deutschen Vorrede, die er demselben König Maximilian widmete, an. Es

handelt sich um „Der ander halb Theil des newen Windischen Testaments ...“ aus dem Jahr 1560. Dort schrieb Truber, daß die kroatische Sprache „gebrauchen alle Crobaten / Dalmatiner / Boßner / Syrffen und Türcken bis gehen Constantinopel.“ Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 118.

273 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 205. 274 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 205. 275 Siehe Kap. 2.3.2.2.

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Vorrede, bevor er mit der eigentlichen Beschreibung des Lebens der orthodoxen Christen

beginnt.

Zuerst nennt Primus Truber als mündliche Quellen mehrere glaubwürdige Personen, die

ihm vor einigen Jahren mehrmals über die christlichen Völker des Balkans berichtet haben.

Von diesen Personen erwähnt Truber den Ritter Sigmund Weixelberger,276 der im Jahr

1528 an einer der ersten kaiserlichen Gesandtschaften nach Konstantinopel beteiligt war.277

Auf der Hin- und Rückreise durch die Länder des Balkans beobachtete dieser die

Lebensweise der dortigen Christen und ihre Lage unter dem türkischen Joch, worüber er

dann auch persönlich Primus Truber erzählte.

Eine andere Quelle waren die Kaufleute, die aus der Türkei über Laibach (Ljubljana)

gezogen waren. Von ihnen erhielt Primus Truber wahrscheinlich mehr allgemeine

Informationen über den Zustand der Christen unter den Türken.278

Die wichtigsten Quellen Trubers waren aber zwei orthodoxe Mönche, die vom Herbst

1561 bis zum Frühjahr 1562 in Urach weilten und als Mitarbeiter der Uracher in der

Druckerei arbeiteten. Beide waren orthodoxe Uskoken279 und zudem Priester. Der eine

hieß Ivan Malesevac und war Bosnier, der andere hieß Mathias Popović und war Serbe.280

Diese Zusammenarbeit von Anhängern der Reformation mit orthodoxen Mönchspriestern

bildet im 16. Jahrhundert eine einzigartige Episode ökumenischer Beziehungen der

Reformation zum slawischen orthodoxen Südosten.281

276 Primus Truber schreibt: „Von diesem Christlichen Volck / hab ich vor ettlichen Jaren offtermals und von

gluabwürdigen Personen / als von dem edlen Herren / Sigmunden Weyxelberger Ritter / etc. seligen / der durch dieselbige Länder gehn Constantinopel / und widerumb herauß geraiset / ...“ Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 205.

277 Sigmund Weixelberger war zusammen mit dem Ungarn Johann Hobordansky von Salathnok im Jahr 1528 nach Konstantinopel gereist, um mit dem Sultan über das Recht Ferdinands I. auf Ungarn zu verhandeln. Sie brachten aber die Kriegserklärung Solimans an Ferdinand zurück. Weixelberger war einer der evangelisch gesinnten Adeligen, die an dem Reichstag zu Augsburg im Jahr 1530 teilnahmen und seitdem die evangelische Sache verfochten. Siehe: Mirko Rupel, Primus Truber, 169, Anm. 111. Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 205-206. Günther Stökl, Die deutsch-slavische Südostgrenze, 231.

278 Primus Truber schreibt ganz kurz: „von ettlichen Kauffleuten.“ Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 205.

279 Die Uskoken waren serbische und bosnische Flüchtlinge orthodoxen Glaubens, die vor den Türken nach Norden geflohen und im krainerisch-untersteirischen Gebiet angesiedelt worden waren. Ihre Unterbringung, Behandlung und Verwaltung wurde durch eine Verordnung König Ferdinands von Regensburg am 24. April 1532 geregelt. Theodor Elze (Hrsg.), Primus Trubers Briefe, 107-108. Christoph Weismann, Reformation und Buchdruck bei den Südslawen, 34. Mathias Murko behauptet, daß nur die geflohenen Serben als Uskoken bezeichnet waren. Vgl. Matthias Murko, Das serbische Geistesleben, 8.

280 Matthias Murko gibt entgegengesetzte Angaben über die beiden Uskoken: M. Popović wäre nach ihm der Bosnier und I. Malesevac wäre der Serbe. Matthias Murko, Die Bedeutung der Reformation, 16.

281 Eine kurze Darstellung dieser Zusammenarbeit bietet: Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 189-191.

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Die beiden orthodoxen Mönche wurden auf Anregung Trubers282 von seinen Laibacher

Mitarbeitern gefunden, um bei der Übersetzung der kroatischen Bücher mit kyrillischen

Buchstaben zu helfen. Truber, der sich in Laibach befand, nahm Anfang September 1561

die beiden Uskoken mit sich nach Urach. In der Reisegesellschaft befand sich auch ein

junger Türke, wohl der Diener der beiden Uskoken. Man ritt zu Pferde, nur der Türke, der

auch die Bücher der uskokischen Priester trug, auf einem Esel. Am 20. September kamen

sie in Urach an.283 Dort hatten sie bei der Korrigierung des Katechismus und der vier

Evangelien geholfen.284 Die Priester blieben in Urach bis zum Februar 1562, als Truber

entschied, daß ihre Hilfe nicht mehr notwendig sei.285 Nach der Entlohnung bekamen sie

auch je ein Pferd als Geschenk und kehrten zusammen mit dem Kroaten Georg Cvecic

nach Laibach zurück.286

Die orthodoxen Uskoken behielten in Urach ihre Tracht als griechische Mönche bei und

wollten kein Fleisch, sondern nur Fisch essen.287 Truber hat mehrmals Gelegenheit gehabt,

sich mit ihnen über religiöse Dinge zu unterhalten, weil die uskokischen Priester im Haus

des David Ungnads zusammen mit den anderen Mitarbeitern untergebracht wurden.288

Aber nicht nur die mündlichen Gespräche zwischen Truber und den orthodoxen Priestern

brachten ihm erste Einzelheiten über das religiöse Leben der orientalischen Christen, denn

die uskokischen Priester hatten auch ihre Gebet- und Gottesdienstbücher mitgenommen, so

daß Truber „selbs mit obgemelten Priestern auß jren Meßbüchern durch auß / von Wort zu

Wort conferiert und übersehen“ hat.289

282 In dem Brief an Hans Kisel, Mathes Klombner, etc von Urach, am 19. März 1561, schrieb Truber: „Meine

gröste sorg und anfechtung zu diser zeit ist dise, das ich fürchte, ich werde mit des hrn. Stephani und Anthoni dolmetschen und orthographi nicht besteen. Hr. Stephan ist kein Crobath, khan auch nicht perfect windisch, hr. Anthoni, was er crobatisch dolmetscht und geschriben, khan selber nicht wol lesen. Dem ist also. Darumb liebe brueder, schauet umb ein rechten Boßniaken und Uskoken, der recht crobatisch cirulisch reden und schreiben khan, wen er schon lateinisch oder walisch nicht khan, den schickht uns eraus auff das aller peldist, darumb bitten wir euch um der ehr gottes willen.“ Theodor Elze (Hrsg.), Primus Trubers Briefe, 107-108.

283 Eine ausführlichere Beschreibung der Reise bei: Mirko Rupel, Primus Truber, 152-153. 284 Siehe den Brief Trubers an König Maximilian, Urach, 27. 10. 1561. Theodor Elze (Hrsg.), Primus

Trubers Briefe, 142. 285 Vgl. Theodor Elze (Hrsg.), Primus Trubers Briefe, 165 und 240. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 190. 286 Vgl. Mirko Rupel, Primus Truber, 162. Es ist möglich, daß sie nach der Rückkehr in Laibach mit den

protestantischen Ideen sympathisiert haben. Eine letzte Nachricht über die beiden Uskoken stammt aus einem Brief von Ungnad aus dem Jahr 1564 an Herzog Christoph: „Der lange uskokische türkische pfaff, herr Mathia (Popović), der bei e.gn. zu Urach gewest, ist von einem andern uskokischen pfaffen (etliche sagen, von wegen seines glaubens) zu tod geschlagen. Der andere ist auch hart verwundt. Also hat der teufel sein spiel.“ Theodor Elze (Hrsg.), Primus Trubers Briefe, p. 402.

287 Für mehrere Einzelheiten vgl. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 190. Mirko Rupel, Primus Truber, 162.

288 Vgl. Theodor Elze (Hrsg.), Primus Trubers Briefe, 218. 289 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 206.

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Die deutsche Vorrede Trubers zum ersten Teil des Neuen Testaments mit glagolitischen

Buchstaben erschien im März 1562,290 nachdem die orthodoxen Priester einen Monat

zuvor nach Laibach abgereist waren. Truber selbst bestätigt, daß sich die orthodoxen

Mönche noch in Urach befanden, während er die Vorrede schrieb.291 Daraus erscheint ganz

klar die Verbindung zwischen dem Inhalt dieser Vorrede und dem Aufenthalt der

orthodoxen Mönchspriester in Urach.

2.3.2.3 Trubers Beschreibung des liturgischen Lebens der südslawischen Ostkirchen

Die Beschreibung Trubers beschränkt sich auf das praktisch-liturgische Leben der

Ostkirche, ohne Hinwiese auf die Lehre der orthodoxen Kirchen. Aber bevor der

slowenische Reformator mit der eigentlichen Beschreibung der orthodoxen Gottesdienste

beginnt, hebt er die große Gastfreundschaft und hohe Moralität dieser in Bosnien, Serbien,

Bulgarien und in den umliegenden Ländern wohnenden Christen, die im allgemeinen

„einem jeden frembden un bekanten Christen / der zu jnen kompt / alle Trew und

Freundtschafft / umbsonst / one einiche Bezalung“292 zeigen und „kein Hurerey noch

Ehebrecherey under jnen leiden.“,293 hervor.

Die orthodoxen Gottesdienste:

„Diese Christen in Seruia allesampt / und ein theil zu und umb Boßna / sein (wie sie sagen)

des Griechischen Glaubens / sie halten nichts von der Römischen Meß / sie haben ein

besondere lange Meß in jrer eigenen gemeinen Syrfischen294 unnd Crobatischen Sprach /

die sie nennen Liturgia des Guldenmundts.“295

Truber hatte als Theologe ein besonderes Interesse an der Liturgie des Heiligen Johannes

Chrysostomos. Er hat festgestellt, daß diese Liturgie, wie sie sich in den Meßbüchern der

beiden uskokischen Priester findet, wirklich Wort für Wort mit der aus dem Griechischen 290 Vgl. ebd., 200. 291 Ebd., 206. 292 Ebd. 293 Ebd. 294 Syrfische = serbische. 295 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 206. Die Liturgie des Heiligen Johannes

Chrysostomos ist in ähnlicher Weise zur orthodoxen Normalliturgie geworden wie im Abendland die römische Messe. Eine griechisch-deutsche Paralelausgabe dieser Liturgie: Die Göttliche Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomus mit den besonderen Gebeten der Basilius-Liturgie im Anhang, hrsg. von Fairy von Lilienfeld, 2.,verbesserte Auflage, Erlangen, 1986. Für den Ablauf der Göttlichen Liturgie siehe: Fairy von Lilienfeld, Einführung in den Gottesdienst der orthodoxen Kirche, 24 ff. Reinhard Thöle (Hg.), Zugänge zur Orthodoxie, 40 ff. Eine detaillierte Beschreibung der Ordnung dieser Liturgie auch bei: Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, 205-226. Für die Deutung der Göttlichen Liturgie in der russischen

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in das Latein der von Erasmus von Rotherdam übersetzten Liturgie des Chrysostomus

übereinstimmt.296 Für den slowenischen Reformator ist die Länge dieser Liturgie

auffallend, aber er macht keine näheren Angaben. Es ist möglich, daß er an einer von den

beiden uskokischen Mönchspriester in Urach gehaltenen Liturgie teilgenommen hat.

Danach folgt eine kurze Beschreibung der wichtigsten Teile der orthodoxen Liturgie: Die

Proskomidie – die Vorbereitung der Gaben vor dem Anfang der Liturgie – wird von ihm

kurz und mit einigen Fehlern beschrieben. Der Priester legt sein Meßgewand an und

„schneidet auß einem geseurten Laib Brotts das mittel Stuck heraß / so mit einem

Sternzeichen auffgetruckt / brocket dasselbig in ein Kelch / geußt Wein darauff / unnd

spricht ein Gebet darüber.“297 Es liegen hier mehrere Mißverständnisse Trubers vor: Der

Ateriskos-Stern298 befindet sich nicht auf dem Brot, sondern deckt bloß das Brot, um es zu

schützen.299 Das Brot wird zudem nicht während der Proskomidie in den Kelch getan,

sondern erst vor der Kommunion der Geistlichen und der Gläubigen.300 Der Priester gießt

während der Proskomidie nicht nur Wein in den Kelch, wie Primus Truber behauptet,

sondern gleichzeitig auch Wasser.301 So erscheint die Trubersche Beschreibung der

orthodoxen Proskomidie zwar mangelhaft, aber dennoch sind die wichtigsten Grundzüge

wiedergegeben.

Nach der Proskomidie berichtet Primus Truber direkt vom großen Einzug, wo die

Abendmahlsgaben vom Priester und Diakon in feierlicher Prozession vom Rüsttisch durch

den Naos der Kirche zum Altar gebracht werden,302 wie folgt: „Darnach geht er im

Meßgewandt mit dem Kelch unnd Diacono herab in den andern theil der Kirchen / oder

Theologie siehe: Karl Christian Felmy, Die Deutung der Göttlichen Liturgie in der russischen Theologie. Wege und Wandlungen russischer Liturgie-Auslegung, Berlin-New York, 1984.

296 Sein besonderes Interesse für diese Liturgie geht daraus hervor, daß Truber ganz genau den Ort anzeigt, wo man die lateinische Übersetzung finden kann: „Die findet man in dem fünfft Tomo des Johannis Chrissostomi / Ertzbischoffs zu Constantinopel Büchern / am ende.“ Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 206.

297 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 206. 298 Siehe die Form und die Benutzung dieses Asteriskos in dem orthodoxen Gottesdienst bei: Fairy von

Lilienfeld, Einführung in den Gottesdienst der orthodoxen Kirche, 15. (Abbildung 4, Element Nr. 3) Reinhard Thöle (Hg.), Zugänge zur Orthodoxie, 64.

299 Es kann auch sein, daß Truber die eingebackenen griechischen Anfangsbuchstaben für die Worte „Jesus Christus siegt“ meint, die sich in der Mitte des gesäuerten Weizenbrotes (Prosphora) befinden. Aber sie haben nicht die Form eines Sternzeichens. Siehe die Abbildungen: Fairy von Lilienfeld (Hrsg.), Die Göttliche Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomus, 11. Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, 209.

300 Vgl. Reinhard Thöle (Hg.), Zugänge zur Orthodoxie, 53: „Nach der Brotbrechung in vier Teile wird ein Teil des Heiligen Brotes in den Kelch getan, so daß es zur Vermischung der Elemente kommt.“

301 Vgl. Fairy von Lilienfeld (Hrsg.), Die Göttliche Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomus, 13. 302 Vgl. Fairy von Lilienfeld (Hrsg.), Die Göttliche Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomus, 50 ff. Eine

Beschreibung mit Abbildung bei: Reinhard Thöle (Hg.), Zugänge zur Orthodoxie, 50-51.

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Chor / und setzt den Kelch auf den Altar...“303 Den Diskos erwähnt Truber nicht, weil

seiner Behauptung nach das Brot schon mit dem Wein im Kelch vermischt war.

Der Gottesdienst wird teilweise still, teilweise laut in der Volkssprache gehalten. Der

Diakon betet „die Litaney viermal dem Volck vor / darauff antwortet jedermann in dem

understen theil der Kirchen stehend / Herr erbarm dich unser / etc. Solches weret lang /

unnd wann sie jre Consecration und Meß haben vollbracht / so thut der Diacon oder

Helffer den Umbgang von einander / darauff gehn hinein die so communicieren wöllen /

und zuuor gebeicht haben / denen gibt man auß dem Kelch / mit einem Löffel /

miteinander beiderley Gestalt.“304

Dadurch endet die kurze trubersche Beschreibung der orthodoxen Liturgie. Weil er am

Anfang behauptet hat, daß die Orthodoxen nichts von der römischen Messe halten, hebt er

während seiner Beschreibung immer wieder die Unterschiede zu den Katholiken hervor:

die Feier in der Volkssprache und die Kommunion der Laien in beiderlei Gestalt.

Aber Truber kannte auch einen anderen eucharistischen Gottesdienst der orthodoxen

Kirche: „Sie (die orthodoxen Südslawen u. Z.) haben auch ein kurtzere Meß / die halten sie

am Abendt der grossen Fest305 / wann sie den gantzen Tag gefastet / kommen sie alsdann

am Abendt in die Kirchen nüchtern zusamen / halten dieselbige Meß / und communicieren

darbey das Volck.“306 Es handelt sich hier aber nicht um „dieselbige Meß“, sondern um

„Die Liturgie der Vorgeweihten Gaben“, die in der orthodoxen Kirche meistens in der

großen Fastenzeit am Mittwoch und am Freitag nachmittags gefeiert wird.307 Diese

Liturgie ist ein der Vesper ähnlicher [Gebets-] Gottesdienst mit abschließender

Kommunion der am vorausgegangenen Sonntag konsekrierten Gaben.308 Die Geistlichen

und die Laien kommunizieren während dieser Liturgie, nachdem sie den ganzen Tag nichts

gegessen haben.

303 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 206. 304 Ebd., 206-207. 305 Mit dem Wort „Fest“ ist mit Sicherheit „Fasten“ gemeint. Das ergibt sich, wenn man den ganzen Sinn des

Satzes berücksichtigt. Infolgedessen bedeutet „der grossen Fest“ – „des großen Fastens.“ Als großes Fasten wird in der orthodoxen Kirche die große Fastenzeit vor Ostern bezeichnet. Vgl. Reinhard Thöle (Hg.), Zugänge zur Orthodoxie, 27.

306 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 206. 307 In Hinblick auf die Zeit und die Ordnung dieses Gottesdienstes siehe: Liturghierul, tipărit cu aprobarea

Sfântului Sinod şi cu binecuvântarea Prea Fericitului Părinte Teoctist, Patriarhul Bisericii Ortodoxe Române, Editura Institutului Biblic şi de Misiune al Bisericii Ortodoxe Române, Bucureşti, 1995, 249-251. Der Text der Liturgie: S. 252 ff. Eine deutsche Übersetzung dieser Liturgie in: Mysterium der Anbetung, I, 477-510. Eine deutsch-kirchenslawische Ausgage: Alexios Maltzew, Die göttlichen Liturgien, 318-441.

308 Diese Liturgie ist zuerst im 4. Jahrhundert bezeugt und wird Gregor dem Großen zugeschrieben. Näheres darüber bei: Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, 205.

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Primus Truber kennt auch eine andere Besonderheit des liturgisch-eucharistischen Lebens

der Ostkirche: „Und am Pfingstag309 in der Marter oder Chorwochen / nemen jre Priester

von gemeltem Brott ein Stück310 / das behalten sie in einer Scatel oder hültzin Büchssen im

Hauß / oder in der Kirchen / in einem Behalter311 / und wan sie die krancken sterbenden

mit jrem Sacrament versehen wöllen / werffen sie ein Brösemlin von dem gemelten Brot in

ein Löffel Wein / unnd gebens dem Krancken.“312

Dieser Brauch findet sich wirklich in der liturgischen Ordnung der Ostkirche, dann

nämlich, wenn der Priester am Donnerstag der Karwoche zwei Stück gesiegeltes Brot aus

den Prosphoren313 aussticht. Eines davon – ein Lamm – wird nach der Epiklese mit Wein

aus dem Kelch getränkt, getrocknet und dann in einem Gabenbehälter für die Kranken-

Kommunion aufbewahrt.314

Ganz kurz erwähnt er zwei andere Sakramente der Ostkirche: Taufe und Beichte. Über die

Taufe schreibt Truber, daß die Orthodoxen „tauffen schlecht315 mit ungesegnetem Wasser /

one Saltz / Staub unnd öll.“316 Von diesen Behauptungen stimmen die erste und die letzte

nicht. Das Taufwasser wird gesegnet und auch die Salbung des Täuflings am ganzen

Körper mit dem geweihten Öl wird während des Taufgottesdienstes vollzogen.317

Bei der Beichte legen die Priester ihrer Pfarrkinder für jede begangene Sünde „ein

besondere große Buß auff / und gebieten jnen / das sie vil opffern / Meß lesen lassen /

Almusen geben / betten und fasten / etc.“318 Diese seelsorgerische Gebote der Pfarrer

werden von den Christen sehr streng gehalten, weil sie sich vor einer Verbannung oder

Verfluchung stärker als vor dem Tod fürchten.319 Liest man diese Beschreibung, so scheint

es, daß Primus Truber nicht verstanden hat, daß „die in der Beichte den Büßern auferlegten

>>Epitimien<<“ in der orthodoxen Kirche zwar den römisch-katholischen Beichtstrafen 309 Pfingstag = der fünfte Tag der Woche = Donnerstag. Die Tage werden beginnend mit dem Sonntag

gezählt. 310 Gemeint ist das geweihte Brot, die Eucharistie. 311 Für die Form eines Gabenbehälters und eines Gabenträgers in der orthodoxen Kirche siehe die Abbildung

bei: Reinhard Thöle (Hg.), Zugänge zur Orthodoxie, 66. 312 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 207. 313 Eine Abbildung mit verschiedenen Arten von Prosphoren bei: Reinhard Thöle (Hg.), Zugänge zur

Orthodoxie, 77. 314 Für die Ordnung, nach der das gemacht wird, siehe: Liturghierul, 442-444. 315 Das Wort „schlecht“ bedeutete damals meist „schlicht“. 316 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 207. Eine Einführung in das orthodoxe Verständnis

der Taufe mit ausführlicher Literatur bietet: Karl Christian Felmy, Die orthodoxe Theologie, 177-187. Eine Beschreibung des orthodoxen Taufgottesdienstes bietet: Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, 155 ff.

317 Vgl. Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, 156. Der Text der Taufe nach dem orthodoxen Ritus: Mysterium der Anbetung, III, 27-56.

318 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 207. Eine Einführung in das orthodoxe Verständnis der Beichte mit ausführlicher Literatur bietet: Karl Christian Felmy, Die orthodoxe Theologie, 218-223. Vgl. auch: Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, 174 ff.

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entsprechen, jedoch anders als diese eben keinen satisfaktorischen Charakter haben,

sondern „bessernde, heilende, väterliche Strafen“ sind.“320

In Hinblick auf die orthodoxen Gottesdienste waren Truber auch andere Einzelheiten

bekannt:

„Jre Priester und Münch gehn alle Tag und Morgen und Abendt in die Kirchen / singen /

lesen / und betten lang auß jren Breuiarijs unnd Bettbüchern / in jrer gemein Sprach.321 Bey

allen jren Gottesdiensten / brauchen sie offt und vil Rauchs / darzu kompt vil Volcks. Jn

jren Kirchen leiden sie kein außgehawen / außgestochen / oder außgegraben Bild / aber

Gemöld wol / fürnämlich das Crucifix... Sie haben andere Gemäl auch / als unsere Frawen

/ Johannes des Teuffers / und der Apostel.“322

Auch wenn die orthodoxen Geistlichen so oft zelebrierten, gab es damals nach den

Kenntnissen Trubers keine öffentliche Predigt, obwohl die Predigt in den christlichen

Kirchen von den Türken geduldet war.323 Was den Christen damals nicht erlaubt war, war

das Läuten der Kirchenglocken, um besondere Ereignisse des liturgischen Lebens bekannt

zu machen.324

Das praktische Leben der südslawischen orthodoxen Christen:

Neben der Beschreibung des eucharistischen Lebens und einiger anderer Gottesdienste der

Ostkirche, widmet Primus Truber einige Zeilen auch dem praktischen Leben dieser

orientalischen Christen.

Als Hauptfiguren der Beschreibung erscheinen jedoch die orthodoxen Pfarrer: Bevor sie

von ihren Bischöfen oder ihren Patriarchen ordiniert oder geweiht werden, sollen sie eine

Jungfrau heiraten.325 Die Ordination geschieht in zwei Tagen326 und „wann jnen das erst

Weib stirbt / dörffen sie sich zum andern / wöllen sie Priester bleiben / nit verheiraten.327

319 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 207. 320 Karl Christian Felmy, Orthodoxe Theologie, 221. 321 Es handelt sich hier um das orthodoxe Stundengebet. Zu den Tageszeitengebeten gehören in der

orthodoxen Kirche folgende Gottesdienste: Die Vesper (gr.: Esperinós; ksl: večernja), die Komplet (gr.: Apódeipnon; ksl. Povečerie), die Mette (gr.: Mesonyktikón; ksl.: polunóščnica), der Orthros (ksl. Utrenja) und schließlich die kleinen Horen: Prim, Terz, Sext und Non. Für mehrere Einzelheiten dazu: vgl. Reinhard Thöle (Hg.), Zugänge zur Orthodoxie, 55-57.

322 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 207. 323 Ebd . 324 Ebd. Für den Zustand der christlichen Kirchen unter der türkischen Herrschaft vgl. Steven Runciman, Das

Patriarchat von Konstantinopel, 163 ff. 325 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 207-208. 326 Der Weihe zum Priester geht die Weihe zum Diakon voraus. Darum sind zwei verschiedene Weihetage

notwendig, um einen Kandidaten zum Priester zu weihen. Zur Ordnung dieser Weihen siehe: Alexios Maltzew, Sakramente, 301ff. Ein theologischer Kommentar: Karl Christian Felmy, Orthodoxe Theologie, 223ff.

327 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 208.

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Die Priester werden in großer Ehre gehalten und ohne sie wird „kein Gasterey“

verrichtet.328

Die orthodoxen Mönche „nören sich mit jrer Handtarbeit / müssen geloben ewige

Keuschheit / und wa sie ergriffen werden / das sie jre Gelübt übertretten / so werden sie

vom Türken verbrennt / allein sie lassen sich beschneiden / und nemen den Türckischen

Glauben an.“329 Diese Einzelheit Trubers über das Eingreifen der Türken in das moralische

Leben der orthodoxen Mönche stammt mit Sicherheit von den uskokischen Mönchen und

ist, m.E. nach, einzigartig im Hinblick auf die Verhältnisse zwischen Türken und Christen

auf dem Balkan.

Die erwähnten Christen – Priester, Laien und Kinder – „essen von keinem erstickten / noch

von Blut / darumb / das Moises gesagt hat / im Blut sey das leben.330 Sie fasten alle

Mittwoch und Freytag / und offt im Jar / nämlich / siben Wochen nacheinander vor Ostern

/ vier Wochen vor Petri und Pauli/ fünffzehen Tag im Augusto / vor unser Frawen

Schidungtag331 / sechs Wochen vor Weihennächten.“332 Bis auf die Angabe über das

Fasten der Apostel Petrus uns Paulus333 stimmen die Informationen von Trubers mit der

orthodoxen Praxis vollständig überein.

Die Beschreibung Trubers endet mit einem Hinweis auf die orthodoxen Begräbnisse und

Totengedächtnisse. Die Reichen wurden von vielen Priestern und Mönchen begraben, die

Armen nur von ein oder zwei. Vierzig Tage nacheinander werden Messen für den

Verstorbenen gelesen, die „mit des abgestorbenen Geld / oder Ochsen / Khü / Roß / oder

Eseln“ bezahlt werden. In diesen vierzig Tagen werden „den gestorbnen zu Ehren unnd

seiner Seelen heil / viermal grosse Gasterey“ gehalten, wobei Priester, Mönche, Freunde

und Nachbarn eingeladen werden und vor und nach dem Essen für den Gestorbenen

gebetet wird.334

Was die anderen Christen in Bosnien angeht, sie halten sich in allen Dingen nach der

römischen Kirche und werden von den Franziskanern betreut.335

328 Ebd., 207. 329 Ebd., 208. 330 Vgl. 1. Mose 9,4; 3. Mose 3, 17; Act. 15, 29. Die biblischen Stellen wurden von Oskar Sakrausky

hinzugefügt. Vgl. Ebenda, 208, Anm. 9. 331 Es handelt sich um das Datum vom 15. August. 332 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 208. 333 Diese Angabe stimmt nicht vollständig, weil das Fasten der Heiligen Apostel Petrus und Paulus vom

Datum für Ostern abhängt und also von Jahr zu Jahr unterschiedlich ist. Dieses Fasten beginnt immer am Montag nach dem Sonntag aller Heiligen, dem ersten Sonntag nach Pfingsten, und dauert einschließlich bis zum 29. Juni, wenn dieser Tag auf einen Mittwoch oder Freitag fällt. Vgl. Ene Branişte, Liturgica generală, 259.

334 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 208. 335 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 208.

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Aber bevor Primus Truber mit der Beschreibung der Lage der Dalmatiner, der Croaten und

der Slowenen beginnt, geht er kurz auch auf das Verhältnis zwischen den orthodoxen

Christen und den Türken auf dem Balkan ein: Die türkische Obrigkeit verfolgt die Christen

nicht um ihres Christentums willen, denn sie sind ihre kräftigsten Steuerzahler.336 Doch

geschieht es immer wieder, daß die Christen von den Türken überfallen und verspottet

werden. „In summa / die Türcken werden von jrer Oberkeit nit gestrafft / sie thuen den

Christen was sie wöllen.“337

Als Gegensatz zu diesen Türken gibt es auch ehrbare, sittsame und bescheidene Türken,

die ein rechtes Mitleid mit den geplagten Christen tragen, „sie sprechen jnen freundlich zu

/ geben jnen Gelt umb Gottes willen / und sagen / Bitt dein Gott für mich...“338 Bei diesen

Türken bittet kein Christ vergebens um Gastfreundschaft. Wenn die Gäste untergebracht

sind, beginnen sie mit den Türken Gespräche über Glaubensfragen und

Glaubensunterschiede. Einige Türken, die der Obrigkeit angehören, „lassen jre Kinder

heimlich tauffen / und wann sie erwachsen seind / schickens in die weite zu den Christen /

das sie von jnen den Christlichen Glauben erlernen.“339 Soweit der Bericht Primus Trubers.

Es handelt sich hier wiederum um eine sehr interessante Mitteilung von Primus Truber,

was die Beziehungen der Türken zu den Christen auf dem Balkan und die Einstellung

einiger mächtigen Türken dem christlichen Glauben gegenüber anbelangt. Wir besitzen in

der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einen ähnlichen Bericht von Salomon Schweigger,

wo er mitteilt, daß am Hof des türkischen Sultans „außgenommen Geistliche Personen und

Aempter... alle andere Aempter und dignitates mit solchen Christenkindern ersetzt

[werden].“340 Es ist hier also die Rede von den zum Islam bekehrten Christen, die hohe

Ämter in der Verwaltung des türkischen Reiches inne hatten. Schon als christliche Kinder

wurden sie zwangsweise zum Islam bekehrt. Da sie noch die Erinnerung an den alten

Glauben bewahrten, konnte es manchmal geschehen, daß einige von ihnen ihre Kinder 336 Die nichtmuslimischen Einwohner konnten in den vom Islam eroberten Ländern ihren Glauben bewahren,

indem sie eine Kopfsteuer, die jährlich und pro Kopf erhoben wurde, entrichteten. Diese Kopfsteuer betraf nur den männlichen Teil der unterworfenen nichtmuslimischen Bevölkerung. Die Geistlichkeit wurde von den Steuern befreit. Der Patriarch war dafür verantwortlich, daß die Steuern entrichtet wurden. Jeder männliche Nichtmuslim, der körperlich und geistig gesund war, wurde mit vollendetem 14. Lebensjahr bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres zur Zahlung der Steuer verpflichtet. Vgl. Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 208, Anm. 10. Steven Runciman, Das Patriarchat von Konstantinopel, 169 und 172.

337 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 209. 338 Ebd. Bei den zum muslimischen Glauben übergetretenen Serben erhielt sich sogar der Sawakult, denn

westeuropäische Reisende berichten aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, daß einige Türken mehr als die Christen den Mönchen spenden gaben, um diese für sie an Heiligen Sawa zu beten, da sie ihn sehr verehrten und fürchteten. Vgl. Josef Matl, Der heilige Sawa, 42.

339 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 209.

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heimlich taufen ließen. Nichtsdestotrotz, was diese sehr interessante Mitteilung betrifft,

müssen wir uns wiederum nur mit Hypothesen begnügen, denn das Quellenmaterial reicht

für sichere Aussagen nicht aus.

2.3.3 Die Bewertung dieser ersten Beschreibung der Ostkirche

Es kann eindeutig gesagt werden, daß diese Beschreibung Trubers aus dem Jahr 1562 die

erste bekannte Beschreibung des liturgischen und praktischen Lebens der orthodoxen

Christen und des Zustandes dieser Christen unter türkischen Herrschaft von seiten eines

lutherischen Reformators ist. Wir haben hier eine Abhandlung über orthodoxe Liturgik vor

uns. Leider ist dies die einzige Stelle in den Schriften der südslawischen Protestanten, in

der von der Ostkirche ausführlich die Rede ist.341 Die sieben Jahre später geschriebene

Beschreibung des David Chytraeus verfolgt in ihren großen Grundzügen fast dieselbe

Thematik wie die des Primus Trubers. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß David

Chytraeus die trubersche Beschreibung gekannt hat, weil er nirgendwo in seinen Schriften

und Briefen einen Hinweis darauf gibt.

Wie auch die anderen Reformatoren berief sich Primus Truber auf Praxis und Lehre der

orthodoxen Kirche, um die Neuerungen der katholischen Kirche zu entlarven und seine

eigene Lehre zu legitimieren. Die Ähnlichkeiten zwischen den Orthodoxen und den

Protestanten werden von Truber mehrmals unterstrichen und hervorgehoben: sie haben

nicht die römische Messe, sondern eine eigene in der Volkssprache; sie reichen das

Abendmahl unter beiderlei Gestalt, und die orthodoxen Priester sind verheiratet.

Bei Truber finden wir die erste Beschreibung der Ordnung der Liturgie des heiligen

Johannes Chrysostomuos, obwohl das fehlerhaft und ganz kurz geschieht. Die Erwähnung

anderer Einzelheiten über die orthodoxen Gottesdienste haben dazu beigetragen, daß die

Ausführlichkeit seiner Beschreibung hinsichtlich der orthodoxen Gottesdienste erst von

den Beschreibungen der beiden evangelischen Theologen Stephan Gerlach und Salomon

Schweigerr, die in den 70-er Jahren des 16. Jahrhunderts in Konstantinopel und anderen

Stätten der östlichen Christenheit anwesend waren, überholt wurde.342

Die Beschreibung Trubers zeichnet sich durch die positive Art der Darstellung der

Orthodoxie aus. Primus Truber sucht immer nach Ähnlichkeiten und stellt gleichzeitig

340 Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 153. 341 Vgl. Günther Stökl, Die deutsch-slavische Südostgrenze, 233. 342 Stephan Gerlach, Tagebuch, 62 ff. Vgl. Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 211-222 und 223 ff.

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keine ausschließende Gegensätzlichkeit fest.343 Außerdem findet sich in seiner Schilderung

des religiösen Lebens der orthodoxen Südslawen keine Kritik in Hinblick auf die eine oder

andere Praxis der orthodoxen Christen. Der Ton der Darstellung ist irenisch, und Truber

vermeidet die Hervorhebung von Divergenzen zwischen Orthodoxie und Luthertum.

Dadurch erscheint seine Beschreibung als einzige Darstellung der Orthodoxie im 16.

Jahrhundert, in der die orthodoxen Lehren und Praxen nicht als Aberglauben bezeichnet

werden.344 Das mag vielleicht mit der Tatsache zusammenhängen, daß er den helfenden

deutschen Fürsten und Städten einen positiven Eindruck über diesen Christen machen

wollte.

Die Rezeption dieses Buches und implizit der ersten Beschreibung der Orthodoxie in

lutherischen Kreisen kann hier mangels Quellen nicht ausführlich untersucht werden. Aber

die Tatsache, daß sich südslawische in Urach verfertigte Drucke heute an vielen Orten

Europas befinden (Agram, Annaberg in Sachsen, Basel, Belgrad, Berlin, Breslau,

Budapest, Bunzlau, Darmstadt, Dresden, Elbing, Frankfurt am Main, Florenz, Freiberg in

Sachsen, Gießen, Gotha, Göttingen, Graz, Halle, Hamburg, Jena, Jungbunzlau in Böhmen,

Kassel, Königsberg, Kopenhagen, Laibach, London, Magdeburg, Marburg, Moskau,

München, Nürnberg, Oxford, Paris, Petersburg, Prag, Raudnitz in Böhmen, Regensburg,

Rom, Rothenburg ob der Tauber, Schlägl in Oberösterreich, Straßburg, Stuttgart,

Tübingen, Ulm, Upsala, Venedig, Weimar, Wernigerode, Wien, Wittenberg und

Wolfenbüttel)345 läßt uns vermuten, daß auch die von Primus Truber in seiner Darlegung

erwähnten Einzelheiten über das religiöse Leben der südslawischen orthodoxen Christen in

den Kreisen der lutherischen Fürsten, Herzöge und Reichsstädte, die das Uracher

Unternehmen finanziell unterstützten, bekannt wurden.346

König Maximilian von Böhmen selbst bestätigt den Empfang dieses Buches in einem Brief

an Hans Ungnad.347 Maximilian machte aber keine Hinweise hinsichtlich der Beschreibung

des Primus Trubers.

343 Vgl. auch Günther Stökl, Die deutsch-slavische Südostgrenze, 233. 344 Kurz nach seiner Ankunft in Konstantinopel, am 6. Juni 1574, schrieb Stephan Gerlach in seinem

Tagebuch: „Die Griechische Mönche... sind sie mit ihren Fasten / Erwehlung der Speisen / und andern Ceremonien oder Gebräuchen gar zu Aberglaubig.“ 60. Vgl. auch: Stephan Gerlach, Tagebuch, 107-108. Salomon Schweigger, der Nachfolger Stephan Gerlachs in Konstantinopel schrieb in seiner Reisebeschreibung ähnlich: „Ich halt dafür, ..., daß die Griechen im Aberglauben unnd Unverstand leider gar tieff und biss über die Ohren stecken.“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 211. David Chytraeus schrieb schon im Jahr 1569 ähnlich: „Quanta vero superstitione, non sanctos modo in coelis viventes, verum etiam...“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 16.

345 Vgl. Günther Stökl, Die deutsch-slavische Südostgrenze, 40-41 und Anmerkung 90. 346 Vgl. die Anmerkung 253. 347 Der Text des Briefes des Königs Maximilian von Böhmen an Hans Ungnad, Linz 10.V.1562, lautet:

„Edler lieber getrewer. Wir haben dein schreiben unnd die daneben uberschickhten exemplar, auch ainer

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Diese erste Darstellung des religiösen Lebens der orthodoxen Südslawen ist durch die

Mitarbeit der beiden uskokischen Mönchspriester in Urach entstanden. Truber selbst

bestätigt, daß während er die Vorrede schrieb, sich die orthodoxen Mönche noch in Urach

befanden.348 Daraus erscheint die Verbindung zwischen dem Inhalt dieser Vorrede und

dem Aufenthalt der orthodoxen Mönchspriester in Urach ganz klar. Diese Beschreibung ist

chronologisch das erste klare Ergebnis der orthodox-lutherischen Beziehungen des 16.

Jahrhunderts.

Primus Truber starb am 28. Juni 1586 und wurde in Derendingen bei Tübingen beigesetzt,

wo er seit 1566 als Gemeindepfarrer tätig war. Die Inschrift auf der Gedenktafel in der

Dorfkirche verfaßte der Humanist und Philhellene Martin Crusius, Professor für Latein und

Griechisch an der Universität Tübingen, die Leichenrede hielt der Kanzler der Universität,

Jakob Andreae.349 Dies zeigt die Achtung, die man Primus Truber in den Tübinger

Universitätskreisen entgegenbrachte. Martin Crusius und Jacob Andreae waren die

Hauptgestalten des im Jahr 1581 offiziell beendeten Dialogs zwischen den lutherischen

Theologen der Universität Tübingen und dem Ökumenischen Patriarchen Jeremias II.350 So

geschah es also, daß dem ersten Reformator, der eine Beschreibung des religiösen Lebens

der orthodoxen Südslawen verfaßt hat, die letzte Ehre von den Anregern des wichtigsten

Dialogs zwischen Luthertum und Orthodoxie im 16. Jahrhundert erwiesen wurde.

verzaichnus der gedruckhten windischen, crabatischen unnd cyrillischen buecher emphanngen und vernomen unnd sounderlich gern gehört, das solch werckh dermassen in guettem richtigen furganng unnd ordnung gestellt ist. Was wir für unnser person darzue verhelffen unnd befurdern khunden, sein wir vorigenn unnsernn erbiettenn nach in alweeg genaigt...“ Ivan Kostrencic, Urkundliche Beiträge, 78.

348 Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 206. 349 Vgl. Martin Kriebel, Wolf Schreibers Mission, 23. Die Leichenpredigt des Kanzlers wurde schon in

demselben Jahr gedruckt: Iacobus Andreae, Christliche Leichpredig bey der Begräbnus des ehrwürdigen und hochgelehrten Herrn Primus Trubern..., Tübingen, 1586. Der Text dieser Predigt befindet sich auch bei: Oskar Sakrausky, Primus Truber. Deutsche Vorreden, 55-69.

350 Zum Verlauf dieses Dialogs siehe Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie. Der ökumenische Briefwechsel zwischen der Leitung der Württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1573-1581, Göttingen, 1986.

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3 Kurze Einführung in das Leben und das historische Werk des David Chytraeus

3.1 Das Leben des Humanisten und des lutherischen Theologen David Chytraeus

In dieser kleinen Einführung in das Leben und das historische Werk des David Chytraeus

geht es nicht um eine neue Darstellung des Lebens des Rostocker Theologieprofessors,351

sondern um den Versuch, die inneren Voraussetzungen, die zur Beschäftigung des

Chytraeus mit den östlich-orthodoxen Kirchen führten, und die Umstände, die sein

Interesse für diese Kirchen weckten, vorzustellen.

Der letzte „Vater der lutherischen Kirche“352 wurde am 26. 02. 1530 in Ingelfingen353 (bei

Schwäbisch Hall) als Sohn des dortigen evangelischen Pfarrers geboren.354 Nach den

ersten Lektionen beim Vater ging der erst siebenjährige David an die Lateinschule in

Gemmingen, gefördert durch Peter von Mentzingen,355 wo ihn Wolfgang Busius und

Franciscus Irenicus unterrichteten.356

Schon als Knabe beschäftigte er sich mit dem Briefwechsel der Humanisten. Aber die

wirklichen humanistischen Studien traten ganz klar in den Vordergrund, als David

351 Zuerst soll bemerkt werden, wie schon Thomas Kaufmann zeigte, daß eine moderne Chytraeus-

Biographie fehlt und eine Chytraeus-Bibliographie ein dringendes Desiderat ist. Vgl. Thomas Kaufmann, Die Brüder David und Nathan Chytraeus, 202-203, Anmerkung 3. Eine alte Biographie des David Chytraeus ist die von Melchior Adam aus dem Jahr 1653. Vgl. Adam Melchior, Vitae Germanorum Theologorum, 681-696. Eine kurze Biographie, nach der Biographie des Melchiors, bietet: D. Pauli Freheri, Theatrum virorum eruditione clarorum, 314-315. Es gibt aber umfangreiche Chytraeus-Biographien aus dem 18. und 19. Jahrhundert: Otto Friedrich Schütz, De vita Davidis Chytraei theologici historici et polyhistoris rostochiensis commentariorum libri quatvor, Bände 1-4, Hamburg, 1722-1728. Otto Krabbe, David Chyträus, Stiller’sche Hofbuchhandlung, Rostock, 1870. Theodor Pressel, David Chyträus, Elberfeld, 1862. (Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der lutherischen Kirche, Bd. VII,8) Vgl. auch: Peter F. Barton, David Chyträus, in: „TRE“, Band 8, hrsg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller, Berlin, New York, 1981, S. 88-90. John Warwick Montgomery, Chytraeus On Sacrifice, 10-18. Neben diesen Biographien sind in den letzten Jahren viele Aufsätze über das Leben und die Tätigkeit des Chytraeus erschienen: Walther Thüringer, David Chytraeus (1530-1600), 161-173. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 33-42. Rudolf Keller, David Chytraeus (1530-1600), 361-371. Vgl. auch: Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, passim. Ders., Die Wittenberger Theologie in Rostock, 69 ff.

352 Vgl. Peter F. Barton, David Chyträus, 88. 353 „Ex his parentibus felici fidere natus est anno Christi 1530, die 26 Februarij, in oppido Sveviae Ingelfinga,

duobus infra Salinas milliaribus.“ Vita Davidis Chytraei, Blatt C2 b. „Er ist geborn gewesen Anno 1530. Den 26. Februarij...“ Vita Davidis Chytraei, Blatt M4. Vgl. auch andere Angaben bei: Detloff Klatt, David Chytraeus, 4, Anm. 1.

354 Über seinen Vater und seine reformatorische Tätigkeit siehe: Walther Thüringer, David Chytraeus (1530-1600), 161-162. Hermann Ehmer, Die Reformation in Menzingen, 23 ff. Zur Genealogie der Familie von David Chytraeus siehe: Lupold von Lehsten, Zur Genealogie der Familie des David Chytraeus, 147-152.

355 Peter von Mentzingen war der Wohltäter des David Chytraeus während seines Studiums. Vgl. Walther Thüringer, Peter von Mentzingen, 52-54.

356 Vgl. Vita Davidis Chytraei, Blatt C 3. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 33.

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Chytraeus, noch unter seinem deutschen Namen Kochhaf, am 22. Juni 1539 an der

Universität Tübingen immatrikuliert wurde.357 Seine wichtigsten Lehrer in Tübingen waren

Joachim Camerarius in den klassischen Sprachen und Erhard Schnepf in der Theologie.358

In Gemmingen und Tübingen lernte Chytraeus gründlich Latein und Griechisch.359 Wenn

die erste Sprache für seine spätere wissenschaftliche Karriere von Bedeutung war, wurde

die zweite Sprache das Mittel, durch das Chytraeus Beziehungen zu den orthodoxen

Griechen pflegte. Griechisch lernte er bei dem berühmten Philologen und Freund

Melanchthons Joachim Camerarius,360 der auch später Beziehungen zu orthodoxen

Theologen und Humanisten aufgenommen hat.361 Dadurch wurde zum ersten Mal seine

Aufmerksamkeit auf die Kultur des griechischen Volkes gelenkt.362

Im Jahr 1544 schloß David Chytraeus seine Tübinger Studien mit dem Erwerb des

Magistertitels ab und ging als „Magister artium“ – die Vorbedingung für ein

Weiterstudium an einer der drei höheren Fakultäten – an die Universität Wittenberg. Als

Chytraeus im Oktober 1544 in Wittenberg antraf, prüfte Melanchthon ihn erst einmal, wie

er es auch mit anderen Neuankömmlingen zu tun pflegte. Die Ankunft des Chytraeus in

Wittenberg bei Melanchthon beschrieb der langjährige Mitstudent und Kollege Lucas

Bacmeister im Jahr 1600 in der Leichenpredigt für Chytraeus wie folgend: „Ich muß

hiebey einer seinen Historien gedencken / die ein glaubwirdiger gelarter Man / M.

Henricus Buscoducensis genant / der des hochlöblichen Christlichen Königs zu

Dennemarck Christiani des dritten / Hoffprediger gewesen / erzehlet / und selbst angesehen

357 Vgl. Otto Krabe, David Chyträus, 10 ff. 358 Vgl. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 33-34. 359 Das ist durch eine eigene Aussage bestätigt Vgl. Walther Thüringer, David Chytraeus (1530-1600), 162.

Als Chytraeus nach Wittenberg im Jahr 1544 ging, beherrschte er ohne Probleme die griechische Sprache. Vgl. Vita Davidis Chytraei, Blatt M4b.

360 Vgl. ebd., Blatt C 3b. 361 Über Joachim Camerarius (1500-1574) vgl. Dieter Harlfinger (Hrsg.), Graecogermania, 159-160. Frank

Barton (Hrsg.), Joachim Camerarius (1500-1574). Beiträge zur Geschichte des Humanismus im Zeitalter der Reformation, Wilhelm Fink Verlag, München, 1978, 255 Seiten. Friedrich Stählin, Joachim Camerarius, 104-105. Camerarius hat das wichtigste griechische Katechismus aus dem Zeitalter der Reformation - Κατηχησις του Χριστιανισµου −1551−1552, 500 Seiten, verfaßt. Bis heute befinden sich zwei Exemplare von diesem Katechismus auf dem Berg Athos in den Klöstern Vatoped und Iviron. Vgl. Andreas Müller, Spuren west-östlichen Kulturaustausches, 131. Ein anderes griechisches Werk des Camerarius ist: Κεϕαλαια χριστιανισµου. Zu diesen zwei Werken siehe: Andreas Müller, Der griechische Katechismus des Kronstädter Reformators Valentin Wagner, 169-174. Aus dem lateinischen Vorwort des Katechismus geht hervor, daß es auch an die orthodoxen griechischen Christen adressiert war, um ihnen die reformatorischen Lehren bekannt zu machen. Vgl. Andreas Müller, Der griechische Katechismus des Kronstädter Reformators Valentin Wagner, 264-265.

Zu seinen Beziehungen zu Orthodoxen siehe: Martin Crusius, Turcograecia,546-552 und 557-558. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 18-26 und 38.

362 Zwei seiner dortigen Mitschüler waren Jacob Andreae und Jacob Heerbrand, die dreißig Jahre später bei den Verhandlungen der Tübinger Theologieprofessoren mit dem Patriarchen Jeremias II. von Konstantinopel eine große Rolle spielten. Walter Engels, Wiederentdeckung, 263, Anm. 5.

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hat. Wie dieser junger Magister David Chytraeus gen Wittenberg zum Herrn Philippo in

sein hauß und auff seine Studierstube komen / und ihm die obgedachte literas

commendatitias überantwortet / Philippus aber darauß vernomen / das er schon promotus

Magister were / hat ihn mit verwunderung angesehen und gefraget. Es tu Magister artium?

Ob er ein Magister der freyen künste were? Hat Chytraeus züchtig geantwort / Es hetten

ihn ja seine Praeceptorn zu Tübingen dazu promoviret / wiewol er noch jung were. Und da

der Herr Philippus sein alter erfaren / hat er weiter gefraget / Ob er auch griechische

Sprach etwas studieret hatte / und wie ers bekennet / hat er ihm ein Griechischen alten

Historienschreiber / Thucydides genant / der einer von den schwersten zu verstehen ist /

vorgelegt / darauß er ihm etwas lesen sollte. Solches hat Chytraeus fertig gethan / und auf

des Herrn Philippi begeren auch also bald Latinisch expliciret / Des hat sich der Mann also

erfreuet / das er starcks gesagt: Tu merito es Magister, et tu eris mihi filii loco, Er were

billich Magister / und er wollte ihn als einen Sohn halten / das auch hernach geschehen“363

Melanchthon wurde danach der erste und wichtigste Lehrer im Leben des Chytraeus und

spielte eine große Rolle bei seiner geistigen Orientierung.364 Das Verhältnis zwischen

ihnen verwandelte sich in eine Freundschaft, die bis zum Tod Melanchthons im Jahr 1560

andauerte.365 David Chytraeus aß an seinem Tisch, arbeitete in seinem Studierzimmer, war

der erste in seinen Vorlesungen, ging als letzter und begleitete den Lehrer auf dessen

Spaziergängen.366 Dort hörte er oft neue Nachrichten über die Kirchen vieler anderen

Völker, über ihre Lehre und ihren Zustand.367

Philipp Melanchthon schuf bei Chytraeus die wesentlichen Voraussetzungen in Hinblick

auf seine zukünftige Beschäftigung mit den Kirchen des Morgenlandes. Zuerst übertrug

363 Leichpredigt Bey der Begrebniß des Ehrwürdigen / Achtbarn und Hochgelarnten / Herrn DAVIDIS

CHYTRAEI, der Heiligen Schrifft Doctoris, und primarij Professoris in der Universität Rostock... Gehalten durch D. Lucam Bacmeisterum, Superintend. der Kirchen in der Stadt Rostock, in: Vita Davidis Chytraei, Blatt M4b. Vgl. auch: Rudolf Keller, David Chytraeus (1530-1600), 361-362 und Anm. 3.

364 Vgl. Thomas Kaufmann, Die Wittenberger Theologie in Rostock, 71. 365 Vgl. Rudolf Keller, David Chytraeus (1530-1600), 363. 366 „Et sane dicto optimi praeceptoris audiens fuit D. Chytraeus, primus in auditorium venit, novissimus exijt,

ambulantem etiam Philippum insecutus...“ Vita Davidis Chytraei, Blatt C 4b. In Hinblick auf die Beziehung zwischen Melanchthon und Chytraeus siehe: Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 8 ff. Detloff Klatt, David Chytraeus, 5. Walther Thüringer, David Chytraeus (1530-1600), 162-163. Melanchthon sorgte auch für die Finanzierung des Studiums des Chytraeus. Vita Davidis Chytraei, Blatt N 1 und N 1b. Siehe auch den Brief Philipp Melanchthons an Peter von Mentzingen, am 25. 12. 1544, wo Melanchthon für die Verlängerung des Stipendiums des Chytraeus wegen seiner ausgezeichneten Ergebnisse beim Studium eintritt. Vgl. Walther Thüringer, Melanchthons Brief an Peter von Mentzingen, 57-62. Der Text des Briefes S. 61-62.

367 „Philippo Melanchthoni, nonduna satis laudato viro, domesticus fuit David: et Davidi ille praeceptor fuit, magister fuit praecipuus: animi ac prudentiae verus informator fuit, in commune musaeum ab eo receptus, et sic quotidianos ejus et graves sermones de studijs, de Republica, de doctrina et statu Ecclesiarum in multis gentibus, et de alijs maximis rebus iudicium praeclari viri cognoscere, excipere et audire potuit.“ Vita Davidis Chytraei, Blatt C 4.

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Melanchthon die Vielseitigkeit seiner Weltanschauung und seiner wissenschaftlichen

Tätigkeit auf seinen Lieblingsschüler.368 Er regte Chytraeus an, neben Theologie auch

Geschichte, ja sogar Astronomie und Medizin zu betreiben.369 In Wittenberg bei

Melanchthon kamen ununterbrochen Briefzeitungen mit geschichtlichen Neuigkeiten aus

ganz Europa, an deren Vervielfältigung in Hinblick auf eine weitere Übergabe auch

Chytraeus sicherlich teilgenommen hat.370 Diese Methode der Übergabe der

geschichtlichen Neuigkeiten an andere Freunde, Fürsten und Könige hat auch Chytraeus in

Rostock in gleicher Weise angewandt. So erklärt sich die Veröffentlichung der Briefe und

Berichte aus dem orthodoxen Orient in vielen Flugschriften, in vielen Auflagen und von

mehreren seiner Freunde.371

Wegen seiner Liebe zur griechischen Sprache veranlaßte wahrscheinlich Melanchthon

Chytraeus, seinen Familiennamen ins Griechische zu übersetzen, denn die Form Kochhaf

kommt im Eintrag in die Wittenberger Universitätsmatrikel zum letzten Mal vor.372

Chytraeus Liebe zur griechischen Sprache spiegelt sich auch in seinem Versuch, den

Namen seines Heimatlandes Kraichgau aus dem Griechischen herzuleiten, wobei er auch

einen Anlaß findet eine solche Abstammung hervorzuheben: „Wenn nun die alten

Griechen aber durch Geist, Gelersamkeit, Tüchtigkeit, Bildung und alle Künste geglänzt

haben, ist das eine große Auszeichnung des Volks im Kraichgau (implizit auch für

Melanchthon und für ihn selbst) von so edler Herkunft abzustammen.“373 Bei dieser

Gelegenheit ermutigt Chytraeus auch zum Studium der griechischen Sprache: „Daß wir

uns daran erfreuen und zu einem Studium der griechischen Sprache und Weisheit durch

diesen Namen des so ausgezeichneten Volkes entzündet werden und von ihm Muster an

Tugenden wünschen...“374 Die gute Beherrschung der griechischen Sprache wird ihm in

den 70-er und 80-er Jahren erlauben, die Korrespondenz mit den griechischen Theologen

in ihrer Muttersprache zu pflegen und weiterhin viele griechische Dokumente ins

Lateinische übersetzen zu können.375

368 Vgl. David Chytraeus, Kraichgau, 6 und 61. 369 Vgl. Walther Thüringer, David Chytraeus (1530-1600), 163. 370 Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 10-11. 371 Siehe: Kap. 6. 372 Walther Thüringer, David Chytraeus (1530-1600), 163. Der Familienname wird für David Chytraeus und

seinen jüngeren Bruder Nathan von griechischen χυτρα ( = Kochtopf ) über χυτραιος zu lateinischen Chytraeus. Vgl. David Chytraeus, Kraichgau, Lebenstafel, 99.

373 David Chytraeus, Kraichgau, 15 und 66. 374 Ebd. 375 Siehe: Kap. 6.

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Im Jahr 1550 wurde Chytraeus, der damals nur 20 Jahre alt war, vom Fürst Johann

Albrecht von Mecklenburg als Lehrer für das Pädagogium der Universität Rostock376 auf

Empfehlung Melanchthons berufen.377 Mit der zunehmenden Lehrtätigkeit stieg auch

Chytraeus in der Hierarchie der Universität auf und wurde 1561 zum Dr. theol.

promoviert.378 Nach der Reorganisation der Universität379 wurde er zum ersten Rektor der

Universität gewählt.380 An dieser Universität war Chytraeus 50 Jahre lang tätig, bis zu

seinem Tod im Jahr 1600. Seine Lehrtätigkeit an der Universität war sehr vielseitig: er

hielt täglich Vorlesungen über die Heilige Schrift, über die griechischen und lateinischen

Klassiker, über Dialektik und Rethorik,381 verband die biblische Exegese mit den

dogmatischen und katechetischen Themen, schrieb Bücher zum Theologiestudium382 und

zu Fragen der Rethorik, die lange Zeit Beachtung fanden.383 Neben all diesen Bereichen las

er auch über lateinische und griechische Philosophie, Geschichte und Medizin. Durch diese

Tätigkeit des David Chytraeus und durch seine pädagogische Begabung wurde Rostock in

der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine der renommiertesten Universitäten

Deutschlands.384

Neben seiner Universitätstätigkeit verfaßte Chytreus auch die lutherische Kirchenordnung

Mecklenburgs,385 nahm an den Verhandlungen im Hinblick auf die Konkordienformel teil

und trug damit zur Einigung des Luthertums bei.386

376 Die Universität Rostock wurde im Jahr 1419 ohne theologische Fakultät gegründet. Faktisch war die

Rostocker Universität eine gemeinsame Gründung der Landesherren und der Stadt. Als geistliche Korporation existierte sie aber kraft der ihr von Papst Martin V. ausgestellten Fundationsbulle. Die Reformation wurde in die Hansestadt Rostock 1531 eingeführt. Für mehrere Einzelheiten in Bezug auf die Gründung der Universität und seine Entwicklung im 16. Jahrhundert siehe: Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 41 ff.

377 Vgl. Vita Davidis Chytraei, Blatt N 1 b. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 11. Am 21. April 1551 trat er seinen Dienst an. Vgl. Walther Thüringer, David Chytraeus (1530-1600), 164. Über seine Tätigkeit als Professor an der Universität Rostock vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 7 ff.

378 Vgl. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 38. Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 17. 379 Chytraeus hat auch bei der Reorganisation eine große Rolle gespielt. Vgl. Thomas Kaufmann, Die

Rostocker Theologieprofessoren, 65 ff. 380 Vgl. Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 57. Chytraeus hatte dieses Amt insgesamt

fünfmal bekleidet, zuletzt 1597. Vgl. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 38. 381 Lucas Bacmeister schrieb in seiner Leichenpredigt: „Und hat derwegen einen grossen zulauff von der

Studierenden jugend bekomen / hat teglich gelesen / so in der Heiligen Schrift / denne in den griechischen Historien / so in Latinischen Autorn, Cicerone und andern / denne in guten Künsten / Dialectica, Rhetorica und andern.“ Vita Davidis Chytraei, Blatt N 2.

382 Eine Analyse seiner Anweisungen zum Theologiestudium befindet sich bei Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 256 ff.

383 Vgl. Rudolf Keller, David Chytraeus (1530-1600), 364-365. 384 Vgl. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 12. 385 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 264. 386 Vgl. Rudolf Keller, Der Beitrag von David Chytraeus, 117-128. Zu seiner Teilnahme an der Verfassung

der Konkordienformel siehe auch: John Warwick Montgomery, Chytraeus On Sacrifice, 19-23. Lowell C. Green, The Three Causes of Conversion, 101 ff. Aber Chytraeus selbst wollte mehr als Lehrer der Jugend als Vorkämpfer und Verfechter der lutherischen Lehre erscheinen. Detloff Klatt, David Chytraeus, 7.

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Wegen seines erworbenen Ruhmes wurde Chytraeus 1568 von Kaiser Maximilian II. nach

Österreich berufen, um eine Kirchenordnung für die dortigen Evangelischen zu verfassen.

Auf dieser Reise traf er in Prag und Wien zwei Griechen, Michael von Thessaloniki und

Jacobos Paleologos, von denen er viele Informationen über die Ostkirchen bekam und die

seine Aufmerksamkeit auf den Osten richteten. Nach der Rückkehr in Rostock schrieb er

seine „Oratio“ über den Zustand der Ostkirchen.387

Chytraeus war zwei Mal verheiratet und hatte 11 Kinder, von denen ihn nur drei

überlebten.388 In den letzten 25 Jahren seines Lebens war er sehr krank, so daß seine

didaktische und wissenschaftliche Tätigkeit sehr behindert wurde.389 Er starb trotzdem

friedlich am 25. Juni 1600.390

3.2 Die irenische Einstellung von Chytraeus und sein Verständnis vom Theologiestudium

Zwei Sachen waren Chytraeus eigen: eine tiefe Religiosität und ein unaufhörlicher Durst

nach neuen Wissen. Der Wissensdrang, der schon dem Knaben zueigen war, trieb seine

Arbeitskraft immer von neuem an. Seine geistliche Entwicklung wurde nicht nur durch die

theologischen Studien bestimmt, sondern auch durch seine nach neuem Wissen orientierte

humanistische Bildung und Erziehung. Wir treffen in ihm mehr den humanistisch

gebildeten Gelehrten, als einen spezifisch lutherischen Theologen.391

Für die ersten Jahrzehnte seines Lebens hat Melanchthons Vorbild und Einfluß seine

irenische Haltung geprägt. Melanchthon hat in sich Humanismus und Reformation

vereint.392 Die irenischen Neigungen des David Chytraeus und sein Bildungsgang

bewirkten einen engen Anschluß an Melanchthon. Von Melanchthon lernte er, irenisch zu

387 Über diese Episode siehe die Kapitel 4.1 und 4.2. 388 Vgl. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 39. 389 Über die letzten Jahren seines Lebens siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 18-21. 390 Sein Testament wurde vor kurzer Zeit entdeckt und veröffentlicht: Sabine Pettke, Das Testament des

David Chytraeus, 153-164. Seit dem Jahr 1555 befand sich der jüngere Bruder Davids Nathan Chytraeus auch in Rostock, und wurde 1564 durch den Herzog Ulrich von Mecklenburg zum Professor der lateinischen Sprache und Poesie in Rostock berufen. Wegen seiner kalvinistischen Ansichten mußte er Rostock verlassen und nach Bremen gehen, wo er bis zu seinem Tod 1598 als Rektor der dortigen Lateinschule wirkte. Zu seinem Leben und seiner Tätigkeit siehe: Nathan Chytraeus. 1543-1598. Ein Humanist in Rostock und Bremen, Quellen und Studien, hrsg. von Thomas Elsmann, Hanno Lietz, Sabine Pettke, Bremen, 1991. Sabine Pettke (Hrsg.), Nathan Chytraeus. Quellen zur zweiten Reformation in Norddeutschland, Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien, 1994. (Mitteldeutsche Forschungen, Band 111)

391 Detloff Klatt, David Chytraeus, 4. 392 Vgl. Kap. 2.2.1.

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sein,393 alles was mit Griechenland zusammenhängt zu lieben und immer wieder

Neuigkeiten über andere christliche Kirchen erfahren zu wollen. Nicht umsonst wurde er

als „der Geist Melanchthons im Luthertum“ bezeichnet.394 Da Chytraeus eine irenische

Person war, erinnerten ihn die Streitigkeiten der Theologen an die Scholastik und

Sophistik.395 Er sagte, wenn es sich um spezielle Lehrpunkte handelte, daß man die

Entscheidung hierüber der himmlischen Akademie vorbehalten müsse, denn „nur für einen

unerfahrenen Esel seien alle Fragen lösbar.“396

Einem Gegner, der ihm vorwarf, daß er mit Philippisten und Kryptokalvinisten im

Briefwechsel stehe, antwortete Chytraeus, daß er auch mit dem Kölner Historiker Janus

Metellus Sequanus bürgerliche Freundschaft durch Briefwechsel pflege und daß er zur

Erweiterung seiner historischen, mathematischen und medizinischen Kenntnisse auch mit

Türken und Juden korrespondieren würde, aber ohne eine Konzession in Bezug auf seinen

Glaubensstandpunkt zu machen.397

Auf Empfehlung des Chytraeus wurde auch der Katholik Heinrich Brucaeus vom Herzog

Johann Albrecht von Mecklenburg als Professor der Medizin und Astronomie nach

Rostock berufen.398

Bei dieser Einstellung ist es nicht verwunderlich, daß David Chytraeus Interesse für die

östliche Christenheit gezeigt hat. Der neugierige Humanist und der irenische Theologe

haben sich in der Person des David Chytraeus vereinigt. Seine Offenheit anderen

christlichen Kirchen gegenüber war die Voraussetzung, die eine positive Beschreibung der

anderen christlichen Kirchen aus Osteuropa, Asien und Afrika bewirkt hat.

Was sein Verständnis des Theologiestudiums und des christlichen Lebens eines Theologen

betrifft, seien hier einige Elemente genannt.399 In seinen Anweisungen zum

393 Er selbst bekannte, daß seine ganze Tätigkeit von der Liebe für Wahrheit und Frieden bestimmt wurden:

„Diligito Veritatem & Pacem“ David Chytraeus, Orationes, 482. 394 Vgl. Rudolf Keller, David Chytraeus (1530-1600), 361. 395 Ebd., p. 7. 396 „In der Oratio de vita a Goldstein pflegte Chytraeus zu sagen: „Utinam experiantur censores illi aliorum

errorum, quid sit scribere et loqui absque errore! Asinis non expertis omnia nota sunt et facilia.“ Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 15 und Anm. 22.

397 In dem Brief an Aegidio Hunnio schrieb Chytraeus im Jahr 1591: „Cum Pontificiis etiam quibusdam, ac nominatim cum Iano Mettelo Sequano qui in Ossorii historiam luculente praefatus est, amicitiam civilem colo. Et, si quos, de historiis, Mathematis, morborum remediis, me docere utilia posse scirem, cum illis, etiamsi Turci aut Iudaei essent, per literas colloqui non recusarem... ita tamen, ut de dogmatibus ipsis confessionem, in gratiam illorum, meam, non mutarem, aut blasphemias illorum probarem.“ David Chytraeus, Epistolae, 872. Vgl. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 15-16.

398 Vgl. Sabine Pettke (Hrsg.), Nathan Chytraeus, 66, Anm. 12. 399 Vgl. die „zehn Gebote“ des David Chytraeus, die jeder Theologiestudent beachten soll, bei: Theodor

Pressel, David Chyträus, 14-15.

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Theologiestudium400 versuchte Chytraeus die Studenten zu überzeugen, daß von Gott aller

Trost und Befreiung (consolatio und liberatio) zu erwarten ist. In diesem Bewußtsein

sollten sich die Studenten der Lehre von dem geopferten Gottessohn zuwenden, durch das

Heranziehen der Heiligen Schrift (meditatio) und das Gebet (oratio, invocatio), um Gottes

helfenden Beistand allen eigenen Bemühungen voranzustellen.401

Für David Chytraeus ist alles menschliche Tun und Reden auf den Beistand Gottes

angewiesen, darum beginnt er schon seine Antrittsvorlesung und danach die Mehrzahl

seiner Reden – einschließlich die Rede über den Zustand der christlichen Kirchen aus

Südosteuropa, Asien und Afrika – mit einem Gebet an Christus, der immer als die große

Hilfe der Menschen angerufen werden soll.402

Für Chytraeus ist die Theologie mithin der Existenzvollzug eines christlichen Lebens, das

im Gottesdienst, in der Frucht und Liebe Gottes und in heiligen Lebensäußerungen seinen

Ausdruck findet. Darum verlangt sein Verständnis des theologischen Studiums von den

Lehrern, daß sie nicht bloß theologischen Wissensstoff zu vermitteln haben, sondern als

Vorbilder an Frömmigkeit, Geduld und Sanftmut auf die Ausbildung einer theologischen

Existenzhaltung ihrer Studenten hinzuwirken haben.403

3.3 Die historische Lehrtätigkeit und das historische Werk des David Chytraeus

Um den Wert und den Platz, den die „Oratio“ über den Zustand der orientalischen Kirchen

und seine späteren Veröffentlichungen im Hinblick auf dieselbe Kirchen im Wirken des

David Chytreaus annimmt, besser zu verstehen, ist es notwendig einen Blick auf die

historische Lehrtätigkeit und das historische Werk des Rostocker Theologen zu werfen.404

400 Die erste Auflage erschien im Jahr 1560 unter dem Titel: Oratio de studio theologiae recte incohando,

Vitebergae, J. Crato, 1560. Vgl. Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 625-626. David Chytraeus war hinsichtlich der Zahl der Nachdrucke der erfolgreichste Autor einer solchen Studienanweisung im Zeitalter des konfessionellen Luthertums überhaupt. Die Gattung der spezifisch an akademische Theologiestudenten gerichteten öffentlichen Studienanweisung ist im Luthertum von Chytraeus geschaffen worden. Er war also in der Generation nach Melanchthon der bedeutendste lutherische Universitätsdidaktiker und Wissenschaftsorganisator. Vgl. Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 256-257.

401 Vgl. ebd., 259. 402 Vgl. ebd., 261-262. 403 Vgl. ebd., 264-265. 404 Die Darstellung dieses Kapitels beruht auf den älteren bekannten Untersuchungen. Die vollständigste bis

heute gemachte Studie in diesem Bereich ist immer noch: Detloff Klatt, David Chytraeus als Geschichtslehrer und Geschichtschreiber, (Diss.), Rostock, 1908. Eine andere Untersuchung, die sich nur auf die Sachsenchronik beschränkt, bietet: Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker. Ein Beitrag zur Kenntnis der deutschen Historiographie im Reformationsjahrhundert, (Dissertation) Rostock, 1897. Andere kleine Untersuchungen: Franz X. von Wegele, Geschichte der Deutschen Historigraphie, 426-

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Die Geschichtsschreibung des David Chytraeus hatte viele humanistische Elemente: die

Aufnahme von Reden, in denen bedeutende Persönlichkeiten gefeiert werden, das

Eingehen auf den Bildungsgang hervorragenden Männer und deren Werke, der rhetorische

Schwung in den Reden, der Rückgriff auf antike und biblische Vorbilder, die kurzen

Städtebeschreibungen, die astronomischen Angaben und das Zitieren von Epigrammen und

Epitaphien.405 Alle diese Aspekte seiner Geschichtsschreibung waren echt humanistisch.

Eine Reihe von ihnen wurden von Chytraeus auch in seiner Rede über den Zustand der

Ostkirchen verwendet.

Franciscus Irenicus, der sich durch eine 1518 erschienene umfangreiche historisch-

geographische Beschreibung Deutschlands einen Namen machte, war der erste Lehrer des

David Chytraeus an der Gemminger Lateinschule,406 und vielleicht war er es, der in David

Chytraeus schon in diesem Alter geschichtliches Interesse weckte.407

Die Begegnung mit Melanchthon war von grundlegender Bedeutung für die weitere

historische Entwicklung des jungen Chytraeus. Melanchthon trug dazu bei, daß das

kritische Auge bei Chytraeus geschärft und sein Urteil durch das Studium der besten

Historiker und durch geschichtliche Ausarbeitungen gebildet wurde. Melanchthon

unterrichtete auf Grund des von ihm ganz bearbeiteten Chronikon Carionis und unter

Benutzung der nach den Handschriften edierten klassischen Hauptautoren.408 Im Haus

Melanchthons lernte Chytraeus, wie man geschichtliche Nachrichten vermittelt bekommen

kann und wie diese Nachrichten weiterzugeben sind.409 Dies spielt später eine sehr

wichtige Rolle in Hinblick auf die Weitervermittlung der Nachrichten seiner Schüler und

anderer orthodoxer Theologen über den Zustand und verschiedene Lehren und Aspekte aus

dem Leben der orientalischen und slawisch-orthodoxen Kirchen.

Außerdem bestand der Geschichtsunterricht im Mittelalter und der Zeit des Humanismus

in der einfachen Lektüre eines antiken Schriftstellers. Es war ein Wendepunkt in der

Geschichte des Geschichtsstudiums, als Melanchthon den geschichtlichen Blick auf die

Weltgeschichte und auch auf die Zeitgeschichte richtete.410 Sein Schüler David Chytraeus

429. Eine spezielle Untersuchung hinsichtlich seiner Geschichte der Augsburgischen Konfession bietet auch Rudolf Keller, Die Confessio Augustana im theologischen Wirken des Rostocker Professors David Chyträus (1530-1600), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1994. Markus Völkel, Theologische Heilsanstalt, 121 merkte im Jahr 2000: „Ungeachtet dieser verdienstvollen Bemühungen sind wir von einem abschließenden Urteil über den Historiker Chytraeus weit entfernt.“

405 Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 46-47. 406 Vgl. Adam Melchior, Vitae Germanorum Theologorum, 682. 407 Walther Thüringer, David Chytraeus (1530-1600), 162. 408 Vgl. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 10. 409 Vgl. ebd., 10-11. 410 Detloff Klatt, David Chytraeus, 28.

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schrieb ebenfalls eine Rede über die zeitgenössischen Kirchen des Morgenlandes und

veranschaulicht dadurch, daß er von Melanchthon Anregungen zum Studium der

Zeitgeschichte bekommen hat.411

Als Theologieprofessor hielt David Chytraeus in Rostock vom Jahr 1559 an geschichtliche

Vorlesungen, und seit 1575 hat er sich fast ausschließlich mit Geschichte und besonders

mit der Abfassung der Sachsenchronik beschäftigt.412 Hier ist er sowohl als

Geschichtslehrer als auch als Geschichtsschreiber berühmt geworden. In diesen zwei

Rollen treffen wir David Chytraeus auch was seine Rede über den Zustand der Ostkirchen

betrifft. Die Rede wurde am 18. Oktober 1569 im Rahmen seiner historischen Vorlesungen

als öffentlicher Vortrag gehalten413 und im selben Jahr in Rostock gedruckt.414

Seine ersten geschichtlichen Vorlesungen waren über Herodot, Thukydides oder

Chronikon Carionis nach der Bearbeitung von Melanchthon.415 Seine Anschauungen über

die Geschichte und über den Wert der Beschäftigung mit ihr hat David Chytraeus in

seinem Buch: „De lectione historiarum recte instituenda“ niedergelegt.416

David Chytraeus definiert Geschichte als: „rerum maximarum a Deo et hominibus in

Ecclesia et Imperiis, bello et pace gestarum, sapiens et diserta expositio.“417 Nach seiner

Auffassung ist also Gott in der ganzen Geschichte der Menschheit gegenwärtig. Die

Vorsehung und Gegenwart Gottes in der Geschichte drückt sich in den Taten der großen

Herrscher und Staaten aus. So ist die Geschichte nützlich für das weltliche und für das

kirchliche Leben. Sie ist nach der Definition des Cicero, die Chytraeus angab und

erläuterte, „magistra vitae“, die uns gute und böse Beispiele darbietet, ihnen zu folgen oder

sie zu meiden. Als Mahnerin zur Tugend gibt die Geschichte zugleich den umfangreichsten

411 Das ist nicht das einzige Werk des Rostockers, in dem zeitgenössische historische Geschehnisse

dargestellt werden. Eine Reihe von anderen Reden über zeitgenössische Persönlichkeiten und seine Saxonia machen diese Orientierung des Chytraeus deutlich.

412 Detloff Klatt, David Chytraeus, 7. 413 Siehe: Walter Engels, Wiederentdeckung, 262. 414 Der Originaltitel, unter dem die Rede gedruckt wurde, lautet: Oratio Davidis Chytraei, cum post reditum

ex Austria ad Chronici lectionem reverteretur. In qua de atatu ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia...narrationes... exponuntur, Rostock, Lucius, 1569. Vgl. Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 630.

415 Vgl. Rudolf Keller, David Chytraeus (1530-1600), 365. Zur Art der Abhaltung seiner geschichtlichen Vorlesungen siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 31-32.

416 Das Buch ist zum ersten Mal im Jahr 1563 unter dem Titel erschienen: De lectione historiarum recte instituenda. Et historicorum fere omnium series et argumenta... Addita est Chronologia historiae Herodoti, Thycydidis, Xenophontis..., Vitebergae, J. Crato, 1563. Zu den Auflagen dieses Werkes des Chytraeus siehe: Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 627-628.

417 Die Definition befindet sich in seinem Kommentar in Herodot. Unser Zitat nach: Detloff Klatt, David Chytraeus, 34.

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und treffendsten Kommentar zu den Geboten Gottes, indem sie zeigt, wie Gott jeden straft,

der sein Gesetz verletzt.418

Nach der Art der historischen Darstellung unterscheidet der Rostocker Theologieprofessor

mehrere Formen, in denen man Geschichte schreiben kann: 1. Historia διεξοδική, die auf

die Gründe der Ereignisse eingeht; 2. Historia παραδειγµατική, welche die besten

Beispiele aus den Historien auswählt; 3. Historia χρονολογική, die Epitome der

Geschichte, die nur kurz die Reihe der Jahre und Zeiten wie Melanchthons Chronicon

Carionis vermerkt; 4. Die Annalen, welche die Ereignisse einzelner Jahre kurz anmerken;

5. Diarien oder Ephemeriden, Tagebücher; 6. Adversaria, in denen die täglichen

Einnahmen und Ausgaben ausnotiert werden.419

Wer sich im Studium der Geschichte einüben will, soll nach der Auffassung des Chytraeus

mit einem Kompendium beginnen, das dem Leser einen allgemeinen Überblick verschafft,

so daß er die gesamte Weltgeschichte mit einem Blick erfassen und wie ein Gemälde

schauen kann.420 Nachdem der Leser oder der Student einen gesamten Überblick über die

Universalgeschichte hat, soll die Lektüre der Quellen und historischen Werke

aufgenommen werden, wobei die genaue Kenntnis der Topographie und Chronologie

unerläßlich ist.421 Neben der Karte Palästinas empfiehlt der Humanist Chytraeus auch die

Karte Griechenlands zu besitzen und sie täglich zu gebrauchen.422

Chytraeus selbst hat diese Methode des Studiums der Geschichte auch im Hinblick auf die

morgenländischen Kirchen angewandt. Durch die Veröffentlichung der Rede über den

Zustand der orthodoxen und altorientalischen Kirchen hat er einen allgemeinen Überblick

über die aktuelle Lage, die Lehre und die Geschichte dieser Kirchen gegeben. Danach hat

er ständig verschiedene aus dem Orient erhaltene Dokumente in einem Anhang zu seiner

418 Zu Einzelheiten seiner geschichtlichen Anschauungen siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 34-36. Peter

Paulsen, David Chyträus als Historiker, 20-23. Walther Thüringer, David Chytraeus (1530-1600), 164. 419 Detloff Klatt, David Chytraeus, 39. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 23, notiert nur vier

Formen aus den oben genannten. Hinsichtlich der Propädeutik des Chytraeus zu seiner universalhistorischen Vorlesung siehe: Markus Völkel, Theologische Heilsanstalt, 125.

420 David Chytraeus empfiehlt dazu das kleine Libellum Carionis. Zur Art seiner Erklärungen des Wortlautes des Chronikons Carionis siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 75 ff.

421 Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 39-40. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 23-24. 422 Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 41. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 24-25. Chytraeus

empfiehlt die Karten des Kronstädter Humanisten und Reformators Johannes Honterus. Darüber schreibt er in seiner Rede über den Zustand der Ostkirchen: „...et Transylvaniae parte praecipua, quam Saxones incolunt. In qua, Ecclesiae et Scholae eruditissimi viri Iohannis Honteri Coronensis (cuius Cosmographicos libellos carmine scriptos et elegantibus tabellis Geographicis ornatos, saepe vobis commendavi) pietate, doctrina et sapientia praeclare constitutae...“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 31. Bezüglich des Inhaltes der Rede über die Ostkirchen kann man schon sehen, wie gut David Chytraeus die Topographie von Osteuropa, Asien und Afrika kannte.

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Rede veröffentlicht, um dem abendländischen Leser eine bessere Kenntnis über einige

Aspekte aus dem Leben dieser Kirchen zu vermitteln.423

Neben der Erfüllung seiner historischen Lehrverpflichtungen schrieb der Rostocker

Theologe auch historische Werke. Seine Arbeiten über die Geschichte Norddeutschlands

schließen sich zum Teil in der Form von Fortsetzungen an die bekannten Werke des

Hamburger Theologen Albert Kranz an. Das wichtigste Werk ist die „Continuatio

Vandaliae et Saxoniae ab anno Christi 1500.“424 An diesem Werk hat er jahrelang

gearbeitet, indem er es immer wieder aufgrund neuer Quellen durch- und umgearbeitet hat.

Hier ist seine historische Wirksamkeit zu einer großen Einheit zusammengefaßt.425 Neben

der Sachsenchronik – die eine Geschichte Norddeutschlands, Norwegens und Schwedens

war – hat Chytraeus auch eine Kirchengeschichte des norddeutschen Raumes verfaßt, die

„Metropolis“ genannt wurde, in der er Angaben über die Bistümer Norddeutschlands

machte.426 Ein anderes wichtiges geschichtliches Werk von David Chytraeus ist auch die

„Historia Augustanae Confessionis,“427 die nicht nur die Geschichte der Reformation

erzählen, sondern vielmehr als Quellensammlung den Originaltext der Confessio und die

bis zum Religionsfrieden 1555 in Betracht kommenden wichtigsten Aktenstücke

quellenmäßig wiedergeben will.428

Neben diesen wichtigen historischen Schriften hat David Chytraeus auch eine Reihe

kleiner historischen Schriften verfaßt, von denen die Chronologien429 und die Reden430 zu

423 In der letzten Auflage der „Oratio“ aus dem Jahr 1583 umfaßten die veröffentlichten Dokumente die

Seiten 44-271, während die Rede über den Zustand der Ostkirchen nur die Seiten 6-42 umfaßte. Eine Untersuchung dieser Quellen befindet sich im Kapitel 6.

424 Die erste Auflage erschien im Jahr 1585 in Wittenberg unter dem Titel: Vandalia et Saxoniae Alberti Cranzii continuatio ab anno Christi 1500 ubi ille desijt: per studiosum quendam historiarum instituta. Accessit Metropolis seu Episcoporum in viginti Dioecesibus Saxoniae Catalogus, usque ad praesentem annum 1585 deducta. Cum praefatione Davidis Chytraei et indice, Wittenberg, Crato haer.,1585. Zu den verschiedenen Auflagen dieses Lebenswerkes des David Chytraeus siehe: Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 635. Detloff Klatt, David Chytraeus, 181-182. Siehe die Untersuchungen, die dieses Werk des Chytraeus gewidmet wurden: Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 27 ff. Detloff Klatt, David Chytraeus, 60-64 und 98 ff.

425 Detloff Klatt, David Chytraeus, 60. 426 Der Titel des Werkes lautet: Prooemium Metropolis seu sucessionis episcoporum in octodecim ecclesiae

Saxoniae et Vandaliae veteris cathedralibus: ab anno 1500 ubi Albertus Cratius desiit, usque ad nostram aetatem continuatae, s.l., 1582. Siehe zu den anderen Auflagen: Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 634. Zum Inhalt des Werkes und seiner Entstehung siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 61-62.

427 Siehe dazu die Arbeit von Rudolf Keller, Die Confessio Augustana im theologischen Wirken des Rostocker Professors David Chyträus (1530-1600), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1994. Das Werk ist zum ersten Mal im Jahr 1578 in Frankfurt erschienen: Historia Augustanae Confessionis, ... Francofurti ad Moenum, P. Reffeler, S. Feirabend, 1578. Zu den anderen Auflagen und deutschen Übersetzungen siehe: Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 632.

428 Detloff Klatt, David Chytraeus, 51-52. 429 Chytraeus pflegte mit besonderer Sorgfalt auch die Chronologie. Er hat die folgenden Bücher verfaßt:

Chronologia Herodoti et Thucydidis; Chronologia historiae Maccabeorum und Chronologia Vitae et

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nennen wären. Zu erwähnen sind ebenfalls die Reden über Westfalen, über den

Kraichgau,431 die Mark Brandenburg, über Rostock und Schwerin.432 Aus der großen Reihe

seiner kleinen historischen Schriften verdient die Rede über den Zustand der Kirchen in

Griechenland, Asien und Afrika besondere Erwähnung. Mit dieser Rede lenkte David

Chytraeus zum ersten Mal im deutschen Protestantismus die öffentliche Aufmerksamkeit

auf die Ostkirchen.433 Er ist dadurch schon im 16. Jahrhundert zum Begründer einer

protestantischen Ostkirchenkunde geworden.434

Wir finden also bei Chytraeus eine Konzentration auf die Zeitgeschichte.435 Er schrieb über

die politische und kirchliche Geschichte Norddeutschlands im 16. Jahrhundert, sowie über

die Geschichte der Augsburgischen Konfession und verschiedene Reden über

Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts. Zu seinen kleineren geschichtlichen Reden zählt

auch die Rede über den Zustand der Ostkirchen, derer Untersuchung die vorliegende

Arbeit gewidmet ist. Ihre besondere Bedeutung besteht in ihrer Einmaligkeit und

Einzigartigkeit in der lutherischen Welt des 16. Jahrhunderts.

Die Bedeutung des David Chytraeus als Lehrer und als Historiker beruht neben seiner

gesamten Tätigkeit und seinem historischen Werk darauf, daß er einen Kreis von Schülern

um sich gesammelt, sie in die verschiedenen Zweige der Geschichtswissenschaft

eingeführt und zu eigener historischer Arbeit angeregt hat.436 Einige von seinen Schülern

haben kein eigenes geschichtliches Werk hinterlassen, sondern haben dem Chytraeus

geschichtliche „Briefberichte“ vom Orient geschickt und Bücher und andere Informationen

Rerum gestarum Alphonsi Regis Aragoniae et Neapolis. Mit der Chronologie der Geschichte der Türken hat er sich auch neben der biblischen Chronologie beschäftigt. Siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 50-51.

430 Vgl. David Chytraeus, Orationes, Nunc demum in lucem editae a Davide Chytraeo Authoris filio, Hanoviae, 1614. Zu den Reden geschichtlichen Inhalts des Rostockers siehe das bibliographische Verzeichnis der historischen Werke des Chytraeus: Detloff Klatt, David Chytraeus, 163 ff.

431 Diese Rede wurde seit kurzer Zeit wieder übersetzt und herausgegeben: David Chytraeus, Kraichgau. De Creichgoia, Faksimile der Ausgabe Wittenberg 1561 mit Übersetzung und Nachwort, hrsg. und neu übersetzt von Reinhard Düchting und Boris Körkel, Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher, 1999.

432 Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 52. 433 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 262. 434 Vgl. Thomas Kaufmann, Chyträus, col. 377-378. 435 Hier kann man eine Beeinflussung durch den italienischen Humanisten und Universalhistoriker Paolo

Giovio vermuten, dessen Werke Chytraeus wohl kannte. 436 Die wichtigsten Schüler des Chytraeus haben geschichtliche Werke verfaßt: Arngrinus Jonas aus Island

schrieb auf Anregung Chytraeus eine Geschichte Islands; Melchior Neophanius verfaßte eine Geschichte Braunschweigs; Ubo Emmius schrieb eine Geschichte der Friesen; Paul Oderborn gab eine Geschichte Königs Stephan von Polen heraus. Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 45, Anm. 2. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 12. Peter Paulsen sagte: „Man kann dreist sagen, dass Chyträus eine historische Schule begründet hat.“ Ebd.

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vermittelt. Alle diese Nachrichten wurden von Chytraeus selbst zuerst als Flugschriften

und danach im Anhang an seiner Rede über den Zustand der Ostkirchen veröffentlicht.437

437 Vgl. Kap. 6.

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4 Chytraeus’ Österreich- und Ungarnreise. Die äußeren Umstände, die seine Aufmerksamkeit auf die östlich-orthodoxe Kirche gelenkt haben

4.1 Die Berufung des Chytraeus nach Österreich und seine Österreich- und Ungarnreise (1568-1569)

David Chytraeus ist nicht viel außerhalb der deutschen Gebiete des Reiches gereist. Seine

erste Auslandsreise unternahm er im Jahr 1550 nach Rom, aber wir besitzen keine näheren

Angaben darüber.438 Chytraeus kehrte über die Schweiz, wo er überall, wie es einem

Humanisten gebührte, die Gelehrten aufsuchte und mit offenen Augen die Verhältnisse und

Zustände des Landes beobachtete,439 nach Deutschland zurück.440 Als Humanist wollte er

fremde Länder kennenlernen, um seinen Horizont zu erweitern und sich zu eigenem

wissenschaftlichen Gewinn zu bilden. In dieser Hinsicht unternahm David Chytraeus im

Jahr 1557 eine andere Reise über Friesland, Holland, Belgien und Flandern bis in seine

Heimat, den Kraichgau.441

Neben diesen Reisen hatte David Chytraeus Gelegenheit gehabt, dank seiner vielen Rufe

an verschiedene in- und ausländische Universitäten neue Länder kennenzulernen. Die mehr

als ein Dutzend ehrenvollen Rufe zeigen, wie hoch er von seinen Zeitgenossen

eingeschätzt wurde und wie Könige, Fürsten und Universitäten sich bemühten, ihn für sich

zu gewinnen. König Christian III. von Dänemark rief ihn als Professor an die Universität

Kopenhagen; auch nach Augsburg erhielt er einen Ruf,442 danach folgten andere Rufe nach

Straßburg, Heidelberg,443 Frankfurt, Wittenberg, u.a.444 Da David Chytraeus fürstlicher

Professor war, konnte er die Rufe nicht ohne die Bewilligung der Herzöge von

Mecklenburg annehmen. Obwohl er einige dieser Rufe annehmen wollte, wurde ihm das

438 Vgl. Adam Melchior, Vitae Germanorum Theologorum, 685. Otto Krabbe, David Chyträus, 39. Thomas

Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 35. 439 Theodor Pressel, David Chyträus, 9. 440 Das Jahr 1550 war ein Jubeljahr, darum ist Chytraeus gerade in diesem Jahr nach Rom gefahren. Am

Ende seines Lebens hat Chytraeus eine kleine Schrift über das Jubeljahr verfaßt: De Anno Jubilaeo utilis admonitio Davidis Chytraei. Ex Levitici XXV. Rostochij Typis Stephani Myliandri Anno MDC. Der Rostocker erwähnt dort, daß der Papst Bonifatius VIII. diesen Mißbrauch des Jubeljahres zuerst im Jahr 1300 eingeführt hat. Clemens VI. hat 1343 mit Bezug auf das alttestamentliche Jubeljahr jedes folgende 50. Jahr als Jubiläumsjahr bestimmt und Sixtus IV. 1475 den Zwischenraum für die Feier des Jubiläums auf 25 Jahre festgesetzt. Siehe dazu: Detloff Klatt, David Chytraeus, 97-98.

441 Vgl. Adam Melchior, Vitae Germanorum Theologorum, 686. Theodor Pressel, David Chyträus, 13. 442 Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 11. 443 Vgl. ebd., 12-14. 444 Eine Schilderung dieser Berufungen findet sich neben einigen Originalbriefen bei: Detloff Klatt, David

Chytraeus, 129-149.

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von den Herzögen nicht erlaubt, so daß David Chytraeus bis am Ende seines Lebens in

Rostock geblieben ist.445

Wenn Chytraeus auch die oben erwähnten Rufe ausgeschlagen hat, so nahm er im Jahr

1568 einen Ruf nach Österreich an, wo die Ausarbeitung einer evangelischen

Kirchenordnung erforderlich war.446 Herzog Johann Albrecht bewilligte seine Berufung

unter der Bedingung, daß Chytraeus auf keinen anderen Ruf ohne Willen und Wissen der

Herzöge eingehen werde.447

Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich das Luthertum immer mehr unter den

österreichischen Landständen ausgebreitet,448 aber den Evangelischen wurde eine legale

Existenz nicht erlaubt.449 Im Jahr 1568 begann Kaiser Maximilian II. die

Religionsausübung der Evangelischen nach der Confessio Augustana unter der Bedingung

zu tolerieren, daß eine Kirchenordnung vorgelegt werden würde.450 Nach mehreren

Verhandlungen erklärten die Stände am 22. September 1568 dem Kaiser, daß sie sich

bezüglich der Ausarbeitung einer Kirchenordnung für David Chytraeus entschieden hätten

und daß der Kaiser sich um ihn bemühen sollte.451

Ende Oktober 1568 machte sich eine kleine Gesandtschaft unter der Leitung von Junker

Wolf Christoph Maiminger auf den Weg nach Rostock, um die Herzöge von Mecklenburg

um die Beurlaubung des Professors ihrer Universität zu bitten und Chytraeus persönlich

nach Österreich einzuladen.452 Nach mancherlei Bedenken nahm David Chytraeus den

ehrenvollen Ruf an und reiste am 3. Dezember 1568 von Rostock ab. Die Gesellschaft

bestand jetzt aus sechs Männern: den drei Österreichern, David Chytraeus, Johannes

Posselius, Professor der griechischen Sprache, und Joachim Edeling, einem jungen

Pommern aus Pasewalk.453

445 Zum Dienstverhältnis des Chytraeus zu den Herzögen siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 129 ff. 446 Vgl. Adam Melchior, Vitae Germanorum Theologorum, 687-688. 447 Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 29. 448 Zu den Anfängen des Protestantismus in Österreich siehe: Gustav Reingrabner, Protestanten in Österreich,

15 ff. 449 Zur Ausbreitung des Luthertums in Österreich siehe: Grete Mecenseffy, Geschichte des Protestantismus in

Österreich, 8-18, 27-34 und 44 ff. 450 Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 5. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 39. 451 Vgl. Gustav Reingrabner, Aus der Kraft des Evangeliums, 26. Vor Chytraeus wurde auch Joachim

Camerarius berufen, der wirklich am 8. September 1568 in Wien eintraf. Camerarius wurde als Freund Melanchthons mit Mißtrauen aufgenommen, so daß er Anfang Dezember nach Hause zurückkehren mußte. Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 29. Zu den ganzen Verhandlungen bis zur Berufung des David Chytraeus siehe: Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 6-8.

452 Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 8. 453 Vgl. ebd., 9.

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Joachim Edeling454 verfaßte ein langes lateinisches Gedicht, das im Original 896 Verse

umfaßt und in dem er die Reise mit seinem Lehrer David Chytraeus nach Wien in den

Jahren 1568 – 1569 beschrieben hat.455 Obwohl der Versuch Maximilians II. durch die

Berufung von David Chytraeus nach Wien dem Protestantismus Wittenbergischer Prägung

in den österreichischen Erblanden Eingang zu verschaffen, das Kern- und Leitthema des

Gedichtes war, bietet es uns auch die wichtigste Quelle für die Route und die Geschehnisse

der Reise des Chytraeus nach Österreich und Ungarn.456

Die Reise nach Österreich ging zuerst über Wismar, Lübeck, Lüneburg und Braunschweig

nach Wolfenbüttel, wo Chytraeus Andreas Chemnitz und Jakob Andreae traf und sie auch

um ihren Rat im Hinblick auf die Mission in Österreich bat.457 Am 21. Dezember war

David Chytraeus in Leipzig bei Joachim Camerarius,458 der vor Chytraeus zur Mitarbeit

ausgewählt worden war, und am 24. Dezember war er in Meißen bei Caspar Eberhard und

Georg Fabricius.459 Von dort setzte er die Reise über Dresden und Pirna nach Prag fort, wo

er zu Silvester eintraf.460 Hier begegnete er zum ersten Mal den Griechen Jacobos

Paleologos, eine sehr wichtige zukünftige Quelle im Hinblick auf seine Kenntnisse über

die zeitgenössischen Ostkirchen.461 In Prag besuchten sie Kirchen und sahen die Gräber

454 Der Geburts- und Todestag des Joachim Edelings sind unbekannt. Der Geburtsort ist aber bekannt:

Pasewalk in Pommern. Neben der Tatsache, daß er zusammen mit David Chytraeus in den Jahren 1568-1569 eine Österreich- und Ungarnreise unternommen hat, wissen wir, daß er später Pfarrer der Kathedralkirche in Cammin/Pommern war. Diese Daten über sein Leben und weitere Literatur bei: Hermann Wiegand, Hodoeporica, 481-482.

455 Das Gedicht wurde in zwei Auflagen kurz nach der Rückkehr von dieser Reise, sicherlich mit Hilfe des David Chytraeus veröffentlicht: Ioachimi Edelingi Pomerani, Hodoeporicon Boemicum, Austriacum, Ungaricum, etc., Rostochii excudebat Iacobus Lucius, 1571. Ioachimi Edelingi Pomerani, Itinera, Saxonicum, Boemicum, Austriacum, Ungaricum, etc. quae cum Praeceptore suo, D. Dav. Chytraeo in Austriam vocato, ducente Deo, confecit, Rostockii, Excudebat Joan. Stokelman et Andreas Cutterwitz, 1572. Vgl. Hermann Wiegand, Hodoeporica, 481-482. (Die beiden Auflagen waren mir nicht zugänglich). Ich benutze die gekürzte Ausgabe des Reisegedichtes Edelings, das auf 418 Verse gekürzt von Nicolaus und Jeremias Reusner in ihrer großen Sammlung von Hodoeporica im Jahr 1580 herausgegeben wurde: Ioachimi Edelingi Pomerani, Iter Panonicum, in: Hodoeporicoru, sive Itinerum totius fere Orbis, Lib. VII. Opus Historicum, Ethicum, Phisicum, Geographicum. A Nic. Reusnero. Lerino I.C. iam olim collectum: nunc denum Ieremiae Reusneri Fratris cura ac studiuo editum, Basileae, Ad Perneam Lecythum, 1580, S. 419-433. (Weiter zitiert: Ioachim Edeling, Hodoeporicoru.) Zu den Unterschieden zwischen dem Gedicht des Edelings in seiner Originalausgabe und in der gekürzten Fassung von Reusner siehe: Hermann Wiegand, Hodoeporica, 13-17. Eine Beschreibung der Reise nach dem Reisegedicht von Joachim Edeling bietet: Hermann Wiegand, Hodoeporica, 255-260 und Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 9 ff.

456 Die Hauptmotive dieses Reisegedichtes sind die folgenden: Tätigkeit des David Chytraeus als Verfasser der Agende der niederösterreichischen Protestanten, der Wiener Protestantenkreis, Humanistenfreundschaften, türkische Bedrohung Österreichs, antike Überreste in Kärnten und Preßburg und Hus und die Hussiten in Böhmen. Vgl. Hermann Wiegand, Hodoeporica, 482.

457 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 419-420. Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 10. 458 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 421. Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 29. 459 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 421. Vgl. Hermann Wiegand, Hodoeporica, 256. 460 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 422-423. 461 Siehe dazu: Kap. 4.2.

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der böhmischen Könige. Wirklich beeindruckt aber waren Joachim Edeling und Chytraeus

von den Hus-Stätten. Darum wird David Chytraeus in seiner „Oratio“ der Geschichte Jan

Hus und der Hussiten einen ziemlich großen Raum widmen.462 Über Böhmisch-Brod,

Caslau und Iglau traf Chytraeus am 10. Januar 1569 in Krems an der Donau ein.463

Die Stände begehrten von Chytraeus die Abfassung von vier Schriften: eine

Kirchenagende, eine Konsistorialordnung, eine Erklärung über die Confessio Augustana

und einen kurzen Auszug der Lehre für die Ordinationsprüfung.464 Chytraeus arbeitete

ununterbrochen trotz schwerer körperlicher Beschwerden und so war Ende Februar 1569

die Agende schon geschrieben.465 Nachdem er auch die übrigen drei Schriften gegen Ende

März fertiggestellt hatte, wurde er von den Ständen nach Wien eingeladen, wo er mit

einem Schiff ankam und im Haus des Herrn Moser wohnte.466 In Wien traf er Barone, Adel

und Gelehrte jener Zeit, mit denen er viel Zeit in Gesprächen verbrachte.467

Da die Verhandlungen in Bezug auf die Annahme der von Chytraeus abgefaßten

Kirchenagende vom Kaiser selbst unter dem Einfluß der Katholiken in die Länge gezogen

wurden468 und Chytraeus daran nicht unmittelbar beteiligt war, unternahm er am 10. Mai

1569 eine kleine Reise donauabwärts nach Orth, Ebersdorf und Siebenbrunnen.469

Da die Verhandlungen noch nicht beendet waren, unternahm David Chytraeus mit seiner

Begleitung ab dem 25. Mai 1569 eine längere Reise nach Ungarn.470 Er fuhr von Wien

462 Von den 37 Seiten der „Oratio“ in der Auflage Frankfurt 1583 widmet Chytraeus 5 Seiten der Kirche der

Hussiten. Vgl. David Chytraeus, Oratio de statu, 32 und 37-41. 463 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 424. Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 10. Chytraeus

teilte seine Ankunft sofort dem Kaiser Maximilian II. mit. Aber die Arbeit konnte wegen einiger Machenschaften der Katholiken nicht beginnen. Die Stände brachten ihren Gast am 19. Januar nach Spitz in das dort versteckte Schlößchen des Herrn Leonard von Kirchberg. Die Machenschaften der Katholiken, die den Erfolg der Mission des David Chytraeus verhindern wollten, werden auch von Edeling geschildert. Vgl. auch Hermann Wiegand, Hodoeporica, 16.

464 Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 30. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 39. 465 Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 15. 466 Der Aufenthalt bei Moser in Wien ist von Edeling in seinem Reisegedicht geschildert: „Hospita praebebat

nobis hic tecta Moserus / Vir gravis et verae relligionis amans / Illius et coniunx, specimen virtutis avitatae / Materna fovit nos aluitque fide. / Publica mensa fuit nobis, aditusque patebat / Omnibus hac una qui voluere frui. / Nec semel illustres nos accessere barones / Aut alii insignes nobilitate viri. / Non minus et nobis quoque consuetudo virorum / Doctorum quovis tempore grata fuit. / Sed differuntur cum sancta negotia, quorum / Causa Danubii nos vada pulchra tenent, / Nobilibus iuvat ire viris comitantibus Orthum, Arx tua Salmensis quae fuit ante comes...“ Ioachimi Edelingi Pomerani, Hodoeporicon, B 2v, V. 465-478 apud Hermann Wiegand, Hodoeporica, 17.

467 Ebd., 17. 468 Der Nuntius des Papstes, Commendone, wird von Edeling in seinem Gedicht als Satan beschrieben, der

vom Papst, dem Stellvertreter der Hölle, gesandt wurde. Vgl. Hermann Wiegand, Hodoeporica, 257-258. 469 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 427. Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 17. 470 Joachim Edeling beschreibt diese Reise in seinem Reisegedicht. Vgl. Hermann Wiegand, Hodoeporica,

258, Anm 1095. Adam Melchior erwähnt auch die wichtigsten Stationen seiner Ungarnreise: „In itinere isto Austriaco cum per ocium liceret, mense majo, Vienna in Ungariam excurrit, et Possonium, alias Presburgam, Iaurinum vulgo Rabam, Comaram, et alia loca munita perlustravit.“ Adam Melchior, Vitae Germanorum Theologorum, 688.

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nach Preßburg, wo er zwei Arzthumanisten – Georg Purkircher und Johannes Sambucus –

traf.471 Sambucus hat ihm die Burg gezeigt und der Stadtrat hat Chytraeus Wein

geschenkt.472 Chytraeus und seine Gesellschaft sind weiter bis nach Komorn gereist, wo

sich die Grenze zwischen dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und dem

osmanischen Reich befand.473 Hier an der äußersten Grenze zu den Türken endete die

Reise des Chytraeus.474 Da Buda in der Nähe lag, es sich aber im Besitz der Türken

befand, war es nicht mehr sicher, weiter zu reisen und die übrigen Bezirke des

Königreiches zu besuchen, denn es bestand die Gefahr, die Stadt, die den Namen des

Kaisers Konstantin trug, in Fesseln zu sehen.475 Von Komorn fuhr die Gesellschaft über

Györ, Ödenburg, Eisenstadt, Wiener Neustadt und Baden nach Wien zurück.476

In seiner Beschreibung der Reise schildert Edeling die Lage in den Ländern an der

türkischen Grenze des Reiches.477 Einmal an der Grenze angelangt, versuchte David

Chytraeus über die Grenze hinaus in die unchristliche oder anders christliche Welt des

Ostens zu blicken und fragte nach der Lage der orientalischen Christen, von denen er

wahrscheinlich von Jacobos Paleologos und Michael von Thessaloniki schon gehört

hatte.478 In dem evangelischen Humanisten aus Rostock wurde ein starkes Interesse an der

471 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 428. 472 Vgl. die Beschreibung der Reise bei Szabó András, David Chytraeus és Magyarország, 1. (= David

Chytraeus und Ungarn). Ich zitiere aus der Handschrift des Verfassers. 473 Vgl. Szabó András, David Chytraeus és Magyarország, 1. Adam Melchior, Vitae Germanorum

Theologorum, 688. 474 Die Behauptung Krimms, daß Chytraeus und seine Gesellschaft bis nach Budapest fuhren, ist aufgrund

der Quellen nicht zu bestätigen. Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 17. Im Jahr 1981 behauptete Holl Béla, daß Chytraeus über Ungarn in die Türkei und sogar bis nach Alexandrien gereist sei. Holl Béla, Adatok David Chytraeus, 57. Die Behauptung Edelings, daß sie nicht weiter als Komorn gereist sind, ist das Hauptargument gegen beide oben erwähnte Behauptungen. Siehe die nächste Anmerkung. In seiner „Oratio“ bestätigt Chytraeus selbst, daß er in der Stadt Buda nicht war, und gibt als Quelle seiner Beschreibung der Stadt Buda Lazarus Suendius an. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 30-31.

475 Joachim Edeling schrieb darüber: „Cum vero ulterius non esset pergere tutum / Et regni reliquas huius adire plagas / Urbem etenim nemo cupiebat cernere vinctus / Quae Constantino a Caesare nomen habet...“ Hermann Wiegand, Hodoeporica, 259. Martin Kriebel beschreibt das Schicksal von Wolf Schreiber, einem Gesandten Hans von Ungnads in die Moldau, um eine protestantische Druckerei einzurichten, der als Gefangene nach Konstantinopel gelangte und dort im Gefängnis einige Jahre verbrachte, wie folgend: „Die Tätigkeit evangelischer Männer jenseits der südöstlichen Reichsgrenze aber war, wie Schreibers Schicksal deutlich macht, unmöglich, da sie sich auf dem türkischen Gebiet, im Bereich, der Orthodoxie und des Islam, ohne diplomatischen Schutz sofort in den politischen Spannungen verfingen.“ Martin Kriebel, Wolf Schreibers Mission, 38. Erst einige Jahre später schickten die ersten evangelischen Gesandtschaftsprediger, Stephan Gerlach und Salomon Schweigger, die ersten Berichte über die Ostkirchen direkt von Konstantinopel nach Tübingen. Vgl. Martin Kriebel, Salomon Schweigger, 150-180. Martin Kriebel, Stephan Gerlach, 71-96.

476 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 429. Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 17. Szabó András, David Chytraeus és Magyarország, 1. Daß Chytraeus durch die Orte, die hier genannt wurden, wirklich gereist ist, bestätigt seine Beschreibung der Lage der Kirche in Ungarn. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 29-30.

477 Vgl. Hermann Wiegand, Hodoeporica, 258-259. 478 Siehe: Kap. 4.2.

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Lage der Türken und der unter der türkischen Herrschaft stehenden Griechen erweckt,479

weil in jener Zeit die Kenntnis der Verhältnisse jenseits des „Eisernen Vorhangs“ in Bezug

auf die Lage der orthodoxen Kirchen, sowie die Stärke und Bedeutung des Islam im

evangelischen Lager noch unzureichend war.480

Im Hinblick auf Ungarn hatte Chytraeus auf dieser Reise die Möglichkeit, mit vielen

ungarischen Humanisten und Protestanten ins Gespräch zu kommen, so daß er diese Reise

nutzte, um sich die dortigen kirchlichen und politischen Verhältnisse eingehender

anzusehen.481 Nach der Rückkehr nach Rostock wird David Chytraeus in seiner „Oratio“

auf zweieinhalb Seiten auch Bericht über die Lage der Christen in Ungarn erstatten.482 Am

Ende seines Berichts über Ungarn dankt Chytraeus Gott für seine Güte und seine Sanftmut,

durch die er die Kirche Gottes auch in diesen Gegenden bewahrt hat.483

Als er aber nach der Ungarnreise wieder in Wien ankam und die Agende immer noch nicht

angenommen war, wollte Chytraeus nach Hause reisen. Doch die Stände baten ihn

dringend, noch zu bleiben. Chytraeus gab seine Zustimmung, aber er enthielt sich

weiterhin aller öffentlichen Gespräche und empfing in der Abgeschlossenheit seines

Quartiers öfters Besuche.484 Es ist zu vermuten, daß Chytraeus während dieser Zeit der

Abgeschiedenheit schon die ersten Eindrücke von der Ungarnreise zusammenfaßte.

Wegen der Verzögerung unternahm David Chytraeus mit einer kleinen Gesellschaft noch

eine dritte Reise, diesmal durch einige kleinere Orte in Niederösterreich: Mauerbach,

Schloß Nußdorf, Stein, Weißenkirchen, St. Michael und Spitz. Nachdem er diese Orte

besucht hatte, kehrte Chytraeus mit einem Schiff nach Wien zurück.485

Nachdem schließlich am 13. August ein Abkommen über die Agende getroffen wurde, trat

Chytraeus am 15. August 1569 nach einem achtmonatigen Aufenthalt in Österreich die

Heimreise an.486

479 Vgl. Szabó András, David Chytraeus és Magyarország, 1-2. 480 Vgl. Martin Kriebel, Wolf Schreibers Mission, 39. 481 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 264-265. 482 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 29-32. 483 „Pro hac immensa Dei bonitate et clementia, quod ruentibus regnis et furentibus haereticis, haereditatem

filio suo aeternam servat ... toto pectore ipsi gratias agamus.“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 31-32. Zu den Beziehungen des David Chytraeus zu Ungarn und zur Rezeption seiner Schriften siehe: Szabó András, David Chytraeus és Magyarország, 1ff. Holl Béla, Adatok David Chytraeus, 57 ff.

484 Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 18. 485 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 430. Zu Einzelheiten über diese Reise siehe: Herbert Krimm, Die

Agende vom Jahre 1571, 18. 486 Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 20.

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Auf der Rückreise von Österreich stößt die Reisegruppe in Trebitz in Mähren auf eine

Waldenserkirche.487 Als Folge finden wir in der „Oratio“ des David Chytraes eine

umfassende Beschreibung der Waldenser.488

Chytraeus reiste wieder über Prag, wo er Jacobos Paleologos traf,489 sowie über Dresden,

Berlin, Wittstock und Güstrow und traf nach genau einmonatiger Reise am 15. September

1569 in Rostock ein.490

Nach längerer Abwesenheit begann der Rostocker Theologieprofessor am 18. Oktober

1569, also einen Monat nach der Rückkehr aus Österreich, die Wiederaufnahme seiner

historischen Vorlesungen mit einer im Rahmen des Protestantismus des 16. Jahrhunderts

einzigartigen „Rede über den heutigen Stand der Kirchen in Griechenland, Kleinasien,

Afrika, Ungarn und Böhmen, etc.“491 und „lenkte mit diesem Vortrag zum ersten Male im

deutschen Protestantismus die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Ostkirche.“492

Woher hatte David Chytraeus während seiner Österreich- und Ungarnreise so viele

Kenntnisse über die Ostkirchen gesammelt, daß er eine Rede über ihren damaligen Zustand

halten und danach drucken konnte?

4.2 Die persönliche Begegnung mit den Griechen Jacobos Paleologos und Michael von Thessaloniki

Während seiner Reise durch Österreich, Böhmen und Ungarn hatte David Chytraeus die

Gelegenheit, die dortigen kirchlichen Verhältnisse mit eigenen Augen zu begutachten.

Durch eine Reihe von Gesprächen und Besuchen auf seinen Reisen verschaffte er sich

einen guten Einblick in Bezug auf die Lage der Christen in diesen Ländern, insbesondere

487 Vgl. Hermann Wiegand, Hodoeporica, 257. 488 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 32-36. 489 Darüber berichtet Edeling: „Palaeologus, Graio de sanguine cretus, Caesareo cuius gaudet honore domus.“

Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 431. 490 Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 431-433. Vgl. Herbert Krimm, Die Agende vom Jahre 1571, 21. In den

Jahren 1573-1574 findet eine zweite Reise des Chytraeus nach Österreich statt, diesmal in die Steiermark. Auch hier sollte David Chytraeus eine Kirchenordnung verfassen. Aber die von ihm verfaßte Kirchenordnung schien verloren zu sein. Er gründete zuerst eine evangelische Schule in Graz, die am 27. Mai 1574 mit einer feierlichen Rede über die Notwendigkeit der schulischen Ausbildung in allen Kirchen Gottes eröffnet wurde. Diese Rede wurde danach unter dem Titel gedruckt: „Oratio in scholae provincialium inclyti ducatus Stiriae, introductione habita. Graeciae in Stiria, A. Francus, 1574.“ Vgl. Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 631. Zur Tätigkeit des Rostockers in Österreich in den Jahren 1573-1574 siehe: David Chytraeus, Epistolae, 197-201. Otto Krabbe, David Chyträus, 273 ff. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus, 40-41. Detloff Klatt, David Chytraeus, 136-137.

491 Oratio Davidis Chytraei, habita in Akademia Rostochiensi, cum post reditum ex Austria ad Chronici lectionem reverteretur. In qua de statu eccesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Africa, Ungaria, Boemia, etc. narrationes vera et cognitu non iniucunda exponuntur, Rostock, Lucius, 1569. Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 32, 84. Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 630.

492 Walter Engels, Wiederentdeckung, 262.

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der nicht mehr unter dem römischen Stuhl stehenden Christen: Waldenser, Hussiten und

Protestanten. Nach Hause zurückgekehrt konnte er auch seinen Studenten viel über die

Situation dieser christlichen Kirchen berichten.493

Aber während dieser Böhmen-, Österreich- und Ungarnreise wurde seine Aufmerksamkeit

auch auf die orthodoxen Kirchen des Ostens gelenkt.494 Sein Aufenthalt in diesen Ländern

bot ihm die Chance, in Kontakt mit orthodoxen Griechen zu treten und von ihnen

Nachrichten über den Zustand der Kirche Griechenlands und anderer orthodoxen Kirchen

zu sammeln.495

Das Interesse an der Kirche Griechenlands bestätigte Chytraeus schon vor einigen Jahren

in seiner Rede über seine Heimat, den Kraichgau.496 Aus dieser Schrift wissen wir, daß

David Chytraeus schon vor 1558497 einen Griechen kennengelernt hat, mit dem er

ausführliche Gespräche über den Zustand der Kirchen und der gelehrten Studien in

Griechenland geführt hat. Nachdem er zu zeigen versuchte, daß der Name des Kraichgaus

vom griechischen Volk herstammt, schrieb er weiter: „Nicht wundert sich, daß griechische

Kolonisten einst irgendwo in Deutschland gesessen sind, der daran denkt, daß noch jüngst

im Heer Karls V. griechische Reiter, Epiroten, in den Niederlanden gekämpft haben; deren

Anführer ich selbst gesehen und den ich viel über den Zustand der Kirchen und der

gelehrten Studien und auch des Staatswesens in Griechenland ausgefragt habe.“498

Ohne daß wir andere Einzelheiten über diese Episode wüßten, könnte es sein, daß der

Grieche, den Chytraeus kennengelernt und mit dem er sich über den Zustand der Kirchen

in Griechenland unterhalten hat, Jakobus Heraklide Despota war,499 ein auf der Insel

Rhodos um 1520 geborener Adeliger, der sich in den Jahren 1550 und 1556 in Wittenberg

493 In der Auflage 1569, die auch in der Sammlung der „Orationes“ – 1614 des David Chytraeus

herausgegeben wurde, beträgt der Umfang der Beschreibung der Hussiten, Waldenser und Protestanten aus Österreich, Böhmen, Ungarn und Siebenbürgen 20 von 36 Seiten des gesamten Textes. Vgl. David Chytraeus, Orationes, 384-393 und 409-418. Die Beschreibung der Lage der orthodoxen Kirchen umfaßt nur 16 Seiten. David Chytraeus, Orationes, 393-409. In seiner letzten Auflage der „Oratio“ – Frankfurt, 1583 – widmete Chytraeus der Beschreibung der Kirchen aus Österreich, Böhmen und Ungarn 12 von 37 Seiten, während die Beschreibung der Lage der Ostkirchen 25 Seiten umfaßt.

494 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 265. 495 Vgl. Friedrich Heyer, David Chytraeus als Erforscher, 141. 496 Vgl. David Chytraeus, Kraichgau, 13 und 65. 497 Rund um die Ausgabe von 1583 äußert der Rostocker brieflich, daß er die Rede vor fünfundzwanzig

Jahren nachgezeichnet hat, also um das Jahr 1558. Vgl. David Chytraeus, Kraichgau, 105. 498 „Graecos autem colonos, in Germania olim alicubi consedisse, non mirabitur, qui cogitabit, proximis

annis in Caroli V. exercitu, Graecos aquites, Epirotas, in Belgico militasse: quorum ductorem vidi ipse, et de statu Ecclesiarum in Graecia, et studiorum doctrinae, ac gubernationis politicae, multa ex eo scicitatus sum.“ David Chytraeus, Kraichgau, 13. Die Übersetzung 65.

499 Eine das ganze Material umfassende Biographie fehlt. Die Quellen über sein Leben sind in folgenden Quellensammlungen zusammengetragen: Emilé Legrand, Deux vies de Jaques Basilicos Seigneur de Samos, Marquis de Paros, Comte Palatin et Prince de Moldavie..., Paris, 1889; Nicolae Jorga, Nouveaux matériaux pour servir à l`histoire de Jaques l’Héraclide dit le Depote, prince de Moldvie, Bucharest, 1900.

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aufhielt und auch mit Melanchthon in Korrespondenz stand.500 Nachdem dieser Grieche

sich im Dienste Kaiser Karls V. bei der Einnahme von Terouan (in den Niederlanden)

ausgezeichnet hatte, wurde er zum Ritter ernannt und erhielt den Titel eines „Palatinus“,

wobei ihm der König auch das königliche Recht erteilte, würdige Dichter zum „poeta

laureatus“ zu krönen.501

Aus den obigen biographischen Daten kann man ersehen, daß die Daten des Jakobus

Heraklide mit denen des von Chytraeus erwähnten Griechen übereinstimmen, und daß

dieser der Gesprächspartner des Chytraeus sein könnte.

Heraklide Despota genoß in Wittenberg in den Jahren 1550 und 1556 die persönliche

Gastfreundschaft Melanchthons.502 Dieser hat ihn sogar in zwei Schreiben dem dänischen

König Christian III. und dem Gelehrten Henricus Buscoduvensis empfohlen.503

Wo und wann sich Chytraeus und Heraklide Despota getroffen haben, bleibt bis heute

unklar. Er könnte Jakobus Heraclide während eines Besuchs in Wittenberg bei

Melanchthon kennengelernt oder der Grieche könnte ihn in Rostock auf der Reise nach

Dänemark besucht haben. Auf jeden Fall bestätigt diese Begegnung des Chytraeus mit dem

Griechen das Interesse des Rostockers am Zustand der christlichen Kirchen in

Griechenland.504

Eine andere Schrift des Chytraeus, „Die Auslegung der Offenbarung Johannis“ (1568),

vermittelt uns neue Eindrücke hinsichtlich der ostkirchlichen Kenntnisse des Rostockers.

Im Kapitel 7. seiner Auslegung berichtet Chytraeus, daß die Gemeinde Christi nicht nur in

Europa, sondern „auch mitten in der Türckey, in Griechenland, Asien und Armenien“505

bewahrt wurde, wo „das Evangelium Christi, offentlich gepredigt wirdt.“506

In derselben Schrift gab der Rostocker einige Auskünfte über den Glauben und die Riten

der Äthiopier,507 die er danach in seiner Rede ausführlicher geschildert hat.508 Auch dort

erwähnt er kurz die Tatsache, daß „unter dem grossen Volck der Reussen, und an vielen

orten Indie, die Christliche Religion bekannt und behalten werde.“509 Alle diese verstreuten

500 Zu seinen Beziehungen und zur Korrespondenz mit Melanchthon siehe: Ernst Benz, Wittenberg und

Byzanz, 34 ff. Hans Petri, Jakobus Basilikus Heraklides, 109 ff. Johannes Karmiris, Luther und Melanchthon, 155-156.

501 Vgl. Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 35 und 44. 502 Vgl. ebd., 35 und 40. 503 Der Text der Empfehlungsbriefe bei: Ernst Benz, Wittenberg und Byzanz, 40-42. 504 „Et de statu Ecclesiarum in Graecia, et studiorum doctrinae, ac gubernationis politicae, multa ex eo

scicitatus sum.“ David Chytraeus, Kraichgau, 13. 505 David Chytraeus, Auslegung der Offenbarung, Aaij-v. 506 Ebd. 507 Vgl. ebd. 508 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 27-29. 509 David Chytraeus, Auslegung der Offenbarung, Aaij-v.

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Aussagen über die Ostkirchen bezeugen das Interesse des Rostocker in Bezug auf diese

Kirchen.

Während der Hinreise nach Österreich traf der Rostocker Theologieprofessor in Prag einen

anderen Griechen. Dieser Grieche hieß Jacobos Paleologos510, er wurde auf der Insel Chios

um das Jahr 1520 geboren und gab sich als ein Sproß der ehemaligen byzantinischen

Kaiserfamilie der Paleologen aus.511 Der abenteuerliche Lebensweg des Jacobos

Paleologos ist sehr schwer zu verfolgen.512 Es ist aber bekannt, daß er in seiner Jugend

zusammen mit seinem Freund Vincenzo Giustiniani in den Dominikanerorden eintrat und

beide dann zum Studium nach Genua gingen.513 In Italien begann er an den Dogmen der

Katholiken Zweifel zu zeigen, und seit 1557 wurde Paleologos viermal in den

Gefängnissen der Inquisition in Ferrara, Genua und Rom festgehalten.514

Als er zum vierten Mal freigekommen war, fuhr er im Jahr 1561 nach Chios, um seine

Heimat zu besuchen und frei zu leben.515 Auf dieser Reise dürfte er nach einigen Jahren

den Zustand der Kirchen in Griechenland mit anderen Augen angesehen haben.

Da Jacobos Paleologos noch als Häretiker wegen seiner antitrinitarischen Auffassungen in

Italien verfolgt wurde, fuhr er von Chios zunächst nach Frankreich und danach nach Prag,

wo er zwischen den Jahren 1562-1571 mit kurzen Unterbrechungen als ein Schützling der

Habsburger lebte.516 In den Jahren 1571-1572 lebte Jacobus als Gast des Humanisten A.

Duditius in Krakau und danach begab er sich nach Siebenbürgen, wo er in Klausenburg

(1572-1575) einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der siebenbürgischen

510 Zu seinem Leben und seiner Tätigkeit siehe: Călători străini despre ţările române, II, 409-411 mit reicher

Literatur. Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 1-14. Der Verfasser bietet eine Reihe von Urkunden und Briefen im Hinblick auf das Leben des Jacobos Paleologos 16-54. Das Studium hat viele Fehler und verwechselt mehrere Personen mit dem Namen Jacobos aus derselben Zeit. Gerhard Rill, Jacobus Paleologus (cca. 1520-1585), 28-86. Růžena Dostálová-Jeništová, Jakob Paleologus, 153-175. Antal Pirnát, Siebenbürger Antitrinitarier, 51-116 besonders für seinen Aufenthalt in Siebenbürgen. Auch Gustav Gündisch, Zum siebenbürgischen Aufenthalt, 71-79.

511 Zur Legende im Hinblick auf seine Herkunft siehe: Gerhard Rill, Jacobus Paleologus (cca. 1520-1585), 33-34. Das Ende der direkten Linie des Kaiserhauses der Paleologen wird üblicherweise auf das Jahr 1502 datiert. In diesem Jahre starb in Rom Andreas Paleologos, nachdem er alle Rechte auf den byzantinischen Thron dem französischen König Karl VII. und zur gleichen Zeit auch der spanischen Königin Isabella und ihrem Gemahl Ferdinand V. verkauft hatte. Vgl. Růžena Dostálová-Jeništová, Jakob Paleologus, 153.

512 Er erscheint in den verschieden Quellen als kaiserlicher Rat, als protestantischer Missionsprediger, als Muslim, als Verschwörer in den französischen Hugenottenkriegen und als Aufwiegler, der durch seine Predigten in Deutschland fast eine Revolution ausgelöst habe. Vgl. Gerhard Rill, Jacobus Paleologus (cca. 1520-1585), 30.

513 Vgl. Růžena Dostálová-Jeništová, Jakob Paleologus, 159. 514 Vgl. Gerhard Rill, Jacobus Paleologus (cca. 1520-1585), 38-39. 515 Ebd., 44. 516 Vgl. ebd., 48 ff.

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Unitarierbewegung hatte.517 In Klausenburg schrieb er viele theologische Abhandlungen,

in denen seine antitrinitarische Auffassung ihren Niederschlag gefunden hat.518

Nach dem Jahr 1575 war Paleologos immer in Mähren, Prag und Wien unterwegs, bis er

schließlich im Dezember 1581 verhaftet und nach Wien transportiert wurde. Im Mai 1582

übergab ihn der Kaiser auf Drängen des damaligen Nuntius Bonomi der römischen

Inquisition. Paleologos wurde bis nach Bologna gebracht, wo er im Kerker der Inquisition

gefangengehalten wurde. Im Jahre 1583 wurde der Grieche zum ersten Mal auf den

Scheiterhaufen geführt, aber bei dessen Anblick zeigte er sich bereit, seine Ansichten zu

widerrufen. Der Papst begnadigte ihn, damit er im Gefängnis Werke schreiben könne, in

denen er seine ehemaligen Lehren widerlegen sollte. Paleologos verfiel aber wieder seiner

Häresie und am 22. März 1585 wurde er enthauptet und sein Leichnam verbrannt.519 So

ging Jacobos Paleologos, bekannt als Gelehrter, Schriftsteller und Religionsneuerer im 16.

Jahrhundert, in dem Wirbel der religiöse Kämpfe jener Zeit unter.520

Als Paleologos im Jahr 1563 in Prag von der Inquisition verfolgt wurde, ermöglichte ihm

die Intervention des Prager Professors Matthaeus Collinus, etwa einen Monat lang (Ende

April bis Ende Mai 1563) bei Georg Fabricius in Meißen zu leben und dessen Bibliothek

zu benützen, wobei er sich besonders mit Aristoteles und Demosthenes beschäftigte.521 Es

kann sein, daß David Chytraeus schon auf der Hinreise nach Österreich von Joachim

Camerarius in Dresden522 oder wahrscheinlicher von Georg Fabricius in Meißen,523 bei

dem Paleologos einen Monat lang gewohnt hat und ihn also gut kannte, über diesen in Prag

lebenden Griechen unterrichtet worden ist.

In Prag hat David Chytraeus tatsächlich schon auf der Hinreise nach Österreich Jacobos

Paleologos kennengelernt. Das bestätigt Chytraeus in einem im März 1571 an Paleologos

geschriebenen Brief, wo er mitteilt, daß er extra nach Prag zurückgekehrt war, um mit

517 Vgl. Růžena Dostálová-Jeništová, Jakob Paleologus, 162-163. Er wurde zur Rektor des unitarischen

Gymnasiums und Kollege von Johannes Sommer, der ihm seine Schrift über „Das Leben von Despot Heraklide“, gewidmet hat. Siehe: Călători străini despre ţările române, II, 410.

518 Eine Darstellung des Inhaltes seiner Schriften bei: Antal Pirnát, Siebenbürger Antitrinitarier, 58 ff. 519 Růžena Dostálová-Jeništová, Jakob Paleologus, 166-167. Zu Einzelheiten siehe: Gerhard Rill, Jacobus

Paleologus (cca. 1520-1585), 81-86. 520 Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 2. 521 Vgl. Gerhard Rill, Jacobus Paleologus (cca. 1520-1585), 49. Georg Fabricius hat Jacobus Paleologus

auch Joachim Camerarius weiter empfohlen, aber dieser lehnte ab, selbst die Rolle des Gastgebers zu übernehmen. Vgl. Ebd., 49-50.

522 Am 21. Dezember war David Chytraeus in Leipzig bei Joachim Camerarius. Vgl. Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 421. Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 29.

523 Am 24. Dezember war Chytraeus in Meißen bei Caspar Eberhard und Georg Fabricius. Vgl. Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 421. Vgl. Hermann Wiegand, Hodoeporica, 256.

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Jacobos über den Koran zu sprechen.524 Daraus folgt, daß er Paleologos sowohl auf der

Hinreise – Dezember 1568, als auch auf der Rückreise – August 1569 besucht hat. Über

die Begegnung des Rostockers mit Paleologos in Prag auf der Rückreise nach Rostock

berichtet auch Ioachim Edeling in seinem Reisegedicht.525

Wie aus dem schon erwähnten Brief des Chytraeus hervorgeht, genoß Paleologos in Prag

den Ruf eines gelehrten Orientalisten.526 Zumindest beruft sich der Rostocker auf ihre

Gespräche solchen Inhalts und verlangt von ihm eine verläßliche Koran-Übersetzung,527

Auskünfte über das Geburtsjahr Mohammeds, die muslimische Zeitrechnung und die

geographische Lage Mekkas.528 Chytraeus schätzte Jacobos Paleologos sehr, lobte seine

Weisheit und seinen Scharfsinn und schickte ihm ein χρονολογικoν, dessen genaue

Betrachtung von der Seite des Paleologos ihm viele Informationen über die kaiserliche

Familie der Paleologen vermitteln sollte.529

Zu Lebzeiten des Paleologos glaubten seine humanistischen Freunde,530 unter denen auch

David Chytraeus war, daß jener kaiserlicher Herkunft sei.531 Darum schickte Chytraeus

ihm Informationen über die Familie der Paleologen.532 Wegen seines wissenschaftlichen

Rufes und seiner angeblich vornehmen Abstammung bekam er damals vom Habsburger

Hof auch eine Jahresrente.533

Wenn Paleologus Chytraeus im Bezug auf den Islam unterrichten konnte, tat er das sicher

auch im Hinblick auf die Ostkirche. Bevor der Rostocker über den Zustand der orthodoxen

Kirchen zu schreiben beginnt, bestätigt er selbst in seiner „Oratio“, daß eine Hauptquelle

524 David Chytraeus an Jacobus Paleologus, Rostock, März 1571: „Meministi autem nos, cum tui videndi

causa praecipue Pragam rediisem, de libro legis Mahometicae, quem Alcoranum nominant, conferre...“ David Chytraeus, Epistolae, 507. Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 34.

525 „Palaeologus, Graio de sanguine cretus, Caesareo cuius gaudet honore domus.“ Ioachim Edeling, Hodoeporicoru, 431. Die Originalfassung des Gedichtes lautete: „Post iterum nostros Praga recepit equos / Hic veteresque novique simul laetantur / ...amici / Atque Paleologus Graecorum sanguine cretus / Induperatorum, gaudet adesse tibi.“ Siehe: Walter Engels, Wiederentdeckung, 265, Anm. 11.

526 Vgl. Gerhard Rill, Jacobus Paleologus (cca. 1520-1585), 70. 527 Daß Chytraeus von Paleologus selbst in Prag über die falschen Übersetzungen des Korans unterrichtet

wurde, berichtet er auch in seiner „Oratio“: „Quos, si dissimilitudine editionum Alcorani offendentur, illud moneo, quod ex Iacobo Palaeologo Graeco, Pragae didici, libros unde illae translatae sint, non ipsum Alcorani contextum...“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 29.

528 „Oro igitur, si absque incommodo et molestia poteris, ut beneficium illud mihi benigne impertias, er simul initium Hegirae seu Radicis temporum Saracenicae certum, et annum Mahometis natalem mihi significes...“ David Chytraeus, Epistolae, 508-509. Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 34-35.

529 Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 508. Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 34. 530 Vgl. Růžena Dostálová-Jeništová, Jakob Paleologus, 168. 531 Der einzige Humanist, der das nicht übernommen hat, war Martin Crusius in der zweiten Hälfte des 16.

Jahrhunderts. Er schrieb über Jacobos Paleologos: „Pragae Bohemiae ante aliquot annos etiam quidam Pseudo-Palaeologus fuit, e Chio oriundus.“ Martin Crusius, Turcograecia, 497.

532 Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 508. Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 34. 533 Die Rente betrug jährlich 200 Gulden und wurde ihm das letzte Mal am 15. September 1571 ausbezahlt.

Vgl. Antal Pirnát, Siebenbürger Antitrinitarier, 56.

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für seine Informationen über die Ostkirchen Jacobos Paleologos war, den er viel über diese

Kirchen ausgefragt habe: „Quaedam etiam et Iacobo Paleologo, qui se Constantini XV.

Imper. à Turcis, capta Constantinopoli trucidati, ex fratre Thoma pronepotem esse,

affirmabat et nunc stipendio Imperatoris annuo Pragae vivit, sciscitatus sum.“534 Außer

dieser Aussage haben wir keine Einzelheiten mehr über den Inhalt ihrer Gespräche

hinsichtlich der Ostkirchen.

Was Chytraeus wohl nicht wußte, ist die Tatsache, daß Jacobos Paleologos nicht mehr

orthodoxer Christ war, sondern bereits der Gruppe der Antitrinitarier angehörte.535 Obwohl

behauptet wurde, daß die Sachkunde des Paleologus in Fragen des griechischen

Kirchentums dadurch nicht beeinträchtigt worden ist,536 kann man entgegnen, daß er als

Antitrinitarier vielen Lehren und Praktiken der orthodoxen Kirche gegenüber eine kritische

Stellung gehabt haben soll. Da wir nicht wissen, welche Informationen aus der „Oratio“

genau von Jacobos Paleologos stammen, können wir dieses Problem nicht einer näheren

Betrachtung unterziehen.

Von Rostock aus hielt Chytraeus die Beziehung zu Jacobos Paleologos mindestens bis ins

Jahr 1571 lebendig. Der einzige bis heute aufbewahrte Brief zwischen den beiden, der

Brief des Chytraeus an Paleologos vom März 1571,537 bestätigt, daß sie schon seit den

Begegnungen der Jahre 1568-1569 miteinander korrespondierten.538

Zusammen mit diesem Brief schickte David Chytraeus einen anderen Brief zu Paleologos

mit der Bitte, daß dieser den angeschlossenen Brief dem Herrn Lebadarius aushändigte und

diesen zu einer Antwort ermuntere.539

Der Herr Lebadarius, der in dem Brief von Chytraeus an Jacobos Paleologos vorkommt

und den Chytraeus in Wien kennengelernt hat, war die zweite Hauptquelle für die

Kenntnisse des Chytraeus im Hinblick auf die Lage der Orthodoxen Kirchen des

Orients.540 Er war auch Grieche, hieß Michael und seine Vorfahren stammten aus Lebadea

in Böotien, von wo seine Eltern nach Thessaloniki ausgewandert waren, wo er geboren

534 David Chytraeus, Orationes, 394. Vgl auch: Otto Friedrich Schütz, De vita Davidis Chytraei, II, 89-90. 535 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 265. 536 Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 95. 537 Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 507-509. Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 34-35. 538 Der Brief ist eine Antwort des Chytraeus auf einen anderen Brief, aber er beinhaltet neue Fragen an

Paleologos, von dem Chytraeus eine schriftliche Antwort erwartet: „Interea per ocium me iis de rebus, quas discere cupio, prolixe et accurate scriptis literis edocere poteris.“ David Chytraeus, Epistolae, 509. Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 35. Andere Briefe zwischen dem Rostocker und Paleologos sind mir nicht bekannt.

539 „Adjunctam Epistolam, quaeso, ut Domino Lebadario exhibeas, eumque ad respondendum exsuscites...“ David Chytraeus, Epistolae, 509. Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 35.

540 Das bestätigt Chytraeus in seiner Rede: Vgl. David Chytraeus, Orationes, 393.

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wurde. Michael Lebadarius begab sich zum Studium nach Jerusalem, weil er mit dem

Patriarchen von Jerusalem verwandt war.541 Nachdem Michael mehr als zehn Jahre studiert

hatte, wurde er vom jerusalemischen Patriarchen zum Bischof von Gaza in Palästina

gewählt. Im Jahre 1562 hat er an der Synode von Byzanz teilgenommen, auf der man den

Patriarchen Joasaph wegen Simonie abgesetzt und an seiner Stelle Metrophanes zum

Patriarchen eingesetzt hatte.542

Wir wissen leider nicht, wie, wann und warum der Bischof Michael Lebadarius von Gaza

nach Wien kam und wann genau er sich mit Chytraeus getroffen hat. Das Treffen zwischen

ihnen hat sicher während des Aufenthaltes des David Chytraeus in Wien in der ersten

Hälfte des Jahres 1569 stattgefunden. Die Gespräche zwischen Michael und Chytraeus

wurden von letzterem als sehr angenehm empfunden und haben zu einer sehr tiefen

Freundschaft humanistischer Art geführt. Darüber berichtet Chytraeus im Frühjahr 1571, in

dem einzigen aufbewahrten Brief von ihm an Michael Lebadarius, wie folgend:

„Ehrwürdiger und geliebter Michael, wie sehr freue ich mich, wenn ich an unsere sehr

angenehme Unterhaltung und Freundschaft denke... Am meisten freue ich mich, einen

Freund und Gefährten gefunden zu haben, der nicht nur vielsprachig und reichwissend ist,

weil er >>die Städte vieler Menschen gesehen hat und ihr Denken kennengelernt hat<<,

sondern auch in Bildung und Tugend herausragend ist.“543

Michael von Thessaloniki hat Chytraeus in ihren Gesprächen Informationen in Bezug auf

seine Heimatstadt Thessaloniki544 und andere Städte aus Palästina, wie Jerusalem und Gaza

gegeben.545 Über den Inhalt der Gespräche zwischen dem Griechen und dem Rostocker

berichtet David Chytraeus wieder in dem oben erwähnten Brief aus dem Jahr 1571 an

Michael Lebdarius: „Ich erfuhr am meisten über den Zustand der griechischen, syrischen

und ägyptischen Kirchen aus deinen Worten. Am höchsten Grade zur Freude wurde mir

541 Es handelt sich wahrscheinlich um den Patriarchen Germanos von Jerusalem, der den Stuhl dieses

Patriarchats zwischen den Jahren 1543-1579 inne hatte. Siehe: Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 401.

542 Darüber berichtet David Chytraeus selbst in der Auflage der „Oratio“ – Rostock, 1569: „Plurima vero de statu Ecclesiarum in Graecia et Asia, ex homine Graeco, cuius narrationes alii confirmabant et pleraeque cum historiis congruebant, didici. Is maiores suos ex Lebadea Boetiae ortos, Thessalonicam, ubi ipse natus esset, commigraffe, ac se adolescentem, studiorum causa, ad cognatum suum Patriarcham, Ierosolymas, ubi amplius decennio vixisset, missum, ac Gazae in Palaestina Episcopum electum, postea Synodo Byzantinae, anno 1562. celebratae, in qua Ioasapho Patriarchae ob Simoniam deposito, Metrophanem substituissent, interfuisse referebat.“ David Chytraeus, Orationes, 393-394. Vgl auch: Otto Friedrich Schütz, De vita Davidis Chytraei, II, 89.

543 David Chytraeus, Epistolae, 294. 544 „Thessalonicensis ille narrabat: addens, se Athenis ante quinquennium, 250 Sacerdotes Christianos in

publica processione incedentes simul vidisse.“ David Chytraeus, Orationes, 395. 545 „Episcopum se à cognato suo Patriarcha Ierosolymae electum esse, Thessalonicensis ille Michael

Libadarius, cuius paulò antè mentionem feci, narrabat.“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 25.

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dein Bericht über die christlichen Kirchen, die noch 10 in der Heiligen Stadt Jerusalem

übrig sind.“546 Chytraeus bittet ihm weiter bezüglich der Stadt Athen mitzuteilen, wie viele

Priester bei einer öffentlichen Prozession mitgehen und in welcher Lage die Kirche und die

Stadt Athen sich befinden.547

Die Aussagen des Chytraeus über den Bischof Michael von Gaza zeigen, daß dieser

überhaupt die wichtigste Quelle seiner Kenntnisse über den Zustand der Ostkirchen war.

An der Stelle der Rede, wo Chytraeus über die Lage der Ostkirchen zu sprechen kommt,

erwähnt er zuerst Michael von Thessaloniki, über dessen Leben er auch die meisten

Einzelheiten mitteilt.548 Nur dank der Mitteilungen des Rostocker Theologieprofessors

über diesen wahrscheinlich großen orthodoxen Gelehrten aus dem 16. Jahrhundert wissen

wir etwas über ihn.

Die Begegnung des Chytraeus während seiner Österreich- und Ungarnreise mit diesen

beiden Griechen wurde zur Anregung, die zur Entstehung der Rede über den Zustand der

christlichen Kirchen des Orients führte. Von diesen Griechen erfuhr Chytraeus

umfangreiche Kenntnisse über die Ostkirchen, mit denen er nach seiner Rückkehr von

Österreich im Herbst des Jahres 1569 „die Rostocker Studenten und die ganze

protestantische Kirche überraschte.“549

Welche seine von diesen beiden Griechen und von anderen sekundären mündlichen und

schriftlichen Quellen erworbene Kenntnisse über die Ostkirchen waren, werden wir im

nächsten Kapitel schildern.

546 David Chytraeus, Epistolae, 294. 547 Ebd., 294. 548 Vgl. David Chytraeus, Orationes, 393-394. 549 Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 94.

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5 Oratio Davidis Chytraei de Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Africa, etc. - 1569

Aus der großen Reihe der kleinen historischen Schriften von Chytraeus550 verdient die

Rede über den Zustand der christlichen Kirchen in Griechenland, Asien, Afrika, etc.

besondere Aufmerksamkeit. Diese Schrift ist aus dem Grund hervorzuheben, weil sie zum

ersten Mal das große Interesse eines lutherischen Theologieprofessors an der Existenz und

dem Zustand der orthodoxen und altorientalischen Kirchen aus Osteuropa, Asien und

Afrika beweist und veranschaulicht. David Chytraeus versuchte mit diesem kleinen Werk

als erster551 dem Abendland eine zusammenfassende Schilderung des Zustands der

christlichen Kirchen des Orients zu geben, und dadurch lenkte er „zum ersten Male im

deutschen Protestantismus die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Ostkirche.“552

Der Wert dieser ersten Schrift eines deutschen Reformators über die Ostkirchen wird nicht

nur durch die Mehrzahl der Auflagen und der im 16. Jahrhundert verfertigten deutschen

Übersetzungen,553 sondern auch durch die Beifügung von religionsgeschichtlichen

Ausführungen und Briefen in einem Anhang an diese Schrift, die für die Beziehungen der

lutherischen Theologen zu den Ostkirchen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von

großer Wichtigkeit sind, erhöht.554

5.1 Einleitendes

Bevor die Rede des Chytraeus über den Zustand der Ostkirchen zu einem gedruckten Buch

geworden ist, wurde sie am 18. Oktober 1569 von einem der bedeutendsten Gelehrten der

Universität Rostock vor seinen Studenten als eine historische Vorlesung gehalten. Der

Vortrag über die Ostkirchen wurde von Chytraeus als Einführung zu seiner Vorlesung über

das Chronicon Carionis555 gedacht.556 Im Jahr davor (1568) hatte der Rostocker die

550 In der Auflage seiner von seinem Sohn herausgegebenen „Orationes“ aus dem Jahre 1614 gibt es über 20

kleine historische Schriften von David Chytraeus über verschiedene Städte, Regionen und Personen jener Zeit.

551 Der erste evangelische Theologe, der eine Beschreibung des liturgischen Lebens der Ostkirche gemacht hat, ist Primus Truber. Aber seine Beschreibung ist viel kürzer als die von Chytraeus, nicht so vielfältig und umfangreich und ist nicht als ein selbständiges Werk oder Buch gedacht, sondern nur als Teil aus einem Vorwort eines in kyrillischen Buchstaben gedruckten Buches. Die Verbreitung der Beschreibung des Primus Truber ist außerdem kleiner als die des Werkes von Chytraeus gewesen. Zur Beschreibung Primus Trubers siehe Kap. 2.3.2.

552 Walter Engels, Wiederentdeckung, 262. 553 Vgl. dazu Kap. 5.2. 554 Vgl. dazu Kap. 6. 555 „Chronicon Carionis latine expositum et auctum multis et veteribus et recentibus historiis, in narrationibus

rerum Graecarum, Germanicarum et Ecclesiasticarum“ – 1558. Der Text ist veröffentllicht: CR, 12, 711-

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Vorlesung über das Chronicon bis zur Zeit des Kaisers Augustus und Jesu Christi,557 also

bis zu den Anfängen der christlichen Kirche, gehalten.558

Mit diesem aufsehenerregenden Vortrag setzte der Rostocker Theologieprofessor nach

einer längeren Abwesenheit wegen der Berufung nach Österreich559 seine

Kommentarvorlesung über das Chronicon fort.560 Es entsprach der Art des Chytraeus, in

der Vorlesung über das Chronicon Carionis lange Exkurse zu machen, in denen er den

Studenten verschiedene ihm wichtige Themen erläuterte.561 Seine Begründung für die

Abhaltung dieses Vortrags stellt die Tatsache dar, daß Gott will, daß Chroniken

geschrieben werden, damit die Menschen wissen, wo es überall und was es für christliche

Kirchen zu jeder Zeit auf der Erde gibt. Dieses Mal schien es ihm wichtig, seine Vorlesung

mit einer Rede über den Zustand der Ostkirchen zu beginnen, da sein Interesse daran durch

die wenige Monate zuvor erfolgte Begegnung mit den beiden Griechen in Prag und in

Wien erweckt worden war.562 So bedeutet diese Vorlesung des Chytraeus „die

Geburtsstunde der öffentlichen Aufmerksamkeit in Deutschland für die östlich-orthodoxe

Kirche.“563

Da die chytraeische Rede über den Zustand der Ostkirchen infolge der Österreich- und

Ungarn-Reise des Rostocker Theologieprofessors und der Begegnung mit den beiden oben

erwähnten Griechen564 entstanden ist, begrenzt sie sich nicht nur auf die Beschreibung der

Lage der Ostkirchen in jener Zeit, sondern schildert ziemlich ausführlich auch die Lage der

1094. Melanchthon hat im Jahre 1558 das „Chronikon Carionis“ stark umgearbeitet und erweitert herausgegeben. Das war eine Chronik des berühmten Mathematikers des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg Johannes Carion (1499-1538). Carion hat vor seinem Tod das Manuskript dieser Chronik Melanchthon übergeben, der sie völlig neu bearbeitet hat. Sie umfaßt die Geschichte der vorchristlichen Zeit und die Geschichte der nachchristlichen Epoche einschließlich der gesamten griechischen Kirche bis zum 7. Ökumenischen Konzil von Nicaea 787. Die Betrachtungsweise der Geschichte der alten Kirche ist durchaus kritisch in reformatorischem Sinn. Siehe dazu: Ernst Benz, Die Ostkirche, 20.

556 Chytraeus hielt seit 1561 mehrmals Vorlesungen über Melanchthons Chronicon Carionis. Siehe zu Einzelheiten: Detloff Klatt, David Chytraeus, 31-33. Über die Art, wie Chytraeus diese Vorlesung hielt siehe: Ebenda, 42-44.

557 Am Ende seiner Rede über die Ostkirchen schreibt Chytraeus: „Haec de Ecclesiarum Graeciae, Asiae, Ungariae et Boemiae conditione praefari hoc loco Chronici lectioni, quam usque ad Augustum et nati Christi tempora deduximus, volui.“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 41.

558 Nach dem Manuskript eines seiner Hörer, das in der UB Rostock aufbewahrt wird, kann man ziemlich gut die Art des chytraeischen Kommentars zur Chronik rekonstruieren. Siehe: Markus Völkel, Theologische Heilsanstalt, 122ff.

559 Siehe Kap. 4.1. 560 Er selbst bestätigt, daß er es für gut und geeignet gehalten hat, die vormals angefangene Vorlesung über

den Abriß der Weltgeschichte mit dieser Rede fortzusetzen. In der Einleitung der Rede schrieb der Rostocker: „Existimavi nihil me redeuntem ad epitomes Historiae mundi, in qua ecclesiae consideratio praecipua esse debet, praelectionem, aptius.“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 6.

561 Siehe dazu: Detloff Klatt, David Chytraeus, 42-44. 562 Siehe dazu: Kap. 4.2. 563 Walter Engels, Wiederentdeckung, 262. 564 Siehe Kap. 4.2.

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evangelischen Christen in Böhmen, Österreich und Ungarn,565 Länder, die Chytraeus in

den Jahren 1568-1569 besucht hat.566

In der ersten Auflage seiner Rede (Rostock 1569) umfaßt die Beschreibung der Lage der

Christen in Österreich, Böhmen und Ungarn 19 Seiten, während die Beschreibung der

Ostkirchen 16 Seiten umfaßt, wobei diese beiden Haupteile der „Oratio“ nacheinander

dargestellt werden. Die Rede beginnt mit der Schilderung der christlichen Lage in

Österreich (S. 386-393), es folgt danach die Beschreibung der Ostkirchen (S. 394-409) und

schließlich endet sie mit der Darstellung der Lage der Christen in Böhmen, Ungarn und

Siebenbürgen (S. 409-418).567

Seit der Auflage Straßburg 1574 bis zur letzten Auflage Frankfurt 1583 entfällt die

Darstellung der Lage der Christen in Österreich, die wahrscheinlich von Chytraeus selbst

weggelassen wurde. Es bleibt nur die Beschreibung der Ostkirchen, die 22 Seiten

umfaßt,568 gefolgt von der Beschreibung der Lage der Christen in Böhmen und Ungarn, die

12 Seiten umfaßt.569 Daraus wird ersichtlich, daß die Darstellung der Ostkirchen in allen

Auflagen der „Oratio“ eine Einheit in sich selbst bildet, wobei seit der Ausgabe Straßburg

1574570 auf den einführenden Teil über die Lage der Christen in Österreich, wo Chytraeus

auch seine Berufung nach Österreich, seine Reisen durch Böhmen und Ungarn und seine

Gespräche mit den beiden Griechen erwähnt, verzichtet wurde. Durch diese Verkürzung

des Inhaltes der Rede wird noch einmal die Fokussierung der Rede auf den Zustand der

Ostkirchen deutlich.

Da wir in dieser Arbeit die ostkirchlichen Kenntnisse, die Beziehungen zu orthodoxen

Theologen und die Erforschungen der Ostkirchen des Rostocker Theologieprofessors

David Chytraeus zu untersuchen beabsichtigen, werden wir unsere Analyse auf den Teil

über die Ostkirchen begrenzen. Demzufolge werden die Ausführungen von Chytraeus über

die Hussiten, Utraquisten, Waldenser, Sozinianer, etc., die in die letzten Abschnitte der

Rede gehören, nicht mehr untersucht.571

565 Er beschreibt in diesen Ländern nur die Christen und die Kirchen, welche der antirömischen Tradition

angehören. Der konfessionelle Gegner wird kaum beachtet. 566 Vgl. dazu Kap. 4.1. 567 Die Seitenzahlen sind nach der Auflage Hanoviae 1614 angegeben, wo die erste Auflage vom Jahr 1569

wiedergegeben ist. 568 David Chytraeus, Oratio de Statu, 8-29. 569 Ebd., 29-41. 570 Eine andere Auflage der „Oratio“ zwischen 1570 und 1574 ist mir unzugänglich gewesen. Ich weiß nicht,

ob in den Auflagen Rostock - 1570, 1571 und Görlitz - 1573 diese Weglassung schon stattgefunden hat. 571 Eine Zusammenfassung der Ausführungen der Rede des Chytraeus über diesen zweiten Teil bietet:

Detloff Klatt, David Chytraeus, 90-91.

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5.2 Die von Chytraeus benutzten Quellen für die Redaktion seiner „Oratio“

In diesem Kapitel werden nur die Quellen, die David Chytraeus bei der Redaktion des

Teils seiner Rede über die Ostkirchen aus dem Jahr 1569 verwendet hat, untersucht.

Außerdem werden jetzt die als Anhang der „Oratio“ seit dem Jahr 1580 beigefügten Briefe

und Schreiben nicht herangezogen, da sie keine Rolle bei der ursprünglichen Verfassung

der Rede gespielt haben. Dennoch werden die Quellen der Ergänzungen, die in den

Auflagen von 1580 bis 1583 eingefügt wurden, berücksichtigt.572

Für die Abfassung seiner Rede über die östlich-orthodoxen Kirchen verwertete David

Chytraeus sowohl mündliche als auch schriftliche Quellen. Seine eigenen Beobachtungen

bildeten die Hauptquelle seines Wissens bezüglich der Lage der Kirchen aus Österreich,

Böhmen und Ungarn.573 Da er selbst die Gebiete der orthodoxen Kirchen nicht betreten

konnte, bemühte Chytraeus sich um glaubwürdige Gewährsmänner im Bezug auf den

Zustand jener Kirchen.

Aus dem Vortrag des Chytraeus geht hervor, daß die Verwertung von mündlichen Quellen

gegenüber den gedruckten hinsichtlich der Ostkirchen entschieden im Vordergrund

stand.574

5.2.1 Die mündlichen Quellen

Francisus Alvarez, ein portugiesischer Geistlicher, der an einer Gesandtschaft des

portugiesischen Königs aus dem Jahre 1520 nach Äthiopien teilnahm, schrieb 1540 nach

seiner Rückkehr nach Portugal das erste zusammenhängende und ziemlich zuverlässige

Werk über Äthiopien,575 das in Europa großes Interesse fand und schon 1567 in deutscher

Übersetzung in Eisleben erschien.576 In der Einleitung zu seiner Äthiopien-Beschreibung

572 Zu den Ergänzungen und Verbesserungen der ursprünglichen Fassung der Rede über die Ostkirchen 1569

siehe Kap. 5.2. 573 „Partim coram cognoverim“ bestätigt er am Anfang seiner Rede. David Chytraeus, Oratio de Statu, 6. 574 Vgl. dazu auch die Beobachtungen von Detloff Klatt, David Chytraeus, 87. 575 Franciscus Alvarez, Verdadeira Informação das terras do Preste João das Indias, Coimbra, 1540. 576 Über seine Reise und die verschieden Auflagen und Übersetzungen seines Werkes über Äthiopien im 16.

Jahrhundert siehe: Ernst Hammerschmidt, Portugiesen in Äthiopien, 307-309. Der Titel der deutschen Übersetzung lautet: Kurze und Warhafftige Beschreibunge aller gründlichen erfarnuß von den Landen des mechtigen Königs in Ethiopien, den wir Priester Johann nennen. Auch von seinem Geistlichen und Weltlichen Regiment, wie den solchs durch das Königreich Portugal, mit besonderm fleiß erkündigt und das durch den Herren Franciscum Alvares beschrieben, welcher sechs Jar in Priester Johans Hofe verharren müssen. Das auch mit grossem fleiß auß Portugalischer und Italienischer Sprach ins Teutsch gebracht, sehr nützlich und dienstlich jederman, der über Wasser und Land rheiset zu lesen, durch D. Joachim Heller, Eißleben, 1567.

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gibt Alvarez als Quellen seines Wissens folgende Erklärung ab: „Wie ich es nuhn zum teil

mit meinen augen gesehen und zum teil von anderen glauwirdigen Leuten gehöret.“577

Da Chytraeus 1569 dieses Werk bekannt war,578 kann man eine Ähnlichkeit zwischen den

Quellen des Alvarez und des Chytraeus beobachten. Es kann sein, daß Chytraeus sogar die

von Alvarez benutzte Wendung wörtlich übernommen hat, weil er ganz am Anfang der

„Oratio“ schreibt, daß er sein Wissen zum Teil glaubwürdigen, edlen und gelehrten

Männern in Wien und anderswo verdankt und zum Teil persönlich selbst gesehen habe,

worüber er schreibe.579

Mehrmals in seiner Rede rühmt David Chytraeus die Glaubwürdigkeit und die Gelehrtheit

seiner Gesprächspartner, die er während der Reise durch Böhmen, Österreich und Ungarn

und besonders während des Aufenthaltes in Wien getroffen hat. Obwohl aus den Aussagen

des Chytraeus ersichtlich wird, daß es um mehrere Gesprächspartner geht, werden nur zwei

Männer mit Namen genannt, die wir schon aus dem vorigen Kapitel kennen: Jacobos

Paleologos und Michael von Thessaloniki.580 Aber neben diesen zwei uns bekannten

werden von Chytraeus im Verlauf der Oratio als mündliche Quellen mehrere anonyme

Gewährsmänner erwähnt.

Ganz am Anfang der Rede erwähnt der Rostocker Theologieprofessor, daß er das, was er

dort schreibt und nicht mit den eigenen Augen gesehen habe, von glaubwürdigen, edlen

und gelehrten Menschen in Wien und anderswo erfahren habe.581 Weiter bekräftigt der

Rostocker, daß seine Zeugen selbst einen großen Teil der beschriebenen Tatsachen

gesehen haben.582

Als David Chytraeus später über den Zustand der Kirche in Griechenland und

Konstantinopel berichtet, gibt er auch an, daß sich viele seiner Berichterstatter, die

glaubwürdige Zeugen waren, lange Zeit in Konstantinopel und Griechenland aufgehalten

hätten.583

In Bezug auf den Zustand der christlichen Kirchen in Ägypten und Äthiopien wurde

Chytraeus ebenfalls von ehrlichen und glaubwürdigen Männern unterrichtet. Michael

Lebadarius berichtete ihm, wie viele Kirchen in Kairo existieren. Andere Zeugen, die in

577 Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 71. 578 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 28. 579 Vgl. ebd., 6. 580 Vgl. Kap. 4.2. 581 „Partim ex hominum fide dignorum nobilium et eruditorum sermonibus, Viennae et alibi didicerim.“

David Chytraeus, Oratio de Statu, 6. 582 „Etiam et oculatos testes magna ex parte edoctus sum.“ Ebd., 7. 583 „...ex multis fide dignis testibus, qui Constantinopoli et in Graecia diu vixerunt...“ David Chytraeus,

Oratio de Statu, 8.

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Kairo und Konstantinopel gewesen sind, haben in Konstantinopel am türkischen Hof, den

alten Patriarchen von Alexandrien Joachim gesehen und sogar mit ihm geredet.584

Nachdem der Rostocker über die Lage des Christentums in Äthiopien berichtet hat, weist

er sofort auf die Quellen seines Wissens hin. Es geht um zwei glaubwürdige Männer, die in

Jerusalem persönlich mit den Untertanen des Priesterkönigs Johannes von Äthiopien in

saracenischer Sprache geredet haben und welche ihm davon danach in Wien selbst

berichtet haben.585 Wien war im 16. Jahrhundert der Ort, wo Menschen und Nachrichten

aus allen Teilen Europas ankamen und von wo die kaiserliche Post zum Orient abfuhr.

Ganz genau wissen wir, daß die Informationen bezüglich Thessalonikis, Jerusalems und

Gazas von Michael von Thessaloniki stammen. Über den weiteren Inhalt der

Unterhaltungen berichtet der Rostocker in dem Brief aus dem Jahr 1571 an Michael von

Thessaloniki: „Ich erfuhr am meisten über den Zustand der griechischen, syrischen und

ägyptischen Kirchen aus deinen Worten. Am höchsten Grade zur Freude wurde mir dein

Bericht über die christlichen Kirchen, die noch 10 in der Heiligen Stadt Jerusalem übrig

sind.“586 Chytraeus bittet ihn desweiteren, ihm bezüglich der Stadt Athen mitzuteilen, wie

viele Priester bei einer öffentlichen Prozession mitgehen und in welcher Lage die Kirche

und die Stadt Athen sich befinden.587 Ohne daß uns eine Antwort von Michael bekannt

wäre, erwähnt Chytraeus in seiner Rede, daß 250 christliche Priester an einer öffentlichen

Prozession teilnehmen,588 eine Aussage, die eine Antwort von der Seite Michaels

voraussetzt.

Die Stadt Rostock war als hanseatische Seestadt durch ihre Beziehungen zu den nordischen

Staaten589 und zum Baltikum und zu Rußland gekennzeichnet. Chytraeus berichtet aber

überraschenderweise, sowohl in der ersten Auflage als auch in den Neuauflagen der Jahre

1580-1583 seiner Rede, nichts über die religiösen Zustände in Rußland, obwohl er sich

1576 und 1580590 in Rostock mit einigen russischen Gesandten, die der russische Zar zu

584 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 26. 585 „Cum his Praeteiohannis subditis se Ierosolymis lingua Saracenica locutus esse, ac quae nunc recito...,

coram se ex eorum sermonibus cognovisse, duo viri fide digni nobis Viennae exposuerunt.“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 28. Es ist anzunehmen, daß einer von den beiden hier erwähnten Zeugen, die in Jerusalem gewesen sind, Michael Libadarius war.

586 David Chytraeus, Epistolae, 294. 587 Ebenda, 294. 588 David Chytraeus, Oratio de Statu, 9. 589 Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 7. 590 Darüber berichtet er Herzog Ulrich von Mecklenburg am 24. September 1580 in einem bis heute noch

unveröffentlichten sich im Landeshauptarchiv Schwerin (Korrespondenz der Herzöge mit Gelehrten, 216, fol. 49-51r) befindenlichen Brief. Zu diesem Brief (mir nicht zugänglich) und seinem Inhalt siehe: Steffen Stuth, David Chytraeus, 75-76 und Anm. 27-29. Anlass für dieses Schreiben an Herzog Ulrich waren Gerüchte, er habe die Abgeordneten Iwans IV. bei ihrem Besuch in seinem Haus das Theatrum Mundi

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Kaiser Rudolph geschickt hatte, unterhielt.591 Beim ersten Treffen liehen ihm die

Gesandten eine Ausgabe des Neuen Testaments, einen Psalter und andere „Reussische

betbücher“, wobei er auch ihnen seine Geschichte der Augsburgischen Konfession von

1576 überreichte.592

Die Gespräche erstreckten sich auf kirchliche Dinge, so daß Chytraeus zusammen mit den

Russen auch einige Artikel aus der CA mithilfe eines Dolmetschers durchlas. Darüber

berichtete er am 10. Mai 1578 Martin Crusius in Tübingen in einem Brief,593 wo er

aufgrund der Gespräche mit den Russen beim Durchlesen der CA über ihre Religion wie

folgend urteilt: „Und es ist mir dabei klar geworden, daß die Russen mit der griechischen

Kirche übereinstimmen... In der Frage der Trinität und Zweinaturenlehre, der Taufe und

des Herrenmahls stimmen sie vollständig mit uns überein. Aber in puncto Rechtfertigung,

Heilsnotwendigkeit der guten Werke und Anwendung des Verdienstes Christi halten sie es

wie die Päpstischen und die Verehrung und Anrufung der Heiligenbilder verteidigen sie

mit aller Hartnäkigkeit.“594 Eine ziemlich zutreffende Behauptung, die durchaus aus

mündlichen Quellen geschöpft wurde, wie auch die Mehrheit seiner ursprünglichen

ostkirchlichen Informationen.595

5.2.2 Die schriftlichen Quellen und ihre Funktion

Auch wenn die mündlichen Mitteilungen von Michael Lebadarius und Jacobos Paleologos

und von den anderen anonymen von Chytraeus in seiner Oratio erwähnten Zeugen und

Gewährsmännern die Hauptquelle der Schrift über die Ostkirchen bilden, hat Chytraeus

während der Ausarbeitung der Rede auch eine Reihe von gedruckten Quellen benutzt.

und die Landkarten der Welt gezeigt und damit das Reich in Gefahr gebracht. Chytraeus verteidigte sich, Kaiser Maximilian II. habe 1574 dem Großfürsten von Moskau das Theatrum mundi und das Theatrum urbium, illuminiert und in roten Carmasin sammat gebunden, geschickt, ohne an eine Gefahr für das Reich zu denken. Davon hätten die Gesandten, die vor dreieinhalb Jahren durch Rostock zogen, dem deutschen Secretarius und dem Bürgermeister von Perleberg berichtet. Steffen Stuth, David Chytraeus, 75 und 90.

591 Er hat aber in der Auflage Frankfurt 1583 einen Bericht über die Religion der Russen im Anhang eingeschoben. Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 211-240.

592 Siehe: Steffen Stuth, David Chytraeus, 75-76. 593 Der Text des Briefes bei Martin Crusius, Diarium, I, 635-636. 594 Martin Crusius, Diarium, I, 635-636. Die Übersetzung dieser Stelle bei: Walter Engels,

Wiederentdeckung, 279-280. 595 Was die mündlichen Quellen betrifft, faßt David Chytraeus 1584 schon im ersten Abschnitt der

Antwortschrift auf die Angriffe von Antonio Possevino noch einmal zusammen: „Quindecim anni sunt, cum Viennae in Austria aliquot menses commorans, inter alios labores tum mihi mandatos, Syluulam de statu ecclesiarum Graeciae et Asiae, ex multorum praestantium virorum, qui partim Graeci erant, partim Byzantij et in Graecia aliquandiu vixerant et humanitatis causa subinde ad nos accedebant, sermonibus diligenter pervestigatam, primum collegi.“ David Chytraeus, Responsio, 3.

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Unter den schriftlichen Quellen des Chytraeus kann man zwei verschiedene Arten

unterscheiden: liturgische Bücher der griechischen Kirche und bekannte Werke von

Historikern, Humanisten und Theologen.

Als Chytraeus in Wien war, verschaffte er sich von einem anonymen Zyprer, der nur die

griechische Volkssprache sprach und Leiter einer Rudererwerkstatt in einem

Schiffszeughaus war, ein griechisches Gebetbuch, das die Griechen Horologion nennen.596

Aus diesem Horologion hat er dann in seiner Rede mehrmals verschiedene Teile aus dem

orthodoxen Mitternachtsgottesdienst und Morgengottesdienst in griechischer Sprache

zitiert, die er danach kurz kommentiert hat.597

Chytraeus zeigt sich mit dem Kanon der Liturgien des Basilius und des Chrysostomos

wohlvertraut. Er geht auf ihren Inhalt ein und übt an den westlichen Ausgaben der Liturgie

des Chrysostomos Kritik. Er erwähnt die griechische Ausgabe des Erasmus, eine

lateinische Übersetzung, die in der Zeit des Kaisers Emanuel Comnenos von Leo Thuscus

erstellt wurde sowie eine andere lateinische Ausgabe durch Ambrosius Pelargus, der

seinerseits eine weitere Handschrift in der Vatikan-Bibliothek erwähne.598

In seiner Rede erwähnt Chytraeus auch Teile der armenischen und der äthiopischen

Liturgie, was vermuten läßt, daß er ihre Formen und ihre theologischen Inhalte kannte. Die

Form der Liturgie der Armenier sei in vielen Elementen gemäß der Einsetzung Christi und

mit den lutherischen Riten in Übereinstimmung.599 Hinsichtlich der äthiopischen Liturgie

kannte Chytraeus die gedruckten Formen der Liturgien, die in Äthiopien im Gebrauch

waren und die auf der Beschreibung des Franciscus Alvarez beruhten,600 ein Werk, das im

Jahr 1567 in Eisleben auch in deutscher Übersetzung erschien.601

596 Darüber berichtet er in der Oratio: David Chytraeus, Oratio de Statu, 13-14. Vgl. auch Walter Engels,

Wiederentdeckung, 266. 597 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 15-16. 598 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 19. Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 95. 599 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 22-23. Wir kennen die Quelle, woraus Chytraeus diese

Information geschöpft hat, bis jetzt nicht. 600 „Quos cum nostris magna ex parte congruere, ex editis etiam Liturgiarum formis, in Aethiopia usitatis,

tum ea, quam Canonem universalem nominant, tum altera, quam Franciscus Alvares in legationis suae commentarijs descripsit, cognoscere singulis licet.“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 28. In einer anderen Schrift erwähnt Chytraeus als Zeuge für seine Behauptungen zur äthiopischen Liturgie auch Georg Cassander (1513-1566), der die Liturgiebeschreibung des Alvarez in seiner „Liturgia“ übernommen habe. „Item, Franciscus Alvares, aus welchem Cassander seine gantze Liturgiam genommen hat.“ David Chytraeus, Auslegung der Offenbarung, Aaij-v. Es kann sein, daß der Rostocker hier das Werk von Georg Cassander, Liturgica, der ritu et ordine Dominicae coenae celebrandae, Köln, 1558, meint. Vgl. Markus Völkel, Theologische Heilsanstalt, 129 und 140, Anm. 31.

601 Siehe den Anfang des Kapitels 5.2.1.

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Chytraeus zitiert aber oft auch Schriften von verschiedenen Historikern und Humanisten.

Bei den Angaben über die Stadt Athen nimmt er eine Gegenposition zum Hodoeporicon602

des Hugo Favolius ein und beruft sich auf Laonicus Chalcondylas.603 Ein anderes Mal

brandmarkt er aber kurz die Unwissenheit des Chalcondylas, als dieser berichtet, der Papst

habe den Johann Capistranus nach Böhmen gesandt, um die Böhmen, die Apollo

verehrten, zur christlichen Religion zu bekehren.604 Hier kommt die kritische Stellung des

Chytraeus gegenüber den von ihm benutzten Quellen ans Licht.

Als gedruckte Quellen erwähnt Chytraeus auch, um seine Aussagen in Bezug auf die

äthiopische Kirche zu bestätigen, die Schriften von Jovius605 und Sabellicus,606 deren

Aussagen über Äthiopien mit seinen eigenen durchaus übereinstimmten.607

In den Neuauflagen der Jahre 1580-1583 fügt Chytraeus eine neue wichtige Quelle hinzu,

das Werk des Portugiesen Damianus à Goёs, das seine Aussagen über die Lage des

Christentums in Ägypten und Äthiopien bestätigte.608 Seit der Auflage von 1580 beruft

602 Hodoeporicon ist ein Reisegedicht. 603 Chytraeus, Oratio de Statu, 10. Laonicus Chalcondylas war ein byzantinischer Historigraph des 15.

Jahrhunderts, der eine Geschichte der Türken und des Unterganges der griechischen Herrschaft 1298-1463 in 10 Büchern geschrieben hat. Zu ihm und seinem Werk: Krumbacher, Geschichte, 100.

604 Detloff Klatt, David Chytraeus, 87. Diese Stelle bei Chytraeus, Oratio de Statu, 40-41. Hier erkennt man die kritische Stellung des Chytraeus gegenüber den von ihm benutzten Quellen.

605 Es handelt sich um den italienischen Humanisten Paolo Giovio (1483-1552), dessen Grab Chytraeus in Florenz während seiner Italienreise besucht haben soll. Der Rostocker scheint auch seinen Grabspruch notiert zu haben. Vgl. Markus Völkel, Theologische Heilsanstalt, 140, Anm. 29. Paolo Giovio scheint in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der einzige Universalhistoriker von Rang gewesen zu sein. Vgl. Markus Völkel, Die Wahrheit zeigt viele Gesichter, 7. Er war an der Zeitgeschichte sehr interessiert und schrieb eine „Historia sui temporum“ in mehreren Bänden. Zu den Ausgaben siehe: T.C. Price Zimmermann, Paolo Giovio, 373. Nach der Zusammenkunft des Franziscus Alvares mit Papst Clement VII., übersetzte Paolo Giovio im Anschluß an den Empfang die zwei äthiopischen Briefe an den Papst zusammen mit zwei portugiesischen Briefen von Alvares ins Lateinische. Diese Übersetzungen zusammen mit einer Beschreibung des Zeremonieempfangs wurden im Februar 1533 in Bologna durch den flämischen Drucker Jacob Keymolen van Alost unter dem Titel: Legatio David Aethiopiae Regis, ad sanctissimum D. N. Clementem Papam VII una cum obedientia eidem sanctissimo D. N. praestita. Eiusdem David Aethipiae regis legatio ad Emanuelem Portugalliae regem. De regno Aethiopiae ac populo, deque moribus eiusque populi nunnulla, herausgegeben. In seiner Einführung liefert Jacob Keymolen eine kurze Beschreibung der äthiopischen Geographie, Geschichte, Religion und Gebräuche. Vgl. T.C. Price Zimmermann, Paolo Giovio, 130 und 329, Anm. 129. Es ist schwer zu behaupten, daß sich David Chytraeus auf dieses Werk bezieht. Eher bezieht er sich auf den ersten Band der „Historia sui temporum“ (Florenz, 1550) von Giovio, wo der Historiker im 18. Buch eine Geschichte und Beschreibung Äthiopiens anbietet, die höchstwahrscheinlich auf die Beschreibung des Alvares und auch auf persönlichen Gesprächen mit einem äthiopischen Mönch beruht. Vgl. T.C. Price Zimmermann, Paolo Giovio, 130. Ebenfalls kannte der Rostocker eines dieser Werke, wahrscheinlich das letzte.

606 Sabellicus hieß eigentlich Marcus Antonius Coccius und schrieb eine allgemeine Weltgeschichte unter dem Titel: Rhapsodiae historiarum Enneades. Seine „Opera omnia“ erschien Basel 1560. Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 85, Anm. 9.

607 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 28. 608 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 26 und 29. Der Titel des Sammelbuches, in dem Damianus à Goёs

Dokumente über die christlichen Kirchen in Afrika veröffentlichte, lautet: De rebus Oceanicis et Novo orbe Decades tres Petri Martyris Mediolanensis. Eiusdem de Babylonica legatione libri III et de rebus Aethiopicis, Indicis, Lusitanicis, Hispanicis opuscula quaedam historica doctissima, quae hodie non facile alibi reperiuntur, Damiani à Goёs equitis Lusitani, Coloniae, Apud Gervinum Calenium, 1574.

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sich Chytraeus auch auf einige Briefe, die damals von Konstantinopel nach Deutschland

geschickt wurden, um zu beweisen, daß seine Informationen in Bezug auf die Stadt Athen

richtig waren.609

Da er bei der Darstellung der griechischen Kirche aus zeitlichen Gründen nicht mehr

länger bleiben konnte, empfahl Chytraeus den Studenten und dem Leser bezüglich der

Kontroverspunkte zwischen Orthodoxen und Katholiken – Filioque, Azyma, Konsekration

und der Primat des Papstes – die Akten des Konzils von Florenz einzusehen.610

Um sich über die Lage des Islams in Afrika und seine Lehre zu informieren, benutzte

Chytraeus die Epistel eines Nicolaus Clenardus,611 in welcher dieser den Leser auf die

Ungleichheit der verschiedenen Auflagen und Übersetzungen des Korans aufmerksam

macht.612

Von Anfang an kann man in der Schrift von Chytraeus beobachten, daß die von

Historikern und Humanisten verfaßten Schriften, die vom Rostocker Theologieprofessor

als Quellen benutzt wurden, eine bestimmte Funktion hatten: Sie wurden von Chytraeus

nur darum herangezogen, um zu beweisen, daß seine Aussagen über den Zustand der

Ostkirchen richtig waren.

Es gibt aber auch eine ähnliche Funktion der mündlichen Quellen. Was Chytraeus aus den

gedruckten Historien, bevor er die Griechen getroffen hat, über die Existenz der Christen

in Griechenland und außerhalb Europas wußte, wurde ihm von seinen in Wien und

609 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 10. Es ist das einzige Mal, daß Chytraeus Informationen aus den

Briefen, die er als Anhang an seiner Oratio beigefügt hat, in den Text der Oratio einführt. Die Briefe, auf deren Informationen seine Beweisführung beruht, stammten von Symeon Cabasila und Theodosius Zygomalas. Siehe den Text dieser Briefen aus den Jahren 1575 und 1578 in: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 86-100.

610 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 21. Gottfried Holtz bemerkte bezüglich der von Chytraeus benutzten Quellen, daß es auffallend ist, „daß Chytraeus östliche kirchenrechtliche Quellen nicht nennt, also auch nicht studiert haben wird, - bei einem Theologen des 16. Jahrhunderts, der aus der Auseinandersetzung mit Rom die Bedeutung des geistlichen Rechtes kennen mußte, recht auffallend. Der Nomokanon des Photius, der 920 auf einer Synode in Konstantinopel für die ganze orthodoxe Kirche als verbindlich erklärt war, hätte ihm bei einiger Mühe zugänglich sein müssen.“ Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 95. Zu diesem Einwand von Holtz kann entgegnet werden, daß Chytraeus nicht eine ausführliche und erschöpfende Darstellung der Ostkirchen zu geben versuchte, sondern eine knappe Einführung in die Geschichte, den Kultus und die Theologie dieser Kirchen. Die Empfehlung der Lektüre der Akten des Konzils von Florenz ist ein Zeichen dafür, daß er in seiner Darstellung knapp sein wollte. In seiner Antwortschrift gegen die Angriffe von Possevinus zitiert der Rostocker ständig Kanones der altkirchlichen Konzilien. Vgl. dazu Kap. 7.3. Außerdem kann man in einer anderen Schrift des Chytraeus bemerken, daß er mindestens den griechischen Kanonisten Zonaras, aus dem 12. Jahrhundert kannte. Vgl. David Chytraeus, De lectione Historiarum, G5.

611 Über den Nicolaus Clenardus wissen wir vom Rostocker, daß er während einer Orientreise die arabische Sprache lernte. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 29.

612 Vgl. ebd.

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anderswo getroffenen Zeugen bestätigt.613 So bestätigen in der Oratio des Chytraeus die

mündlichen Quellen die schriftlichen und die schriftlichen die mündlichen.

Gegenüber seinen Quellen nahm Chytraeus immer auch eine kritische Stellung ein und

versuchte mehrere Quellen zu vergleichen.614 Darum konnte einer seiner Mittelsmänner,

Wenzeslaus Budowetz, einige Jahre nach der Abfassung der Rede aus Konstantinopel

berichten, daß der Zustand der griechischen Kirche in allen Punkten so sei, wie Chytraeus

ihn in seiner Oratio beschrieben habe.615 Das ermöglicht uns, die Richtigkeit der

Informationen der Gesprächspartner des Chytraeus ermessen zu können.

5.3 Die verschiedenen Auflagen der „Oratio“, die Unterschiede zwischen ihnen und die Beifügung eines Anhangs

Seit der ersten Veröffentlichung seiner Rede über die Ostkirchen im Jahr 1569 bearbeitete

Chytraeus seine Schrift immer wieder bis zum Jahr 1583, als die letzte lateinisch-

griechische Auflage der „Oratio“ in Frankfurt am Main erschien.616 In einem Zeitraum von

15 Jahren (1569-1584) erschienen in sieben verschiedenen, bekannten Städten – Rostock,

Graz, Görlitz, Straßburg, Wittenberg, Ingolstadt und Frankfurt – und anderen ungenannten

Orten 24 Auflagen der Oratio Chytraei über den Zustand der Ostkirchen.617

Die wichtigsten Auflagen, in denen die ständige Bearbeitung der Oratio durch Chytraeus

und die kontinuierliche Beifügung von Dokumenten aus dem Orient seit 1580 sichtbar

613 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 7. 614 Vgl. z. B. oben die Stellung des Chytraeus gegenüber Chalcondylas. 615 Es geht um den Brief des Budowetz vom 9. Oktober 1579 aus Konstantinopel, wo dieser schreibt:

„Hodiernus Graeciae status certem per omnia talis est, qualem tu esse scribis.“ David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 44.

616 Dabei ist zu beachten, daß die Oratio zum letzten Mal im Jahr 1614 von seinem Sohn David nach der Auflage Rostock 1569 herausgegeben wurde. Vgl. David Chytraeus, Orationes, 384-428. Eine deutsche Übersetzung wurde auch im Jahr 1584 in Frankfurt herausgegeben. Der Titel lautet: David Chytraeus, Was zu dieser Zeit in Griechenland, Asien, Africa unter des Türken und Priester Johans Herschaften. Item in Ungarn und Bohemen ... der Christlichen Kirchen zustand sey. Item Ein Oration von dem jetzigen Zustand der Christlichen Kirchen und Religion in Mohrenland.... Von ...Matthaeo Dressero erstlich Lat. In Druck verfertiget. Nun aber verdeudschet durch Melchiorem Gerlach Silesius, Frankfurt am Main, 1584.

617 Die genaue Liste dieser Auflagen lautet: Rostock, 1569; Graz, 1569; Rostock, 1570; Rostock, 1571, Görlitz, 1573; Graz, 1574; Straßburg, 1574; s.l., 1574; Görlitz, 1575, Wittenberg 1575, Frankfurt, 1580; Rostock, 1580; 2 Auflage Rostock, 1580; Wittenberg, 1580; Frankfurt 1580; Wittenberg 1581; s.l., 1581; Wittenberg 1582; Ingolstadt, 1582; Frankfurt, 1583; Deutsche Auflagen: s.l., 1574; s.l., 1581; s.l., 1584. Zu Einzelheiten über diese Auflagen siehe: Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 630; VD 16, Band 4, C 2668 – C 2679, S. 259-260. Detloff Klatt, David Chytraeus, 167-168 bittet eine Liste mit den Auflagen der Oratio, die er in den preußischen und mecklenburgischen Bibliotheken hat identifizieren können.

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wird, und die ich benutzt habe, sind: Rostock 1569,618 Straßburg 1574,619 Wittenberg

1580620 und Frankfurt 1583.621

Seit den Ausgaben Wittenberg 1580 und Frankfurt 1580 fügte Chytraeus seiner Oratio

auch einen Anhang bei, in dem er eine Reihe von Briefen und Berichten aus

Konstantinopel und dem Orient veröffentlichte.622 Das ist daraus zu erklären, daß seit 1574

ein Dialog zwischen den Tübinger Theologen und dem Patriarchen Jeremias II. stattfand,

und dadurch auch Chytraeus dank der Freundschaft mit Martin Crusius Zugang zum

christlichen Osten bekam. Er erhielt seit 1574 eine Reihe von Briefen aus Tübingen und

sogar direkt aus Konstantinopel, aus denen er zuerst einige Hinzufügungen zu seiner

„Oratio“ machte und die er später als Anhang zur Oratio veröffentlichte.

Alle diese als Anhang der Oratio veröffentlichten Briefe hatten den Zweck, die Wahrheit

seiner Aussagen aus der Oratio bezüglich der Ostkirchen zu beweisen und dem neugierigen

Leser neue Einzelheiten über diese Kirchen zur Verfügung zu stellen.623

In den Auflagen des Jahres 1580 veröffentlichte Chytraeus 15 Dokumente.624 In der

Auflage Wittenberg 1582 veröffentlichte er aber nur 10 Briefe.625 Die vollständigste

618 Oratio Davidis Chytraei, habita in Akademia Rostochiensi, cum post reditum ex Austria, ad Chrnici

lectionem reverteretur. In qua, de Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Austria, Ungaria, Boemia, etc. narrationes verae et cognitu non iniucunde, exponuntur, Rostochij, 1569. Da mir diese Auflage nicht zugänglich war, habe ich die Wiedergabe des Textes der Auflage 1569 in Orationes, Hanoviae, 1614 benutzt: Oratio de Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Boemia, etc. Habita à Davide Chytraeo, cum post reditum ex Austria ad Chrnici praelectionem reverteretur, Anno 1569. Die 18. Octobr., 35 Seiten, 8°.

619 Oratio Davidis Chytraei, cum post reditum ex Austria, ad Chronici lectionem reverteretur. In qua, de Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Ungaria, Boemia, etc. narrationes cognitu non inutiles, nec iniucunde, exponuntur, Argentorati, Excudebat Nicolaus Wiriot, MDLXXIIII. 49 Seiten 8°

620 Davidis Chytraei Oratio de Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Africa, Ungaria, Boemia, etc. cui Epistolae aliquot Patriarchae Byzantini et aliorum ex Oriente recens scriptae: aliaeq; narrationes, lectu non indignae, nec iniucundae, accesserunt, Wittebergae, Excudebat Ioannes Lufft, MDLXXX. 135 Seiten 8°.

621 Davidis Chytraei Oratio de Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Boemia, etc. Epistolae constantinopolitanae et aliae circiter XXX. Quibus in hac editione aliquot Epistolae Graecae ac Latinae, Confessio Fidei à Gennadio Patr. Mahometi II. Imp. Turc. Exhibita, De Russorum et Tartarorum religione ac moribus et veterum Borussorum sacrificijs et alia accesserunt. Adiuncta item epistola Constantinopolitanae Ecclesiae ad Boemos, Francofurti, Apud haeredes Andreae Wecheli, MDLXXXIII. 271 Seiten, 8°.

622 Die Untersuchung der Mehrheit dieser Dokumente wird im 6. Kapitel meiner Arbeit stattfinden. 623 Darüber schreibt er am Anfang des Anhangs: „Veritatem narrationum, superiori oratione de ecclesiis

Graecis, Asiaticis et Africanis expositarum, confirmant sequentes epistolae...“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 43.

624 Eine Liste mit allen von Chytraeus im Jahr 1583 veröffentlichten Briefe und Dokumente befindet sich bei Walter Engels, Wiederentdeckung, 273-274. Dort gibt er die Titel von 32 Dokumenten an. In der Auflage Wittenberg 1580 wurden die folgenden 15 Dokumente aus den 32 der letzten Auflage (1583) veröffentlicht: DOKUMENTE: 1 – (46-53 l); 2 – (53-60 l); 29 – (61-64 l); 4 – (64-68 l); 5 (68-70 l); 6 (70-73 l) gl; 15 (73-76) gl; 7 (77-81) gl; 8 (81-83) gl; 9 (84-88) gl; 10 (89-96) gl; 24 (96-112 l); 31 (112-115 l); 30 (115-118 l); 26 (118-133 l). (Die Nummern entsprechen der Numerierung von Engels, in den Klammern stehen die Seiten, g =griechisch, l = lateinisch.) In der Auflage Frankfurt 1580 sind genau dieselben Dokumente veröffentlicht.

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Auflage ist Frankfurt 1583, wo von Chytraeus 32 Briefe und Dokumente in griechischer

und lateinischer Sprache veröffentlicht wurden.626

Wenn wir die Unterschiede zwischen den verschiedenen Auflagen betrachten, finden wir

ganz kleine Hinzufügungen, die aber den Sinn seiner vorher gemachten Aussagen

überhaupt nicht ändern. Eine Ausnahme ist die Weglassung von 8 Seiten seit der Auflage

Straßburg 1574, wo Chytraeus in der Auflage 1569 seine Berufung und seine Mission in

Österreich kurz erwähnte und den Zustand der christlichen Kirchen des Landes unter den

Kaisern Ferdinand I. und Maximilian II. beschrieb,627 und 12 Zeilen auf Seite 385 der

Auflage, die 1614 zusammen mit anderen eigenen „Orationes“ veröffentlicht wurde.628

Die anderen Änderungen sind ganz geringfügig und begrenzen sich auf die Erwähnung

einiger neuer nach 1569 entdeckter Quellen, die seine vorherigen Aussagen bestätigen.

Die Beschreibung der Stadt Athen ist der einzige Abschnitt aus der "Oratio", wo Chytraeus

ziemlich umfassende Änderungen vornimmt und das beste Beispiel, um die Art und Weise

erkennen zu können, in der David Chytraeus in den Auflagen nach 1569 seine Rede über

den Zustand der Ostkirchen neu bearbeitet hat.629 Es ging ihm in den Jahren nach der

ersten Abfassung der Rede um die Auffindung neuer Belege für seine Behauptungen.

Nachdem er sich in der Auflage 1569 auf Laonicus Chalcondylas berufen hat, nahm er in

der Auflage 1574 eine Gegenposition zum Hodoeporicon des Hugo Favolius ein. Infolge

seiner Korrespondenz mit Martin Crusius erhielt er eine Reihe von Briefen aus

Konstantinopel, die er in der Auflage 1580 sofort als Beweis für die Richtigkeit seiner

Aussagen benutzte630 und danach als Anhang zu seiner Rede veröffentlichte.631

625 Diese Auflage war mir nicht zugänglich. Vgl. Emile Légrand, Bibliographie Hellénique, IV, 243-244. 626 Siehe die Liste mit dem Titel aller Dokumente bei: Walter Engels, Wiederentdeckung, 273-274. 627 Es handelt sich um die Seiten 386-394 in „Orationes“. 628 Diese Änderungen spielen aber bezüglich des Inhaltes der Rede über die Ostkirchen keine Rolle.

Interessant wäre zu wissen, warum der Rostocker Reformator diese Auslassung vorgenommen hat. Es gibt aber in den Quellen keine Hinweise darauf.

629 Auflage 1569: „Quod et urbem Athenas nostro tempore adhuc superstitem florere et quidem Praga Boemiae ampliorum esse et hospitium ac sedes Ecclesiae Christi mediocrem praebere, ex Graecis ipsis cognovi. Cum et antea in Laonici Chalcondylae historia legissem...“ (S. 395). Auflage 1574: „Quod urbem Athenas nostro tempore adhuc superstitem esse, et hospitium ac sedes Ecclesiae Christi mediocrem praebere, Thessalonicensis ille retulit, cuius ut pote hominis Graeci fidem, etsi Hodoeporicoro Hugonis Fauolij et aliorum diversa dicentium sermonibus ipse nequaquam antetulerim, tamen congruere cum ipsius narratione, aliqua ex parte videntur, quae in Laonici Chalcondylae historia legimus...“ (S. 4-5). Auflagen 1580, 1583: „Quod urbem Athenas nostro tempore adhuc superstitem esse, et hospitium ac sedes Ecclesiae Christi mediocrem praebere, ex Graecis ipsis cognovi. Quorum fidem, etsi Hodoeporicoro Hugonis Fauolij et aliorum diversa dicentium sermonibus nequaquam anteferendam quidam iudicabunt: tamen congruere cum illorum naratione, non literas solum recens Constantinopoli in Germaniam scriptas, verum aliqua ex parte etiam Laonici Chalcondylae historiam comperi...“ (S. 10 - A. 1583). 630 Hier ist die einzige Stelle seiner Rede über die Ostkirchen, wo Chytraeus seine als Anhang

veröffentlichten Dokumente in dem Text der Oratio erwähnt. 631 Siehe Kap. 6.2.

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Nachdem er über Thessaloniki gesprochen hatte, fügte Chytraeus seit der Auflage

Straßburg 1574 einen neuen kleinen Abschnitt über die Stadt Athen ein, der zeigen sollte,

daß Athen nicht zum kleinen Fischerdorf mit armen Häuschen herabgesunken sei, wie

einige meinten: „Quod etsi ab aliorum narrationibus, qui planem deletam et extinctam hoc

tempore urbem Atticam et vix paucas piscatorum casas et mapalia hinc inde sparsa extare

referunt, planem discrepat: tamen ut quae volumus libenter credimus...“632

Die anderen von Chytraeus vorgenommenen Änderungen betreffen noch drei

Hinzufügungen von Schriften oder Personen, die seine Behauptungen bestätigen. Sie

wurden seit den Auflagen von 1580 an in den Text eingefügt. Es handelt sich um die

folgenden Hinzufügungen:

Nachdem Chytraeus über die Lage der Kirchen in Alexandrien und Kairo gesprochen

hatte, fügte er den folgenden Abschnitt ein: „...cuius sermones confirmant, qui Patriarcham

Alexandrinum Ioachimum, senem venerandum, in aula Turcica Constantinopoli recens

viderunt, et cum eo locuti sunt. Et ex Damiani à Goes de Religione et fide Aethiopum

libello, cognitione dignissimo, constat, Aethiopicarum ecclesiarum in Praeteiohannis

imperio, Patriarchem summum, ex Alexandrini Patriarchae collegio eligi et ab Alexandrino

hodie etiam confirmari.“633

Aus dem Buch von Franciscus Alvarez über die Äthiopier fügte Chytraeus noch hinzu, daß

die an Papst Clement VII. geschickten Gesandten des Priesterkönigs Johannes „...literas

Clementi inscriptas, Bononiae, praesente Carolo V. Imp. anno 1530, mense Ianuario

exhibuerunt.“634

Und noch ein zweites Mal führt Chytraeus, als er über die äthiopische Kirche schreibt,

Damianus à Goes als seinen Zeugen an, indem er zu dem ursprünglichen Text hinzufügt:

„Et Damianus à Goes, ea, quae de fide, religione ac moribus Aethiopum commemorat, se

ex ore legati Praeteiohannis ad Lusitaniae regem, anno 1534 Lysibonae didicisse

testatur.“635

Alle diese Beobachtungen erlauben uns, den Schluß zu ziehen, daß das Interesse des

Chytraeus an den Ostkirchen, das durch das Treffen mit den beiden erwähnten Griechen

während des Aufenthaltes in Wien und Prag im Jahr 1569 geweckt wurde, stetig

632 David Chytraeus, Oratio de Statu, 10. 633 David Chytraeus, Oratio de Statu, 26. Es handelt sich um das Buch: De rebus Oceanicis et Novo orbe

Decades tres Petri Martyris Mediolanensis. Eiusdem de Babylonica legatione libri III et de rebus Aethiopicis, Indicis, Lusitanicis, Hispanicis opuscula quaedam historica doctissima, quae hodie non facile alibi reperiuntur, Damiani à Goёs equitis Lusitani, Coloniae, Apud Gervinum Calenium, 1574.

634 David Chytraeus, Oratio de Statu, 27. 635 David Chytraeus, Oratio de Statu, 29.

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gewachsen ist. Durch seine Korrespondenz mit Martin Crusius, Stephan Gerlach und sogar

dem Patriarchen Jeremias II., durch seine Mittelsmänner zum orthodoxen Osten und durch

die Lektüre wichtiger in jener Zeit im Abendland erschienener Werke über einige

Ostkirchen, konnte er seine ostkirchlichen Kenntnisse allmählich vergrößern. Chytraeus

überarbeitete seine Rede zwischen den Jahren 1569 und 1580 ständig, indem er kleine

Zufügungen aus den neu erworbenen Kenntnissen machte, die seine vorher gemachten

Äuserungen bestätigen, so daß er schon im 16. Jahrhundert zum Begründer der

protestantischen Ostkirchenkunde geworden war.

5.4 Darstellung und Analyse der „Oratio Davidis Chytraei de Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Africa“

5.4.1 Die Einleitung der Rede über die Ostkirchen

Nichts Nützlicheres, Erfreulicheres und Wertvolleres konnte Chytraeus zur Vorrede seiner

Vorlesung über die Geschichte der christlichen Kirchen finden, teilt er ganz am Anfang

seiner Rede mit, als seinen Theologiestudenten kurz über den Zustand der christlichen

Kirchen in Mitteleuropa, Griechenland, Asien und Afrika zu berichten,636 damit sie auch

wissen, wo und was sich für christliche Kirchen auf der Erde befinden.637

Es war Chytraeus wohl bekannt, daß seine Rede nicht die erste Rede dieser Art war,

sondern, daß viele andere vor ihm fremde Länder beschrieben hatten. Seine Rede sollte

aber den alten Beschreibungen nicht ähnlich sein: „Ich weiß, daß die einen auf den Reisen

im Ausland die Menge der Städte, den Glanz der Gebäude, die neuartige Form der

Kleidung, die sie in der Regel aus den fremden Gegenden mit sich zurückbringen, weil sie

töricht sind, bewundern; die anderen Klügeren erkunden eifrig die Staatsformen und die

Empfindungen und den Charakter der erfahreneren Menschen und die Geschichten von

denkwürdigen Taten, die in diesen Gegenden einst im Krieg oder im Frieden vollbracht

wurden.“638

Das alles wird er in seiner Rede nicht beschreiben, denn „es gehört sich vor allem für die

Bürger der Kirche Christi, daß sie die Lehre über Gott, die in den einzelnen Regionen

verkündet wird, die Art der Kirchen, die Bräuche der Religionen, die Studien der

Wissenschaften und der freien Künste und die Meinungen und die Urteile der frommen

636 Siehe: ebd., 6. 637 Siehe: ebd., 41. 638 David Chytraeus, Oratio de Statu, 7.

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und gebildeten Menschen über die wichtigsten Dinge erforschen und über sie

nachdenken.“639

In diesem ersten Abschnitt der Oratio wird das chytraeische Programm ganz klar

vorgestellt und der Rostocker Theologieprofessor wird sich ganz fest daran halten.

Nachdem Chytraeus kurz erwähnt hatte, daß die Informationen, die er in dieser Rede

vermitteln werde, während des Aufenthaltes in Österreich gesammelt worden waren, gab

er seiner Freude Ausdruck darüber, daß es trotz der Feinde Christi noch überall auf der

Welt viele Kirchen gebe: „Es war mir in diesen großen allgemein menschlichen und

religiösen Wirren, bei der Überzahl und der Macht der Feinde Christi und den überaus

traurigen Selbstzerfleischungen jener Zusammenkünfte, die sich des Namens Christi

rühmen, ein sehr angenehmer und auch süßer Trost, daß... die Kirche Christi, die den

wahren Gott, den ewigen Vater, Sohn und Heiligen Geist anerkennt und verehrt, nicht nur

an allen Orten und zu allen Zeiten auf der Welt und auch nicht nur in diesem kleinen und

nur so engen Gebiet Europas ihren Bestand hat, sondern, daß sie auch inmitten der Türkei,

in Griechenland, Kleinasien, Armenien, Georgien und den weiten Reichen des inneren

Afrika durch öffentliche Ausübung des Dienstes am Evangelium Christi und den

Sakramenten zusammengehalten und am Leben erhalten wird.“640

Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts und ihre abendländischen Zeitgenossen waren alle

der Meinung, daß die christlichen Kirchen unter der Herrschaft der Türken und Araber

ausgerottet worden wären.641 Die Begegnungen mit den aus dem Orient gekomenen

Christen machten die Neuentdeckung möglich, daß alle diese Kirchen existieren. Dafür

sagte Chytraeus dem ewigen Gott Dank: „So will ich zunächst von ganzem Herzen dem

ewigen Schöpfer Gott und Wächter seiner ganzen Kirche Dank sagen, daß er durch seine

unendliche Güte und Erbarmen sich in Ewigkeit seine Kirche durch die Verkündigung

seines Wortes aus dem Menschengeschlecht überall auf der ganzen Erde sammelt und 639 David Chytraeus, Oratio de Statu, 7. 640 David Chytraeus, Oratio de Statu, 6-7. 641 Die Verbreitung der Kunde im Abendland, daß die christlichen Kirchen unter dem Islam nicht mehr

existierten, wird noch einmal von Chytraeus in seiner Antwort auf den Angriff des Possevinus erwähnt. Vgl. David Chytraeus, Responsio, 4. In dem im Jahr 1559 dem ökumenischen Patriarchen geschriebenen Brief drückt z. B. Melanchthon ebenfalls seine Bewunderung aus, „daß Gott noch immer in wunderbarer Weise eine nicht kleine Kirche in Thrazien und Kleinasien und Griechenland erhält, so wie er einst die drei Männer in der chaldäischen Feuersflamme erhalten hat.“ Benz, Die Ostkirche, 19. Der Brief in griechischer und lateinischer Sprache befindet sich in: CR 9, 921-924. In der Vorrede zur Beschreibung Äthiopiens des Franziscus Alvarez schrieb Johann Baptista Rhamnusis im Jahr 1567, daß er diese Beschreibung aus dem Grund herausgegeben hat, damit die abendländischen Menschen erfahren und daran gedenken, daß sich die Kirche Jesu Christi in vielen in jener Zeit unbekannten Ländern erstreckt und sie sich so stärken und Anregungen zu neuen Missionen in fremden

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erhält, bevor ich vorschlage, zuerst über die Kirchen Griechenlands und danach über die

Kirchen aus Asien, Ungarn und Böhmen vorzutragen.“642

Chytraeus selbst hatte eine eigene Rhetorik verfaßt.643 Nach seiner rhetorischen

Auffassung soll jeder Rede die Anrufung Gottes vorangehen.644 Am Anfang dieser Rede

hatte er besonders Gott zu danken, weil die Kirchen in den erwähnten Gebieten nicht nur

toleriert waren, sondern „heutzutage auch in Griechenland nicht nur die Lehre und der

Kultus der christlichen Religion, sondern auch die Organisation und die Stellung der

Bischöfe, sowie das ganze öffentlich-rechtliche Kirchenregiment unter der türkischen

Herrschaft geduldet und behauptet wird.“645

Die Weiterexistenz der Ostkirchen unter der türkischen Herrschaft hat die Ekklesiologie

Martin Luthers646 und die Geschichtstheologie des Philipp Melanchthon, nach der Gott nur

jene Kirchen in der Geschichte erhält, die ihn recht ehren und anrufen, beeinflußt.647 Diese

Kirchen waren allmählich aus dem Bewußtsein des christlichen Abendlandes

verschwunden648 oder schlecht angesehen, wie es z. B. bei den Katholiken der Fall war.649

Für Chytraeus war es „ein sehr angenehmer und auch süßer Trost“ zu wissen, daß diese

Kirchen nicht nur existierten, sondern auch ihre Organisation bewahrt hatten. Daß sich

Chytraeus über die Weiterexistenz dieser Kirchen so wunderte und Gott dankte, wie es

auch Lactantius nach dem Ende der Verfolgungen am Anfang des vierten Jahrhunderts

und zuvor unbekannten Ländern bekommen. Vgl. Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 69.

642 David Chytraeus, Oratio de Statu, 8. Ähnlich klingt auch der Dank Melanchthons an Gott für die Existenz der Ostkirchen im oben erwähnten Brief: „So danken wir nun also dem wahren Gotte, dem Vater Jesu Christi, daß er mit starker Hand unter einer solchen Menge unfrommer und gotthassender Gegner sich eine Herde erhält, die seinen Sohn Jesus Christus recht ehrt und anruft.“ Ernst Benz, Die Ostkirche, 19.

643 David Chytraeus, Praecepta rhetoriccae inventionis, illustrata multis et utilibus exemplis, ex sacra scriptura, et Cicerone sumptis..., Wittenberg, J. Crato, 1556.

644 Vgl. Thomas Kaufmann, Die Wittenberger Theologie in Rostock, 79. 645 David Chytraeus, Oratio de Statu, 8. Johannes Wild, ein Nürnberger, der sieben Jahre in der

Gefangenschaft der Türken lebte, schrieb 1613 nach seiner Rückkehr nach Deutschland in dem Vorwort zu seiner Beschreibung dieser Gefangenschaft: „Der Allmächtige Gott wolle alle fromme Christen, und in gemein die liebe Christenheit vor deß Türcken Tyranney/Servitut unnd Dienstbarkeit gnädiglich behüten und wolle und den zeilichen Frieden und nach demselben den ewigen Frieden verleyhen. Amen.“ Johannes Wild, Reysbeschreibung eines Gefangenen Christen, Vorwort.

646 In seiner Schrift „Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“ (1528) schrieb Luther: „Eine heilige Christliche Kirche sey auff erden, das ist, die gemeyne vnd zal odder versmlunge aller Christen, ynn aller welt, die einige braud Christi und sein geistlicher leib, des er auch das einige heubt ist...Und die selbige Christenheit ist nicht allein unter Roemischen kirchen adder Bapst, sondern in aller welt ...das also unter Bapst, Tuercken, Persen, Tattern und allenthalben die Christenheit ...“ WA 26, 506.

647 Siehe den Kapitel 2.2.4. 648 Siehe dazu: Ernst Benz, Die Ostkirche, 3 ff. 649 Siehe die Stellung Ecks den Ostkirchen gegenüber im Kap. 2.1.3.

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getan hatte,650 bestätigt nochmals die Unwissenheit des Abendlandes bezüglich des Lebens

der zeitgenössischen orientalischen Christen.

Andererseits finden wir in dieser Vorrede des Chytraeus einen ekklesiologischen

Minimalismus, der in den nächsten Teilen der Rede nicht mehr anzutreffen ist. Die Kirche

Jesu Christi sei nach den ersten Behauptungen des Chytraeus jede Kirche, die den

dreieinigen Gott verehre, das Evangelium verkünde und die Sakramente vollziehe. Diese

Anerkennung der Richtigkeit des Glaubens der Ostkirchen durch Chytraeus, die als ein

„heiliger Rest“ unter der türkischen Herrschaft leben, ist in den nächsten Abschnitten der

Oratio durch die Bezeichnung der Ostkirchen als „abergläubisch“ gemildert.

5.4.2 Die Beschreibung der Lage der orthodoxen Patriarchate

In Bezug auf die orthodoxe Kirche erzählt Chytraeus, daß in seiner Zeit allen christlichen

Kirchen, die unter der Herrschaft der Türken leben, vier Patriarchen vorstehen: der von

Konstantinopel, der von Alexandrien (mit dem Sitz in Cairo), der von Antiochien (mit dem

Sitz in Damaskus) und der von Jerusalem.651

Chytraeus führt die vier orthodoxen Patriarchen an dieser Stelle in ihrer kanonischen

Reihenfolge ein, weil er diese Reihenfolge höchstwahrscheinlich von den alten Kirchen-

geschichtsschreibern kannte.652 Trotz dieser kanonisch richtigen Reihenfolge werden dann

die orthodoxen Patriarchate um der geographischen Lage willen von Chytraeus in der

Reihenfolge: Konstantinopel, Antiochien, Jerusalem, Alexandrien vorgestellt.

Schon mit 18 Jahren hatte David Chytraeus von Franciscus Irenicus, seinem ersten Lehrer

an der Gemminger Lateinschule gelernt,653 daß der Geschichtsschreiber bei jeder

historischen Beschreibung immer die Geographie in Betracht ziehen sollte.654 Die genaue

Kenntnis der Topographie wird ab diesem Zeitpunkt von dem Rostocker

650 „Cuius aeterne pietati gratias agere debemus, qui tandem respexit in terram, quod gregem suum partim

vastatum a lupis rapacibus, partim vero dispersum reficere ac recolligere dignatus est...“ Lactantius, De mortibus persecutorum, LII, 2.

651 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 8-9. 652 Darüber schreibt er in einer Klammer am Anfang dieses Abschnittes: „quorum crebra in veteribus

historiae ecclesiasticae et imperij Byzantini scriptoribus mentio fit.“ Ebenda, 8. In seiner Schrift „De lectione Historiarum recte instituenda“ nennt Chytraeus die folgenden Kirchengeschichtsschreiber: Eusebius, Casiodor, Socrate Constantinopolitanum, Theodoret von Cyros, Sozomen, Evagrius, Nichifor. Siehe: David Chytraeus, De lectione Historiarum, G3v-G5.

653 Vgl. Adam Melchior, Vitae Germanorum Theologorum, 682. 654 Franciscus Irenicus machte sich gerade durch eine 1518 erschienene umfangreiche historisch-

geographische Beschreibung Deutschlands einen Namen. Vgl. Walther Thüringer, David Chytraeus

(1530-1600), 162.

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Theologieprofessor für den Geschichtsunterricht als unerläßlich betrachtet.655 Seinen

Studenten gegenüber betont Chytraeus ausdrücklich, daß jeder eine Karte Griechenlands

und Palaestinas, sowie die Tabellen des Honterus besitzen und sie täglich gebrauchen

müsse.656

Dieser seiner Auffassung folgend hat Chytraeus auch die Rede über den Zustand der

Ostkirchen im 16. Jahrhundert gehalten, indem er diese Kirchen nacheinander gemäß der

geographischen Lage beschreibt. Von Griechenland her geht der Faden der Darstellung

über Georgien, Armenien, Syrien, Palästina und Ägypten bis nach Äthiopien.

Obwohl der Rostocker Ostkirchenkundler immer die Unterschiede zwischen den

byzantinischen und altorientalischen Kirchen im Auge hat und auch gut kennt, stellt seine

Rede diese geographisch geordneten Kirchen dar, so daß in den folgenden Kapiteln eine

Systematisierung des Materials vorgenommen werden muß, um das Zerbröckeln der

Darstellung zu vermeiden und eine bessere Klarheit zu schaffen.657

5.4.2.1 Das Patriarchat von Konstantinopel

Die Diözese des Patriarchen von Konstantinopel umfasst nach Chytraeus Europa, das

ganze Griechenland, Serbien, Bulgarien, Thracien, die Walachei, die Moldau, die Ukraine,

Rußland, die ägäischen Insel und Kleinasien. Der Patriarch wohnte in Konstantinopel, wo

nach Chytraeus die schönste aller Kirchen die Hagia Sophia und andere alte und neue von

Soliman gebaute im Besitz des "gotteslästerlichen" Mohammed wären, dennoch aber mehr

als zwanzig christliche Kirchen übrig wären.658 Derselbe Patriarch habe auch ein

Kollegium von zwölf edlen und gelehrten Männern neben sich, mit dessen Rat er die

Kirchen unter seiner Jurisdiktion durch Erzbischöfe und andere Bischöfe geringeren

655 Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 39-40. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 23-24. 656 Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 41 und Anm. 3. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 24-25.

Chytraeus benutzte mit Sicherheit alle diese Karten. Außerdem hat er für den Teil seiner Rede über die Kirchen in Ägypten und Äthiopien eine Karte Afrikas benutzt, die von Franziscus Alvarez, infolge seiner Gesandtschaft nach Äthiopien, herausgegeben wurde und die die Königreiche, die sich zwischen Tropicus Cancri und Tropicus Capricorni sich befanden, darstellte. Vgl. Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 420.

657 Nachdem die Lage der griechischen Kirche dargestellt ist, folgt die Beschreibung der Kirchen in Georgien und Armenien, der Kirchen der Nestorianer, Maroniten und Jakobiten und erst danach die Beschreibung der Patriarchate von Antiochien und Jerusalem. Danach folgt erneut die Beschreibung der Kirche der Kopten und danach des byzantinischen Patriarchates von Alexandrien. Um seine Rede klarer darstellen zu können, habe ich zuerst die orthodoxen Patriarchate in ihrer geographischen Reihenfolge dargestellt und erst dann die georgische Kirche und die anderen altorientalischen Kirchen.

658 David Chytraeus, Oratio de Statu, 9.

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Ranges regiere.659 Zwar ist diesen Bischöfen das Predigtamt, der Vollzug der Sakramente

sowie auch die Regierung der Kirchen belassen, aber die politische Jurisdiktion und

Herrschaft über Länder und Städte seien nur dem Patriarchen gestattet.660

Der Grieche Michael von Thessaloniki berichtete Chytraeus über den Zustand der Städte

Thessaloniki und Athen:

Dem Erzbischof von Thessaloniki661 wären noch andere zehn Bischöfe untertan und in

derselben Stadt sollten sich neben den drei türkischen Moscheen mehr als dreißig

christliche Kirchen befinden.662

Athen, die alte Hauptstadt der Lehren und aller Künste, wäre nicht zum kleinen

Fischerdorf mit armen Häuschen herabgesunken, wie einigen meinten. Nachdem

Chytraeus selber eifrig nachgeforscht hatte, freute es ihn besonders, als er von einem

Griechen erfuhr, daß die Stadt Athen noch zu seiner Zeit in Blüte stehe und der Kirche

Christi eine einigermaßen würdige Stätte der Herberge biete.663 Auch einige vor kurzem

von Konstantinopel nach Deutschland geschriebene Briefe sowie Laonicus Calcondylas664

bestätigen seine neuen Erkenntnisse.665 Bereits fünf Jahre zuvor (also 1564) konnte man in

Athen 250 christliche Priester sehen, die an einer öffentlichen Prozession teilnahmen.666

Danach gibt Chytraeus eine kurze Geschichte der Stadt Athen wieder, vom Anfang der

Herrschaft der Acciaiolen aus Florenz bis zu deren Untergang, als Athen an die Türken

fiel.667

Athen war vor Zeiten, sagte Chytraeus, „die Herberge der ganzen Philosophie und

Beredsamkeit und danach auch der christlichen Religion und aller besten Künste. Welche

Künste vor hundert Jahren in Italien selbst durch die ersten in Exil sich befindenden

Griechen – Theodor Gaza von Thessaloniki, Demetrius Chalcondylas aus Athen, Georg 659 Ebenda, 9. 660 Ebenda, 9. 661 Chytraeus bemerkte in Bezug auf den Namen der Stadt Thessalonich, daß zu seiner Zeit diese Stadt

Salonich genannt wurde: „Quam Salonich hodie vocant.“ Ebenda, 9. 662 Ebenda, 9. 663 Ebenda, 10. 664 Es folgt eine kurze Darstellung der Geschichte der Stadt Athen in der ersten Hälfte des zweiten

Jahrtausends bis zu seiner Eroberung durch die Türken, die nach den Angaben des Historikers Laonicus Calcondylas geschildert wird. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 10-11.

665 Ebenda, 10. Es geht hier um zwei Schreiben von Simeon Cabasila und Theodosius Zygomalas, die in den Jahren 1575 und 1578 dem Humanisten Martin Crusius geschickt wurden und über die Lage der Stadt Athen berichteten. Chytraeus, der sie von Crusius empfangen hatte, veröffentlichte die beiden Briefberichte 1580 im Anhang seiner Rede. Siehe den Text dieser Briefe bei: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 86-100.

666 Ebenda, 9. Chytraeus bat Michael von Thessaloniki, in dem einzigen aufbewahrten Brief an ihn aus dem Frühjahr 1571, ihm bezüglich der Stadt Athen mitzuteilen, wie viele Priester an einer öffentlichen Prozession teilnehmen und in welcher Lage die Kirche und die Stadt Athen sich befinden. Siehe: David Chytraeus, Epistolae, 294.

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von Trapezunt und Marcus Musurus aus Creta und vor diesen durch Emanuel Chrysoloras,

der in Deutschland in der Zeit des Konzils von Konstanz gestorben ist, wiedergegeben

waren.“668

Im Gegensatz zu diesem herrlichen Bild der Vergangenheit, als Athen die Mitte der

damaligen Kultur und Religion war, steht das kulturelle und religiöse Bild von Athen des

16. Jahrhunderts: „Das Studium der alten Philosophie und der gelehrten Bildung ist in der

Gegenwart in Athen und im übrigen Griechenland vollständig erloschen und die meisten

Priester und Mönche verstehen, wie ich hörte, nicht einmal die alte griechische Sprache, ja

hier und da wird sogar durch bischöfliche Erlasse die Lektüre der alten Dichter, Rhetoren,

Philosophen und anderen heidnischen Schriftsteller verboten.669

Es lernten also die meisten nur aus dem Grund in der Schule altgriechisch lesen, daß sie

"das griechische Ωρολογιον, was die Römer Brevier oder Stundengebet nennen,

aufschlagen können, damit ... nicht nur die Priester und Mönche, sondern auch die meisten

aus dem Volk, die den Wert der Religion am täglichen Herunterlesen dieser Gebete

festmachen, dessen τροπαρια, στασες, κοντακια, απολυτικια και λοιπας ευχας, die

in einem eleganten griechischen Stil abgefaßt sind, lesen, sie aber wiederum nicht

verstehen".670

In diesen ersten Zeilen des Chytraeus über die Kirchen Griechenlands spürt man die

Freude der Anerkennung einer neuen Entdeckung für seine Zeit: die Türken waren

ziemlich tolerant.671 Der äußere Antichrist, wie die Türken von den Reformatoren bis

Chytraeus bezeichnet wurden, war nicht so schrecklich und unerträglich, wie man bis

dahin glaubte.672 Denn siehe da, die Organisation der orthodoxen Kirche wurde unter der

667 Siehe: Ebenda, 11-12. 668 David Chytraeus, Oratio de Statu, 13. 669 Ein solcher Erlaß würde im Gegensatz zur Lehre des Basilius des Großen stehen, der in seiner Homilie an

die Jugend ausdrucklich betonte, daß die Christen aus der heidnischen Philosophie alles heranziehen sollten, was ihnen zum Heil der Seelen helfen könnte. Siehe: Basilius der Große, XXII. Homilie an die Jugend, II, III, IV passim. Es kann aber dennoch sein, daß es noch im 16. Jahrhundert byzantinische Hierarchen gab, die die Vorschriften des „Synodikons der Orthodoxie“ aus dem 11. Jahrhundert befolgten, deren Verdammungen den Philosophen Ioannes Italos (1025- nach 1082), seine Schüler sowie das Verhältnis von orthodoxem Glauben und antiker griechischen Philosophie betrafen. Die Spannungen zwischen Methode und Inhalt der griechischen Philosophie einerseits und theologischer Arbeit und christlichem Glaubens anderseits setzten sich auch in den nächsten Jahrhunderten in Byzanz fort. Siehe dazu: Friedhelm Winkelmann, Zeitalter der Kreuzzüge, 28 ff. und 70 ff.

670 David Chytraeus, Oratio de Statu, 13. 671 Im Teil der Rede, wo Chytraeus über den Zustand der Ostkirchen in Asien und Afrika berichtet, werden

die Zerstörungen der Türken viel mehr hervorgehoben als hier. 672 Dennoch muß man diese sogenannte Toleranz differenziert betrachten, denn die Christen hatten auch sehr

viel unter dieser "ungläubigen, weltlichen" Macht zu leiden.

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türkischen Herrschaft geduldet673 und konnte sich behaupten.674 Dennoch wußte

Chytraeus, daß unter der Türkenherrschaft nur dem Patriarchen von Konstantinopel als

Ethnarch675 des Millets der Christen676 Unverletzlichkeit seiner Person, Steuerfreiheit,

Bewegungsfreiheit und das Recht, dieses Privileg auf seine Nachfolger zu übertragen,

zugesichert wurde.677

Der große rumänische Historiker Nicolae Iorga schloß sich in der ersten Hälfte des 20.

Jahrhunderts Chytraeus an, indem er über „Byzance après Byzance“ sprach, über das

Fortbestehen der byzantinischen Institutionen im türkischen Reich nach dem Fall

Konstantinopels.678 Um seine Behauptungen zu bestätigen, zitierte Nicolae Iorga mehrmals

unter anderen Quellen auch diese berühmte Rede des Chytraeus.679

Im Hinblick auf die Jurisdiktion des ökumenischen Patriarchates muß man bemerken, daß,

obwohl die Aufzählung des Chytraeus richtig ist, sie dennoch eine Kenntnis des jüngeren

selbständigen Patriarchats von Peć680 in Serbien und des selbständigen Erzbistums von

Ohrid681 in Bulgarien vermissen läßt.682 Diese beiden Kirchen werden danach von

Chytraeus in seiner Rede auch nicht mehr erwähnt.

Chytraeus versucht danach seine ersten allgemeinen Behauptungen zu verdeutlichen,

indem er konkret über den Zustand der christlichen Kirchen und Schulen in

Konstantinopel, Thessaloniki und Athen berichtet. 673 Über die Organisation der orthodoxen Kirche und die Ränge der orthodoxen Bischöfe wurde er später

durch einen Brief des Stephan Gerlach an Martin Crusius aus dem Jahr 1575 unterrichtet, den er 1580 im Anhang seiner Rede herausgab: „De gradibus episcoporum in Graecia et statu Ecclesiarum, Aedificiis publicis, arce et templis in urbe Constantinopoli. Ex literis Stephani Gerlachii ad Martinum Crusium anno 1575 scriptis.“ David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 158-172.

674 Darüber schreibt auch Steven Runciman: „Es war eine grundlegende Änderung, (mit dem Fall Konstantinopels n.n.) und doch war sie nicht ganz so umfassend, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Die historischen Patriarchate des Ostens, Alexandria, Antiochia und Jerusalem, hatten mit Ausnahme kurzer Zwischenspiele jahrhundertelang der politischen Macht muselmanischer Behörden unterstanden. Seit den ersten türkischen Eroberungen in Kleinasien im elften Jahrhundert hatten Gemeinden, die zum Patriarchat Konstantinopel gehörten, unter muselmanischer Herrschaft gelebt...“ Steven Runciman, Das Patriarchat von Konstantinopel, 163.

675 Ethnarch bedeutet Herrscher des Millets. Die Gerichte des Patriarchats besaßen volle Rechtsbefugnis in allen die Orthodoxen betreffenden Angelegenheiten, denen eine religiöse Bedeutung zukam, nämlich Eheschließung, Ehescheidung, Vormundschaft über Minderjährige, Testamente und Erbfolgefragen. Vgl. Steven Runciman, Das Patriarchat von Konstantinopel, 169.

676 Die Mohammedaner behandelten die religiösen Minderheiten innerhalb ihres Reiches als Millets oder Volksgruppen und erlaubten ihnen ihre Angelegenheiten nach ihren eigenen Gesetzen und Bräuchen zu regeln. Vgl. Steven Runciman, Das Patriarchat von Konstantinopel, 165.

677 Vgl. Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 3. 678 Siehe: Nicolae Iorga, Byzance après Byzance, Éditions Balland, Paris, 1992. 679 Siehe: Nicolae Iorga, Byzance après Byzance, 60, 76, Anm. 101 und 108, Anm. 154. 680 Das Patriarchat von Peć wurde mit der Hilfe des Serben Mehmed Sokolović im Jahr 1557 erneut

gegründet und im Jahr 1766 wieder abgeschafft. Vgl. Ladislas Hadrovics, Le peuple Serbe, 42. 681 Das Erzbistum Ohrid hat unter der türkischen Herrschaft seine Autonomie gegenüber dem Patriarchat von

Konstantinopel bis zu seiner Abschaffung im Jahr 1767 aufbewahrt. Siehe: Edgar Hösch, Balkanländer, 97.

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Wenn wir bedenken, daß Konstantinopel nach einem Bericht des Spaniers Cristôbal von

Villalón, gemäß den offiziellen Listen, am Ende des 16. Jahrhunderts ungefähr 40000

christliche Häuser zählte683 und daß Chytraeus über mehr als 20 christliche Kirchen in

Konstantinopel berichtet, dann sah die Lage der Christen dort ziemlich gut aus. Die Lage

der Christen in Thessaloniki, wo sie mehr als 30 Kirchen hatten, und in Athen, von der

Stephan Gerlach berichtet,684 daß es 1576 über 60 christliche Kirchen bei einer

Bevölkerung von 12000 Einwohnern gab,685 sah ebenfalls statistisch sehr gut aus. In Bezug

auf die Zahl der 250 Priester, die bei einer öffentlichen Prozession in Athen anwesend sind,

muß man darauf aufmerksam machen, daß bei einer solchen Prozession auch die in der

Nähe von Athen wohnenden Priester teilnahmen, und daß der lateinische Begriff

„sacerdotes“ nicht nur auf die Priester reduziert werden, sondern auch den Stand der

Diakone einbeziehen kann.686

Athen ließ in der Phantasie eines jeden der damaligen humanistisch gebildeten Theologen

das Traumbild einer reinen Vermählung von antikem und christlichem Geist vor seinem

inneren Auge erstehen.687 Darum versuchte auch Chytraeus viel nachzuforschen, um

beweisen zu können, daß die Behauptungen von Hugonius im Bezug auf die Abschaffung

des Christentums in dieser weltberühmten Stadt falsch seien. Es war ihm unmöglich

anzunehmen, daß das alte stolze Athen ganz herabgesunken sei. Dennoch mußte er leider

gestehen, daß „das Studium der alten Philosophie und der gelehrten Bildung in der

Gegenwart in Athen und im übrigen Griechenland vollständig erloschen ist und die

meisten Priester und Mönche verstehen nicht einmal die alte griechische Sprache.“688

Dennoch darf man nicht unbemerkt lassen, daß es damals auch noch einige gebildete

Griechen in den Ostgebieten gab. Chytraeus selbst berichtet in dem einzigen aufbewahrten 682 Vgl. auch Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 95. 683 Cristôbal de Villalón erwähnt, daß sich neben diesen 40000 christlichen Häusern in Konstantinopel noch

10000 jüdische Häuser und 60000 türkische Häuser befanden. Die Christen machten also fast 40 % der damaligen Bevölkerung Konstantinopels aus. Siehe: Nicolae Iorga, Byzance après Byzance, 55-56.

684 Stephan Gerlach, der Priester der kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel, berichtet in seinem Tagebuch am 1. März 1576, was er vom Protonotario des Patriarchen von Konstantinopel, der drei Mal in Athen gewesen war, gehört hat: „Vorher bin ich beym Redner und Protonotario gewesen, der mir gesagt Athen sey einen Theil noch mit einer Maueren umgeben, theils aber offen und die Mauren zerfallen oder eingerissen. Darinnen 60. Kirchen der Christen aber nicht mehr als 3. Türkische seyen.“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 161.

685 Siehe: Nicolae Iorga, Byzance après Byzance, 55-56 686 Wenn wir die Angaben von Chytraeus mit denen von Iorga zusammennehmen, mußte in Athen ein

Priester nur für 48 Gläubige zuständig sein, was eher etwas unwahrscheinlich ist. 687 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 267. 688 David Chytraeus, Oratio de Statu, 13. Gerhard Podskalsky, ein zeitgenössischer Ostkirchenkundler und

Kenner der griechischen Theologie jener Zeit, schrieb vor wenigen Jahren genau wie Chytraeus vor über 400 Jahren über den Zustand der griechischen Bildung in jener Zeit: „Konstantinopel und noch stärker die

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Brief von ihm an Michael Lebadarius im Jahr 1571 über die Bildung dieses orthodoxen

Bischofs: „Am meisten freue ich mich, einen Freund und Gefährten gefunden zu haben,

der nicht nur vielsprachig und reichwissend ist, weil er „die Städte vieler Menschen

gesehen hat und ihr Denken kennengelernt hat“, sondern auch in Bildung und Tugend

herausragend ist.“689 Daneben wären noch Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel, die

Brüder Johannes und Theodosius Zygomala und der berühmte Patriarch Meletios Pegas

von Alexandrien690 zu erwähnen.691

Die Hauptgründe des Niedergangs der griechischen Bildung werden fast gleichzeitig von

David Chytraeus und Theodosius Zygomalas genannt: Chytraeus erwähnt die Flucht der

besten griechischen Gelehrten vor und nach dem Fall Konstantinopels in das Abendland.

Theodosius Zygomala, der Protonotarius des Patriarchen Jeremias II., erklärt den Grund

dieses Zustandes in einem Brief vom 15. November 1575 an den Humanisten Martin

Crusius: „Solange ihr das Reich habt, habt ihr auch die Weisheit. Seit wir das Reich

verloren haben, haben wir auch die Weisheit verloren; durch den Umgang mit den

Barbaren sind wir selbst Barbaren geworden.“692 Natürlich betraf diese Aussage nur die

profane Kultur der Griechen, und die angesprochene verlorene Weisheit bezieht sich nur

auf die Weisheit dieser Welt, auf die profane Bildung. Der theologische Dialog mit

Tübingen bezeugt gerade von der Seite der Griechen das Gegenteil: das Bewußtsein des

Besitzes der theologischen Wahrheit.693

5.4.2.2 Das Patriarchat von Antiochien

griechischen Provinzen waren gerade in den ersten hundert Jahren der Fremdherrschaft von einem tiefen Verfall der Bildung betroffen.“ Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 46.

689 David Chytraeus, Epistolae, 294. 690 Salomon Schweigger, der lutherische Orientreisende, beschrieb in seiner Reisebeschreibung die

Gelehrsamkeit des Meletios Pegas wie folgend: „Der Griechische Patriarch ... hat einen Vicarium mit Namen Meletius Jieromonachus, ein freundlicher Mann und der gelehrtest unter allen Griechen, so viel mir seyn fürkommen, dann er der Lateinischen, Italianischen und beeder Griechischen Sprachen sehr wohl beredt ist, sonsten hab ich nie kein Graecum funden, dann neben diesem den Ptrotoherminea Patr. C. mit Namen Ioannes Zygomalas.“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 254.

691 Eine Vorstellung der wichtigsten griechischen Theologen im 16. Jahrhundert bietet: Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 81 ff.

692 Martin Crusius, Turcograecia, 437. Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 47. Eine ähnliche Feststellung hat Johannes Eck in der Leipziger Disputation mit Martin Luther (1519) gemacht. Er behauptete, daß die Griechen zusammen mit dem Reich auch ihren Glauben verloren haben. Vgl. WA, Band 2, 273. Vgl. auch Kap. 2.1.3.

693 Hier ist auch zu bemerken, daß Theodosius und Johannes Zygomalas in ihren Briefen an Crusius immer wieder den schlechten kulturellen Zustand der Griechen hervorhoben, um materielle Hilfe von den Deutschen zu empfangen.

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Die Zerstörung der christlichen Kirchen durch die Sarazenen694 und Türken ist in

Kleinasien und Asien um vieles trauriger als in Griechenland. Denn diese „haben nicht nur

Kirchen und Schulen, sondern auch die Bauwerke der herrlichsten Städte, die einst

Herberge der Kirchen und der Wissenschaften dargereicht haben, zerstört.“695 Von der

Stadt Antiochien in Syrien, wo sich die Christen als erste so genannt haben, wußte

Chytraeus gleichwie von Nicaea696 und Caesaraea in Kappadokien, daß nur noch Trümmer

dieser Städte übrig waren.697

In Antiochien war keine einzige christliche Kirche übrig geblieben, darum mußte der

Patriarch von Antiochien, der vor Zeiten den Kirchen in Syrien und den übrigen Kirchen

im Orient vorgestanden hatte, seinen Sitz von dort nach Damaskus verlegen, wo er auch in

der Zeit des Chytraeus bei der St. Marien Kirche wohnen sollte.698 Die herrlichste Kirche

von Damaskus, die Johannes dem Täufer geweiht war, wurde 1516 von den Türken

besetzt, nachdem sie zuerst in den Händen der Sarazenen gefallen war.699

Der Bericht über das Patriarchat von Antiochien fällt sehr kurz aus und zwischen den

Zeilen ist die Tragödie des zerstörten Kirchentums auffällig700 und es ist auch das

Bedauern des Chytraeus im Bezug auf diese ehemalige Perle des Orients zu spüren, über

die der heidnische Rhetorikprofessor Libanius am Ende des 4. Jahrhunderts sagen konnte:

„Unter den Städten der Erde gibt es keine, in der sich Größe in gleichem Maße mit schöner

Lage vereinigt. Wer hierher kommt, vergißt seine frühere Stadt, wer von hier weggeht,

vergißt diese Stadt nicht.“701

Es scheint außerdem, daß keiner von den Berichterstattern des Chytraeus Antiochien oder

Damaskus besucht hat und daher war es für den Rostocker Theologieprofessor schwer aus

dem Kirchentum um Antiochien und Damaskus mehr zu berichten.

694 Der Begriff „Saracenen“ war ein genereller Terminus für die vor allem nomadische Bevölkerung Arabiens

und seiner Randgebiete. In islamischer Zeit wird er von den Byzantinern als Synomym für „Muslime“ benutzt. Zur Entstehung und zur Verwendung dieses Begriffes siehe: Rudolf Solzbacher, Mönche, Pilger und Sarazenen, 76ff.

695 David Chytraeus, Oratio de Statu, 21. 696 Dennoch berichtete Stephan Gerlach über Nicaea an Martin Crusius 1575, daß er vom dortigen

Metropoliten erfahren habe, daß in der Stadt noch drei christliche Kirchen seien. Chytraeus hat den Brief von Gerlach an Crusius auch bekommen, den er in den Auflagen der Jahre 1580 veröffentlichte. Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 160. In demselben Brief gibt es Informationen über den Zustand der christlichen Kirchen in den folgenden Städten: Thessalonich, Mitilene, Chalcedon, Ephesus, Corinthus, Philippi, Antiohia Pisidiae, Smyrna und Chrysopolis. Ebenda, 159-161.

697 David Chytraeus, Oratio de Statu, 21. 698 David Chytraeus, Oratio de Statu, 23-24. 699 David Chytraeus, Oratio de Statu, 24. Die Informationen des Chytraeus über diese Kirche waren falsch,

denn schon während des Omayyaden-Kalifats wurde diese Kirche zerstört. Die Omayyaden-Moschee war seit 705 an der Stelle der Johannes-Kirche erbaut. Siehe: Stefan Heid, Damaskus, 529.

700 Vgl. Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 96. 701 Rudolf Brändle, Johannes Chrysostomus, 13.

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Schon am Ende des 13. Jahrhunderts schildert der berühmte Kirchenhistoriker der

Jakobiten, Barhebräus, die Zustände des Patriarchates Antiochien mit folgenden Worten:

„Auch wenn ich Lust zur Patriarchatswürde wie die übrigen Leute gehabt hätte, welche

Sehnsucht danach wäre geblieben, da die Diözesen des Westens längst verwüstet waren!

Etwa Sehnsucht nach Antiochien, wo nur Heulen und Weinen war... oder nach Beröa oder

Mabbug oder Kallinikos oder Edessa oder Haran, welche alle verlassen sind, oder nach den

sieben Diözesen um Melitene, in denen kein Haus geblieben ist?“702

„Was hätte Chytraeus schon Gutes berichten können,“703 wenn auch Salomon Schweigger,

der im Monat Mai des Jahres 1581 in Damaskus beim Besuch bei dem Patriarchen von

Antiochien war, sehr wenig über diese Stadt und ihre Kirchen berichten konnte.704

5.4.2.3 Das Patriarchat von Jerusalem

Der damalige Patriarch von Jerusalem hieß Germanos,705 berichtet Chytraeus weiter, und

in der Heiligen Stadt sollten noch zehn christliche Kirchen übrig geblieben sein. Der

Patriarch hatte seinen Sitz beim Heiligen Grab, wo auch etliche Priester oder Mönche aus

allen christlichen Völkern wohnten, die den Ankommenden jedes Landes den heiligen

Gottesdienst nach dem Brauch ihres Landes hielten.706

Die Stadt Jerusalem wurde von Sultan Selim I., als dieser im Jahr 1516 die Syrer und

Ägypter niedergeschlug und mit seinem Heer von Damaskus durch Jerusalem nach

Ägypten zog, von der Zerstörung verschont, damit fromme und anständige Männer zu Gott

für ihn beteten.707

Die Schlüssel zum Anastasiskomplex sind in den Händen der Türken, die von allen

Pilgern, die das Heilige Grab besichtigen wollen, fünf Dukaten für den Eintritt

702 Zitat nach Rudolf Abramowski, Der Verfall, 14-15. 703 Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 96. 704 Über den Empfang beim Patriarchen schrieb er: „Ich ward von jhm unnd seiner Priesterschafft ehrlich

unnd freundlich gehalten, die schrieben mir auch auff mein begehern in mein Stammbuch...“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 319.

705 Das stimmt genau, denn Germanos war zwischen den Jahren 1543-1579 Patriarch von Jerusalem. Vgl. Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 400. Germanos war ein Grieche von der Peloponnes und war, bevor er Patriarch geworden war, der Abt des Klosters des Heiligen Sava. Während seines Amtes wurde der Hellenismus im Patriarchat von Jerusalem endgültig gefestigt. Vgl. Friedrich Heyer, Kirchengeschichte, 148.

706 David Chytraeus, Oratio de Statu, 24. Ein erster im Abendland veröffentlichter Bericht über die Lage der Christen und der Kirchen in Jerusalem stammte vom Augsburger Katholiken Felix Fabri. Er machte in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts eine Reise ins Heilige Land und nach Ägypten. Seine Reisebeschreibung erschien dann 1557 im Druck. Über Jerusalem: Felix Fabri, Eigentliche Beschreibung, 34 ff.

707 David Chytraeus, Oratio de Statu, 24.

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verlangen.708 Eine andere Kirche ist die Auferstehungskirche, die die Armenier inne haben.

Die Kirche des heiligen Michael wird von den georgischen Mönchen bewohnt, während

die Kirchen des heiligen Jakobus, der heiligen Thekla, des Johannes des Täufers, des

Georgs, des Demetrius und der Katharina nahe am Berg Zion im Besitz der

franziskanischen Mönche sind.709

Chytraeus berichtet danach kurz über die Lage der Christen in Gaza und Bethlehem. Gaza

sei damals noch eine große und bevölkerungsreiche Stadt gewesen, die aber nur eine

einzige christliche Kirche besaß, wo Michael Lebadarius, der wichtigste Berichterstatter

des Chytraeus, zum Bischof geweiht worden war.710

In Bethlehem stünden noch fünfzehn arabische Häuser und genau so viele Häuser der

christlichen Jakobiten, welche noch eine christliche Kirche an dem Ort, wo die Jungfrau

Maria Christus geboren habe, besäßen.711

Solch genaue Informationen stammten, wie Chytraeus selbst bestätigte, von Bischof

Michael von Gaza, der dem Rostocker Humanisten viele Informationen in Bezug auf

Jerusalem, Gaza und Betlehem geben konnte, da er selbst mehr als 10 Jahre im Heiligen

Land gelebt hatte.712

In dem Bericht von Chytraeus vermissen wir Angaben über die altorientalischen Christen,

die am Heiligen Grab wohnten, obwohl der Rostocker erwähnt, daß auch etliche Priester

oder Mönche aus allen christlichen Völkern dort wohnten. Stephan Gerlach (1575)713 und

708 Der Besuch des Heiligen Grabes wird in mehreren Reisebeschreibungen, die am Ende des 16.

Jahrhunderts geschrieben wurden, geschildert. Vgl. Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 292 ff. Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 375 ff. Der Nürnberger Johannes Wild berichtet über den Besuch des Heiligen Grabes durch die Türken, die nicht die Auferstehungskapelle, sondern nur die Stätte der Kreuzigung und der Grablegung besichtigten. Johannes Wild, Reysbeschreibung eines Gefangenen Christen,134-135.

709 David Chytraeus, Oratio de Statu, 24. 710 Ebd., 24-25. 711 David Chytraeus, Oratio de Statu, 25. Stephan Gerlach notiert in seinem Tagebuch im Januar 1575:

„Bethlehem sey jetzunder ziemlich bewohnet von Moren, Maroniten und Jacobiten.“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 80.

712 „Episcopum se à cognato suo Patriarcha Ierosolymae electum esse, Thessalonicensis ille Michael Libadarius, cuius paulò antè mentionem feci, narrabat.“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 25. Zum Inhalt der Unterhaltungen zwischen Michael von Thessaloniki und David Chytraeus berichtet David wieder in dem oben erwähnten Brief aus dem Jahr 1571 an Michael: „Ich erfuhr am meisten über den Zustand der griechischen, syrischen und ägyptischen Kirchen aus deinen Worten. Am höchsten Grade zur Freude wurde mir dein Bericht über die christlichen Kirchen, die noch 10 in der Heiligen Stadt Jerusalem übrig sind.“ David Chytraeus, Epistolae, 294.

713 „Jerusalem stehet ausserhalb der alten Stadt, auff dem Ort da Christus gecreutziget und begraben worden, begreiffet gleichwohl auch einen Theil in sich von dem vorigen Platz. Darinnen wohnen siebenerley Christen, Lateiner, Griechen, Armenier, Kopten oder Kophiten, Maroniten und Jacobiten. Wo der Tempel Salomons gestanden, da stehet jetzt eine Moschea oder Türkische Kirche.“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 79-80

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besonders Leonhart Rauwolff (1575)714 berichten ausführlich über die Kapellen, die diese

Christen dort besaßen. Die Besitzer dieser Kapellen wechselten immer wieder, denn die

Türken verkauften sie ununterbrochen denen, die mehr bezahlten.715

Während Chytraeus von fünf Dukaten für die Besichtigung des Heiligen Grabes spricht,

geben Gerlach716 und Schweigger, der persönlich das Heilige Grab und sogar den

Nachfolger des Patriarchen Germanos im Jahr 1581 besucht hat,717 die Summe von neun

Dukaten für den Besuch des Grabes an.718 Daß aber alle recht haben, erklärt uns Leonhart

Rauwolff, der wußte, daß die Türken einigen Besuchern 2 oder 3 Dukaten abnahmen,

anderen 4 oder 5, aber „uns außländischen, als Italianern, Franzosen, Teutschen 9 Dukaten,

ohne einigen nachlaß...“719

Es sei noch erwähnt, daß nach der Rede des Chytraeus 6 von insgesamt 10 christlichen

Kirchen allein den Franziskanern gehörten.

714 Vgl. Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 414-428. 715 Über einen solchen Fall berichtet Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 381-382. 716 „Wer da das Heil. Grab besehen will, muß den Franciscaner Mönchen neuen Dukaten geben.“ Stephan

Gerlach, Tagebuch, 57. Das galt für das Jahr 1574. 717 Siehe seine Beschreibung dieses Besuches: Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 288 ff. Er redete

mit dem Patriarchen über das Fasten und erzählte ihm über die Sitten und Gebräuche der deutschen Lutheraner.

Sehr interessant in Hinblick auf die Beziehungen zwischen den Lutheranern und den Orthodoxen ist eine bis heute unbekannte Begegnung zwischen dem Nürnberger Johannes Wild und dem Patriarchen von Jerusalem im Jahr 1608. Johannes Wild, gefangener Christ, besuchte mit seinem muslimischen Herrn die Heiligen Stätten von Jerusalem. Dank eines Griechen konnte er dem griechischen Patriarchen von Jerusalem einen geheimen Besuch erstatten. Er selbst berichtet darüber:

„Nach zweyen Tagen kam ich mit einem Griechen in das Griechische Kloster, mit dem ich wol bekandt war, und gute kundschafft gemacht hatte, weil ich zu Jerusalem war und beredet mich mit jhm, wie ich möchte in das Kloster kommen, unvermeldet, er verhieß mir, er wollte mich hinein bringen, ohne gefahr.

Als wir nun hinein kamen, giengen wir zu dem Patriarchen, begrüsten jhn und ich brachte meine gelegenheit für, wie ich ein Gefangener, was Lands unnd Nation ich were, wo ich gefangen und dem Türcken in die Händ kommen, mein fürnemen und Gedancken seyen, mit der Hülff Gottes wider in mein Vatterland zu kommen. Komme derhalben zum Herrn, und bitte, er wolle mir ein kleines Schrifftlein, mir seinem Petschafft ertheilen, zur bekräfftigung, daß ich zu Jerusalem gewesen were und das H. Grab Christi besehen, auff daß, wenn mir der Allmächtig würd wider in mein Vatterland helffen, ich solches auffweisen köndte. Auff solch mein begeren hielte der Patriarch lang Gespräch mit mir, von unsers Landes Art und Sitten und andern dergleichen, der Griech der mich hinein geführt kondte gut Türckisch, dolmetschet jhm was ich sagte. Als er nun lang geforschet, und mich befraget auch sahe mein Andacht gegen Christo, und meinen Eyfer gegen der Christlichen Religion, und daß ichs nicht falsch meynete, ließ er mir alsbald eine kleine Kundschafft schreiben, und versigelt es mit seinem Petschafft, gab mirs und befahl mir ich solt es fleissig auffheben, daß mein Herr nicht darhinder käm, sonst käme er durch mich in groß Unglück, vermahnet mich auch fleissig zum Gebet zu Gott, der würde mich nicht verlassen, welches ich jhm denn bey der Hand verhieß und 2. Ducaten zur Verehrung schenckte, die er auch nam, und dancket mir darumb, ließ darnach ein Wein bringen, da trunken wir und giengen wieder hinauß. Da war ich herzlich fro und dancket diesem Griechen fleissig darumb, daß er mich hatte hinein geführt, schenckt jhm auch ein Trinckgelt. Er verbot mir aber, ich sollte mich bey meinem Herrn nichts vermercken lassen, daß ich wer im Kloster gewesen, sonsten würde es mir und jhm ubel gehen.“ Johannes Wild, Reysbeschreibung eines Gefangenen Christen, 135-136.

718 „Der Stadtvogt kam und den Tempel öffnet, welcher erstlich unsere Namen auffzeichnet, und bey jedem Namen von uns vier teutschen 9. Dukaten empfieng...“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 292.

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5.4.2.4 Das Patriarchat von Alexandrien

Die Stadt Alexandrien, einst eine der bevölkerungsreichsten Städte der Welt, wo vor Zeiten

der Patriarch von Ägypten seinen Sitz gehabt hatte und die berühmteste Kirche und Schule

gewesen waren, sei, so berichtet Chxtraeus, damals verfallen.720 In der Stadt seien „nur

drei christliche Kirchen übriggeblieben, von denen zwei - Heiliger Markus und Heiliger

Michael - den Jakobiten angehörten, und die dritte, Heiliger Saba genannt, von den

griechischen Mönchen (Calogeri) bewohnt wurde.“721 Außerdem werden auch die

Kaufhäuser der Catalaner, Genueser und Venediger, denen sich Kapellen angliedern

durften und in denen täglich für die fremden Kaufleute die Messe gelesen wurde,

erwähnt.722

In Kairo aber, von dem man sagt, es sei die größte und meist bevölkertste Stadt der ganzen

Welt und es habe etliche tausend Moscheen, wohnte der Patriarch von Alexandrien.

Diesem unterstanden nur drei christliche Kirchen: die erste war die Kirche der Heiligen

Maria, an dem Ort, wo sie mit dem Kind Jesus vor der Grausamkeit des Herodes fliehend

von Aphrodisio beherbergt wurde, die zweite war die Kirche des Heiligen Nikolaus, wo

der Patriarch selbst seinen Sitz hat und die dritte die des Heiligen Georg.723

Nachdem zuerst der Grieche Michael Lebadarius Chytraeus über die oben angeführten

Angaben berichtet hat, haben ihm auch andere Männer, die in Konstantinopel „den

Patriarchen Joachimus, einen alten ehrwürdigen Mann, am türkischen Hof neulich gesehen

und mit ihm geredet haben“,724 seinen Bericht bestätigt. Damianus à Goës bestätige auch

das Ansehen des Patriarchen von Alexandrien, als dieser in seinem Buch über die Religion

und den Glauben der Äthiopier zeigt, daß der Patriarch der äthiopischen Kirchen im Reich

des Priesters Johannes, aus dem Kolleg des Patriarchen von Alexandrien erwählt und von

ihm bestätigt wurde.725

719 Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 377. 720 Johannes Wild, der gefangene Christ aus Nürnberg, erzählte in seiner Reisebeschreibung einige Jahre

später: „Diese Stadt wohl groß gewesen, aber jetzunder aller verheeret und verwüstet, und ist nichts besonders mehr allda zu sehen.“ Johannes Wild, Reysbeschreibung eines Gefangenen Christen, 48.

721 David Chytraeus, Oratio de Statu, 25. Salomon Schweiger bestätigt wenige Jahre später die Aussage des Chytraeus: „Die Griechen haben (in Alexandrien) ein Kirchen daselbst zu S. Saba genannt. Es hat auch ein Griechisch Patriarchen Residenz alda, aber er helt sich sonsten stets zu Cairo, weil er den Bascha an der hand hat...“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 253-254.

722 David Chytraeus, Oratio de Statu, 25-26. 723 David Chytraeus, Oratio de Statu, 26. 724 David Chytraeus, Oratio de Statu, 26. 725 David Chytraeus, Oratio de Statu, 26.

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Schon einige Jahre vor 1569 zog das zweite Buch Herodots Chytraeus besonders durch die

darin enthaltene Beschreibung Ägyptens an. In seiner Auslegung suchte der Rostocker

Geschichtslehrer nachzuweisen, wie da und dort die Ausführungen Herodots mit der

Heiligen Schrift und mit der prophetischen Geschichtsdarstellungen übereinstimmten.726

In dieser Rede ging es ihm um den Zustand der christlichen Kirchen in diesem von ihm

geliebten Gebiet der Welt. Seine Angaben in Bezug auf den Verfall der Stadt Alexandrien

wurden auch dieses Mal von den erwähnten Orientreisenden bestätigt. Salomon

Schweigger schrieb 1581 über Alexandrien: „Diese Stadt hat außerhalb ein schönes

Ansehen, aber wenn man nahe hinzu und gar hinein kommt, sieht man nichts anders als

eine Wüste und eine Einöde, denn man findet wenige vollständige Häuser darin, sondern

sie seien durchaus alle fast zerstört...“727 Die Anwesenheit vieler italienischer, englischer

und französischer Kaufleute in Alexandrien trug dazu bei, daß diese Stadt im Abendland

ziemlich gut bekannt war.728

Der dortige Patriarch mußte aufgrund des fortgeschrittenen Verfalls der Stadt sowie der

drohenden Pestepidemie nach Cairo fliehen,729 das als „die gröste und fürnembste

Handelstat in ganz Türkey“ galt, denn „auss India, auss Orient, auss Habetsch, Portugal,

Tyro, Persia unnd Damasco die Wahren und Güter dahin gebracht werden.“730 Der

Patriarch Joachim, den Chytraeus namentlich erwähnt, war schon 1565 oder 1567

gestorben.731 Er war fast 80 Jahre lang Patriarch von Alexandrien gewesen und hatte das

Ansehen eines Thaumatorgos gehabt.732 In der Auflage von 1580 veröffentlichte Chytraeus

sogar eine Bestätigung dieses Patriarchen, der diese im Jahr 1561 einem deutschen

Adligen, Albert von Lewenstein, über den Besuch der wichtigsten Heiligen Stätten des

Sinai ausgestellt hat.733

726 Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 10. 727 Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 251. 728 Johannes Wild konnte 1606 im Hafen von Alexandrien viele Schiffe aus England, Venedig, Frankreich

und Persien sehen. Siehe: Johannes Wild, Reysbeschreibung eines Gefangenen Christen, 48. 729 Siehe: Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 254. Michael Neander, Orbis terrae, 496. 730 Johannes Wild, Reysbeschreibung eines Gefangenen Christen, 55. Über die Zahl der Moscheen in Cairo

gab es damals verschiede Gerüchte: Stephan Gerlach berichtet: „Da erzehlt mir auch der Conterfaiter Peter von der Stadt Cair oder Alcair, daß sie viel grösser sey als Constantinopel und habe bey die 22000 Moßkeen oder Kirchen, in einer jeden Strassen fast eine...“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 301. Johannes Wild schrieb aber: „hat es ettlich hundert Türckische Kirchen zu Alcairo.“ Johannes Wild, Reysbeschreibung eines Gefangenen Christen, 190.

731 Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 401. 732 Siehe: Nicolae Iorga, Byzance après Byzance, 76. 733 Der Text dieser Bescheinigung ist von David Chytraeus im griechischen Originaltext und in lateinischer

Übersetzung unter dem Titel: „Patriarchae Alexandrini Literae testim. Alberto Comiti à Levvenstein datae Anno 1561“ veröffentlicht: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 84-86.

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Die Behauptung, daß der Patriarch der äthiopischen Kirchen aus dem Kolleg des

Patriarchen von Alexandrien erwählt und von ihm bestätigt werde,734 läßt vermuten, daß

Chytraeus nicht wußte, daß der griechische Patriarch den äthiopischen nicht weihen

konnte, da dieser nicht der byzantinischen Kirche im engeren Sinn angehörte.735 Auch

wenn der Rostocker mit dem Patriarchen von Alexandrien den koptischen Patriarchen

meinte, weihte dieser nur den „Abûna“ (unser Vater) der Äthiopier, der nur den Rang eines

Metropoliten und nicht den eines Patriarchen hatte. Erst 1957 wurde die äthiopische Kirche

mit Zustimmung des koptischen Patriarchen zum Patriarchat erhoben, wobei dem

koptischen Patriarchen weiter das Recht der Weihe verblieb.736

5.4.3 Die Darstellung der Kirche der Georgier

Obwohl der Zustand der christlichen Kirchen in Asien um vieles trauriger als in Europa

war, seien doch nach der Rede des Chytraeus „überall im ganzen Orient inmitten der

mohammedanischen Bevölkerung noch christliche Kirchen (wie an einem armseligen

Weinstock noch ein oder zwei Klötze), freilich durch eine gewisse Mannigfaltigkeit und

Verschiedenheit der Lehren und Bräuche unterschieden und in Sekten gespalten.“737

Zuerst wird die Kirche der Georgier dargestellt: Die Georgier seien die alten Einwohner

der alten Länder Iberia und Albania, die sich zwischen dem Schwarzen und dem

Kaspischen Meer befanden und im Süden an die Armenier angrenzten.738 Die Georgier

seien „in 18 Bistümern geteilt, die alle einem einzigen Patriarchen oder „Catholicos“

unterstünden und würden im allgemeinen den griechischen Lehren und Zeremonien

folgen.“739

Sie lobten die Liturgie des heiligen Basilius, aber mit der Anrufung der Heiligen und ihrer

Vermittlung oder Fürsprache bei Gott und ihr Gebet für die Verstorbenen seien sie allzu

unverschämt. Ein Opfer des Leibes und des Blutes Christi für die Gestorbenen aus dem

Purgatorium würden sie aber nicht kennen.740

734 David Chytraeus, Oratio de Statu, 26. 735 Er wiederholt seine Behauptung noch einmal, wenn er über die äthiopische Kirche spricht: „An ihrer

Spitze steht ein Patriarch, der von alexandrinischem Patriarchen, geweiht wird, wie oben gemeldet“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 28.

736 Vgl. Friedrich Heiler, Ostkirchen, 364. 737 David Chytraeus, Oratio de Statu, 21. 738 David Chytraeus, Oratio de Statu, 21-22. 739 David Chytraeus, Oratio de Statu, 22. 740 David Chytraeus, Oratio de Statu, 22.

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Obwohl Chytraeus die georgische Kirche zu den gespaltenen christlichen Kirchen aus

Asien zählt, die sich durch die Verschiedenheit der Lehren und Bräuche unterscheiden,741

wußte er dennoch, daß die Georgier, die sich nach dem Bericht von Leonhart Rauwolff

nach dem Heiligen Georg nannten,742 den sie für ihren Patron und Schutzherrn hielten, „im

allgemeinen den griechischen Lehren und Zeremonien folgen.“743

Der Grund, weshalb der Rostocker Theologieprofessor hinsichtlich der Orthodoxie dieser

Kirche in Zweifel geraten ist, könnte das Wissen von ihrem Schwanken nach dem Konzil

von Chalcedon (451) sein, als sie für einige Zeit den Monophysitismus unter dem Einfluß

der Patriarchen von Antiochien angenommen hatten. Erst gegen Ende des 7. Jahrhunderts

vollzog die georgische Kirche die Rückkehr zur chalkedonischen Orthodoxie.744

Wenn auch der Arzt Leonhart Rauwolff von Augsburg, der sich sechs Jahre nach der

Abfassung der Rede des Chytraeus in Jerusalem befand, behauptete, daß die Georgier

„mehrteils der Lehre und den Irrtümern der Griechen folgen,“745 konnte der berühmte

Ostkirchenkundler Michael Heineccius dennoch im Jahr 1711 mit Sicherheit sagen, daß die

Georgier denselben Glauben mit den Melkiten746 hätten.747

Die Behauptung, daß die Georgier mit der Anrufung der Heiligen allzu unverschämt seien,

trägt einen subjektiven Charakter und kann nicht sachlich beurteilt werden, da Chytraeus

nicht erwähnt, worin diese Unverschämtheit bestehe.

5.4.4 Die Darstellung der altorientalischen Kirchen aus Asien und Afrika

5.4.4.1 Die Kirche der Armenier

Die Armenier hätten nach Chytraeus ihre Wohnsitze von Kappadokien und Cilicien bis

zum Kaspischen Meer und Assyrien hin. Die Religion der Armenier und ihre Riten seien

auch den deutschen Kaufleuten, die in Wilna in Litauen und in Lemberg in Reussen ihren

741 Auch wenn der Rostocker die Wendung „in Sekten gespalten“ verwendet, versteht er darunter die

christlichen Kirchen aus Asien und Afrika nur als abgetrennte christliche Kirchen oder kirchliche Gruppen, die nicht unbedingt als häretisch gelten.

742 Vgl. Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 415. 743 David Chytraeus, Oratio de Statu, 22. 744 Vgl. dazu: Michael Tarchnisvili, Entstehung und Entwicklung, 185-186. 745 Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 415. 746 Ursprünglich sind die chalkedonisch Orthodoxen, die mit dem Kaiser (syrisch „malka“) von

Konstantinopel in Gemeinschaft standen, als Melkiten bezeichnet. Seit dem 17. Jahrhundert ist ein Teil der Melkiten mit Rom uniert. Der Name Melkiten ist heute auf die mit Rom Unierten beschränkt. Siehe: Brockhaus Enzyklopädie, Band 12, 369.

747 Vgl. Mihael Heineccius, Abbildung, I, 70.

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Handel treiben, nicht unbekannt. In diesen beiden Städten hätten diese ihre eigenen

Kirchen und hielten ihre Gottesdienste ab.748

Die Armenier hätten als Haupt ihrer Kirchen einen eigenen Patriarchen, den sie

„Catholicos“ nennen würden. Sie verwenden keine andere Sprache in ihrem Gottesdienst

als ihre einheimische dem Volk bekannte Muttersprache, „eine Sitte, von der wir wissen,

daß sie heutzutage auch noch von den Ruthenen und Moskowitern und den Bewohnern der

Moldau749 und den anderen, dem byzantinischen Patriarchen unterstellten Völkern und den

übrigen Kirchen im Orient und Afrika ausgeübt wird.“750

Die Form der Liturgie der Armenier sei in vielen Elementen gemäß der Einsetzung Christi

und mit den lutherischen Riten in Übereinstimmung. Das Sakrament reichten sie allen

Gläubigen in beiderlei Gestalt und es gebe keine Messe ohne Austeilung der Sakramente,

die von Priestern vorgenommen werde, die verheiratet sind. Die Formel der Worte, die von

den Priestern bei der Austeilung der Sakramente benutzt werde, sei jedoch allen anderen

Formen ungleich.751

Dennoch würden die Anrufung und die Fürbitte der Heiligen und das Opfer für die

Lebendigen und Toten viel ausdrücklicher als in den alten griechischen Liturgien erwähnt.

Zudem fügten sie einige Worte in das Glaubenssymbol ein, die bei den Griechen und

Lateinern nicht Brauch seien, aber gleichwohl den Text und den Sinn des Symbols erklären

würden.752

Die Armenier ließen sich nach 1250 in Galicien nieder, wo sie im Jahr 1363 schon eine

eigene Kathedrale in Lemberg hatten.753 Die Behauptungen des Chytraeus im Hinblick auf

die Lage der Armenier in Litauen und der Ukraine wurden von seinem Freund und

Mittelsmann zum orthodoxen Rußland, Paul Oderbornius, nochmals bestätigt,754 der ihm

am 25. Juli 1581 schrieb, daß die Armenier in einer großen Zahl in Lemberg lebten, wo sie

748 David Chytraeus, Oratio de Statu, 22. 749 In diesem Jahr 1569 waren alle erwähnten Völker unter der kirchlichen Jurisdiktion des ökumenischen

Patriarchen von Konstantinopel. Eine Änderung ereignete sich 1589, als die russische Kirche einen eigenen Patriarchen bekam. Am 26. Januar 1589 wurde der Moskauer Metropolit Iov zum Patriarchen von Moskau und ganz Rußland erhoben. Vgl. Erzbischof German Timofeev, Errichtung, 36-37.

750 David Chytraeus, Oratio de Statu, 22. 751 David Chytraeus, Oratio de Statu, 22-23. 752 David Chytraeus, Oratio de Statu, 23. 753 Denys Guillaume, L’Église arménienne, 255, Anm. 8. Die Armenier hatten am Anfang des 17.

Jahrhunderts einige Handelsonderrechte von Rußland, durch welches der asiatische Handel von Asien nach Europa stattfand, vor den Indern empfangen. Die Begründung dafür war von der russischen Seite, daß sie, obwohl sie Häretiker seien, zumindestens Christen seien. Vgl. Heinrich Nolte, Religiöse Toleranz, 92-93.

754 Am Anfang des 17. Jahrhunderts lebten in Lemberg um die 2500 Armenier. Schon 1616 hatten sie dort eine eigene armenische Druckerei. Siehe dazu: Y. Dachkévytch, L’imprimerie arménienne, 354 und 357 ff.

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sehr schöne Kirchen hätten. Oderbornius habe auch vor, schreibt er Chytraeus weiter,

wenn es ihm seine Arbeit erlauben werde, Lemberg zu besuchen und Chytraeus

ausführlich darüber zu berichten.755

Durch David Chytraeus und kurz danach durch Stephan Gerlach, Salomon Schweigger und

den evangelischen Arzt Leonhart Rauwolff fand in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

eine Wiederentdeckung der Armenier und der armenischen Kirche für die lutherische Welt

Deutschlands statt. Zum einen lenkte shcon Chytraeus die Aufmerksamkeit auf die

wichtigsten Punkte ihrer Lehre, die er nur aus dem Mund glaubwürdiger Männer kannte

und die zum großen Teil mit den Evangelischen übereinstimmten. Zum anderen berichtete

Stephan Gerlach, der persönlich 1576 an ihrer Liturgie in Konstantinopel teilnahm und

danach ein langes Gespräch mit dem Patriarchen der Armenier selbst führte, kurz danach

ausführlich über ihre Lehre und besonders ihre liturgischen Riten und Traditionen.756

Salomon Schweigger wird dieselben Übereinstimmungen mit den Protestanten wie auch

Chytraeus während eines Empfangs bei dem Patriarchen in Konstantinopel finden,757 aber

dennoch konnte er dank eines Gesprächs mit einem armenischen Mönch feststellen, daß

die Armenier die Gotteslästerungen der alten Ketzer vertraten.758 Leonhart Rauwolff, der

die Armenier auch persönlich während einer Orientreise kennengelernt hatte, konnte

ebenfalls behaupten, daß sie sich in den meisten Punkten ihrer Lehre „mehr mit den

Abyssinern, dann den Latinern unnd anderen vergleichen.“759

Das Interesse des Chytraeus an den Armeniern, wie das schon auch bei den Georgiern zu

bemerken war, galt denjenigen Lehren, die im Gegensatz zu den katholischen Lehren

standen. Dennoch bemerkte Chytraeus keine katholischen Einflüsse auf die Armenier, die

doch von Gerlach ganz genau beobachtet werden konnten. Gerlach berichtet, daß sie „den

755 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 231. Ob Paul Oderbornius seinen Wunsch erfüllt hat oder

nicht, ist uns bis heute unbekannt. Er berichtet auch in demselben Brief an Chytraeus, daß er schon vor 1581 einen Brief über die Armenier an Chytraeus geschrieben habe. Dieser Brief ist bis heute unbekannt geblieben. Schon 1570 soll Chytraeus (nach Detloff Klatt, David Chytraeus, 82) eine (mir bis jetzt nicht bekannte) Schrift über die Religion der Armenier veröffentlicht haben, die auch Walter Engels 1940 unbekannt war. Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 280, Anm. 58. Vgl. auch Denys Guillaume, L’Église arménienne, 255.

756 Siehe den Bericht von Stephan Gerlach in seinem Tagebuch: Stephan Gerlach, Tagebuch, 201-204. Darüber berichtet Gerlach auch Martin Crusius in einem Brief vom 4. August 1576. Der Text des Briefes: Martin Crusius, Diarium, I, 406-410. Der Brief ist von Denys Guillaume mit einer französischen Übersetzung und einem Kommentar veröffentlicht. Siehe: Denys Guillaume, L’Église arménienne, 276-285.

757 Vgl. Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 228-229. 758 „Ich mercket, daß unter seiner Mönchsgugel verborgen stecket die greuliche Gottesslesterung der alten

Ketzer: Valentini, Manelis, Marcianis, Cerdonis, Basilidis, Saturnij, Carpocatis und andere jhres gleichen...“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 229.

759 Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 418.

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Papst zu Rom für ihr Haupt,“760 das Filioque und wahrscheinlich auch die

Transsubstantion anerkennen würden.761

Stephan Gerlach konnte dank des persönlichen Umgangs mit den Armeniern bemerken,

daß die liturgische Sprache der Armenier ein bißchen anders als die damals gesprochene

Sprache klänge und nur noch den armenischen Gelehrten bekannt wäre,762 eine

Wahrnehmung, die Chytraeus nicht zugänglich war.

Da Chytraeus in seiner Rede berichtete, daß die Armenier einige Worte in das

Glaubenssymbol von Nicaea einfügten, die bei den Griechen und Lateinern unbekannt

wären,763 teilte ihm später ein Freund, nämlich Paul Oderborn,764 mit, was das für Worte

seien.765

Chytraeus veröffentlichte die Mitteilung des Oderborn über die Hinzufügungen der

Armenier im Anhang der Ausgabe Frankfurt 1583, sofort nach der „Confessio fidei

Aethiopum“: „Wo wir im Glaubenssymbol singen: Und ist Mensch geworden, fügen die

Armenier hinzu: Und ist vollkommener Mensch geworden. Auch: Er ist in den Himmel mit

demselben Leib aufgefahren, woher er kommen wird mit demselben Leib, zu richten etc.

Wir glauben an den Heiligen Geist, der nicht geschaffen, sondern ausgegangen ist. Der hat

durch die Propheten und Evangelisten gesprochen, der ist im Jordan auf Christus

hinabgestiegen, durch den haben die Apostel gepredigt und der wohnt noch jetzt in den

Heiligen etc.

An die Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht der Seelen und Leiber und an das

ewige Leben. Es wird auch der Anhang des Konzils von Nicaea hinzugefügt: Die, die

sagen, daß der Vater war, als der Sohn nicht war etc., solche anathematisiert die

katholische und apostolische Kirche. Endlich schließt der Priester das Glaubenssymbol mit

760 Stephan Gerlach, Tagebuch, 57. Gerlach berichtet 1574 in seinem Tagebuch, daß die Armenier „in ihrer

Messe nur Wein gebrauchen. Das Fest der Geburt Christi halten sie nicht mit uns, sondern erst an dem Fest der Weisen...“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 57.

761 Siehe diese Stellen in dem Bericht des Gerlach an Martin Crusius 1576 bei Denys Guillaume, L’Église arménienne, 279, 281 und 282.

762 Vgl. Denys Guillaume, L’Église arménienne, 276. 763 David Chytraeus, Oratio de Statu, 23. 764 Über ihn und seine Beziehung zu David Chytraeus siehe Kap. 6.4. In einer anonymen Flugschrift des

Jahres 1581, die den Titel trägt: Stephani Poloniae regis literae, quibus res a se in bello Moschico, post captum Vielico Lukum gestas et consilia rerum deinceps gerendarum explicat, et comitia Warsowiensia indicit. Item de legatione Turcici et Tartarici imp. mense Novembri Vilnae audita. Et alia lectu non iniucunda. Anno MDLXXXI, befindet sich einen Brief mit dem Ort und Datum „Caunae XV. Kal. Jan. anno XXC“ ohne Adresse und ohne Unterschrift. In Kowno befand sich aber Paul Oderborn, ein evangelischer Prediger, der in schriftlichem Verkehr mit David Chytraeus stand. Er berichtet im Brief über einen Besuch bei den Armeniern in Wilna, wo er die Zufügungen der Armenier beim Glaubenssymbol erfahren konnte, worüber David Chytraeus selbst in seiner Rede gesprochen habe. Er teilte Chytraeus mit, was er erfahren konnte. Vgl. Richard Hausmann, Studien, 75-76.

765 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 209.

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lauter Stimme: Aber wir loben den, der von Ewigkeit dreifach in Personen und eins im

Wesen war.“766

Durch die Veröffentlichung dieses Teils des armenischen Glaubensbekenntnisses, in dem

die Armenier durch diese Hinzufügungen nichts Anderes versuchten, als sich vor

Doketismus, Arianismus oder anderen auf dem Konzil von Nicaea verdammten Häresien

zu hüten, machte Chytraeus etwas Spezifisches nur für die armenischen Christen bekannt,

was dem Abendland überhaupt nicht bewußt war. Während Chytraeus diese Neuigkeit dem

abendländischen Publikum nur teilweise bekannt machte, wurde sein Werk von Michael

Heineccius hingegen vervollständigt, der 1711 den vollständigen Text des armenischen

Glaubenssymbols in deutscher Sprache veröffentlichte.767

5.4.4.2 Die Kirchen der Nestorianer und der Maroniten

Die Nestorianer:

„Überall in Syrien, Persien und im ganzen Orient sind die Kirchen der Nestorianer

zerstreut, die einem Patriarchen unterstehen, den sie Iacelichus nennen“768, schrieb der

Rostocker in seiner Rede.

Die historischen Daten über Nestorius und die Synode von Ephesus 431 waren Chytraeus

aus dem „Chronicon Carionis“ bekannt,769 aber hier hielt er es nicht für nötig, darüber zu

berichten, sondern versuchte einige Daten über ihren damaligen Zustand zu vermitteln. In

der Zeit um 1569 wußte man im Abendland sehr wenig über die Nestorianer. Die ersten

Berichte über den Zustand der Nestorianer im 16. Jahrhundert und über ihre Lehren und

Geschichte stammen ebenfalls von den bereits erwähnten evangelischen Orientreisenden

Salomon Schweigger und Leonhart Rauwolff, die in ihren Reisebeschreibungen diese

Christen erwähnen.

Der evangelische Arzt aus Augsburg, Leonhart Rauwolff, dessen Beschreibung des Orients

1583 im gleichen Jahr mit der letzte Auflage der Oratio von Chytraeus erschienen ist, läßt

uns über seine theologischen Kenntnisse in Bezug auf die Nestorianer staunen: Sie seien

eine Sekte, die nach Nestorius, einem ketzerischen Bischof von Konstantinopel benannt

sei, die auf dem Konzil von Ephesus verworfen und verdammt worden war, da sie glaubte,

daß „in Christo (seiner Naturen nach) seyen zwo underschiedliche personen, eine der

766 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 209-210. 767 Siehe: Michael Heineccius, Abbildung, I, 89-90. 768 David Chytraeus, Oratio de Statu, 23. 769 Vgl. CR 12, 1019.

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Gottheit, die ander der Menschheit: wollen sie daher mit dem Mahomet nit zulassen, das

die Junckfrau Maria, seye eine Mutter Gottes, sonder ein gebererin Christi nach der

Menschheit.“770

Auch Leonhart Rauwolff bestätigt die Aussagen des Chytraeus, indem er behauptet, daß

die Nestorianer sich damals in Mesopotamia, Chaldaea und Assyria aufhielten und ihr

Oberhaupt „Jacelich“ nannten.771

Was könnten sie mehr über eine Kirche berichten, über die wir wissen, daß sie sich am

Ende des 13. Jahrhunderts in einem katastrophalen Zustand befand? Der nestorianische

Patriarch von damals, Jaballaha III., sandte dem Gesandten des Mongolenkhans einen

Bericht über den Zustand seiner Kirchen, wonach Himmel und Erde weinen müßten, denn

fast alle seine Kirchen seien zerstört.772

Die Maroniten:

„Und an dem Libanongebirge soll es syrische Maroniten geben, die einst Monotheleten

gewesen, jetzt aber als fast einzige in Asien der römischen Kirche gleich sein sollen“773,

berichtet Chytraeus weiter.

Was die maronitische Kirche betraf, war Chytraeus sehr genau informiert, obwohl seine

Angaben zu knapp sind. Ihr Name kommt vom Abt Maron (gest. um 410), dessen

asketische Lebensweise von mehreren Gemeinschaften der Mönche in Syrien im 5.

Jahrhundert aufgenommen wurde.774 Nachdem sie die Entscheidungen des Konzils von

Chalkedon angenommen hatten, lehnten sie danach die Entscheidungen des 6.

Ökumenischen Konzils ab. Seitdem die Maroniten zwischen den Jahren 660 und 685 einen

eigenen Patriarchen wählten, hörte man auf, von den Maroniten als monastischer

Bewegung zu sprechen, und die maronitische Kirche begann als autonome Kirche zu

existieren.775

Nachdem die Maroniten während der Kreuzzüge Unionsverhandlungen mit den Katholiken

begannen, wurde im Jahr 1581 von Papst Gregor XIII. in Rom das maronitische Kolleg

770 Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 420. 771 Vgl. Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 419-420. 772 Siehe einen Teil seines Berichtes bei Rudolf Abramowski, Der Verfall, 15. 773 David Chytraeus, Oratio de Statu, 23. 774 Die asketische Lebensweise der Maroniten wurde auch im 16. Jahrhundert vom Augsburger Arzt Leonhart

Rauwolff bemerkt. Er schreibt darüber in seiner Reisebeschreibung: „Die Maroniten halten ain strengen Orden, essen nimmer flaisch, auch an Fasttagen gar nichts, wed von butter, noch Ayern; behelffen sich ihrer frücht, Bonen, Erbiß, Phaseoln, und anderer dergleichen geringen speysen, Gleichwol lassens den Kauffleuten unnd Bilgramen, so von Tripoli unnd anderen mehr orten zu ihnen kommen, weder an essen noch trincken kein mangel...“ Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 427.

775 Vgl. Michael Breydy, Maroniten, 169-170.

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gegründet.776 Salomon Schweigger und Leonhart Rauwolff wußten genau so gut wie

Chytraeus, daß die Maroniten sich zu der römischen Kirche „Summa Summarum“

hielten777 und daß ihr Patriarch durch den Papst bestätigt wurde.778

Die Syrisch-Maronitische Kirche ist heute die einzige orientalische Kirche, die als Ganze

in voller Gemeinschaft mit Rom steht.779

5.4.4.3 Die Kirchen der Jakobiten und der Kopten

„Viel weiter sind in Asien und Afrika die Jakobiten verbreitet,780 die sich von einem Syrer

namens Jakobus herleiten, der um das Jahr 550 mit einer einzigartigen Geistesschärfe und

hervorragender Beredsamkeit für die Lehre des Eutyches und der Monotheleten781 über die

eine Natur in Christus nach der Vereinigung aufs heftigste gekämpft hat“782, schreibt der

Ostkirchenkundler.

Chytraeus widmet zwei Seiten weiter auch den Kopten aus Ägypten einige Zeilen, die von

ihm als jakobitische Christen bezeichnet werden. Sie seien bis an die benachbarten

Königreiche Äthiopiens verbreitet.783 Diese Christen würden „der Lehre des Eutyches und

des Dioskoros von Alexandrien784 über Christus, daß er aus zwei Naturen (ex duabus) und

nicht in zwei Naturen (in duabus naturis) bestehe, welche um das Jahr Christi 550 von

Jakobus dem Syrer und Johannes Philoponus785 heftig verteidigt wurde, folgen.“786

776 Vgl. Dănuţ Manu, Importanţa Sinoadelor Răsăritene, 51. 777 Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 294. 778 Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 427. 779 „Die Maroniten sind Katholiken.“ Andreas Heinz, Die Heilige Messe, 17. 780 Am Ende des 16. Jahrhunderts unterhielten die syrischen Jakobiten noch 20 Bistümer und der Patriarch

residierte seit der Mitte desselben Jahrhunderts zeitweilig in Amid. Wolfgang Hage, Jakobitische Kirche, 480.

781 Es handelt sich um einen Fehler des Chytraeus, denn Jakobus der Syrer hat für die monophysitische Lehre gekämpft. Jakob der Syrer starb völlig unerwartet auf einer Ägyptenreise im Jahr 578, während der Streit um den Monotheletismus erst im 7. Jahrhundert stattfand. Über das Leben und Werk des Jakob Baradäus siehe: Wolfgang Hage, Jakobitische Kirche, 474-475.

782 David Chytraeus, Oratio de Statu, 23. 783 Seine Aussage wird von Leonhart Rauwolff bestätigt: „Diese verhalten sich in Aegypten fürnemlich unnd

inn anderen umbliegenden Landtschafften.“ Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 422. Dieser merkte auch, daß sich die Jakobiten aus Ägypten „inn vilen Punkten, thails mit den Abyssinis, thails auch mit den Surianern vergleichen.“ Ebenda, 422.

784 Zum Leben, Werk und seiner Rolle in den christologischen Auseinandersetzungen des 5. Jahrhunderts siehe die unveröffentlichte Dissertation von Karam Nazir Khella, Dioskoros I von Alexandrien. Theologie und Kirchenpolitik, Kiel, 1968, 308 Seiten.

785 Johannes Philoponus (ca. 490 - ca.570) war ein Christ aus Ägypten mit neoplatonischer Schulung, der sich in den christologischen Auseinandersetzungen des 6. Jahrhunderts für die Monophysiten einmischte, indem er die Existenz einer einzigen Natur in Christus verteidigte. Er sah in der Zwei-Naturen-Lehre eine unnötige Vermehrung von Wesenheiten. In seinen Schriften: ∆ιαιτητής, De trinitate und De resurrectione, befanden sich eine Reihe häretischer Auffassungen: die drei Personen der Trinität wurden als drei Substanzen und drei Götter betrachtet, wir würden nach der Auferstehung nicht unseren alten

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Diese Christen würden zuerst ihre Kinder beschneiden und sie dann taufen lassen. Darauf

würde ihnen auf Stirn oder Wangen ein Kreuz mit einem glühenden Eisen gebrannt, weil

es geschrieben stehe, daß Christus mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen werde.787

Über die Geschichte der jakobitischen Kirche war Chytraeus besser als über die Kirchen

der Maroniten und Nestorianer informiert,788 und er hielt es für nötig, mehr darüber zu

berichten. Es werden im Folgenden die wichtigsten Persönlichkeiten, die zur Entstehung

dieser Kirche in Syrien und Ägypten beigetragen haben, erwähnt.

Jakob der Syrer oder auch Jakob Baradäus wird von Chytraeus besonders hervorgehoben,

da dem Rostocker Kirchenhistoriker klar war, daß diese Kirche ihre Existenz als

selbständige Kirche dem Lebenswerk dieses Mannes verdankt, der, nachdem er im Jahr

542 zum Bischof geweiht worden war, von 553 bis 566 nach den Angaben seines

Hagiographen Johannes von Ephesus 27 Bischöfe für Kleinasien, Syrien und Ägypten

weihte und ihnen einen eigenen Patriarchen ordinierte.789 Zur Zeit des Chytraeus

unterhielten die syrischen Jakobiten noch 20 Bistümer.790

Neben den wichtigsten geschichtlichen Daten über die vorgestellten Kirchen bot Chytraeus

dem abendländischen Publikum immer wieder auch Kuriositäten. Die Beschneidung der

Täuflinge und das Brennen eines Kreuzes auf die Stirn bei der Taufe waren Merkmale der

koptischen Christen,791 die damals allen Orientreisenden bekannt waren.792

Gegenüber den Aussagen des Chytraeus ist heute zu bemerken, daß die altorientalischen

Kirchen, veranlaßt durch den ökumenischen Dialog des 20. Jahrhunderts, die Christologie

des Eutyches verurteilt haben.793

Leib, sondern einen neuen empfangen und werden keine Menschen mehr sein, denn Menschen seien per definitionem sterblich, etc. Vgl. Richard R. K. Sorabji, Johannes Philoponus, 144-147.

786 David Chytraeus, Oratio de Statu, 25. 787 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 25. 788 Vgl. CR 12, 1020-1021. Da er Vorlesungen über Chronicon Carionis hielt, kann man annehmen, daß

Chytraeus auch seinen Inhalt gut kannte. 789 Vgl. Wolfgang Hage, Jakobitische Kirche, 474-475. 790 Vgl. Wolfgang Hage, Jakobitische Kirche, 480. 791 Franciscus Alvarez bestätigt, daß diese Merkmale auch bei den Äthiopiern im 16. Jahrhundert anzutreffen

sind. Es gab aber einige Unterschiede: die Äthiopier machten ebenfalls ein Zeichen auf Gesicht, Nase oder Augenbrauen, aber dieses Zeichen wurde nicht mit Feuer, sondern durch eine Methode mit Knoblauch, Wachs und Teig imprägniert, so daß danach ein schwarzes Zeichen blieb. Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 117. Alvarez wunderte sich über einen ihm merkwürdigen Ritus bei den Äthiopiern: „Die Äthiopier pflegen (das noch viel mehr zu verwundern) die Weiber sowohl als die Menner zu beschneiden, welches doch im alten Testament nicht gewesen.“ Ebenda, 116.

792 Der Arzt Leonhart Rauwolff schrieb über die ägyptischen Jakobiten in seiner Reisebeschreibung: „Etliche lassen jhre Knäblein beschneiden; andere aber, unnd der mehrerthail, lassen jhre Kindlein mit fewer tauffen, und jhnen an die stürnen oder schläff ain kreuzlein machen...“ Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 421-422.

793 Siehe die Übereinstimmende Erklärung der gemischten Kommission für den theologischen Dialog zwischen der orthodoxen Kirche und den orientalisch-orthodoxen Kirchen, Chambésy, 1990 in: „Pro Oriente“, Band XIV (1992) - Chalzedon und die Folgen, 356.

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5.4.4.4 Die Kirche der Äthiopier

„Über Ägypten und Syene hinaus in dem Gebiet, das die Einwohner heute Guagera

nennen, unter dem Wendekreis des Krebses, in den weiten Reichen der Äthiopier unter

dem Äquator794 gibt es überall blühende christliche Kirchen, deren Grundsteine zuerst von

dem Eunuchen der äthiopischen Königin Candaces, den Philippus taufte, und von den

Aposteln Matthäus und Bartholomäus gelegt worden sein soll,“795 berichtet Chytraeus.

Das größte Reich in diesem Teil Afrikas, das mehr als 40 kleinere Königreiche umfasse,

würde ein sehr mächtiger Fürst regieren, „den seine Untertanen Belulgian, wir aber

verballhornt Praetegian oder Priester Johannes nennen. Dieser bekennt sich ausdrücklich

zur christlichen Religion und hat zur Zeit unserer Väter an Sixtus IV. und später an

Clemens VII. Gesandte geschickt, die einen an Clemens adressierten Brief in Bologna in

Gegenwart Kaisers Karl V. im Jahr 1530 im Januar überreicht haben und von der

Frömmigkeit ihres Praetegian, seiner Vorliebe für die Religion und Kirchen, die in Europa

die christliche Lehre bekennen, und von seinen Bemühungen um die Erhaltung der

Freundschaft und Verbindung mit ihnen Zeugnis ablegten.“796

Die Europäer hätten nicht nur vom Hof, der Macht, der Kriegführung und den tapferen

Taten des Priesters Johannes und von den Sitten jener Völker, sondern auch vom Zustand

ihrer Kirchen und von ihren heiligen Riten erzählt. Die Riten und Zeremonien jener Völker

würden nach der Meinung von Chytraeus „mit den unsrigen großenteils

übereinstimmen.“797 Das könnte jeder Mensch im Abendland aus den gedruckten Formen

der Liturgien, die in Äthiopien im Gebrauch wären und von Franziscus Alvarez in den

Kommentaren zu seiner Gesandtschaft in Äthiopien beschrieben würden,798 überprüfen.799

794 Man kann genauer alle seine Aussagen verstehen, wenn man weiß, daß Chytraeus dieses Gebiet nach der

Landkarte Afrikas beschreibt, die von Franziscus Alvarez am Ende seines Buches über Äthiopien veröffentlicht wurde. Vgl. Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 420.

795 David Chytraeus, Oratio de Statu, 27. 796 David Chytraeus, Oratio de Statu, 27. 797 David Chytraeus, Oratio de Statu, 28. 1548-1549 erschien in Rom die erste Druckausgabe des

äthiopischen Neuen Testaments, die von dem von Jerusalem nach Rom gekommenen Äthiopier Tesfa Sejon zusammen mit anderen äthiopischen Genossen beschafft wurde. Vgl. H. Duensing, Die Abessinier, 102-103.

798 Es handelt sich um die Gesandtschaft des portugiesischen Königs Manoel I., die unter der Leitung von Dom Rodrigo de Lima 1520 in Äthiopien ankam. De Lima wurde auch von Alvarez begleitet, der dank dieser Expedition „das erste zusammenhängende und ziemlich zuverlässige Werk über Äthiopien“ geschrieben hat. Vgl. Ernst Hammerschmidt, Portugiesen in Äthiopien, 308-309. Die Originalausgabe erschien schon 1540: F. Alvarez, Verdadeira Informação das terras do Preste João das Indias, Coimbra, 1540.

799 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 28.

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Die Äthiopier hielten Epistel und Evangelium in der Volkssprache und die Worte der

Konsekration ohne Elevation, und verheiratete Priester würden allen, die in der Kirche

wären, das Sakrament in beiderlei Gestalt reichen.800

An der Spitze aller Kirchen „aus dem ganzen Reich des Priesters Johannes stehe ein

einziger Patriarch,801 der vom alexandrinischen Patriarchen, wie ich gesagt habe, bestätigt

wird.“802 Dieser Patriarch läßt „eine Reihe seiner Stammgenossen, welche wir allgemein

Abessynier nennen, stets in Jerusalem erziehen und jedes Jahr schickt er auf seine Kosten

einige dorthin, die von den dortigen Verhältnissen eine sichere Kunde in die Heimat

bringen. Diese machen auch bisweilen der Religion halber einen Abstecher bis nach Rom,

wo sie im Vatikan ein eigenes Haus und eine eigene Kirche haben und ihren Gottesdienst

nach väterlicher Sitte feiern.“803

Chytraeus gesteht am Ende des Abschnittes über die äthiopischen Kirchen, daß er alle

diese Kenntnisse über die Äthiopier von zwei glaubwürdigen Männern besaß, die mit den

Untertanen des Priesters Johannes in Jerusalem in sarazenischer Sprache geredet und

danach ihm selbst in Wien erzählt haben. Seine Angaben würden auch mit den Historien

von Sabelicus und Jovius übereinstimmen. Darüber zeuge auch Damianus von Goes, der

von den Legaten des Priesters Johannes an den König von Portugal, im Jahr 1534, in

Lissabon über den Glauben, die Religion und die Sitten der Äthiopier unterrichtet

wurde.804

Nachdem das christliche Äthiopien in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts um Sein oder

Nichtsein gekämpft hatte, konnte es dank des Eingreifens der Portugiesen davor bewahrt

werden, zu einer Provinz des islamischen Herrschaftsbereiches zu werden.805 So waren die

800 Vgl. ebd. 801 Der von den Äthiopiern selbst mir dem Begriff „Abûna“ (unser Vater) bezeichnete Hierarch hatte nur den

Rang eines Metropoliten. Erst 1957 wurde die äthiopische Kirche mit Zustimmung des koptischen Patriarchen zum Patriarchat erhoben. Dem koptischen Patriarchen verblieb noch das Recht der Weihe. Vgl. Friedrich Heiler, Ostkirchen, 364.

802 David Chytraeus, Oratio de Statu, 28. 803 Ebd. Diese Aussage wird vom Jesuiten Antonius Possevinus in seiner ersten Streitschrift gegen Chytraeus

bestätigt. Die Äthiopier wären nach Rom gekommen, sagt Possevinus, „ubi et in Vaticano (quod verum est) proprium cum domo templum habent.“ Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 45b.

804 David Chytraeus, Oratio de Statu, 28-29. 805 Vgl. Getatchew Haile, Äthiopien, 892-893. Ernst Hammerschmidt, Portugiesen in Äthiopien, 306. Noch

am Anfang des 17. Jahrhunderts wurden Christen aus Äthiopien, die von den Moslems gefangen genommen waren, in Mecca verkauft. Darüber berichtet der Nürnberger Johannes Wild in seiner Reisebeschreibung: In Mecca werden auch Christen aus Abyssinien verkauft, „die wir nennen deß Priester Hansen Volck“. Diese Habischi, so nennen die Türken diese Christen aus Äthiopien, „werden erst beschnitten, wann man sie gefangen hat... und werden zu Mecha umb ein rechtes Gelt gekaufft, aber hernach zu Alcairo gar theur verkaufft.“ Johannes Wild, Reysbeschreibung eines Gefangenen Christen, 74.

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Abyssinier im 16. Jahrhundert das einzige christliche Volk, das im näheren Orient und in

Afrika der islamischen Invasion widerstehen konnte.806

Was die äthiopische Kirche betrifft, mußte Chytraeus dem Portugiesen Franciscus Alvares

den Vorrang einräumen, der schon 1540 eine ausführliche Beschreibung der Bräuche,

Lehren, Sitten und Traditionen dieser Kirche veröffentlicht hatte,807 die 1567, also zwei

Jahre vor der Beschreibung des David Chytraeus, in deutscher Übersetzung in Eisleben

erschienen war.808 Obwohl die theologischen Kenntnisse von Alvarez nicht sehr groß

gewesen zu sein schienen,809 mußte er jedoch mit Sorgfältigkeit über die Riten und die

Bräuche der äthiopischen Kirchen berichtet haben.810

Die Beschreibung des Franziscus Alvarez scheint die wichtigste Quelle des Chytraeus für

den Abschnitt der Rede bezüglich der äthiopischen Kirche zu sein, obwohl er als Quellen

noch zwei glaubwürdige Männer und seit der Auflage 1580 auch Damianus von Goes als

Zeuge für seine Behauptungen anführt.

Wenn man die Beschreibungen von Franziscus Alvarez und David Chytraeus aufmerksam

betrachtet, kann man feststellen, daß Chytraeus eine ganz kurze Zusammenfassung der

Beschreibung von Alvarez bietet.811 Zumindest die Abschnitte über die geographische

Lage Äthiopiens, über die Beziehungen der Äthiopier zu den Katholiken, über die nicht

kirchlichen Zustände im Reich des Presbieters Johannes und über die mit den

806 Vgl. Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 97. 807 Die Originalausgabe: F. Alvarez, Verdadeira Informação das terras do Preste João das Indias, Coimbra,

1540. Zu nennen wären auch zwei deutsche Pilger, Felix Fabri und der Ritter Grünemberg aus Konstanz, die am Ende des 15. Jahrhunderts die Äthiopier in Jerusalem beobachtet und ihre Riten beschrieben haben. Vgl. H. Duensing, Die Abessinier, 103. Der Bericht des Ritters Grünemberg ist von Duensing wiedergegeben: Siehe: Ebenda, 104. Es scheint, daß diese Berichte dem Chytraeus nicht bekannt waren.

808 Die deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel: Kurze und Warhafftige Beschreibunge aller gründlichen erfarnuß von den Landen des mechtigen Königs in Ethiopien, den wir Priester Johann nennen. Auch von seinem Geistlichen und Weltlichen Regiment, wie den solchs durch das Königreich Portugal, mit besonderm fleiß erkündigt und das durch den Herren Franciscum Aluares beschrieben, welcher sechs Jar in Priester Johans Hofe verharren müssen. Das auch mit grossem fleiß auß Portugalischer und Italienischer Sprach ins Teutsch gebracht, sehr nützlich und dienstlich jederman, der über Wasser und Land rheiset zu lesen, durch D. Joachim Heller. Zu den französischen Übersetzungen des Werkes von Alvarez im 16. Jahrhundert: Jean Doresse, L’Empire du Prêtre-Jean, II, 348-349.

809 Der Cambridger Historiker A. H. M. Jones gibt ein amüsantes Beispiel im Bezug auf die Debatten um das Konzil von Nicaea: „Alvarez... knew nothing about the Council of Nicaea except that it was held under the presidency of Pope Leo and formulated the Nicene Creed – neither of which assertions is true.“ Ernst Hammerschmidt, Portugiesen in Äthiopien, 308.

810 Alvarez selbst kündigt am Anfang der Äthiopienbeschreibung an, daß er nicht nur die Landschaften dieses Landes beschreibt, „sondern auch derselben Völker sitten und gewonheiten und wie weit sie sich jhres Glaubens und Ceremonien halben mit uns Christen vergleichen, daran ich doch nichts weder loben noch schelten, sondern dasselbige alles einem jeden verstendigen zu urteilen will heimgestelt haben.“ Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 71.

811 Während die Beschreibung des Alvarez mehr als 400 Seiten 2° hatte, beschränkt sich die von Chytraeus auf 3 Seiten 8°.

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evangelischen übereinstimmenden Riten der Äthiopier wurden von Alvarez

übergenommen.812

Es ist aber dabei zu fragen, ob der Rostocker die Äthiopienbeschreibung des Alvares

direkt, oder nur dessen Bearbeitung durch Paolo Giovio in seinem Werk „Historia sui

temporum“ (Florenz, 1550) verwendet hat.813 Die Tatsache, daß Chytraeus eine kurze

Beschreibung der äthiopischen Kirche schon 1568814 in seiner Auslegung der Offenbarung

anbietet,815 erlaubt uns den Schluß zu ziehen, daß dort die Darstellung des Paolo Giovio

zugrunde liegt.816 Es ist aber möglich, daß Chytraeus bei der Verfassung der Oratio auch

das schon ins Deutsch übersetzte Werk des Alvarez kannte.

Ein Zeichen dafür, daß David Chytraeus das katholische Element aus seiner Rede immer

verdrängt hat, ist in dem Abschnitt über die Gesandtschaft des äthiopischen Königs Lebna

Dengel (1508-1540) an König Manuel I. von Portugal und an Papst Clemens VII. zu

finden.817 Chytraeus erwähnt den Brief des äthiopischen Königs an Papst Clemens VII., in

dem sich der König nach der Darstellung des Chytraeus „ausdrücklich zur christlichen

Religion bekenne und von der Frömmikeit ihres Praetegian, seiner Vorliebe für die

Religion und Kirchen, die in Europa die christliche Lehre bekennen, und von seinen

Bemühungen um die Erhaltung der Freundschaft und Verbindung mit ihnen Zeugnis

ablegen würde.“818

812 Die Darstellung des Alvarez hinsichtlich der liturgischen Riten der Äthiopier ist viel ausführlicher:

Beschreibung des eucharistischen Gottesdienstes der Äthiopier bei Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, S. 92-95. Auch bei Alvarez sind alle Aussagen des Chytraeus hinsichtlich der mit den evangelischen übereinstimmenden Riten der Äthiopier: Alle die vom Leib kommunizieren, kommunizieren auch vom Blut S. 93; Das Brot „hebt er aber nicht auff in die höhe wie wir.“ S. 94; den Kelch „hebt er auch nicht auff unnd spricht gleicher weis die wort darüber in seiner sprach.“ S. 124; Die Priester dürfen nur einmal heiraten. S. 124. Die Kinder der Priester werden Priester, weil keine Schule da war. Niemand durfte vor einer Kirche reiten, sondern stieg ab und ging zu Fuß. Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, S. 124.

813 Vgl. T.C. Price Zimmermann, Paolo Giovio, 130. 814 Die erste lateinische Ausgabe der Auslegung der Offenbarung des Johannes erschien 1563 in Wittenberg.

Vgl. Thomas Kaufmann, Die Rostocker Theologieprofessoren, 628. Ob sich schon in dieser Erstausgabe der Schrift der Abschnitt über die äthiopische Kirche befindet, ist mir nicht bekannt, da mir diese Auflage unzugänglich war.

815 Vgl. David Chytraeus, Auslegung der Offenbarung, Aaijv-Aaiij. 816 Das Werk des Alvarez erschien erst 1567 in deutscher Übersetzung. Daß Chytraeus die portugiesische

Ausgabe von Coimbra 1540 kannte, mag eher unwahrscheinlich sein. 817 Wie es zu dieser Gesandtschaft gekommen ist und zum politischen Kontext siehe: Ernst Hammerschmidt,

Portugiesen in Äthiopien, 308-309. 818 David Chytraeus, Oratio de Statu, 27.

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Wenn man aber den Bericht des Alvares,819 der auch 1530 in Bologna anwesend war, und

die beiden Briefe des äthiopischen Königs an Papst Clemens VII., die als Anhang zu der

Beschreibung von Alvares veröffentlicht wurden,820 näher betrachtet, kann man feststellen,

daß der äthiopische König in den beiden Schreiben seinem Gehorsam gegenüber Papst

Clemens VII. Ausdruck gibt, um dessen Segen bittet und ihm erzählt, was die Äthiopier

glauben und mit welchem Kampf sie diesen Glauben bewahrt haben und noch

bewahren.821

Daraus wird ersichtlich, wie Chytraeus in seiner Rede versuchte, alles was zu Gunsten der

katholischen Seite erscheinen könnte, zu verdrängen, indem er sogar in diesem Fall die

historische Realität falsch darstellte. Ebenfalls ist daraus zu schließen, daß dieses Werk des

Chytraeus nur aus dem reformatorischen Kontext Deutschlands im 16. Jahrhundert her und

aus der Kritik der deutschen Reformatoren am Papstum zu beurteilen ist.

Die Beziehungen der Äthiopier zu Jerusalem und Rom, die von Chytraeus erwähnt werden,

sind ebenfalls von den Zeitgenossen und heutigen Forschern für jene Zeit bestätigt.822

Besonders Anfang des 16. Jahrhunderts erfolgte wegen der türkischen Eroberung eine

wirkliche Zerstreuung der äthiopischen Gemeinde von Jerusalem, da die Türken das

819 Der Bericht über das Treffen von 1530 trägt den Titel: „Die huldigung und gehorsam so Herr Franciscus

Alvares in namen und als ein botschaffter des mechtigen Herrn Davids Königs in Ethiopia dem Bapst Clementi dem VIJ. Zu Bononia offentlich geleistet.“ Sein erster Abschnitt lautet: „Im Jar 1533. im Monat Januario, wie beyde oberste Haupter der Christenheit, nemlich Bapst Clemens der VIJ. Und Keyser Carol der V. zu Bononien beyeinander semptlich waren, wurde Don Martin von Portugal des Königs Johansen in Portugal freund, Rath und botschafft, zu Bäpstlicher Heiligkeit des andern mals aus Portugal abgefertiget, der nam mit sich den Franciscum Alvarez, des mechtigen Herrn König Davids aus Ethiopien botschaffter, den man in gemein Priester Johan nennet, welcher von hochgedachtem König an den Bapst abgefertiget war, S. H. neben seinem gebürenden grus und reverentz, die schuldige und billiche gehorsam unnd huldigung zu leisten, so andere Christliche König gewönlichen S. H. zuleisten pflegen (s.n.)...“ Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 421.

820 Die zwei Schreiben des Königs von Äthiopien an den Papst Clement den VII. sind in deutscher Sprache bei: Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 435-443 veröffentlicht. Danach folgt eine Antwort des Sekretärs des Papstes. Ebenda, 443-444.

Die Portugiesen erneuerten ihren Druck auf den jungen König Claudius (1540-1559), daß er die äthiopische Kirche Rom unterstelle. Die Katholiken drängten weiter bis sie bei Susenios (1607-1632) ein offenes Ohr fanden, um Hilfe von den Europäern gegen den Druck der islamischen Länder zu bekommen. Er ließ sich katholisch taufen und befahl seinen Untertanen das gleiche. Die Gläubigen weigerten sich jedoch, dem Befehl des Kaisers zu gehorchen. Vgl. Getatchew Haile, Äthiopien, 893.

821 Der König bat im zweiten Brief an den Papst alle Kriege zwischen den christlichen Königen in Europa abzustellen. Alle Christen sollten wie Brüder zusammenhalten.

822 Da viele äthiopische Pilger nach Jerusalem zogen, bekamen dort die Äthiopier um 1187 ein eigenes Kloster. Vgl. H. Duensing, Die Abessinier, 101. Abgesandte dieses Königs kamen 1441 zum Konzil von Florenz. Vgl. Ernst Hammerschmidt, Portugiesen in Äthiopien, 306. Über die Anwesenheit der Äthiopier in Jerusalem berichtet auch Leonhart Rauwolff, der sich 1575 in Jerusalem aufhielt. Er bestätigt, daß damals die Äthiopier durch ihr Gemach einen besonderen Eingang zu dem Berg Calvariae hatten, so daß sie unverhindert heraus- und hereinkommen konnten. Der Arzt aus Augsburg schildert in seiner Reisebeschreibung eine kurze Geschichte der Äthiopier und berichtet über ihre religiösen Bräuche und Riten. Vgl. Leonhart Rauwolff, Aigentliche Beschreibung, 422-426. Seine Angaben sind reicher als die von Chytraeus, stimmen aber mit denen von Chytraeus überein. Den Hinweis auf diese Beschreibung der äthiopischen Kirche im 16. Jahrhundert verdanke ich Herrn Prof. Dr. Friedrich Heyer.

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dortige äthiopische Kloster ruinierten. Den nach Rom geflüchteten äthiopischen Mönchen

wurde die Kirche Heiliger Stephan vom Vatican gegeben, die danach den Namen „San-

Stefano-dei-Mori“ trug.823

Auch die seit den Kreuzfahrerzeiten im Abendland verbreitete Sage vom Priesterkönig

Johannes wird von Chytraeus korrekt gedeutet: Es handelt sich nicht um einen geistlichen,

sondern um einen weltlichen Herrscher.824 Das Gerücht über einen christlichen König, der

zugleich Priester sei und den Namen Johannes trage, verbreitete sich in Europa seit der

Mitte des 12. Jahrhunderts. Man sah ihn als Besieger der Mohammedaner und als

Bundesgenossen der Kreuzfahrer.825 Während der Jahrhunderte zog die Legende über

diesen Priester, dessen Herkunft man von den Weisen aus dem Morgenland herleitete,826

von Asien nach Afrika, so daß er im 16. Jahrhundert mit dem einzigen christlichen König,

der noch im Orient gegen die Mohammedaner kämpfte, dem König von Äthiopien,

identifiziert wurde.827

Doch damit endet die Beschäftigung des Rostocker Theologieprofessors mit der

äthiopischen Kirche nicht, denn er wird, beginnend mit der Auflage von 1580, ein

ausführliches Glaubensbekenntnis dieser Kirche veröffentlichen.828

5.4.5 Der Kenntnisstand und die Stellung des Chytraeus zu Lehren, Kultus und Frömmigkeit der byzantinischen Kirchen

Aus dem Horologion, das sich Chyrtaeus von einem gewissen Cyprier aus Wien

verschaffte, habe er bemerkt, daß die Anrufung und die Verehrung der Heiligen und in

823 Siehe zu Einzelheiten: Jean Doresse, L’Empire du Prêtre-Jean, II, 209-210 und 279. 824 Vgl. auch Friedrich Heyer, David Chytraeus als Erforscher, 143. 825 Vgl. Gustav Oppert, Presbyter Johannes, 1 ff. Über die Geburt der Legende über den Presbyter Johannes

siehe auch: Franz Kampers, Werdegange, 114-115. Vorrede und historischer Bericht vom Herkommen des Namens Priester Johann. 5 Seiten bei Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge.

826 Vgl. Gustav Oppert, Presbyter Johannes, 14-17. 827 Vgl. Jean Doresse, L’Empire du Prêtre-Jean, II, 212 ff. In der Vorrede bei der deutschen Übersetzung der

Beschreibung von Franciscus Alvarez wird sogar ein Sprichwort wiedergegeben, das bei den Deutschen im 16. Jahrhundert im Gebrach war: „da einer ein glückliche Reiss vollbringet, das man sagt, er sei so sicher daher gezogen, als ob er in Priester Johans Land gewesen.“ Siehe: Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, Vorrede, 1.

1.1.1 828 Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 195-210. Herr Prof. Dr. Friedrich Heyer, David Chytraeus als Erforscher, 141 schrieb, daß infolge des Briefwechsels zwischen Chytraeus und Stephan Gerlach „ein Bericht von 13 Seiten über die äthiopische Orthodoxie in des Chytraeus Hand gelangte.“ Ein solcher Bericht ist mir bis jetzt unbekannt. Der Verfasser weist auch auf keine Quelle für diese Behauptung hin. Wenn er an das Glaubensbekenntnis der äthiopischen Kirche, das hier erwähnt wurde und das 15 Seiten in der Auflage Frankfurt 1583 zählt, gedacht hat, stimmt das nicht, denn dieses Glaubensbekenntnis übernahm Chytraeus selbst aus einer Veröffentlichung dieses Werkes in Köln 1574. Vgl. dazu Kap. 6.6.

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erster Reihe der abergläubische Kultus der Jungfrau Maria, in jener Zeit in Griechenland

nicht weniger als im Bereich der römischen Kirche, in Blüte ständen.829

Obwohl die Griechen einen abergläubischen Kultus hätten, wären bei ihnen dennoch mehr

(als bei den Katholiken) „von den alten und reineren Lehren und Riten der Kirche übrig

geblieben.“830 Das könne man sowohl aus ihren Liturgien, als auch aus den Berichten

einiger glaubwürdiger Männer feststellen: „Bei ihnen pflegt man weder Privatmesse ohne

Kommunikanten zu feiern, noch wird in ihrem Kanon auch nur die geringste Erwähnung

dessen getan, daß das Opfer des Leibes und des Blutes Christi zur Erlösung der Lebenden

und Toten dargebracht wird, sondern man feiert eine „logiké latreía“ mit Bitten,

Danksagungen und Lobpreisungen Gottes und Almosen, die man vornehmlich für den

Gebrauch der Armen darbringt, wie aus den Worten des Kanons hervorgehe: „Wir bringen

Dir das Deine vom Deinigen dar und Dich loben wir in allen, Dich preisen wir, Dir danken

Wir und Dich flehen wir an, unser Gott.“831 Außerdem würde das ganze Sakrament in

beiderlei Gestalt auch dem Volk gereicht, und verheiratete Männer seien vom Priesteramt

nicht ausgeschlossen. Dennoch ist in anderer Hinsicht "das meiste übrige alles nicht

weniger als bei den Päpstlichen voll von Aberglauben, wie ich verstehe.“832

Der höchste Gottesdienst für den größten Teil des Volkes und der Priester bestehe bei den

Griechen in der Anbetung (in cultu) der Jungfrau Maria und der Bilder, die nicht

geschnitzt, sondern nur gemalt sind. Sie verließen sich nicht nur auf die Fürbitte der

Heiligen, sondern auch auf ihre Verdienste (meritis) und Hilfen. Und Beispiele solcher

schändlichen und abgöttischen (idolatricae) Fürbitten würden nicht nur täglich in ihren

Kirchen gesehen, sondern seien auch in den Gebetbüchern der Griechen, in den Horen (in

singulis Horis), vorgesehen.833

Um die Anbetung der Jungfrau Maria zu verdeutlichen, zitiert Chytraeus wörtlich in

griechischer Sprache und lateinischer Übersetzung ein Troparion aus dem

Mitternachtgottesdienst,834 ein Troparion aus dem Orthros835 und den Schluß eines

829 David Chytraeus, Oratio de Statu, 14. 830 Ebd. 831 In den griechischen Liturgien des Heiligen Basilius und des Heiligen Johannes lautet der vollständige

Text, der unmittelbar vor der Epiklese vom Priester gesprochen wird, an dieser Stelle: „Bringen wir dir dar das Deine vom Deinigen, für jedes und wegen allem.“ Der Chor antwortet: „Dich besingen wir, dich preisen wir, dir danken wir Herr, und wir bitten dich, unser Gott.“ Darauf folgt die Epiklese, aus deren Gebet Chytraeus oben den geistigen Dienst der Griechen zitierte: „Auch bringen wir dir diesen geistigen und unblutigen Dienst dar, etc.“ Siehe: Die Göttliche Liturgie, 132-133.

832 David Chytraeus, Oratio de Statu, 14. 833 David Chytraeus, Oratio de Statu, 14-15. 834 Im Mitternachtgottesdienst der byzantinischen Ostkirche, der von Montag bis Freitag gefeiert wird,

werden nach der Lesung einiger Psalmen und des nizäischen Glaubensbekenntnisses drei Troparien gesungen. Sie werden durch die Lobpreisung „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen

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Troparions aus dem Morgengebet,836 das morgens nach dem Schlafen für alle Gläubigen

zu Hause vorgesehen ist und mit der Wendung endet: „Gott Du bist heilig. Um der

Gottesmutter willen erbarme Dich unser.“837

Weiter zeigt Chytraeus durch die Wiedergabe eines anderen Gebetes an die Gottesmutter,

das von allen Griechen singend vorgetragen werde, wie abergläubisch diese nicht nur die

Heiligen im Himmel, sondern auch ihre Bilder verehrten.838

"Was die Rechtfertigungslehre betrifft, so führen sie meistens das Wort von Basilius im

Mund, wie ich mir sagen ließ, das in der Predigt über die Buße steht: >>Habe nur Willen

und Gott kommt dir zuvor. Was ist gerecht vor dem gerechten Gott? ... Die Waagschalen

mögen es abwägen; und mit welcher Maße wir gemessen haben, wird er auch uns messen;

wenn die Sünden überwiegen, der wird nicht gerecht sein; wenn aber bei einem die guten

Werke überwiegen, der ist gerecht<<“.839

Eine solche Auffassung schaffe nach der Meinung des Rostocker Theologieprofessors die

Lehre vom Glauben, der sich allein auf die Gerechtigkeit des für uns gekreuzigten und

auferstandenen Christus verläßt, ab und lenke die elenden Gewissen zur Verzweiflung. Sie

bezeuge auch, daß die rechte Lehre des Evangeliums von gnädiger Vergebung aller

Sünden und von der Gerechtigkeit des Glaubens, die wir allein durch den Verdienst des

Gottessohnes von Gott empfangen, bei ihnen von gesetzlichen und philosophischen

Meinungen verdunkelt sei.840

Im allgemeinen hätten die Griechen keine Abneigung gegenüber der scholastischen

Theologie, und das werde daraus ersichtlich, daß sie die Bücher des Thomas von Aquin

und besonders die „Summa“ ins Griechische übersetzt hätten und mit großer Bewunderung

seine spitzfindigen und feinsinnigen Abhandlungen fleißig läsen.841

Geiste“ und „Jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ getrennt. Das dritte Troparion ist immer der Gottesmutter gewidmet. Das dritte Troparion von dieser ersten Reihe ist das, was Chytraeus wörtlich zitiert. Siehe den Text des Troparion bei David Chytraeus, Oratio de Statu, 15. Vgl. auch ΤΟ ΜΕΓΑ ΩΡΟΛΟΓΙΟΝ, 42.

835 David Chytraeus, Oratio de Statu, 15. ΤΟ ΜΕΓΑ ΩΡΟΛΟΓΙΟΝ, 63. Es geht um das erste Troparion aus dem Orthros, das der Gottesmutter gedenkt und sofort nach der Lesung der Psalmen 19 und 20 (LXX) gesungen wird.

836 David Chytraeus, Oratio de Statu, 15-16. ΙΕΡΑ ΣΥΝΟΨΙΣ ΚΑΙ ΤΑ ΑΓΙΑ ΠΑΘΗ, 20. 837 David Chytraeus, Oratio de Statu, 15-16. 838 Dieses Hymnus lautet in deutscher Übersetzung: „O du Mutter Gottes, du höchste Königin über alles,

deren sich alle Rechtgläubigen rühmen, mache die Angesichte und die Hofart der Ketzer zu Schanden, die dein würdiges Bild, Allheilige, nicht ehren und vor ihm niederfallen.“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 16.

839 David Chytraeus, Oratio de Statu, 16. 840 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 16-17. 841 Vgl. ebd., 17.

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Hierauf geht David Chytraeus auf die östlich-orthodoxe Liturgie ein. Er habe verstanden,

daß es die Meinung über den Opfercharakter der Liturgie bei den Griechen gibt, und daß

sie die Messen für Geld kaufen, die des Basilius für zwei Dukaten und die des

Chrysostomus um etliche Groschen.842

Chytraeus lobt anschließend die Liturgie des Basilius,843 die „um vieles reiner und schöner

sei als die anderen.“844 In dem Kanon seiner Liturgie dankt Basilius Gott mit herrlichen

Worten „für alle Wohltaten, von Anfang der Welt an und bis zur Begründung der Kirche,

und besonders für die Erlösung des menschlichen Geschlechtes durch den Sohn Gottes, der

für uns geboren ist, gelitten hat, gestorben und auferstanden ist.“845 Derselbe Kanon erzählt

auch „über die Einsetzungsworte des Abendmahls, das ein Gedächtnis seiner Wohltaten

sein wolle, und bittet über die vorgesetzten Gaben von Brot und Wein, die vom Volk

geopfert werden, daß diese Abbilder (antitypa) des Leibes und des Blutes Christi von Gott

geweiht werden und daß die Teilnehmer sie würdig empfangen und daß sie Barmherzigkeit

und Gnade vor Gott, in der Gemeinschaft aller Heiligen Väter, Propheten, Apostel, der

Jungfrau Maria, Johannes des Täufers, etc. erlangen.“846 Dieses Opfer wird danach gemäß

der Liturgie von Basilius „für die universelle Kirche, für die, die Almosen bringen, für den

Kaiser, für das ganze Volk, für die gemeine Wohlfahrt, für den Erzbischof, für alle

Kirchendiener, für fruchtbare Zeiten, für die Ausrottung der Ketzereien und Spaltungen,

dargebracht und endlich, daß alle mit einem Herzen und mit einem Mund Gott den Vater,

den Sohn und den Heiligen Geist in alle Ewigkeit preisen.“847

842 Vgl. ebd. 843 Chytraeus kannte die Schriften der alten Väter der Kirche ziemlich gut. Er empfahl seinen Studenten,

deren Schriften unbedingt zu konsultieren. Als wichtige Kirchenlehrer der alten Kirche nannte der Rostocker Theologieprofessor die folgenden: Justin den Märtyrer, Irenaeus, Tertulian, Clemens von Alexandreia, Origenes, Cyprianus, Lactantius, Atanasius, Ilarius von Poitiers, Basilius, Gregorius.

Über Basilius schreibt Chytraeus in einem anderen Werk: „Basilius, episcopus Caesarae metropolis Cappadociae, circa annum Christi 380 orthodoxam sententiam de trib. Personis et de filii et spiritus sancti divinitate et omoousia cum aeterno Patre, contra Eunomium et pneumatomachos propugnavit: et eruditißima enarratione exaemeron seu primum caput Genesis exposuit.

Nullus est autem inter omnes patres, Graecos et Latinos, quorum extant scripta Basilio eloquentior, ex cuius sanctißmo pectore et omnium disciplinarum cognitione instructo, emanat naturali quodam et suavi et inaffectato fluxu, oratio, omnibus ferè numeris absoluta, sana, simplex dilucida, gravis et tamen suavis et singulari figurarum et ornamentorum delectu expolita, ut omnibus eruditis admiranda et simul tamen imperitioribus perspicua sit, nec unquam satietatem adferat legenti. Quare hunc scriptorem prae caeteris, amantes piae doctrinae er verae eloquentiae diligenter cognoscent.“ Davidis Chytraei, Oratio de studio Theologiae, C 4v – C 5.

844 David Chytraeus, Oratio de Statu, 17. 845 Ebd. Siehe das ganze Dankgebet der Anaphora aus der Basiliusliturgie in griechischer und deutscher

Sprache: Die Göttliche Liturgie, 202-211. 846 David Chytraeus, Oratio de Statu, 17-18. Vgl. Die Göttliche Liturgie, 211-215. 847 David Chytraeus, Oratio de Statu, 18. Vgl. Die Göttliche Liturgie, 215-221.

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Nachdem dieses Gebet, die Litaneien und „Vaterunser“ beendet worden sind,

„kommunizieren alle, und während das Brot und die Almosen, die vom Volk geopfert

worden sind, in die Sakristei getragen werden, danken der Diakon und das Volk Gott mit

gewöhnlichen Worten.848

Die endgültige Bewertung dieser Liturgie lautet: „Es geschieht in dieser Liturgie überhaupt

keine Erwähnung über die Darbringung des Leibes und des Blutes Christi und noch viel

weniger über den Loskauf der Lebenden und der Toten durch dieses Werk oder über die

Anwendung für andere.“849

Chytraeus kommt des weiteren auf die Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomus zu

sprechen. Obwohl diese Liturgie öfter des Opfers gedenke, rede sie doch nicht vom

Versöhnungsopfer oder Messeopfer des Leibes und des Blutes Christi, sondern besonders

vom Dankopfer des Gebets, der Danksagung und Almosen: „Wir opfern dir diesen

vernünftigen und unblutigen Gottesdienst, rufen dich an, wir beten dich an und wir opfern

dir für die Patriarchen, Propheten, Aposteln, Evangelisten, für die Jungfrau Maria, wir

opfern dir einen vernünftigen Gottesdienst für die ganze Welt, für die heilige Kirche, für

unsere Könige und für ihr Kriegsheer,850 wie auch Tertullian in seiner Schrift „Ad

Scapulam“ spricht: Wir opfern für die Wohlfahrt unseres Kaisers, unserem Gott und Herrn,

wie Gott befohlen hat, mit reinem Gebet.“851

Chytraeus weist darauf hin, daß von der Liturgie des Chrysostomus mehrere verschiedene

Formen vorhanden seien:

Einmal die griechische, die Erasmus übersetzt habe; eine andere sei vor 400 Jahren in

Konstantinopel unter Kaiser Emanuel Comnenos von Leon Thuscus gedolmetscht. In

dieser Übersetzung sei bei etlichen Gebeten der Name des Chrysostomus hinzugefügt,

woraus man leicht schließen könne, daß die anderen Gebete nicht alle dem Chrysostomus

zugeeignet werden müssen.852

Eine andere sei die Übersetzung des Ambrosius Pelargus, der erwähnt habe, daß noch eine

in der päpstlichen Bibliothek vorhanden sei, die diesen allen ungleich sei. Eine solche

Veränderung zeige offenbar, nach der Meinung des Chytraeus, daß sie nicht alle von

848 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 18. 849 Ebd. 850 Siehe den ganzen Text dieser Gebete in griechischer und deutscher Sprache: Die Göttliche Liturgie, 132-

139. 851 David Chytraeus, Oratio de Statu, 18-19. 852 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 19.

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Chrysostomus geschrieben seien müssen und daß „die Form der Liturgie zu seiner Zeit und

bis jetzt ohne Zweifel viel reiner und unverdorbener gewesen ist.“853

Denn auch Dionysios Areopagita, der nach der Meinung von Erasmus nicht lange vor

Chrysostomus gelebt habe,854 gedenke mit keinem Wort des Opfers für die Toten, auch

wenn er doch sonst ganz genau über alle Zeremonien, die in den Kirchen seiner Zeit im

Brauch waren, unterrichtet ist.855

Obwohl die neuesten Formen der Liturgien für die Seelen der Verstorbenen beten würden,

daß sie in die Ruhe und das Licht des göttlichen Angesichts versetzt werden, „bringen sie

dennoch kein Opfer für die Erlösung der Seelen aus dem Feuer des Fegefeuers.“856

Anschließend redet Chytraeus über die Jenseitsvorstellungen der Griechen: Die Griechen

würden drei Aufenthaltsorte der Toten unterscheiden: Himmel, Hölle und einen Mittelort

zwischen den Seligen und Verdammten, wo sich die erst in ihrer letzten Stunde des Lebens

zu Gott Bekehrten aufhielten und von wo heraus diese durch Almosen und Gebete der

Lebendigen befreit werden könnten. Dennoch „nennen sie diesen Ort nicht Fegefeuer.“857

Bei der Taufe schließlich hielten sie noch den Gebrauch der dritten Person für die

Hersagung der Worte für notwendig: Getauft wird der Knecht Gottes im Namen des Vaters

und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Ferner würde jeder Täufling ganz

untergetaucht.858

Eine letzte Bemerkung macht Chytraeus in Bezug auf die Ehe der Priester: „Sie gestehen

den Priestern Ehemänner zu sein, aber lediglich als Monogame. Sie entheben nämlich ihres

Amtes gemäß der kanonischen Vorschrift die, die Digamie betreiben.“859

Nachdem der Rostocker so viel über Lehre und Riten der Ostkirchen berichtet hatte,

schließt er diesen Abschnitt, in dem er für die weiteren Lehrunterschiede auf die Akten des

Konzils von Ferrara und Florenz vom Jahr 1438-1439 verweist: „Diese Worte mögen

genügen über die Lehre und Gebräuche der griechischen Kirche. Denn über den Ausgang

853 Ebd. 854 Daß Dionysius Areopagita mit dem aus der Apostelgeschichte nicht identisch war, verspürte schon

Nikolaus von Kues, der sich wunderte, daß weder Ambrosius noch Augustinus oder Hieronymus Dionysius zur Kenntnis genommen hätten. Der Zweifel an der Autorschaft des Paulusschülers wird dann bei dem Zeitgenossen Lorenzo Valla ausgesprochen. Vallas Kritik ist danach weiteren Kreisen durch die Veröffentlichung des griechischen Neuen Testaments 1518 durch Erasmus, wo dieser eine Notiz zu Acta 17, 34 beifügte, bekannt geworden. Zu Einzelheiten siehe: Adolf Martin Ritter, Dionysius Areopagita 152-153.

855 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 19. 856 Ebd, 20. 857 Ebd. 858 Vgl. ebd. 859 David Chytraeus, Oratio de Statu, 20. Er spricht danach weiter kurz auch über die Verwandtschaftsgrade

bei der Ehe.

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des Heiligen Geistes, über das ungesäuerte Brot, über den Augenblick der Konsekration,

über den Primat des römischen Papstes, den die Griechen nicht anerkennen, und das

übrige, worüber auf der Synode von Ferrara und Florenz vor 130 Jahren verhandelt worden

ist, kann man Einzelheiten in den Konzilsakten nachlesen...“860

In diesem langen Abschnitt der „Oratio“ geht es Chytraeus um die Beleuchtung der

wichtigsten positiven und negativen Punkte der Riten, Traditionen, Lehren und Liturgien

der Griechen. Die ganze Betrachtung und die dogmatisch-liturgische Beurteilung der

orthodoxen Ostkirche durch den Rostocker Reformator wurden durch die Fragestellung der

Auseinandersetzungen der Lutheraner mit Rom bestimmt und aus der Perspektive der

lutherischen Orthodoxie heraus vollzogen.861 Chytraeus interessierte sich wie Martin

Luther und Philipp Melanchthon nur für jene Praktiken und Lehren der Ostkirche, die

Kontroverspunkte zwischen den evangelischen und den katholischen Theologen

darstellten. Sogar die Liturgien des Heiligen Johannes und des Heiligen Basilius, die

Chytraeus sonst sehr gut kannte und schätzte, wurden nur aus dem Grund herangezogen,

um das Fehlen des Opfercharakters der Eucharistie bei den Griechen nachweisen zu

können. Der Rostocker Theologieprofessor gehörte neben Jacob Andreae zu der zweiten

Generation der Reformatoren und auch zu den Vätern der Konkordienformel, in der sich

die lutherische Kirche gegenüber dem tridentinischen Katholizismus und dem Kalvinismus

neu abgrenzt, die bereits ein ausgeprägtes Konfessionsbewußtsein hatten.862

Seine Stellungnahme zu den Riten der Ostkirche kann mit seinen eigenen Worten

charakterisiert werden: „Wenn auch bei den Griechen von den alten und reineren Riten der

Kirche da und dort ein größerer Rest übriggeblieben ist,... so ist doch in anderer Hinsicht

der übrige größere Teil alles nicht weniger als bei den Katholiken voll von Aberglauben,

wie ich verstehe.“863 Darüber kann man sich nicht wundern, denn der ganze Dialog

zwischen Tübingen und Byzanz (1573-1581) wurde durch die Begriffe „Erneuerung“ und

„Aberglaube“ bestimmt.864 Die beiden deutschen evangelischen Gesandtschaftsprediger

Stephan Gerlach865 und Salomon Schweigerr866 die sich mehrere Jahre in Konstantinopel

860 Ebd, 20-21. 861 Eine ähnliche Meinung vertreten auch Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 97-98 und

Walter Engels, Wiederentdeckung, 271. 862 Vgl. Georg Kretschmar, Die Confessio, 32-33. 863 David Chytraeus, Oratio de Statu, 14. Vgl. auch Walter Engels, Wiederentdeckung, 271-272. 864 Vgl. Wort und Mysterium, 35-36. Dorothea Wendebourg, Das erste ökumenische Gespräch, 422. 865 Kurze Zeit nach seiner Ankunft in Konstantinopel schrieb Stephan Gerlach am 6. Juni 1574: „Die

Griechische Mönche... sind sie mit ihren Fasten / Erwehlung der Speisen / und andern Ceremonien oder Gebräuchen gar zu Aberglaubig.“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 60. Später wiederholte er und bekräftigte seine Aussage: „In Summa sie begehren im geringsten nichts von ihrem Aberglauben zu weichen ...“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 107.

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aufgehalten und den orthodoxen Gottesdiensten beigewohnt hatten, waren davon

überzeugt, daß die Griechen „in Aberglauben und Unverstand leider gar tief und bis über

die Ohren stecken“867, eine Überzeugung, die in den offiziellen Schreiben nicht anzutreffen

ist.

Hinsichtlich der Anbetung und Verehrung der Heiligen und der Rechtfertigungslehre muß

die Tatsache hervorgehoben werden, daß Chytraeus die juristischen, abendländischen

Begriffe – iustificatio, meritum, sacramentum, etc... – auf eine Kirche und eine

ostkirchliche Denktradition anwendet, denen diese Begriffe ganz fremd waren. All dies

zeigt trotz seiner umfangreichen Kenntnis der Ostkirchen eine Unkenntnis der orthodoxen

Denkkategorien, die bereits 1559 dem Übersetzer der Confessio Augustana Graeca bewußt

waren.868

Ein besonderer Aspekt, der unbedingt in Betracht gezogen werden muß, ist die Behauptung

des Chytraeus, daß bei den orthodoxen Griechen „die rechte Lehre des Evangeliums von

gesetzlichen und philosophischen Meinungen (legalibus et philosophicis opinionibus)

verdunkelt sei“.869 Ohne zu versuchen, Wendungen und Begriffe des 20. Jahrhunderts

unangemessen auf einen evangelischen Theologen des 16. Jahrhunderts anzuwenden, kann

man dennoch schon bei David Chytraeus die von Adolf von Harnack vertretene

Auffassung über die Hellenisierung des Christentums870 feststellen. Es geht seiner

Meinung nach um einen Abfall vom wahren Evangelium, der sich bei den Griechen

vollzogen hat, indem sie philosophische Meinungen in die Theologie einführten. Insofern

könnte David Chytraeus auf diesem Gebiet als ein Vorläufer Harnacks gelten.

Chytraeus spricht weiter über die Bewunderung, mit der die Griechen die spitzfindigen und

feinsinnigen in die griechische Sprache übersetzten Abhandlungen des Thomas von Aquin

und besonders seine „Summa“ läsen und daß diese gegenüber der scholastischen Theologie

keine Abneigung hätten.871 Könnte man in diesen Beobachtungen des Chytraeus das von

Georgij Florovskij zur Kennzeichnung der Gesamtsituation der Orthodoxie in der Zeit der

Fremdherrschaft eingebrachte Schlagwort von der „Pseudomorphose“872 erblicken? Eine

866 „Ich halt dafür, ..., daß die Griechen im Aberglauben unnd Unverstand leider gar tieff und biss über die

Ohren stecken.“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 211. 867 Ebd. 868 Siehe das Kapitel 2.2.4. 869 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 16-17. 870 Vgl. F. W. Kantzenbach, Adolf von Harnack, 454-455. 871 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 17. 872 Georgij Florovskij wandte diesen mineralogischen Begriff, den er vom berühmten Kulturphilosophen O.

Spengler („Der Untergang des Abendlandes“) übernahm, auf eine Kultur an, die durch gewaltsame Überlagerung nicht zu eigenen Ausdrucksformen gelangt. In seinem Fall ging es um die orthodoxe Theologie der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends. Eine kurze Darstellung der wichtigsten Ideen

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Antwort auf diese Frage ist schwer zu geben, aber der Überfremdungsbeginn eines Teils

der orthodoxen Theologen von Seiten der katholischen Scholastik und besonders durch

Thomas von Aquin war Chytraeus zumindest bekannt.873 Obwohl schon seit dem 14.

Jahrhundert scholastische Einflüsse auf einige byzantinische Theologen festzustellen

sind,874 hat dennoch das Vorherrschen des Hesychasmus entscheidend dazu beigetragen,

daß dem Phänomen des Pro- bzw. Antithomismus in Byzanz wenig Bedeutung

beigemessen worden ist.875

Mit seinem großen Interesse an den Lehren der Ostkirche und besonders an dem Kanon der

orthodoxen Liturgien zeigt sich David Chytraeus als ein treuer Schüler Melanchthons.876

dieser These Florovskijs, die in seinem Buch „Wege der russischen Theologie“ vorgestellt werden, bietet: Karl Christian Felmy, Theologie in kritischer Selbstdarstellung, 58ff. Für die Stellung der griechischen Theologen zu dieser These siehe Ebenda, 63ff. Für die Stellungnahmen verschiedener katholischer, evangelischer und orthodoxer Theologen zu dieser These siehe: Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 69-71. Siehe auch: Dorothea Wendebourg, Pseudomorphosis, 71ff.

873 Auch Michael Heineccius wird im Jahr 1711 in seinem Werk über die griechische Kirche berichten. Vgl. Michael Heineccius, Abbildung, I, 118-120.

874 Es handelt sich um die sogenannten Prothomisten, jene orthodoxe Theologen, die eine positive Reaktion gegenüber den Thomas-Übersetzungen gezeigt haben. Es handelt sich im 14. und 15. Jahrhundert um 8 byzantinische Theologen. Vgl. Stylianos Papadopulos, Thomas in Byzanz, 276-287. Man muß auch die Tatsache beachten, daß auf der Konstantinopler Synode 1368 die Lehre von Thomas ausdrücklich verurteilt wurde. Das ist ein Zeichen dafür, daß die antithomistische Haltung auch ein Kennzeichen der orthodoxen Hierarchie war. Vgl. Ebenda, 277.

Auch Patriarch Jeremias II. übernahm aus der Scholastik in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts die Aussagen über Zahl, Form, Materie, Instumentalursache und Ursprung der Mysterien. Vgl. Dorothea Wendebourg, Mysterion und Sakrament, 294. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 174-177.

875 Vgl. Stylianos Papadopulos, Thomas in Byzanz, 276. 876 Relevant in dieser Hinsicht ist ein bis heute unbeachteter Brief von Melanchthon an den Nürnberger

Prediger Veit Dietrich, der am 25. Mai 1540 geschrieben wurde: „S. D. Quae de graeco hospite scripsisti, legimus, deplorantes Graecarum Ecclesiarum excidia. Sed illud mirabar, te non adscripsisse, quid narrarit περι των δογµατων και περι της λειτουργιας. Nam ego, si inciderem in hominem eruditum in Scriptis Ecclesiae Graecae, diligenter interrogaturus essem de dissimilitudine των κανονων της λειτουργιας et quid sentirent eruditiores.

In recentiore sunt haec verba: Τουτον αρτον ποιει σωµα Χριστου. Haec non sunt in veteri. Si quid es sciscitatus, quaeso, ut nobis impertias.

Venetiis est vir doctus Graecus. Is nostro cuidam Scholastico dedit perscriptam formam Ecclesiae Graecae, breviter quidem, sed tamen continentem quaedam digna observatione. Exemplum non habeo. Reliqui enim in Aula. Certe nostrae Ecclesiae, quod ad praecipuos ritus attinet, non multum dissimiles sunt illarum. Eruditiores nunc quidem esse arbitror. Et Graecus ille Venetiis dicitur nostra non vituperare.“ CR Band 3, Nr. 1969. Zusammenfassung: MBW Band 3, Nr. 2439.

„Ich grüße dich. Was du mir über deinen griechischen Gast geschrieben hast, das haben wir gelesen und haben den Untergang der griechischen Kirchen beklagen. Darüber aber habe ich mich gewundert, daß du nicht dazu geschrieben hast, was er dir über die Lehren und die Liturgie erzählt hat. Denn wenn ich zufällig auf einen Mann treffe, der kundig in den Schriften der griechischen Kirche ist, würde ich ihn sorgfältig befragen über die Verschiedenheit der Kanones der Liturgie und was die Kundigeren darüber dächten.

In der jüngeren (Liturgie) stehen folgende Worte: Dieses Brot macht dem Leib Christi. Diese Worten stehen nicht in den alten (Liturgien). Wenn du etwas in Erfahrung gebracht hast, teile uns das bitte mit.

In Venedig gibt es einen gelehrten Griechen. Der hat einem Lehrer von uns eine schriftliche Beschreibung der Formen der griechischen Kirche gegeben, die zwar kurz ist, aber dennoch einige Dinge enthält, die der Beachtung würdig sind. Ich habe kein Exemplar bei mir. Denn ich habe es beim Hof gelassen. Ohne Zweifel sind unsere Kirchen, was die wichtigsten Riten angeht, nicht sehr verschieden

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Von Anfang an muß gesagt werden, daß Chytraeus die orthodoxen Liturgien hauptsächlich

aus dem Grund heranzog, um beweisen zu können, daß die Griechen nicht vom

Versöhnungsopfer oder Messeopfer des Leibes und des Blutes Christi redeten, sondern

besonders vom Dankopfer des Gebets und von Danksagung.

Chytraeus analysiert die Lehre der Griechen über den Opfercharakter der Eucharistie aus

den wichtigsten Gebeten der Anaphora der Liturgien. Daraus wird ersichtlich, daß der

Rostocker erkannt hat, wenn die Griechen über die Liturgie oder über die Eucharistie als

Hauptsakrament reden, von ein und derselben Sache die Rede ist.877 Außerdem hat

Chytraeus eine Entwicklung innerhalb der Liturgie des Chrysostomos erkannt. Er konnte

aus der Analyse der im Abendland bekannten Übersetzungen schließen, daß nicht alle

Gebete aus den Formularen dem Chrysostomus zugeschrieben werden müssen.878

Hinsichtlich des Opfercharakters der Liturgie der griechischen Kirche kann man

feststellen, daß Chytraeus richtig bemerkt hat, daß die Griechen das Opfer der Eucharistie

nicht als eine Satisfaktion für die Pein des Fegefeuers verstehen.879 Dennoch kann man

beobachten, daß der Rostocker eine Entwicklung, was das Verständnis des Opfercharakters

in den zitierten orthodoxen Liturgien betrifft, voraussetzt, wobei er den Opfercharakter der

ursprünglichen Fassungen auf das Verständnis eines geistlichen Opfers und auf die

Almosen deutet. Daß in den neuesten Formen der Liturgien auch für die Seelen der

Verstorbenen gebetet wurde, war ihm ebenfalls klar, auch wenn er damit nicht

einverstanden war und das als eine Entstellung betrachtete. Dazu aber muß auch

hinzugefügt werden, daß es auch „im Rahmen der orthodoxen Theologie sehr große

Unterschiede in der Auslegung und Bestimmung dieses Opfercharakters gibt“.880

Was den Mittelort zwischen den Seligen und Verdammten betrifft, wo sich die erst in ihrer

letzten Stunde des Lebens zu Gott Bekehrten aufhalten würden und wo heraus diese durch

Almosen und Gebete der Lebendigen befreit werden könnten, den die Griechen dennoch

nicht Fegefeuer nennen,881 kann man vermuten, daß es sich wahrscheinlich um eine falsche

Schlußfolgerung des Chytraeus aus den Gesprächen mit Griechen handelt, die ihm über die

von jenen. Ich denke, das sie (die Riten) jetzt freilich reiner ausgebildet sind. Und man sagt, daß jener Grieche in Venedig unsere Verhältnisse nicht tadelt.“

877 Über dasselbe Problem in Rahmen des Dialogs zwischen dem Patriarchen Jeremias II. und den evangelischen Theologen von Tübingen siehe: Karl Christian Felmy, Die orthodoxe Theologie, 6-7.

878 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 19. 879 Vgl. auch die Stellung Melanchthon dazu BSLK, 375. 880 Karl Christian Felmy, Die orthodoxe Theologie, 210. 881 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 20.

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155

Möglichkeit der Rettung erzählt haben, nachdem die Seele zuerst in der Hölle bis zum

Endgericht festgehalten werde.882

5.4.6 Die Beschreibung der Lage der Christen unter der türkischen Herrschaft

Der zweite Gesichtspunkt, unter dem sich die ganze chytraeische Darstellung der

Ostkirchen darstellt, war neben der Suche nach übereinstimmenden Lehren zwischen den

Evangelischen und Orthodoxen die Tatsache, daß die Christen auch unter der türkischen

Herrschaft ihr christliches Leben führen konnten. Darum findet man überall verstreut in

der Rede über die orthodoxen Kirchen kurze Berichte über den Zustand der Christen unter

den Türken.

Im Bewußtsein des christlichen Abendlandes wurden die Türken im 16. Jahrhundert als der

Erbfeind betrachtet. Selbst die Reformatoren fühlten sich berufen, einen zweifachen

Kampf gegen den äußeren Antichrist (die Türken) und den inneren Antichrist (das

Papstum) zu führen.883 Die Urteile Luthers über die Türken sind von maßloser Schärfe und

stammen nicht aus geschichtlicher Erkenntnis, sondern aus dogmatischen Prämissen.884

Seine Auseinandersetzung mit dem Islam „ist nicht kritisch, sondern dogmatisch-

postulatorisch bestimmt.“885

Chytraeus versucht in dieser Schrift aufgrund neuer aus dem Orient gekommenen

Nachrichten das Bild über den Islam, dem auch er gegenüber eine ablehnende Haltung

einnahm, kritischer darzustellen.886 Der Rostocker Reformator bemüht sich, ein

vorurteilsfreies Verständnis für die Türken zu haben, vor denen er aber auch während der

Ungarnreise an der Grenze des türkischen Reiches Angst gehabt hat. Chytraeus berichtet

von keinen Greueln der Türken, bekundet aber seine Trauer darüber, daß so viele

christliche Länder und Kirchen unter ihrer Macht ständen und er verschweigt aber auch

nicht die mildernden Umstände. 882 In der orthodoxen Theologie wird die Auffassung vertreten, daß die Seelen, die mit kleinen

ungebeichteten Sünden zuerst in die Hölle versetzt werden, beim Endgericht dank ihrer guten nachträglichen Einflüsse auf die Hinterlassenen und der Gebete der kämpfenden Kirche ins Paradies versetzt werden können.

883 Martin Luther machte immer Vergleiche zwischen dem Papstum und den Türken: „Ist doch der Bapst wol so böse als der Turcke... so ist widderumb der Turcke wol so frum als der Bapst...“ Vom Kriege wider den Türken, 1529, WA 30/2, 140.

884 Vgl. seine Schriften: „Vom Kriege wider den Türken“, 1529, WA 30/2, 81-148; „Heerpredigt wider den Türken“, 1529, WA 30/2, 149-197; „Vermahnung zum Gebet wider den Türken“, 1541, WA 51, 577-625.

885 Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 99. 886 Gottfried Holtz schrieb darüber: „Chytraeus gefällt sich aber nicht der Mitteilung von Verwerflichem wie

die Schriftsteller seiner Zeit, aus deren Büchern man mit leichter Mühe ganze Greuelkataloge

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Unter der türkischen Eroberung habe Athen dennoch „seine christliche Religion, so wie sie

vorher auch unter den Kaisern aus dem Haus der Paläologen allenthalben üblich war, bis

jetzt erhalten, wie auch sonst überall in ganz Griechenland Christen wohnen. Wenn sie als

jährliche Steuer einen Dukaten pro Person zahlen, so steht ihnen ihr Eigentum und ihre

Religionsausübung frei.“887

Früher hätten die christlichen Kaiser aus allen christlichen Städten eine gewisse Zahl von

auserlesenen Kindern ausgewählt, die beim Hof erzogen worden wären, um sie zum

Gemeinnutz in Zeiten des Krieges und des Friedens zu verwenden. Am traurigsten sei

aber, daß die Türken, nachdem sie das Reich der Griechen erobert hätten, den Eltern die

Kinder mit Gewalt wegnähmen, um sie in der türkischen Religion und zum Krieg zu

erziehen.888 Doch sei es den Eltern erlaubt, ihre Kinder von den Eroberern wieder gegen

Bezahlung loszukaufen.889 Die anderen Kinder würden zu großen Ehren und Reichtum

erhoben, wenn sie sich im Krieg ritterlich erwiesen, so daß durch solche Beispiele viele

dazu bewogen würden, die mohammedanische Religion anzunehmen.890

zusammentragen könnte. Was er mitteilt, ist maßvoll und offenbar kritisch gesichtet.“ Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 99.

887 David Chytraeus, Oratio de Statu, 12. 888 Ebd. Es ist hier die Rede von der Knabenlese für die Truppe der Janitscharen. Als Janitscharen bezeichnet

man eine spezielle Truppe der türkischen Armee, die seit 1329 von den türkischen Sultanen aus zum Islam übergetretenen Kriegsgefangenen gebildet und seit 1360 durch die Knabenlese aus christlichen Kindern ergänzt wurde. Siehe: Brockhaus Enzyklopädie, Band 9, 378

889 Eine berühmte Episode ist der Besuch zweier Griechen bei Melanchthon in Wittenberg im Jahr 1556, die Geld sammelten, um ihre Kinder von den Türken loszukaufen. Über diesen Besuch berichtet Melanchthon in einem Brief an König Christian III. von Dänemark: „Zu Constantinopel ist ein großer Terrae motus gewesen, und sind viel Gebäud eingefallen und haben viel Menschen erschlagen. Jetzt sind zween Männer allhie, der eine von Cäsarea, Basilii Vaterland aus Cappadocia, der ander aus Greckenland, von Nauplia. Sammelt der alte seine Kinder zu lösen, sagen von der Türken Tyrannei; aber berichten, daß noch in allen Landen viel Christen sind; aber der Türk nimmt jährlich jung Volk weg, Knaben und Meidlein, seines Gefallens.“ CR Band 8, Nr. 6040, S. 810-811. Darüber berichtet auch Joachim Camerarius: „Annis duobus antecedentibus mortem Philippi Melanchthonis, hospitem hinc ad ipsum misimus, senem Cappadocem Caesariensem: qui habebat literas Patriarchae Constantinopolis, Graecè scriptas: quibus itineris ipsius causa indicabatur: & commendabatur nomini Christiano. Pro filijs hic suis numerare certam summam pecuniae debebat: qui interea in potestate Turcarum haberentur...“ Ioachimi Camerarii, De Vita Philippi Melanchthonis Narratio, Halae, MDCCLVII, 358-359. Martin Crusius, Turcograecia, S. 555 wiederholt denselben Abschnitt aus der Schrift von Camerarius. Das Jahr 1558, das in dieser Schrift erwähnt wird, scheint nicht das richtige zu sein, es bezeichnet eher das Datum des Briefes.

890 David Chytraeus, Oratio de Statu, 12-13. Für die 70er Jahre des 16. Jahrhunderts besitzen wir einen Bericht von Salomon Schweigger, der die Behauptung von Chytraeus bestätigt. Er spricht über die christlichen äthiopischen Kinder, die an der Grenze des Reiches gefangen genommen werden: „Nicht weniger seyn auch alle Monove und verschnittne am Hof (in Konstantinopel) und im Frawenzimmer Christenkinder, nemlich Abyssiner auß Priester Hansen Reich, dieselben seyn allezumal weisse und schwartze Moren, doch werden auch viel derselben aus Morenland gebracht, die denn für sich selbst alle Mahometaner seyn und diese verschnittne kommen auch hoch an, dann derselben einer ist meiner Zeit auch zum Baschastand kommen...“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 153-154.

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Ein solcher Bericht kann nicht von einem Fanatiker stammen, sondern nur von einem

„Historiker aus Melanchthons Schule!“891 Aus dem Bericht geht klar hervor, daß

Chytraeus die innere Freiheit gewonnen hat, auch die Großmut des Feindes, wo sie sich

zeigt, ehrlich zu schildern.892

Religionsgeschichtlich sehr interessant ist eine Nachricht über die Mameluken aus

Ägypten:

Die Taufe sei, nach dem Bericht des Chytraeus, bevor der türkische Kaiser Selim I. 1517

die Mameluken vertilgt und Ägypten erobert habe, fast in ganz Ägypten auch bei den

Mameluken Tradition. Diese kümmerten sich, „daß ihre Kinder von den christlichen

Priestern getauft werden, obgleich nicht aus Eifer nach der wahren Frömmigkeit und aus

Liebe der ewigen Seligkeit, sondern nur mögen, daß ihre Kinder in den Stellungen und den

Ämtern der Eltern folgen.“893 Denn es bestehe in der Mamelukenzeit ein Gesetz, daß kein

Mameluke zu Amt und Würde emporsteigen könne, wenn er denn vom Christentum

abgefallen sei. Also bestehe kein Zweifel, daß in jenen Gebieten viele getaufte Kinder

Mitglieder der Kirche Christi gewesen seien.894

Dieser Brauch der Mameluken erfährt also „nicht eine synkretistische, sondern eine

seltsam politische Erklärung.“895 Eine mögliche Erklärung dieses Brauches kann die von

Gottfried Holtz geäußerte Vermutung sein, daß „es sich um ein Gesetz der Frühzeit

handeln muß, in der die Mameluken noch christliche Sklaven waren.“896 Damit die Kinder

der Mameluken die Stellen und Ämter ihrer Eltern erben könnten, bezog man sich

wahrscheinlich auf den Wortlaut des nicht aufgehobenen Gesetzes und ließ die Kinder

taufen. So könnten diese später als Abgefallene gelten und ihren Eltern in Amt und Würde

folgen.897

Einen ähnlichen Bericht besitzen wir von Salomon Schweigger, der die Lage der

gefangenen christlichen Kinder in Konstantinopel am Ende der 70er Jahre des 16.

Jahrhunderts schildert: „Es seyn aber alle diese Knaben Christenkinder, von Christen

Eltern geborn, dann kein geborner Türck kan zu Diensten des Keysers, weder bei Hof oder

sonsten kommen, außgenommen Geistliche Personen und Aempter, als dann seyn die

Stadtvögt oder Stadtrichter, Doctores Legum, Schreiber und dergleichen Personen seyn

891 Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 99. 892 Vgl. Ebenda, 99. 893 David Chytraeus, Oratio de Statu, 26-27. 894 Vgl. ebd., 27. 895 Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 97. 896 Ebd. 897 Vgl. Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 97.

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geborne Türcken. Aber alle andere Aempter und dignitates werden mit solchen

Christenkindern ersetzt.“898 Auch in diesem Fall handelt es sich um abgefallene Christen,

die Türken geworden sind und danach hohe Ämter in der Verwaltung des türkischen

Reiches inne hatten. Aber der Bericht des Chytraeus setzt eine doppelte Bekehrung voraus:

vom Islam zum Christentum und wiederum vom Christentum zum Islam.899

Bevor David Chytraeus über die christlichen Kirchen aus Asien zu reden beginnt, schildert

er kurz den allgemeinen Zustand dieser Kirchen unter den Türken:

Die Zerstörung der christlichen Kirchen durch die Sarazenen und Türken sei in Kleinasien

und Asien um vieles trauriger als in Griechenland. Denn diese „haben nicht nur Kirchen

und Schulen, sondern auch die Bauwerke der blühendsten Städte, die einst Herberge der

Kirchen und der Wissenschaften dargereicht haben, zerstört.“900 Nicaea, wo unser danach

benanntes Glaubensbekenntnis geschaffen wurde und das benachbarte Nikomedien und

Caesareea, berühmt durch die Gelehrtheit und Beredsamkeit des Basilius, und Antiochia

in Syrien seien damals nur Trümmer. Aber dennoch seien „überall im ganzen Orient

inmitten der mohammedanischen Bevölkerung noch christliche Kirchen.“901

Ganz am Ende der Darstellung der Ostkirchen gibt Chytraeus neue Quellen an, aus denen

der neugierige Leser andere Einzelheiten über die Kirchen von Afrika und über die

mohammedanischen und gotteslästernden Glaubenssätze und Riten erfahren könnte: die

öffentlichen Historien und der Koran.902

Auch über die Auflagen des Korans war Chytraeus gut unterrichtet. Ihm habe Jakobus

Paleologus in Prag über die Ungleichheit der Exemplare des Korans berichtet, denn die

Exemplare, die im Abendland im Umlauf wären, seien nicht der Text des Korans selbst,

welcher in arabischer Sprache in Reimen verfaßt sei, sondern Paraphrasen verschiedener

Übersetzer, die den Text des Korans zu erklären versuchten.903

898 Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 153. 899 Holtz behauptete in den 50er Jahre dieses Jahrhunderts, daß diese Information von Chytraeus kultur- und

religionsgeschichtlich noch nicht ausgewertet sei. Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 97. Uns ist auch keine solche Auswertung bekannt.

900 David Chytraeus, Oratio de Statu, 21. 901 Ebd. 902 David Chytraeus, Oratio de Statu, 29. 903 Vgl. ebd. Die Erforschungen des Chytraeus im Hinblick auf den Islam werden auch zwei Jahre später

bestätigt. In dem einzigen bis heute aufbewahrten Brief zwischen den beiden, der Brief des Chytraeus an Paleologus vom März 1571, verlangte Chytraeus von Jacobus Paleologus eine verläßliche Koran-Übersetzung, Auskünfte über das Geburtsjahr Mohameds, die muslimische Zeitrechnung und die geographische Lage Mekkas. „Oro igitur, si absque incommodo et molestia poteris, ut beneficium illud mihi benigne impertias, er simul initium Hegirae seu Radicis temporum Saracenicae certum, et annum Mahometis natalem mihi significes...“ David Chytraeus, Epistolae, 508-509. Karl Landsteiner, Jacobus Paleologus, 34-35.

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Die Begegnung des Chytraeus mit den aus dem Orient gekommenen Christen machten im

Jahr 1569 für die abendländischen Christen, die alle der Meinung gewesen waren, daß

unter der Herschafft der Türken und Araber die christlichen Kirchen ausgerottet wären, die

Neuentdeckung möglich, daß alle diese Kirchen lebten.

Die Rede des Chytraeus über die Ostkirchen endet mit einer Bitte an Gott, daß Er Sich

auch weiter eine ewige Kirche durch die Verkündigung des Evangeliums in diesen

Gegenden und in der ganzen Welt sammeln wolle.904

5.5 Die Bewertung der Rede des Chytraeus über die Ostkirchen

Es ist zuerst sehr wichtig den theologischen Ort zu bestimmen, den Chytraeus einnahm, als

er seine Rede über die Ostkirchen schrieb. Der Rostocker Theologieprofessor gehörte zu

der zweiten Generation der Reformatoren und auch zu den Vätern der Konkordienformel,

in der sich die lutherische Kirche auch gegenüber anderen Richtungen der Reformation

und dem tridentinischen Katholizismus abgrenzt, er hatte demnach ein ausgeprägtes

Konfessionsbewußtsein. Die ganze Betrachtung der orthodoxen Ostkirchen des 16.

Jahrhunderts durch den Rostocker Reformator wurde durch die Fragestellung der

Auseinandersetzungen der Lutheraner mit Rom bestimmt und aus der Perspektive der

lutherischen Orthodoxie heraus vollzogen. Daher müssen seine Kenntnisse über die

Ostkirchen und seine Stellung gegenüber diesen Kirchen nur aus dieser Perspektive her

beurteilt werden.

Mit Friedrich Heyer können wir behaupten, daß David Chytraeus seine Ostkirchenkunde

nicht unkritisch darbietet, sondern immer mit reformatorischen Kriterien mißt. Er pickt

dabei immer aus allen Ostkirchen heraus, was ihm in der evangelischen Lehre verwandt

erscheint905 und nutzt es zur Legitimation und als Rechtfertigung gegenüber der von ihm

scharf kritisierten Römischen Kirche.906 Es geht Chytraeus um die Veranschaulichung der

wahren Lehre der evangelischen Kirche, die zum Teil auch in den Kirchen des Ostens

anzutreffen sei. Das Bewußtsein und die Überzeugung, daß die eigene Kirche den Glauben

904 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 42. Ähnlich endet auch die Oratio des David Chytraeus über seine

Heimat Kraichgau: „Nunc Filium Die Dominum nestrum Ieseum Christum, qui voce evangelij sparsa in omnibus terrae Regionibus, aeternam sibi Ecclesiam colligit, toto pectore oro, ut Creichgoiam quoque perpetuò, verum et tranquillum Ecclesiae suae hospitium et domicilium, esse velit.“ David Chytraeus, De Creichgoia, 52.

905 Vgl. Friedrich Heyer, David Chytraeus als Erforscher, 144. 906 Chytraeus suchte genau wie die vorherigen Reformatoren in der Orthodoxie eine Alternative zum

Katholizismus. Dort, wo nicht übereinstimmende Lehren festgestellt werden konnten, wurden die nicht übereinstimmenden Lehren einfach als Aberglaube bezeichnet.

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dem Evangelium gemäß bekennt und lebt, die andere ihn aber verdunkelt und auf diese

Weise irrt, sind bei ihm ganz stark vorhanden.

Die Aufzählung der Positiva bei den Ostkirchen ist mit jenen orthodoxen Lehren, die mit

den reformatorischen übereinstimmten, erschöpft. Die Aufzählung der Negativa bei den

Ostkirchen bezieht sich auf die von ihm genannten Aberglauben der Griechen – die

Verehrung der Heiligen (besonders der Jungfrau Maria), der Ikonen und das Vertrauen auf

die guten Werke für die Erlösung – die im Osten nicht weniger als bei den Katholiken

anzutreffen seien.

Anderseits versuchte Chytraeus in seiner Rede, alles was zu Gunsten der katholischen

Seite erscheinen könnte, zu verdrängen. Das geschah bei der Darstellung der äthiopischen

Kirche und auch in den Teilen der Rede, wo er über die anderen Kirchen aus Böhmen,

Österreich, Ungarn und Siebenbürgen zu schreiben kommt. David Chytraeus beschrieb

ausschließlich das, was die antirömische Tradition dieser Kirchen zeigte. Es werden die

Waldenser, die Hussiten und die Evangelischen aus Ungarn und Siebenbürgen dargestellt.

Der konfessionelle Gegner wird in all diesen Gebieten Mitteleuropas kaum beachtet.

Der zweite wichtige Punkt der chytraeischen Rede, der sich wie ein roter Faden durch das

ganze Werk zieht, ist die Tatsache, daß die ganze Darstellung der Ostkirchen unter dem

Gesichtspunkt der türkischen Herrschaft über die orientalischen Christen erfolgt. Chytraeus

versucht durch mehrere in der ganzen Rede verstreute Abschnitte das Verhältnis der

Türken zu den Christen und den wirklichen Zustand der Christen unter den Türken zu

veranschaulichen. Die Begegnung des Chytraeus mit den aus dem Orient kommenden

Christen machten im Jahr 1569 für die abendländischen Christen, die alle der Meinung

gewesen waren, daß unter der Herschaft der Türken und Araber die christlichen Kirchen

ausgerottet seien, die Neuentdeckung möglich, daß alle diese Kirchen lebten. Durch seine

historisch-kritische Darstellung der Beziehungen zwischen Christen und Türken und

dadurch, daß Chytraeus die mildernden Umstände im türkischen Reich nicht verschwieg,

bot er dem Abendland eine erste vorurteilsfreie Darstellung der Art, wie das christliche

„Byzance après Byzance“ damals aussah.

Was die Bewertung der Quellen betrifft, geht gerade aus der Rede des Chytraeus hervor,

daß hinsichtlich der Ostkirchen die Verwertung von mündlichen Quellen gegenüber den

gedruckten entschieden im Vordergrund steht. Die meisten Informationen über die

Ostkirchen stammten von den Griechen Michael von Thessaloniki und Jakobus

Paleologus, die Chytraeus in Wien bzw. Prag während seiner Österreich- und Ungarnreise

begegnet sind. Unter den schriftlichen Quellen des Chytraeus, die eigentlich nur die

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Funktion hatten, seine auf mündliche Weise erworbenen Kenntnisse zu bestätigen, kann

man zwei verschiedene Arten unterscheiden: liturgische Bücher der griechischen Kirche

und bekannte Werke von Historikern, Humanisten und Theologen. Durch die Tatsache,

daß in der Oratio die mündlichen die schriftlichen Quellen und die schriftlichen die

mündlichen Quellen bestätigten und durch die kritische Stellung des Chytraeus gegenüber

seinen Quellen, konnte einer seiner Mittelsmänner zum griechischen Osten, Wenzeslaus

Budowitz, einige Jahre nach der Abfassung seiner Rede aus Konstantinopel berichten, daß

der Zustand der griechischen Kirche in allen Punkten so sei, wie Chytraeus ihn in seiner

Oratio beschrieben habe.

Bezüglich des Inhaltes der Rede über die Ostkirchen muß auch bemerkt werden, daß die

serbische, bulgarische, rumänische und russische Orthodoxie nicht Objekt der

Beschreibung des Chytraeus waren. Das erklärt sich daraus, daß die Berichterstatter des

Chytraeus Griechen waren, die nur durch einige der von Chytraeus beschriebenen und

südlich von Griechenland gelegenen Länder gereist waren.

Während von Sigmund von Herbestain und den slowenischen Reformator Primus Truber

eine Beschreibung des kirchlichen und liturgischen Lebens der russischen und

südslavischen orthodoxen Christen 1549 bzw. 1562 erstellt wurde, blieben die orthodoxen

Kirchen in den rumänischen Fürstentümern der Moldau und Walachei dem Abendland

weiterhin unbekannt, obwohl sie auch von Chytraeus allerdings nur namentlich, als unter

der Jurisdiktion des Konstantinopler Patriarchates stehende Kirchen erwähnt wurden.

Was die altorientalischen Kirchen betrifft, werden alle mit der Ausnahme der Kirche

Indiens erwähnt, die sich weit entfernt in Asien befand.

Es ist auch erstaunlich, wie gut David Chytraeus die Topographie der Länder in Europa,

Kleinasien, Asien und sogar Afrika kannte. Unter dem Gesichtspunkt der Topographie hat

Chytraeus auch die Rede über den Zustand der Ostkirchen im 16. Jahrhundert gehalten,

indem er diese Kirchen nacheinander nach der geographischen Lage beschrieb. Von

Griechenland her geht der Faden der Darstellung von Chytraeus über Georgien, Armenien,

Syrien, Palästina und Ägypten bis nach Äthiopien hin.

Die Ostkirchen werden von dem Rostocker Konfessionskundler nicht als gleichwertig

betrachtet, sondern genau unterschieden. Er kennt die Unterschiede zwischen ihnen und

sogar die Hauptmerkmale einer jeden Kirche. Während die byzantinischen Kirchen

ausschließlich als abergläubisch angesehen werden, betrachtet er dagegen die

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altorientalischen Ostkirchen als abgespaltene christliche Gruppen, die „überall im ganzen

Orient inmitten der mohammedanischen Bevölkerung“ lebten.907

Hinsichtlich seiner Kenntnis der Lehren und Riten der orthodoxen Kirche muß die

Tatsache hervorgehoben werden, daß Chytraeus die juristischen abendländischen Begriffe

– iustificatio, meritum, sacramentum, etc. – auf eine Kirche und eine Denktradition

anwendete, der diese Begriffe ganz fremd waren. All dies zeigt trotz seiner umfangreichen

Kenntnis der Ostkirchen eine Unkenntnis der unterschiedlichen Arten und Denkkategorien,

mit denen im Westen und im Osten Theologie getrieben wurde. Die orthodoxe Theologie

und die orthodoxe Kirche suchten mehr nach der wahren und rechten Verehrung Gottes,

und gelangten zu dem Schluß, daß Gott nicht nur in Ihm selbst, sondern auch in Seiner

gesamten Schöpfung verehrt und gepriesen werden soll: in den Menschen, in den Ikonen

und in den Gaben der Eucharistie, in denen Christus selbst durch den Heiligen Geist

anwesend ist. Daß diese Auffassung auf zwei dem orthodoxen Bewußtsein klaren

Voraussetzungen beruhte: erstens, alles was von Gott geschaffen wurde, trägt an sich das

Siegel des Schöpfers und zweitens, die Ehre, die einem Menschen oder einer Ikone

erwiesen wird, steigt zum Urbild empor,908 das war Chytraeus wie auch den anderen

Reformatoren des 16. Jahrhunderts unmöglich zu verstehen.

Wenn man diese „Oratio“ im Kontext der gesamten Beziehungen zwischen den

Evangelischen und Orthodoxen im 16. Jahrhundert betrachtet, ist sie kein absoluter Anfang

gewesen und bedeutet auch keinen Endpunkt. Dennoch schlug David Chytraeus als erster

lutherischer Theologe ganz entschieden den bis zu ihm fast unbegangenen Weg zu den

Ostkirchen ein, so daß behauptet werden kann, daß mit dieser Rede schon im 16.

Jahrhundert ein neuer Abschnitt der Konfessionskunde begann. Die chytraeische Rede „ist

das kirchengeschichtliche Dokument der Wiederentdeckung der Ostkirche für das

Abendland, jedenfalls für den Protestantismus.“909

907 David Chytraeus, Oratio de Statu, 21. 908 Siehe: Basilius, De Spiritu Sancto, PG 32, 149. Vgl. auch L. A. Zander, Was ist Orthodoxie?, 50-51. 909 Gottfried Holtz, Wiederentdeckung der Ostkirche, 100. Ähnlich urteilen auch zwei andere Forscher, die

dieses Werk des Chytraeus kurz untersucht haben: „Die Bedeutung des kleinen Werkes, mit dem Chytraeus als erster dem Abendlande eine zusammenfassende Schilderung der Kirchen des Orients gegeben hat, ist bisher nicht genügend betont worden.“ Detloff Klatt, David Chytraeus, 84. „Diese Darstellung des Chytraeus kann den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, die erste Beschreibung der östlich-orthodoxen Kirche zu sein, die von seiten des deutschen Protestantismus versucht wurde.“ Walter Engels, Wiederentdeckung, 271.

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6 Der Anhang der Oratio als Informationsquelle für die Forschungen, die Kenntnisse und die Veröffentlichungen des David Chytraeus im Hinblick auf die Ostkirchen

Wer sich in der Geschichte einüben will, sollte nach Auffassung des Chytraeus mit einem

Kompendium beginnen, das dem Leser einen allgemeinen Überblick verschaffte, so daß er

die gesamte Weltgeschichte mit einem Blick umfassen und sie wie ein Gemälde schauen

könne.910 Nachdem der Student oder der Leser einen gesamten Überblick über die

Universalgeschichte bekommen hat, solle die Lektüre der Quellen und historischer Werke

aufgenommen werden, wobei die genaue Kenntnis der Topographie und Chronologie

unerläßlich sei.911

Chytraeus selbst hat diese Methode des Studiums der Geschichte auch im Hinblick auf die

morgenländischen Kirchen angewandt. Durch die Veröffentlichung der Rede über den

Zustand der orthodoxen und altorientalischen Kirchen hat er einen allgemeinen Überblick

über die damalige Lage, die Lehre, die Spiritualität und die Geschichte dieser Kirchen

gegeben. Nachdem er diesen Überblick dargeboten hatte, veröffentlichte der Rostocker

Geschichtsschreiber in den Auflagen 1580-1583 verschiedene aus dem Orient erhaltene

Dokumente in einem Anhang zu seiner Rede, um dem abendländischen Leser durch die

Lektüre dieser neuen Quellen eine bessere Kenntnis einzelner Aspekte aus dem Leben

dieser Kirchen zu vermitteln.912

In diesem Anhang veröffentlichte Chytraeus seit den Auflagen Wittenberg 1580,913

Rostock 1580 und Frankfurt 1580 eine Reihe von Briefen und Berichten, die von seinen

Berichterstattern aus Konstantinopel, Litauen und dem Orient oder von verschiedenen

910 David Chytraeus empfiehlt dazu das kleine Libellum Carionis. Zur Art, wie Chytraeus den Wortlaut des

Chronikons Carionis den Studenten erklärte siehe Detloff Klatt, David Chytraeus, 75 ff. 911 Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 39-40. Peter Paulsen, David Chyträus als Historiker, 23-24. 912 In der letzten Auflage der „Oratio“ aus dem Jahr 1583 umfaßten die veröffentlichten Dokumente die

Seiten 44-271, während die Rede über den Zustand der Ostkirchen nur die Seiten 6-42 umfaßte. Walter Engels bemerkt zur Wichtigkeit dieser Dokumente: „Man muß sich dabei immer vor Augen halten, das diese Sammlung für einen großen Teil ihres Inhaltes erstmalige Veröffentlichungen über, der deutschen gebildeten Welt bisher so gut wie gänzlich unbekannte, religiöse Zustände und geschichtliche Vorgänge im Osten und im Orient enthält.“ Walter Engels, Wiederentdeckung, 275.

913 In den Auflagen des Jahres 1580 veröffentlichte Chytraeus zuerst nur 15 Dokumente. In der Auflage Wittenberg 1580 wurden die folgenden 15 Dokumenten aus den 32 der letzten Auflage 1583 veröffentlicht: DOKUMENTE: 1 – (46-53 l); 2 – (53-60 l); 29 – (61-64 l); 4 – (64-68 l); 5 (68-70 l); 6 (70-73 l) gl; 15 (73-76) gl; 7 (77-81) gl; 8 (81-83) gl; 9 (84-88) gl; 10 (89-96) gl; 24 (96-112 l); 31 (112-115 l); 30 (115-118 l); 26 (118-133 l). (Die Nummer entsprechen der Numerierung von Engels, der die Dokumente in ihrer Reihenfolge numerierte. In den Klammern stehen die Seiten, g =griechisch, l = lateinisch.) In der Auflage Frankfurt 1580 sind genau dieselben Dokumente veröffentlicht. Eine Liste mit allen von Chytraeus im Jahr 1583 veröffentlichten Briefen und Dokumenten befindet sich bei Walter Engels, Wiederentdeckung, 273-274.

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Freunden aus Deutschland stammten.914 Einmal nahm er sogar ein schon durch Damianus

à Goës veröffentlichtes äthiopisches Glaubensbekenntnis, bearbeitete es und gab es erneut

in dem Anhang der Oratio teilweise heraus.915

Auch wenn die Arbeit an der Herausgabe dieser kleinen Briefberichte und anderer

Schriften mehr eine redaktionelle war, so darf man sie keineswegs unterschätzen. Darüber

hinaus wissen wir auch, daß Chytraeus nicht jede beliebige Nachricht weitergab, sondern

sie auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersuchte. Somit gewinnen auch die Veröffentlichungen

an sich für die Beurteilung seiner ostkirchenkundlichen historiographischen Tätigkeit an

Wert.916

Die Gründe, weswegen er auch den Anhang später hinzufügte, werden sogar von ihm

selbst in dem Vorwort zum Anhang genannt: „Die folgenden in den vorigen Jahren

geschriebenen Briefe des Patriarchen der Griechen und seiner Freunde und anderer Leute

aus der Stadt Konstantinopel, die zum Teil zu mir und zum Teil zu Martin Crusius und

anderen (geschickt wurden), bestätigen die Wahrheit der Erzählungen, die in der obigen

Rede über die Kirchen Griechenlands, Asiens und Afrikas mitgeteilt wurden.“917 Obwohl

es sich in der Oratio um mündliche Mitteilungen einiger guten Männer, von denen er in

Wien vor elf Jahren das meiste erfahren habe, handelte,918 werden die als Anhang

veröffentlichten Dokumente seine Aussagen bestätigen. Außerdem glaubte Chytraeus, daß

diese Briefe „den Frommen und Liebenden der Kirche Christi nicht unerfreulich und

unangenehm zu lesen sein würden.“919 So dachte Chytraeus mit diesen neuen Dokumenten

seine früheren Informationen aus der Oratio über die Ostkirchen für den neugierigen Leser

zu ergänzen und zu vervollständigen.920 Die neu erworbenen ostkirchlichen Kenntnisse

914 Das ist daraus zu erklären, daß seit 1574 der Dialog zwischen den Tübinger Theologen und Patriarchen

Jeremias II. stattfand, und dadurch auch Chytraeus dank der Freundschaft mit Martin Crusius Zugang zum christlichen Osten bekam. Von Martin Crusius bekam er die meisten von ihm veröffentlichten Briefe, obwohl diese nicht die wichtigsten und interessantesten Briefe aus dem Anhang hinsichtlich der Ostkirchen sind.

915 Siehe dazu Kap. 6.6. 916 Siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 81 und Anm. 4. Die Behauptung Walter Engels: „Fast wichtiger

jedoch als diese Rede selbst ist der Anhang, den Chytraeus bald darauf den weiteren Auflagen seines Buches beigab und der von Jahr zu Jahr an Ausdehnung wuchs.“ (Wiederentdeckung, 272) muß dennoch als ein bißchen übertrieben angesehen werden.

917 „Veritatem narrationum, superiori oratione de ecclesiis Graecis, Asiaticis et Africanis expositarum, confirmant sequentes epistolae Patriarchae Graecorum et familiarium ipsius et aliorum, ex urbe Constantinopoli, partim ad me, partim ad Martinum Crusium et alios, proximis annis scriptae.“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 43.

918 Vgl. ebd. 919 Ebd. 920 Vgl. auch Walter Engels, Wiederentdeckung, 273.

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wurden aber vom Rostocker nicht mehr für eine Bearbeitung des Textes seiner Oratio

herangezogen, sondern nur einfach im Anhang ediert.921

Seit den Auflagen des Jahres 1580 wird das Buch dem Kanzler des dänischen Königs

Nicolaus Kaas gewidmet, mit dem der Rostocker seit mindestens 1578 geschichtliche

Neuigkeiten austauschte922 und der sich sehr interessiert an der Ostkirchenforschung des

Chytraeus zeigte.923 Es ziemte sich damals, daß jeder Gebildete dieser Zeit einerseits viel

über fremde Länder, Völker und Religionen wußte, anderseits der Humanist aber begierig

war, die neu erworbenen Kenntnisse auch weiterzugeben. Aus dieser Widmung wird

ersichtlich, wie Chytraeus die Herausgabe dieser neuen Dokumente hinsichtlich der

Ostkirchen verstand: „Ich will jene Beispiele von Briefen und anderen Erzählungen über

die christlichen Kirchen unter der Türkenherrschaft, die veröffentlicht sind, dir und auch

mehreren anderen guten und gelehrten Männern am Anfang dieses neuen Jahres als ein

Gemeingut (commune bonum) schicken, wobei sie dem erhabenen Namen deiner

heroischen Güte gewidmet sind.“924

Chytraeus wollte mit seinen Veröffentlichungen, ähnlich wie später Crusius,925 der

gebildeten Gesellschaft dienen. So beruht die Herausgabe dieser Dokumente auf einer

humanistischen Begründung und nicht auf einer religiösen. Die veröffentlichten Briefe

vermitteln religiöse Neuigkeiten, die keine Konsequenzen für den eigenen Glauben haben,

außer daß sie ihn manchmal bestätigen. Bei ihm geht es nicht mehr wie bei Luther und

Melanchthon um die Legitimation der lutherischen Lehren mittels der Lehren der

Ostkirchen, zumal der Rostocker schon ein ausgeprägtes Konfessionsbewußtsein besaß.

921 Eine Ausnahme ist die einfache Erwähnung von Briefen aus Konstantinopel, als er über die Stadt Athen

sprach: „...tamen congruere cum illorum naratione, non literas solum recens Constantinopoli in Germaniam scriptas, verum aliqua ex parte etiam Laonici Chalcondylae historiam comperi...“ David Chytraeus, Oratio de Statu, 10.

922 Siehe den Brief des Chytraeus aus dem Jahr 1578 an Nikolaus Kaas in: David Chytraeus, Epistolae, 340-342. In zwei weiteren Briefen des Jahres 1580 berichtete Chytraeus dem dänischen Kanzler über das von Wenzeslaus Budowitz aus Konstantinopel empfangene Schreiben und über die neuen Auflagen der Oratio von Frankfurt und Wittenberg. Ebenda, 67-70.

923 Über das Interesse des Nikolaus Kasa an seinen Erforschungen berichtet Chytraeus in „Epistola Dedicatoria“, die er am 15. Januar 1580 geschrieben hat.

924 David Chytraeus, Oratio de Statu, 4-5. 925 Dorothea Wendebourg hat gezeigt, daß die Veröffentlichung der „Turcograecia“ von Martin Crusius eine

Reaktion auf die Veröffentlichungen des Chytraeus war. Der Tübinger hätte sein Werk mindestens einige Jahre später ediert, wenn der Rostocker nicht die den Briefwechsel zwischen Tübingen und Byzanz betreffenden Briefe veröffentlicht hätte. Das Ziel seines Werkes bestimmte Crusius in Entsprechung zu den Aussagen von Chytraeus in diesem Vorwort: „Wie diese wolle er der „gebildeten Gesellschaft“ dienen (in usum reipublicae literariae).“ Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 360. Das Interesse des Crusius war nicht theologisch, sondern humanistisch. Er wollte mit seinen Veröffentlichungen größere wechselseitige Kenntnis und Freundschaft zwischen Griechen und Deutschen schaffen. Siehe: Ebenda, 360-361, Anm. 10.

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Wenn Chytraeus am Anfang und am Ende der Rede über die Ostkirchen selbst von ganzem

Herzen zu Gott für diese Kirchen betete, hoffte er dieses Mal durch die Veröffentlichung

dieser Dokumente auch den Leser dazu zu bewegen: „Wenn ich den Leser zu heißen

strömenden Gebeten (preces) für jene Kirchen, von denen unsere Vorfahren zuerst die

christliche Religion bekommen haben, entfachen und zugleich ihm eine erhabenen Freude

bereiten werde, so glaube ich, daß ich eine edle Frucht von dieser Veröffentlichung

geerntet habe.“926

In der umfangreichsten und letzten Ausgabe der Rede über die Ostkirchen – Frankfurt

1583 – wurden von David Chytraeus im Anhang die folgenden Dokumente veröffentlicht:

1. Wenceslai Budowizii Magistri Aulae Caesarei apud Turcarum Imp. legati literae, hoc

anno 1580 Constantinopoli allatae, in quibus et veritas narrationum in oratione de

statu Ecclesiarum Graeciae et Asiae confirmatur; et proximorum Persiae Regum series

et Historia, et de Georgianis et aliis rebus quaedam cognitu non indigna breviter

recensentur. D. Davidi Chytraeo. Constantinopoli, den 12. Oktober 1579. (l, 44-50; W

46-53)927

2. Series proximorum Persiae Regum, cuius in superiore Epistola mentio fit, ex Italico ad

verbum conversa. (l, 51-57; W 53-60)

3. De praesenti Turcici Imperii Statu et Gubernatoribus praecipuis et de bello Persico.

Franciscus a Billerbeg Davidi Chytraeo S. D. Constantinopoli, den 9. Juli 1581. (l, 58-

69)

4. Ex literis Constantinopoli, die XXX Octobris, anno 1574, ad D. Davidem Chytraeum

datis. (l, 69-72; W 64-68)

5. Ex literis Constantinopoli, Cal. Iunij, Anno 1578, ad D. Davidem Chytraeum datis.

(von Stephan Gerlach) (l, 73-75; W 68-70)

6. Patriarchae Constantinopolitani literae ad Davidem Chytraeum datae, anno 1578,

mense Maio. (g-l, 75-78; W 70-73)

7. Literae scriptae in Monte Sinai, ad Carolum Archiducem Austriae, Anno 1569. (von

Eugenios, Bischof und Propst des heiligen Berges Sinai) (g-l, 79-83; W 77-81)

8. Patriarchae Alexandrini literae testim. Alberto Comiti à Levvenstein datae Anno 1561.

(von Ioachim, Papst und Patriarch von Alexandrien) (g-l, 84-86; W 81-83)

926 David Chytraeus, Oratio de Statu, 43. 927 In Klammern l = lateinischer Text; g = griechischer Text; die ersten Zahlen geben die Seiten der Auflage

Frankfurt 1583 an. W = die Ausgabe Wittenberg 1580, die folgenden Zahlen geben die Seiten dieser Auflage an. Wo W nicht erscheint, wurde das Dokument erst in der Ausgabe 1583 veröffentlicht.

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9. De urbe Athenarum et lingua Graecorum hodierna. (Brief des Symeon Cabasillus ex

urbe Graeciae Acarnania an Martin Crusius, 1578) (g-l, 86-91; W 84-88)

10. De urbe Athenarum, qualis ea hodie sit, et monte Helicone. (Theodosius Zygomalas an

Martin Crusius, 1575) (g-l, 92-100; W 89-96)

11. Occasio et progressus commutationis literarum et scriptorum inter Patriarcham

Constantinopolitanum et Martinum Crusium et alios Tybingenses. Ex epistola Martini

Crusii ad Davidem Chytraeum, anno 1579, mense April. (l, 101-106)

12. Ex alia eiusdem (Martini Crusii) epistola, anno 1580. D. 4 Iulii, ad Davidem Chytr.

data. (l, 106-107)

13. Prima Patriarchae Byzantini Epistola ad Tybingenses, Latinè conversa, 1574. (l, 107-

111)

14. De Confessione Augustana Graeca, Patriarchae Constantinopolitano exhibita.(Brief

des Stephan Gerlach an Jacob Andreae, Mai 1575) (l, 112-118)

15. Patriarchae Constantinopolitani epistola ad Martinum Crusium, Doctorem Graecarum

literarum in Academia Tybingensi, et Theologos, qui de Confessione Augustana, quam

in Graecum sermonem conversam ad illum miserant, iudicium Patriarchae sciscitati

fuerant, 1575. (g-l, 118-122; W 73-76)

16. Doctissimo viro Martino Crusio, Graecarum et Latinarum literarum Doctori,

Johannes, Patriarchicae Ecclesiae interpres, salutem in Domino, Mai 1576. (g-l, 122-

126)

17. Patriarchae Constantinopolitani Literae, cum quibus censuram de Confessione

Augustana suam ad Tybingenses misit, Mai 1576. (g-l, 126-130)

18. Summa censurae, ex literis M. Crusij anno 1576, d. 16 Iulij datis. (g-l, 130-131 und

132-133)

19. Ex literis 1579. Idib. Septemb. (von Martin Crusius) (g-l, 131-133)

20. Patriarcha indicat se accepisse responsum Tubingensium ad suam Confessionis Aug.

Censuram, et vicissim Apologiam promittit, Mai 1578. (g-l, 134-136)

21. Alia Theodosii Zygomalae Protonotarii ecclesiae Constantinopolitanae. (Brief an

Martin Crusius, Februar 1580) (g-l, 137-143)

22. Martinus Crusius Davidi Chytraeo Salutem in Christo.(Dezember 1580) (g-l, 143-152)

23. Alia Gabrielis Archiepiscopi Philadelphiae.(Brief an Martin Crusius aus Venedig,

1580) (g-l, 153-157)

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24. De gradibus episcoporum in Graecia, et statu Ecclesiarum, Aedificijs, arce et templis

in urbe Constantinopoli; ex literis Stephani Gerlachii ad Martinum Crusium anno

1575 scriptis. (l, 158-172; W 96-112)

25. Confessio Fidei a Gennadio Patriarcha Constant. Statim post captam à Turcis urbem

anno 1453 Mahometi II. postulanti exhibita. (g-l, 173-194)

26. Confessio Fidei Aethiopum. (l, 195-209, W 118-133)

27. De Russorum religione, ritibus, nuptiarum, funerum, victu vestitu, etc. Et de

Tartarorum Religione ac moribus. Paulus Oderbornius poeta laureatus, docens iam

Evangelion in Lituania, Davidi Chytraeo S.P.D, Juli 1581. (l, 211-240)

28. De religione et sacrificiis veterum Borussorum, Epistola Io. Meletij ad Georgium

Sabinum. (l, 241-251)

29. Literae in Syria scriptae Hierapoli, quam Halepum hodie nominant. (Brief des

Christophorus a Wiztumb an Wenzeslaus Budowetz, September 1579) (l, 251-254, W

61-64)

30. De Panormo, Cyzico, et Prusa Bithyniae urbe; ex literis D. Stephani Gerlachij ad M.

Samuelem Heilandum, doctorem Ethices in Acad. Tybing, Februar, 1577. (l, 254-256,

W 115-118)

31. Situs Constantinopolis, ex coelii Aug. Historia Saracenica circa annum Christi 718. (l,

257-260, W 112-115)

32. Epistola Constantinopolitanae Ecclesiae ad Bohemos, scripta quidem ante annos 131,

biennio nimirum ante captam à Turcis Constantinopolim: sed non ita diu in lucem

prolata Pragae ex bibliotheca Collegij Caroli Quarti, studio piae memoriae Doctoris

Caspari à Nydbruck, viri clarissimi, ac indagandae antiquitatis studiosiss. sereniss.

Regis Maximiliani olim Consiliarij, Januar 1451. (g-l, 261-271)

Chytraeus hat die mit „g“ kennzeichneten griechischen Dokumente ins Lateinische

übersetzt, so daß seine Arbeit nicht nur eine redaktionelle war. So hat er auch die Mühe der

Übersetzung auf sich genommen, um den Inhalt der griechischen Dokumente den

Nichtkennern dieser Sprache zu ermöglichen.

Während sich der Rostocker Ostkirchenkundler bei der Redaktion der Oratio nur auf das

kirchliche Leben der Ostchristen und die Organisation der Ostkirchen begrenzte, so gilt

sein Interesse im Anhang vielen anderen verschiedenen Dingen. Er interessierte sich für

die Geschichte, die Kriege, die Politik und die führenden Hauptpersonen der Türken, der

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Perser, der Tataren, der alten Russen, der Litauer.928 Auch die heidnische Religion der

alten Russen und Litauer sowie die Kleidung und die Lebensweise der Russen finden sein

Interesse.929

In den folgenden Kapiteln werden aber nur jene Dokumente in Betracht gezogen, die seine

Erforschungen und seine Kenntnisse hinsichtlich der orthodoxen Ostkirchen

veranschaulichen.930 Um uns ein klares Bild von diesen Berichten und Briefen machen zu

können, werden wir sie in den nächsten Kapiteln nach den einzelnen Berichterstattern

geordnet vorstellen.931 Nachdem wir zuerst die Berichte, die ihm von seinen direkten

Mittelsmännern zum christlichen Osten und von verschiedenen Freunden aus dem Orient

zukamen, untersuchen werden, werden die übrigen Dokumente vorgestellt, die sich der

Rostocker selbst verschaffte oder die zu ihm auf uns bis heute unbekannte Weise kamen.

Die Mühe, sich ständig neue Nachrichten von allen Seiten zu verschaffen, ist nicht zu

unterschätzen. Dazu zählen nicht nur Briefe nach dem Orient, sondern der Rostocker

unterhielt auch eigene Boten, die mit seinen Briefen, Briefzeitungen und Werken bis nach

Livland, Skandinavien und Wien reisten und von dort neue Nachrichten und Briefe

mitbrachten.932

Eine Reihe von anderen Berichten aus dem Orient wurde von David Chytraeus aus

unbekannten Gründen nach 1583 nicht mehr veröffentlicht.933 Einige Briefe wurden jedoch

durch Martin Crusius in seinem Diarium wiedergegeben,934 andere durch seinen

928 Vgl. die Dokumente mit den Nummern: 1, 2, 3, 27, 28, 31. 929 Vgl. die Dokumente mit den Nummern: 27, 28. 930 Es gibt dennoch einige Dokumente, in denen mehrere Nachrichten mitgeteilt werden. Die Teile, die

Auskünfte über die Ostkirchen enthalten, werden ausführlich analysiert, während die Nachrichten über die politische Lage der Türken, Perser oder Russen nur kurz erwähnt werden. Die Teile, die sich nicht auf den Zustand der Ostkirchen beziehen, finden ihre Bedeutung im Zusammenhang meiner Darstellung, indem sie die Vielfalt und die Mannigfaltigkeit der Erforschungen des Chytraeus veranschaulichen.

931 In seinem Aufsatz über die Rede des Chytraeus über den Zustand der Ostkirchen, wo auch die im Anhang veröffentlichten Dokumente kurz vorgestellt werden, ordnet Walter Engels die Dokumente nach einzelnen Sachgebieten. Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 274. Ich werde die Dokumente nach ihrer Herkunft ordnen und vorstellen.

932 Vgl. dazu Detloff Klatt, David Chytraeus, 57 und Anm. 4; Richard Hausmann, Studien, 81 und Anm. 215. 933 Hier ist vor allem vom zweiten Briefbericht des Franziscus von Billerbeg an Chytraeus die Rede, der am

1. Oktober 1582 in Wien geschrieben wurde. Der Bericht wurde 1586 von Michael Neander, einem Freund und Bekannten des Chytraeus aus Leipzig, unter dem Titel: „Epistola continens Hodoeporicon navigationis ex Constantinopoli in Syriam, Palaestinam et Aegyptum et montem Sinai, etc. Item de persico bello et circumcisione Mahometis filij Imp. Turcici, alijsque rebus Constantinopoli superiore aestate actis. D. Davidi Chytraeo“ veröffentlicht. Der Text dieses Briefes ist in der zweiten mir bekannten Auflage des Werkes von Michael Neander: Orbis terrae partium succinta explicatio, aus dem Jahre 1586 abgedruckt: Michael Neander, Orbis terrae, 490-511. Es scheint, daß David Chytraeus diesen Brief aus zeitlichen Gründen nicht mehr veröffentlichen konnte. Siehe dazu Kap. 6.3.1.

934 Siehe Kap. 6.1.1.

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gleichnamigen Sohn in der Ausgabe seiner Briefe (Hanoviae, 1614) veröffentlicht935 oder

andere erst am Anfang dieses Jahrhunderts in verschiedenen Archiven entdeckt und

veröffentlicht.936

6.1 David Chytraeus zwischen Tübingen und Byzanz

6.1.1 Die Weitererforschung der griechischen Kirche durch David Chytraeus dank der Beziehungen zwischen den Tübinger Theologen und dem Ökumenischen Patriarchen Jeremias II. (1573-1581) und die Veröffentlichung mehrerer Briefe aus dieser Korrespondenz

Die Rolle, die David Chytraeus bei der Veröffentlichung eines Teils der Korrespondenz

zwischen Tübingen und Byzanz gespielt hat, und sein Herangezogenwerden am Ende des

16. Jahrhunderts zu den Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten

und auch zwischen Lutheranern und Katholiken, wurden schon von Frau Dorothea

Wendebourg dargestellt.937

Meine vorliegende Untersuchung hat als Ziel, die Erforschungen des David Chytraeus

hinsichtlich der griechischen Kirche mit der Hilfe von Martin Crusius und Stephan Gerlach

zu veranschaulichen,938 die von ihm veröffentlichten Briefe aus der Korrespondenz

zwischen Tübingen und Byzanz kurz vorzustellen und seine Korrespondenz mit dem

Patriarchen Jeremias II. darzustellen.

Obwohl die Tübinger Theologen, solange sie nicht wußten, ob die Antworten der

orthodoxen Theologen die eigene Position stärken würden, den Briefwechsel mit den

griechischen Theologen aus Konstantinopel unter strengster Diskretion führten, gelang es

ihnen nicht, die Verbreitung der Kenntnis über den Briefwechsel zu verhindern. Es waren

935 Hierbei geht es um eine Reihe von Briefen des Chytraeus an oder von Martin Crusius, Franziscus

Billerbeg, Stephan Gerlach, Wenzeslaus Budowetz und Paul Oderbornius, die sich auf die ostkirchlichen Erforschungen des Chytraeus beziehen und in den entsprechenden Unterkapiteln dieses Kapitels zitiert werden.

936 Es handelt sich hier um einige Briefe des Chytraeus an Wenzeslaus Budowitz und Berichte des Wenzeslaus Budowitz an Chytraeus, die die Erforschungen des Chytraeus hinsichtlich der Ostkirchen durch Wenzesalus Budowitz veranschaulichen und von Dr. Julius Glücklich in Archiven in Paris entdeckt und in der gesamten Korrespondenz des Wenzeslaus Budowitz ediert wurden. Vgl. Julius Glücklich, Václava Budovce, 14-19 und Julius Glücklich, Nová Korrespondence, 1-2.

937 Siehe: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 349-356 und 360-361, 377ff. Die Feststellungen von Dorothea Wendebourg werden in dieser Untersuchung herangezogen, wenn sie unserer Fragestellung hilfreich erscheinen. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit und dieser Arbeit fallen aber verschieden aus: wenn bei ihr David Chytraeus nur als ein Mittel benutzt wurde, um die Entstehung der Polemik der westlichen Kirchen gegeneinander zu veranschaulichen, wird er hier zur zentralen Figur der Darstellung.

938 Crusius und Gerlach sind hier nicht mehr die Hauptfiguren der Darstellung, sondern nur Vermittler von Nachrichten für David Chytraeus.

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nicht Spione, in deren Hände Informationen über den Dialog fielen, sondern Freunde von

Stephan Gerlach, Jacob Andreae und besonders von Martin Crusius.939

Bevor Crusius im Monat Mai des Jahres 1576 die Korrespondenz mit David Chytraeus in

Bezug auf die theologischen Verhandlungen mit den Griechen eröffnete,940 hatte sich

Chytraeus schon 1573 oder spätestens 1574 an eine anonyme Person941 in Konstantinopel

mit einigen Fragen hinsichtlich der Namen des persischen Königs und des damaligen

Patriarchen sowie des Zustandes der griechischen Kirche gewandt.942

Obwohl der anonyme Absender des Briefes den Patriarchen Jeremias II. noch nicht

gesehen hätte, begann er dennoch, auch auf die Anregungen Chytraeus' hin, von den

Freunden und Hausgenossen des Patriarchen Kenntnisse über die griechische Kirche zu

sammeln.

Dieser Brief vermittelte Chytraeus und durch ihn auch den Lesern seines Buches, einige

neue Kenntnisse über die griechische Kirche. Neben der Bestätigung mehrerer von

Chytraeus in der Oratio gemachten Aussagen,943 konnte der anonyme Berichterstatter, der

939 Vgl. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 347-348. Innerhalb des Luthertums fühlte man

sich frei, über den begonnenen Dialog mit den Griechen zu sprechen. Besonders über den Humanistenzirkel des Crusius verbreitete sich die Nachricht über den Dialog mit dem Patriarchen von Byzanz. Siehe: Ebenda, 348-349.

940 Er schrieb Chytraeus einen Brief, in dem er ihm kurz über die Phasen des Dialogs mit dem Patriarchen Jeremias II. berichtet, weil der Rostocker Theologe ein Philhellene sei. Er lege Chytraeus auch einen Brief des Patriarchen von Konstantinopel bei. (In unserer Liste Nr. 15) Siehe: Martin Crusius, Diarium, I, 322. Ausführlicher dazu Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 349-350.

941 Der Abdruck des Briefes dieser Person im Anhang der Oratio teilt den Namen der Absender nicht mit. Auch wenn die Zeitgenossen an Gerlach dachten, stimmt diese Identifizierung nicht, da der Verfasser des Briefes am 30. 10. 1574 mitteilte, er habe den Patriarchen noch nicht gesehen. Gerlach aber berichtet: „Den 15. (Oktober 1573 u. Z.) bin ich mit Hn. D. Manlio zum Patriarchen gegangen und hab ich deß Hn. Canzlers D. Andeae und Herrn Krusii, Lehrers der Griechischen Sprache beeder zu Tübingen schreiben ihm eingehändiget; wir grüsten ihn und wündschten ihm durch seinen Dolmetschen, den alten Zygomala, alles glückliche wohlergehen und küsten ihm die Hände.“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 29. Vgl. auch Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 350, Anm. 17. Dorothea Wendebourg bringt auch als zweites Argument gegen die Verfassung des Briefes durch Stephan Gerlach, die Tatsache, daß Chytraeus in einem Brief von 1578 bestätigt, er habe nur einen Brief von Gerlach aus Konstantinopel 1575 erhalten. Ebenda, 350, Anm. 17. Aber der von Gerlach Ende Oktober 1574 verfaßte Brief konnte wahrscheinlich erst am Anfang des Jahres 1575 oder später in Rostock eintreffen. Außerdem zeigt sich die theologische Problematik dieses Briefes in klarem Einklang mit der Tätigkeit von Gerlach in Konstantinopel. Der Ort in Konstantinopel, wo der Brief abgefaßt wurde, war „in foro Constantini Magni“, wo die deutsche Gesandtschaft seinen Sitz hatte, wie Gerlach selbst in seinem Tagebuch berichtet. Vgl. Stephan Gerlach, Tagebuch, 20. Alle diese Hinweise wären Argumente dafür, daß dieser Brief von Gerlach stammen könnte, aber nur wenn das Datum des Briefes in der Oratio falsch angegeben worden wäre.

942 „Regis Persarum praesentis, de quo queris, nomen est Scah Tahmas: Ismaelis, de quo Iovius, filius iam senex. Patriarchae Constantinopolitani praesentis nomen est Ieremias.“ David Chytraeus, Oratio de Statu- Anhang, 70.

943 Es wurde in diesem Brief wieder der Aberglauben der Griechen beschrieben: Anrufung der Heiligen und Verehrung der Bilder, Gottesdienste für die Toten. Die Griechen würden in den anderen Lehren mehr papistisch als lutherisch sein. (In reliquis omnibus, Pontificijs propinquiores esse quàm orthodoxis videntur.) Auch was die Autorität der Kirche und die Traditionen der Väter betreffe, seien die Griechen derselben Meinung mit den Katholiken. Siehe: Oratio de Statu- Anhang, 71-72.

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nach der Art wie er die Traditionen der Griechen bewertete ein Evangelischer war, noch

einige Einzelheiten über die Predigt und die liturgischen Bücher der Griechen mitteilen.944

Der Absender des Briefes zeigte sich am Ende wohl bereit, Chytraeus später sowohl neue

Einzelheiten zu berichten, als ihm auch griechische in Venedig gedruckte Bücher durch

einen Boten nach Rostock zu schicken, wenn Chytraeus dies begehren würde.945

Auch bevor Crusius 1576 David Chytraeus über den Dialog mit den Griechen schrieb,

hatte sich Chytraeus selbst 1574 über die Abordnung von Stephan Gerlach an der

Türkischen Pforte interessiert und ihn wiederum um Informationen über den Zustand und

die Organisation der griechischen Kirche gebeten.946

Chytraeus empfing von Gerlach bis 1578 einen uns unbekannten Brief.947 Der zweite uns

bekannte Brief von Gerlach an Chytraeus wurde am 1. Juni 1578 in Konstantinopel

geschrieben948 und vom Rostocker Theologen 1580 in seiner Oratio veröffentlicht.949

In diesem Brief teilte Gerlach Chytraeus am 1. Juni 1578 mit, daß er Patriarch Jeremias II.

seinen Brief an ihn ausgehändigt habe.950 Über die Lehren der griechischen Kirche teilte er

ihm fast nichts mit, da Chytraeus mit Sicherheit aus der ersten Antwort des Patriarchen, der

944 Die Griechen würden sehr selten predigen. Auf den Inseln Zypern und Kandia seien dennoch etliche

Prediger, die das Volk unterrichten. In Konstantinopel kannte der Absender nur einen Mönch, der in der Fastenzeit und an großen Festen Predigten hielt. Einen Katechismus, in dem die Hauptlehren der Griechischen Kirche ständen, hätten die Griechen nicht, sondern nur den Psalter, das Neue Testament, das Brevier und die drei Liturgien, die alle in der alten griechischen Sprache verfaßt wären. Viele andere Bücher würden in der barbarischen griechischen Sprache verfaßt. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 70-72.

945 David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 71 und 72. Es ist uns weiter über diese Beziehung nichts bekannt.

946 Es handelt sich um einen Brief Gerlachs an Martin Crusius aus dem Jahr 1575, in dem er über die Organisation der griechischen Kirche, den Zustand vieler christlichen Städte, die Predigt und die Druckereien in Griechenland, über die theologischen Handschriften, die die Griechen besaßen und über den Zustand der christlichen Kirchen in Konstantinopel berichtet. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 158-172. Am Ende dieses Schreibens teilt Gerlach auch den Grund für die Abfassung dieses Briefes mit: „Sed haec conscribendi occasio erat: quòd ante annum à Davide Chytraeo per literas rogatus fuissem, ut similibus de rebus excellentiam eius, historiae causa, certiorem facerem.“ Ebenda, 172. Wir wissen nicht genau, ob dieser Brief auch an Chytraeus geschickt worden ist, da er den Bericht als ein Schreiben Gerlachs an Crusius seit den Auflagen Frankfurt und Wittenberg 1580 veröffentlichte. Darüber berichtet Martin Crusius auch in einer Note der Turcograecia: „Ante annum (inquit Gerlach. 27. novemb. ad me) à D. Chytraeo per literas rogatus fui: ut de Ecclesia et fide Graecorum, se historiae causa certiorem facerem.“ Martin Crusius, Turcograecia, 511.

947 In einem Brief an Gerlach schreibt Chytraeus am 13. November 1578, daß er bis dahin nur einen Brief von ihm bekommen habe. „Ego enim unas tantum à te Constantinopoli datas, accepi.“ David Chytraeus, Epistolae, 310. Dieser Brief könnte der Brief vom 30. Oktober 1574 sein, wenn das Datum des Briefes in der Oratio falsch angegeben wäre.

948 Der Brief wurde erst am 5. Juli 1578 nach Deutschland geschickt. Vgl. Stephan Gerlach, Tagebuch, 526. Am 13. November 1578 war der Brief noch nicht in Rostock eingetroffen. Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 310.

949 In der Auflage 1583, 73-75. 950 Vgl. weiter Kap 6.1.2.

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in zwei Monaten eine neue Antwort nach Tübingen schicken würde, informiert gewesen

sein müßte.951

Aus dem Brief Gerlachs geht hervor, daß Chytraeus ihn durch einen Brief dazu bewogen

habe, die Hauptartikel der evangelischen Lehre zusammenzuschreiben und ein Urteil der

Griechen darüber zu erbitten. Aber bis Gerlach den Brief an Chytraeus schickte, bekam er

keine klare Antworte von den Griechen.952

Der Gesandtschaftsprediger entschuldigte sich auch, da er keine Antwort auf Chytraeus’

Bitte geben konnte, ob seine Informationen aus der Oratio richtig wären. Zwei Gründe

wurden dafür von Gerlach genannt: er konnte die von Chytraeus beschriebenen Gebiete

nicht sehen, obwohl er mit den kundigeren Griechen darüber geredet hätte; zur Zeit habe er

viele persönliche Sorgen und habe auch die Oratio des Chytraeus nicht bei der Hand, weil

er seine Bücher schon nach Wien geschickt habe.953

Am Ende des Briefes teilte Gerlach noch mit, daß er Chytraeus Bescheid gebe, wenn er in

Deutschland sein werde.954 Bevor er neue Nachrichten von Gerlach bekam, empfing der

Rostocker einen erfreulichen Brief von Martin Crusius, in dem dieser ihm berichtete, daß

Gerlach auf der Rückreise nach Deutschland von Sofija in Bulgarien Briefe an Crusius und

andere geschrieben hätte.955 Chytraeus war sich wohl dessen bewußt, was die Rückreise

von Gerlach hinsichtlich der Ostkirchenkunde bedeutete, so daß es ihm sehr am Herzen

lag, so schnell wie möglich die Verbindung mit ihm aufzunehmen.

Am 13. November 1578 schrieb Chytraeus Gerlach erneut956 und drückte seine große

Freude darüber aus, daß Gerlach nach Deutschland zurückgekehrt sei: „Ich freue mich mit

voller Inbrunst über deine unversehrte und glückliche Rückkehr nach Deutschland und ich

statte dir Dank für jenes Vielewissen über die asiatischen und griechischen Dinge ab.“957

Der Rostocker versuchte weiter von seiner Sicht aus den Aufenthalt Gerlachs in

951 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 73-74. 952 Vgl. ebd, 74. 953 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 74. Gerlach verließ am 4. Juni 1578 Konstantinopel.

Vgl. Stephan Gerlach, Tagebuch, 505. 954 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 74. 955 Siehe: David Chytraeus, Epistolae, 309. 956 Der Brief ist veröffentlicht in: David Chytraeus, Epistolae, 309-310. Hermann Ehmer schlägt in seinem

Aufsatz – Irdische Heimat und himmlisches Vaterland. David Chytraeus’ Heimatbeziehungen – wo er auch kurz auf die Korrespondenz zwischen Stephan Gerlach und David Chytraeus eingeht, eine unbegründete Korrigierung des Datums dieses Briefes vor: „Die Datierung des Briefes auf November 1578 wird wohl in 1577 zu ändern sein.“ Hermann Ehmer, David Chytraeus’ Heimatbeziehungen, 42, Anm. 141. Da er behauptete, daß Gerlach Ende 1577 in die Heimat kam (Ebenda, 32), änderte er auch das Verfassungsdatum des Briefes seiner vorherigen Behauptung gemäß. Da Gerlach erst am 4. Juni 1578 Konstantinopel verließ (Vgl. Stephan Gerlach, Tagebuch, 505.) beruht seine Datierung auf einer falschen Information und folglich bleibt das in „Epistolae“ angegebene Datum als richtig.

957 David Chytraeus, Epistolae, 309.

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Konstantinopel zu bewerten: „Dir nämlich wird für die ganze Zeit deines Lebens und die

ganze Zeit danach diese Auslandsreise sehr ehreneinbringend und ruhmreich sein; der

Kirche aber und allen Gläubigen in ganz Deutschland und den benachbarten Völkern wird

es heilsam (salutare) und angenehm sein, die Lage und den Zustand der Kirchen in

Griechenland und Asien selbst zu prüfen und sicher zu wissen, weil du gelernt hast, es zu

erfahren.“958

Darum ermutigt der Rostocker Gerlach und bittet ihn, daß „diese Arbeit (die Mitteilung der

neuen Informationen scil.) bei der ersten Gelegenheit von Dir angegangen wird und den

Studenten (studiosis) der wahren Lehre und der Frömmigkeit und der Kirchengeschichte

mitgeteilt wird und allgemein der Kirche und mir und meinen Kollegen.“959

Hier geht es dem Humanisten aus Rostock um mehr als nur um die Weiterbildung der

gelehrten Gesellschaft mit religiösen, kulturellen und politischen Neuigkeiten aus dem

Orient, die als ein kulturelles Gemeingut verstanden werden. Es war ihm sicherlich

wichtig, seinen Freunden mitzuteilen, daß Christus unter den Türken eine Kirche erhalten

habe. Aber hier ging es auch um den Nutzen im religiösen Sinn, um das Heilsame aus

seinen Mitteilungen. Wie könnten aber die Informationen über den Zustand und besonders

über die zum großen Teil nach Chytraeus abergläubischen Lehren der Ostkirchen zum Heil

der evangelischen Gläubigen in Deutschland und in den benachbarten Ländern beitragen?

Das kann vom Rostocker Theologieprofessor nur negativ gemeint sein. Sie waren

Beispiele dafür, daß alle von Chytraeus als Aberglauben bezeichneten Bräuche und Lehren

der Ostkirchen960 verlassen werden müßten, was schon mit der Reformation geschehen sei.

Ein solches Verständnis beruht wiederum auf dem starken Konfessionsbewußtsein der

zweiten Generation der lutherischen Theologen. Anderseits kann man auch annehmen, daß

bei Chytraeus der orthodoxen mit den evangelischen übereinstimmenden Lehren wenn

nicht eine Legitimationsfunktion, zumindest eine Bestätigungsfunktion beigemessen

werden kann.

Auch wenn die Korrespondenz mit Gerlach für den Rostocker konfessionskundlich nicht

sehr informationsreich war, erlaubt sie dennoch neue Erkenntnisse hinsichtlich der

958 Ebd. 959 David Chytraeus, Epistolae, 309. Der Brief endet mit der Bitte des Chytraeus, daß ihm Gerlach unbedingt

schreibe. Ebenda, 310. Eine Antwort von Gerlach ist mir nicht bekannt. Es ist aber bekannt, daß das Tagebuch von Gerlach, in dem sich die wichtigsten Informationen über die orientalischen Kirchen befanden, erst fast hundert Jahre später (1674) von seinem Enkel Samuel Gerlach herausgegeben wurde: Stephan Gerlachs, deß Aeltern Tage-Buch an die Ottomannische Pforte zu Constantinopel abgefertigten..., herfür gegeben durch Seinen Enckel M. Samuelem Gerlachium, Franckfuhrth am Mayn, 1674.

960 Siehe Kap. 5.4.5.

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Erforschungen und der Einstellung des Chytraeus bezüglich der Ostkirchen und besonders

hinsichtlich des Nutzens seiner ostkirchlichen Erforschungen für das Abendland.

Während sich Chytraeus sehr bemühte, Nachrichten über die griechische Kirche direkt von

Konstantinopel zu bekommen, bekam er einen unerwarteten Zugang zu Byzanz. Martin

Crusius961 berichtete „dieser weithin bekannten Autorität“,962 was die griechische Kirche

betraf, am 01. 06. 1576 über den Briefwechsel der Tübinger mit Konstantinopel und legte

auch ein Schreiben des Patriarchen Jeremias II. bei.963 Dabei berichtete der Philhellene von

Tübingen kurz auch über die bis damals erfolgten Verhandlungen mit dem Patriarchen.

Zu dieser Zeit war die theologische Antwort des Patriarchen Jeremias II. auf die CA in

Tübingen noch nicht eingetroffen, so daß Crusius nicht viel über die Stellungnahme der

Griechen zur reformatorischen Lehre und über ihre Lehre selbst berichten konnte.

Nachdem die Antwort am 18. Juni 1576 in Tübingen eingetroffen war,964 konnte Crusius

einen Monat später Chytraeus etwas über den theologischen Inhalt der Verhandlungen mit

den Griechen vermitteln.

Da die Antwort des Patriarchen nicht so viele Übereinstimmungen wie erwartet mit der

evangelischen Lehre zeigte, verbot Andreae Crusius, diese Antwort des Patriarchen einem

dritten zu zeigen.965 So kommt es, daß David Chytraeus keine von den drei theologischen

Antworten des Patriarchen Jeremias II. an die Tübinger empfangen sollte, sondern nur

Teile der dazwischen liegenden Korrespondenz.

Dennoch teilte Crusius ihm am 16. Juli 1576 eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten

von den evangelischen unterschiedlichen Lehren der Griechen mit, die er aus dem

Schreiben des Patriarchen entnehmen konnte: sie bestritten stark das „filioque“; maßen

dem freien Willen einen hohen Wert bei; bestritten, daß der Mensch durch den Glauben

gerecht werde; behaupteten sieben Sakramente; riefen die verstorbenen Heiligen, die

Gottesmutter und die Engel an; sie verehrten (proskynese) die Ikonen und beteten (latreia)

nur Gott an; sie ehrten dadurch nicht die Materie, sondern die auf der Ikone abgebildeten

Heiligen; sie verteidigten das monastische Leben. Die Griechen nähmen die Beweise für

961 Sie haben auch vor Jahren einige Briefe gewechselt. Vgl. Martin Crusius, Diarium, I, 322. 962 Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 349. 963 Siehe: Martin Crusius, Diarium, I, 322. Ausführlichere Darstellung bei Dorothea Wendebourg,

Reformation und Orthodoxie, 349-350. Es geht um den Brief des Patriarchen Jeremias II. vom 16. November 1576 an Martin Crusius und Jacob Andreae, in dem er den Empfang der CA bestätigt. Der Brief wurde von Chytraeus auf Griechisch und Latein mit anderer Adressatenangabe veröffentlicht: David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 118-122. Der Brief veröffentlicht auch bei Martin Crusius, Turcograecia, 440-441. Eine Vorstellung und Analyse des Inhaltes des Schreibens des Patriarchen bei: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 67-68.

964 Zu Einzelheiten siehe Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 84. 965 Vgl. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 94 und 347.

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diese Lehren aus den Vätern und den Konzilien. Sie ermahnten aber die Lutheraner zur

Zustimmung.966

Fast zwei Jahre später (am 10. Mai 1578) wandte sich Chytraeus an Crusius,967 da er

vermutete, daß Gerlach von Konstantinopel zurückgekehrt sein könnte.968 Er nahm an, daß

Gerlach ihm Auskunft über die gesamten Verhältnisse in Griechenland und Asien gegeben

habe, und darum bitte er den Philhellenen auch ihm etwas davon mitzuteilen.969

Crusius schrieb im September 1578 zurück970 und legte eine Kopie des Briefes vom Mai

1578 bei,971 in dem Jeremias II. sein zweites theologisches Schreiben ankündigt.972

Chytraeus schrieb Crusius wieder im März 1579,973 legte den Brief, den er persönlich vom

Patriarchen Jeremias II. bekommen hat974 und einen anderen Brief vom Berg Sinai (1569)

an Erzherzog Karl von Österreich,975 bei.

Das trug dazu bei, daß der Philologe schon im April 1579 zurückschrieb und Chytraeus

über die bis damals erfolgten Verhandlungen berichtete.976 Auf sechs Seiten (Format 8°)

schilderte Crusius den geschichtlichen Verlauf des Briefwechsels von der Berufung des

David von Ungnad bis Frühjahr 1579.977 Dabei erfuhr Chytraeus fast nichts über die

theologischen Verhandlungen.

Im Juli 1579 teilte Crusius Chytraeus mit, daß die zweite theologische Antwort des

Patriarchen Jeremias II. in Tübingen eingetroffen sei.978 Im August oder September schrieb

Chytraeus zurück, daß er die von Crusius mitgeteilten Neuigkeiten seinen Kollegen und

seinen Freunden in Skandinavien, Preußen und Livland mitgeteilt habe und legte einen

Brief des Budowitz bei.979

966 Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 130-133. 967 Der Text des Briefes bei: Martin Crusius, Diarium, I, 635-636. 968 Im November 1578 schrieb Chytraeus Gerlach persönlich und bittet ihn um neue Auskünfte über die Lage

der Kirchen in Griechenland und im Orient. Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 309. 969 Siehe: Martin Crusius, Diarium, I, 635. 970 Siehe: ebd., 636. 971 Der Text des Briefes auf Griechisch und Latein bei: David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 134-136. 972 Siehe zu Einzelheiten Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 351. 973 Siehe: Martin Crusius, Diarium, I, 729-730. 974 Siehe Kap. 6.1.2. 975 Siehe Kap. 6.7. 976 Der Brief ist bei Chytraeus abgedruckt: David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 101-106. Dabei legte

Crusius eine Reihe von Briefen, die die Griechen von Konstantinopel betrafen, bei. Vgl. Martin Crusius, Diarium, I, 729 ff.

977 Dieser Brief von Crusius an Chytraeus stellte so gut und zusammenfassend den geschichtlichen Verlauf der Verhandlungen zwischen Tübingen und Konstantinopel zwischen den Jahren 1573 und 1579 dar, daß Johannes Lamius 1740, um diesen Briefwechsel vorzustellen, einfach diesen Brief zitierte. Siehe: Johannes Lamius, Deliciae Eruditorum, 9, 177-181.

978 Siehe: Martin Crusius, Diarium, II, 76. 979 Siehe: David Chytraeus, Epistolae, 273. Zu Einzelheiten siehe: Dorothea Wendebourg, Reformation und

Orthodoxie, 352. Später schickte Chytraeus dem Philologen auch den Brief von Budowitz an ihn, der am 4. Juli 1580 geschrieben wurde. Der Text in: Martin Crusius, Diarium, II, 393-399.

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Da Chytraeus sich wünschte, daß die Schriften der Korrespondenz gedruckt würden, aber

die Tübinger aus theologischen Gründen nicht dazu bereit waren, veröffentlichte Chytraeus

am Anfang des Jahres 1580 die Briefe, die er von Crusius hatte,980 zusammen mit anderen

direkt aus dem Orient empfangenen Briefen, ohne jede Absprache mit dem Humanisten

oder jemandem aus Tübingen.981

In der Ausgabe 1583 veröffentlichte Chytraeus neben den Briefen der Auflage 1580 noch

fünf Briefe von Crusius an ihn und andere Briefe, die Crusius bis 1580 von verschiedenen

orthodoxen Theologen aus dem Orient empfangen hatte.982

Obwohl Chytraeus die theologischen Schriften des Briefwechsels zwischen Tübingen und

Byzanz bis zu ihrer Veröffentlichung durch die Tübinger 1584 nicht zugänglich waren,

veröffentlichte er dennoch als erster eine Reihe von wichtigen Briefen aus der

Korrespondenz zwischen Byzanz und Tübingen und trug dazu bei, daß Martin Crusius

1584 seine Turcograecia herausgab.

6.1.2 Der Briefwechsel zwischen David Chytraeus und dem Patriarchen Ieremias II.

Nachdem Chytraeus den Brief des Patriarchen Jeremias II. vom November 1575 an die

Tübinger von Martin Crusius bekommen hatte,983 versuchte er selbst schriftliche

Verbindung mit dem byzantinischen Hierarchen aufzunehmen. Darum verfaßte er selbst

irgendwann im Jahre 1577 einen Brief an den Patriarchen von Byzanz.984

Am 31. Dezember 1577 bekam Gerlach in Konstantinopel eine Reihe von Briefen aus

Deutschland. Zwischen ihnen auch die Antwort der Tübinger Theologen auf die Antwort

980 Neben den Briefen des Patriarchen Jeremias II. besaß Chytraeus Briefe von Simeon Cabasilas, Theodosius

Zygomalas und dem Erzbischof Gabriel von Philadelphia, der in Venedig residierte, an Martin Crusius. Andere Briefe waren von Gerlach aus Konstantinopel an Martin Crusius, Jacob Andreae oder Samuel Heiland geschickt. In der Auflage 1580 veröffentlichte Chytraeus nur die folgenden von Crusius erhaltenen Dokumente: 9, 10, 15, 24, 30.

981 Zu Einzelheiten siehe: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 352. Für die Reaktion von Crusius wegen dieser Veröffentlichungen des Chytraeus und die Konsequenzen der Veröffentlichung siehe: Ebenda, 352 ff. Die Veröffentlichungen des Chytraeus trugen dazu bei, daß sich Martin Crusius entschlossen hatte, seine Dokumentensammlung (die spätere Turcograecia) zu veröffentlichen. Siehe: Ebenda, 360-361. Die Tübinger versuchten die Verbreitung der Kenntnis über den Briefwechsel zu verhindern, bis sie ein endgültiges Ergebnis von Seiten des Patriarchen hatten. Da der erste Schritt in der Veröffentlichung der Briefe dieses Briefwechsels von Chytraeus gemacht wurde, konnte Crusius auch seine Dokumentensammlung veröffentlichen. Der am 4. Juli 1580 von Crusius geschriebene Brief an Chytraeus teilte diesen mit, daß die Confessio Augustana Graeca, die zwei Antworten des Patriarchen und die zwei Antworten der Tübinger auf die Antworten des Patriarchen für die Herausgabe in beiden Sprachen griechisch und lateinisch vorbereitet seien. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 106-107. Sie werden zusammen mit anderen Briefen Acta und Scripta des Jahres 1584 bilden.

982 Es ist die Rede von den Briefen mit den Nummern: 11, 12, 13, 14, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23. 983 Siehe Kap. 6.1.1. 984 Vgl. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 350 und Anm. 19.

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des Patriarchen Jeremias II. auf die Confessio Augustana Graeca, andere Briefe von

Tübingen und „dann H. D. Chytraei von Rostock Schreiben, sambt den in Griechische

Verse gesetzten Evangelien an den Patriarchen.“985

Der Brief des Chytraeus an den Patriarchen gelangte durch die Vermittlung des Wiener

Doktors Albertus Ursinius, der den Brief von Wien nach Konstantinopel zugeschickt hatte,

in die Hände von Gerlach.986 Gerlach berichtet weiter, daß er den Brief dem Patriarchen,

der sich in Thessaloniki befand, zusammen mit den Schriften der Tübinger und der

theologischen Antwort zugesandt und um eine schriftliche Antwort gebeten habe.987

Wegen der Kirchenvisitation hatte der Patriarch keine Zeit gehabt, eine Antwort zu geben.

Aber als der Patriarch im Mai 1578 wieder in Konstantinopel ankam, bat ihn Gerlach

erneut um eine Antwort.988

Am 1. Juni 1578 konnte Gerlach Chytraeus mitteilen, daß der Patriarch die Antwort

geschrieben und ihm auch für den Rostocker Theologen ein Tuch als Geschenk gegeben

habe. Da die Post das Tuch nicht mitnehmen könnte, werde es Gerlach bis nach Wien

mitnehmen und von dort durch Albertus Ursinius zu Chytraeus nach Rostock schicken. Er

schicke die Antwort des Patriarchen zusammen mit seinem Brief.989

Aus dem Tagebuch Gerlachs wissen wir, daß der Brief des Patriarchen an Chytraeus

zusammen mit dem Brief Gerlachs an denselben erst am 5. Juli mit der Post geschickt

wurde, während sich Gerlach auf dem Weg nach Deutschland in einem Dorf in Serbien

aufhielt.990

Der Brief von Chytraeus traf mit der ersten theologischen Antwort der Tübinger in

Konstantinopel ein, in der die Tübinger hartnäckig die Lehren der CA verteidigten und als

985 Stephan Gerlach, Tagebuch, 428. Was mit „den in Griechische Verse gesetzten Evangelien“ gemeint ist,

wissen wir nicht. Es kann sei, daß David Chytraeus für den griechischen Patriarchen den Inhalt der Evangelien in griechischen Versen setzte. Der Patriarch selbst mußte mindestens einen herzlichen Dank an den Rostocker ausrichten, wenn dieser eine solche Mühe auf sich genommen hätte. Aber er erwähnt mit keinem Wort dieses „Geschenk“ von David Chytraeus.

986 Darüber berichtet Gerlach in dem Brief vom 1. Juni 1578 an Chytraeus: David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 73.

987 Siehe: ebd. 988 Siehe: ebd. 989 Siehe: ebd. Da Stephan Gerlach eine so große vermittelnde Rolle zwischen Chytraeus und Patriarchen

Jeremias II. gespielt hat, hat Martin Crusius 1579 in seinem Hochzeitsgedicht an Gerlach, das er ebenfalls David Chytraeus schickte, die folgenden Verse geschrieben: „Quam roseae, lux gauderes venerabilis, urbis: / Tam bene Gerlachij, quam ego, amans, David Chytraee? / Nanq, à Gerlachio factum, bene amante Chytraei: / Scriberet ut tibi Byzantis Patriarcha colendus.“ Martin Crusius, Biduum Tybingense, 23. Der Rostocker dankte in einem Brief an Crusius im Februar 1580. Vgl. Ebenda, 29.

990 Am 5. Juli 1578 schrieb Gerlach: „Den 5. Umb den Mittag ist der Curir von uns auff Wien geritten, dem ich des Hn. Patriarchen Schreiben an die Tübing- und Stuttgardische Herren Theologen sämbtlich und an jeden absonderlich auch an H. D. Chytraeum.“ Item die Meinigen an die Herren Canzlern D. Andreae, ...D. Chytraeum...“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 526.

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Maßstab für alle Dogmen das Wort Gottes postulierten.991 Da der Patriarch bis zum 4. Juni

1578, als Gerlach sich auf den Weg nach Deutschland machte, die Antwort nicht schreiben

konnte, gab er ihm am 30. Mai fünf Briefe an die Tübinger mit, in denen er eine baldige

Antwort versprach.992

Da der Brief des Chytraeus zusammen mit den Schreiben der Tübinger dem Patriarchen

ausgehändigt wurde, rechnete dieser Chytraeus wahrscheinlich zu der Gruppe der

Tübinger. Wenn wir auch die Tatsache in Betracht ziehen, daß der Patriarch Gerlach

Gegengeschenke sowohl für die Tübinger993 als auch für Chytraeus mitgab, haben wir

einen zweiten Grund, die obige Vermutung zu bekräftigen.

Infolgedessen glaubte offenbar der Patriarch Jeremias II., daß Chytraeus über die

theologischen Verhandlungen gut unterrichtet sein sollte. Da die Briefe an die Tübinger

organisatorischer Art waren, litt auch die Antwort an Chytraeus unter dem theologischen

Gesichtspunkt.

Aus dem Brief des Patriarchen994 kann man entnehmen, daß Chytraeus in seinem

Schreiben seine Freude darüber ausdrückte, daß in jenen Gebieten auch unter der

türkischen Herrschaft Christen lebten. Er stellte sich wahrscheinlich auch, ähnlich wie

Martin Crusius in seinem ersten Brief an den Patriarchen,995 als einer der Philhelenen in

Deutschland, vor.

Patriarch Jeremias II. zeigt sich am Anfang des Briefes recht freundlich und redet

Chytraeus wie folgend an: „Hochgelehrter Herr David Chytraeus, Lehrer in der Akademie

der Stadt Rostock und geliebter Sohn nach dem Geist unserer Mittelmäßikeit, Gnade sei

991 Vgl. Acta et Scripta, 147 ff. Wort und Mysterium, 131 ff. 992 Der erste Brief ist an Jacob Andreae, Jacob Heerbrand, Lucas Osiander und Martin Crusius adressiert. Der

Text: Acta et Scripta, 383-384; George Mastrantonis, Augsburg and Constantinople, 317-318. Die anderen vier wurden persönlich an alle vier oben erwähnte Theologen adressiert und wiederholten noch einmal kurz den Inhalt des ersten Briefes. Die Briefe an Heerbrand und Crusius wurden auch in Acta et Scripta, 385-386 veröffentlicht. Siehe auch: George Mastrantonis, Augsburg and Constantinople, 318-319.

993 Vgl. Stephan Gerlach, Tagebuch, 502. Für die Austeilung der Geschenke in Tübingen siehe: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 119-120.

994 Der Text des Briefes in griechischer Sprache ist abgedruckt: David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 75-77. (Lateinische Übersetzung 77-78) David Chytraeus, Epistolae, 1063-1064. Der Brief ist auch veröffentlicht bei: Michael Neander, Bedencken an einen Guten Herrn, 48. Johann Lamius schrieb im 18. Jahrhundert hinsichtlich der Korrespondenz zwischen Chytraeus und dem Patriarchen: „Mense pariter Maio scripsit Patriarcha Dav. Chytraeo Catechetae Academiae, quae Rostochi est, quum is prius ad Ieremiam scripsisset, eique respondit incorruptam Christianam fidem apud Graecos esse adferens. Hoc autem responsum dedit, quum sub Maii exitum Constantinopolin rediisset ex provinciis, quarum Ecclesias pro Episcopali munere hoc anno visitarat; atque amplius misit Chytraeo antidori loco, linteum quoddam Graecis prosópsion dictum, quo faciem loti extergunt.“ Johann Lamius, Deliciae Eruditorum, IX, 184.

995 Siehe den Text des Briefes vom 7. April 1573 in: Martin Crusius, Turcograecia, 410-411; Wort und Mysterium, 30-31.

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mit Dir und Frieden und Barmherzigkeit von Gott dem Allmächtigen.“996 Hier erklingen

wieder die Worten, mit denen der Patriarch am 16. November 1575 Andreae und Crusius

angeredet hatte,997 um ihnen zu zeigen, daß sie einen „Vater“ brauchen, der sie in den

rechten Glauben führen konnte.998

Jeremias II. dankt für das Schreiben des Chytraeus, das er zusammen mit den anderen

Schriften der gelehrten Männer von Tübingen empfangen habe und dessen Empfang ihm

ein Gefallen war, weil er bestätige, daß Chytraeus auch einer von denen sei, der den

Griechen mit Freundschaft zugetan sei und trotz der Entfernung an die Griechen denke und

ihnen schreibe.999

Jeremias II. bestätigt an den Brief des Chytraeus anknüpfend, daß noch viele Menschen

(vor den Türken n.n.) gerettet wären, die die Heilige Dreieinigkeit recht anerkennen und

die rechte Lehre von Gott hätten.1000 Die Deutschen sollen auch wissen, daß auch wenn das

griechische Volk in Knechtschaft lebe, bewahre und verkünde es noch die wahre

Frömmigkeit und was gegen den wahren Glauben von Christus gesagt werde, könne es

leicht widerlegen und mit gutem Grund zurückweisen.1001

Und wie vor Zeiten die Feinde durch Verfolgungen, Kriege und Martyrium den

christlichen Glauben, der durch keine Kriege oder Macht ausgetilgt werden könne und bis

zum zweiten Kommen des Herrn bleiben werde, nicht überwältigen könnten, werde er so

wie auch damals nicht ausgetilgt, weil er nach dem Willen Gottes gegründet sei, dem sich

niemand widersetzen könne. Der Glaube werde mit Gott durch die Gnade Christi weiter

bewahrt werden und die Griechen werden im Namen Christi, was die Dinge der Religion

anbelangt, die Türken überwinden, weil sie wegen ihrer vielen Sünden und durch Gottes

Duldung unter dem Joch der Türken stünden.1002

Dieser Brief von Jeremias II. kann nur auf dem Hintergrund des Briefwechsels zwischen

Tübingen und Byzanz verstanden werden, und er spiegelt sein Bewußtsein in jener Phase

des Dialogs. Es geht Jeremias II. um eine theologische Erklärung, was den Zustand der

griechischen Religion und des griechischen Volkes betrifft, die durch zwei verschiedene

Aspekte dargestellt wird. Unter ethischem Gesichtspunkt müßten die Griechen durch die

996 David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 75. 997 Siehe den Text des Briefes in: Martin Crusius, Turcograecia, 440-441; David Chytraeus, Oratio de Statu,

118-122 auf griechisch und lateinisch. 998 Siehe die Analyse dieses Briefes im Kontext des Briefwechsels bei: Dorothea Wendebourg, Reformation

und Orthodoxie, 67-68. 999 Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 76. 1000 Siehe: ebd. 1001 Siehe: ebd., 76-77. 1002 Siehe: ebd., 76.

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Unterjochung der Türken die Strafe Gottes für ihre vielen Sünden erleiden. Unter

dogmatischem Gesichtspunkt bewahrten sie dagegen noch die wahre Lehre, so daß sie

noch imstande wären das, was gegen den wahren Glauben von Christus gesagt wird, leicht

zu widerlegen und mit gutem Grund zurückzuweisen.1003 Man findet hier eine Anspielung

auf die Antworten und Versuche der Tübinger Theologen, die Griechen von der

Richtigkeit ihres Glaubens zu überzeugen und sie dazu zu bewegen, ihn anzuerkennen oder

sogar anzunehmen.1004

Der Patriarch zeigt in diesem Brief eine durchaus optimistische Einstellung, was die

damalige Lage des christlichen Glaubens und die Zukunft desselben in Griechenland

betrifft. Man könnte diese Einstellung so ausdrücken: wenn Gott mit uns ist, obwohl er uns

aus Liebe straft, wenn wir ihn nur recht anbeten, wer könnte gegen uns bestehen?

Am Anfang des 18. Jahrhunderts zitierte Gottfried Arnold, der eine spiritualistische

Einstellung gegenüber der Kirchengeschichte vertrat und alle kirchliche Institutionen

verurteilte,1005 in seiner „Unpartheyischen Kirchen- und Ketzer-Historie“1006 den Abschnitt

aus diesem Brief des Patriarchen Jeremias II. an Chytraeus, in dem der byzantinische

Patriarch trotz der türkischen Knechtschaft die Aufbewahrung und die Verkündigung der

wahren Frömmigkeit behauptete,1007 um zu verdeutlichen, daß die orthodoxen Griechen,

über deren Kirche und deren religiösen Leben er sehr ablehnend urteilt, „sich selbst

heuhelten, wenn sie die gerichte Gottes bey ihrer demüthigung nicht erkennen wollten,

sondern noch dazu recht überley haben, und sich vor gar heilige und fromme leute rühmen

wolten.“1008

Die Beweisführung des Patriarchen Jeremias II. gelangte durch die Vermittlung des

Chytraeus auch in die Hände von Martin Crusius in Tübingen1009 aber die Tübinger

1003 Siehe: ebd., 76-77. Aufgrund dieser Aussage behauptete Dorothea Wendebourg, daß dieses Schreiben „in

einem Ton auffälliger Aggressivität“ geschrieben sei. Vgl. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 351.

1004 Man weiß, daß die Tübinger nach der ersten Antwort des Patriarchen Jeremias II. die Strategie des Dialogs umgestellt haben und eine Bekehrung der Griechen zum Luthertum erhofften. Vgl. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 88 ff.

1005 Zu seinem spiritualistischen Geschichtsbild siehe: Ernst Benz, Die Ostkirche, 69-70. 1006 Der Titel des Werkes lautet: Gottfried Arnolds, Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Vom

Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688, Frankfurth am Mayn, 1729. 1007 Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu - Anhang, 76-77. 1008 Zitat nach: Ernst Benz, Die Ostkirche, 71. 1009 Chytraeus schrieb Crusius im März 1579 einen Brief und legte auch diesen Brief vom Patriarchen

Jeremias II. bei. Vgl. Martin Crusius, Diarium, I, 729-730.

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Theologen waren schon nach der ersten Antwort des Patriarchen (1576) enttäuscht,1010 so

daß dieser Brief für sie keine Überraschung mehr darstellen konnte.

Auch dieses Mal empfing Chytraeus keine wichtigen Mitteilungen über die theologischen

Verhandlungen zwischen Orthodoxen und Evangelischen1011 aber dennoch konnte er sich

als Ostkirchenkundler dessen rühmen, daß er einen persönlichen Brief vom Haupt aller

Christen unter der türkischen Herrschaft und vom wichtigsten Korrespondenzpartner der

Tübinger im Orient bekommen hatte.

Was dieser Brief des Patriarchen Jeremias II., in dem dieser Chytraeus „geliebten Sohn

nach dem Geist“ nannte, für den Rostocker bedeutete, verriet er in einem Brief vom Jahr

1579 an Wenzeslaus Budowitz in Konstantinopel: „Ich habe auch am Ende des letzten

Jahres einen Brief vom byzantinischen Patriarchen Jeremias bekommen, der mir lieber als

alles Gold und Edelsteine ist.“1012

Das Interesse und die Sympathie des Chytraeus gegenüber dem ökumenischen Patriarchen

galt noch einige Jahre danach.1013 Als Chytraeus 1584 hörte, daß der Patriarch abgesetzt

wurde, „empfand er Schmerz im Herzen“1014 und schrieb wiederum in demselben Jahr

Wenzeslaus Budowitz und bat ihn, ihm die Gründe mitzuteilen, weshalb Patriarch Jeremias

II. abgesetzt worden war.1015

6.2 Wenzeslaus Budowitz von Budowa als Beauftragter des David Chytraeus mit der Weitererforschung der Ostkirchen

Im Jahr 1577 verweilte für kurze Zeit ein böhmischer Gelehrter in Rostock, der sich auf

einer längeren Reise durch West- und Nordeuropa befand und Wenzeslaus Budowitz hieß.

1010„Die Antwort des Patriarchen führte bei den Württembergern zu tiefer Ernüchterung und zur

Neubestimmung der Ziele, die sie mit dem Briefwechsel verbanden. Bei ihnen stellte sich nun der Schock ein, den Gerlach erlitten hatte, als er jenes Schreiben im Haus des Rethors Zygomalas überflog.“ Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 84.

1011 So auch Dorothea Wendebourg: „Sehr fruchtbar waren Chytraeus’ direkte Kontakte mit Konstantinopel nicht.“ (Ebenda, 351)

1012 „Accepi etiam exeunte superiore anno epistolam a patriarcha Byzantino Ieremia, quae mihi auro et gemmis omnibus carior est.“ David Chytraeus, Epistolae, 264. Es kann sein, daß der Empfang dieses in den Augen von Chytraeus so wertvollen Briefes ihn bewegte, ihn zusammen mit anderen Briefen im Anhang der Oratio herauszugeben.

1013 Ein anderer Mittelsmann des Chytraeus, diesmal zu Polen und Rußland, Paul Oderborn, kannte das Interesse des Chytraeus am ökumenischen Patriarchen Jeremias II. auch. Von Litauen schrieb dieser dem Rostocker am 9. April 1582 einen Brief, in dem er unter anderem kurz mitteilte, daß er von einem Boten aus Byzanz erfahren konnte, daß „Jeremias ille universalis Graeciae Patriarcha vivit adhuc et nun est in urbe (scil. Konstantinopel).“ David Chytraeus, Epistolae, 1030.

1014 Ebd., 570. 1015 Vgl. ebd.

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Während seines Rostocker Aufenthaltes begegnete dieser auch David Chytraeus,1016 der

ihm unter anderem auch über seine Erforschung der Ostkirchen berichtete. Da in jener Zeit

die Korrespondenz zwischen Tübingen und Byzanz stattfand, unterhielt sich Chytraeus mit

Budowitz auch darüber, wobei der Rostocker Professor jenem sogar einige Briefe vom

Gesandtschaftsprediger Stephan Gerlach zeigte.1017

Der unerwartete Besucher des Chytraeus wurde 1551 als Sohn des böhmischen Adligen

Adam Budowitz in Chlum, einer Ortschaft im Nordwesten der Tschechei, geboren.1018 Da

Wenzeslaus ein begabter Junge war, wurde er von seinen Eltern nach Prag zum Studium

geschickt. Im Alter von 14 oder 15 Jahren wurde er 1565 wiederum von seinen Eltern ins

Ausland geschickt, um seine Studien fortzusetzen. Damals begann eine Wanderschaft

durch ganz Westeuropa, die ungefähr 12 Jahre dauerte. Nachdem er sich zuerst mit der

religiösen Atmosphäre in Rom vertraut gemacht hatte, ging Wenzeslaus Budowitz nach

Wittenberg, wo er zwischen 1568-1572 an der lutherischen Universität studierte. Nachdem

er sein Studium in Wittenberg beendet hatte, ging er für eine Zeit nach Paris und danach

nach Genf, wo der Böhme Freundschaft mit Theodor Beza schloß, der dazu beitrug, daß

sich Budowitz zum Kalvinismus bekehrte.1019

Nachdem er durch Italien, Deutschland, Frankreich, Holland, England und Dänemark

gereist war und katholische, lutherische und kalvinistische Theologie studierte oder

zumindest kennengelernt hatte, gelangte der böhmische Adlige 1577 auf der Reise von

Dänemark nach Böhmen nach Rostock.1020 Damals kannte er schon die Lage fast aller

Kirchen in Westeuropa, aber die Unterhaltungen mit Chytraeus richteten seinen Blick auf

1016 Über ihre Begegnung in Rostock 1577 berichtet Wenzeslau Budowitz in seinem ersten Brief an David

Chytraeus, der am 20. März 1579 in Konstantinopel abgefaßt wurde. Der Text des Briefes: David Chytraeus, Epistolae, 261-263; Julius Glücklich, Václava Budovce, 1-2.

1017 Vgl. Julius Glücklich, Václava Budovce, 2. 1018 Die folgenden Daten über das Leben des Wenzeslaus Budowitz beruhen auf der Darstellung des

rumänischen Kirchenhistorikers Milan Şesan, Václav Budovec, 10-11, der, der tschechischen Sprache kundig war und somit Zugang zur entsprechenden Literatur über das Leben des Wenzeslaus Budowitz hatte. In seiner Darstellung über Wenzeslaus Budowitz und die Unionsversuche der Protestanten mit der orthodoxen Kirche aus Konstantinopel befinden sich einige Fehler hinsichtlich der Beziehungen zwischen Wenzeslaus Budowitz und David Chytraeus. Er nennt als Ort der Begegnung der beiden die Stadt Wittenberg, was aus dem oben zitierten Brief, die er auch zitiert hat, nicht erschlossen werden kann. Vgl. Milan Şesan, Václav Budovec, 13. Er behauptet auch, daß Chytraeus Konstantinopel selbst besucht habe, eine Behauptung, die völlig unbegründet ist. Ebenda, 13. Der Verfasser machte 1962 in einem Aufsatz, in dem die Beziehungen der Orthodoxie zum Protestantismus und Katholizismus dargestellt werden, eine ähnliche unbegründete Behauptung, die David Chytraeus betrifft, nämlich daß der Rostocker seit dem Jahr 1568 den Orient durchwanderte. Vgl. Milan Şesan, Ortodoxia, 266. Wie wir oben gesehen haben, endete die Ungarnreise des Chytraeus an der Grenze des türkischen Reiches. Vgl. Kap. 4.1. Eine andere Orientreise von Chytraeus ist nicht bekannt.

1019 Wenzeslaus Budowitz lernte auch andere zwei kalvinistische Theologen, Philip du Plessis du Mornay und J. J. Grynaeus, kennen. Vgl. Milan P. Şesan, Václav Budovec, 10-11.

1020 Es kann sei, daß die Freunde des Chytraeus aus Kopenhagen ihm vom Rostocker Professor erzählt haben, so daß Budowitz versuchte, ihn kennenzulernen.

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einen im Abendland ziemlich unbekannten Teil der Welt, den Orient.1021 Die Gespräche

mit David Chytraeus beeindruckten ihn so sehr, daß in ihm der Wunsch erweckt wurde,

jene Gegenden der Christenheit selbst zu besuchen und den damaligen Zustand der

orientalischen Kirchen zu erforschen.1022

Kaum nach Hause zurückgekehrt, geschah es, daß Kaiser Rudolf II. den neuen Botschafter,

Freiherrn Joachim von Sinzendorff, an die ottomanische Pforte schickte. Wenzeslaus

Budowitz trat sofort in die Dienste des evangelischen Freiherrn ein und einschließend am

10. November 1577 als Hofmeister des neuen kaiserlichen Gesandten mit ihm die Reise in

die Türkei an,1023 wo er am 01.01.1578 ankam.1024 Der Traum von Budowitz erfüllte sich

schneller als er gehofft hatte.1025

In der Begleitung des Freiherrn von Sinzendorff befand sich auch ein neuer

Gesandtschaftsprediger, der später für seine Orientreise und -beschreibung berühmt

gewordene Salomon Schweigger.1026

6.2.1 Die an Chytraeus geschickten Berichte des Wenzeslaus Budowitz über die Lehre und den Zustand der orientalischen Kirchen

Ohne nach der Begegnung mit Budowitz 1577 zu vermuten, daß der böhmische Adlige in

nur einigen Monaten schon in Konstantinopel sein würde, bekam Chytraeus 1579

unerwartet einen Brief aus Byzanz, aus dem er erfahren konnte, daß sich Wenzeslaus

1021 David Chytraeus selbst war ein Vorreiter in diesem Gebiet, was die byzantinischen und altorientalischen

Kirchen aus dem Orient betrifft. Zum Kenntnisstand der Ostkirchen im deutschen Protestantismus bis zu ihm siehe Kap. 2.

1022 Julius Glücklich, Václava Budovce, 1. 1023 Salomon Schweigger, der sich ebenfalls in der Gefolge von Sinzendorff befand, berichtet darüber: „Den

10. Tag Novembris, als man zahlt nach Christi Geburt 1577, begab sich der Herr Abgesante auff die Reys, sampt dem Adel unnd Herren, die er ney sich hett... Ferner waren in Ihr G. Schiff, Wenzel von Budowitz, etc.“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 4-5.

1024 Vgl. Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 50. Stephan Gerlach erwähnt auch die Ankunft von Budowitz in Konstantinopel: „Wenzeslaus Budewiz, Römischer vom Adel und künfftiger Hoffmeister.“ Stephan Gerlach, Tagebuch, 427. Es ist uns bekannt, daß er nach der Rückkehr in Deutschland weiter mit Wenzeslaus Budowitz im Briefwechsel stand. Siehe dazu: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 132 und Anm. 57.

1025 Wie lange Wenzeslaus Budowitz in Konstantinopel geblieben ist, wissen wir nicht genau. Er ist mindestens bis zum Jahr 1581 dort geblieben. Die Forscher vermuten einen Zeitraum von 4 bis 7 Jahren. Vgl. Milan Şesan, Václav Budovec, 11 und Anm. 3.

1026 Seine Reisebeschreibung erschien aber erst 1608 in Nürnberg: Salomon Schweigger, Ein newe Reyssbeschreibung auss Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem, Nürnberg, 1608. Aus seiner Reisebeschreibung kennen wir auch einige Einzelheiten über die Verhandlungen des Wenzeslaus Budowitz mit den Georgiern in Kontantinopel. Siehe Kap. 6.2.2.

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Budowitz in Konstantinopel befand und die Absicht hatte, Chytraeus in der Zukunft über

die Lage der östlichen Christenheit zu berichten.1027

Mit diesem uns bis jetzt als erster bekannter Brief des Budowitz an Chytraeus begann

zwischen beiden eine Korrespondenz, die bis 1584 dauerte und 7 uns bis heute bekannte

Briefe umfaßte, von denen der Rostocker selbst einen im Anhang der Oratio und einen in

einer Flugschrift des Jahres 1581 veröffentlichte.1028

Ganz begeistert von denen Schreiben antwortete David Chytraeus schon wenige Monate

später. Er betrachtet in seinem Brief vom 24. Juni 15791029 die Begegnung mit Budowitz in

Rostock als „wahrhaft das größte Geschenk Gottes (vere maximum donum Dei),“ das ihm

zugestanden wurde, weil Gott, sagt der Rostocker weiter, „mir vor zwei Jahren die

Möglichkeit gab, mit Dir Freundschaft zu schließen, in Bezug auf die ich mich freue, daß

du eine angenehme Erinnerung an sie bewahrst ...“1030 Chytraeus drückt weiter seine

Freude darüber aus, daß Wenzeslaus Budowitz „auf jener Burg des ottomanischen Reiches

über den Zustand der Kirchen (de statu ecclesiarum) und der Königreiche im ganzen

Orient sehr viel Erwähnenswertes“ erfahren könne.1031

Da sich dem Ostkirchenkundler eine solche Hilfs- und Erforschungsbereitschaft von

Budowitz bot, berichtete er ihm sofort von seinen vor 10 Jahren in Wien erfolgten

Erforschungen über den Zustand der griechischen und asiatischen Kirchen und schickte 1027 Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 261-263; Julius Glücklich, Václava Budovce, 1-2. In diesem am 20.

März 1579 abgefaßten Brief berichtete Budowitz Chytraeus, daß David von Ungnad und sein Hofprediger schon seit Juli 1578 nach Deutschland gereist seien. Er bat Chytraeus, wenn er ihm schreiben wolle, die Briefe nach Wien zu Johannes Sambuco, dem kaiserlichen Historiker, oder zu Jacobus Monavio, einem Kalvinisten aus Bratislava, zu schicken. Julius Glücklich, Václava Budovce, 2. Einzelheiten über die oben genannten Personen bei: Julius Glücklich, Václava Budovce, 2, Anm. 5 und 6.

1028 David Chytraeus hat im Anhang seiner Rede über die Ostkirchen nur den Briefbericht des Wenzeslaus Budowitz herausgegeben, der am 9. und 12. Oktober 1579 in Konstantinopel abgefaßt wurde. Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 44-50. Veröffentlicht danach auch in David Chytraeus, Epistolae, 265-269. Zwei Briefe des Chytraeus an Budowitz (vom 24. Juni 1579 und September 1584) und der oben erwähnte Brief von Budowitz an Chytraeus vom 20. März 1579 sind in der Ausgabe seiner Briefe 1614 von seinem Sohn veröffentlicht: David Chytraeus, Epistolae, 263-265; 570; 261-263. Einen sehr ausführlichen Briefbericht des Budowitz an David Chytraeus von Konstantinopel (am 4. Juli 1580) und einen Brief des Chytraeus an Budowitz vom 16. März 1580 wurden in Paris von Dr. Julius Glücklich entdeckt und am Anfang des 20. Jahrhunderts veröffentlicht: Julius Glücklich, Václava Budovce, 14-19; Julius Glücklich, Nová korrespondence, 1-2. Der Brief des Budowitz vom 4. Juli 1581 ist auch bei Martin Crusius, Diarium, II, 393-399 abgeschrieben. Der letzte uns bekannte Bericht des Budowitz an Chytraeus vom 14. Januar 1581 wurde höchstwahrscheinlich vom Rostocker in einer Flugschrift des Jahres 1581 herausgegeben. Die Flugschrift trägt den Titel: Historia rerum a Poloniae rege in Moscovia superiori anno fortiter et feliciter gestarum. Item ex litteris Constantinopoli hoc anno 1581 die 14. Januarii datis, descriptae narrationes de bello persico, quod a Turcis in Media geritur et de Armeniis et aliis rebus, cognitu non inutiles nec inuiucundae. Anno MDLXXXI. Der Herausgeber der Flugschrift und der Ort der Erscheinung werden nicht genannt, aber dennoch kann es niemand anders als Chytraeus sein. Dieselbe Meinung vertritt auch Richard Hausmann, Studien, 76-78. Der Text dieses Berichtes wurde noch einmal neu herausgegeben: Julius Glücklich, Václava Budovce, 11-13.

1029 Der Text des Briefes: David Chytraeus, Epistolae, 263-265; Julius Glücklich, Václava Budovce, 3-4. 1030 Julius Glücklich, Václava Budovce, 3.

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dem Böhmen seine Oratio über die Ostkirchen nach Konstantinopel, „damit Du erfährst“,

schrieb Chytraeus im Brief, „aus einem nahen gelegenen Ort von dort, ob mir jene Dinge

richtig berichtet worden sind und damit Du es verbesserst, wenn irgendwo ein Fehler

aufgetreten ist.“1032

Aus diesem sehr wichtigen Brief, was die Erforschungen der orientalischen Kirchen durch

Chytraeus betrifft, wird ersichtlich, wie viel Bedeutung Chytraeus seiner Rede über die

Ostkirchen und seiner ostkirchlichen Erforschungen beimaß.1033 Wenn der Rostocker seine

Begegnung mit Budowitz als „das größte Geschenk Gottes“ (maximum donum Dei), das

ihm je zugestanden wurde, bezeichnet, sieht man klar, was die Erforschung des Ostens für

Chytraeus bedeutete. Im Westen verbreiteten sich die Nachrichten zwischen den Ländern

viel schneller und leichter, aber vom Osten neue Nachrichten zu bekommen, bedeutete den

Humanisten sehr viel. Obwohl das Hauptinteresse des Rostocker Theologen dem

christlichen Ostens galt, gab er sich mit Nachrichten nur darüber nicht zufrieden, sondern

bat Budowitz auch um Berichte über die Herrscher des persischen Reiches und ihre Kriege

mit den Türken.1034

Erst 10 Jahre nach der Begegnung mit Jakobus Paleologus und Michael von Thessaloniki

bot sich ihm eine unverhoffte Gelegenheit, nachdem er inzwischen mit der Hilfe von

Stephan Gerlach und Martin Crusius seine ostkirchlichen Erkundungen versucht hatte

weiterzuführen, daß eine hilfsbereite im Orient sich befindende Person durch eigene

Beobachtungen die Richtigkeit des Inhalts seiner Rede untersuchen und wenn nötig

verbessern könnte.

Schon am Anfang des Monats Oktober des Jahres 1579 schrieb Wenzeslaus Budowitz

einen langen Bericht,1035 in dem er versuchte, die Wünsche des Chytraeus zu erfüllen und

1031 Ebenda, 3. 1032 Ebenda, 3. Weiter berichtet Chytraeus über den Brief, den er vom Patriarchen Jeremias II. bekommen

habe und bat ihm um Berichte über die Herrscher des persischen Reiches und ihre Kriege mit den Türken. In dem letzten Teil des Briefes teilt er Budowitz die letzten Neuigkeiten aus Westeuropa mit. Vgl. Julius Glücklich, Václava Budovce, 3-4.

1033 Die Rede wurde vorher auch Stephan Gerlach zugeschickt. Aber der Gesandtschaftsprediger fand nicht viel Zeit für die Forschungen des Chytraeus. Vgl. Kap. 6.1.1. Stephan Gerlach und Wenzeslaus Budowitz haben sich in Konstantinopel 1578 kennengelernt. Der Böhme hat dem Hofprediger der deutschen Gesandtschaft an der Pforte über die Picardischen Brüder, über die zeitgenössischen Reformatoren von Frankreich und über die Art, wie sie in Paris ihre Gottesdienste feiern, erzählt. Weiter berichtete Budowitz Stephan Gerlach über seine Begegnung in Hamburg mit einem Herrn Moller und über seinen Besuch in Wittenberg, wo viele Studenten wären und Jacob Andreae spöttisch über Philipp Melanchthon geredet hätte. Vgl. Stephan Gerlach, Tagebuch, 419-420. Es ist erstaunlich, daß der Name des Chytraeus in ihrem Gespräch nicht erscheint, da der letzte Brief des Gerlach an Chytraeus am 1. Juni 1578 geschrieben wurde, während sich Budowitz schon seit 5 Monaten in Konstantinopel befand.

1034 Julius Glücklich, Václava Budovce, 3. 1035 Der Bericht wurde am 9. und am 12. Oktober geschrieben. Der Text: David Chytraeus, Oratio de Statu –

Anhang, 44-50. Veröffentlicht danach auch in David Chytraeus, Epistolae, 265-269 und Julius Glücklich,

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welcher von dem Rostocker in den Ausgaben der Oratio aus dem Jahr 1580 umgehend als

erstes Dokument des Anhangs veröffentlicht wurde.1036 Es folgten nach einem Dankesbrief

des Chytraeus vom 16. März 15801037 noch zwei langen Berichte von Budowitz

(Konstantinopel, den 4. Juli 1580 und den 14. Januar 1581),1038 in denen er neue

Einzelheiten über die Ostkirchen berichten konnte, die aber von David Chytraeus nicht

mehr in den Ausgaben der Oratio 1582 und 1583 veröffentlicht wurden.1039

Warum Chytraeus mit dem Bericht von Budowitz vom 12. Oktober 1579 den Anhang

einleitete, wird aus dem Titel, den jener selbst diesem Brief gegeben hatte,1040 und aus dem

ersten Abschnitt dieses Briefes ersichtlich. Dort findet sich eine erste klare Bestätigung der

Richtigkeit des Inhaltes der Oratio von einer in jenen Gebieten sich befindenden Person,

die sich direkt an das Vorwort zum Anhang anschließen ließ. Diese Mühe von Seiten des

Chytraeus, die Richtigkeit seiner Aussagen zu prüfen, wird sich nur wenige Jahre später als

gerechtfertigt erweisen, weil ein katholischer Jesuit die Wahrheit seiner Behauptungen

bezüglich der Ostkirchen angreifen wird.1041

Nachdem Wenzeslaus Budowitz Chytraeus herzlich für die an ihn geschickte Oration

gedankt hatte, deren Lektüre ihm wahrhaft sehr angenehm gewesen sei und ihn zugleich

wunderbar erfreut und informiert habe, zog er den Schluß: „Der jetzige Zustand (der

Kirchen scil.) ist in Griechenland durchaus in allem so, wie du geschrieben hast.“1042

Außerdem schätzte der böhmische Adlige die Beobachtungen und die Erforschungen des

Václava Budovce, 6-9. Martin Crusius faßt diesen in der Oratio veröffentlichten Brief zusammen und erwähnt die Verhandlungen hinsichtlich der CA und ihrer Übersetzung in georgischer Sprache. Vgl. Martin Crusius, Turcograecia, 199.

1036 Über den Empfang dieses Briefberichtes teilt David Chytraeus dem dänischen Kanzler Nikolaus Kaas in einem Schreiben vom 20. März 1580 mit: „Ante paucos dies Constantinopoli literas à viro Nobili Wenceslao Budowitz Boemo, Oratoris illic Caesarei aulae magistro accepi, quas Ma. V. eam ob caussam legendas mitto, quod Orationis à me nuper M. V. dedicatae mentionem prolixam facit...“ David Chytraeus, Epistolae, 67.

1037 Entdeckt und veröffentlicht von: Julius Glücklich, Nová korrespondence, 1-2. 1038 Beide Berichte wurden ebenfalls von Julius Glücklich in Paris entdeckt und danach veröffentlicht: Julius

Glücklich, Václava Budovce, 11-13 und 14-19. 1039 Warum David Chytraeus diese Berichte nicht mehr im Anhang der Oratio veröffentlicht hat, kann nicht

erschlossen werden. Außerdem wurden sie auch in der Auflage seiner Briefe aus dem Jahr 1614 von seinem Enkel nicht ediert, der dennoch die anderen Briefe zwischen Chytraeus und Budowitz ediert hat. Daß Chytraeus sie empfangen hat, wird daraus ersichtlich, daß er den ersten Brief Martin Crusius schickte und den zweiten Brief in einer Flugschrift des Jahres 1581 edierte. Vielleicht betrachtete er das als ausreichend und fand es nicht mehr notwendig, sie nochmals im Anhang der Oratio zu edieren.

1040 Wenceslai Budowizii Magistri Aulae Caesarei apud Turcarum Imp. legati literae, hoc anno 1580 Constantinopoli allatae, in quibus et veritas narrationum in oratione de statu Ecclesiarum Graeciae et Asiae confirmatur; et proximorum Persiae Regum series et Historia, et de Georgianis et aliis rebus quaedam cognitu non indigna breviter recensentur. D. Davidi Chytraeo. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 44. Vgl. auch David Chytraeus, Epistolae, 67.

1041 Vgl. Kap. 7. 1042 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 44.

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Chytraeus, die ihren Niederschlag in der Oratio gefunden hatten, als besser ein als das, was

er bis dahin beobachten oder zum Teil von vielen anderen erfahren konnte.1043

Was die asiatischen Kirchen beträfe, habe Wenzeslaus Budowitz bis zur Zeit der

Abfassung des Briefes, nichts Anderes als das, was Chytraeus in seiner Schrift geschrieben

hatte, erfahren können, obwohl viele ihm bekannte edle und gelehrte Männer durch Asien

und Ägypten gereist wären.1044

Kurz nachdem David Chytraeus diesen Brief des Budowitz empfangen hatte, entschloß er

sich seine Oratio neu zu edieren, wobei er dieses Mal auch einen Anhang mit

verschiedenen Briefen beigab,1045 weil er nun eine klare Bestätigung von einem

protestantischen Augenzeugen aus Konstantinopel hatte.1046

Chytraeus dankte Budowitz für seine Beobachtungen in einem am 16. März 1580

verfaßten Brief: „Deshalb danke ich Dir ehrfurchtsvoll, erstens für dein ehrliches

Wohlwollen mir gegenüber und für deine Aufrichtigkeit, zweitens auch für deine Wohltat,

weil du die Berichte über den Zustand der Kirchen in jenen Gegenden, die von mir einst

gesammelt wurden, mit deinem sehr gewichtigen Zeugnis als Augenzeuge bekräftigst.“1047

Als Dank dafür schickte Chytraeus dem Böhmen erneut die Neuausgabe der Oratio mit

dem Anhang nach Konstantinopel.1048

Aus den Berichten der Jahre 1579, 1580 und 1581,1049 die Chytraeus von Budowitz nach

Rostock geschickt wurden, wird ersichtlich, was für bestätigende oder neue Informationen

Budowitz über die Ostkirchen mitteilen konnte.

Da er als Hofmeister des deutschen kaiserlichen Gesandten von Konstantinopel gebunden

war und nicht frei durch den Orient reisen konnte, fallen auch die Aussagen hinsichtlich

der griechischen Kirche, die von seinem persönlichen Umgang mit den Griechen stammen,

und der anderen Ostkirchen, die von anderen durch den Orient gereisten Zeugen stammen,

unterschiedlich aus. Während seine Urteile gegenüber der griechischen Kirche ganz streng

1043 Ebd. 1044 Ebd. 1045 Siehe die Liste der in der Ausgabe 1580 edierten Briefe am Anfang des Kapitels 6. Darüber berichtete

Chytraeus in seinem nächsten Brief an Budowitz: „Curavi autem hoc anno Orationem illam recudi additis patriarchae Byzantini et Alexandrini et episcopi montis Sinai epistolis aliquot.“ Julius Glücklich, Nová korrespondence, 1.

1046 Dieser Brief des Budowitz wurde als erster ediert. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 44. 1047 Julius Glücklich, Nová korrespondence, 1. 1048 Ebenda, 1. In seinem Brief vom 14. Januar 1581 drückte Wenzeslaus Budowitz seine Bewunderung aus,

daß Chytraeus einen Brief von ihm im Anhang der Oratio herausgab. Es geht um den Brief vom 12. Oktober 1579. Vgl. Julius Glücklich, Václava Budovce, 14.

1049 In allen diesen Berichten fügte Budowitz immer wieder neue Informationen hinzu. In den folgenden Zeilen werden wir seine Auskünfte zusammenfassen, um sie systematisch vorstellen zu können.

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ausfallen, werden die Aussagen über die anderen Ostkirchen in allgemeiner Art gehalten,

ohne eine kritische Stellungnahme.1050

Budowitz bemerkte, daß das Studium der alten griechischen Sprache verfallen sei, Priester

und Volk diese Sprache nicht verstünden, es selten gepredigt werde, woraus unendliche

Aberglaube (superstitiones infinitae) und ein Mangel an Demut erwüchsen.1051 Seine Kritik

ging aber noch weiter: die Einkünfte der Kirchen würden den müßigen Messepriestern

(ociosos missificatores) gegeben, anstatt sie für die Errichtung einer Schule für die

Unterweisung der Jugend über die reine Anbetung Gottes (de sincero Die cultu) zu

verwenden; das Einkommen des Patriarchats (20000 Taler jährlich) würde zum Teil an die

Magnaten der Türken gehen; der Patriarch würde sich mehr um äußerliche Herrlichkeit

seiner Kirche als um die reine Lehre kümmern.1052 Alle diese Mißstände würden nach der

Beurteilung Budowitz nur Verachtung zeigen, die freilich mehr als unerträglich sei.1053

Es ist sehr leicht zu merken, daß seine Urteile gegenüber der griechischen Kirche

subjektiver Art und schärfer als die von Chytraeus sind. Er war ein ganz radikaler

Kalvinist, der ganz subjektiv durch die Brille seiner Konfession über die griechische

Kirche urteilte und später sogar Proselytismus unter den Georgiern trieb.1054 Es ist hier

nichts mehr von der Freude des Chytraeus zu spüren, daß diese Kirche unter den Türken

noch lebe.1055 Außerdem teilt Budowitz dem Rostocker außer diesen kritischen und

subjektiven Informationen fast nichts mit, was zu einer Vermehrung des Wissens über den

Zustand der griechischen Kirche jener Zeit im Abendland hätte beitragen können.

Was die orthodoxen Patriarchate von Antiochien, Jerusalem und Alexandrien betrifft,

konnte Budowitz wiederum nichts Neues berichten, außer daß der Orient die Strafe Gottes

für den Verfall des reinen Glaubens erleben müsse.1056

Was aber die Kirchen der Armenier, Georgier1057 und Äthiopier betraf, konnte Wenzeslaus

Budowitz dennoch neue Einzelheiten mitteilen.

Dank eines persönlichen Gesprächs mit dem armenischen Patriarchen von

Konstantinopel1058 konnte der Böhme Chytraeus neue Einzelheiten über die Kirche der

1050 Vgl. auch Milan Şesan, Václav Budovec, 20. 1051 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 44-45. 1052 Ebd., 45. 1053 Ebd. Eine ausführlichere Darstellung seiner Behauptungen der griechischen Kirche gegenüber und eine

Widerlegung seiner subjektiven Urteile befindet sich bei: Milan Şesan, Václav Budovec, 14-19. Siehe auch seine Urteile im nächsten Bericht: Julius Glücklich, Václava Budovce, 11.

1054 Vgl. Kap. 6.2.2. 1055 Budowitz geht mit seiner Kritik so weit, daß er die Griechen einmal sogar als „ehebrecherische

Generation“ (adultera generatio) bezeichnet. Vgl. Julius Glücklich, Václava Budovce, 10. 1056 Vgl. Julius Glücklich, Václava Budovce, 16-17. 1057 Zu den Berichten über die Georgier siehe Kap. 6.2.2.

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Armenier mitteilen:1059 Die Armenier würden sich der römischen Kirche anschließen; im

Gottesdienst würden sie die alte armenische Sprache benutzen, die von den Armeniern aus

Konstantinopel nicht mehr verstanden würde; die Gläubigen würden die Eucharistie selten

empfangen, sondern wären mit dem Antidoron zufrieden; die Kleinkinder dürften auch die

Eucharistie empfangen;1060 und schließlich behaupten sie, daß Jesus Christus nicht

gegessen und getrunken hätte (ein Rest der Lehre von Eutyches).1061 Es gibt noch eine

Reihe anderer Einzelheiten, die von Budowitz erwähnt werden, über die wir hier aber nicht

mehr reden werden. Alle diese Aussagen, die einem persönlichen Gespräch mit dem

armenischen Patriarchen von Konstantinopel entnommen wurden, waren Tatsachen, die

auch den beiden Gesandtschaftspredigern Stephan Gerlach und Salomon Schweigger

bekannt waren.1062 Im Fall von Budowitz bekommen diese Aussagen was unser Thema

betrifft, eine höhere Bedeutung, weil sie auf die Bitte des Chytraeus hin gesammelt und in

einem direkten Brief an ihn aufgeschrieben wurden.

Über die Äthiopier konnte Budowitz allerdings wenig Neues berichten.1063 Von den

Griechen von Konstantinopel habe er erfahren, daß sich die Riten der Äthiopier mehr an

die römischen als an die griechischen anlehnen würden.1064 Über das Einbrennen von

Zeichen bei den Neugetauften hörte Budowitz, daß es mehrere Arten von Zeichen gab und

die Äthiopier in der Art der Ausführung gespalten seien.1065 Patriarch Michael von

Antiochien, den Budowitz in Konstantinopel getroffen habe, berichtete ihm über die

Äthiopier, daß sie ihren Patriarchen aus dem Kreis der abessynischen in Jerusalem

lebenden Mönche auswählen würden und dieser vom alexandrinischen Patriarchen geweiht

würde.1066

Aber als der Patriarch von Antiochien über die Größe des Reiches und über das

Kirchenregiment der Äthiopier nichts berichten konnte, nahm der Böhme die Oratio von

Chytraeus und las daraus dem Patriarchen den Abschnitt über die äthiopische Kirche vor.

In seinem Brief vom 14. Januar 1581 schrieb Budowitz dem Rostocker, daß der Patriarch

1058 Vgl. Julius Glücklich, Václava Budovce, 15. 1059 Hier werden nur die Einzelheiten erwähnt, die neu gegenüber der Darstellung des Chytraeus sind oder im

Gegensatz dazu stehen. 1060 Julius Glücklich, Václava Budovce, 16-17. 1061 Ebd., 12. 1062 Vgl. Kap. 5.4.4.1. 1063 Hier werden wiederum nur jene Auskünfte erwähnt, über die Chytraeus in seiner Rede nicht berichten

konnte. 1064 Julius Glücklich, Václava Budovce, 12. 1065 Ebd., 15. 1066 Julius Glücklich, Václava Budovce, 15. Friedrich Heiler berichtet, daß der „Abûna“ der Äthiopier von

dem koptischen Patriarchen aus den Mönchen des Klosters St. Antonius, das am Roten Meer lag, gewählt und geweiht wird. Vgl. Friedrich Heiler, Ostkirchen, 364.

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„nicht ohne Bewunderung“ (non sine admiratione) das Gelesene gehört habe.1067 Damit

sind wir im Besitz einer der wertvollsten Nachrichten hinsichtlich der Verbreitung der

Kenntnis über die Oratio des Rostocker Theologieprofessors. Patriarch Michael von

Antiochien war der einzige orthodoxe Theologe jener Zeit,1068 über den wir sicher wissen,

daß er etwas aus dem Inhalt des Buches von Chytraeus über die Ostkirchen kannte und

mehr noch als das sogar bewunderte.

Das Werk des Chytraeus über die Ostkirchen erscheint nach diesen Berichten von

Wenzeslaus Budowitz als ein zusammenfassendes für jene Zeit schwer zu übertreffendes

Werk, weil es in vielen Punkten die Kenntnis der durch den Orient reisenden und der in

Konstantinopel anwesenden Abendländer zu übertreffen schien.

6.2.2 Die Mitteilungen des Budowetz über seine Beteiligung bei der Übersetzung der Confessio Augustana Graeca in die georgische Sprache und über die Kirche der Georgier

Wenzeslaus Budowitz versuchte immer wieder in Konstantinopel allen orientalischen

Christen, die er traf, über die reformatorischen Lehren Bescheid zu geben und er gab

seinem Wunsch nach der Einheit aller Christen aufgrund des Glaubens an die Heilige

Dreieinigkeit und der Heiligen Schrift Ausdruck.1069

Hervorzuheben und quellenmäßig besser darstellbar ist seine Beteiligung an der

Übersetzung der CA in die georgische Sprache und seine religiösen Verhandlungen mit

einem georgischen Fürsten in Konstantinopel, worüber er David Chytraeus in dem auch

von diesem veröffentlichten Bericht vom 12. Oktober 1579 informierte.1070

1067 Julius Glücklich, Václava Budovce, 15. 1068 Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch andere orthodoxe Theologen die Oratio des Chytraeus

kennengelernt haben, aber darüber besitzen wir bis jetzt keine Nachrichten. Stephan Gerlach besaß ebenfalls eine Ausgabe der Oratio in Konstantinopel. Man kann vermuten, daß er dieses Buch auch seinen griechischen Freunden im ökumenischen Patriarchat, und vor allem seinem guten Freund Theodosius Zygomalas, gezeigt hat. Es ist auch möglich, daß Budowitz die Oratio des Chytraeus auch dem georgischen Fürsten Quarquare Hodobag, mit dem er mehrere religiöse Gespräche in Konstantinopel führte, gezeigt hat. Der Kapitel über die Kirche der Georgier könnte sicherlich mit der Hilfe dieses Fürsten überprüft werden. Wir haben darüber aber auch keine Informationen.

Wir wissen auch, was die Verbreitung der Werke des Chytraeus unter den orthodoxen Theologen anbelangt, daß Chytraeus selbst dem Protosynkellos des Patriarchen von Alexandrien Meletios Pigas seine Schrift „Regula Vitae“ geschickt hatte, in der Hoffnung, seine Freundschaft zu gewinnen. Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 553.

1069 Vgl. Milan Şesan, Václav Budovec, 28. 1070 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 46-47. Ein ausführlicher Bericht über die

Verhandlungen mit den Georgiern befindet sich auch bei: Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 82-87. Über die Rolle, die Salomon Schweigger bei der Übersetzung der CA gespielt hat, siehe: Walter Engels, Salomon Schweigger, 233-234.

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Infolge eines Feldzuges des Mustafa Pascha gegen die Perser gelang es diesem, zwei

georgische Fürsten gefangen zu nehmen und sie nach Konstantinopel vor den Sultan zu

führen. Sie kamen am 3. Juni 1579 in Konstantinopel zusammen mit 200 Georgiern an.1071

Der jüngere Bruder trat mit seinem ganzen Gefolge zum Islam über, um vor seinem älteren

Bruder, dem als Erstgeborenen die Regierung des Landes gebührte, wieder in Besitz des

Landes zu kommen.1072

Die Georgier aus Konstantinopel lernten die Deutschen der kaiserlichen Gesandtschaft

kennen, „so daß sie nicht allein offt in unser Haus kommen, berichtet Salomon

Schweigger, sondern auch die Herrn beiderseits einander mit statlichen Gaben verehrt

haben, dann Herr Quarquaras verehrt meinem G. Herrn (Joachim von Sinzendorff scil.) ein

schön gülden stück über 60. Ducaten werth, dargegen verehrt mein G. Herrn ein schön

Uhrenwerck auch über 60. Ducaten werth, welches er zwar mit hohem dank

angenommen...“1073

Wenzeslaus Budowitz berichtet Chytraeus: nachdem zuerst der ältere Bruder den

Gesandten des deutschen Kaisers durch seine Leute hatte grüßen lassen, „gefiel es dem

Herrn Orator, durch meine Vermittlung immer seine Gegengrüße zu bestellen und ihn zur

Beständigkeit in der christlichen Religion zu ermahnen, was ich auch mit größter Sorgfalt

tat, und ich gab ihm Antwort auf seine eingehenden Fragen nach Einzelheiten über den

Zustand der deutschen Kirchen durch einen Dolmetscher.“1074

Die Unbeständigkeit der Georgier im christlichen Glauben führte in der deutschen

Gesandtschaft zu der Idee, die Georgier mit den Lehren der CA bekannt zu machen.1075

Darum wurde Salomon Schweigger zum Protonotarius Theodosius Zygomalas

1071 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 46. Salomon Schweigger berichtet nur über 150

Personen, die Diener dieser Fürsten gewesen seien. Vgl. Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 82. 1072 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 46. Schweigger berichtete auch: „Da hat der jüngste

Fürst aus begiert zu herrschen, und aus deß Sathans eingeben, diß verflucht verzweiffelt mittel für die Hand genommen, daß er sich erboten den Christlichen Glauben zu verlaugnen, und die Beschneidung anzunemen, woferr man jn bey dem Regiment wolt lassen bleiben...“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 82. Man weiß nicht, ob dem türkisch gewordenen Fürsten gelungen war, über die Georgier zu herrschen. Siehe: Ebenda, 83.

1073 Ebd. 1074 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 46. Darüber berichtet auch Salomon Schweigger: „Als nun

beyderseits gute kundtschafft gemacht war, da lies mein G. Herr durch sein Hofmeister Wenzel Budowitz von Budowa, viel Ding der Religion halb fragen, aber es ist wenig bericht bey jnen zu finden gewesen...“ Salomon Schweigerr, Reyssbeschreibung, 84.

1075 Ob hier eine proselytistische Absicht auf der deutschen Seite zu sehen ist, bleibt bis jetzt quellenmäßig unbestätigt. Doch kann zwischen den Zeilen der Berichte des Salomon Schweigger und des Wenzeslaus Budowitz gelesen werden, daß eine Bekehrung der Georgier von ihren abergläubischen Zeremonien zum wahren Glauben des Wortes Gottes erhofft war. Dennoch war das Bewußtsein eines Mißglückens dieses Versuches bei den Lutheranern vorhanden. Vgl. Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 84.

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geschickt,1076 um ein Exemplar der CA Graeca, aus der mehrere Exemplare durch die

Vermittlung von Stephan Gerlach nach Konstantinopel gebracht worden waren, abzuholen,

um sie dem Fürsten der Georgier zu verehren. Das Buch wurde dem Fürsten der Georgier

von Joachim von Sinzendorff mit folgender Widmung überreicht: „Joachim von

Sinzendorff..., verehrt diss Buch, darinn begriffen ist die H. Christliche Evangelische Lehr,

wie dieselb an vielen orten deß Römischen Reichs in Teutschland getrieben wird, dem

Herrn Quarquare Hodobag.“1077

Der georgische Fürst zeigte Interesse an diesem Buch, so daß er es zuerst ins vulgäre

Griechisch1078 und danach ins Georgische übersetzen ließ.1079 Er hätte sogar versprochen,

teilt Budowitz Chytraeus mit, die geschenkte CA Graeca und die georgische Übersetzung

der CA in sein Land mitzunehmen.1080 Salomon Schweigger, der über alle diese

Geschehnisse gut Bescheid wußte, glaubte aber nicht, „daß einige nutzbarkeit daraus

erfolgen möchte, dann sie seyn in jhren Ceremonien, wie auch die Griechen verblent, daß

sie dafür halten, es könne nichts bessers oder heilsamers herfür gebracht werden, zu dem

seyn sie Kriegsleut, die nicht viel nach der Lehr oder Gottes Wort fragen.“1081

Dieser von Chytraeus nach Tübingen geschickte Bericht über die Übersetzung der CA ins

Georgische bereitete dem Humanisten Martin Crusius viel Freude.1082 Crusius konnte

sehen, wie seine Unionsverhandlungen mit den Griechen weiter Früchte trugen.1083

Dank des Umgangs mit diesem Fürsten und mit den Georgiern aus seinem Gefolge konnte

Wenzeslaus Budowitz neue Einzelheiten über die Kirche der Georgier erfahren,1084 die er

1076 Vgl. Ebd. 1077 Ebd. 1078 Ebd. 1079 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 47. 1080 Vgl. Ebd. 1081 Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 84. Der Kritiker des Chytraeus im 17. Jahrhundert, Leo

Allatius, kannte die Verhandlungen zwischen Budowitz und den Georgiern aus der Oratio des Chytraeus und drückte seine Befriedigung aus, daß sie keine Früchte für die Lutheraner gebracht hätten. Vgl. Leo Allatius, De Ecclesiae, Sp. 1013.

1082 David Chytraeus schickte auch den ersten Brief des Budowitz Martin Crusius, denn dieser dankte dafür in einem Brief an Chytraeus vom September 1579. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 132. Crusius ergriff auch persönlich die Initiative und schrieb am 28. Juni 1580 einen Brief an Budowitz nach Konstantinopel. Der Text des Briefes: Martin Crusius, Diarium, II, 231-236. Unter anderem teilte Crusius Budowitz mit, daß er durch die Veröffentlichung der Briefe aus Konstantinopel durch Chytraeus in der Ausgabe seiner Oratio 1580 zur Herausgabe seiner Sammlung von Briefen und Materialien bewegt wurde. Ebenda, 234. Dazu vgl. auch Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 360. Martin Crusius empfing später von David Chytraeus auch den Brief des Budowitz vom 4. Juli 1581, den er danach in seinem Tagebuch abschrieb: Martin Crusius, Diarium, II, 393-399.

1083 Crusius faßt diesen Bericht in Turcograecia zusammen. Vgl. Martin Crusius, Turcograecia, 199. 1084 „Ego multa, tum ex ipso, tum ex ipsius hominibus inquisivi de Politia et Ecclesia eorum...“ David

Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 47.

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wiederum dem Rostocker Ostkirchenkundler umgehend mitteilte.1085 Es gäbe in Georgien

verschiedene Fürsten, die sich an verschiedene Lehren und Sitten hielten. Sie würden den

griechischen Patriarchen ehren, seien aber nicht von ihm abhängig, weil sie sich in vielen

Zeremonien von den Griechen unterschieden. Die Ähnlichkeit zwischen Georgiern und

Griechen bestünde in der Tatsache, daß alle die Bedeutung ihrer Religion in Zeremonien

sehen würden.1086

Chytraeus antwortete Budowitz in einem Rückschreiben und bat ihn, in Erfahrung zu

bringen, ob sie trotz dieser vielen unterschiedlichen Fürsten einen obersten König hätten,

der dem georgischen Patriarchen gehorchen würde, wie die meisten der europäischen

Könige dem römischen Papst.1087 Die Antwort von Budowitz war im nächsten Brief

negativ.1088

Das Interesse des Chytraeus am Orient galt nicht ausschließlich den kirchlichen

Angelegenheiten, sondern auch den Persern, Türken und den im Orient geführten

Kriegen.1089 Darum bemühte sich Budowitz auch darüber zu berichten. Von einem

Landsmann, Christoph von Witzumb,1090 der eine Reise durch den Orient unternahm,

bekam Budowitz einen Brief von Aleppo, in dem sein Freund seine Reise durch Ägypten,

Palästina uns Syrien kurz beschrieben hatte, und schickte ihn auch dem Rostocker,1091 der

ihn im Anhang der Oratio veröffentlichte, obwohl dort nichts über den Zustand der

Kirchen in jenen Gebieten geschrieben stand.1092

1085 Über seine Mitteilungen an Chytraeus berichtet Wenzesalus Budowitz auch in seinem Werk Antialkorán.

Vgl. Wenzeslaus Budowitz, Antialkorán, 318. 1086 Er meldet hier auch einen gescheiterten Feldzug eines türkischen Admirals gegen die Georgier. Vgl.

David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 47. Julius Glücklich, Václava Budovce, 12-13. Eine Schilderung der Kenntnisse des Budowitz über die georgische Kirche bei Milan Şesan, Václav Budovec, 23-24.

1087 Vgl. Julius Glücklich, Nová korrespondence, 2. 1088 Vgl. Julius Glücklich, Václava Budovce, 12. 1089 In allen seinen Briefen an Budowitz bat er um Mitteilungen darüber. 1090 Der Adlige Christoph von Viztum kam nach Konstantinopel zusammen mit der Gesandtschaft des

Joachim von Sinzendorff, aber gehörte ihr nicht an, so daß er frei war, um Reisen in den Orient zu unternehmen. Vgl. Stephan Gerlach, Tagebuch, 427. Salomon Schweigger berichtet auch darüber. Auf dem Schiff des Orators Sinzendorff waren auch Christoph von Witztum und andere Adlige. „ ... diese waren für sich selbs, und hetten ihre eigne Pferd und Gutschen und jhre acht Diener.“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 5.

1091 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 45-46. 1092 Der Brief des Christoph von Wiztumb an Wenzeslaus Budowetz trägt im Anhang des Chytraeus den

Titel: Literae in Syria scriptae Hierapoli, quam Halepum hodie nominant. (12. September 1579). Siehe den Text: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 251-254. Der Brief zuerst veröffentlicht in der Ausgabe Wittenberg 1580, 61-64.

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Budowitz verschaffte für Chytraeus in Konstantinopel einen Bericht über die Reihenfolge

der persischen Könige im 16. Jahrhundert und über die Kriege zwischen Persern und

Türken,1093 den der Rostocker ebenfalls im Anhang der Oratio veröffentlichte.1094

Wenn wir die Schwierigkeiten in Betracht ziehen, mit denen Budowitz zu kämpfen hatte,

um einige neue glaubwürdige Nachrichten über die Ostkirchen zu erfahren, und darüber

hinaus die Tatsache, daß er sogar in Konstantinopel mit diesen Schwierigkeiten zu

kämpfen hatte, kann man die Arbeit des Chytraeus als eine außerordentliche Leistung für

jene Zeit werten.

Neben seinen die Richtigkeit des Inhaltes der Oratio bestätigenden Mitteilungen und

seinen neuen Mitteilungen über die Armenier, Georgier und Äthiopier maß Budowitz

selbst, infolge seiner Erforschungen und der Schwierigkeiten mit der Identifizierung der

verschiedenen orthodoxen und altorientalischen Kirchen aus dem Orient, der Oratio des

Chytraeus die Bedeutung eines Orientierungsführers während einer Reise durch den Orient

bei: „Bei dieser Gelegenheit deiner Rede – wo wir gerade über deine Rede sprechen – die

ich allen, die in diese Gebiete des Orients reisen wollen, wünsche, als Ariadne Faden in

dem heutigen Labyrinth Griechenlands für sich dringendst zu haben.“1095

6.3 Franziskus von Billerbeg als direkter Mittelsmann des David Chytraeus zum griechischen Osten

Franziskus von Billerbeg war neben Wenzeslaus Budowitz ein zweiter direkter

Mittelsmann des Chytraeus zum griechischen Osten. Ihm verdankt Chytraeus nicht nur die

Erweiterung seiner Kenntnisse im Hinblick auf die Lage der Christen in den Ländern des

Orients, sondern auch die Vermittlung eines Briefwechsels mit einem berühmten

orthodoxen Theologen jener Zeit, dem alexandrinischen Protosynkellos Meletios Pegas

und die Übersendung des Glaubensbekenntnisses des Patriarchen Gennadios Scholarios

von Konstantinopel aus dem Jahre 1456.

1093 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 48. 1094 Der Bericht stammte von einem alten kaiserlichen Dolmetscher an der Pforte und wurde auf Italienisch

abgefaßt. Weil Budowitz in der Eile den Bericht ins Lateinische nicht übersetzen konnte, schickte er ihn auf Italienisch. Chytraeus übersetzte ihn wahrscheinlich selbst ins Lateinische und gab ihn heraus unter dem Titel: „Series proximorum Persiae Regum, cuius in superiore Epistola mentio fit, ex Italico ad verbum conversa.“ Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 51-57.

1095 Julius Glücklich, Václava Budovce, 12.

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Über das Leben von Franziskus Billerbeg wissen wir sehr wenig.1096 Seine Briefe an

Chytraeus,1097 ein Brief von Salomon Schweigger an Martin Crusius1098 und eine

Anmerkung von Martin Crusius in seiner Turcograecia1099 sind die einzigen Quellen, die

etwas über sein Leben vermitteln. Er war der Sproß eines bekannten pommerschen

Adelsgeschlechtes und ein ehemaliger Schüler des Chytraeus, der in den 80er Jahren des

16. Jahrhunderts eine Reise in den Orient unternommen hatte, worüber er auch Chytraeus

berichtete.

Am 19. Januar 1581 traf Johann Freiherr von Preiner als Nachfolger des Botschafters

Joachim von Sintzendorff in Konstantinopel ein und übernahm die diplomatische

Vertretung des deutschen Kaisers.1100 Salomon Schweigger, der evangelische

Gesandschaftsprediger von Joachim von Sintzendorff, hatte den Plan erwogen, seinen

Aufenthalt in der Türkei mit einer Reise ins Heilige Land abzuschließen, um die Stätten

des irdischen Lebens Jesu kennenzulernen. So wurde er – soweit bekannt – der erste

evangelische Theologe, der jene Gegenden der Anfänge des Christentums bereist hatte.1101

Aber bevor er ging, wollte er die Frage seiner Vertretung im seelsorgerlichen Dienst in

Konstantinopel den Verhältnissen entsprechend regeln.1102 Salomon Schweigger betraute

drei zuverlässige Glaubensgenossen, die alle Laien waren, mit der Betreuung der

Evangelischen in Konstantinopel und Umgebung. Einer von ihnen war „den edlen und

besten Herrn Franzcsiscum von Bellerbekh, aus dem Landß pomern, ain sehr gottseliger

glerter und dappferer Held, inn historiis wol belesen, ahm maisten aber inn H. Schrifft, der

sich am Erbfeind wol gebraucht hatt.“1103 Wir wissen noch, daß schon am 15. April 1580

eine Unterredung zwischen Billerbeg und anderen Freunden von ihm und Theodosios

Zygomalas stattgefunden hat.1104 Daraus folgt, daß im Jahre 1581, als Schweigger ihm die

evangelische Vertretung in Konstantinopel anvertraut hatte, Franziskus mindestens seit

1096 Über die Adelsfamilie Billerbeg siehe: Adelslexikon, Band I, 402. Über Franziskus Billerbeg schreibt

Gerhard Billerbeck ganz kurz: „Franz, bekannt durch Reisen nach Asien usw., † 1587 oder 1599 in Wien auf einer Reise.“ Gerhard Billerbeck, Die Familie von Billerbeck in Pommern, 37.

1097 Vgl. Kap. 6.3.1. 1098 Siehe: Martin Crusius, Tagebuch, II, 426-436. 1099 Martin Crusius, Turcograecia, 233. 1100 Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 68-69. 1101 Dieselbe Meinung hatte auch Walter Engels. Vgl. Walter Engels, Salomon Schweigger, 235. Eine

Beschreibung dieser Reise befindet sich in: Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 254 ff. 1102 Der neue Botschafter war katholisch. Obwohl katholisch, hatte er in seinem Gefolge fast nur

Protestanten. Siehe: Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, Buch 2, Kapitel 9. 1103 Zitat aus einem Brief von Salomon Schweigger an Martin Crusius am 1. März 1581. Martin Crusius,

Tagebuch, II, 434. Ein Teil des Briefes, der von Crusius in seinem Tagebuch, Band II, 426-436, abgeschrieben wurde, ist wiedergegeben bei: Martin Kriebel, Salomon Schweigger, 169-170, hier 170.

1104 Darüber wird in einem amtlichen Schreiben vom 15. April 1580 an Kaiser Rudolph II. berichtet. Siehe: Martin Kriebel, Salomon Schweigger, 160.

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einem Jahr in Konstantinopel war.1105 Da Salomon Schweigger ihm die geistliche

evangelische Vertretung in Konstantinopel anvertraut hatte, mußte er Franziskus ziemlich

gut gekannt haben. Er ragte durch seine Gelehrsamkeit hervor, die eine Gelehrsamkeit

nach dem Bild von Chytraeus war, weil er in der Geschichte und der Heiligen Schrift wohl

belesen war.

Mit diesem geistlichen und wissenschaftlichen Potential war er der geeignete Mann für die

Vermittlung von historischen und religiösen Kenntnissen über die Lage der Stätten der

östlichen Christenheit.

6.3.1 Die Berichte des Franziskus Billerbeg an David Chytraeus über die Lage der wichtigsten Stätten der östlichen Christenheit

Franziskus Billerbeg kannte mit Sicherheit das Interesse des David Chytraeus an allen

Ereignissen der weltlichen und religiösen Geschichte. Aus einem Brief von Billerbeg an

Chytraeus geht hevor, daß letzterer selbst ihn beauftragt habe, ihm über die Lage der

orientalischen Christen zu berichten.1106 Darum hatte Billerbeg dem Rostocker zwei

Briefberichte geschickt, in denen er ihm nicht nur von der Lage der Christen unter den

Türken, sondern auch von der Lage des Osmanischen Reiches, von seinen wichtigsten

Hauptpersonen, vom Krieg gegen die Perser und dem großen Fest der Beschneidung des

Sohnes des Sultans in Konstantinopel berichtete.1107 Der erste Briefbericht wurde am 9.

Juli 1581 in Konstantinopel geschrieben und wurde von Chytraeus unter dem Titel: „De

praesenti turcici Imperii statu et Gubernatoribus praecipuis et de bello Persico“ im Anhang

seiner „Oratio“ veröffentlicht.1108 Der zweite Briefbericht wurde am 1. Oktober 1582 in

Wien geschrieben und von Michael Neander, einem Freund und Bekannten des Chytraeus

aus Leipzig,1109 unter dem Titel: „Epistola continens Hodoeporicon navigationis ex

1105 Das Datum seiner Ankunft ist unbekannt. 1106 Am Anfang seines ersten Briefes an Chytraeus schreibt Franziskus Billerbeg: „Cum Constantinopoli hoc

tempore viverem et de argumento epistolae ad te preceptorem olim meum mittendae deliberarem, existimavi ...“ David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 58.

1107 Der erste Hinweis auf diese Berichte von Billerbeg an Chytraeus wurde von Walter Engels im Jahre 1940 in einem kurzen Satz gemacht. Siehe: Walter Engels, Die Wiederentdeckung, 277.

1108 Der Text des Briefes ist in der Auflage des Jahres 1583 veröffentlicht: David Chytraeus, Oratio de Statu, 58-69. Eine Wiedergabe des Textes in: David Chytraeus, Epistolae, 1012-1020.

1109 Michael Neander wurde 1525 in Sorau geboren und ist am 26. 04. 1595 in Ilfeld gestorben. Er studierte ab 1543 in Wittenberg, wo er Schüler Melanchthons wurde. 1547 wurde er Konrektor der Schule in Nordhausen, 1550 Rektor der Schule des Klosters Ilfeld. Er verfaßte Grammatiken, Schul- und Lehrbücher der alten Sprachen und war der Herausgeber vieler Klassiker. Vgl. Ulrich Rose, Michael Neander, col. 526-527. Vgl. auch Dieter Harlfinger (Hrsg.), Graecogermania, 348-350. Auf Seite 350 ist weitere Literatur angegeben. In Bezug auf seine theologischen Auffassungen siehe: Ernst Koch, Michael Neander (1525-1595) als Theologe, 112-125.

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Constantinopoli in Syriam, Palaestinam et Aegyptum et montem Sinai, etc. Item de persico

bello et circumcisione Mahometis filij Imp. Turcici, alijsque rebus Constantinopoli

superiore aestate actis. D. Davidi Chytraeo“ veröffentlicht.1110

Es ist erstaunlich, daß Chytraeus den zweiten Bericht seiner „Oratio“ nicht beigefügt hat.

Warum, wissen wir nicht ganz sicher. Es ist aber höchst wahrscheinlich möglich, daß er

den Brief vom 1. Oktober 1582 erst da bekommen hat, als die letzte Auflage der „Oratio“

aus dem Jahre 1583 schon im Druck war. Ein Hinweis darauf ist auch die Tatsache, daß

Michael Neander selbst diesen Bericht in der Auflage des Jahres 1583 seines Werkes nicht

veröffentlicht hat.1111 Da der Brief an Chytraeus adressiert war, brauchen wir nicht zu

bezweifeln, daß er den Inhalt des Briefes gekannt hat. Neander durfte den an Chytraeus

von Billerbeg adressierten Brief ohne seine Erlaubnis nicht veröffentlichen. Michael

Neander veröffentlichte auch die Berichte von Paul Oderborn über die Religion der Russen

und der Tataren am Ende desselben Werkes.1112 Diese Berichte waren an Chytraeus

adressiert und wurden vom Rostocker im Anhang seiner „Oratio“ ebenfalls veröffentlicht.

Die Veröffentlichung des Michael Neander setzt eine Absprache zwischen den beiden im

Hinblick auf die Herausgabe dieser Berichte voraus.

Am Anfang seines ersten Berichtes erklärte Franziskus von Billerbeg Chytraeus, daß es

umsonst wäre, ihm über die Lage der Christen in diesen Gegenden zu schreiben, weil

Chytraeus in seiner „Oratio“ die Lage der östlichen Kirchen so gut und genau beschrieben

habe, daß er ihm besser etwas über die Lage des türkischen Reiches berichten sollte.1113

Dadurch sind in seinen Berichten ganz selten Informationen über die östlichen Christen

und Kirchen zu finden. Sein Interesse gilt eher den Hauptpersonen des türkischen Reiches

in jener Zeit und den Verhältnissen zwischen Türken und Persern. Trotzdem gibt es

manchmal einige Hinweise auf die Lage der Christen, die ich in den folgenden Abschnitten

darstellen werde.

Im zweiten am 1. Oktober 1582 in Wien geschriebenen Brief beschreibt Billerbeg für

Chytraeus die Route seiner Reise von Konstantinopel nach Syrien, Palästina und Ägypten,

beginnend mit einem Dank an Gott, daß er von dieser Reise gesund zurück gekommen

1110 Der Text des zweiten Briefes ist in der zweiten von mir bekannten Auflage des Werkes von Michael

Neander: Orbis terrae partium succinta explicatio, aus dem Jahre 1586 abgedruckt: Michael Neander, Orbis terrae, 490-511.

1111 Siehe: Michael Neander, Orbis terrae partium succinta explicatio, Lipsiae, 1583. 1112 Siehe: Michael Neander, Orbis terrae, 542 ff. 1113 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 58.

Page 199: David Chytraeus (1530-1600) als Erforscher und ...David+Chytraeus... · 2 Siehe: Gabriel Liiceanu, Despre limită, 24 ff. 3 Warum werden aber diese Elemente als intim und fremd in

199

ist.1114 Von Konstantinopel war er am 1. September 1581 mit dem Schiff durch den

Hellespont, nach Chios, Ephes, Rhodos, Zypern, bis Tripolis in Syrien gefahren. Von dort

hatte Billerbeg danach Damaskus und ganz Judäa, Samaria bis nach Jerusalem und Gaza

bereist.1115 Von dort war er über die ägyptische Wüste nach Kairo, zum Berg Sinai und

nach Alexandrien gereist,1116 wo er den Protosynkellos des alexandrinischen Patriarchen

kennengelernt hatte.1117 Nach einem Aufenthalt in Alexandrien kehrte er mit dem Schiff

nach Konstantinopel zurück, wo er am 23. April 1582 ankam.1118

Billerbeg hat dann am großen Fest der Beschneidung eines Sohnes des Sultans in

Konstantinopel teilgenommen.1119 Er beschreibt für den Rostocker auch ausführlich den

Verlauf dieses Festes, bei dem neben Vertretern aller anderen Religionen und

Gesandtschaften auch Christen dabei waren. Der Gesandte des römischen Kaisers war bei

den Feierlichkeiten der erste unter den Christen, während der Gesandte des persischen

Königs der erste unter den Heiden war.1120 Anläßlich dieses Festes geschah aber auch

etwas, das Chytraeus, dem Bewunderer der Existenz des Christentums unter der

Türkenherrschaft, keine Freude gemacht haben soll. Eine große Zahl von Christen hätten

dem christlichen Glauben öffentlich in der Pferderennbahn abgesagt, um ihre Loyalität

gegenüber dem Sultan zu erweisen. Dadurch, kommentiert Billerbeg, hätten sie auch ihre

Seelen verloren.1121 Im ersten Brief berichtete Billerbeg dem Chytraeus Ähnliches, daß

nämlich sehr viele Christen dem Christentum absagten, um höhere Stellen in der

Verwaltung des Osmanischen Reiches zu erlangen.1122 Nicht nur orthodoxe Christen

1114 Eine solche Reise setzte sehr viele unbekannte Gefahren voraus. Darum hat Billerbeg auch einen Paß

vom Sultan bekommen, um die Reise einigermaßen sicher unternehmen zu können. Vgl. Michael Neander, Orbis terrae, 491.

1115 Er gibt in Reihenfolge alle Dörfer und Städte an, durch die er gegangen ist, und macht dabei sehr kurze Kommentare. Er schreibt z. B., daß er durch Nazareth gegangen sei, und Nazareth wäre: „Salvatoris mundi patriam“ Vgl. Michael Neander, Orbis terrae, 494.

1116 Billerbeg beschreibt hier die Pyramiden von Ägypten, über die er wußte, daß sie eins der sieben Weltwunder waren. Der Berg Sinai und das Tal des Nils sind wieder kurz beschrieben mit kurzen Erläuterungen der Geschichte des Volkes Israel. Vgl. Michael Neander, Orbis terrae, 495-496.

1117 Diese Episode wird ausführlicher im nächsten Kapitel behandelt werden. 1118 Vgl. Michael Neander, Orbis terrae, 498. 1119 Die Beschreibung dieses Festes bei: ebd., 498-500. 1120 „Inter Christianorum legatos Imperatoris Romani orator: inter Paganos sive Ethnicos Persarum Regis

legatus primum habuit locum.“ Michael Neander, Orbis terrae, 499. 1121 Billerbeg beschreibt diese Episode für Chytraeus wie folgt: „Unum erat miserabile animis Christianis

spectaculum, quod inges numerus Christianorum, ex Graecia Mysiaque ex Insulis, quotidie afflueret, qui turnatim in honorem Sulthani, in sui verò perditionem, publicè abnegarunt fidem Christianam, atque Mahometicae superstitioni et imietati magno cum Christianorum gemitu sese addixerunt.“ Michael Neander, Orbis terrae, 500.

1122 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 62.

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verzichteten auf das Christentum, sondern auch drei italienische Mönche hätten diesen

Schritt unternommen.1123

Am 7. August 1582 reiste Billerbeg über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Wien.1124

Von dort schrieb er diesen Briefbericht. Er endet mit der Beschreibung der Beziehungen

zwischen den Persern und Türken, wobei manchmal auch die Knechtschaft der Christen

bedauert wird.

Nicht nur über die Reise von Billerbeg hatte David Chytraeus Kenntnis, sondern auch über

die Orientreise von Salomon Schweigger wurde er, wahrscheinlich im Jahre 1582,1125

informiert.1126 Es ist die Rede von einem Brief von Martin Crusius an David Chytraeus,

Michael Neander u.a., der unter dem Titel: „Gratulationis Solomonis Schweigkerii

copiosor per Martinum Crusium explicatio,“1127 veröffentlicht wurde. In diesem Brief

informiert Crusius den Rostocker über das Leben Salomon Schweiggers, seine Mission in

Konstantinopel und seine Orientreise.1128

Billerbeg und Salomon Schweigger beschrieben sehr oft die Städte und ihre Umgebung,

welche wichtigen Gebäude sich in ihnen befanden, oder berühmte Ereignisse aus der

religiösen und weltlichen Geschichte, die in der Nähe dieser Städte stattgefunden

haben.1129 Die meisten Daten ihrer Beschreibungen sollten dem Chytraeus schon bekannt

gewesen sein. Aber durch die Veröffentlichung dieser Berichte wurde die Aufmerksamkeit

des Lesers auf diese Orte der Christenheit gelenkt und die Neugier, diese besser

kennenzulernen, geweckt.

Piraten und Araber, alle Arten von Gefahren und die Besichtigung der Stätten Jesu Christi,

von denen in diesen Berichten erzählt wurde, schufen auch in der Phantasie der

Abendländer eine exotische Atmosphäre, die an die ersten abendländischen Wallfahrten zu 1123 Vgl. ebd., 68. 1124 Er gibt auch eine kurze Beschreibung der Lage der Christen in Ungarn, worüber Chytraeus auch in seiner

„Oratio“ geschrieben hat. Vgl. Michael Neander, Orbis terrae, 502-503. 1125 Der Brief ist sicher nach dem 10. November geschrieben, weil das Ankunftsdatum des Salomon

Schweiggers in Tübingen so angegeben ist. Vgl. ebd., 480. 1126 Das Tagebuch von Salomon Schweigger wurde erst nach dem Tod von Chytraeus im Jahre 1608 in

Nürnberg herausgegeben: Salomon Schweigger, Ein newe Reyssbeschreibung auss Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem, Nürnberg, 1608. Es wurde 1964 in Graz nachgedruckt, nach der Originalausgabe. (Frühe Reisen und Seefahrten in Originalberichten, Band 3).

1127 Der Brief ist abgedruckt bei: Michael Neander, Orbis terrae, 471-483. David Chytraeus hat den Brief im Anhang seiner „Oratio“ nicht abdrucken lassen. Der Grund dafür kann derselbe wie bei dem zweiten Bericht von Billerbeg aus dem Jahre 1582 sein. Michael Neander hat den Brief in der Auflage des Jahres 1583 auch nicht veröffentlicht.

1128 Die wichtigen Stationen des Weges zwischen Wien und Konstantinopel werden kurz in ihrer Reihenfolge erwähnt und danach folgen die Stationen seiner Orientreise mit kurzen Beschreibungen. Vgl. Michael Neander, Orbis terrae, 473-480.

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den Heiligen Stätten erinnerten und anreizend und verführerisch wirkten. Das Interesse für

die Christen jener Gegenden ist mit Sicherheit in den Kreisen der Leser dieser Berichte

gestiegen.

Von allen Daten über die östlichen Christen und Kirchen, die von Billerbeg und Crusius in

den oben genannten Berichten überliefert wurden, waren für David Chytraeus sehr wenige

neu, weil er die Lage der östlichen Christen und die Zerstörung der christlichen Städte

schon ziemlich gut kannte.1130 Neu war für ihn die Nachricht von der Absage vieler

Christen vom Christentum und die Annahme des Islams, um eine Laufbahn in der Politik

oder in der Verwaltung des islamischen Reiches einschlagen zu können.

Etwas Neues für ihn sollte auch die Verbesserung der Kenntnisse über die Lutheraner im

Orient sein. Als er seine „Oratio“ im Jahre 1569 schrieb, waren die Lutheraner in

Konstantinopel und im Orient nicht so bekannt.1131 Dreizehn Jahre später, nachdem der

Briefwechsel zwischen Tübingen und Konstantinopel stattgefunden hatte und schon

abgeschlossen war, hatte sich die Lage verändert.1132 Chytraeus erfuhr durch die

Vermittlung des von Salomon Schweigger informierten Marin Crusius, daß „der Name der

Lutheraner in Jerusalem und auf der Insel Kreta sehr bekannt sei; daß sich die Griechen

wunderten, daß in Deutschland griechisch gelehrt würde und daß er die Namen gelehrter

Deutscher vielen Griechen kundgetan habe.“1133

6.3.2 Billerbegs Vermittlung eines Briefwechsels zwischen David Chytraeus und dem alexandrinischen Protosyncellos Meletios Pegas

Zwischen dem 1. September 1581 und dem 23. April 1582 unternahm der Schüler von

Chytraeus, Franziskus Billerbeg, wie oben erwähnt, eine Reise von Konstantinopel nach

Syrien, Palästina und Ägypten, um diese Stätten der Christenheit kennenzulernen.1134 Er

1129 Bemerkenswert ist die Beschreibung der Stadt Gaza, wobei auch Samson und Alexander der Große

erwähnt werden. In der Nähe von Gaza gab es in seiner Zeit eine türkische Moschee, während dort viele Jahre zuvor eine blühende christliche Religion gewesen wäre. Vgl. ebd., 495.

1130 Der wiederholte Wechsel von Patriarchen wird von Chytraeus in seiner „Oratio“ nicht erwähnt. Durch diesen Brief wird er darüber informiert. Vgl. ebd., 475-476.

1131 Vgl. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 25-30. 1132 Walter Engels kommentierte: „Das deutsche Luthertum aber hatte in jenen Jahren bis weit in den Oreint

seine Wirkungen ausstrahlen können.“ Wlater Engels, Salomon Schweigger, 244. 1133 „Ut nomen Lutheranorum, Hierosolymae et in Insula Creta, notißimum esse: mirari Graecos, Graeca

doceri in Germania: se doctorum Germanorum nomina multis Graecis indicasse.“ Michael Neander, Orbis terrae, 480.

1134 Siehe seine Beschreibung dieser Reise an Chytraeus im Jahre 1582 geschickt und 1586 von Michael

Neander unter dem Titel: „Epistola continens Hodoeporicon navigationis ex Constantinopoli in Syriam,

Palaestinam et Aegyptum et montem Sinai, etc. Item de persico bello et circumcisione Mahometis filij

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war nicht der erste, sondern nach Salomon Schweigger der zweite bekannte Lutheraner,

der eine solche Reise unternommen hat.1135

Die beiden trafen in Alexandrien in Ägypten den Hieromonachos Meletios an, der dort als

Stellvertreter – Vicarius – des dortigen vor der Pest nach Cairo geflüchteten Patriarchen

anwesend war.1136 Dieser Meletios Hieromonachos war niemand anders als der berühmte

griechische Theologe und der spätere Patriarch von Alexandrien (1590-1601), Meletios

Pegas.1137 Er machte einen sehr guten Eindruck auf die beiden lutherischen Theologen, die

ihn besucht hatten und ganz freundlich von ihm in Alexandrien empfangen worden

waren.1138 Salomon Schweigger hatte sich sehr gut mit Meletios Pegas angefreundet, so

Imp. Turcici, alijsque rebus Constantinopoli superiore aestate actis. D. Davidi Chytraeo“ veröffentlicht:

Michael Neander, Orbis terrae, 490-511. 1135 Billerbeg war ein Nachfolger des Orientreisenden Salomon Schweigger, Gesandschaftsprediger in

Konstantinopel, der im März 1581 eine ähnliche Reise unternommen hat. Billerbeg selbst wußte über die Reise von Schweigger Bescheid. Vgl. Martin Kriebel, Salomon Schweigger, 170. Über seine Reise siehe seine Beschreibung: Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 254 ff. Eine Beschreibung dieser Reise bietet auch Martin Crusius in einem undatierten Brief an Chytraeus, der wahrscheinlich Ende 1581 oder Anfang 1582 geschrieben wurde. Der Brief ist abgedruckt bei: Michael Neander, Orbis terrae, 471-484. Die Reisen von Schweigger und Billerbeg waren keine Wallfahrten, sondern einfache kulturell-informative Reisen. Sie erwähnen keine Geste von Verehrung und keine Gebete an den Heiligen Orten. Eine Wallfahrt zu den Heiligen Stätten ohne Gebet ist eine normale Reise. Trotzdem war nämlich auch Frömmigkeit dabei, aber ohne dabei einen öffentlichen Ausdruck zu finden.

1136 Siehe: Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 254. Michael Neander, Orbis terrae, 496. 1137 Meletios Pegas (1549-1601) wurde in Chandaka (Herakleion) auf Kreta geboren. Pegas erhielt den

ersten Unterricht in Latein und in den „artes liberales“ bei seinem Lehrer Meletios Vlastos auf der

Heimatinsel. Danach studierte er in Venedig und Padua neben Theologie auch Jura und Medizin. Nach

der Rückkehr in die Heimat wurde er Mönch im Agkarathos-Kloster, doch schon bald (1569) wählte man

ihn zum Igumen, als Nachfolger des zum Patriarchen von Alexandrien erhobenen Silvestros; nach

mehrjähriger Tätigkeit als Lehrer und Prediger mußte er wegen seines orthodoxen Übereifers die Insel

verlassen, traf aber in Jerusalem wieder auf Silvestros (1579), der ihn zum Diakon und danach zum

Priester seiner Kirche weihte; Zwischen den Jahren 1582-1584 und 1588-1590 verwaltete er als

Protosynkellos und Epitropos die Kirche von Alexandrien. Inzwischen Archimandrit, wurde er 1584 nach

Rußland gerufen, blieb aber unterwegs drei Jahre (1585-1588) in Konstantinopel beim Patriarchen

Jeremias II. als Lehrer und geschätzter Prediger. Ab 1590 selbst Patriarch von Alexandrien nahm Pegas

an der Synode 1593 in Konstantinopel teil, wo über die Errichtung des russischen Patriarchates und die

Ablehnung des gregorianischen Kalenders verhandelt wurde. Im Jahr 1597 war er Stellvertreter des

ökumenischen Patriarchen und hatte diese Stelle drei Jahre lang inne. Er starb im Jahr 1601.

Einzelheiten zu seiner Biographie und seiner literarischen Tätigkeit mit reichen Literaturangaben bei: Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 128-135 und Philip Meyer, Die theologische Literatur, 53 ff.

1138 Salomon Schweigger beschrieb ihn wie folgt: „Der Griechische Patriarch ...hat einen Vicarium mit Namen Meletius Jieromonachus, ein freundlicher Mann und der gelehrtest unter allen Griechen, so viel mir seyn fürkommen, dann er der Lateinischen, Italianischen und beeder Griechischen Sprachen sehr wohl beredt ist, sonsten hab ich nie kein Graecum funden, dann neben diesem den Ptrotoherminea Patr. C. mit Namen Ioannes Zygomalas.“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 254.

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daß er ihm „ein Graeco-Latinum Testamentum Novum“ schenkte.1139 Meletios Pegas hatte

ihm auch einen Empfehlungsbrief und einige wichtige Anweisungen für ihre Haltung auf

der Reise nach und in Jerusalem gegeben, mit der Bitte, daß Schweigger, nach der

Rückkehr in Deutschland, ihm über seine abgeschlossene Reise freundlich berichten

solle.1140 Seine Bewunderung im Hinblick auf die Gelehrsamkeit und die Geschicklichkeit

des Meletios Pegas in kirchlichen Angelegenheiten drückte Salomon Schweigger

gegenüber Martin Crusius schon in einem auf dem Heimweg am 10. September 1581

geschriebenen Brief1141 und danach mündlich ausführlicher nach seiner Rückkehr nach

Tübingen (10. November 1581) aus.1142 Konnte aber der größte Philhellene seiner Zeit

anders,1143 als dem gelehrtesten unter allen Griechen1144 einen Brief zu schreiben?

Natürlich nicht. Am 29. Januar 1582 schrieb Martin Crusius Pegas einen Brief, um

freundschaftliche Beziehungen zu ihm aufzunehmen und um ihn gleichzeitig zu bitten, ihm

neue geschichtliche Daten über die Lage in Ägypten zu liefern.1145 Obwohl dieser Brief

verlorengegangen ist,1146 ließ sich Crusius nicht entmutigen und schrieb am 13. April 1583

ein zweites Mal.1147 Damit hat zwischen ihnen eine Korrespondenz begonnen, die bis 1584

dauerte.1148

Wenige Monate später hielt sich auch der Pommersche Edelmann Franziskus von

Billerbeg bei dem alexandrinischen Protosynkellos Meletios Pegas auf.1149 Er war von der

1139 Er selbst berichtet: „Als ich nun mit gedachtem D. Meletio gute Freundschaft gemacht, verehrte ich ihm

ein Graeco-Latinum Testamentum Novum, welches er auch zu hohem Dank von mir auffgenommen...“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 254.

1140 Vgl. ebd., 254. 1141 Siehe: Schweickeri ad Crusium epistola, 10. September 1581. Martin Crusius, Diarium, II, 451-454. 1142 Vgl. Martin Crusius, Turcograecia, 531. 1143 So nannte sich Martin Crusius selbst in dem ersten bekannten Brief an Meletios Pegas. Vgl. ebd. 1144 So wurde Meletios Pegas von Salomon Schweigger charakterisiert. Vgl. Salomon Schweigger,

Reyssbeschreibung, 254. 1145 Dieser Brief ist abgedruckt in Turcograecia unter dem Titel: „D. Meletio Cretensi, Alexandriae Aegypti

Protosyngelo, Hieromonacho doctissimo.“ Martin Crusius, Turcograecia, 531-532. Crusius bezieht sich am Anfang des Briefes auf die Vermittlungen von Salomon Schweigger: „Ad X. die proximi Nevembris, feliciter ad nos ex Oriente redijt amicus meus Solomon Sveiccerus; cuius cospectu mirifice laetatus sum praefertim, quando de te, virtutibusque tuis mihi narravit.“ Ebenda, 531.

1146 Vgl. G. E. Zachariades, Tübingen und Konstantinopel, 60. 1147 Der Text des Briefes: Martin Crusius, Diarium, III, 16-25. Der Brief wurde zum ersten Mal von Emilé

Legrand veröffentlicht: Lettres de Mélétius Pigas, Paris, 1902, S. 376-381. (mir nicht zugänglich). Vgl. Emilé Legrand, Bibliographie Hellénique, IV, 269.

1148 Die anderen Briefe dieser Korrespondenz in: Martin Crusius, Diarium, III, 92-99, 105-113 und 117-121. Eine kurze Beschreibung dieser Briefe bei: G. E. Zachariades, Tübingen und Konstantinopel, 60 und 88-89. Vgl. auch Emilé Legrand, Bibliographie Hellénique, IV, 269-270.

1149 Darüber berichtet er in seinem zweiten Brief an Chytraeus, (Wien, am 1. Oktober 1582). Vgl. Michael Neander, Orbis terrae, 496-497. Dieser Teil des Briefes, in dem über die Beschreibung des Treffens mit Meletios Pegas berichtet wird, findet sich auch bei Legrand veröffentlicht: Emilé Legrand, Bibliographie Hellénique, IV, 262.

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Persönlichkeit des Meletios Pegas so begeistert,1150 daß er ihn als „unicum inter doctos“,

die er auf seiner Reise angetroffen hatte, für geeignet befunden habe, um eine

Korrespondenz mit David Chytraeus, seinem Magister, zu führen.1151 Aus dem Text seiner

Mitteilung an Chytraeus kann man noch zwei Aspekte des Treffens zwischen Billerbeg

und Meletios hervorheben: Die Bewunderung Billerbegs gegenüber Meletios Pegas war so

groß, daß er ihm 1. das Buch des Chytraeus „De lectione historiarum“1152 zu schicken

versprach und er 2. die Hoffnung ausdrückte, daß Meletios der zukünftige Patriarch von

Alexandrien sein werde.1153

Es ist anzunehmen, daß Billerbeg mit Meletios auch über das Interesse des Chytraeus an

den Ostkirchen gesprochen hat, weil Meletios Pegas am 15. April 1582 einen in

versöhnlichem Geist geschriebenen Brief an David Chytraeus gesandt hat, in dem er

schrieb, daß er die Einigung der Kirchen für unmöglich halte, wenn man bestimmte

Faktoren in beiden Kirchen einer näheren Betrachtung unterziehe. Er schrieb ihm, daß er

selbst ein Handbuch des christlichen Glaubens (Enchiridion)1154 geschrieben hatte und

auch ihm ein Exemplar davon schicken werde.1155 Dieser Brief war der erste Brief von

Meletios Pegas, der von ihm an einem lutherischen Theologen gesandt wurde. Und dieser

Theologe war David Chytraeus.1156 Der Brief gelangte auch in die Hände von Martin

Crusius, der ihn allen Tübinger Professoren zeigte und auch seiner Freude darüber

öffentlich vor allen seinen Freunden Ausdruck verlieh.1157 Der größte deutsche Philhellene

des 16. Jahrhunderts hatte einen Brief des gelehrtesten unter allen Griechen, Meletios

Pegas, in Händen, obwohl der Brief nicht an ihn, sondern an Chytraeus adressiert war.

1150 Billerbeg beschrieb dem Rostocker Meletios Pegas wie folgt: „Interim quoque accessi Meletium

Protocingelum Calogerum Graecum, et de montis sanctae Catharinae (ita monasterium vocant) fratrem, virum et scientiis humanis et literis sacris admodum eleganter doctum, latine pariter et italice loquentem, unicum inter doctos, quos in hac peregratione videre licuit...“ Michael Neander, Orbis terrae, 496.

1151 „...iudicavi aptum quocum H.T. amicitiam iniret, cuique oblata occasione scriberet.“ Ebenda, 496. 1152 In diesem Buch bietet Chytraeus eine Einführung in die Geschichtsschreibung. Vgl. Detolff Klatt, David

Chytraeus, 65 ff. 1153 „Ipsi promisi me Bizantio missurum esse libruum, quem H.T. de lectione historiarum conscripsit... Et

haec de Protocingelo, viro doctissimo, qui et Alexandrinus Patriarcha speratur crediturque futurus.“ Michael Neander, Orbis terrae, 497.

1154 Zu diesem Enchiridion siehe: Philip Meyer, Die theologische Literatur, 61. 1155 Der Text des Briefes befindet sich in dem handschriftlichen Tagebuch des Martin Crusius: Martin

Crusius, Diarium, II, 627-628. Er wurde von Legrand veröffentlicht in: Lettres de Mélétius Pigas, Paris, 1902, S. 63-64 (mir nicht zugänglich). Vgl. Emilé Legrand, Bibliographie Hellénique, IV, 263. Eine Beschreibung des Inhaltes dieses Briefes bietet: G. E. Zachariades, Tübingen und Konstantinopel, 59-60.

1156 Sein erster Brief an Martin Crusius wurde erst eineinhalb Jahre später geschrieben (am 14. Oktober 1583). Siehe die Brieftabelle des Martin Crusius in: G. E. Zachariades, Tübingen und Konstantinopel, 87-88.

1157 Darüber schreibt Crusius in seinem Brief vom 13. April 1583 an Meletios. Vgl. auch: G. E. Zachariades, Tübingen und Konstantinopel, 60.

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Wie Chytraeus auf diese Vermittlung von Franziskus Billerbeg reagiert hat, wissen wir aus

einem Brief des Chytraeus an Billerbeg vom Anfang des Jahres 1584.1158 Neben vielen

anderen Mitteilungen an Billerbeg benachrichtigte Chytraeus ihn durch diesen Brief, daß er

dem Protosynkellos Meletios des Patriarchen von Alexandreia geantwortet habe,1159 und

daß er ihm auch seine Schrift „Regula Vitae“1160 geschickt habe, in der Hoffnung, seine

Freundschaft zu gewinnen.1161 Andere Briefe von Chytraeus an Pegas oder umgekehrt sind

mir unbekannt. Es ist auch unklar, ob die von den beiden Theologen versprochenen Bücher

bei ihnen angelangt sind oder nicht.

Pegas korrespondierte auch mit dem reformierten Genfer Theologen Theodor Beza, aber

leider ließ sich bisher kein Brief aus dieser Korrespondenz aufspüren. Es existiert nur ein

Zeugnis des Meletios darüber.1162

Neben den ihm von Chytraeus geschickten Büchern war Meletios Pegas im Besitz einer

Reihe von anderen Büchern, die von lutherischen oder reformierten Reformatoren des 16.

Jahrhunderts verfaßt wurden. Es ist die Rede von der „Institutio“ Johannes Calvins, einem

antirömischen Traktat des Theodor Beza, dem theologischen Kompendium des Johannes

Heerbrands und anderen Werken, die ihm von Martin Crusius geschickt worden waren.1163

Neben den Freundschaften des Meletios Pegas mit deutschen und schweizerischen

Reformatoren soll auch noch die Tatsache erwähnt werden, daß er sehr oft gegen die

Lateiner polemisiert hat.1164 Er mußte seine Heimatinsel der Katholiken wegen verlassen

und konnte das sein ganzes Leben lang nicht vergessen.1165 Darum pflegte er viele

1158 Der Brief ist abgedruckt in: David Chytraeus, Epistolae, 550-553. Der Brief ist datiert: „Rodopoli,

postridie Calendas Ianuarii, Anno 1584.“ 1159 David Chytraeus, Epistolae, 551. 1160 Die Lebensregeln des David Chytraeus wurden als das erste Lehrbuch der Moraltheologie in der

lutherischen Kirche bezeichnet. Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 10-11. Das Buch ist eine Auslegung des Dekalogs und nimmt bei jedem einzelnen Gebot Bezug auf die Aussprüche des klassischen Altertums und einzelne geschichtliche Beispiele. Eine kurze Darstellung des Inhaltes dieses Werkes des David Chytraeus bietet: Theodor Pressel, David Chyträus, 10-11.

1161 David Chytraeus, Epistolae, 553. 1162 Vgl. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 371, Anm. 3. 1163 Für die genauen Stellen in den Tagebüchern von Martin Crusius, wo er über die Sendung dieser Bücher

an Meletios Pegas Auskunft gibt, siehe: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 37, Anm. 3 und 4. G. E. Zachariades, Tübingen und Konstantinopel, 59-60.

1164 Vgl. Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 131-135 und Philip Meyer, Die theologische Literatur, 54 ff. Philip Meyer hat auf eine von Meletios Pegas gegen Luther und Calvin gerichtete Schrift hingewiesen, die handschriftlich in dem Codex 315 der Synodalbibliothek von Moskau vorhanden sei. Vgl. Philip Meyer, Die theologische Literatur, 68-69.

1165 Das hat er auch Salomon Schweigger berichtet. Der lutherische Orientreisende hat verschiedene Widmungen von vielen Griechen in seinem Stammbuch gesammelt. Meletios Pegas hat ihm die folgende Widmung geschrieben: „Nos patriam fugimus, patriam dum perdere fidem, Primaevosq. mores sustinet haud animus.“ Schweigger hat diese Verse wie folgend kommentiert: „Diesen Verss verstehe ich also, daß er vielleicht in Creta in seiner Heimat (da die Griechisch unnd Papistisch Religion im Schwang gehet) ist angemutet worden, daß er soll zu den Papisten tretten, weil er sich aber dessen gewegert, hat er

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Freundschaften mit evangelischen und reformierten Theologen, aber ohne die Grenzen der

kirchlichen Lehre seiner Konfession zu überschreiten, obwohl einige westliche Einflüsse,

sowohl katholische, als auch lutherische und reformierte, auf seine Theologie zu

beobachten sind.1166

Aber die endgültige religiöse Stellung des Meletios Pegas gegenüber dem Protestantismus

kam anläßlich der Bitte der protestantischen Geistlichen an den ökumenischen Patriarchen,

für die Orthodoxen der Ukraine und Weißruthenien die nötige offizielle Bewilligung zu

erteilen,1167 zum Ausdruck, die auf der Wilnaer Versammlung im Jahre 1599 eine

Kirchenunion mit den ruthenisch-ukrainischen Orthodoxen erzielen wollten1168. Der

damalige Bischof der böhmischen Brüder – Simeon Theophilus Turnovius – sandte auch

seinerseits am 4. Juni 1599 einen privaten Brief an den Patriarchen Meletios Pegas, in dem

er ihn um diese Erlaubnis bat.1169 Meletios antwortete durch drei Briefe, einen offiziellen

an die Synode, der verlorengegangen ist,1170 und zwei private an Simeon Turnovius1171 und

Martin Bronievius,1172 einen Freund von Kyrillos Lukaris. Der Hauptgedanke,

insbesondere des letzten Briefes, war das Bedauern des Meletius über die großen

Unterschiede zwischen ihren Kirchen und die Hoffnung, daß Gott dieser Tatsache eines

Tages ein Ende setzen werde. Was Meletius als notwendig betrachtet, ist die Bewahrung

und Entwicklung freundlicher Liebe und freundschaftlicher Beziehungen zwischen den

Protestanten und Orthodoxen.1173 Diese Gedanken wurden am 6. Dezember 1600, neun

Monate vor seinem Tod, geschrieben. Darum können diese Briefe als „Testamentum

Meletii“ in Bezug auf die Beziehungen zwischen Protestanten und Orthodoxen angesehen

sich auss seiner Heimat in frembde Land begeben, da er an seiner Griechischen Religion unverhindert möchte seyn, dann er sich da zugegen klagt, daß er müss sein Vaterland meiden, weil er ab dem Glauben und gebreuchen seiner Voreltern nicht wöll weichen.“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 338.

1166 Pegas argumentiert z.B. sehr oft nur mit der Bibel. Vgl. Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 131-135 und Philip Meyer, Die theologische Literatur, 54-55, 59. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 371, Anm. 3 und 4.

1167 Der Brief ist abgedruckt in: Adrian Regenvolscius, Systema Historico-Chronologicum, 491-494. 1168 Über diesen Versuch einer Annäherung und sogar einer Kirchenunion zwischen Protestanten und

Orthodoxen siehe: Adrian Regenvolscius, Systema Historico-Chronologicum, 478 ff. Colin Davey, The Orthodox, 146-151. Domet Oljančyn, Zur Frage der Generalkonföderation, 29-46. Der einzige Erfolg war das Erlangen einer politischen Union. Das Original der Urkunde der Generalkoföderation zwischen Protestanten und Orthodoxen in Wilna 1599 ist in polnischer Sprache abgedruckt: Domet Oljančyn, Originaltext, 198-205.

1169 Der Bischof Turnovius berief sich in dem Brief auf die Beziehungen, die der Patriarch Nikodemos vor 148 Jahren mit den Hussiten angeknüpft hatte. Der Brief von Turnovius ist abgedruckt bei: Adrian Regenvolscius, Systema Historico-Chronologicum, 495-496. Eine unvollständige englische Übersetzung dieses Briefes bei: Colin Davey, The Orthodox, 149-150.

1170 Vgl. Colin Davey, The Orthodox, 149. Domet Oljančyn, Zur Frage der Generalkonföderation, 30. 1171 Der Text des Briefes: Adrian Regenvolscius, Systema Historico-Chronologicum, 497-498. 1172 Der Text des Briefes: Ebenda, 498-499. 1173 Vgl. Adrian Regenvolscius, Systema Historico-Chronologicum, 498.

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207

werden. Seine Gedanken sind zugleich die Schlußfolgerung, mit der die Beziehungen des

16. Jahrhunderts zwischen Protestanten und Orthodoxen enden.1174

Die Aufgeschlossenheit gegenüber den lutherischen und evangelischen Reformatoren

diente seinem Schüler Kyrillos Lukaris als Vorbild. Anders als Kyrillos Lukaris hat

Meletios Pegas seine orthodoxe Identität bewahrt. Doch war sein Geist der Geist eines

aufgeklärten und von christlich-humanistischen Gedanken beseelten Theologen.1175 Seine

Korrespondenz mit David Chytraeus und anderen Reformatoren seiner Zeit, die auch den

Austausch theologischer Bücher eingeschlossen hat, ist ein Zeichen des im 16. Jahrhundert

existierenden ökumenischen Austauschs zwischen Okzident und Orient.

6.3.3 Die Sendung einer Abschrift des Glaubensbekenntnisses des Patriarchen Gennadios Scholarios von Konstantinopel nach Rostock

Am Ende des Berichtes von Franziskus Billerbeg an Chytraeus über den Zustand des

türkischen Reiches befindet sich eine sehr interessante Mitteilung Billerbegs. Es handelt

sich um die Übersendung des Glaubensbekenntnisses des Patriarchen Gennadios

Scholarios von Konstantinopel an Chytraeus im Jahre 1581. Nachdem Billerbeg viel über

den Zustand des türkischen Reiches und über viele Fälle berichtet hatte, in denen es um die

Bekehrung vieler Christen zum Islam ging, will er am Ende seines Berichtes die traurigen

Mitteilungen durch eine unerwartete Nachricht mildern. Er schickte das

Glaubensbekenntnis, das der erste Patriarch von Konstantinopel nach der Eroberung,

Gennadios Scholarios, für den türkischen Sultan Mehmed II. im Jahre 1456 verfaßt hat, aus

Konstantinopel nach Rostock.1176 Für David Chytraeus als Sammler und Herausgeber

griechischer Dokumente, war dieses Dokument selbstverständlich von sehr großer

Bedeutung. Das zeigt uns die Tatsache, daß er schon am 1. Februar 1582 den ersten Brief

1174 Eine ähnliche Einstellung gegenüber den lutherischen Theologen aus Tübingen hat auch Patriarch

Jeremias II. wenige Jahre vor Meletios Pegas gehabt. In seiner dritten Antwort an die Tübinger Theologen empfahl der Patriarch ihnen am 6. Juni 1581, nur um der Freundschaft willen ihm weiter zu schreiben und nicht mehr über die Dogmen. Vgl. Acta et Scripta, 370.

1175 Er war Kollege und Freund des griechischen Theologen Maximos Margounios, Bischof von Kythera. Dieser hat Meletios Pegas auch in die Kreise der Humanisten seiner Zeit eingeführt. Margunios sendete dem italienischen Humanisten Philippo Siminello eine Schrift des Patriarchen von Alexandrien Meletios Pegas als Geschenk. Vgl. Polychronis K. Enepekides, Der Briefwechsel des Maximos Margunios, 51. Der Text des Briefes in: Ders., Maximos Margunios an deutsche und italienische Humanisten, 139. Siminello stand in Korrespondenz auch mit Kyrillos Lukaris. Siehe: Ebenda, 137.

1176 „Sed haec tristiora, apud te, cui aeternam et temporalem laetitia precor, omitto. Et coronidis loco, Genadij Patriarchae Constantinopolitani confessionem, Mahometo II. Turcarú Imp. statim post Constantinopolim captá, postulanti exhibitam mitto.“ David Chytraeus, Oratio, 69.

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208

von Billerbeg zusammen mit dem Glaubensbekenntnis des Gennadios Scholarios in

Wittenberg herausgegeben hat.1177

Woher hatte Franziskus Billerbeg das Glaubensbekenntnis des Patriarchen Gennadios

Scholarios? Wie auch Stephan Gerlach und Salomon Schweigger war er mit dem

Protonotarios des Patriarchen Jeremias II. Theodosios Zygomalas befreundet. Dieser hat

Franziskus Billerbeg in Konstantinopel eine Abschrift dieses Glaubensbekenntnisses

gegeben, wie Franziskus selbst in dem Brief an Chytraeus bestätigt.1178 Einzelheiten über

ihre Begegnung können wir aus den Berichten von Franziskus an Chytraeus nicht

entnehmen. Die wohlbekannte Freundschaft zwischen Theodosios Zygomalas und den

beiden lutherischen Gesandtschaftspredigern Stephan Gerlach1179 und Salomon

Schweigger,1180 die kurz vor Billerbeg auch in Konstantinopel gewesen waren, läßt uns

vermuten, daß eine ähnliche Freundschaft auch zwischen Theodosios und Franziskus

existiert hat.1181 Es ist sicher, daß schon am 15. April 1580 eine Unterredung zwischen

Billerbeg und anderen Freunden von ihm und Theodosios Zygomalas stattgefunden hat.1182

Ohne diese Freundschaft hätte er dieses Dokument nicht bekommen. Hinzu kam auch die

Tatsache, daß David Chytraeus, der im Jahre 1578 in Korrespondenz mit Patriarch

Jeremias II. von Konstantinopel stand,1183 in Konstantinopel nicht gewesen worden war.

Sein Interesse an den Ostkirchen wurde von Theodosios Zygomalas mit der Überreichung

dieses Glaubensbekenntnisses belohnt. Die Bekanntheit des Chytraeus in Konstantinopel

und die Freundschaft zwischen Billerbeg und Zygomalas waren also die Gründe dafür, daß

Franziskus Billerbeg in den Besitz einer Abschrift des Glaubensbekenntnisses des

Gennadios Scholarios gekommen war, und es in der Folgezeit nach Rostock zu David

Chytraeus schickte.

Das Glaubensbekenntnis wurde schon im Jahre 1582 in Wittenberg und dann 1583 von

David Chytraeus im Anhang zu seiner Oratio in dem griechischen Originaltext und mit

1177 Vgl. Emilé Legrand, Bibliographie Hellénique, IV, 242-243. 1178 Billerbeg schreibt darüber sehr kurz: „communicatum mecum à Theodosio Zygomala, praesentis

Patriarchae Ieremiae Protonotario.“ David Chytraeus, Oratio, 69. 1179 Stephan Gerlach, Tagebuch, 101-102, 151, 178, 188, 200, 403. 1180 Salomon Schweigger wurde 1578 von Theodosios Zygomalas zu seiner Hochzeit eingeladen, was auf

gute Beziehungen schließen läßt. Siehe: Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 222. 1181 Stephan Gerlach hat z. B. Salomon Schweigger besonders in die griechischen Kreise eingeführt. Siehe:

Martin Kriebel, Salomon Schweigger, 157. Billerbeg als Nachfolger von Schweigger wurde vom letzten wahrscheinlich auch in dieselben Kreise eingeführt. Vgl. Ebenda, 170.

1182 Darüber wird in einem amtlichen Schreiben vom 15. April 1580 an Kaiser Rudolph II. berichtet. Siehe: Martin Kriebel, Salomon Schweigger, 160.

1183 Siehe: David Chytraeus, Oratio, 75-78.

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einer lateinischen Übersetzung veröffentlicht.1184 Chytraeus wußte über dieses

Glaubensbekenntnis, daß es von Gennadios Scholarios auf Verlangen des türkischen

Sultans, Mehmed II., verfaßt worden war, aber andere Einzelheiten über den Verfasser und

die Umstände, unter denen die „Confessio“ entstanden war, mögen ihm nicht bekannt

gewesen sein.

Gennadios Scholarios,1185 der Verfasser dieses Glaubensbekenntnisses, war ein Schüler des

berühmten Metropoliten von Ephesus, Markos Eugenikos. Er übernahm die Führung der

Opposition gegen die Union mit den Lateinern nach dem Tod von Markos Eugenikos,

nachdem er zunächst auf dem Florentiner Konzil für die Union eingetreten war.1186 Nach

dem Fall Konstantinopels wurde er am 6. Januar 1454als erster Patriarch unter türkischer

Herrschaft eingesetzt.1187 Als Patriarch ist er mit Unterbrechungen bis zum Jahre 1465 auf

dem Thron geblieben, bis er sich aus seinem Amt in das Kloster Prodromos, das bei Serrai

am Fuß der Meneceu Gebirge liegt, zurückzog, wo er wahrscheinlich im Jahre 1472

starb.1188 Gennadios Scholarios hat ein bedeutendes Werk hinterlassen.1189 Seine

„Confessio“ gelangte 1581 auch in die Hände von Chytraeus.

Der scharfsinnige Sultan Mehmed II., der durch den Geist der Rennaissance beeinflußt war

und fließend Griechisch sprach, hat sich für die Lage und die Rechte des christlichen

Patriarchen sehr interessiert, um einen „modus vivendi“ zwischen Muslimen und Christen

finden zu können. Er übertrug dem Patriarchen die geistige Führung der Christen, weil er

1184 Der Titel, unter dem diese Confessio veröffentlicht wurde, lautet: „Confessio fidei a Gennadio Patriarcha

Constant. Statim post captam à Turcis urbem anno 1453. Mahometi II. postulanti exhibita.“ Der griechische Text: David Chytraeus, Oratio, 173-186. Die lateinische Übersetzung: David Chytraeus, Oratio, 187-194.

1185 Mehrere Einzelheiten über sein Leben und Werk mit reichen Literaturangaben bei: Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 81-83. Konstantin Bonis, Gennadius Scholarios, 83-97. Ioan I. Rămureanu, Ghenadie II Scholarios, 72-109.

1186 Die Änderung seiner Einstellung gegenüber den Lateinern hat zu der Hypothese geführt, daß es sich in jener Zeit um zwei oder drei unterschiedliche Personen mit dem Namen „Scholarios“ handelte. Über diese Hypothese und seine Widerlegung siehe: Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 469-473.

1187 Gennadios wurde am 6. Januar 1454 vom Sultan in Audienz empfangen und dieser übergab ihm die Insignien seines Amtes, den Ornat, den Bischofsstab und das Brustkreuz. Er führte den Patriarchen in seine Amtswürde ein, indem er die Einsetzungsformel sprach: „Sei Patriarch, walte mit Glück, sei unserer Freundschaft versichert und behalte alle Privilegien, deren die Patriarchen vor dir sich erfreuten.“ Danach vollzog der Metropolit von Heraklea, dessen traditionelle Aufgabe dies war, den Ritus der Weihe und der Inthronisation in der Kirche der Heiligen Apostel. Siehe: Steven Runciman, Das Patriarchat von Konstantinopel, 167.

1188 Über das Ende seines Lebens siehe: Ioan I. Rămureanu, Ghenadie II Scholarios, 108-109. 1189 Louis Petit, Xenophon Siderides und Martin Jugie sind die ersten, die eine Gesamtausgabe von

Gennadius Werken herausgegeben haben: Oeuvres Completes de Georges Scholarios publiées pour la première fois par Mgr. Louis Petit, X. A. Siderides und Martin Jugie, Tom. I-VIII, Paris, 1928/1936. Konstantin Bonis hat darauf hingewiesen, daß diese Ausgabe in philologischer und kritischer Hinsicht beachtliche Mängel aufweiste. Siehe: Konstantin Bonis, Gennadius Scholarios, 83. Eine Vorstellung des Inhaltes dieser acht Bände in deutscher Sprache: Ebenda, 97-107.

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als ausgesprochener Feind des Westens hinreichend bekannt war. Dadurch wollte Mehmed

II. einer möglichen Allianz der Griechen mit dem Westen zuvorkommen.1190

Patriarch Gennadios Scholarios bekam vom Sultan Mehmed II. eine neue Residenz, die

Kirche der allerheiligsten Jungfrau – Pammakaristos.1191 Eines Tages kam der Sultan

Mehmed II. auf dem Gedanken, den Patriarchen Gennadios in seiner neuen Residenz zu

besuchen. Dort fand das erste religiöse Gespräch zwischen dem Sultan und dem

Patriarchen statt,1192 währenddessen Gennadios Scholarios ihm über die christlichen

Dogmen – Heilige Dreieinigkeit, Jesus Christus, Jungfrau Maria etc. – erzählt hat.1193 Nach

diesem Gespräch hat Mehmed II. den Patriarchen Scholarios als der Hochachtung würdig

geschätzt.1194

Die theologischen Gespräche zwischen Mehmed II. und Gennadios Scholarios waren nach

dem Zeugnis von Scholarios drei an der Zahl.1195 Sie haben im Jahre 1455 oder am Anfang

des Jahres 1456 stattgefunden.1196 Sie unterhielten sich auf griechisch, eine Sprache, die

Mehmed II. sehr gut kannte.1197

Es ist bekannt, daß die Mohammedaner ein sehr kurzes Glaubensbekenntnis haben: „Es

gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet.“1198 Nach dem zweiten

Gespräch mit Scholarios hatte der Sultan ihn gebeten, ein ähnliches kurzes christliches

Glaubensbekenntnis für ihn zu verfassen. In kurzer Zeit hat der Patriarch eine

apologetische Schrift mit dem Titel: „Über den einzigen Weg zum Heil der Menschen“

1190 Vgl. Konstantin Bonis, Gennadius Scholarios, 92. 1191 Vgl. Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 475. Die erste Residenz war die Kirche der Heiligen

Apostel, wo viele byzantinischen Kaiser beigesetzt wurden. Danach wurde die Residenz in die Kirche der Seligen Jungfrau verlegt. Siehe: Martin Crusius, Turcograecia, 15, 108-109.

1192 Siehe: A. Papadakis, Gennadius II. and Mehmet the Conqueror, 94. 1193 Viele haben gefragt, warum Mehmed so ein Interesse am Christentum zeigte. M. Jugie fragte: „Voulait-il

abanndonner le Coran pour l’Evangile? Rêvait il d’imiter le geste de Clovis et de Vladimir et de faire baptiser son peuple? Ou bien était-ce chez lui simple fantaisie de diletante?“ Zitat nach Alexandros Kariotoglou, Gennadios Scholarios gegenüber dem Islam, 159. Aber das Interesse des Sultans an der Orthodoxie wurde wahrscheinlich durch den Wunsch geweckt, mehr über die eroberte Religion zu wissen, und durch die politischen Zwecke verstärkt. Seine Motive bleiben jedoch unklar und die Quellen geben keine Hinweise hinsichtlich dieser Problematik. Vgl. A. Papadakis, Gennadius II. and Mehmet the Conqueror, 99-100.

1194 „Sed ab eo etiam tempore magis ipsum dilexit et veneratione dignum existimavit.“ Martin Crusius, Turcograecia, 16.

1195 Vgl. A. Papadakis, Gennadius II. and Mehmet the Conqueror, 94-97. 1196 Vgl. Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 478. 1197 Nach dem Zeugnis von Pseudo-Phrantzes sprach der Sultan fünf Sprachen: Griechisch, Lateinisch,

Arabisch, Chaldeisch und Persisch. Es gefiel ihm sehr, mit den weisen und gelehrten Männern seiner Zeit ins Gespräch zu kommen. Darum sprach er oft auch mit Patriarch Gennadios Scholarios. Vgl. Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 478.

1198 Die Kenntnisse des Scholarios in Hinblick auf den Islam waren oberflächlich. Siehe die Untersuchung von Alexandros Kariotoglou, Gennadios Scholarios gegenüber dem Islam, 161 ff.

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211

geschrieben und dem Sultan geschickt.1199 Letzterer hat sie für zu kompliziert und zu lang

befunden, darum verlangte er vom Patriarchen eine andere kürzere und klarere Fassung.1200

Nach dem dritten Gespräch mit dem Sultan hatte der Patriarch Gennadios eine neue in

zwölf Abschnitte aufgegliederte Darlegung des christlichen Glaubens, nach der Zahl der

Heiligen Apostel, geschrieben. Diese Schrift wurde später das Glaubensbekenntnis des

Patriarchen Gennadios Scholarios genannt und wurde von den orthodoxen Theologen als

eins der symbolischen Bücher der Orthodoxen Kirche hochgeschätzt.1201 Da diese neue

Darlegung des christlichen Glaubens eine Abkürzung der ersten apologetischen Schrift

war, trug sie den fast unveränderten Titel der ersten Fassung: „Über den Weg des Heils der

Menschen“.1202 Sie wurde dem Sultan im Frühjahr 1456 in türkischer Übersetzung

geschickt.1203

Papst Pius II. hatte von den Gesprächen zwischen Gennadios und Mehmed II. erfahren und

sah sich vor der Gefahr einer Bekehrung des Sultans zur schismatischen griechischen

Ostkirche. Darum versuchte er, Mehmed II. durch einen langen Brief zum Katholizismus

zu bekehren. Aber der Brief hat fast keinen Einfluß auf den Sultan gehabt.1204 Weder Papst

Pius II. noch Patriarch Gennadios haben den Sultan Mehmed II. zur Abkehr von seinem

islamischen Glauben bewegen können.

Von 1456 bis 1530 wurde das Glaubensbekenntnis von Scholarios nicht ediert, sondern

war nur durch Handschriften im Umlauf.1205 Erst im Jahre 1530 erschien die „editio

princeps“ des Glaubensbekenntnisses in Wien. Der Herausgeber war der Professor für

klassische Literatur Johannes Alexandru Brassicanus, der auch eine von Georges

Hermonim von Sparta gemachte lateinische Übersetzung hinzufügte, eine Übersetzung, die

er noch veränderte und verbesserte.1206

1199 Diese Schrift wurde auch sofort in die türkische Sprache übersetzt, aber bis heute ist kein Exemplar

dieser Übersetzung erhalten. Die griechische Fassung ist für lange Zeit unbekannt geblieben und wurde zum ersten Mal im Jahre 1896 vom Chrestos Papaioannu nach einer Handschrift aus dem 17. Jahrhundert herausgegeben. Sie wurde wieder ediert: Oeuvres Completes de Georges Scholarios publiées pour la première fois par Mgr. Louis Petit, X. A. Siderides und Martin Jugie, Tom. III, Paris, 1930, S. 434-452.

1200 Vgl. A. Papadakis, Gennadius II. and Mehmet the Conqueror, 96. 1201 Jon Mihălcescu schätzt das Glaubensbekenntnis von Gennadios Scholarios sogar als das erste

symbolische Buch der Orthodoxen Kirche nach dem Glaubensbekenntnis von Nicaea-Konstantinopel ein. Siehe: Jon Mihălcescu, Die Bekenntnisse, 13.

1202 Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 479. 1203 Über das Problem der Datierung siehe: ebd. 1204 Vgl. A. Papadakis, Gennadius II. and Mehmet the Conqueror, 94-95 und 100. 1205 Zu den wichtigsten Handschriften siehe: Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 480-481. 1206 Joh. Al. Brassicanus (Kohlburger), Genadii Scholarii patriarchae Constantinopolitani, de synceritate (sic)

christianae fidei dialogus qui inscribitur: Περι της odoΰ της σωτηριας των ανθροπων, id est: De via salutis humanae, Viennae Austriae, 1530. Emilé Legrand, Bibliographie Hellénique, III, 319-320. Martin Crusius wußte über diese erste Veröffentlichung Bescheid: „Alio modo et sub forma dialogi editus est hic

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Die zweite Auflage des Glaubensbekenntnisses wurde von dem lutherischen Theologen

David Chytraeus in Wittenberg im Jahre 1582 herausgegeben1207 und ihr folgte eine dritte

Auflage (die zweite chytraeische) 1583 in Frankfurt. Dem griechischen Text hat Chytraeus

auch eine eigene lateinische Übersetzung beigefügt. Dadurch ist dieses

Glaubensbekenntnis auch den Kreisen der evangelischen Theologen, die nicht gut

griechisch konnten, sowie in der lutherischen Welt Deutschlands insgesamt bekannt

geworden. Es ist zu vermuten, daß ein größerer Kreis von evangelischen Freunden und

Schülern des Chytraeus dieses Glaubensbekenntnis dank seiner Veröffentlichung

kennengelernt hat. Eine Bewertung seiner Veröffentlichung wird dadurch erschwert, daß

Chytraeus keine Angaben im Hinblick auf die Handschrift, die Übersetzung und die

Gründe seiner Veröffentlichung macht.

Im folgenden Jahr – 1584 – hat Martin Crusius in seiner „Turcograecia“ noch einmal den

griechischen Text der Confessio des Gennadios Scholarios1208 zusammen mit der eigenen

lateinischen Übersetzung und der mit griechischen Buchstaben versehenen turko-

arabischen Übersetzung von Achmed von Verrien veröffentlicht. Dadurch wurde zum

ersten Mal der turko-arabische Text des Glaubensbekenntnisses in Basel veröffentlicht.

Crusius hat der turko-arabischen Übersetzung, die mit griechischen Buchstaben

geschrieben worden war, auch eine Transkription mit lateinischen Buchstaben

beigefügt.1209

Gennadij libellus, Graecè et Latinè, ab Ioanne Alexandro Braßicano Iurisc. et Viennae Austriacae 1530. Mense Aprili excusus.“ Martin Crusius, Turcograecia, 191.

1207 Émile Legrand hat auf diese Veröffentlichung zum ersten Mal hingewiesen. Es handelt sich um einen in Wittenberg gefertigten Druck, der sich in der königlichen Bibliothek in Dresden befand. Das Buch trug den Titel: Epistola Constantinopoli recèns scripta. DE PRAESENTI TURCICI IMPERII STATU, ET Gubernatoribus praecipuis, et de bello Persico. Item CONFESSIO FIDEI, QUAM GENNADIUS, PATRIARCHA Constantinopol. Post captam primùm à Turcis urbem, Mahometi II. IMP. flagitanti exhibuit. Et DE TARTARIS quaedam, WITEBERGAE Ex typographia Simonis Gronenbergij, 1582. Das Buch hatte die folgende Widmung: „Nobili et magnifico Domino D. Henrico Ranzouio, Sereniss. Daniae Regis in Holsatia Vicario, Domino in Brendenberg, etc. S.D.“ Gegeben am 1. Februar 1582. Vgl. Emilé Legrand, Bibliographie Hellénique, IV, 242-243.

1208 Zu den folgenden Auflagen bis heute siehe: Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 482-483. Über die Geschichte des turkischen Textes und seine Herausgabe Ebenda, 483-489.

1209 Der Text der Confessio in: Turcograecia, 109-119. Der griechische Text von Crusius unterscheidet sich von dem des Chytraeus in kleinen Einzelheiten. Darum kann man den Schluß ziehen, daß sie nicht dieselbe Handschrift benutzt haben. Unter den Lieferanten des Textes konnte Theodosios Zygomalas, Manuel Malaxos oder ein anderer Grieche sein, weil Crusius bekanntlich sehr viele Freunde unter den Griechen hatte. Über die verschiedenen Varianten einer Überlieferung aus Konstantinopel vgl. Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 484-485.

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213

Chytraeus hat die turko-arbische Übersetzung von Zygomalas nicht bekommen,1210 aber er

wußte von einer Notiz aus dem griechischen Text, daß diese Übersetzung existiert hat.

Diese Notiz wurde von Chytraeus am Ende der beiden Texten veröffentlicht.1211

Die Veröffentlichung der „Confessio Gennadii“ von Chytraeus zusammen mit der von

Crusius wurde dann im 19. Jahrhundert von E. J. Kimmel als Basis für seine „Monumenta

fidei Ecclesiae Orientalis“ hergenommen. Auch der rumänische Theologe Ion Mihălcescu

hat das Glaubensbekenntnis von Gennadios nach der Veröffentlichung von E. J. Kimmel

vom Jahre 1850 in seine Ausgabe der Bekenntnisse der Orthodoxen Kirche aus dem Jahre

1904 aufgenommen. Dadurch hat die Veröffentlichung von Chytraeus bis in das 20.

Jahrhundert eine Rolle gespielt.1212 Letztlich hat auch Chytraeus durch seine beiden

Veröffentlichungen der „Confessio Gennadii“ dazu beigetragen, daß von allen Werken des

Gennadios Scholarios das Glaubensbekenntnis am häufigsten veröffentlicht1213 und

übersetzt wurde.1214

Für die Welt der Reformatoren spielte die Veröffentlichung dieses Glaubensbekenntnisses

eine bedeutende Rolle im Hinblick auf ihre Kenntnisse über die Haltung des Islams

gegenüber dem Christentum. Bei Martin Luther, Philipp Melanchthon und Primus Truber

haben wir schon gesehen, daß eine existentielle Angst vor den Türken bestand. Sie galten

als „der äußere Antichrist“, der die ganze Christenheit und auch ihre Tätigkeit bedrohte.1215

Am Anfang der 80er Jahre konnten sie sehen, daß die Türken und der Islam bald nach der

1210 Das hatte sowieso keinen Sinn, weil er kein Türkisch konnte. Crusius konnte auch kein Türkisch, aber

der Lieferant dieses Textes wollte ihm vielleicht eine wissenschaftliche Neuigkeit anbieten. Daß diese Sache bei Crusius von Bedeutung war, zeigt uns die Veröffentlichung dieses Textes und die Transkription mit lateinischen Buchstaben.

1211 Siehe: David Chytraeus, Oratio – Anhang, 186 und 194. 1212 Heute sind als normative Auflage angesehen: die von Johannes Karmires und L. Petit – X. A. Siderides –

Martin Jugie, die auf drei wertvolle Handschriften beruhen. Siehe: Ioan Karmiris, Τα ∆ογµατικα και Συµβολικα µνηµεια της Oρθοδοόξου Καθολικης Έκκλησίας, Band II, Graz, 1968, 432-436. Oeuvres Completes de Georges Scholarios publiées pour la première fois par Mgr. Louis Petit, X. A. Siderides und Martin Jugie, Tom. III, Paris, 1931, 453-458. Vgl. Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 483.

1213 Vgl. A. Papadakis, Gennadius II. and Mehmet the Conqueror, 96-97. 1214 Eine deutsche Übersetzung befindet sich in: Wort und Mysterium, 231-236. Englische Übersetzung: A.

Papadakis, Gennadius II. and Mehmet the Conqueror, 100-106. Rumänische Übersetzung: Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 496-499.

1215 So ist bei Melanchthon die Theorie über die Erhaltung eines Heiligen Restes entstanden. Die wahre Kirche sollte weiter leben, auch unter dem türkischen Joch. Gennadios selbst war sich dessen bewußt, daß der Christ unter einer fremden Religion leben muß. Die Kirche wird nicht mehr von der weltlichen Macht unterstützt, sondern manchmal sogar verfolgt. Der Islam besaß die Macht wie im Falle der Kirche der drei ersten Jahrhunderte. In seiner Zeit erfolgte diese wesentliche Umwandlung der Lage der christlichen Kirche. Die Unterdrückung ist ein Charakteristikum für beide Epochen. In beiden Fällen ist die Kirche unfrei. Trotzdem lebt die Kirche und bleibt lebendig bis ans Ende der Welt. Um weiter zu existieren, müssen zwei Dinge von den Christen ernst genommen werden: 1. Die Einheit und die Festigkeit im Glauben, in den Dogmen und im Wesen der Kirche 2. Die Einfachheit des Kultes und der Verwaltung. Vgl. Alexandros Kariotoglou, Gennadios Scholarios gegenüber dem Islam, 165-166.

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Eroberung Konstantinopels einen Dialog mit dem Christentum begonnen hatten, obwohl es

auch einige nicht so helle Seiten in ihren Beziehungen gab. Dieses Glaubensbekenntnis

war der Beweis für die Existenz eines Dialogs zwischen den zwei Weltreligionen.1216

Was für einen Eindruck konnte das Glaubensbekenntnis von Gennadios Scholarios auf den

lutherischen Leser machen? Welche theologischen Kenntnisse vermittelte es den

Lutheranern? Was für eine Bedeutung kann dieses Glaubensbekenntnis in den Dialogen

zwischen Orthodoxie und Luthertum spielen? Die Beantwortung dieser Fragen könnte

Einsicht in die Bedeutung der Sendung dieser Confessio aus Konstantinopel nach Rostock

und Tübingen und seiner Veröffentlichung geben.

Die Theologie des Gennadios Scholarios war von Platon und Aristoteles beeinflußt, da wir

in seinem Glaubensbekenntnis Gedanken der beiden griechischen Philosophen finden.1217

In einigen Punkten hat auch die thomistische Theologie auf ihn gewirkt.1218 In seinem

Glaubensbekenntnis behandelt Gennadios in 12 Artikeln die orthodoxe Lehre über die

Trinität (1-5), die Christologie (6-10) und die Endzeit (11-12), aber man findet keine

thomistischen Gedanken. Es gibt keine ausdrückliche Polemik gegen die anderen

Konfessionen und auch keine Beeinflussung durch diese. Darum kann dieses

Glaubensbekenntnis von allen christlichen Konfessionen anerkannt werden.1219 Doch hat

Gennadios die Trinitätstheologie so dargestellt, daß sie den muslimischen

Gesprächspartnern so monotheistisch wie nur möglich erschien, wenn er am Anfang des

zweiten Artikels die drei Personen der Dreieinigkeit als drei „ιδιωµατα“ bezeichnet und

die Ausdrücke „υποστασις“ oder „προσωπον“ meidet. Aber kurz danach hat er

geschrieben: „Και ταυτα τα τρια ιδιωµατα ονοµαζοµεν τρεις υποστασεις.“1220

Wenn dieses Glaubensbekenntnis einige Jahre zuvor für die Verhandlungen zwischen

Orthodoxen und Lutheranern nach Tübingen geschickt worden wäre, hätten es die

Tübinger Theologen mit Sicherheit als eine gemeinsame Lehre anerkannt. Chytraeus gab

1216 Nach Scholarios waren der Islam und das Christentum zwei Weltreligionen und er glaubte, daß sie in der

Zukunft parallel zusammenleben und die Weltgeschichte zusammen lenken würden. Vgl. Alexandros Kariotoglou, Gennadios Scholarios gegenüber dem Islam, 172.

1217 Vgl. Ioan I. Rămureanu, Mărturisirea de credinţă, 490 ff. 1218 Siehe darüber: Gerhard Podskalsky, Die Rezeption, 305 ff. 1219 Vgl. Wort und Mysterium, 229. 1220 David Chytraeus, Oratio – Anhang, 175. Jon Mihălcescu, Die Bekenntnisse, 18. Jon Mihălcescu

versuchte eine Erklärung zu geben, weshalb Scholarios den Begriff υποστασις benutzt und den Begriff προσωπον vermieden hat: „Daß Gennadius sich nur des Ausdruckes υποστασις bedient und dazu nicht das Wort προσωπον anwendet, welcher angemessener ist, kann – wie Kimmel in Prolegomena XX bemerkt – daher kommen, daß er den Mohammedanern, welche nicht gewöhnt waren an derartige Subtilitäten, nicht den Anlaß geben wollte, darunter etwa drei Götter zu verstehen.“ Jon Mihălcescu, Die Bekenntnisse, 14. Aber, ob προσωπον wirklich angemessener als υποστασις ist, ist noch weiter zu fragen.

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aber keine Hinweise im Hinblick auf seinen Inhalt oder auf seine Anerkennung –

abgesehen von der Tatsache, daß er es veröffentlicht habe – und gab es einfach mit seiner

eigenen lateinischen Übersetzung heraus. Er suchte immer Anhaltspunkte in der

orthodoxen Lehre und Praxis gegen die Katholiken, aber hier konnte er nichts finden.

Die lutherische Welt hat dadurch trotzdem die Gelegenheit gehabt, die Trinitätslehre der

Kappadokier des vierten Jahrhunderts, die ihren Niederschlag in dem bei den

Reformatoren so bekannten und anerkannten Glaubensbekenntnis von Nicea-

Konstantinopel gefunden hat, durch die kosmologischen und antropologischen Ansätze der

Theologie von Scholarios zu ergänzen, weil in der „Confessio Genadii“ „der gedankliche

Ansatz von vornherein und in konsequenter Entfaltung in einer – nicht umkehrbaren –

Beziehung der trinitarischen Gottheit zur Schöpfung gegeben ist.“1221

6.4 Paul Oderborn als Schüler und Beauftragter des Chytraeus mit der Erforschung der russischen Religion und die Veröffentlichung seines Berichtes über die Religion der Russen und Ruthenen

Der Untergang des Kiever Reiches bedeutete einerseits für den westlichen Teil Rußlands

den Anschluß an Polen-Litauen, anderseits für den östlichen Teil die Isolierung von

Europa.1222 Die Stadt Rostock war aber als hansische Seestadt durch ihre Beziehungen zu

den nordischen Staaten1223 und durch ihre Beziehungen zum Baltikum und zu Rußland

gekennzeichnet.1224 Dank dieser geographischen Lage fuhren in der zweiten Hälfte des 16.

Jahrhunderts die russischen Gesandtschaften des Zaren Iwan des Schrecklichen (1533-

1584) zum deutschen Kaiser öfters durch Rostock, so daß David Chytraeus 15761225 und

1221 Wort und Mysterium, Einführung in das Glaubensbekenntnis des Gennadios Scholarios, 229. 1222 Vgl. Norbert Angermann, Kulturbeziehungen, 20. 1223 Vgl. Theodor Pressel, David Chyträus, 7. 1224 „Der Zugang des russischen Ostens zur Kulturwelt des Abendlandes bleibt auf die kulturellen Kontakte

beschränkt, die der hansische Handelsverkehr ermöglichte.“ Norbert Angermann, Kulturbeziehungen, 20. 1225 Über dieses Treffen berichtet David Chytraeus am 10. Mai 1578 Martin Crusius in Tübingen in einem

Brief: „Und es ist mir dabei klar geworden, daß die Russen mit der griechischen Kirche übereinstimmen... In der Frage der Trinität und Zweinaturenlehre, der Taufe und des Herrenmahls stimmen sie vollständig mit uns überein. Aber in puncto Rechtfertigung, Heilsnotwendigkeit der guten Werke und Anwendung des Verdienstes Christi halten sie es wie die Päpstischen und die Verehrung und Anrufung der Heiligenbilder verteidigen sie mit aller Hartnäkigkeit.“ Martin Crusius, Diarium, I, 635-636. Die Übersetzung dieser Stelle bei: Walter Engels, Wiederentdeckung, 279-280. Es scheint, daß die Datierung von Engels, nach der das erste Treffen des Chytraeus mit den Russen im März 1578 stattfand, nicht richtig ist. Nach einem noch unveröffentlichten sich im Landeshauptarchiv Schwerin befindlichen Brief des Chytraeus an Herzog Ulrich von Mecklenburg vom 24. September 1580 (Korrespondenz der Herzöge mit Gelehrten, 216, fol. 49-51r) wurde der Rostocker in den Jahren 1576 und 1580 von russischen Gesandten besucht. (Der Brief war mir nicht zugänglich) Zum Inhalt dieses Briefes siehe Steffen Stuth, David Chytraeus, 75-76 und 89-90.

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15801226 die Gelegenheit hatte, sich mit den russischen Gesandten über die Religion der

Russen zu unterhalten und einige Kenntnisse über diese am Anfang des 16. Jahrhunderts

aus dem Bewußtsein des Abendlandes verschwundene Kirche1227 zu erwerben.

Der Rostocker Theologe berichtet aber in seiner Rede, sowohl in der ersten Auflage als

auch in den Neuauflagen der Jahre 1580-1583 nichts über die religiösen Zustände in

Rußland, obwohl er 1581 von einem seiner Schüler, Paul Oderborn, sogar einen Bericht

über die Religion der Russen und der Tataren empfangen hatte.1228

Paul Oderborn1229 stammte aus Pommern und war ein Schüler des David Chytraeus.

Obwohl über sein Leben nur wenig bekannt ist, wissen wir dennoch, daß er bis 1579 in

Rostock studiert hatte, die dortige Universität in demselben Jahr als Magister verlassen und

sich nach Litauen begeben hatte, um als evangelischer Prediger in Kowno (Kaunas) zu

wirken.1230 In Litauen sammelte er während der Auseinandersetzungen zwischen Polen-

Litauen und Rußland Material für eine Geschichte des russischen Staates. Es gelang ihm

aber nur, eine Biographie des Zaren Iwan des Schrecklichen zu schreiben, die im Jahre

1585 in lateinischer Sprache unter dem Titel „Ioannis Basilidis Magni Moscoviae Ducis

vita“ in Wittenberg und 1589 in deutscher Übersetzung in Görlitz1231 erschien.1232 Der

deutsche Pastor und Rußlandschriftsteller starb 1604.1233

Paul Oderborn gehörte zu dem Kreis der Schüler von Chytraeus, die von diesem zu eigener

historischen Arbeit angeregt wurden.1234 Im Unterschied zu seinem Rostocker Professor

finden wir bei Oderborn oft eine solche Geschichtsschreibung, die auf verdächtigen

1226 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 280. Bei der Angabe der Stelle, woher Walter Engels diese

Information genommen hat, handelt es sich um einen Fehler, denn die von ihm angegebene Seite 330 der Oratio existiert nicht und anderswo in der Oratio wird ein solches Treffen nicht erwähnt.

1227 Vgl. Ernst Benz, Die Ostkirche, 5-6. 1228 Der Bericht ist unter dem Titel veröffentlicht: De Russorum religione, ritibus, nuptiarum, funerum, victu

vestitu, etc. Et de Tartarorum Religione ac moribus. Paulus Oderbornius poeta laureatus, docens iam Evangelion in Lituania, Davidi Chytraeo S.P.D, am 25. Juli 1581. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 211-240.

1229 Über sein Leben und Werk siehe: Erich Donnert, Paul Oderborn, 271. Richard Hausmann, Studien, 67 ff. 1230 Erich Donnert, Paul Oderborn, 271. 1597 wurde Paul Oderborn sogar Superintendent in Kurland. Vgl.

Reinhard Wittram, Baltische Kirchengeschichte, 79. Zum Verlauf der Reformation in Livland vgl. Reinhard Wittram, Baltische Geschichte, 59-63.

1231 Wunderbare, Erschreckliche, Unerhörte Geschichte und warhaffte Historien des nechst gewesenen Großfürsten in der Moschkaw Joan Basilidis, auff ire Sprach Iwan Basilowitz genandt, Leben, Aus dem Latein verdeutscht durch Heinrich Räteln, Görlitz, 1589.

1232 Dieses Werk spielt auch für unsere Fragestellung eine Rolle, weil in ihm auch einige Seiten der Religion der Russen gewidmet waren. Diese in zwei lateinischen und drei deutschen Auflagen verbreitete Biographie des russischen Zaren blieb bis 1710 im deutschsprachigen Raum die einzige biographische Schrift dieses Zaren. Vgl. Erich Donnert, Paul Oderborn, 271. Viele Einzelheiten über Rußland wurden aus dem Rußlandwerk des Sigmund von Herberstein übernommen, das eine erstrangige Quelle zur Geschichte Rußlands des 16. Jahrhunderts darstellt. Vgl. Erich Donnert, Sigmund von Herberstein, 106.

1233 Erich Donnert, Paul Oderborn, 271. 1234 Detloff Klatt, David Chytraeus, 45 und Anm. 2. Richard Hausmann, Studien, 67.

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Nachrichten und Quellen beruht und willkürliche Zusätze aufweist.1235 Indem wir diese

Beobachtung in Betracht ziehen, werden wir auch seine Auskünfte über die Religion der

Russen beurteilen, die zum Teil ganz subjektiver und willkürlicher Art sind.

Während seines Aufenthaltes in Litauen teilte er seinem ehemaligen Rostocker Professor

mehrmals Einzelheiten über die politischen Ereignisse an der Grenze zwischen dem

russischen und dem polnisch-litauischen Reich mit.1236 Unter anderem schickte er seinem

Rostocker Theologieprofessor 1581 einen ziemlich langen Bericht über die Religion der

orthodoxen Ruthenen,1237 der Russen und der Tataren, in dem er auch über die politische

Lage in Polen-Litauen berichtet und der von David Chytraeus in einer Flugschrift1238 1582

und danach im Anhang seiner Rede über die Ostkirchen in der Ausgabe Frankfurt 1583

veröffentlicht wurde.1239

Als der Rostocker den Bericht des Oderbornius 1583 veröffentlichte, kannte das berühmte

Buch des Freiherrn Sigmund von Herberstein1240 über Rußland schon mehrere lateinische

Auflagen und deutsche Übersetzungen im Abendland. Bereits zu den Lebzeiten des 1235 Richard Hausmann hat die Objektivität des Werkes Oderborns über Ivan den Schrecklichen untersucht,

indem er es mit den anderen zeitgenössischen Berichten verglich, und dabei feststellte: „Was der Verfasser diesem Material hinzufügt, ist entweder Produkt seiner Phantasie ..., oder es sind zum Theil verdächtige Nachrichten, wie dass Gregorius Oschycus an eine Insurrection Litthauens gedacht habe.“ Richard Hausmann, Studien, 68. Bei der Beurteilung des Anfangs und des Endes des oderbornischen Berichtes über die Gründe des Krieges zwischen Polen-Litauen und Rußland und über den Ausgang desselben bemerkt derselbe Verfasser: „Das sind sehr eigenthümliche Nachrichten. Schon die wiederholte Betonung der bösen Zeichen macht den Bericht verdächtig; was über die speciellen Erlebnisse des Boten in Moskau erzählt wird, taucht nur hier auf, wir sind jedoch über das Ceremoniel beim Empfange der fremden Gesandtschaften in Moskau hinreichend unterrichtet, um sagen zu können, dass ähnliches gar nicht vorgekommen sein kann.“ Ebenda, 70. Ein anderes Mal erwähnt Hausmann „die Vorliebe Oderborns für willkürliche Zusätze.“ Ebenda, 70.

1236 Paul Oderborn schickte ihm einen ausführlichen Bericht über die Belagerung von Pleskau und über den Frieden von Sapolje. Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 1024-1030. Aus zwei anderen Briefen des Chytraeus an Oderborn vom März 1587 und vom Dezember 1589, geht hervor, daß der Rostocker zwei andere Briefe von seinem Schüler empfangen habe. Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 596 und 728-729. Zu den Veröffentlichungen des Rostocker über Polen siehe: Richard Hausmann, Studien, 75ff. Chytraeus unterhielt wegen des regen Briefwechsels zum Baltikum sogar eigene Boten, die mit seinen Briefen nach Livland reisten und von dort neue Nachrichten und Briefe mitbrachten. Vgl. Detloff Klatt, David Chytraeus, 57 und Anm. 4. Hinsichtlich der Veröffentlichungen des David Chytraeus im Bezug auf die Kriege zwischen Moskau und Polen-Litauen siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 82-83.

1237 So wurden die Ukrainer im alten Österreich genannt. Die Russen nannten sie Kleinrussen. Sie waren Nachkommen alter ostslawischer Stämme, die in byzantinischen Quellen Anten genannt werden und seit dem 6. Jahrhundert vom mittleren Dnjepr bis zu den beiden Hängen der mittleren Karpaten seßhaft waren. Von ihnen hat sich das regional unterschiedliche Volk der Ukrainer herausgebildet. Brockhaus Enzyklopädie, Band 19, 196.

1238 Die Flugschrift trägt den Titel: De Russorum religione, ritibus nuptiarum, funerum, victu vestitu, etc. Et de Tartarorum Religione ac moribus Epistola ad D. Davidem Chytraeum recens scripta. Alia eiusdem argumenti de sacrificiis, nuptiis et funeribus veterum Borussorum ad CL. V. Georgium Sabinum olim missa, Excusae Anno MDLXXXII. Die Schrift 8° hat 56 Seiten. In dieser Flugschrift wird Paul Oderborn als Verfasser des ersten Berichtes nicht erwähnt. Zur Veröffentlichung dieser Flugschrift siehe: Detloff Klatt, David Chytraeus, 83 und Anm. 1.

1239 Der Text des Berichtes: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 211-240. Der Bericht ist wiederum in der Auflage der Briefe von Chytraeus 1614 veröffentlicht: David Chytraeus, Epistolae, 1031-1053.

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Verfassers hatte es einen ungewöhnlichen literarischen Erfolg und wurde in der zweiten

Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einem Bestseller, was den politischen, ökonomischen und

religiösen Zustand in Rußland betrifft. Chytraeus scheint dieses Rußlandwerk des 16.

Jahrhunderts nicht bekannt gewesen zu sein,1241 was für einen Erforscher des christlichen

Orients erstaunlich ist.

Da dieses Buch1242 im Abendland sehr verbreitet1243 und auch ein großer Teil davon der

Beschreibung der Religion und der Gottesdienste der Russen gewidmet war,1244 haben der

Bericht von Paul Oderborn über die Religion der Russen und dessen Veröffentlichung

durch David Chytraeus in der Ausgabe des Jahres 1583 nicht mehr den Vorrang, wie es bei

den chytraeischen Veröffentlichungen über die griechische Kirche der Fall war.

Außerdem muß noch das Erscheinen eines Sammelwerkes1245 mit verschiedenen Berichten

über die Religion der Russen im Jahre 1582 erwähnt werden, in dem neben der

öffentlichen Unterredung des Zaren Iwan des Schrecklichen mit dem böhmischen Prediger

Johann Rokita über die Unterschiede zwischen dem Protestantismus und der Orthodoxie

aus dem Jahr 1570,1246 auch der Bericht des Paul Oderborn an David Chytraeus,1247 sowie

1240 Über sein Leben und Werk: Erich Donnert, Sigmund von Herberstein, 105-107. 1241 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 279. 1242 Sigmund von Herberstein, Rerum Moscovitarum Comentarii, Wien, 1549. 1243 Das Buch erschien in lateinischer Ausgabe auch in Basel 1551, 1556, 1567, 1571, 1573 und 1574;

Antverpen, 1557. In deutscher Übersetzung – Sigmund Freiherr von Herberstein, Moscoviter wunderbare Historien – gibt es auch einige Auflagen: Wien, 1557; Basel 1563; 1567; 1576; Frankfurt 1576; 1579. Vgl. VD-16, Band 8, H 2202 – H 2211. Es gab auch eine italienische und eine böhmische Übersetzung. Zu Einzelheiten vgl. Friedrich von Adelung, Reisenden in Russland, 165-175.

1244 In der Ausgabe Basel 1563, die ich in der Erlanger UB (Sign: Cim K 23) gefunden habe, werden der Religion der Russen über 20 Seiten in Format 2° gewidmet. Sigmund Freiherr von Herberstein, Moscoviter wunderbare Historien, S. XXX- LIII. Er beschreibt dort die Religion und die Gottesdienste der Moskoviter, die Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe, den Ehestand der Priester und den Ungehorsam gegenüber dem Papst, den sie für einen Ketzer halten. Es gibt sogar spezielle Kapitel: Von der Taufe, Beichte und Abendmahl, Von den Festtagen, Von dem Fegefeuer, Von dem Fasten, Von den Heiligen Verehrung, Von der Jurisdiction der Bischöfe, Wie Ehe bei ihnen geschlossen wird.

1245 Dieses Sammelwerk gehört zu den „merkwürdigen Büchern“ des 16. Jahrhunderts, weil der Herausgeber des Werkes unbekannt ist. Es trägt den Titel: De Russorum, Moscovitarum et Tartarorum religione, sacrificiis, nuptiarum et funerum ritu. E diversis scriptoribus, quorum nomina versa pagina indicat. His in fine sunt adiecta, de Livonia pacisque conditionibus et pace confecta hoc anno, inter Serenissimum Regem Poloniae et Magnum Ducem Moscoviae. Nunc primum in lucem edita, cum indice copiosissimo. Spirae libera Civitate Veterum Nemetum excudebat Barnhardus D’albinus, Anno M.D.LXXXII. 4° 296 Seiten. Eine Vorstellung des Inhaltes dieses Werkes bei: S. J. Baumgarten, Nachrichten von merkwürdigen Büchern, VI, 115-118. Als Herausgeber des Werkes wird der polnische Gelehrte Johann Lasitius vermutet, der auch in demselben Sammelwerk dem Bericht des Rokita über die Unterredung mit dem Zaren aus eigener Feder eine Verteidigung der wahren evangelischen Religion und Widerlegung der falschen griechischen anschließt. Vgl. Theodor Wotschke, Johann Lasitius, 454-455.

1246 Die religiöse Auseinandersetzung und eine Apologie der reformatorischen Lehren durch Lasicius umfaßt die ersten 170 Seiten. Zu dieser ersten gründlichen Auseinandersetzung zwischen der russischen Orthodoxie und dem Protestantismus siehe: A.W. Fechner, Chronik, 63-77. Ludolf Müller, Kritik des Protestantismus, 23-31. Siehe auch: Ivan IV il Terible, Jan Rokyta; Disputa sul Protestantismo, un confronto tra Ortodossia e Riforma nel 1570, Introduzione, versione e note a cura di Laura Ronchi De Michelis, Claudiana Editrice, Torino, 1979.

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noch andere zwei Beschreibungen der Religion der Russen1248 und noch zwei weitere

polemische Werke gegen einige vermutete Irrtümer der Russen veröffentlicht wurden.1249

Es ist sehr schwer zu erschließen, ob der Bericht des Paul Oderborn an David Chytraeus,

der in diesem Sammelwerk herausgegeben wurde, dem Herausgeber des Bandes von

Chytraeus oder von Oderborn ausgehändigt worden war. Da uns eine Beziehung des David

Chytraeus zu dem vermuteten polnischen Herausgeber Johann Lasitius nicht bekannt ist,

liegt die Vermutung nahe, daß dieser den Bericht von Paul Oderborn selbst empfangen

habe. Es ist aber erstaunlich, daß am Anfang und am Ende des Berichtes der Name des

Verfassers nicht erwähnt wird. Es gäbe noch eine dritte Möglichkeit: der Herausgeber hat

den Bericht aus der Flugschrift des Jahres 1582 entnommen.1250

Nachdem der Rostocker Schüler des Chytraeus sich 1579 nach Litauen begeben hatte,

versprach er in einem Brief vom April 1581 seinem Rostocker Professor in einem nächsten

Brief „ein wenig über die Religion und die Riten der Russen zu schreiben.“1251 Tatsächlich

schrieb Paul Oderborn am 15. Juli 1581 dem Chytraeus einen Bericht über die Religion der

Russen, die Riten der Eheschließung, Beerdigung, Lebensweise, Kleidung, etc. und fügte

auch einige Abschnitte über die Religion und die Sitten der Tataren hinzu.1252

Die Auskünfte von Paul Oderborn sollen ausschließlich aus eigenen Beobachtungen

geschöpft worden sein. Er schreibt Chytraeus darüber: „Wir werden nichts nämlich

berichten, was von anderen gehört wurde, nichts, was aus Büchern von anderen genommen

wurde, und nichts, was unerfahren war, sondern alles, was wir mit unseren Augen gesehen

haben, über jenes werden wir Zeugnis ablegen.“1253

1247 Veröffentlicht im Sammelband auf den Seiten 235-256, ohne zu erwähnen, daß Paul Oderborn der

Verfasser des Berichtes ist. 1248 Es geht um die folgenden Berichte: 1. Ioannis Fabri religionis moscoviticae descriptio, sive laudatio, S.

170-183. Der Bericht wurde am 18. September 1525 geschrieben und dem König Ferdinand geschickt. Vgl. S. J. Baumgarten, Nachrichten von merkwürdigen Büchern, VI, 117. Diese Schrift des Bischofs Johann Fabri über die Religion der Russen wurde zuerst in Tübingen 1525 unter dem Titel: Epistola de Moscovitarum juxta mare glaciale religione seu de dogmatibus Moscorum. Der schmale Band erlebte mehrere Auflagen. Vgl. die Einleitung zu Sigismund zu Herberstein, Reise zu den Moskowitern 1526, S. 14. Friedrich von Adelung, Reisenden in Russland, 184-186. 2. Alexandri Guagnini, Veronensis, Equitis aurati, der religione Moscovitarum, omniumque Ruthenorum, S. 225-234. Hier handelt es sich um einen Abschnitt des Werkes „Sarmatiae Europae descriptio“ vom berühmten Polen- und Rußlandschriftsteller Alessandro Guagnini, das 1578 in Krakau erschien und Stephan Báthory gewidmet war. Vgl. Erich Donnert, Alessandro Guagnini, 103. S. J. Baumgarten, Nachrichten von merkwürdigen Büchern, VI, 117.

1249 1. Sacrani libellus, quo 40 errores Moscorum sive Russorum, et 12 secessiones Graecorum a romana ecclesia ostenduntur, S. 184-219. Appendix Scargae, Iesuitae, de iisdem Russorum erroribus, et causis, propter quas Graeci a romana Ecclesia defecerunt, S. 220-224.

1250 Siehe die Anm. 17. Das gilt nur für den Fall, daß die Flugschrift vor dem Sammelwerk ediert wurde. 1251 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 211. 1252 Siehe den Text: ebd., 211-240. 1253 Ebd., 211.

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Ohne den genauen Ort zu nennen, wo er seine Erforschungen der orthodoxen Religion

durchgeführt hatte, berichtet Paul Oderborn David Chytraeus, daß, während er mitten im

Barbarenland steckte, er die ruthenischen Priester aufgesucht und mit einem von ihnen

durch einen Dolmetscher über den Glauben und die Religion der Ruthenen gesprochen

habe.1254 Unter dem barbarischen Land versteht Paul Oderborn das Großfürstentum

Litauen, das damals in seinen Grenzen verschiedene russische und tatarische Völker sowie

die Ukraine mit einschloß. Obwohl der von David Chytraeus bei der Veröffentlichung des

Briefes von Oderborn gegebene Titel von der Religion der Russen spricht, berichtet

Oderborn jedoch in seiner Mitteilung öfter über die Religion der Ruthenen (ruteni)1255,

während die Russen (russi) ganz selten erwähnt werden.1256 Oderborn war sich aber ganz

dessen bewußt, daß die beiden slawischen Völker denselben Glauben hatten, so daß er

selbst am Anfang des Briefes seinen Bericht als einen Bericht über die Religion der Russen

betrachtete.

Die Darstellung der Religion der orthodoxen Ruthenen und Russen durch Paul Oderborn

ist wiederum1257 mit dem Bewußtsein eines im wahren Glauben überlegenen Lutheraners

und den Riten der östlichen Orthodoxie gegenüber ganz verächtlich geschrieben. Auch

wenn der evangelische Prediger die ruthenischen Priester manchmal als „Sacerdotes“1258

bezeichnet, ist das vom ihm bei der Bezeichnung der orthodoxen Priester am meisten

benutzte lateinische Wort „flamen“1259, ein Begriff, der in der römischen Religion den

Priester einer bestimmten Gottheit bezeichnete.1260 Daraus wird von Anfang an eine

Abwertung der östlichen Riten und des orthodoxen Glaubens von Seiten Oderborns

ersichtlich, die sich während seiner ganzen Darstellung beobachten läßt.

Obwohl Paul Oderborn am Anfang als Quelle seines Berichtes nur die eigenen

Beobachtungen angibt, erwähnt er später dennoch im Bericht als seinen Berichterstatter

den Prediger des Herzogs Magnus von Holstein, Christianus Boccornius, der drei Jahre am

Hof der Moskowiter mit seinem Herrn gelebt habe.1261

1254 Vgl. ebd., 212. 1255 Die orthodoxen Ukrainer werden Ruthenen genannt. "Ruthenen" war die offizielle Bezeichnung der

Ukrainer im Habsburger Reich. 1256 Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 213, 229, 231. 1257 Vgl. auch die Briefe des Wenzeslaus Budowitz an David Chytraeus in Kap. 6.2. 1258 Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 216 und 218. 1259 Siehe: Ebd., 212, 214, 217, 218, 220, 221, 224 und 230. 1260 Siehe: Langenscheidts Handwörterbuch Lateinisch-deutsch, Berlin-München, 1983, S. 253. 1261 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 213. Dazu auch Paul Oderborn, Ioannis Basilidis, E 7v

– E 8.

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Während der Gespräche mit den ruthenischen Priestern und mit Christianus Boccornius

und dank der Teilnahme an verschiedenen orthodoxen Gottesdiensten1262 konnte Paul

Oderborn einige schon Martin Luther und Philipp Melanchthon wohlbekannte

Übereinstimmungen zwischen der östlichen Orthodoxie und dem Luthertum feststellen,

worüber der deutsche Prediger auch David Chytraeus Mitteilung machte. Die orthodoxen

Ruthenen und Russen glaubten an die Heilige Dreieinigkeit,1263 sie erwähnten den Namen

des römischen Papstes nicht,1264 die Eucharistie feierten sie in der Muttersprache,1265 das

Volk empfinge die Eucharistie unter beiderlei Gestalt,1266 sie verehrten keine Statuen in

den Tempeln1267 und die Priester seien verheiratet.1268

Es gibt im Bericht des Paul Oderborn an seinen Rostocker Professor auch einige falsche

Angaben, was die Feier der Eucharistie und der Taufe bei den Orthodoxen betrifft. Weil er

während der Göttlichen Liturgie wahrscheinlich nur die Einsetzungsworte des Abendmahls

laut gesprochen hörte, zog er daraus den falschen Schluß, daß die Konsekration der Gaben

bei den Russen durch die Einsetzungsworte vollzogen würde.1269 Bei der Taufe bemerkte

Paul Oderborn eine große Ähnlichkeit mit der römischen Zeremonie und führte als

orthodoxe Taufformel eine mit der katholischen ähnliche Formel an: „Ich taufe dich durch

den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,“1270 die mit der

Taufformel der orthodoxen Kirchen: „Getauft wird der Knecht Gottes N. N., im Namen

des Vaters...“1271 nicht übereinstimmt.

Nachdem Paul Oderborn richtig anerkannt hatte, daß die Russen in der Religion Gefährten

der Griechen seien, beging er einen neuen Fehler, indem er behauptete, daß die Rußen

auch die Majestät „des byzantinischen Pontifex“ verehren würden, der auch seinen

Metropoliten in Moskau habe, der beim Zaren Iwan in höchstem Ansehen und

Ehrschätzung stehe.1272 Es ist aber bekannt, daß der Metropolit von Moskau wegen der

1262 Das erwähnt Paul Oderborn mehrmals in seinem Bericht. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu –

Anhang, 213ff. Einmal nahm er an einem Gottesdienst in Wilna teil, der vom ruthenischen Patriarchen Anicephorus geleitet worden war. Paul Oderborn bewunderte die prächtige und sehr glänzende Kleidung und den alten und grauen Bart des verehrungswürdigen Patriarchen. Vgl. Ebd., 213.

1263 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 212. 1264 Ebd., 213. 1265 Ebd., 216. 1266 Ebd., 216. 1267 Ebd. 1268 Ebd., 218. 1269 Vgl. ebd., 216. 1270 „Baptizo te per nomen patris et filii et sancti spiritus“. Ebd., 217. 1271 Vgl. Taufgottesdienst, 91. 1272 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 213. Weiter schreibt Paul Oderborn noch einmal:

„Libros Latinos et Graecos nunquam viderunt et tamen de Religione Graecorum multa gloriantur.“ Ebd., 230.

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Florentiner Union seit 1448 ohne Bestätigung des Konstantinopler Patriarchen ernannt

wurde.1273

Neben den von ihm festgestellten übereinstimmenden Lehren fand der evangelische

Prediger in Litauen bei den orthodoxen Ukrainern und Russen gemäß seiner Auffassung

nur Aberglauben und barbarische Riten. Sie besaßen die Heilige Schrift in ihrer

Muttersprache, nämlich den Psalter des David, den Paul Oderborn auch Chytraeus nach

Rostock geschickt hatte und das Neue Testament1274 sowie die Homilien des

Chrysostomus, Basilius und Greogorius von Nazianz, die aus dem Griechischen übersetzt

worden waren.1275 Dennoch konnte Paul Oderborn nicht verstehen, „warum sie diese

Bücher besitzen, da sie an den Tagen des Herrn nur reine Märchen (puras fabulas) dem

Volk vorlesen.“1276 Er beklagt sich bei seinem ehemaligen Professor die ganze Schrift

hindurch, daß die Priester das arme Volk mit Fabeln und Märchen täuschen würden, so daß

währenddessen auch die Gelehrten nichts Besseres wüßten, als in schallendes Gelächter

auszubrechen.1277 Sein Schluß dazu lautet: „Als einziges bewundern sie ihr

Barbarentum.“1278

Seine Kritik an den im Gottesdienst benutzten Lesungen der russischen Kirche geht sogar

so weit, daß er einmal behauptet: „Ich habe keine einzige Lesung des Evangeliums hier

jemals gehört.“1279 Eine solche Behauptung kann überhaupt nicht stimmen, weil in jeder

orthodoxen Liturgie und in allen Gottesdiensten der sieben Sakramente eine Epistel und

eine Perikope aus dem Evangelium verlesen wird.1280

Auch was die Katechese der Kinder und der Erwachsenen betrifft, behauptete Paul

Oderborn, daß die Ruthenen und Russen keine Katechesen gehabt hätten.1281 Sie hätten

zwar immer Schulen an die Tempel angebaut, wo die Kinder die ersten Grundlagen der

Wissenschaften lernten, aber ihnen würden nur kleine Gebete an die Jungfrau Maria und

den heiligen Nikolaus vorgelegt.1282

1273 Siehe: Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, 59 1274 Paul Oderborn erwähnt als aus dem Neuen Testament übersetzte Bücher nur die Evangelien, die

Apostelgeschichte und alle Epistel des Apostels Paulus. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 212.

1275 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 212. 1276 Ebd. 1277 Ebd., 212-213. 1278 „Soli namque suam admirantur barbariem.“ Ebd., 213. 1279 „Evangelii lectionem unam nunquam hic audivi.“ Ebd., 215. 1280 Zu den Schriftlesungen in der Göttlichen Liturgie der Ostkirche siehe den Text der Liturgie des heiligen

Johannes Chrysostomos: Die Göttliche Liturgie, 39-42G. 1281 „Catechesi nulla untuntur.“ David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 219. 1282 Eine Ausnahme wäre nach dem Bericht des Oderborn die Aneignung des unveränderten apostolischen

Glaubensbekenntnisses durch die Kinder. Vgl. ebd., 219. Wahrscheinlich meint er hier das nizaenische

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Die flehentlichen Bitten der Russen an die Heiligen im Himmel für das Heil ihrer Häuser

und die Verehrung der Ikonen1283 werden von Oderborn ganz mißbilligt. Er sieht in diesen

Bitten einen Versöhnungsversuch mit den Hausgöttern, ein Zeichen dafür, daß die Russen

und Ruthenen noch vollständig in Aberglauben verstrickt seien. Darum muß man

bedauern, „daß das sehr helle Licht des Evangeliums ihnen noch nicht völlig aufgegangen

ist.“1284

Die große Verehrung des heiligen Nikolaus bei den Russen wird von Paul Oderborn

mehrmals hervorgehoben. Dieser würde von den Russen und Ruthenen wie ein

schutzspendender Gott (Deum tutelarem) verehrt.1285 Die von ihm vollzogenen Wunder,

über die dem Volk oft gepredigt wird, werden vom lutherischen Prediger als Fabeln

bezeichnet.1286

Paul Oderborn versucht Chytraeus auch eine kurze Beschreibung der Riten der orthodoxen

Liturgie,1287 der Taufe,1288 der Trauung1289, des Totenbegräbnisses,1290 sowie des Lebens

der orthodoxen Priester1291 zu vermitteln. Leider erwähnt er sehr viele theologisch

unbedeutende Einzelheiten1292 über die Art und Weise, in der das Volk an diesen

Gottesdiensten teilnahm, die alle den Zweck hatten, die liturgischen Handlungen und die

Frömmigkeitsgeste der orthodoxen Christen zu karikieren.

Das Gebet bestünde in der Wiederholung von „Hospody Pomyloy“ und wäre ein klagendes

Geschrei.1293 Während der Weihe der Gaben würden die Weiber unter Stöhnen und

Glaubensbekenntnis, weil das apostolische Glaubensbekenntnis in der liturgischen Praxis der Ostkirche nicht im Gebrauch ist.

1283 Paul Oderborn erwähnt auch Prozessionen mit den Bildern, in denen die Ikonen in einem Fluß abgewaschen werden und danach wieder an den alten Platz in der Kirche gebracht werden. Siehe: Ebd., 217.

1284 Ebd., 214. 1285 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 215 und 224. Zur Verehrung des heiligen Nikolaus in

den orthodoxen Kirchen siehe: Friedrich Heiler, Ostkirchen, 299. 1286 Der Bericht des Sigmund von Herberstein über die Verehrung des heiligen Nikolaus ist viel

differenzierter als der von Paul Oderborn. Er schreibt darüber: „Ganz besonders hoch verehren die Russen den Heiligen Nikolaus von Bari. Von ihm erzählen sie viele Wunder. ...“ Sigismund zu Herberstein, Reise zu den Moskowitern 1526, 127.

1287 Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 215-217. 1288 Ebd., 217-218. 1289 Ebd., 219-222. 1290 Ebd., 222-224. 1291 Ebd., 218-219. 1292 Durch das Läuten der Glocken werde das Volk am Sonntag um die vierte Stunde zum Gottesdienst

berufen. Fast das ganze Volk eile in die Kirche, nachdem sich Mütter, Knaben, Mädchen zuerst festlich angekleidet hätten. Nach der Übertretung der Schwelle der Kirche würden sie den Kopf mit großer Verehrung auf die Erde niederschlagen. Frauen, die die Menstruation hätten, kämen nicht in das Innere der heiligen Kirche, damit sie den Ort nicht entweihten. Den Gläubigen würden Märchen über den heiligen Nikolaus gelesen.

1293 Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 215.

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Seufzen klagen und sich mit den Händen auf die Brust schlagen.1294 Zwischen diesen und

vielen anderen ähnlichen Bemerkungen Oderborns kann man einen kleinen Entwurf des

Verlaufs der Göttlichen Liturgie lesen. Am Anfang stehe die Lesung einer Fabel, danach

folge die Weihung der heiligen Gaben durch die Einsetzungsworte1295 und die Kommunion

der Gläubigen unter beiderlei Gestalt.1296 Damit konnte er Chytraeus außer einigen

volkstümlichen Kuriositäten nichts Wesentliches über die orthodoxe Liturgie, die

Chytraeus selbst sehr gut kannte,1297 mitteilen.

Ähnlich zeigt sich die Lage auch, was die anderen Gottesdienste der Russen betrifft,1298 so

daß die Beschreibung von Oderborn weit hinter der Beschreibung des Sigmund von

Herberstein eingestuft werden muß.1299

Was das Leben der ruthenischen Priester betrifft, teilt Oderborn dem Rostocker kurz über

ihren Ehestand und ihre Einkünfte mit.1300 Das moralische Leben dieser Priester sei so

unrein, daß man behaupten könne, daß „sie nicht der Gotteshäuser würdig sind, sondern

der Mühlen der Unternehmer.“1301 Sie würden den ganzen Tag in den öffentlichen

Wirtshäusern gebrannten Wein trinken, und „wenn bereits weder der Geist, noch die Beine

ihren Dienst tun, brechen sie auf der Straße zusammen und schlafen ein.“1302 All dies sind

ganz willkürliche und persönliche Urteile, die das Geistesleben der ruthenischen und

russischen Geistlichen überhaupt nicht objektiv zu schildern vermögen.

Daß die Russen und Ruthenen gläubig wären, wurde auch vom lutherischen Prediger

bemerkt. Aber diese Eigenschaft werde durch ihren vielen Aberglauben verdunkelt. Darum

glaubt Paul Oderborn, daß, wenn diese Menschen von diesen nichtigen Dingen ablassen,

und wenn sie statt der nichtigen Geschichten irgendwann die Wahrheit des himmlischen

1294 Siehe: Ebd., 216. 1295 Diese Behauptung ist nicht richtig. Siehe die Untersuchung dieser Stelle einige Abschnitte höher. 1296 Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 215-216. 1297 Siehe Kap. 5.4.5. 1298 Als er über die Taufe bei den Russen spricht, teilt er mit, daß die Russen viel Öl und viele Salbungen

brauchen und die Taufe ähnlich wie die Katholiken vollziehen. Den größten Raum nimmt die Beschreibung einer erstaunlichen Handlung ein, gemäß der der Kopf des neugetauften Kindes dreimal an das Kreuz geschlagen werde, und wenn die Taufzeugen die Stöße nicht hörten, entrüsteten sie sich deswegen und glaubten, daß das Kind nicht gemäß der gottesdienstlichen Handlungen getauft worden war (neque puerum rectem sacris initiatum credunt). Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 218. Als Oderborn über die Eheschließung der Russen spricht, berichtet er von den Verhandlungen zwischen den Eltern und den Verwandten der Eheleute, der Entführung der Braut, kurz vom Verlauf des Gottesdienstes, von den Dialogen zwischen dem Priester und den Brautleuten, etc. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 219-222.

1299 Siehe die Beschreibung des Abendmahls, der Taufe, der Beichte und der Ehe bei: Sigismund zu Herberstein, Reise zu den Moskowitern 1526, 120ff.

1300 Sie hätten kein gesichertes Einkommen, sondern nähmen von den Gläubigern Geschenke an. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 218.

1301 Ebd. 1302 Ebd, 218-219.

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Wortes anerkennen würden, dann wären sie die gläubigsten Menschen auf der ganzen

Welt.1303

Nachdem Paul Oderborn Chytraeus auch kurz über die Lebensweise der Russen, ihre

Häuser, ihr Essen und die Tiere, die im litauischen Reich anzutreffen sind, berichtet hatte

und bevor er über die Tataren zu sprechen begann, schloß er seine Beobachtungen der

russischen Religion mit den Worten: „Dies sind, David Chytraeus, ungefähr die Dinge, die

ich im orientalischen Rußland der Beobachtung für würdig hielt und die ich natürlich, um

deinem Verlangen genüge zu tun, gerne auf diese Seiten geschrieben habe. Aber dennoch

habe ich nicht alles erwähnt, sondern habe nur die obersten Spitzen der Dinge geschrieben,

wie die Spitze des Thymians die Bienen eifrig mit einer zarten Flüssigkeit tränkt.“1304

Da dieser Briefbericht des Paul Oderborn an Chytraeus einen persönlichen Charakter trägt

und nicht für die Veröffentlichung durch den Rostocker gedacht war, teilt er viele

persönliche Beobachtungen und Urteile über die Russen und ihre Religion mit. In seinem

für die Öffentlichkeit vorgesehenen Werk über das Leben des Zaren Iwan des

Schrecklichen befindet sich auch ein Abschnitt über die Religion der Moskowiter, in dem

die russische Orthodoxie viel objektiver als in dem privaten Brief an Chytraeus dargestellt

wird.1305 In diesem Buch nimmt er auch Bezug auf seinen Brief an Chytraeus, und

empfiehlt ihn dem Leser als eine ausführlichere Quelle, was die abergläubischen

Zeremonien der Russen bei Hochzeiten, Begräbnissen und anderen Versammlungen

betreffe.1306

Von Paul Oderborn bekam David Chytraeus auch einige Nachrichten über die

Armenier1307 und nach dem Bericht über die Religion der Russen erhielt Chytraeus weitere

Berichte über die Belagerung von Pleskau durch die Russen, über den Frieden zwischen

Polen und Rußland und über die diplomatischen Spiele des Jesuiten Possevinus1308.

1303 Vgl. ebd., 214. 1304 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 231. 1305 Siehe: Paul Oderborn, Ioannis Basilidis, E 4v – E 7. Hier werden auch andere Einzelheiten über die Lehre

und die Kirchenbräuche der russischen Kirche, die in dem Briefbericht an David Chytraeus nicht erwähnt wurden.

1306 Vgl. Paul Oderborn, Ioannis Basilidis, E 6. 1307 Paul Oderborn schrieb, daß die Armenier in einer großen Zahl in Lemberg lebten, wo sie sehr schöne

Kirchen hatten. Er habe auch vor, schreibt er Chytraeus, wenn seine Arbeit ihm erlauben werde, Lemberg zu besuchen und Chytraeus ausführlich darüber zu berichten. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 231. Ob Paul Oderbornius seinen Wunsch erfüllt hat oder nicht, ist uns bis heute unbekannt.

1308 Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 1025-1027. Chytraeus gab viele dieser Nachrichten heraus, so daß er durch seine Tätigkeit „einer der eifrigsten Herausgeber der auf Polen bezüglichen Flugschriften“ war. Richard Hausmann, Studien, 73. Zu seiner Tätigkeit als Herausgeber solcher Flugschriften siehe: Richard Hausmann, Studien, 73ff.

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Durch seinen Bericht an David Chytraeus trug Paul Oderborn dazu bei, daß der Rostocker

Ostkirchenkundler neue volkstümliche Einzelheiten und einzigartige Beschreibungen des

gottesdienstlichen Lebens der Ruthenen und Russen bekam. Neben den von Chytraeus

selbst von den russischen Legaten in Rostock erworbenen dogmatischen Kenntnissen

bringt der Bericht von Oderborn wenig neue Auskünfte.

Dieser Briefbericht wurde durch die Veröffentlichung durch David Chytraeus in einer

Flugschrift und im Anhang seiner „Oratio“ (Frankfurt, 1583) der Öffentlichkeit

bekanntgegeben. Er kann aber mit dem berühmten Werk des Freiherrn Sigmund von

Herberstein über Rußland, das durch die mehrfachen lateinischen Auflagen und deutschen

Übersetzungen im Abendland zu einem Bestseller in der zweiten Hälfte des 16.

Jahrhunderts wurde, nicht verglichen werden. Inhaltlich ist er viel ärmer als das Werk von

Herberstein und, was die Objektivität betrifft, zum Teil subjektiv und willkürlich. Die

scharfe Kritik am orthodoxen Christentum erklärt sich aus seinem reformatorischen

Denken, das ihn dazu führte, fast alle Riten und Zeremonien der Russen als Aberglauben

und Barbarentum zu bezeichnen.

Paul Oderbron hat später in der Person von Gottfried Arnold noch einen Bewunderer

seines Berichtes über die russische Religion gefunden, der durch seine Kritik an

kirchlichen Institutionen berühmt war.1309 Dieser machte auch von diesem kritischen

Bericht des Paul Oderborn an Chytraeus Gebrauch, als er seine Kritik an der russischen

Kirche üben wollte.1310

6.5 Die Veröffentlichung des Briefes der konstantinopolitanischen Kirche an die Hussiten aus dem Jahr 1452

Die Hussiten stellten die erste Reformbewegung des ausgehenden Mittelalters dar, die

schon im 15. Jahrhundert auf verschiedenen Ebenen Unionsverhandlungen mit orthodoxen

Theologen und Hierarchen begannen.1311 Das Interesse der Hussiten an der orthodoxen

Kirche entstand nicht so sehr daraus, daß Jan Hus und die Hussiten noch eine lebendige

Erinnerung an den von den Slawenaposteln Chirill und Methodius in Böhmen und Mähren

1309 Vgl. dazu Ernst Benz, Ostkirche, 69-70. 1310 Vgl. ebd., 72-73 und 393. 1311 Zu den Verhandlungen zwischen Hussiten und Orthodoxen im 15. und 16. Jahrhundert siehe: Michael

Heineccius, Abbildung, I, 3, 182-185. M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 158-225. Ioan Vasile Leb, Relaţiile husiţilor, 254-263. Gunnar Hering, Orthodoxie, 823-826. Georg Florowski, Die orthodoxen Kirchen, 234-238. Colin Davey, The Orthodox, 9-11. Über die politische Lage J. V. Polisensky, Bohemia, 82ff.

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eingeführten byzantinischen Ritus besaßen,1312 sondern viel mehr daraus, daß die

Nachfolger von Jan Hus in der Lehre und Tradition der byzantinischen Kirche besondere

Argumente für ihre in Rom umstrittenen Lehren (die Nichtanerkennung des päpstlichen

Primates, die Kommunion sub utraque), wie später auch die deutschen Reformatoren,1313

finden konnten.1314

Die Utraquisten, die an der apostolischen Sukzession festhielten und in diesem zentralen

Punkt von den Taboriten getrennt waren, hatten sich mit der Frage auseinanderzusetzen,

wer ihre Priester weihen solle?1315 Da der Papst ihren Anwärter Jan Rokycana als

Erzbischof von Prag nicht konsekrieren wollte und die Utraquisten 1541 sogar als

Häretiker verurteilte,1316 war ihnen klar geworden, daß es keine Möglichkeit der

Versöhnung mit Rom mehr gab.1317

Da die Utraquisten in den 40er Jahren des 15. Jahrhunderts auch mit einem großen Mangel

an ordinierten Priestern konfrontiert waren,1318 versuchten sie die Verbindung mit der

konstantinopolitanischen Kirche aufzunehmen, von woher auch ihre Vorfahren vor

Jahrhunderten christianisiert worden waren, um die Anerkennung seitens des Patriarchen

von Konstantinopel zu erreichen und auf dieser Weise das Problem der apostolischen

Sukzession zu lösen.1319

Die Hussiten entsandten den Priester Konstantin Platris1320 nach Konstantinopel, um

Unionsverhandlungen mit dem ökumenischen Patriarchat zu beginnen. Er traf Ende 1541

1312 Bis ins 12. Jahrhundert kann die Lebendigkeit einiger slawischer orthodoxer Traditionen in Böhmen

nachgewiesen werden. Jan Hus verdammte zuerst die Griechen als Schismatiker, aber als sich der Konflikt mit dem Papst verschärfte, änderte er seine Meinung, und er nahm die orthodoxe Kirche als Beispiel einer Kirche, die den Primat Roms nicht anerkannte. Vgl. M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 159-160. Gunnar Hering, Orthodoxie, 823-824. Hieronymus von Prag erinnerte aber den Katholiken auf dem Konzil von Konstanz (1414-1418) daran, daß die Böhmen Nachkommen der Griechen seien. Vgl. M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 159. Georgij Florovskij schrieb aber mit Recht, daß „es offensichtlich übertrieben und tendentiös ist, wenn einige alte Geschichtsschreiber behaupten, daß die ganze hussitische Bewegung eine bewußte Rückkehr zur östlichen Tradition war, die einst in Mähren von St. Kyrill und St. Methodius begründet worden war.“ Georg Florowski, Die orthodoxen Kirchen, 234.

1313 Vgl. die Kap. 2.1 und 2.2. 1314 Vgl. Georg Florowski, Die orthodoxen Kirchen, 234-235. 1315 Vgl. Gunnar Hering, Orthodoxie, 824. 1316 Vgl. M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 168-170. Ioan Vasile Leb, Relaţiile husiţilor, 255. 1317 Vgl. Georg Florowski, Die orthodoxen Kirchen, 235. 1318 Viele Hussiten machten lange und mühevolle Auslandsreisen, um ordiniert werden zu können, und oft

empfingen sie keine Weihe. Die Krise war so groß, daß die Hussiten 1447 dazu gezwungen waren, sich selbst Priester durch eine einfache Handauflegung zu weihen. Vgl. Ioan Vasile Leb, Relaţiile husiţilor, 255. M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 169, Anm. 49.

1319 Vgl. Georg Florowski, Die orthodoxen Kirchen, 235. 1320 Über die Identität des hussitischen Abgesandten gibt es mehrere Hypothesen. Diese Persönlichkeit wurde

mit dem Engländer Petru Payneus identifiziert, aber diese Hypothese wurde nicht von allen Forschern akzeptiert. Nach einer Quelle sei er ein Grieche gewesen. Vgl. dazu: M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 170ff. Georg Florowski, Die orthodoxen Kirchen, 237. Ioan Vasile Leb, Relaţiile husiţilor, 257. Mihail P. Dan, Cehi, slovaci, 191-192.

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oder Anfang 1542 in Konstantinopel ein.1321 Dort fand er in den Kreisen der

Konstantinopler Hierarchen und Theologen, die an der Union von Florenz festhielten,

keine Resonanz. Aber die Antiunionisten, derer Führer damals Gennadios Scholarios

war,1322 zeigten Interesse an der Mission von Platris in Byzanz, da die Hussiten dem

römischen Primat gegenüber auch ablehnend eingestellt waren.1323

Da in Konstantinopel der Name der Hussiten nicht gut angesehen war, mußte er ein

Glaubensbekenntnis ablegen,1324 und mehrere Gespräche mit den Griechen führen, um die

Orthodoxie seiner Lehren zu beweisen.1325 Es scheint, daß er sogar zur Orthodoxie

übergetreten war.1326 Nachdem seine Rechtgläubigkeit festgestellt worden war, gab ihm

eine Versammlung (synaxis) von griechischen antiunionistischen Hierarchen und

Theologen zwei Dokumente, mit denen er zurück nach Prag reisen sollte, um mit dem

hussitischen Konsistorium über die Möglichkeit einer Union zu verhandeln: eine kurze

Darlegung der orthodoxen Glaubenslehre1327 und einen Brief (Epistola Constantino-

politanae Ecclesiae ad Bohemos), in dem die Griechen die Hussiten zum Anschluß an die

orthodoxe Kirche einluden.

Diesen Einladungsbrief der Konstantinopler Kirche an die Hussiten verschaffte sich David

Chytraeus und gab ihn zum ersten Mal im Anhang der Ausgabe seiner Oratio Frankfurt

1583 in griechischer Originalsprache1328 und lateinischer Übersetzung heraus.1329 Während

das griechische Schriftstück, das von sechs orthodoxen Geistlichen unterschrieben worden

war, kein Datum trägt, ist die lateinische Übersetzung auf den 18. Januar 1451 datiert,

wobei es sich hierbei um einen Fehler handelt, denn das richtige Datum des Briefes ist der

18. Januar 1452.1330 Damit ist dieser für die ökumenischen Bestrebungen des 15.

1321 Dazu M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 170ff und 208. 1322 Er übernahm die Führung der Opposition gegen die Union mit den Lateinern nach dem Tod von Markus

Eugenikos, nachdem er auf dem Florentiner Konzil für die Union eingetreten war. Zu Einzelheiten siehe: M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 192ff.

1323 Vgl. M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 208. 1324 Der Text der Glaubensdarstellung von Platris für die Konstantinopler Kirche bei: Dositheos von

Jerusalem, Τοµός Άγάπης, 320-325. 1325 Ausführliche Darstellung bei: M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 208ff. 1326 Ausführlich dazu: M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 208. Ioan Vasile Leb, Relaţiile husiţilor, 260. 1327 Der Text der Glaubensdarlegung bei: Dositheos von Jerusalem, Τοµός Άγάπης, 325-332. 1328 Der Brief in griechischer Sprache wurde von ihm unter folgendem Titel herausgegeben: „Epistola

Constantinopolitanae Ecclesiae ad Bohemos, scripta quidem ante annos 131, biennio nimirum ante captam à Turcis Constantinopolim: sed non ita diu in lucem prolata Pragae ex bibliotheca Collegij Caroli Quarti, studio piae memoriae Doctoris Caspari à Nydbruck, viri clarissimi, ac indagandae antiquitatis studiosiss. sereniss. Regis Maximiliani olim Consiliarij.“ David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 261-267. Lateinische Übersetzung 268-271.

1329 Die lateinische Fassung des Briefes ist mit folgendem Titel herausgegeben: „Eadem Epistola in altera eiusdem membranae medietate scripta latinem, licet minus eleganter, ac parum dilucidem, sed cum additamento quodam in fine, quod in Graeca non extat.“ Ebd., 268-271.

1330 Siehe die Beweisführung dazu bei: Ioan Vasile Leb, Relaţiile husiţilor, 259.

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Jahrhunderts bedeutende Brief das älteste von David Chytraeus im Anhang seiner Oratio

veröffentlichte Dokument, das den ersten Versuch einer abendländischen

Reformbewegung, nämlich der Hussiten, die Kirchengemeinschaft mit der orthodoxen

Kirche von Byzanz herzustellen, dokumentiert.

Nachdem dieser Brief lange Zeit in den Archiven von Prag geblieben und die

Unionsverhandlungen in Vergessenheit geraten waren, entdeckte ihn der Rat des Kaisers

Maximilian II., Caspar von Nydbruck.1331 Er war auch der Vorsteher des kaiserlichen

Büchersaals in Wien und zeichnete sich durch die Erforschung der Altertümer aus.

Während eines Aufenthaltes in Prag konnte er in den Archiven der Bibliothek der

Universität Karls IV. diesen für die böhmische Kirchengeschichte wichtigen Brief

entdecken.1332

Doch auch dieses Mal war Chytraeus nicht der erste, der dieses Dokument veröffentlichte.

Schon 1562 wurde der Brief in griechischer und lateinischer Fassung von Flacius Illyricus

in Straßburg veröffentlicht, der den Brief von Caspar von Nydbruck selbst empfing.1333

Eine zweite Veröffentlichung des Briefes fand in Wittenberg 1564 statt.1334 Die

Veröffentlichung durch David Chytraeus 1583 bedeutet erst die dritte uns bekannte

Herausgabe dieses Dokuments in beiden Fassungen.1335 Es folgten danach andere

1331 Über ihn sind wenige Daten bekannt. Caspar von Nydbruck hat verschiedene juristische Schriften

Lateinisch aufgesetzt. Er starb am 26. September 1557 in Brüssel. Christian Gottlieb Jöcher, Gelehrten-Lexikon, fortgesetzt vom Buchstaben K. von Band 5, Bremen, 1816, Sp. 872.

1332 Ebenda, Sp. 872. Diese Tatsache war Chytraeus bekannt und darüber berichtet er auch im Titel des griechischen Textes. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 261. Das Original, das jahrhundertelang als verloren galt, befand sich 1953 noch in den Archiven des Nationalmuseums Prag. Vgl. M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 158, Anm. 1.

1333 Der Brief in: Catalogus testium veritatis, Argentorati, 1562, 495-498. Es heißt im Titel: „Recte hic quoque, suoque loco inseritur epistola Constantinopolitanae Ecclesiae ad Pragensem, eo tempore scripta, quam mihi optimus vir dominus D. Gasparus Nidbruc comunicavit.“ Vgl. M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 158, Anm. 1. Er wurde wieder in einer vermehrten Ausgabe, Francofurti, 1666, 728-732 wiedergegeben.

1334 Das erwähnt kurz Heinrich Wilhelm Rotermund, der Pastor an der Domkirche zu Bremen, in seinen Ergänzungen zum Gelehrten-Lexikon von Christian Gottlieb Jöcher, col. 872. Uns ist nichts Näheres darüber bekannt.

1335 Es ist schon erstaunlich, daß M. Pavlová die Veröffentlichung durch David Chytraeus 1583 nicht bekannt ist, obschon er alle andere Auflagen dieses Briefes kannte. Die einzigen Verfasser, die sich mit den Beziehungen zwischen Hussiten und Byzantinern vom Jahr 1451 beschäftigt haben und die Veröffentlichung des Briefes durch David Chytraeus 1583 gekannt haben, sind: Gunnar Hering, Orthodoxie, 824, Anm. 8. und Colin Davey, The Orthodox, 10.

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Veröffentlichungen durch M. Freher 1602,1336 Leo Allatius 1648,1337 F. Palacký 1848, A.

Gil’ferding 18711338 und J. Karmiris 1937.1339

Die Veröffentlichung des Briefes durch Flacius Illyricus von 1562 und die Wittenberger

Veröffentlichung von 1564 scheinen Chytraeus unbekannt gewesen zu sein, denn er

behauptet im Titel seiner Veröffentlichung, daß der Brief lange Zeit nicht veröffentlicht

wurde.1340

Auf welcher Weise Chytraeus in den Besitz dieses Briefes kam, ist unklar. Die Behauptung

von Walter Engels, daß Chytraeus selbst das Dokument in Prag von Caspar von Nydbruck

empfangen habe,1341 ist sicherlich falsch, weil Caspar von Nydbruck schon 1557 in Brüssel

starb, während David Chytraeus erst 1568 und 1569 in Prag weilte.1342 Außerdem hätte er,

wenn Chytraeus dieses Dokument schon 1568 oder 1569 in Prag empfangen hätte,1343 ihn

in einer früheren Ausgabe der Oratio veröffentlicht oder mindestens in der Oratio kurz

erwähnt. Da er das nicht tat, bleibt eine annehmbare Möglichkeit, die bis jetzt nicht

nachgewiesen werden kann, daß der Rostocker das Dokument Anfang der 80er Jahre von

Prag oder sogar von Wien zugeschickt bekommen hatte.1344

Das griechische Original und die lateinische Übersetzung waren Teile eines einzigen

Dokuments und die sechs Unterschriften der griechischen Geistlichen, alle auf Griechisch,

befanden sich erst hinter den beiden Fassungen.1345 Chytraeus selbst schreibt im Titel der

lateinischen Übersetzung: „Derselbe Brief, auf die andere Hälfte desselben Pergaments, in

Latein geschrieben, zugegebener Maße weniger elegant und zu wenig klar, aber mit einer

bestimmten Hinzufügung am Ende, die in der griechischen Version nicht vorhanden

ist.“1346 Die Hinzufügung am Ende der lateinischen Fassung besagt, daß die Verfasser das

Gesagte zur Sicherheit und zum Schutz aller Leser des Briefes mit einem Siegel und durch 1336 Siehe dazu: M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 158, Anm. 2. 1337 Leo Allatius, De Ecclesiae, Sp. 947-949 griechisch; Sp. 949-950 lateinisch. Allatius hat die Echtheit des

Briefes in Frage gestellt. Die von Leo Allatius gegen die Echtheit dieses Schreibens vorgebrachten Gründe sind keineswegs zwingend: das Fehlen des Patriarchen unter den Unterzeichnern des Briefes, die schlechte Latein-Version, etc. Zu seiner Kritik siehe: Leo Allatius, De Ecclesiae, Sp. 951-952.

1338 Siehe dazu: M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 158, Anm. 3 und 4. 1339 Johannes Karmiris, Όρθοδοξία και Προτεσταντισµός, 44-47. 1340 „...sed non ita diu in lucem prolata...“ David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 261. 1341 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 281. 1342 Der erwähnte Forscher gibt auch keine Anmerkung an, die sein Argument stützt. 1343 Das ist m. W. nach das einzige Mal, daß Chytraeus in Prag war, während der Hin- und Rückfahrt nach

und von Wien. Vgl. Kap. 4. 1344 In den Briefen der Jahre 1578-1583, die in der Auflage seiner Epistolae veröffentlicht sind, konnte ich

keine Hinweise darauf finden. 1345 Das ist die Schlußfolgerung, zu der der Untersucher des Briefes M. A. Salač 1953 gelang. Vgl. M.

Pavlová, L´Empire Byzantin, 158, Anm. 1.

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ihre Unterschriften bestärken wollten.1347 Das deutet an, daß die lateinische Übersetzung

schon in Konstantinopel gefertigt wurde,1348 und die Unterschriften der griechischen

Geistlichen beiden Fassungen folgten.

In diesem Brief an die Hussiten grüßt die Kirche von Konstantinopel als „Mutter und

Lehrerin aller Orthodoxen“ alle böhmischen Christen (Fürsten, Grafen, Ritter, Geistliche,

Doktoren, Bürger und Beamte) als „ehrbare Brüder und geliebte Söhne in Christus.“1349

Die Griechen als rechtgläubige Bekenner des wahren Glaubens Jesu Christi und ihre

Kirche als „heilige und geweihte Braut des himmlischen Bräutigams“ hätten keine größere

Freude gehabt, als zu hören, daß „ihre Söhne in der Wahrheit wandelten.“1350

Von der Rechtgläubigkeit der Hussiten und ihrem guten Wandel habe vor den Griechen

der Lehrer und ehrwürdiger Priester Konstantin Anglikos,1351 „euer Bruder und der Sohn

unserer Kirche“, Zeugnis abgelegt.1352 Konstantin Anglikos (Platris) habe ihnen berichtet,

„daß ihr euch nicht um die von einigen in die Kirche Christi hineingetragenen Neuerungen

kümmert, sondern daß ihr auf dem Grund des Glaubens erbaut seid, der uns von unserem

Herrn und seinen Jüngern anvertraut ist.“ Darum „hat diese hochheilige Kirche

beschlossen, an euch zu schreiben und (scil. euch) zur Vereinigung mit ihr zu

ermahnen.“1353

Mit Vereinigung meinen die Griechen nicht eine heuchlerische Union, wie die von

Florenz, die mehr eine Abkehr von der Wahrheit zu nennen sei, weshalb die Griechen sie

auch nicht angenommen hatten, sondern sie hofften auf eine Einigung „nach dem

unbestreitbaren Kanon der Wahrheit, in dem allein wir uns wahrhaftig und sicherlich

vereinigen können.“1354 Selbst wenn die Kirche von Konstantinopel früher erfahren hatte,

daß sich die Hussiten den gefährlichen römischen Erfindungen nicht widersetzt hätten,

würde sie jetzt aufgrund der ihr überbrachten Nachrichten (scil. durch Konstantin Plastris)

1346 „Eadem Epistola in altera eiusdem membranae medietate scripta latinem, licet minus eleganter, ac parum

dilucidem, sed cum additamento quodam in fine, quod in Graeca non extat.“ David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 268.

1347 Vgl. ebd., 271. 1348 Zumindest Gennadios Scholarios, einer der Unterzeichner des Briefes, beherrschte die lateinische

Sprache. Die Klage des Chytraeus, daß die Sprache des lateinischen Briefes „zugegebener Maße weniger elegant und zu wenig klar“ war, wäre ein neuer Hinweis darauf, daß es sich um eine in Konstantinopel benutzte lateinische Sprache handelt, die für einen Abendländer nicht ganz richtig klang.

1349 Ebd., 261. 1350 Ebd., 262. 1351 Mit Konstantin Platris, der von den Hussiten 1451 oder 1452 nach Konstantinopel entsandt wurde, ist

ein- und dieselbe Person gemeint. 1352 Ebd., 262-263. Auch in diesem Brief wird bestätigt, daß Konstantin Platris zur orthodoxen Kirche

übergetreten ist. 1353 Ebd., 263. 1354 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 263.

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an ihrem Widerstand gegen Rom nicht mehr zweifeln, und sie bezweifelten auch nicht, daß

die Hussiten mit ihr in der Heiligen Schrift, der wahrhaftigen Richterin, übereinstimmen

würden.1355

Den Griechen wäre vom Wunsch der Hussiten zur Rückkehr „zum gemeinsamen

Gottesdienst der Christen und zur wahren Frömmigkeit“ berichtet worden,1356 sie hätten

das Glaubensbekenntnis ihrer Priester (scil. Konstantin Platris) als annehmbar und heilsam

befunden und hätten ihm auch ein Lehrbekenntnis des wahren Glaubens mitgegeben, mit

dem alle, die gerettet werden wollten, übereinstimmen müßten.1357 Wenn alle diese Dinge

so seien, wie sie hörten und hofften, würden die Byzantiner die Hussiten einladen:

„vollzieht die Union mit uns.“1358

Die Griechen gaben weiter ihrer Hoffnung auf Gott Ausdruck, daß „ihr (scil. mit uns) in

allem übereinstimmen werdet und danach werden wir mit der größten Sorge und Liebe für

die Geistlichen und Bischöfe eurer Seelen sorgen.“1359 Was die Riten der Kirche betreffe,

sei man bereit, in Übereinstimmung mit dem Apostel ihnen beizustimmen, aber nur in den

Stücken, die nicht in Konflikt mit der Kirchenordnung der griechischen Kirche kommen

und deren Zustimmung der böhmischen Kirche zur Erbauung dienen würden. Der Ehre

und dem Gehorsam ihrer Kirche zuwider würden sie niemals etwas unternehmen. Gott

möge bewirken, schließen die Byzantiner den Brief, daß sie sich zusammen mit den

Hussiten im Haus der Kirche über dieselben Dogmen und Bräuche freuen und mit einem

Mund und mit einem Herzen Ihn preisen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.1360

Der Brief wurde von den folgenden griechischen Geistlichen unterschrieben: Makarios,

Metropolit von Nikodemia;1361 Ignatios, bulgarischer Metropolit von Trnovo; Joseph,

Metropolit von Philippopoli und Akakien; Silvestros Siropoulos, großer Ekklesiarch und

Diakon; Theodoros Agallianos, Dikaiophilax, Hieromonach und Diakon und Gennadios,

Mönch und universaler Lehrer der orthodoxen Kirche (seit 1454 Patriarch von

Konstantinopel).1362

1355 Ebd., 263-264. 1356 Ebd., 264. 1357 Ebd., 264-265. Es handelt sich um eine kurze Darlegung der orthodoxen Glaubenslehre. Der Text der

Glaubensdarlegung bei: Dositheos von Jerusalem, Τοµός Άγάπης, 325-332. 1358 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 265. 1359 Ebd., 265-266. 1360 Ebd., 266-267. 1361 Walter Engels behauptete, daß der Brief vom Patriarchen Nikodemes Makarios unterschrieben sei.

Walter Engels, Wiederentdeckung, 282. Es handelt sich hier um eine falsche Angabe. „Ό Νικοµήδης Μακάριος“ bedeutet, Makarios von Nikodemia und er war ein Metropolit, Gegner der Union von Florenz. Vgl. M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 215.

1362 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 267.

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Alle diese Signataren gehörten der Gruppe der griechischen Geistlichen an, die

ausgesprochene Gegner der Unionsvereinbarung von Florenz waren.1363 Infolgedessen

wollten „hier zwei Minderheitsgruppen einander die Hände entgegenstrecken, um die

Isolierung zu überwinden, unter der jede litt.“1364

Wäre es aber möglich gewesen, daß die Antiunionisten unter den Griechen, die ein ganz

starkes Bewußtsein der eigenen wahren Lehre und des wahren Glaubens besaßen, eine

Vereinigung mit der Reformbewegung der Hussiten vollzogen hätten? Der Brief

veranschaulicht ganz deutlich die Antwort auf diese Frage: dazu müßten die Hussiten das

ihnen durch Konstantin Plastris zugeschickte Lehrbekenntnis der griechischen Kirche

annehmen.1365

Dieses Schreiben der Griechen brachte zum ersten Mal eine aus der römischen Kirche

herausgetretene Reformbewegung, den utraquistischen Zweig der Hussiten, in Kontakt mit

einigen orthodoxen Lehren und Auffassungen, die dann später im 16. Jahrhundert eine sehr

wichtige Rolle in der Auseinandersetzung zwischen der Orthodoxie und dem

Protestantismus spielten.1366

Durch die Veröffentlichung dieses Briefes gab David Chytraeus ein Dokument heraus,

über dem nicht mehr der dunkle Schatten des politischen Opportunismus lag, wie es in fast

allen Verhandlungen zwischen Ost und West bis einschließlich Florenz 1439 der Fall

gewesen war.1367 Es war ihm wiederum aus einem Dokument des 15. Jahrhunderts

deutlich, wie er auch aus den Briefen Martins Crusius hinsichtlich des Briefwechsels

zwischen Tübingen und Byzanz feststellen konnte, daß die Griechen immer fest in ihrer

eigenen Tradition standen. Anderseits bestätigte dieser Brief Chytraeus, daß die Lutheraner

nicht die erste Reformbewegung war, die in der griechischen Kirche Verbündete gesucht

hatten.

1363 Zu den Unterschreibern des Briefes und ihrer Einstellung gegenüber der Union von Florenz siehe: M.

Pavlová, L´Empire Byzantin, 217-218. 1364 Georg Florowski, Die orthodoxen Kirchen, 237. 1365 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 264-265. Auch wenn die Hussiten zugestimmt hätten, hätte

die Vereinigung der Hussiten mit der byzantinischen Kirche nicht stattfinden können, da dieser Brief nur von einer Versammlung (synaxis) der orthodoxen Geistlichen und Hierarchen unterschrieben worden war, die zum Vollzug eines solchen Verfahrens, ohne die Bewilligung einer Synode, unter dem Vorsitz eines ökumenischen Patriarchen, die vom Kaiser einberufen wurde, nicht berechtigt war. Damit war der Versuch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Vgl. dazu M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 212ff. Die utraquistischen Hussiten antworteten am 29.09.1452. Der Text der Antwort bei: F. Palacky (Hrsg.), Urkundliche Beiträge, 51-53. Ihre Antwort richtete sich an Kaiser Konstantin und an den Patriarchen Gennadios (erstaunlich, weil Gennadios erst 1454 Patriarch von Konstantinopel wurde) und ist ganz allgemein gehalten. Vgl. dazu: M. Pavlová, L´Empire Byzantin, 216ff. Gunnar Hering, Orthodoxie, 825, Anm. 10. Es ist ebenfalls kein Ergebnis dieser Antwort bekannt.

1366 Vgl. dazu Gunnar Hering, Orthodoxie, 824-825; Walter Engels, Wiederentdeckung, 282. 1367 Vgl. Georg Florowski, Die orthodoxen Kirchen, 237.

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6.6 Die Veröffentlichung einer durch ihn bearbeiteten Fassung der in Lissabon 1534 abgefaßten äthiopischen Glaubensdarstellung

Das zweitälteste von David Chytraeus im Anhang der Oratio über die Ostkirchen

veröffentlichte Dokument ist ein Glaubensbekenntnis der Äthiopier (Confessio Fidei

Aethiopum), das 1534 in Lissabon von einem äthiopischen Geistlichen abgefaßt wurde.

Dieses äthiopische Glaubensbekenntnis wurde schon in lateinischer Sprache in den

Ausgaben des Jahres 15801368 veröffentlicht und befindet sich auch in der Ausgabe

Frankfurt 1583.1369

In seiner Rostocker Rede war David Chytraeus schon auf die äthiopische Kirche

eingegangen.1370 Dank der schon in deutscher Übersetzung erschienenen

Äthiopienbeschreibung von Franziskus Alvarez konnte der Rostocker, indem er dieses

Werk heranzog,1371 die ausführlichste Darstellung einer altorientalischen Kirche in seiner

Oratio liefern.

Seit den Auflagen des Jahres 1580 fügte David Chytraeus dem Text der Oratio selbst

hinzu, daß die Echtheit seiner Darstellung über die äthiopische Kirche auch von Damianus

à Goës, der von den Legaten des Priesters Johannes an den König von Portugal 1534 in

Lissabon über den Glauben, die Religion und die Sitten der Äthiopier unterrichtet worden

war, bezeugt werde.1372

Um diese seine Aussage nachzuweisen, veröffentlichte der Rostocker im Anhang seiner

Rede auch einen Teil vom Bekenntnis des Glaubens und der Religion der Äthiopier,

welches der Gesandte des Königs David von Äthiopien an König Johannes III. von

Portugal, Christophorus Licanati, in seiner Muttersprache Zaga Zabo genannt, im Jahr

1534 in Lissabon abgefaßt hatte.1373

Nachdem zuerst die Königin Helena von Äthiopien, als sie für ihren unmündigen Sohn

Lebna Dengel die Regierung führte, den Armenier Mathäus um 1513 nach Portugal

entsandt hatte, um mit den militärisch erfolgreichen Portugiesen ein Bündnis zu schließen,

beschlossen die Portugiesen um 1520 eine Gesandtschaft unter der Führung von Rodrigo

1368 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, Wittenberg, 1580, 118-133. 1369 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 195-209. 1370 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 27-29. 1371 Vgl. Kap. 5.4.4.4. 1372 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 29. 1373 Chytraeus selbst berichtet darüber in einem kleinen Vorwort zu diesem Glaubensbekenntnis: „Adscribam

partem Confessionis fidei et religionis Aethiopum, quam legatus Davidis Aethiopiae Imperatoris, ad Johannem III. Portugalliae regem missus; Christophorus Licanati, patrio idiomate Zaga Zabo, gratia patris, appelatus, anno 1534, Lysibonae in Portugallia, scripto complexus est.“ David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 195.

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de Lima an den äthiopischen König zu schicken.1374 Nach einem fast siebenjährigen

Aufenthalt hat die Gesandtschaft 1526 Äthiopien verlassen. König Lebna Dengel (1508-

1540) gab den Portugiesen nicht nur einen Brief an König Manuel I. von Portugal und

andere Briefe an Papst Clemens VII.,1375 sondern auch einen äthiopischen Gesandten, Zaga

Zabo genannt, mit.1376

Ob dieser Gesandte des äthiopischen Königs 1530 in Bologna zusammen mit Franziskus

Alvarez von Papst Clemens VII. und Kaiser Karl V. empfangen wurde,1377 ist

fragwürdig.1378 Es ist aber sicher, daß er sich lange Zeit in Europa aufhielt1379 und 1534 in

Lissabon ein schriftliches Bekenntnis über den Glauben, die Riten und die religiösen

Bräuche der Äthiopier auf Verlangen des portugiesischen Ritters und Humanisten

Damianus à Goës verfaßte.1380

Zaga Zabo nennt sich im von ihm selbst verfaßten Glaubensbekenntnis Bischof und

Priester (episcopus et sacerdos) und auch Verwalter des äthiopischen Königs für die

Provinz Bugana.1381 Er selbst nennt auch die Gründe, weshalb er dieses Bekenntnis

1374 Zum politischen Kontext siehe: Ernst Hammerschmidt, Äthiopien, 58ff. 1375 Zwei Schreiben des Königs von Äthiopien an den Papst Clement VII. sind in deutscher Sprache bei:

Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 435-443 veröffentlicht. 1376 Vgl. dazu Ernst Hammerschmidt, Portugiesen in Äthiopien, 307-309. Jean Doresse, L’Empire du Prêtre-

Jean, II, 278. Sie kamen in Portugal im Juli 1527 an. Vgl. Girma Beshah, Union of the Churches, 34. Vgl. auch P. Petri Paez S.I., Historia Aethiopiae, 417.

1377 Das behauptete Ernst Hammerschmidt, Portugiesen in Äthiopien, 309. 1378 Über den Empfang des Franziscus Alvarez wird am Ende seiner Äthiopienbeschreibung berichtet: „Im

Jar 1530. im Monat Januario, wie beyde oberste Haupter der Christenheit, nemlich Bapst Clemens der VIJ. Und Keyser Carol der V. zu Bononien beyeinander semptlich waren, wurde Don Martin von Portugal des Königs Johansen in Portugal freund, Rath und botschafft, zu Bäpstlicher Heiligkeit des andern mals aus Portugal abgefertiget, der nam mit sich den Franciscum Alvarez, des mechtigen Herrn König Davids aus Ethiopien botschaffter, den man in gemein Priester Johan nennet, welcher von hochgedachtem König an den Bapst abgefertiget war, S. H. neben seinem gebürenden grus und reverentz, die schuldige und billiche gehorsam unnd huldigung zu leisten, so andere Christliche König gewönlichen S. H. zuleisten pflegen...“ Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige Beschreibunge, 421. Daraus wird ersichtlich, daß Zaga Zabo zu dieser Audienz nicht mitgenommen wurde. Außerdem bittet er 1534 Damianus à Goës, am Ende seiner Darstellung der Religion der Äthiopier, auf seinen Reisen nach Rom den Papst, die ehrwürdigen Kardinälen, Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe und andere fromme Christen, durch Jesum Christum mit dem Kuß des Friedens in seinem Namen zu grüßen. Mit dem Antwortbrief des Papstes an den äthiopischen Kaiser wollte Zaga Zabo dann heim fahren. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 208-209.

1379 Erst 1539 wurde er vom König Johannes III. nach Äthiopien geschickt. Schon auf der Rückreise ist er nach dem September 1539 gestorben. Vgl. Girma Beshah, Union of the Churches, 46.

1380 Damianus à Goës war ein portugiesischer Ritter und Humanist, der zwischen 1502 und 1574 gelebt hat. Nachdem er als Sohn einer reichen Familie eine außergewöhnliche Erziehung bekommen hatte, wurde er vor 1534 Kämmerer des Königs Johann III. von Portugal. Unter diesen Umständen lernte er wahrscheinlich auch Zaga Zabo am Hof des portugiesischen König kennen. Damianus à Goës erfüllte im Auftrag seines Königs mehrere Missionen in Frankreich, Polen, Schweden und Dänemark. Seit 1534 unternahm er eine Studienwanderschaft durch Europa beginnend mit Padua. Eine Zeitlang lebte er in Löwen und heiratete in Den Haag Jeanne van Hargen. Siehe: Ed. van Even, Damien a Goes, 24-27; Manuel Augusto Rodrigues, Damiano de Goes, 1061.

1381 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 207. Vgl. auch Jean Doresse, L’Empire du Prêtre-Jean, II, 278.

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aufgeschrieben hat: erstens, da er Befehl vom König der Äthiopier gehabt hätte, allen

denen, die ihn über den Glauben, die Religion und über sein Vaterland fragen würden,

nichts zu verschweigen, sondern mündlich und schriftlich darüber zu berichten.1382

Zweitens, da er es für nötig gehalten habe, die Sitten, Riten, Einrichtungen und Gebräuche

der Äthiopier öffentlich bekannt zu machen, auch wenn er bis 1534 in Portugal die

Erfahrung gemacht hatte, daß kein Christ von dort begehrte, etwas darüber zu wissen.1383

Da Zaga Zabo das Interesse des Damianus à Goës am Zustand und am Glauben der

äthiopischen Kirche bemerkte, verfaßte er ein Bekenntnis des Glaubens und der Religion

der Äthiopier und bat den portugiesischen Ritter, es in die lateinische Sprache zu

übersetzen, damit alle frommen europäischen Christen den Ritus und die Reinheit der

äthiopischen Sitten erkennen mögen.1384 An diese Aussage des äthiopischen Geistlichen

muß auch David Chytyraeus angeknüpft haben, als er sich entschied, dieses

Glaubensbekenntnis neu herauszugeben.

Damianus à Goës wurde ebenfalls vom Verfasser gebeten, eine treue lateinische

Übersetzung anzufertigen und die eingefügten alt- und neutestamentlichen Sprüche um der

Klarheit willen nach der lateinischen Bibel zu zitieren, wobei er auch die zitierte Stelle

angeben sollte, weil Zaga Zabo seine chaldäischen Bücher während der Reise verloren

hätte.1385 Und da er keine Bücher mehr bei sich hatte, hätte er alles wahrheitsgetreu aus

dem Gedächtnis geschrieben.1386

Neben allen diesen Bitten und Wünschen gibt Zaga Zabo dem portugiesischen Ritter auch

die Befugnis, daß jener, wenn etwas im Bekenntnis nicht gut genug verfaßt oder geordnet

wäre, es ins Lateinische besser übersetzt bzw. umsetzt, aber ohne dabei den Sinn zu

ändern.1387

Daminaus à Goës konnte dieses Werk des Zaga Zabo beim Buchdrucker Rutger Ressius

aber erst 1554 während seines langen Aufenthaltes in Löwen zusammen mit einigen

anderen Schriften veröffentlichen,1388 nachdem er es zuerst ins Lateinische übersetzt

1382 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 208. 1383 Vgl. ebd. Er drückt ganz ausdrücklich seine Bewunderung darüber aus: „De qua re non potui, nec possum

satis mirari.“ Ebd., 208. 1384 Vgl. ebd. 1385 Vgl. ebd., 209. 1386 Vgl. ebd. 1387 Vgl. ebd. 1388 Vgl. Ed. van Even, Damien a Goes, Sp. 26-27. Das Werk enthielt die folgenden Schriften: „Fides, religio,

moresque Aethiopum; Epistolae aliquot Preciosi Joannis, Paulo Jovio et ipso Damiano interpretibus; Deploratio Lappinae gentis; Lappiae descriptio; Bellum Cambaicum; De rebus et imperio Lusitanorum; Hispaniae libertas et potentia; Pro Hispania adversus Munsterum defensio; Aliquot Epistolae Sadoleti, Bembi et aliorum clarissimorum virorum cum farragine carminum ad ipsum Damianum.“ Ebenda, Sp. 26-27.

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hatte.1389 Erst ein oder zwei Jahre nach seinem Tod, erschien das Bekenntnis des Zaga

Zabo 1574 wiederum in Köln.

David Chytraeus wußte auf jeden Fall, daß das ganze Bekenntnis mit etlichen Briefen des

Priesters Johannes an den römischen Papst und an König Emanuel von Portugal durch

Damianus à Goës in Köln bei Geruinus Calenius 1574 unter dem Titel: De rebus Oceanicis

et Novo orbe Decades tres Petri Martyris Mediolanensis. Eiusdem de Babylonica legatione

libri III. Et de rebus Aetiopicis, Indicis, Lusitanicis, Hispanicis opuscula quaedam

historica doctissima, que hodie non facilem alibi reperiuntur, Daminani à Goës, equitis

Lusitani, herausgegeben worden war.1390

Von der Tatsache ausgehend, daß Zaga Zabo sich wünschte, seine Schrift allen frommen

europäischen Christen bekannt zu machen, wählte der Rostocker selbst die wichtigsten

Abschnitte aus diesem Bekenntnis aus und gab sie unter dem Titel „Confessio fidei

Aethiopum“ seit 1580 im Anhang mehrerer Auflagen seiner Oratio erneut heraus.1391 In

der Ausgabe von Köln 1574 umfaßte die Schrift des Äthiopiers 32 Seiten.1392 Aus diesen

32 Seiten wählte David Chytraeus einige Abschnitte aus, die insgesamt 12 Seiten

ausmachten, also ungefähr ein Drittel der ursprünglichen Schrift. In der Ausgabe der

Oratio Frankfurt 1583 hat das von Chytraeus selbst zusammengefaßte Bekenntnis 14

Seiten.1393 Da er nur einige Abschnitte aus der Originalfassung veröffentlichte, empfahl der

Rostocker den neugierigen Lesern die komplette Auflage von Köln 1574.1394

Damit befinden wir uns bei dieser Veröffentlichung vor einem von Chytraeus selbst

ausgewählten und zusammengefügten Werk, obwohl der Inhalt von ihm ist. Aufmerksam

auf die Befugnis des Verfassers für Damianus à Goës, daß dieser die Ordnung der

Abschnitte, aber nicht den Sinn seiner Aussagen ändern durfte,1395 fühlte sich der

1389 Über die Originalsprache dieses Bekenntnisses ist nichts bekannt. Ein einziger Hinweis in der Schrift ist

die Bemerkung des Zaga Zabo, daß er seine „chaldäischen“ Bücher auf dem Weg nach Portugal verloren habe und darum die Zitate aus der Bibel nicht genau angeben kann. Verwirrenderweise wurde damals die Sprache der Äthiopier (Guèze) als „chaldäisch“ bezeichnet. Vgl. Jean Doresse, L’Empire du Prêtre-Jean, II, 279. Es kann sein, daß Zaga Zabo während seines 7-jährigen Aufenthaltes in Lissabon auch portugiesisch gelernt hatte, so daß die Originalsprache der Schrift die portugiesische Sprache sein könnte.

1390 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 195. Es ist höchstwahrscheinlich, daß der Rostocker die Löwener Erstveröffentlichung des Jahres 1554 nicht kannte.

1391 Er selbst schreibt im Vorwort zum Bekenntnis: „Ex quo capita praecipua excerpsi.“ Ebd. In der Auflage Köln 1574 trägt diese Schrift den Titel: „In Nomine Domini nostri Jesu Christi Amen. Haec sunt, quae de fide et religione apud nos Aethiopes habentur et observantur.“ De rebus Aetiopicis, 489. In den Ausgaben des David Chytraeus fehlt der Satz nach dem Amen.

1392 De rebus Aetiopicis, 489-521. 1393 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 196-209. 1394 Vgl. ebd., 195. Ein Unterschied zwischen der Auflage Köln 1574 und den Auflagen von David Chytraeus

ist die Auslassung der biblischen Stellenangaben, die am Rande der Seiten von Damianus à Goës auf Wunsch von Zaga Zabo eingeführt wurden.

1395 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 209.

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Rostocker auch als Herausgeber dazu bevollmächtigt und nahm große Änderungen vor,

was die ursprüngliche Ordnung und die Auswahl der herausgegebenen Abschnitte betrifft.

Um zu veranschaulichen, daß in seiner Fassung Teile des ursprünglichen Bekenntnisses

weggelassen wurden, verwendete Chytraeus Ausdrücke wie: „Et post aliquot paginas“,1396

„Et postea“,1397 oder „etc.“,1398 die manchmal für 7-8 weggelassene Seiten benutzt werden.

Welches war nun der Inhalt dieses Bekenntnisses von Zaga Zabo? Wir werden zuerst den

Inhalt der chytraeischen Fassung kurz vorstellen und danach betrachten, welche Abschnitte

der Originalfassung von David Chytraeus nicht herausgegeben wurden.

Der äthiopische Geistliche beginnt seine Darstellung in den beiden Fassungen mit einem

Bekenntnis des Glaubens der Äthiopier an die Heilige Dreieinigkeit: „Credimus in nomen

sanctae Trinitatis, Patrem, Filium et Spiritum Sanctum, qui unus est Dominus...“.1399 Von

der Heiligen Dreieinigkeit ausgehend, wird danach die Oikonomia Gottes mit der ganzen

Schöpfung betrachtet: „Drei Personen ein Gott, welcher sieht und von niemand gesehen

wird, der mit seinem eigenen Rat alles erschaffen hat...“1400 und die Oikonomia des

Gottessohnes bis zu seiner Taufe im Jordan.

Damit ist die Einleitung für die Sakramente der äthiopischen Kirche gemacht. Es werden

anschließend kurz Taufe, Beichte und Eucharistie vorgestellt, wobei auch erwähnt wird,

daß die Konfirmation, die Firmung und die letzte Ölsalbung bei den Äthiopiern nicht wie

bei den Katholiken im Gebrauch seien.1401

Es folgen danach Abschnitte, in denen das Leben der äthiopischen Geistlichen,1402 die

eucharistische Liturgie,1403 die Gottesdienste für die Toten,1404 der Ursprung der Seelen,1405

der Ehestand der Kleriker,1406 die Auswahl und das Vermögen des Patriarchen der

1396 Vgl. ebd., 198. 1397 Vgl. ebd., 207. 1398 Vgl. ebd., 197, 198, 200, 202, 206 und 207. 1399 Ebd., 196. 1400 Ebd., 197. 1401 Vgl. ebd., 197-199. 1402 Die Priester ernähren sich durch ihre eigene Arbeit und erhalten auch Almosen von den Begräbnissen.

Das Betteln durch die Dörfer wird nicht gestattet. Vgl. ebd., 199-200. 1403 Es wird nach einem alten Brauch nur eine Messe täglich gehalten, und wird kein Geld dafür verlangt. Das

Sakrament wird dabei nicht gezeigt, wie in Europa. Die Eucharistie wird unter beiderlei Gestalt ausgeteilt und es wird gesäuertes Weizenbrot verwendet. Das Sakrament wird nicht aufbewahrt, wie bei den Europäern. Vgl. ebd., 199-200.

1404 Es wird keine Messe für die Erlösung der Seelen aus dem Fegefeuer gehalten. Vgl. ebd., 200. 1405 Vgl. ebd. 1.2 1406 Sie werden nach der Heirat vom Patriarchen berufen, wenn sie über 30 Jahre alt sind.

Wenn die Frau eines Bischofs oder eines Priesters stirbt, darf er keine andere heiraten. Wenn eine andere Frau oder ein unehelicher Sohn bei einem Priester gesehen werden, wird dieser sofort vom Priesterstand ausgeschlossen. Die Güter eines Priesters ohne Nachfolger gehen an den Priester Johannes und nicht an den Patriarchen. Die Mönchen haben keine Frauen. Es gibt eine strenge Disziplin der Kleriker. Vgl. ebd., 201-202.

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Äthiopier,1407 die Feste im liturgischen Jahr,1408 der Priesterkönig Johannes,1409 die

Beschneidung und verschiedene andere interessante äthiopische kirchliche Gebräuche

vorgestellt werden.1410 Dabei werden immer eine Reihe von unbekannten Einzelheiten

hinsichtlich der Riten und Gebräuche der äthiopischen Kirche vermittelt und besonders die

Abschnitte, wo sich mit den reformatorischen übereinstimmenden Lehren befinden,

werden nicht ausgelassen.

Auf der anderen Seite wird bei einem Vergleich der Fassungen von Daminaus à Goës und

David Chytraeus ganz deutlich, daß der Rostocker jene Abschnitte der Originalfassung

ausgelassen hat, die eine Übereinstimmung der äthiopischen Lehren und Riten mit den

katholischen eindeutig machten. So werden sofort nach der Einführung fünf Seiten der

Originalfassung in der Fassung von Chytraeus nicht aufgenommen, wo es sich um die

Verehrung der Gottesmutter und der Heiligen, die Bedeutung des heiligen Petrus als Haupt

der Kirche, der Gehorsam des Äthiopiers gegenüber dem Papst als Haupt aller Patriarchen

und Bischöfe, die verschiedenen Fastenzeiten und Feste der Heiligen und die Anerkennung

des Fegefeuers handelt.1411

Wie bei der Darstellung aus der Oratio über die äthiopische Kirche, wo der Rostocker den

vom Priester Johannes gegenüber dem römischen Papst ausgedrückten Gehorsam

verschwieg,1412 handelt er auch hier ähnlich, indem er die katholischen Elemente aus dieser

Darlegung des Glaubens wieder nicht erwähnt.

1407 Der Patriarch wird von den äthiopischen Mönchen aus Jerusalem gewählt, die nur einen Patriarchen aus

den Mitgliedern der Synode des alexandrinischen Patriarchen wählen dürfen. Er wird dann von Alexandrien nach Äthiopien geschickt, wo das Patriarchat in der Zwischenzeit vom Priester Johannes selbst verwaltet wird, weil eine Wahl zwischen einem und zwei Jahre dauerte. Die Güter des Patriarchen werden bei seinem Tod vom Kaiser geerbt. Der Patriarch läßt keinen Ablaß zu und erteilt auch keinen. Der damalige Patriarch (Abuna in der Landessprache) hieß Markus, ein Mann von über 100 Jahren. Vgl. ebd., 202-203.

1408 Das kirchliche Jahr beginnt Anfang September und hat fast dieselben Feste wie das Kirchenjahr bei den Katholiken. Vgl. ebd., 203-204.

1409 Der König der Äthiopier heißt preciosus Johannes und nicht Priester Johannes, wie man ihn zu unrecht nennt. Er lebt im Zeltlager und führte viele Kriege mit den Feinden des christlichen Glaubens, die seine Nachbarn waren. Es gibt kein schriftliches Recht bei den Äthiopiern, sondern nur mündliches. Vgl. ebd., 204-205.

1410 Vgl. ebd., 199-207. 1411 Vgl. De rebus Aetiopicis, 491-495. Es gibt auch andere viele Abschnitte, die weggelassen wurden. Einige

von ihnen bringen nur andere Details oder enthalten die biblische Beweisführung für ein schon behandeltes Thema, die wahrscheinlich Chytraeus als unbedeutend oder, was die biblischen Stellen betrifft, bekannt erschien, um sie vollständig wiederzugeben. Hierzu zählen die Abschnitte über die Königin von Saba und die Anfänge des äthiopischen Königtums, über die Beschneidung und die Exorzismen bei der Taufe, über das Gesetz des Alten und Neuen Testaments und einiger Kirchenväter in Hinblick auf das Essen und das Fasten, über die auf den ersten ökumenischen Konzilien verurteilten Häretiker und über die verschiedenen Gesandtschaften zwischen Äthiopien und Portugal. Vgl. ebd., 499-502, 508-509, 510-512, 513-514, 517, 518-519.

1412 Vgl. Kap. 5.4.4.4.

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In Bezug auf die Einordnung der Abschnitte in der Fassung des David Chytraeus kann man

große Änderungen im Vergleich zur Originalfassung beobachten. Der Grund, weshalb der

Rostocker Professor solche Änderungen vornahm, war hier nur die Logik oder die

Architektur der Darstellung. So nahm er den sich am Ende der Originalfassung

befindenden Abschnitt über den Ursprung und Fortpflanzung der Seelen und setzte ihn

gleich hinter den Abschnitt über die Toten, ziemlich am Anfang seiner eigenen

Fassung.1413 Nach dem Kapitel über die Lage der äthiopischen Kleriker setzte er den

Abschnitt über den äthiopischen Patriarchen und den König Johannes, die sich in der

Originalfassung erst 20 Seiten weiter befanden.1414 Danach kehrte Chytraeus in der

Originalfassung wieder fast 15 Seiten zurück und fügte seiner Fassung die Abschnitte über

die Beschneidung hinzu.1415 Trotz dieser großen Veränderungen wagte der Rostocker

dennoch nicht, eigene Gedanken in den Originaltext einzufügen.

Auch wenn diese Darlegung des Glaubens nicht als normativ für die äthiopische Kirche

des 16. Jahrhunderts betrachtet werden kann und auch wenn zwei Drittel der

ursprünglichen Fassung von David Chytraeus in seinen Ausgaben nicht übernommen

wurden, vermittelt sie dennoch dem abendländischen Leser eine Reihe von Einzelheiten,

die als Anhang an die durch Chytraeus in seiner Oratio erfolgte Darstellung des Zustandes

der äthiopischen Kirche willkommen sind, um das dort dargebotene Bild zu bereichern und

zu vervollständigen.

Den mit der Abfassung seiner Schrift verbundenen Wunsch des Zaga Zabo, durch dieses

Bekenntnis den Glauben und die religiösen Zeremonien der Äthiopier unter den frommen

europäischen Christen bekannt zu machen, übernahm auch David Chytraeus, der sich als

Herausgeber dieses Bekenntnisses des Glaubens und der äthiopischen Religion im vollen

Einklang mit dem ursprünglichen Wunsch des Verfassers verstand. Durch die Herausgabe

dieser „Confessio fiei Aetiopum“ in mehreren Auflagen seiner Oratio trug er mehr als

Damianus à Goës dazu bei, daß sich der Wunsch des Äthiopiers erfüllte.

Diese äthiopische Darlegung des Glaubens ist das einzige Werk über die Ostkirchen, in

dem deutlich wird, daß Chytraeus in das ursprüngliche Material eingegriffen hat, auch

wenn er nur einfach einige Abschnitte herausgepflückt und sie anders eingeordnet hat.

1413 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 200; De rebus Aetiopicis, 521. 1414 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 202; De rebus Aetiopicis, 495-496 und 515ff. 1415 Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 205-206; De rebus Aetiopicis, 499, 502, 503.

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241

6.7 Die Veröffentlichung zweier Schreiben vom Berg Sinai aus den Jahren 1561 und 1569 durch David Chytraeus

Der Ort des brennenden Dornbusches1416 und der Übergabe der Zehn Gebote1417 auf der

Halbinsel Sinai wurde nach dem zweiten Jahrhundert nach Christus von christlichen

Asketen besiedelt1418 und wurde seit dem vierten Jahrhundert das Ziel fast aller Pilger, die

die Heiligen Stätten des Orients besuchen und verehren wollten.1419 Das unter Kaiser

Justinian I. erbaute festungsartige Katharinenkloster auf der Sinaihalbinsel1420 übte

besonders im Mittelalter eine starke Anziehungskraft auf viele Abendländer aus,1421

obwohl es schon seit dem 7. Jahrhundert unter arabischen Herrschaft,1422 und seit dem

Anfang des 16. Jahrhunderts unter osmanischen Herrschaft stand.1423 Es ist wahrscheinlich

das älteste christliche Kloster in der Welt, das bis heute ununterbrochen von christlichen

Mönchen bewohnt wurde und das auch inmitten einer feindlichen Welt.1424

Eine der Kernfragen in der Geschichte des Katharinenklosters lautet: Wie konnte diese

christliche Burg inmitten der islamischen Welt Jahrhunderte hindurch ihr Eigenleben

behaupten? Eine andere im Zusammenhang mit unserer Untersuchung stehende Frage

lautet: Wurde das Kloster und die umliegenden Heiligen Stätten auch im 16. Jahrhundert

von deutschen Pilgern besucht?

Die zwei folgenden von David Chytraeus im Anhang seiner „Oratio“ veröffentlichten

Urkunden beantworten diese Fragen für die Mitte des 16. Jahrhunderts teilweise. Die ältere

von beiden ist eine Bestätigung, die Patriarch Joachim von Alexandrien im Jahre 1561

einem deutschen Adligen, Graf Albert von Lewenstein, über den Besuch der wichtigsten

1416 Vgl. Ex. 3, 1ff. 1417 Vgl. Ex. 19, 1ff. 1418 Vgl. Andreas Külzer, Peregrinatio graeca, 260. 1419 Salomon Schweigger, evangelischer Gesandtschaftsprediger in Konstantinopel von 1578 bis 1581, ist der

erste evangelische Theologe, der die Gegenden der Anfänge des Christentums besucht hat. Salomon Schweigger wandte sich aber von Ägypten dem Heiligen Land zu, nachdem ihm vom Besuch des Sinai und des berühmten Katharinenklosters wegen umherstreifender Räuberbanden dringend abgeraten worden war. Vgl. Walter Engels, Salomon Schweigger, 236. Salomon Schweigger berichtet selbst: „Über diss alles kamen wir auch in erfahrung, dass das Kloster zu S. Katharina auff dem Berg Sinay wer vor wenig Tagen von den Arabern geplündert unnd die Mönch daselbst aussgejagt worden. Also künten wir unser fürnemen nicht ins werk setzen...“ Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 256-257.

1420 Vgl. Heinz Skrobucha, Sinai, 38 ff. George Forsyth, Katharinenkloster, 49-80. 1421 Es scheint sogar, daß der Name des ursprünglich der Gottesmutter geweihten Klosters nur aufgrund der

Wogen der im Abendland enthusiastisch verehrten Katharina gewechselt wurde. Papst Johannes XXII. (1316-1334) erwähnt den Namen Katharinenkloster zum ersten Mal in einem Schreiben über die Ablaßgewährung für Pilger und Wohltäter des Katharinenklosters. Vgl. Heinz Skrobucha, Sinai, 75.

1422 Über den Einbruch des Islams im Sinai siehe: Rudolf Solzbacher, Mönche, Pilger und Sarazenen, 281 ff. 1423 Die Eroberung Ägyptens ist im Jahr 1517 unter dem Sultan Selim I. passiert. Vgl. Robert Humbsch,

Beiträge zur Geschichte, 2. Klaus Schwarz, Osmanische Sultanatsurkunden, 7. 1424 „The celebrated monastery of St. Catherine’s founded in A.D. 530 and probably the oldest continuously-

inhabited Christian monastery in the World.“ C. Bailey, Sīnā, 625.

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Heiligen Stätten des Sinai ausgestellt hat.1425 Der zweite von Chytraeus veröffentlichte

Brief aus dem Jahr 1569, der für die damaligen deutsch-griechischen Beziehungen

wesentlich aufschlußreicher als der erste ältere Brief ist,1426 stammt von Bischof Eugenios

von Sinai und ist an Erzherzog Karl von Österreich adressiert.1427

Das älteste von Chytraeus veröffentlichte Dokument aus dem Jahre 1561 ist ein Beweis

dafür, daß in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Heiligen Stätten des Sinai von

deutschen Pilgern besucht worden waren. Chytreus selbst hat in seiner „Oratio“ den

Namen des alexandrinischen Patriarchen in der Zeit vor 1569 erwähnt.1428 Die

Gelegenheit, eine Originalschrift dieses Patriarchen in den Händen zu haben, nutzte er

sofort durch die Veröffentlichung dieses Schreibens in griechischer Sprache mit einer

eigenen lateinischen Übersetzung.

Es handelt sich um eine Bestätigung von der Seite des Patriarchen Joachim von

Alexandrien,1429 die Graf Albert von Lewenstein, Freiherrn von Scharffeneck1430 im Jahr

1561 ausgehändigt wurde, in der berichtet wird, daß dieser „die heiligen und

verehrungswürdigen Stätten (des Sinai) besucht und angebetet hat: den heiligen Berg Sinai,

und zwar seinen heiligen Gipfel, wo Moses das Gesetz empfangen hat, und den heiligen

Dornbusch, auf dem das Mysterium der heiligen und ewigen Jungfrau dargestellt ist,1431

und die große heilige und allerweiseste Katharina.“1432 Diese Bestätigung wurde ihm

1425 Der Text dieser Bescheinigung ist von David Chytraeus im griechischen Originaltext und in lateinischer

Übersetzung unter dem Titel: „Patriarchae Alexandrini Literae testim. Alberto Comiti à Levvenstein datae Anno 1561“ veröffentlicht: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 84-86. Zum ersten Mal veröffentlicht: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, Wittenberg, 1580, 77-81.

1426 Vgl. die Charakterisierung von Walter Engels, Die Wiederentdeckung, 275. Er ist der erste Forscher, der auf diese zwei Schreiben hingewiesen hat. Vgl. Ebenda, 275.

1427 Der Text dieses Briefes wurde von David Chytraeus im griechischen Originaltext und in lateinischer Übersetzung unter dem Titel: „Literae scriptae in Monte Sinai, ad Carolum Archiducem Austriae, Anno 1569“ veröffentlicht: David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 79-83. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, Wittenberg, 1580, 81-83. Nach den Veröffentlichungen von Chytraeus wurde der Brief an den Erzherzog Karl von Österreich im Jahre 1581 auch von Michael Neander veröffentlicht. Siehe: Michael Neander, Bedencken an einen Guten Herrn, 49.

1428 David Chytraeus, Oratio de Statu, 26. 1429 Joachim war fast 80 Jahre Patriarch von Alexandrien: (1487-1565/67?) Vgl. Gerhard Podskalsky,

Griechische Theologie, 401. Nicolae Iorga sagte, daß er das Ansehen eines Wundertäters hatte und im Jahre 1565 gestorben ist. Vgl. Nicolae Iorga, Byzance après Byzance, 76.

1430 Trotz vieler Versuche, etwas über diesen Grafen aus deutschen Biographien und Adelslexika zu erfahren, sind mir keine Angaben über ihn bekannt geworden.

1431 Über die Erscheinung Gottes vor Moses im nichtverbrennenden Dornbusch vgl. Ex. 3, 1ff. In der orthodoxen Ikonographie wurde nach dieser Erzählung ein Typ der Ikone der Gottesmutter geschaffen: die Ikone „Der nichtverbrennende Dornbusch“. Dornbusch-Darstellungen findet man im Sinai-Kloster, Chora-Kloster in Konstantinopel und seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch in Rußland. Die Dornbusch-Darstellung gilt insbesondere als eine Ikone der Ankunft Christi im Fleisch. Vgl. K. Ch. Felmy, Dornbusch, in dem Gottes Feuer brennt, 32-35.

1432 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 84 und 85. Eine Beschreibung der Lage dieser Orte im Jahre 1576, also 15 Jahre nach der Erstellung unserer Bestätigung, bietet der Protonotarios Theodosius Zygomala in einem Bericht, der an den lutherischen in Konstantinopel anwesenden Theologen Stephan

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gegeben, falls jemand ihm nicht glauben würde, daß er diese Heiligen Stätten besucht

habe. Der Brief ist am 26. Dezember 1561 geschrieben und vom Patriarch Joachim selbst

unterschrieben.1433

Die geschichtliche Bedeutung dieses Dokumentes besteht darin, daß es Zeugnis einer

Pilgerfahrt auf den Sinai ist, in einem Jahrhundert, in dem sich im Wallfahrtswesen der

westlichen Welt eine verstärkte Krise beobachten läßt.1434 Die Entdeckung der Neuen

Welt, das expandierende Osmanenreich und die aufkommende Reformation, deren

feindliche Einstellung gegenüber der „peregrinatio religiosa“ sich schon im Schrifttum

Martin Luthers feststellen läßt,1435 haben dazu beigetragen, daß immer weniger westliche

Pilger die Heiligen Stätten des Orients besuchten. Für den Zeitraum zwischen dem 14. und

16. Jahrhundert ist die Tatsache in Betracht zu ziehen, daß die deutschen Orientpilger in

der überwiegenden Zahl der Fälle wegen der beträchtlichen Gefahren und der Politik des

Patrons, der solche Pilgerfahrten organisierte, auf den Besuch des Katharinenklosters und

des Sinai verzichteten.1436

Dies ist, z. B., auch bei dem ersten bekannten lutherischen Theologen der Fall, der die

östlichen Heiligen Stätten der Christenheit besucht hat. Salomon Schweigger wandte sich

von Ägypten dem Heiligen Land zu, nachdem ihm vom Besuch des Sinai und des dortigen

berühmten Katharinenklosters wegen umherstreifender Räuberbanden dringend abgeraten

worden war.1437 Der erste bekannte Lutheraner, der die Heiligen Stätten auf dem Sinai

besucht hat ist der pommersche Adelige Franziskus von Billerbeg, der in den Jahren 1581-

1582 eine Orientreise unternommen hat, worüber er Chytraeus im Jahr 1582 berichtete.1438

Gerlach adressiert wurde. Siehe seine Beschreibung der Heiligen Stätten auf dem Sinai bei: Andreas Külzer, Peregrinatio graeca, 352-354. Eine viel ausführlichere Beschreibung der Heiligen Stätten des Sinai bietet ungefähr am Ende des 16. Jahrhunderts der Metropolit Paisios von Rhodos. Siehe seine Beschreibung bei: Andreas Külzer, Peregrinatio graeca, 355 ff. Über die Legende der Heiligen Katharina, die das Martyrium unter Maximinus oder Maxentius am Anfang des vierten Jahrhunderts erlitt, siehe: Heinz Skrobucha, Sinai, 75 ff.

1433 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 85. 1434 Zu dieser Krise vgl. Andreas Külzer, Peregrinatio graeca, 129. 1435 Vgl. Andreas Külzer, Peregrinatio graeca, 129. Martin Sommerfeld, Die Reisebeschreibungen, 821-822. 1436 Der Patron, mit dem man in Venedig einen festen Preis für die Hin- und Rückfahrt vereinbart hatte, war

darauf bedacht, die Pilger möglichst bald wieder nach Jaffa und ins Schiff zurückzubringen und Kosten und Mühen weiterer Exkursionen zu sparen. Vgl. Martin Sommerfeld, Die Reisebeschreibungen, 825-826.

1437 Vgl. Walter Engels, Salomon Schweigger, 236. Salomon Schweigger, Reyssbeschreibung, 256-257. Da der Weg zum Sinai-Kloster zu gefährlich erschien, fuhren Schweigger und seine Begleiter zu Schiff weiter nach Akkon und dann nach Jaffa. Vgl. Andreas Külzer, Peregrinatio graeca, 129.

1438 Der Berg Sinai und der Tal des Nils sind von Franziskus von Billerbeg mit kurzen Einschnitten in der Geschichte des Volkes Israel beschrieben. Billerbeg hat die Gipfel, wo die Übergabe der Zehn Gebote an Moses stattgefunden haben soll, und den Berg der Märtyrerin Katharina besucht. Aus seinem Bericht an Chytraeus scheint auf, daß er das Katharinenkloster nicht besucht hat. Vgl. Michael Neander, Orbis terrae, 496. Über ihn und seine Reise vgl. auch Kap. 6.4.1.

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Im Gegensatz zu Graf Albert von Lewenstein, der die Heiligen Stätten am Sinai verehrt

hat,1439 haben sich die beiden erwähnten Protestanten, besonders Salomon Schweigger

mehr an Natur- und Volkskunde denn an religiöser Überlieferung interessiert gezeigt.

Schweigger betrachtete Reliquien genau wie die verschiedenen Wunder- und

Mirakelerzählungen äußerst kritisch.1440

Die Bestätigung des Patriarchen Joachim von Alexandrien zeigt uns den Fall eines

deutschen Pilgers, für den die Heiligen Stätten des Sinai noch als „terra sancta“ galten. Es

ist klar, daß für Chytraeus nicht dies das entscheidende Motiv der Veröffentlichung der

Bestätigung war, sondern die Tatsache, daß sie von einem von ihm in der „Oratio“

erwähnten Patriarchen stammte. Sie bestätigte, daß seine früheren Informationen korrekt

waren und die abendländischen Christen die Heiligen Stätten des Orients unter der

türkischen Herrschaft besuchen konnten.

Der zweite von Chytraeus veröffentlichte Brief aus dem Jahr 1569, der für die damaligen

deutsch-griechischen Beziehungen wesentlich aufschlußreicher als der erste ältere Brief ist,

stammt vom Bischof Eugenios vom Sinai und ist an Erzherzog Karl von Österreich

adressiert.1441

Der Brief von Bischof Eugenios, dem obersten Mönch des Berges Sinai selbst,1442 beginnt

mit einem Dank an Erzherzog Karl für die Übersendung von hundert Goldstücken durch

einen Mönch Mercurios für die Renovierung und Erneuerung des Klosters. Weiter folgt

eine Schilderung der gegenwärtigen Not des Klosters: Der Sultan, der über Konstantinopel 1439 In der griechischen Fassung des Briefes wird das Verb „πρωσκύνησεν“ und in der lateinischen Fassung

„adoraverit“ verwendet. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 84 und 85. 1440 Zu Einzelheiten vgl. Andreas Külzer, Peregrinatio graeca, 130. Für Salomon Schweigger ist die bereiste

Region – nach Andreas Külzer – „kein Heiliges Land, keine „terra sancta“ mehr, sie ist zu einer bloßen „terra curiosa“ verkommen, eine Entwicklung, die in der griechischen Palästinaliteratur dieser und auch späterer Zeit unvorstellbar ist.“ Ebenda, 130.

1441 Erzherzog Karl regierte nach dem Tod des Kaisers Ferdinand I. in Steiern, Kärnten und Krain. Er machte dort alles mögliche, um die Ausbreitung der evangelischen Lehre zu verhindern. Den Herren und Ritterständen, die zahlreich unter den evangelisch Gesinnten vertreten waren, wurde vom Erzherzog Karl Duldung und Schutz der evangelischen Lehre in Steiern, Kärnten und Krain zugesagt. Aber Karl unterstützte auch die Jesuiten in der Steiermark, die die Gegenreformation anzubahnen suchten. Vgl. Otto Krabbe, David Chyträus, 270-271 und 276.

1442 Der erste Sitz eines Bischofs auf der Halbinsel Sinai war die Stadt Pharan. Nach der Eroberung der Halbinsel durch die islamischen Araber wurde die Stadt zerstört, so daß der letzte bekannte Bischof von Pharan, Theodor, im Jahr 680 amtierte. Auf der Synode in Konstantinopel im Jahr 869 ist zum ersten Mal ein Bischof des Berges Sinai anwesend. Vgl. Heinz Skrobucha, Sinai, 41-42. Eugenios stand dem Kloster Sinai von 1567 bis 1583 vor. Er wurde im Jahr 1575 von Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel zum Erzbischof von Sinai erhoben. Ebenda, 101. Vgl. auch Klaus Schwarz, Osmanische Sultanatsurkunden, 129, Anm. 1. Die selbständige Kirche von Sinai war ein Zankapfel zwischen den Patriarchaten Jerusalem und Alexandrien. Im Jahr 1576 war Eugenios dem Patriarchen von Alexandrien unterstellt. Vgl. Andreas Külzer, Peregrinatio graeca, 355. Eugenios hatte sich sogar im Jahr 1570 in einem Gesuch darüber beschwert, daß die Patriarchen von Alexandria und Jerusalem die den Sinaiten zustehenden Steuern und

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und andere Städte regiert, hat in seinem ganzen Reich ein Gesetz erlassen, nach dem die

Zinsen aller Kirchen und Klöster, die sich in seinem Reich befinden, verkauft und die

Einkünfte den Türken gegeben werden sollen. Nach der dritten Generation sollen die

Zinsen wieder verkauft werden.1443 Aus diesem Erlaß konnte man sehen, schrieb Bischof

Eugenios, daß der Sultan alle heiligen Kirchen und die in seinem Reich wohnenden

Christen vernichten wolle.

Aufgrund dieses Gesetzes mußte das Katharinenkloster 5000 Goldstücken zahlen, aber

weil sie nicht bar zahlen konnten, hatten die Mönche viele ihrer Kirchengeräte und Zinsen

verpfänden müssen.

In diesem Unglück hatten die Mönche1444 als festen Trost und Hoffnung nur „unseren

Herrn Jesus Christus, seine jungfräuliche Mutter und die Hoheit seiner Majestät und das

Heilige Haus Österreich, der uns bis auf diesen Tag ernährt und am Leben erhält.“1445 Für

alle seine Taten möge Gott Erzherzog Karl Gesundheit und Schutz in diesem Leben und

das ewige Reich im Himmel gnädig schenken. Der Brief ist „am 20. März 1569 nach der

Menschwerdung Christi auf dem Berg Sinai gegeben“.1446

Die finanzielle Unterstützung des Katharinenklosters durch das Haus Habsburg bildete nur

einen Teil der großen Spenden, die im 16. und 17. Jahrhundert von Spanien, Italien,

Frankreich, Rußland, Georgien, Serbien oder von den rumänischen Fürstentümern zum

Berg Sinai gingen.1447 Mit diesen Hilfen konnte das Kloster seine Existenz durch die

Jahrhunderte aufrechterhalten.

Abgaben änderten. Der Beglerbeg von Ägypten ordnete an, die Abgaben in ihrer alten Höhe beizubehalten. Vgl. Klaus Schwarz, Osmanische Sultanatsurkunden, 129.

1443 Dieser Erlaß ist in den türkischen und arabischen Sultanatsurkunden des Sinaiklosters, die von Robert Humbsch (Beiträge zur Geschichte) und Klaus Schwarz (Osmanische Sultanatsurkunden) herausgegeben und ins Deutsche übersetzt wurden, nicht bestätigt. Im Gegensatz dazu gibt es zwei Erlasse des osmanischen Statthalters in Ägypten aus den Jahren 1568 und 1569, worin den Sinai-Mönchen unter Berufung auf frühere Sultanserlasse ihre Privilegien bestätigt werden. Vgl. Robert Humbsch, Beiträge zur Geschichte, 374-380 und 382-388.

1444 Im Kloster lebten im Jahr 1576 nach den Angaben von Theodosios Zygomalas 100 griechische Mönche. Vgl. Andreas Külzer, Peregrinatio graeca, 355.

1445 David Chytraeus, Oratio de Statu – Anhang, 81 und 83. 1446 Ebd., 82 und 83. 1447 Vgl. Heinz Skrobucha, Sinai, 83-96. Mit Frankreich z.B. unterhielt das Kloster Sinai sehr enge

Beziehungen. König Ludwig XIV von Frankreich versichert dem Kloster von Sinai seine finanzielle und sonstige Hilfe und bittet den Erzbischof des Klosters, seine Gebete für ihn fortzusetzen. (26. Mai 1649) Der Erzbischof von Sinai Ioannikios bestätigt den Empfang eines für das Sinai-Kloster bestimmten Porträts von König Ludwig XV. von Frankreich und bittet den König um die Sendung finanzieller Hilfe für das sich in großer Not befindliche Kloster. (4. Oktober 1723). Die Beziehungen zwischen dem Kloster Sinai und Frankreich erreichten ihren Höhepunkt, als Napoleon am 19. Dezember 1798 seinen Erlaß zugunsten des Sinai-Klosters in Kairo unterschrieben hatte. Vgl. Polychronis K. Enepekides, Aus Wiener und Pariser Handschriften, 79-81.

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Die Gefahren, die immer wieder in der Geschichte das Leben der im Kloster wohnenden

Mönche bedrohten, waren zweifacher Art: die Beduinen sowie die mamlukischen und

später türkischen Behörden. Obwohl die Beduinen zum Dienst und Schutz des Klosters

und der Pilger dort angesiedelt wurden, kam es öfters zu schweren Zwischenfällen.1448 Die

mamlukischen und türkischen Behörden gewährten dem Kloster Sinai einen besonderen

Status und nahmen es in Schutz,1449 obwohl auch Erlasse gegen das Wohlergehen der

christlichen Klöster veröffentlicht wurden, wie oben Eugenios in seinem Brief an

Erzherzog Karl von Österreich bestätigte.

Die Veröffentlichung dieses Briefes muß mit der Tatsache zusammenhängen, daß

Chytraeus an der Existenz der Christen unter den Türken sehr interessiert war. Die Lage

eines der wichtigsten Klöster des Orients inmitten islamischer Bevölkerung sollte eine

Realität bestätigen, die den Abendländern fast als unmöglich erschien: die Weiterexistenz

der Christen unter der türkischen Herrschaft trotz vieler Schwierigkeiten. Während der

Brief die Existenz einer Ökumene zwischen Orient und Okzident, zwischen Katholiken

und Orthodoxen deutlich macht, zeigt die Veröffentlichung des Briefes durch einen

lutherischen Theologen die Möglichkeit einer Überwindung der konfessionellen Grenzen

und den humanistisch-ökumenischen Geist, von dem Chytraeus immer beseelt war.

1448 Die Beduinen waren Bergbewohner und sie sind die Nachkommen jener dem Kloster von Justinian I.

geschenkten 200 Familien, die dort zum Dienst und Schutz des Klosters angesiedelt wurden. Sie wurden von den Arabern islamisiert. Vgl. Heinz Skrobucha, Sinai, 68. Im Jahr 1492 beraubten sie das Kloster und das führte zur Zerstreuung der Mönche. Der Abt des Klosters wurde 1505 sogar von den Beduinen ermordet. Vgl. Robert Humbsch, Beiträge zur Geschichte, 129.

1449 Für die Zeit um 1569 vgl. Robert Humbsch, Beiträge zur Geschichte, 374-380 und 382-388.

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7 Die Auseinandersetzung um die chytraeische Rede über die Ostkirchen zwischen Possevinus und Chytraeus als Quelle für die Ergänzung des Bildes vom Rostocker Ostkirchenkundler

Die ganze Kirchenpolitik Roms gegenüber den Ostkirchen trachtete in der zweiten Hälfte

des 16. Jahrhunderts danach, diese Kirchen durch die Einrichtung von orientalischen,

jesuitischen Kollegien in Rom und an anderen Orten des orientalischen Missionsgebiets

und durch die Verbreitung von katholischen Schriften in jenen Gebieten unter die

Jurisdiktion des Papstes zu führen, um damit einen Ausgleich für die im Abendland durch

die Reformation verlorenen Gebiete schaffen zu können. Das führte dazu, daß man in der

Korrespondenz zwischen den Tübinger Theologen und Patriarch Jeremias II. „einen

Anschlag auf Rom“ sah.1450 Die von den Katholiken empfundene Gefährdung ihrer

kirchenpolitischen Interessen wurde immer vergrößert, wenn sich Protestanten und

Orthodoxe an bestimmten Orten zu einer Union zusammenzuschließen schienen.1451

Darum rief der Briefwechsel der Tübinger mit Patriarch Jeremias II. seit dem Jahr 1582

eine ganze Flut polemischer, katholischer Literatur hervor.1452

Die Bemühungen des David Chytraeus, die Richtigkeit seiner Aussagen aus der „Oratio“

über die Ostkirchen durch verschiedene Mittelsmänner zum christlichen Osten und durch

eine reiche Korrespondenz mit den an den Ostkirchen interessierten evangelischen

Kollegen nachzuvollziehen, erwiesen sich schon zwei Jahre nach dem Erscheinen der

ersten Ausgabe der „Oratio“ mitsamt dem Anhang1453 als gerechtfertigt. Der italienische

Jesuit Antonius Possevinus1454 fühlte seine gegenreformatorische Tätigkeit in Schweden

durch die auch in Skandinavien ziemlich verbreiteten ostkirchlichen Veröffentli-

chungen,1455 sowie durch andere Veröffentlichungen des Chytraeus,1456 und durch dessen

Tätigkeit im Dienste der Befestigung des Luthertums in Skandinavien1457 bedroht. Der

1450 Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 383. 1451 Vgl. Walter Engels, Wiederentdeckung, 284. 1452 Vgl. dazu: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 383ff. Walter Engels, Tübingen und

Byzanz, 284ff. 1453 Das geschah 1580 in den Ausgaben von Wittenberg, Frankfurt und Rostock. 1454 Zu seinem Leben und Tätigkeit siehe: Barbara Wolf-Dahm, Antonio Possevino, Sp. 857-862 mit

umfangreicher Literatur Sp. 861-862. 1455 Seine Erforschungen über die Ostkirchen teilte David Chytraeus 1579 auch seinen Kollegen in Schweden

und Dänemark mit. Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 273. Sogar die Vorrede der Ausgabe 1580 wurde dem dänischen Kanzler Nicolaus Kasa gewidmet, der sich an den ostkirchlichen Erforschungen des Chytraeus sehr interessiert zeigte. Siehe: David Chytraeus, Oratio de Statu, 3-5.

1456 Als sehr wichtig ist hier die lateinische Auflage seiner „Geschichte der Augsburgischen Konfession“, Frankfurt 1579, zu nennen, die sogar dem König Johann III. von Schweden gewidmet worden war. Vgl. dazu: Rudolf Keller, Confessio Augustana, 86ff.

1457 „Chytraeus war es nämlich, der sich des Protestantismus in Schweden immer wieder aus das eifrigste annahm, indem er einen ausgedehnten Briefwechsel nach Skandinavien unterhielt, immer eine große

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Rostocker wurde von dem Jesuiten als Gegenspieler empfunden, so daß Possevinus, um

Chytraeus zu diskreditieren und dessen protestantische Kirchenpolitik in Nord- und

Osteuropa zu durchkreuzen, 1582 zusammen mit dem Jesuiten Nicolaus Mylonius1458 eine

heftige Streitschrift1459 gegen den Rostocker und seine „Oratio de Statu Ecclesiarum hoc

tempore in Graecia, Asia, etc.“ in Ingolstadt veröffentlichte, die König Johann III. von

Schweden gewidmet war. Chytraeus antwortete 15841460 mit einer Gegenschrift,1461 die er

demselben König widmete, wobei er versuchte die gegen ihn gerichteten Beschuldigungen

der beiden Jesuiten zu widerlegen. Das führte dazu, daß Possevinus 1586, zwei Jahre

später, während er sich als päpstlicher Sonderbeauftragter am polnischen Hof befand,1462

eine zweite Schrift gegen die Antwort des Chytraeus verfaßte, die er wiederum König

Johann III. widmete und im selben Jahr in Posen veröffentlichte.1463

Anzahl von evangelischen Büchern dorthin gehen ließ und auch dazu eine Reihe seiner Schüler und Freunde wiederholt selbst persönlich nach Schweden schickte.“ Walter Engels, Wiederentdeckung, 284. „Während des ausgehenden 16. Jahrhunderts war die schwedische Theologie von der Orthodoxie (scil. lutherische) in Rostock abhängig.“ Anders Jarlert, Schweden II, 656.

1458 Es wurde vor wenigen Jahren von Gerhard Podskalsky behauptet, daß Mylonius nur ein Pseudonym des Possevinus sei. Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 22, Anm. 52. Von den zeitgenössischen Ostkirchenkundlern erkannte Dorothea Wendebourg zuerst, daß Nikolaus Mylonius eine reale Person war, die das Vorwort der ersten Schrift des Possevinus geschrieben hatte. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 388, Anm. 25. Auch hier ist die Angabe des Jahres 1583 als Erscheinungsjahr der ersten Gegenschrift des Possevinus gegen Chytraeus durch 1582 zu korrigieren.

Über Nicolaus Mylonius wird in den alten und neuen Lexika ganz wenig berichtet. Man wußte, daß er ein Jesuit zu Ingolstadt war, der 1582 die Schrift gegen Chytraeus herausgab. Christian Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexikon, Band III, Leipzig, 1751, Sp. 794. Er ist in der DBA, (880, 441) nur darum erwähnt, weil er die erste Schrift des Possevinus gegen Chytraeus ediert hat. Durch die Untersuchung einiger sich in geheimen Archiven befindenden Briefe mit Bezug auf die Gegenreformation in Schweden konnten zuerst Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, I, 606, 652; II, 3. und danach Oskar Garstein, Rome and Counter-Reformation, I, 169, 172 und 216 zeigen, daß Nikolaus Mylonius ein Getreuer des Possevinus war, der eine wichtige Rolle in der gegenreformatorischen Tätigkeit der Jesuiten in Schweden gespielt hatte.

1459 Davidis Chytraei ludimagistri Rostochiensis imposturae, quas in oratione quadam inseruit, quam de statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Africa, Ungaria, Boemia, inscriptam edidit, et per Sueciam, ac Daniam disseminari curavit, Omnia edita in lucem, opera Nicolai Mylonii Theologi Germanj, cum licentia Superiorum, Ingolstadii, 1582. Das Werk wurde erneut 1583 unter dem Namen des Possevinus veröffentlicht: Antonio Possevino, Adversus Davidis Chytraei haeretici imposturas ..., Ingolstadt, 1583. Die Schrift ist 1587 wieder abgedruckt: Antonius Possevinus, Moscovia et alia opera, 278-300.

1460 Die Schrift war schon am 15 Juli 1583 geschrieben, aber erschien erst 1584 in Wittenberg. Vgl. David Chytraeus, Responsio, 106.

1461 David Chytraeus, Responsio ad Antonii Possevini et Mylonii cuiusdam criminationes, Wittebergae, MDLXXXIIII. Die Antwort des Chytraeus wurde 1586 wiederum gedruckt: Doctrinae Jesuiticae praecipua capita. Tom. V. in quo continentur varii libelli adversus fraudes et multiplicia mendacia novae istius Antichristi sectae, quae sacrosanctum Jesu sibi nomen falso et arroganter tribuit, Rupellae, 1586, S. 1-91. Vgl. dazu Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, II, 27, Anm. 11.

1462 Vgl. Barbara Wolf-Dahm, Antonio Possevino, Sp. 860. 1463 Antonii Possevini Societatis Iesu Notae Divini Verbi et apostolicae Ecclesiae fides ac facies ex quatuor

primis Oecumenicis Sinodis: ex quibus demonstrantur I. Fraudes provocantium ad solum Dei verbum scriptum; II. Atheismi haereticorum huius seculi; III. Errores adversantium Kalendario emendato; IIII. Vafricies pervertentium Canones et abutentium nomine SS. Patrum ac Principum in re fidei; ad Ioanem III. Sueciae, etc. Regem Serenissimum, adversus responsum cuiusdam Davidis Chytraei, Posnae in Polonia, 1586. Die Schrift wurde erneut gedruckt 1587 in: Antonius Possevinus, Moscovia et alia opera, 116-278.

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Es geht mir hier nicht darum, den Argumentationsgang jeder dieser drei Streitschriften

nachzuzeichnen, eine Sache, die den Rahmen dieser Untersuchung weit übertreffen und

auch nicht sehr ergiebig für meine Fragestellung sein würde, denn es handelt sich um

Schriften, die in einem polemischen Ton gehalten und in denen überall Unterstellungen

und Beleidigungen, besonders von der katholischen Seite, verstreut sind. Zudem bezieht

sich ihre theologische Problematik auf die bereits bekannten Punkte der konfessionellen

Polemik zwischen Katholiken und Protestanten im 16. Jahrhundert.1464 Außerdem ist die

ganze Polemik sinnlos, da der Hauptgrund ihrer Entstehung die von Possevinus erfundene

Behauptung ist, daß Chytraeus in der ganzen „Oratio“ bezüglich der Ostkirchen zeigen

wollte, daß die lutherische und die griechische Kirche miteinander übereinstimmten.1465

Darum verwandelt sich die ganze Polemik in ein „Nebeneinander-her-reden,“ wobei jeder

der Polemiker sich auf die von ihm anerkannten Autoritäten beruft und nur jene Beispiele

anführt, die seine Argumentation stützen, so daß die Polemik unendlich und ohne ein

konkretes Ergebnis hätte geführt werden können.1466

Es geht uns viel mehr darum, das aus dieser Auseinandersetzung hervortretende Bild des

Ostkirchenkundlers David Chytraeus darzustellen.1467 Darum will dieses Kapitel dazu

Es gibt bis heute einige kurze Darstellungen dieser Auseinandersetzung: Walter Engels,

Wiederentdeckung, 283-285. Wobei seine Behauptung, daß die Streitschriften des Possevinus erst in den Jahren 1584-1586 veröffentlicht worden wären, zu korrigieren ist. Eine kurze zum Teil mit vielen Fehlern skizzierte Darstellung der Auseinandersetzung zwischen den beiden Theologen bei: Walther Delius, Antonio Possevino S J und Ivan Groznyj, 92-94. Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, I, 551-554; II, 26-30 versuchte auch die Grundzüge der Auseinandersetzung wiederzugeben manchmal aber mit unbegründeten Behauptungen und unter einem rein katholischen Gesichtspunkt. Die Auseinandersetzung wird auch von Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 388, Anm. 25 und Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 22, Anm. 52 erwähnt.

1464 Die Streitpunkte unterscheiden sich nicht viel von denen der Polemik des Briefwechsels zwischen Tübingen und Byzanz und die Beweisführung beruhte ebenfalls auf ähnlichen Argumenten. Zur Argumentationsweise der Katholiken und Lutheraner in der Polemik in Bezug auf die Korrespondenz zwischen Tübingen und Byzanz siehe: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 390ff. Während sich die Polemik im ersten Angriff des Sokolovius mehr gegen die Griechen als gegen die Lutheraner richtet (Vgl. Ebenda, 384), spielt die orthodoxe Kirche in der Polemik zwischen Possevinus und Chytraeus immer eine Alibi-Rolle.

1465 Vgl. Nicolaus Mylonius, Praefatio, in: Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 3b. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 45a. Wie aus dem Kapitel 5 erscheint und wie jeder Leser aus der Oratio selbst beobachten kann, ging es dem Chytraeus in seiner Schrift überhaupt nicht darum. Er übte überall Kritik an die Ostkirchen, wo er übriggebliebenen Aberglauben zu beobachten glaubte.

1466 Das war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb David Chytraeus beim zweiten Angriff des Possevinus nicht mehr reagiert hat. Es wäre auch interessant zu wissen, ob der schwedische König, sich so viel Zeit für das Lesen von hunderten von Seiten dieser ihm gewidmeten Bücher der Polemik genommen hat und ob er dadurch beeinflußt wurde.

1467 Die Schrift, die als Hauptquelle für unsere Fragestellung in Betrachtung kommt, ist natürlich die Antwort des Chytraeus auf die Beschuldigungen von Possevinus und Mylonius, die sich besonders in der ersten Streitschrift auf die Oratio des Chytraeus beziehen. Aus diesem Werk kann man erneut die ostkirchlichen Kenntnisse und die Stellung des Rostockers gegenüber der Ostkirche entnehmen. Die zweite Gegenschrift des Possevinus, auf die Chytraeus nicht mehr geantwortet hat, und die eine Widerlegung der Antwort des Chytraeus sein will, spielt für unsere Problematik keine Rolle.

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beitragen, das Bild der ostkirchlichen Kenntnisse und der Stellung des Rostockers zu den

orthodoxen Kirchen zu ergänzen und zu vervollständigen.

7.1 Der kirchenpolitische Hintergrund

Schon bevor David Chytraeus 1582 von Possevinus angegriffen wurde, war er wegen

seiner Veröffentlichungen über die Beziehungen zwischen den Tübinger Theologen und

Patriarch Jeremias II. in der zwischen den westlichen Konfessionen sich abspielenden

Polemik in Bezug auf diesen Dialog miteinbezogen.1468 Da er Anfang 1580 ohne jede

Absprache mit Martin Crusius oder mit sonst jemandem in Tübingen die bis 1580 von

Crusius erhaltenen Briefe im Anhang seiner „Oratio“ veröffentlichte,1469 richtete Jacob

Andreae 1582, als der erste Angriff durch den Prediger des polnischen Königs Stephan

Bathory, Stanislaus Socolovius, erfolgte, den Vorwurf gegen Chytraeus, daß er mit seinen

Veröffentlichungen „den Gegner auf die Fährte gesetzt habe, aus reiner Geldgier und

Ruhmsucht, mit einer Blauäugigkeit in Religionsangelegenheiten, wie sie nur ein

Akademiker an den Tag legen könne.“1470

Während der Vorwurf Jacob Andreaes, was die Angriffe der Katholiken betraf, falsch war,

berief sich der Genfer Theologe Lambert Danaeus 1582 in seiner Polemik mit Stephan

Gerlach bezüglich des Abendmahls1471 auf die Briefe Gerlachs von Konstantinopel, die

Chytraeus am Anhang seiner „Oratio“ veröffentlicht hatte, und warf Gerlach vor, er habe

den Auftrag gehabt, die Griechen und den Patriarchen von Konstantinopel zur Tübinger

Abendmahlslehre und zur Tübinger Christologie zu bekehren, aber der Patriarch habe den

Tübingern eine höchst schmähliche Abfuhr erteilt.1472

Diese Einbeziehung des Rostockers in die Auseinandersetzungen hinsichtlich der

Korrespondenz zwischen Tübingen und Konstantinopel bezieht sich auf einige von ihm im

Anhang der ostkirchlichen Rede veröffentlichte Briefe und betraf ihn daher nicht direkt.

Die einzige Schuld, die ihm vorgeworfen werden könnte, ist die Nichtberücksichtigung der

mit der konstantinopolitanischen Korrespondenz verbundenen Kirchenpolitik der

Tübinger.1473

1468 Vgl. dazu: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 352 ff. 1469 Siehe: Martin Crusius, Diarium, II, 185. 1470 Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 354. Siehe: Martin Crusius, Diarium, II, 551. 1471 Zur ganzen Debatte siehe: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 373-382. 1472 Siehe dazu: ebd., 377ff. 1473 Das wurde ihm, wie oben gezeigt, schon von Jacob Andreae vorgeworfen.

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Aber in dasselbe Jahr 1582 fiel der frontale Angriff der katholischen Theologen Antonius

Possevinus und Nikolaus Mylonius dieses Mal auf den Inhalt der chytraeischen Rede über

die Ostkirchen. Damit wurde nicht mehr eine nicht von Chytraeus stammende Schrift in

Angriff genommen, sondern das eigene Hauptwerk des Chytraeus hinsichtlich der

orthodoxen Kirche des Orients in Frage gestellt und einer ausführlichen Kritik unter einem

rein katholischen Gesichtspunkt unterzogen.

Auf welchem Hintergrund spielte sich aber die Auseinandersetzung zwischen dem Jesuiten

Possevinus und dem Rostocker ab? Die theologischen Interessen beider Theologen

überkreuzten sich genau in Schweden, wo König Johann III. zwischen Katholizismus und

Protestantismus schwankte.1474 Diesen König auf die eigene Seite zu ziehen machten sich

beide zu einem sehr wichtigen Ziel ihrer theologischen Tätigkeit.

Der am 12.07.1533 in Mantua geborene Theologe1475 der katholischen Reform schloß sich

nach den ersten Studien 1559 der Gesellschaft Jesu an, und, nachdem er sich mehrere Jahre

hindurch durch die Ketzerbekämpfung im italienisch-fanzösischen Alpenraum

ausgezeichnet hatte, berief ihn der Ordensgeneral Everard Mercurian nach Rom als sein

Geheimschreiber. 1577 wurde er von Papst Gregor XIII. mit der brisanten

außenpolitischen Mission beauftragt, den schwedischen König Johann III., der nach der

Heirat mit der polnischen, katholischen Prinzessin Katarina Jagellonica 1562 eine

Zuneigung aus persönlichen oder politischen Gründen zum Katholizismus zeigte,1476 für

die römische Kirche zurückzugewinnen.1477 Während zweier Aufenthalte in Stockholm in

den Jahren 1577-1578 und 1579-1580 versuchte Possevinus den schwedischen König für

den Katholizismus zu gewinnen, aber ohne ein öffentliches Bekenntnis des Johann III. zum

Katholizismus erlangen zu können.1478

1474 Vgl. zuletzt Martin Friedrich, Johann III. von Schweden, 200-215. 1475 Die folgenden biographischen Daten über den katholischen Jesuiten Antonius Possevinus beruhen auf der

Darstellung von Barbara Wolf-Dahm, Antonio Possevino, Sp. 857-862. 1476 In einem neulich erschienenen Aufsatz stellte Martin Friedrich die ganze kontinentale, europäische

Geschichtsschreibung über den schwedischen König Johann III., die ihn als einen heimlich zum Katholizismus konvertierten König und als einen opportunistischen Machtpolitiker darstellte, in Frage. Eine solche Betrachtung werde ihm selbst seiner Meinung nach „jedoch kaum gerecht“. Vgl. Martin Friedrich, Johann III. von Schweden, 201ff.

1477 Vgl. Barbara Wolf-Dahm, Antonio Possevino, Sp. 858. 1478 Siehe dazu: Oskar Garstein, Rome and Counter-Reformation, I, 149ff. Auch wenn die

kirchenhistorischen Kompendien – Heussi, Tüchle und Jedin – und die drei Hauptwerke in zugänglichen Sprachen (Theiner - Deutsch, Garstein - Englisch, Biaudet - Französisch) über die kirchlichen Bestrebungen des schwedischen Königs übereinstimmend berichten, daß der König eine förmliche oder heimliche Konversion zum Katholizismus vollzogen habe, wird die heimliche Konversion von Johann III. in den schwedischen Standardwerken bestritten und die Ernsthaftigkeit seiner Kirchenpolitik betont. Vgl. dazu: Martin Friedrich, Johann III. von Schweden, 201-203. Neulich schrieb Anders Jarlert in seinem TRE-Artikel über Schweden: „Die Angaben des Nuntius Antonio Possevino (1533-1611) über eine

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David Chytraeus, der ebenfalls großes Interesse an der Befestigung und der Ausbreitung

der lutherischen Lehre in Schweden hatte, unterhielt schon seit 1574 Beziehungen zu

Schweden.1479 In diesem Jahr schrieb er Johann III. und bat ihn, mehrere schwedische

Studenten nach Deutschland zu schicken, um an der lutherischen Universität von Rostock

zu studieren.1480 Der Rostocker hatte Johann III. 1576 die deutsche Fassung seiner

Geschichte der Augsburgischen Konfession geschenkt.1481 Während sich Possevinus um

die Rückgewinnung des schwedischen Königs zum Katholizismus bemühte, intensivierte

auch Chytraeus seine Beziehungen zu Johann III., indem er diesem die lateinische Auflage

seiner „Geschichte der Augsburgischen Konfession“, Frankfurt 1579, widmete.1482 In der

Vorrede, die persönlich an den König von Schweden adressiert war, rühmt der Rostocker

den Vater König Johann III., Gustav Wasa, wegen der Annahme der evangelischen Lehre

und hebt dessen Mühe hervor, diese Lehre bekannt gemacht und sie an die Nachkommen

weitergegeben zu haben. Gustav Wasa habe richtig erkannt, daß die wichtigsten Artikel der

Lehre vom ewigen Heil in der CA zusammengefaßt seien. Alle Frommen würden sich

freuen, wenn Johann III. in diesem christlichen Bekenntnis seines Vaters standhaft

beharren würde.1483 Chytraeus wolle mit seinem Buch allen Bewohnern des schwedischen

Reiches zur wahren Gottesverehrung helfen und verstehe seine Widmung als ein Zeugnis

für die Einheit der Kirchen der Augsburgischer Konfession.1484 Durch diese Vorrede wollte

Chytraeus den wegen der Jesuitenmission in Gefahr geratenen König zur Beständigkeit im

reformatorischen Glauben ermahnen.

heimliche Konversion des Königs werden von anderen Quellen nicht bestätigt.“ Anders Jarlert, Schweden II, 654.

1479 Siehe dazu: Rudolf Keller, Confessio Augustana, 90, Anm. 49. 1480 Vgl. Oskar Garstein, Rome and Counter-Reformation, I, 175. Es ist uns sogar ein schwedischer Schüler

von David Chytraeus bekannt, Botvidus Nericius, der 1572 zum Katholizismus übertrat und am Collegium Germanicum studierte. Mit der Empfehlung des Possevinus wurde er zum Priester und später sogar zum Bischof ordiniert. Vgl. Oskar Garstein, Jesuit educational strategy, 111-112.

1481 Siehe den Brief an König Johann III. vom 7. Juli 1576: David Chytraeus, Epistolae, 1123-1125. Vgl. dazu Rudolf Keller, Confessio Augustana, 90. Das Widmungsexemplar des David Chytraeus an den König befindet sich in der UB Lund. Ebenda, 90, Anm. 50.

1482 Vgl. dazu: Rudolf Keller, Confessio Augustana, 86ff. 1483 Siehe die vollständige Darstellung dieser Vorrede bei Rudolf Keller, Confessio Augustana, 88-89. 1484 Vgl. Rudolf Keller, Confessio Augustana, 89. Dieselben Gedanken werden von Chytraeus auch in einem

Schreiben von 1579 an Johann III. dargestellt. Vgl. David Chytraeus, Epistolae, 78-79.

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7.2 Die Anfänge und die erste Streitschrift des Possevinus

Während seines ersten Aufenthaltes in Stockholm entdeckte Possevinus 1578 in einem

geheimen Schränkchen seines Quartiers1485 mehrere Werke von David Chytraeus, die er

eifrig durchlas.1486 Daß sich unter diesen Büchern auch die Rede über die Ostkirchen

befand, mag unwahrscheinlich sein,1487 denn Possevinus behauptet in seinem Brief an

Chytraeus vom Mai 1580, daß der Rostocker ihm im Jahr 1580 durch das Lesen seiner

„Oratio“ über den Zustand der Kirchen bekannter wurde.1488 Aber daß 1578 dem

schwedischen König die Rede über die Ostkirchen bekannt war, wird aus der Tatsache

deutlich, daß der König Possevinus in einem unmittelbaren Gespräch mit diesem fragte, ob

man die Glaubensnorm und die Weihe der Priester nicht auch von der orthodoxen Kirche

entlehnen könne.1489

Schon seit 1579 befand sich Possevinus wieder auf seiner zweiten Mission in Schweden.

Ein Jahr später, am 24 März 1580, schickte Chytraeus einen Brief an Johann III., in dem er

ihn bat, daß er öffentlich den Liber Concordiae annehme.1490 Possevinus, der von diesem

Brief Kenntnis genommen hatte, reagierte sofort und antwortete mit einer Zurückweisung

des Inhaltes der Konkordienformel.1491

Da Possevinus sich immer mehr der Gefährlichkeit der Beziehungen zwischen Chytraeus

und Johann III. bewußt wurde und wahrscheinlich auch den starken Eindruck, den die

chytraeische "Oratio" über die Ostkirchen auf den König gemacht hatte, erkannte, schrieb

er im Mai 1580 aus Linköping, wo er sich beim schwedischen König aufhielt, einen langen

1485 Er wohnte in Stockholm im Haus einer reichen Witwe, die von zu Hause für längere Zeit abwesend war.

Vgl. Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, I, 465. 1486 Vgl. ebd. 1487 Die Behauptung des Walther Delius (Antonio Possevino S J und Ivan Groznyj, 93), daß Possevinus

genau diese Rede über die Ostkirchen im geheimen Schränkchen gefunden habe, läßt sich aufgrund der Hinweise von Augustin Theiner auf der Seite 465, die er als seine Quellenbasis zitiert, nicht nachweisen.

1488 Siehe den Text des Briefes bei: Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, II, 214. Er gesteht im selben Brief ein, daß er 1578 schon die Geschichte der Augsburgischen Konfession des Chytraeus gelesen habe. Ebd., 214.

1489 Die achte Frage des Königs an Possevinus lautet: „Könnte man von den Kirchen des Orients, wie z. B. gegenwärtig von der Alexandrinischen oder von einer andern die Glaubensnorm und Fähigkeit Priester zu weihen, rechtmäßig nachsuchen und einholen?“ Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, I, 478. Ebd., 552 behauptet, daß Chytraeus die Schrift dem König zugesandt habe, aber ohne das Jahr zu nennen. Worauf er seine Behauptung stützt, wird nicht angegeben. In den bis heute veröffentlichten Briefen zwischen Chytraeus und Johann III. von Schweden gibt es keine Hinweise auf die Zusendung der Oratio an Johann.

1490 Siehe den Text des Briefes in David Chytraeus, Epistolae, 332-333. Vgl. dazu: Oskar Garstein, Rome and Counter-Reformation, I, 205 und 349, Anm. 8.

1491 Vgl. Oskar Garstein, Rome and Counter-Reformation, I, 205 und 349, Anm. 9 und 10.

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Brief an Chytraeus nach Rostock.1492 In diesem Brief teilte der Jesuit dem Rostocker zum

ersten Mal mit, daß er nicht nur zwei Jahre zuvor dessen Schrift über die Geschichte der

Augsburgischen Konfession, sondern auch 1580 dessen "Oratio" über die Ostkirchen

gelesen und ihm dies Chytraeus noch bekannter gemacht habe.1493 Damit wurden die zwei

Werke des Chytraeus genannt, die im Verlauf der Auseinandersetzung immer wieder

herangezogen wurden. Nach der Lektüre der chytraeischen Werke gesteht Possevinus im

Brief ein, „habe ich oftmals gewünscht, mich mit dir unterhalten zu können, damit du über

den Weg die Wahrheit zu erreichen, von mir, wie gering ich auch bin, irgend etwas hörtest,

daß vielleicht christlicher Frömmigkeit nicht unwürdig ist.“1494

Einige Seiten später kommt Possevinus auf einen wichtigen Punkt seines Schreibens zu

sprechen: „Was aber deine letzte Schrift über den gegenwärtigen Zustand der Kirchen in

Griechenland und den übrigen Regionen des Ostens angeht, hätte ich es gewiß vorgezogen,

daß du sie nicht veröffentlichtest. Denn es gibt viele Punkte, die sich nicht so verhalten,

wie sie dir von einem eiligen Asienreisenden geschrieben worden sind, oder wie du sie aus

anderen Quellen geschöpft hast. In den Übrigen gibt es eben so manche Punkte, die

augenscheinlich ganz weg gelassen werden müßten, weil sie entweder zur Wahrheit, oder

ebenso zu deinen anderen Schriften in Widerspruch stehen.“1495 Dies will besagen, daß der

wahre Zustand der Kirchen Chytraeus überhaupt nicht vertraut sei, und er darum seine

Quellen nochmals nachprüfen müsse.

Der an Chytraeus gerichtete Brief war als eine Mahnung in brüderlicher Liebe gedacht,

bevor der Jesuit einen öffentlichen Angriff eingehen wollte: „Denn ich wollte nicht früher

etwas veröffentlichen (obwohl es Leute gibt, die dies wünschen und daß mir durch die

Gnade Gottes nicht schwer fiele, dies zu leisten) ohne dich zuvor eingedenk des

evangelischen Rates, lieber Chytraeus, in brüderlicher Liebe zu mahnen.“1496

Durch dieses Schreiben versuchte Possevinus dem Rostocker klar zu machen, daß die

katholische Kirche die einzige und wahre Kirche sei und daß es Chytraeus noch nicht

bewußt sei, daß alles, was er bei den Ostkirchen als richtig gefunden habe, katholisch

sei.1497 Darum ermahnt Possevinus den Rostocker am Ende des Schreibens in den Schoß

der katholischen Kirche zurückzukehren, außerhalb derer es kein Heil gebe, und bittet

1492 Der Text des Briefes ist unter dem Titel „Davidi Chytraeo Rostochiensi Antonius Possevinus“

abgedruckt: Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, II, 213-219. 1493 Vgl. ebd., 214. 1494 Ebd. 1495 Ebd., 217. 1496 Ebd., 218. 1497 Vgl. Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, II, 215-218.

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Jesus Christus die Augen des chytraeischen Vertandes dafür zu erleuchten.1498 Das

eingebildete Programm des Possevinus in bezug auf die Zurückgewinnung des Chytraeus

für den Katholizismus ist in diesem Schreiben sehr deutlich entworfen. Es wurde aber erst

zwei Jahre später in die Tat umgesetzt. Eine Antwort des Rostockers auf diesen Brief oder

eine Andeutung darauf, daß er den Brief empfangen habe, ist mir aus seinen Briefen und

Schriften nicht bekannt.

Nachdem die Restauration des Katholizismus in Schweden von Possevinus nicht vollzogen

werden konnte, wurde der katholische Diplomat vom Papst auf die Bitte des russischen

Zaren hin nach Osten gesandt, um als Vertreter des Heiligen Stuhls im Krieg zwischen Zar

Iwan IV. dem Schrecklichen und dem polnischen König Stephan Báthory zu vermitteln,1499

wobei er auch das Zustandekommen einer kirchlichen Union der orthodoxen Russen mit

Rom im Blick hatte.1500

Nachdem Possevinus am 15.01.1582 den Abschluß eines auf zehn Jahre befristeten

Waffenstillstandes zwischen Rußland und Polen erreicht und mehrere theologische

Gespräche mit dem Zaren in Moskau geführt hatte, begleitete er eine Gesandtschaft Iwans

IV. zum Heiligen Stuhl nach Rom.1501 Possevinus kam mit der moskowitischen

Gesandtschaft Ende Juni über Prag nach Augsburg, wo sich Kaiser Rudolf II. auf dem

Reichstag aufhielt.1502 Hier erfuhr der katholische Jesuit erneut vom Einfluß, den

Chytraeus und einige seiner Schüler auf den schwedischen König Johann III. hatten.1503

Schon im Oktober 1582 kehrte er als päpstlicher Sonderbeauftragter an den polnischen Hof

nach Warschau zurück, wo er zwischen 1582 und 1586 zu den engsten Vertrauten Stefan

Báthorys gehörte.1504 Da Possevinus die Schrift des Chytraeus über die Ostkirchen 1582

1498 Vgl. ebd., 219. 1499 Vgl. dazu: Walther Delius, Antonio Possevino S J und Ivan Groznyj, 44ff. 1500 Antonius Possevinus führte im Frühjahr 1582 drei religiöse Gespräche mit dem Zaren, um ihn zu einer

Union mit Rom zu bewegen, aber sie blieben erfolglos. Vgl. zu diesen Gesprächen: Walther Delius, Antonio Possevino S J und Ivan Groznyj, 78-91. Stanislas Polcin S. J., Une tentative d’Union au XVIe siècle, 36-52. Schon 1570 versuchte der böhmische Bruder Jan Rokyta Iwan IV. den Schrecklichen von der Wahrheit der evangelischen Lehre zu überzeugen, aber das Gespräch endete mit der Verwerfung der protestantischen Lehren vom Zaren als häretisch. Zu dieser Episode siehe: Ivan IV il Terible, Jan Rokyta; Disputa sul Protestantismo, un confronto tra Ortodossia e Riforma nel 1570, Introduzione, versione e note a cura di Laura Ronchi De Michelis, Claudiana Editrice, Torino, 1979. Vgl. auch Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 125-126.

Dennoch hatte die unionistische Tätigkeit des Possevinus in Polen Erfolg, als ein Teil der orthodoxen Ruthenen in Brest-Litovsk 1595-1596 eine Union mit Rom annahmen. Zur Rolle des Possevinus siehe: Oscar Halecki, From Florence to Brest (1439-1596), 199-222.

1501 Vgl. Barbara Wolf-Dahm, Antonio Possevino, Sp. 860. 1502 Vgl. Walther Delius, Antonio Possevino S J und Ivan Groznyj, 92. 1503 Vgl. ebd. 1504 Vgl. Barbara Wolf-Dahm, Antonio Possevino, Sp. 860.

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auch „in den Händen Stephans“1505 fand, entschied er sich unverzüglich die von ihm an der

„Oratio“ des Chytraeus festgestellten Fälschungen in einer öffentlichen Schrift, wie er

schon im Brief an Chytraeus vom Mai 1580 angekündigt hatte, zu enthüllen. Ohne genaue

Einzelheiten über die Entstehung dieser Schrift zu kennen, wissen wir, daß sie noch 1582

in Ingolstadt von seinem getreuen Schüler Nikolaus Mylonius, der auch sein polemisches

Vorwort zur Schrift des Possevinus beifügte, herausgegeben wurde,1506 allerdings ohne den

Namen des Possevinus zu erwähnen.1507

Nicolaus Mylonius ist eine bis heute fast unbekannt gebliebene Figur der Gesellschaft

Jesu. Er war ein Zögling des jesuitischen deutschen Kollegiums und begleitete Possevinus

während seines zweiten Aufenthaltes in Schweden als einer seiner engsten Getreuen.1508 Es

gelang ihm und seinem Kollegen Ardulph einmal sogar, neun schwedischen Frauen in den

Schoß der römischen Kirche zurückzuführen.1509 Als Possevinus am 10. August 1580

Stockholm verließ, nahm er auch Nicolaus Mylonius mit und ließ ihn als Agenten des

heiligen Stuhles in Danzig, um über die Missionen und die kirchlichen Angelegenheiten

Schwedens zu wachen.1510 1582 befand er sich dann in Ingolstadt, wo er auch im selben

Jahr noch eine andere Schrift des Possevinus herausgab.1511

In seinem ebenfalls dem schwedischen König gewidmeten Vorwort zur Streitschrift des

Possevinus gegen Chytraeus, die 1582 zuerst anonym herausgegeben wurde,1512 mischt

sich auch der deutsche Jesuit Nicolaus Mylonius in die Polemik ein, indem er ebenfalls zu

den beiden oben erwähnten Schriften des Rostockers kritisch Stellung nimmt und ihn

mehrmals als Häretiker abstempelt.

1505 Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, II, 27. 1506 Davidis Chytraei ludimagistri Rostochiensis imposturae, quas in oratione quadam inseruit, quam de statu

Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Africa, Ungaria, Boemia, inscriptam edidit, et per Sueciam, ac Daniam disseminari curavit, Omnia edita in lucem, opera Nicolai Mylonii Theologi Germanj, Ingolstadii, 1582.

1507 Das führte Gerhard Podskalsky zum falschen Schluß, daß Nicolaus Mylonius ein Pseudonym des Possevinus sei. Vgl. Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie, 22, Anm. 52.

1508 Vgl. dazu Oskar Garstein, Rome and Counter-Reformation, I, 169 und 172. Von den Mitarbeitern des Possevinus in Schweden wurden nur er und Johann Ardulph auf den Reichstag von Wadstena mitgenommen, während die anderen Mitarbeiter in Torvesund zurückgelassen wurden. Vgl. Augustin Theiner, Schweden und seine Stellung, I, 606.

1509 Vgl. Ebd., I, 652. 1510 Vgl. Ebd., II, 3. Oskar Garstein, Rome and Counter-Reformation, I, 216. 1511 Responsiones ad viri cuiusdam pii septentrionalis interrogationes, qui de salutis aeternae comparandae

ratione, ac de vera Ecclesia cupiebat institui, Nicolaus Mylonius, Ingolstadt, 1582. Die Schrift erschien erneut 1583 unter dem Namen von Antonius Possevinus.

1512 Nicolaus Mylonius, Praefatio, in: Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 1-4. Da in der Ausgabe, die ich besitze, die Nummer einer Seite für zwei Seiten gleichzeitig angegeben wird, werde ich die der Nummer entsprechende linke Seite mit a und die der Nummer entsprechende rechte Seite mit b angeben.

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Der Rostocker wird ganz am Anfang des Vorwortes in einer Art dargestellt, wie es

weiterhin auch in der ganzen Schrift anzutreffen ist: „David Chytraeus, das ist der, der in

Rostock viele Leute aus den Königreichen Eurer Majestät und von Dänemark, indem er

„litteras humaniores“ lehrte, mit verschiedenen Häresien infiziert hat (haeresibus variis

infecit), weil er weder ein Theologe war, noch im katholischen Glauben und Frömmigkeit

feste Fundamente gelegt hatte; er hat in den letzten Jahren, in denen er lebte, deutliche

Beweise für seine Unbeständigkeit gegeben – bekanntlich verändern sich die Ketzer immer

nur zum Schlechten.“1513 Damit ist die angebliche Hauptschuld des Chytraeus, wegen der

er in dieser Schrift angegriffen wird, genannt: die Infizierung der skandinavischen

Halbinsel mit Häresien, d. h. mit reformatorischen Lehren.

Durch sein Buch über die Geschichte der Augsburgischen Konfession und besonders durch

seine herausgegebene Rede über die Ostkirchen, „in der die übelsten Lügen (putidissima

mendacia) enthalten sind“,1514 verbreite er seine Häresien überall und offenbare dadurch,

daß er nicht nur ein Lutheraner, sondern auch ein Picardier und Kalvinist sei.1515

Da die Bücher des Chytraeus durch die getreuen Untertanen Johanns III., die darunter

leiden würden, daß die Schar aller Märtyrer und gleichsam das ganze Theater der

Theologen aufgrund der Träumereien eines ganz unbeständigen Hilfslehrers (paedagoguli)

für nichts gehalten werden müßten, in ihre (des Mylonius und Possevinus) Hände gelangt

seien,1516 und Chytraeus trotz ihres (scil. Jesuiten) an ihn gerichteten Briefes1517 nicht zur

Wahrheit gekommen sei, hätten alle guten Menschen daran gedacht, daß die Dinge, die

gegen ihn geschrieben worden waren, veröffentlicht werden sollten.1518

Chytraeus wird auch beschuldigt, daß er durch die Veröffentlichung einiger Briefe des

Ökumenischen Patriarchen an ihn und an andere Ketzer (gemeint sind die Tübinger

Theologen) einfältigen Menschen die Übereinstimmung der griechischen mit den

lutherischen Lehren einreden wollte.1519 Aber derselbe Patriarch habe in seiner Antwort

gezeigt, daß die Häresien der Lutheraner schon vor vielen Jahrhunderten verdammt worden

seien, so daß den Lutheranern nicht anders als das Schweigen geblieben sei. Alles sei

durch die dokumentierte Veröffentlichung des Sokolovius ans Licht gekommen.1520

1513 Nicolaus Mylonius, Praefatio, in: Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 1. 1514 Ebd., 2a. 1515 Ebd. 1516 Ebd., 2b-3a. 1517 Gemeint ist der Brief von Possevinus vom Mai 1580. 1518 Nicolaus Mylonius, Praefatio, in: Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 3b. 1519 Ebd. 1520 Nicolaus Mylonius, Praefatio, in: Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 4a.

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Damit führt Mylonius die Schrift des Possevinus als eine Fortsetzung der katholischen

Polemik gegen die Lutheraner, die Sokolovius einige Monate vorher begonnen hatte, ein.

Nachdem das Buch des Chytraeus als ein Buch voller Lügen über die Confessio Augustana

von Fabricius Leodius bestätigt worden sei, so beginnt Antonius Possevinus seine

Streitschrift gegen die „Oratio“ des Chytraeus, gehe der Rostocker auch in diesem Werk

genauso vor. Angeblich deute er die Chronik Carionis aus, aber dabei widerspreche er sich

selbst und lüge konfus, so daß man an der kleinen Schrift leicht erkennen könne, wie

unbeständig und aufgeblasen sein Charakter sei und daß er keine Religion habe.1521

Die Schrift des Possevinus nimmt sich vor, acht angebliche Fälschungen aus der Oratio

über die Ostkirchen zu enthüllen. Er zitiert oder paraphrasiert meistens zuerst die Stelle aus

der Rede des Chytraeus, die als falsch angezeigt und enthüllt werden soll, und danach folgt

die Enthüllung (detectio) der vermuteten chytraeischen Fälschung.

Die so genannten acht chytraeischen Fälschungen, die Possevinus zu entlarven versucht,

sind auch nicht von gleicher Art. Es gibt kurz zitierte Fälschungen, die sich auf eine

konkrete Lehre beziehen: die Griechen pflegten nicht, Messe ohne Kommunikanten zu

feiern (impostura 2); sie teilten die Eucharistie unter beiderlei Gestalt an das Volk aus

(impostura 4); bei den Griechen würden verheiratete Männer nicht vom Priestertum

ferngehalten (impostura 5). Des weiteren gibt es Fälschungen, die als ganze Abschnitte aus

der "Oratio" zitiert und danach widerlegt werden (imposturae 1, 3, 6, 7, 8).

Die erste „Fälschung“: Possevinus zitiert wörtlich die Stelle aus der chytraeischen Oratio,

wo der Rostocker zuerst Gott danke, weil die christlichen Kirchen in Griechenland nicht

nur toleriert würden, sondern sie auch ihre Lehre, ihren Kultus, ihre Organisation und die

Stellung der Bischöfe, sowie ihr ganzes öffentlich-rechtliches Kirchenregiment unter der

türkischen Herrschaft behaupten könnten.1522

Die Enthüllung der „Fälschung“: In seiner Kritik führt Possevinus zuerst die Stellen aus

der Oratio an, wo Chytraeus in Griechenland und Asien die Gebete für die Toten und

Lebendigen, die Anrufung der Jungfrau Maria und der Heiligen, die Verehrung der Ikonen,

die Rechtfertigung aus Gnade und guten Werken,1523 die Legaten des Priesterkönigs

Johannes an den Papst Clement VII., die Übersetzungen der Schriften des Thomas von

Aquin ins Griechische und den Eifer, mit dem diese Bücher gelesen würden, erwähnt. 1521 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 5a. 1522 Vgl. ebd., 5b. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 8. Wir zitieren die entsprechenden Stellen

wiederum nach der Ausgabe Frankfurt 1583. Possevinus zitiert nach einer der Ausgaben des Jahres 1580. Entweder Rostock 1580 oder Wittenberg 1580.

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Nachdem er diese Stellen genannt hat, fragt der Jesuit rhetorisch: „Was nützen diese

Dinge, die Lutheraner und andere Ketzer zu zerpflücken pflegen, zum Beweis des

Luthertums und nicht eher zum Beweis des alten und katholischen Glaubens?“1524

„Welches Gewicht hat das, um die neuen Häresien zu stützen?“1525 und schließt seine

Enthüllung mit der Behauptung: „...er meuchelt sich (scil. Chytraeus) selbst mit seinem

eigenen Schwert und ob er will oder nicht, verrät er, wie groß die Macht des katholischen

Glaubens auch unter den Schismatikern ist.“1526

Damit redet er in seiner ganzen Argumentation an der Rede des Chytraeus vorbei, denn der

Rostocker wollte mit seiner Rede über die Ostkirchen nicht die Übereinstimmungen

zwischen Orthodoxen und Lutheranern hervorheben und die Unterschiede verschweigen.

Der Rostocker wendet die reformatorischen Prinzipien an, um Unterscheidungen zwischen

den wahren und falschen Lehren der orthodoxen Kirche zu treffen. Wie wir schon bei der

Untersuchung der chytraeischen Rede gesehen haben, wurde diese Schrift auch sehr stark

durch die Fragestellung der Auseinandersetzungen der Lutheraner mit Rom bestimmt und

aus der Perspektive der lutherischen Orthodoxie heraus verfaßt. Daß Chytraeus in seiner

Rede immer die vorhandenen Übereinstimmungen zwischen Orthodoxen und Lutheranern

hervorzuheben versucht, kann nicht in Frage gestellt werden. Das ist es, was Possevinus

eigentlich stört, nämlich daß der Rostocker bei den schismatischen Orthodoxen Beweise

für die Richtigkeit seiner Lehre sucht.

Er tut aber das Gleiche und hebt in seiner ganzen Schrift die Übereinstimmungen zwischen

Katholiken und Orthodoxen als ein Beweis für die Richtigkeit der katholischen Lehren

hervor. Darum geht es sowohl bei Possevinus als auch bei Chytraeus um eine

Beweisführung,1527 die nicht erfolgreich geführt werden kann, da bei beiden die orthodoxe

Kirche nur eine Alibi-Rolle spielt. Es geht hier um die Kriterien, nach denen eine Lehre als

wahr oder falsch bezeichnet werden kann, und die stimmen bei Possevinus und Chytraeus

nicht überein. Dadurch ist die ganze Auseinandersetzung von Anfang an sinnlos und ohne

jede Perspektive.

1523 Er zitiert wörtlich die von Chytraeus zitierte Stelle aus Basilius dem Großen. Vgl. David Chytraeus,

Oratio de Statu, 16. 1524 Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 6a. 1525 Ebd., 6a. 1526 Ebd., 6b. 1527 In seiner Antwort wird David Chytraeus ganz klar die Kriterien anführen, nach denen er den Nachweis

der Wahrheit einer Lehre zuläßt.

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Die zweite „Fälschung“: Chytraeus behaupte, daß die Griechen eine Messe ohne

Kommunikanten nicht zu feiern pflegten.1528 Dabei ist zu beachten, daß die Behauptung

des Chytraeus: „Nec Missas privatas absque communicantibus ab eis celebrari solere...“1529

von Possevino unvollständig angeführt wird: „Graeci missas absquae communicantibus

celebrare non solent.“1530 Es ging hier dem Rostocker um die Winkelmesse der Katholiken

und nicht um die normale Messe, so wie Possevinus die Stelle anführt.

Die Enthüllung der „Fälschung“: Diese Behauptung des Chytraeus sei eine Fälschung,

weil nicht alle Griechen diesem Brauch folgen würden – eine nicht von Chytraeus

behauptete Tatsache – denn die Griechen, die auf verschiedenen Inseln und in Magna

Graecia lebten, würden den katholischen Ritus folgen.1531 Dadurch wird wiederum an

Chytraeus vorbei geredet, indem Possevinus mit dem Begriff Griechen, den Chytraeus als

Synonym für die Orthodoxen benutzt, spekulativ umgeht.

Die dritte „Fälschung“: Die dritte Beschuldigung des Possevinus bezieht sich auf die

Behauptung des Chytraeus, daß in dem griechischen Kanon nicht die geringste Erwähnung

dessen getan werde, daß das Opfer des Leibes und Blutes Christi zur Erlösung der

Lebenden und Toten dargebracht werde, und daß man eine „logiké latreía“ mit Bitten,

Danksagungen und Lobpreisungen Gottes und Almosen feiere, die man vornehmlich für

den Gebrauch der Armen darbringe, wie aus den Worten des Kanons hervorgehe: „Wir

bringen Dir das Deine vom Deinigen dar.“1532

Die Enthüllung der „Fälschung“: Possevinus zitiert sofort einen Teil des Fürbittengebetes

nach der Epiklese, das sich sowohl in der Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos als

auch in der Liturgie des heiligen Basilius findet, wo aller derer, die in Hoffnung der

Auferstehung zum ewigen Leben entschlafen sind, gedacht und zu Gott gebetet werde,

ihnen Ruhe im Licht seines Angesichtes zu schenken.1533 Chytraeus wird daraufhin

rhetorisch gefragt: „Wird hier denn nicht das Opfer erwähnt, das für die Toten dargebracht

wird?“1534 Es wird danach auch auf ähnliche Stellen in der Jakobusliturgie, im achten Buch

der Apostolischen Konstitutionen und bei Dionysius Areopagita hingewiesen.1535

1528 Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 6a. 1529 David Chytraeus, Oratio de Statu, 14. 1530 Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 6a. 1531 Ebd., 7a. 1532 Ebd., 7b. David Chytraeus, Oratio de Statu, 14. 1533 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 7b. Vgl. dazu Die Göttliche Liturgie, 138-139 und

216-217. 1534 Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 7b. 1535 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 7b.

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Possevinus weist aber auf eine Stelle hin, wo Chytraeus dennoch behaupte, daß sich in

Griechenland der Brauch verfestigt habe, zu beten und ein Opfer oder eine Messe für die

Lebenden und Verstorbenen darzubringen. Damit wird er wiederum beschuldigt,

Widersprüchliches zu sagen1536 und Gedanken voll von Gotteslästerung zu haben, da er

glaubte, daß das Opfer des Leibes des Herrn unvollständig sei und nicht mehr wie am

Kreuz, so auch jetzt den Lebenden und Toten nutze.1537

Er stellt danach die katholische Auffassung dar, gemäß der der Schatz des grenzenlosen

Verdienstes Christi, der durch das eigene Opfer des Herrn errungen wurde, nie erschöpft

werden könne.1538

Chytraeus deute die Worte aus dem griechischen Kanon, die sich auf die Darbringung des

Opfers beziehen und auch im lateinischen Kanon existieren würden, auf die Almosen, aber

diese Auffassung werde von einer anderen Stelle aus der Chrysostomus-Liturgie1539 und

von vielen anderen Aussagen der griechischen Väter und einiger Konzilien widerlegt.

Darum fragt Possevinus wiederum: „Was für eine Art von Opfer ist das, das man

vernünftig und unblutig nennt?“1540

Auf diese Frage ist bis heute auch in der orthodoxen Theologie nicht einheitlich

geantwortet worden.1541 Es geschieht hier eine Instrumentalisierung des Opfercharakters

der griechischen Liturgien, um die eigene Auffassung belegen zu können. Die Stellung des

Chytraeus wird sich in seiner Antwort präzisieren.

Die vierte „Fälschung“: Das ganze Sakrament werde von den Griechen in beiderlei

Gestalt auch dem Volk gereicht.1542

Die Enthüllung der „Fälschung“: Hier antwortet Possevinus mit einem Hinweis auf die

Liturgie der Vorgeweihten Gaben, die während der großen Fastenzeit außer Samstag und

Sonntag vollzogen werde und während derer die Gläubigen die Eucharistie nur unter einer 1536 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 8a. Der Vorwurf des Possevinus stimmt in diesem

Fall nur mit der Anmerkung überein, daß diese Gebete für die Toten in der Liturgie vom Rostocker als eine neue der alten Kirche unbekannte Entwicklung betrachtet würden. Vgl. die Aussage des David Chytraeus, Oratio de Statu, 20.

1537 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 8a. 1538 Vgl. ebd. 1539 Es ist die Rede vom ersten Teil des Epiklesegebetes, wo der Priester betet: „Auch bringen wir dir diesen

geistigen und unblutigen Dienst dar, und rufen dich an und bitten dich und flehen dich an: Sende deinen Heiligen Geist auf uns und auf diese vorliegenden Gaben herab.“ Die Göttliche Liturgie, 132-133 und das von Possevinus in lateinischer Übersetzung zitiert wird. Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 8b.

1540 Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 8b.Ganz am Ende dieses Kapitels schreibt Possevinus wieder: „Quare Chytraee istam ficti Theologi laruam deponere, ac te, si sapis, intra Grammaticae cancellos actutum recipe.“ Ebenda, 9a.

1541 „Im Rahmen der orthodoxen Theologie gibt es sehr große Unterschiede in der Auslegung und Bestimmung dieses Opfercharakters“. Karl Christian Felmy, Die orthodoxe Theologie, 210.

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Gestalt empfangen würden. Darum erscheine Chytraeus wiederum als ein Fälscher und

Lügner.1543

Chytraeus hatte immer jenes in der Oratio dargestellt, was in der Ostkirche als Hauptregel

galt, und war nicht auf alle Einzelheiten eingegangen. Auch während dieser Liturgie

empfingen die Gläubigen den Leib Christi, der mit Wein übergossen wurde, so daß es

Chytraeus für unnötig gehalten hatte, den ihm sicherlich bekannten Brauch einzeln zu

erwähnen. Die groben Beleidigungen des Possevinus erscheinen wiederum als ungerecht.

Die fünfte „Fälschung“: Bei den Griechen würden verheiratete Männer vom Priesteramt

nicht ausgeschlossen.1544

Die Enthüllung der „Fälschung“: Wie die obige Behauptung des Chytraeus will auch

diese eine allgemeine Feststellung sein, die wenn man nach ihren Einzelheiten fragt, nicht

mehr stimmt. Deshalb behauptet der Jesuit sofort: „Aber dies ist nicht gänzlich wahr.“1545

Denn den schon ordinierten Geistlichen werde bei den Griechen eine Ehe nach der Weihe

nicht mehr erlaubt und Geistliche, deren erste Frau gestorben ist, dürften auch nicht mehr

heiraten. Ebenso würden die Bischöfe von den Hieromonachen1546 ausgewählt und diese

seien also stets ehelos.1547

Chytraeus wird von Possevinus vorgeworfen, daß er solche Beispiele nimmt, die von der

Reinheit der alten Kirche abgewichen seien,1548 nämlich Beispiele aus der griechischen

Kirche des 16. Jahrhunderts, da die Rede des Chytraeus über den Zustand dieser Kirche zu

jener Zeit berichtet. Hier versucht Possevinus die ganze Strategie des Streites zu ändern,

indem er nicht mehr die griechische Kirche des 16. Jahrhunderts als Referenzbasis

annehmen will: „Warum führt er (scil. Chytraeus) nicht die Beispiele der apostolischen

Kirche selbst und der ursprünglichen Kirche oder sogar der ganzen griechischen Kirche

vor 700 Jahren an,1549 von welchem Zeitpunkt an die Griechen größere Verfehlungen auf

ihre Fehler häuften?“1550 Seit diesem Zeitpunkt werden die apostolische und die alte Kirche

immer als Muster herangezogen und das wird sich später zugunsten des Chytraeus

auswirken.

1542 Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 9a. 1543 Vgl. ebd., 9b. 1544 Vgl. ebd. 1545 Ebd., 10a. 1546 Die Hieromonachen sind in der orthodoxen Kirche Mönche, die schon zum Priester geweiht sind. 1547 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 10a. 1548 Vgl. Ebd. 1549 Es handelt sich um die Zeit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, als die Spannungen zwischen Rom

und Konstantinopel in der Zeit des Patriarchen Fotius zu verzeichnen sind. 1550 Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 10a.

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Danach versucht Possevinus, indem er Beschlüsse alter Konzilien erwähnt und lange

Stellen aus den lateinischen und griechischen Kirchenvätern wörtlich zitiert bzw. anführt,

Chytraeus zu zeigen, daß das Zölibat in der Kirche von Anfang an existiert habe und auch

nicht von Menschen erfunden, sondern vom Heiligen Geist verordnet worden sei und also

mit der göttlichen Lehre übereinstimme,1551 wobei er eine solche Auswahl trifft, die seine

Beweisführung unterstützt und auch viele der angeführten Stellen ganz klar durch seine

Auslegung entstellt.

Die sechste „Fälschung“: Possevinus zitiert die Stelle aus der „Oratio“, wo Chytraeus

behaupte, daß die neuesten Formen der Liturgien, obwohl sie für die Seelen der

Verstorbenen beteten, kein Opfer für die Erlösung der Seelen aus dem Feuer des

Fegefeuers bringen würden.1552 Die Griechen würden drei Aufenthaltsorte der Toten

unterscheiden: Himmel, Hölle und einen Zwischenort zwischen den Seligen und

Verdammten, wo sich die in der letzten Stunde des Lebens erst zu Gott Bekehrten

aufhielten und aus dem diese durch Almosen und Gebete der Lebendigen befreit werden

könnten. Dennoch würden die Griechen diesen Ort nicht Fegefeuer nennen.1553

Die Enthüllung der „Fälschung“: Auch dieses Mal kann Possevinus die Aussage des

Chytraeus, so wie sie formuliert ist, nicht widerlegen.

Dennoch führt er einige Stellen aus den Homilien des Johannes Chrysostomus an,1554 mit

Hilfe derer der Jesuit Chytraeus zu verdeutlichen versucht, daß seine Theorie, gemäß

welcher nur in den neuesten Formen der griechischen Liturgien die Gebete für die Toten

eingeführt wären, nicht richtig sei, da Chrysostomus selbst erwähne, daß Darbringungen,

Gebete und Almosen für die Toten nicht nutzlos, sondern empfehlenswert seien.1555

Was das Fegefeuer betreffe, könne man nach der Aussage des Possevinus Beweise für

diese Lehre schon seit dem Zeitalter der Apostel anführen! Dabei erwähnt er kurz einige

Stellen bei Basilius dem Großen, Gregor von Nyssa, Maximus Confessor, Johannes

Damascenus und Gennadios Scholarios, in denen sie von einem reinigenden Feuer

sprechen würden, das von Possevinus als Aussagen über einer Lehre vom Fegefeuer

1551 „Sacerdotum caelibatum Divinae conformem esse doctinae.“ Antonio Possevino, Davidis Chytraei

imposturae, 12b.Vgl. zu der ganzen Beweisführung: Ebenda, 10-20. Die Argumente des Possevinus sind manchmal ganz lächerlich: Die großen Väter der östlichen Kirche hätten nichts von ihren Kindern nach der Priesterweihe berichtet. Ebd., 12a. Wegen des Ehestandes der griechischen Priester wären die Wissenschaften in Griechenland verfallen. Ebd., 15b-16a.

1552 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 20a; David Chytraeus, Oratio de Statu, 20. 1553 Vgl. ebd. 1554 Es handelt sich um die 21. Homelie zur Apostelgeschichte, 41. Homelie zur Epistel an die Korinther und

3. Homelie zur Epistel des Paulus an die Philiper. 1555 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 20b-21b.

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fehlinterpretiert wird.1556 Mehr als das könnte Possevinus noch hinzufügen, daß diejenigen,

die sich unter den Griechen diesen Irrtum ausgedacht hätten, entweder von den

griechischen Vätern selbst als Häretiker angesehen worden wären, oder auf der Synode

von Florenz abgeschworen hätten!1557

Den letzten Hinweis des Possevinus darauf, daß „dieses Dogma über das Fegefeuer stets

ganz fest in der ganzen Kirche gestanden hat“,1558 gebe für Chytraeus Luther selbst, der

sowohl auf der Leipziger Disputation als auch im 37. Artikel seiner Thesen erklärt habe,

daß er glaube, rate und empfehle, daß man an die Existenz des Fegefeuers glauben müsse.

Die ganze Argumentation endet dann mit einem direkten Angriff auf die Person des

Rostockers: „Es müßte denn sein, daß du ganz richtig glaubst, daß das Fegefeuer, weil es

sich deiner Meinung nach auf die bereuenden Gläubigen bezieht, die Häretiker nicht

betrifft, weil sie im ewigen Feuer gequält werden müssen.“1559

Die siebente „Fälschung“: Die siebente Fälschung des Chytraeus, die Possevinus

angeblich zu entlarven versucht, bezieht sich auf die eigentlich falsche Behauptung des

Chytraeus, daß die Griechen sich nicht nur auf die Fürbitte der Heiligen, sondern auch auf

ihre Verdienste (meritis) und Hilfen verlassen würden. Ein Beispiel solcher schändlicher

und abgöttischer (idolatricae) Fürbitten sei die Anrufung der Jungfrau Maria in Gebeten

und Gottesdiensten.1560

Die Enthüllung der „Fälschung“: Mit solchen Behauptungen, erklärt Possevinus, hätte

Chytraeus, dessen Hochmut stets emporsteige, den Gliedern Christi und der gnadenvollen

Jungfrau und Gottesmutter den Krieg erklärt.1561 Possevinus versucht ihm zu zeigen, daß

die Lästerung der Gottesmutter und der Heiligen im Himmel ein Werk des Antichristen

sei.1562 Das Prinzip der Argumentation des Jesuiten beruht auf dem Verständnis, daß in

allen Heiligen derjenige gelobt wird, von dem sie die Gaben empfangen haben, nämlich

Gott selbst.1563 Possevinus geht zunächst von den Aussagen der Propheten aus, beschreibt

1556 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 23a-24b. 1557 Vgl. ebd., 24b. 1558 Ebd. 1559 Ebd. 1560 Vgl. ebd., 25a; David Chytraeus, Oratio de Statu, 14-15. Possevinus zitiert auf Griechisch und Latein das

von Chytraeus zitierte Troparion aus dem Mitternachtgottesdienst der Griechen und ganz am Anfang auch die Stelle, wo der Rostocker über die Anrufung der Heiligen bei den Syrern und Georgiern berichtet. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 22.

1561 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 25b. Zwei Seiten weiter fragt Possevinus mit demselben Ton: „Agedum igitur Chytraea, qui tuum quoque impurum os aperuisti ad blasphemandum tabernaculum Dei, et eos qui in coelis habitant, cur virginis Beatissimae er Sanctorum laudes tibi adeo faetent?“ Ebd., 26b-27a.

1562 Vgl. Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 25b-26a. 1563 Vgl. ebd., 27a.

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dann die Worte Christi und die der Kirchenväter, nach denen die Gottesmutter mit

ehrenvollen Titeln verehrt wurde, und indem er schließlich die Einrichtung von Festen und

Errichtung von Gotteshäusern im Namen der Jungfrau Maria und der Heilgen erwähnt,

versucht er den Rostocker zu überzeugen, daß es deutliche Beweise für die Anrufung und

die Fürbitten der Heiligen für uns überall auf der ganzen Welt gebe.1564

Die Behauptungen des Chytraeus über die Verehrung der Jungfrau Maria und der Heiligen

in den orientalischen Kirchen seien nichts Anderes als der beste Beweis für denselben

Brauch der katholischen Kirche.1565

Die achte „Fälschung“: Bei der Darstellung der letzten angeblichen Fälschung des

Chytraeus führt Possevinus (sowohl in der Aussage der Fälschung als auch während seiner

angeblichen Enthüllung) die Stellen aus der chytraeischen Rede über die Ostkirchen, wo

der Rostocker den Zustand der asiatischen und afrikanischen christlichen Kirchen der

Armenier, Georgier, Maroniten und Äthiopier und den kirchlichen Besitz der Franziskaner

in Jerusalem darstellt, sowie auch dessen letzte Aussage an, daß der Rostocker durch seine

Rede hätte zeigen wollen, was für Kirchen auf der Welt seien.1566

Die Enthüllung der „Fälschung“: Aus allen diesen Stellen aus der chytraeischen Rede

werde ersichtlich, daß die Lehren der Kirchen in der ganzen Welt mit den römischen

übereinstimmen würden und Chytraeus daher durch seine Rede mehr der römischen als der

lutherischen Kirche diene: „Und auch in all diesen Dingen meuchelt Chytraeus sich mit

seinem eigenen Schwert. Wenn er nämlich von diesen Provinzen und Regionen spricht, um

zu zeigen, daß dort von alters her eine Lehre besteht, die mit den deutschen Häresien

übereinstimme, zeigt er nur die ältesten Spuren der katholischen Kirche, ob er es will oder

nicht; solche sind die Dinge, die er von deren Liturgien und dem Gedächtnis und der

Anrufung der Heiligen, von den Mönchen, vom Zölibat der Priester, von den meisten, ja

beinah alle Riten deutlich eingesteht.“1567

Endlich werden die verständigen Christen von Possevinus dazu eingeladen, selbst zu

urteilen, bei wem sich die Wahrheit befindet.1568

Die falsche Voraussetzung, von der Possevinus bei der Verfassung seiner Streitschrift

gegen das chytraeische Werk über die Ostkirchen, in der er sich die Enthüllung aller 1564 Vgl. etwa die lange Beweisführung des Possevinus, die hier nicht in Einzelheiten dargestellt werden

kann. Ebd., 27b-44b. Außerdem wiederholen sich seine Aussagen mehrmals und werden auf Chytraeus keinen Eindruck machen.

1565 Vgl. die Hinweise des Possevinus auf die Existenz des Brauches in den Ostkirchen: Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 32a und 41b-42a.

1566 Vgl. ebd., 44b-45b. 1567 Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 45a.

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angeblichen Fälschungen des Chytraeus vornimmt, ausgeht, ist die schon im Vorwort von

Mylonius ausgesprochene Überzeugung, daß Chytraeus durch seine „Oratio“ die

Übereinstimmung der orthodoxen und lutherischen Lehren aufzuzeigen,1569 und durch die

Verbreitung dieses Buches die Wahrheit der protestantischen Lehren mit der Heranziehung

des Beispiels der Ostkirchen zu legitimieren versucht hätte.

Es sollte angeblich ein Streit um die Rede über die Ostkirchen sein, aber die

Auseinandersetzung verwandelte sich in einen Streit um die bekannten Streitpunkte

zwischen Katholiken und Protestanten, so wie sie teilweise in den Artikeln 20 und 21 und

im zweiten Teil des Augsburgischen Bekenntnisses unter dem Titel „Artikel, in welchen

Zwiespalt ist, da erzählet werden die Mißbräuch, so geändert seind“1570 dargestellt sind.

Possevinus greift fast alle Lehren, Riten und Bräuche der Ostkirchen an, in denen

Chytraeus eine Übereinstimmung zwischen den Lutheranern und den Orthodoxen zu

entdecken glaubte. Es muß aber auch gesagt werden, daß auch wenn eine

Übereinstimmung existierte, sie sich nur auf die Hauptlehre bezog, während viele Aspekte

und Präzisierungen dieser Lehre nicht mehr übereinstimmten.

Schon während seiner ersten Streitschrift merkte Possevinus, daß der Rückgriff auf die

„Oratio“ als Richtlinie der Wahrheit nicht funktionierte, so daß er selbst die apostolische

und die alte griechische Kirche als Diskussionbasis vorschlug, was von Chytraeus gern

angenommen wurde.1571

Possevinus ging in seiner Widerlegung von der Voraussetzung aus, die Aussagen der

Bibel, der Kirchenväter und der Konzilien seien gleich wahr und auch gleichrangig. Darum

wird Chytraeus mit dem Festhalten am „Sola Scriptura“ eine solche Voraussetzung nicht

mehr annehmen, obwohl auch er Väter und Beschlüsse der Synoden zitiert. Bei ihm

werden jedoch alle diese Aussagen nur als Bekräftigung der biblischen Lehre verstanden.

Von den Aussagen des Chytraeus ausgehend entwickelt Possevinus die katholische Lehre

über den entsprechenden Gegenstand der Auseinandersetzung, wobei er immer Beweise

aus den Ostkirchen anführt, die Chytraeus bekannt, aber aus dessen Perspektive nicht

annehmbar und also ohne Überzeugungskraft waren.

1568 Vgl. ebd., 46a. 1569 Vgl. z. B. die erste Feststellung zu den Aussagen des Chytraeus aus der Oratio. „Quae omnia cum

Lutherani et alii haeretici conuellere soleant, ecquid haec ad Lutheranismi, ac non potius ad Catholicae antiquae fidei comprobationem faciunt?“ Antonio Possevino, Davidis Chytraei imposturae, 6a. Siehe weiter: Ebd., 45a.

1570 Vgl. BSLK, 84. 1571 Die Richtigkeit der Quellen des Rostockers bei der Abfassung seiner Rede wird von Anfang an in Frage

gestellt.

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Der einzige gerechtfertigte Vorwurf, den Possevinus dem Rostocker hätte machen können,

aber nicht gemacht hat, wäre das Verschweigen der Tatsache gewesen, daß der äthiopische

König in seinen Schreiben seinem Gehorsam gegenüber Papst Clemens VII. Ausdruck

gegeben hatte.1572

7.3 Die Antwort des Chytraeus auf die Angriffe der Oratio durch Possevinus und Mylonius als Quelle für die Ergänzung seines Bildes als Ostkirchenkundler

Es geht mir in diesem Kapitel nicht darum, die Antworten des Chytraeus auf die

Beschuldigungen des Possevinus als solche zu betrachten obwohl auch das zum Teil

unternommen wird und auch nicht darum, ob Chytraeus die Vorwürfe des Possevinus, was

jede einzelne Lehre betrifft, widerlegen konnte oder nicht, da es sich um zwei verschiedene

Arten der theologischen Argumentation handelte. Es geht mir viel mehr darum, den

genauen Grund der Abfassung der Rede, so wie ihn Chytraeus ursprünglich verstanden hat,

und den Ostkirchenkundler Chytraeus, indem er seine Ostkirchenkunde betreibt, aus dieser

Antwort herauszuarbeiten, denn in dieser Antwort präzisiert der Rostocker seine Stellung

zur Lehre der Ostkirche noch genauer und der alten Kirche und offenbart dabei die Fülle

seiner ostkirchlichen Kenntnisse.

Chytraeus fühlte sich durch den Angriff des Possevinus sowohl mißverstanden als auch tief

beleidigt. Darum entschied er sich wahrscheinlich bald nach dem Angriff der Jesuiten, eine

„Antwort auf die Beschuldigungen des Antonio Possevino und eines gewissen

Mylonius“1573 zu schreiben, die am 15. Juli 1583 abgeschlossen wurde1574 und dann aber

erst 1584 in Wittenberg beim Buchdrucker Johannes Crato1575 erschien. Der Ton der

Antwortstreitschrift des Rostockers hat nicht die Schärfe der beiden Jesuiten. Chytraeus

schreibt dahingegen viel bedachter und versucht, sachlicher zu antworten.

Ganz besonders ging es ihm um sein eigenes Bild vor dem schwedischen König, den er

mehrmals zur Beständigkeit in der evangelischen Lehre ermahnte, eine Lehre, die in der

Schrift von Possevinus als eine Neuerung und als ganz häretisch dargestellt und somit in

1572 Vgl. dazu: David Chytraeus, Oratio de Statu, 27. Francisus Alvarez, Kurze und Warhafftige

Beschreibunge, 435-443. Vgl. auch das Kap. 5.4.4.4. 1573 „Davidis Chytraei Responsio ad Antonii Possevini et Mylonii cuiusdam criminationes.“ 1574 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 106. 1575 Vgl. zu ihm: Josef Benzing, Buchdrucker, 471.

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Frage gestellt wurde. Darum wurde die Antwortschrift des Chytraeus ebenfalls an den

schwedischen König adressiert.1576

Der erste Teil der Antwort versucht dem König zu erklären, wie und warum er dazu

gekommen ist, seine Rede über die Ostkirchen und seine Antwort an Possevinus und

Mylonius zu verfassen. Es folgt dann ein zweiter Teil, der den Hauptteil der Antwort

bildet, und in der Chytraeus die ihm von Antonius Possevinus vorgeworfenen

„Fälschungen“ zu widerlegen versucht, um seine Schrift mit einer kurzen Antwort auf die

im Vorwort der possevinischen Schrift gemachten Vorwürfe des Mylonius zu beenden.1577

Chytraeus versucht also von Anfang an die Gründe der Entstehung seiner Rede in

Entsprechung zu den Vorwürfen des Possevinus zu klären.

Da die von den beredtesten Auslegern Basilius, Gregor von Nazianz und anderen

erläuterten Quellen der Lehre Christi und der Apostel auf Griechisch überliefert seien, und

die alten Deutschen den Griechen die Philosophie, die Mathematik, die Medizin und die

Geschichte der alten Monarchien verdanken würden,1578 gesteht Chytraeus am Anfang

seiner Antwort, „bin ich von großem und glühendem Verlangen entbrannt, über den

gegenwärtigen Zustand Griechenlands unter der Herrschaft der Türken zu erfahren,

besonders da man überall in Deutschland überzeugt war und auch ich schon als Junge

überzeugt war, daß vom türkischen Herrscher die christliche Religion völlig zerstört wird

und die Lehre und die Riten der Kirche Christi gänzlich getilgt und ausgelöscht

werden.“1579

Der Rostocker habe mit einzigartiger Freude und Fröhlichkeit gelernt, was ihm und vielen

anderen in diesem Teil Germaniens unbekannt war, daß nicht nur die Verkündigung des

Evangeliums Jesu Christi und der Kultus der christlichen Religion aufbewahrt, sondern

auch die alte Organisation und die Stellung der Bischöfe und Patriarchen, sowie das ganze

1576 „Serenissimo et Potentissimo Principi ac Domino, D. Ioanni III. Suecorum, Gothorum, Vandalorum,

aliarumque gentium orbis Arctoi amplissimarum Regi, Domino clementiss.“ David Chytraeus, Responsio, 3.

1577 Er selbst behauptet nach der dem schwedischen König gewidmeten Einführung: „Nunc ad Imposturarum ipsius, sic enim ipse loquitur, farraginem, oppositam Orationi de ecclesiis Graeciae, refutandam accedo. Qua absoluta Mylonii etiam criminationes, in epistola nominatim ad R. M. T. adversus me accendendam praefixa, breviter depellam.“ David Chytraeus, Responsio, 14.

1578 Denselben Gedanken finden wir beim Lehrer des Chytraeus, bei Philipp Melanchthon, der in allen seinen Briefen, die sich auf die Empfehlung des Griechen Franziskus Magera beziehen, den Dank an Griechenland ausspricht und die Verpflichtung der Deutschen, den unglücklichen sich in der Verbannung befindenden Griechen zu helfen, wiederholt. Vgl. Kap. 2.2.4. Dadurch erweist sich Chytraeus als ein treuer Schüler des Praeceptor Germaniae.

1579 David Chytraeus, Responsio, 3-4.

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öffentlich-rechtliche Kirchenregiment unter der türkischen Herrschaft geduldet und

behauptet werde.1580

Nachdem er diese Dinge in Erfahrung gebracht hatte, konnte er feststellen, daß „wenn die

Religion in Griechenland unter der Tyrannei der Türken nicht reiner, so doch sicherlich

nicht weniger christlich als in der Kirche des römischen Pontifex zurückgelassen worden

ist.“1581

Ähnlich wie in der „Oratio“ distanziert sich Chytraeus sowohl von der griechischen als

auch von der römischen Kirche, wobei er in diesen dennoch einen Teil der wahren

christlichen Lehren feststellen konnte. Es geht ihm um die Reinheit der christlichen Lehre,

die genuin nur in der Urkirche anzutreffen sei.1582 Darum wird er in dieser Antwort sein

zusammenfassendes Urteil aus der Rede, – „Wenn auch bei den Griechen von den alten

und reineren Lehren und Gebräuchen der Kirche da und dort ein größerer Rest

übriggeblieben ist, ... so ist doch, wie ich verstehe, sonst alles nicht weniger als bei den

Päpstlichen voll von Aberglauben“1583 – das sein Verhältnis sowohl zur östlichen als auch

zur römischen Kirche beleuchtet, nochmals behaupten und erläutern.

Er habe überhaupt nicht vorgehabt, mit der Abfassung der Rede eine Übereinstimmung der

griechischen mit der lutherischen Lehren nachzuweisen, – wir haben in der Rede gesehen,

daß es sich um eine kritische Darstellung der Ostkirchen handelt – sondern er habe allein

die Wahrheit über den Zustand der christlichen Kirchen darzustellen gewollt: „Ich kehrte

nach Hause in die Schule zur Vorlesung über die Chronik zurück. Dort habe ich mit

einfacher und guter Treue unseren Zuhörern vorgelesen; aber ich habe das nicht gemacht,

um sie die Lehre Luthers zu unterrichten, oder die Meinungen des Papstes oder anderer

Abspaltungen zu widerlegen, und zu prahlen, daß ich hier und dort der Beste bin; sondern

ich habe es gemacht, indem ich eine gleichsam einfache und ungeschminkte Geschichte

über den gegenwärtigen Zustand der Kirchen Griechenlands und anderer Völker vorlese,

und dabei nichts Falsches erfinde, noch etwas Wahres zugunsten dieses oder jenes

Menschen verschweige; ich habe allein der Wahrheit geopfert und habe mir allein die

Wahrheit zum Nutzen und zur angenehmen Unterhaltung der Zuhörer zum Ziel

gemacht.“1584

1580 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 4. Derselbe Gedanke wurde vom Rostocker auch am Anfang der

Oratio erwähnt. Vgl. David Chytraeus, Oratio de Statu, 8. 1581 David Chytraeus, Responsio, 4. 1582 Er wird diese Überzeugung weiter in dieser Antwort erläutern. 1583 David Chytraeus, Oratio de Statu, 14. 1584 David Chytraeus, Responsio, 4-5.

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Nach dieser Einführung redet der Rostocker König Johann III. an, indem er ihm den Grund

der Abfassung seiner Schrift erklärt: „Nun richten ein gewisser Antonius Possevinus und

jener Prophet Mylonius nach so vielen Jahren eine tödliche Anklage über jenes Buch über

die Kirchen Griechenlands, nachdem sie ein Büchlein1585 verfaßt hatten und es an Eurer

Majestät adressiert hatten. Ich habe beschlossen, diesen zu antworten, so Gott will und die

Wahrheit der Geschichten, die jene Rede schildert, und die Wahrheit der Artikel der Lehre,

die Possevinus als häretisch und gelogen anklagte, durch diese Schrift zu verteidigen.“1586

So will Chytraeus nicht nur die Wahrheit der Behauptungen der Oratio, sondern auch die

von Possevinus angegriffenen evangelischen Lehren verteidigen. Es geschieht hier eine

Instrumentalisierung der chytraeischen Rede über die Ostkirchen, die in einem

kirchenpolitischen Kampf zweier westlicher Theologen nur als Vorwand benutzt wird, um

die eigene Lehre zu rechtfertigen. Die in der „Oratio“ dargestellten Lehren der Ostkirchen

werden von beiden Theologen überhaupt nicht unter ihren eigenen Voraussetzungen

betrachtet, sondern nur in Betracht gezogen, sofern sie die eigenen Positionen bestätigen.

Der Rostocker drückt gegenüber dem mit Würde und Klugheit ausgestatteten

schwedischen König die Überzeugung aus, daß dieser die Frechheit der Rede und die

christlicher Milde und Zurückhaltung fremden, lügnerischen Vorwürfen der Jesuiten

Possevinus und Mylonius, die im Norden den Katholizismus durch ihre Arbeiten und

Schriften wiederherstellen wollen, aus voller Überzeugung mißbilligen und verurteilen

werde.1587 Die katholischen Dogmen, die im diametralen Gegensatz zum Wort Gottes und

zur apostolischen Kirche stünden,1588 seien schon einmal aus den Kirchen seiner Reiche

durch den weisen und äußerst tapferen König Gustav, seinen hochgelobten Vater,

abgesetzt und ausgestoßen worden.1589 Damit übernimmt Chytraeus wiederum den von

ihm in allen seinen Schriften an den schwedischen König ausgedrückten alten Topos, was

die Verpflichtung Johanns III. zur Fortsetzung der reformatorischen Tätigkeit seines Vaters

betrifft.

Chytraeus habe sich entschlossen, kurz den Jesuiten zu antworten, nicht um seinen Ruf

oder seine Schriften zu schützen, – da er sich auf den ihm nicht mehr weit entfernten Tod

1585 Es geht um die Streitschrift des Possevinus, die von Mylonius in Ingolstadt herausgegeben wurde. 1586 David Chytraeus, Responsio, 5. 1587 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 5-6. 1588 „Invocatio hominum mortuorum; Adoratio imaginum et statuarum; Damnatio coniugij sacerdotum;

Sacrificium Missae propiciatorium pro peccatis, poenis satisfactionibus et alijs neceßitatibus vivorum et pro defunctis ex purgatorio redimendis; Mutilatio Sacramenti, seu privatio calicis; Missae privatae seu solitariae, quae prosint alijs, pro quibus offeruntur et applicantur, vivis et mortuis.“ David Chytraeus, Responsio, 6.

1589 Derselbe Topos wird auch nochmals weiter ausgeführt. Vgl. David Chytraeus, Responsio, 8.

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vorbereite – sondern um „die Jüngeren und andere, die in dieser Schule Lehrer angehört

haben, zu stärken, damit sie nicht über die Lehre, die von Gott offenbart worden ist,1590 [...]

wegen dieser Vorwürfe der Verleumder weniger ehrenvoll denken und nicht zulassen,

durch irgendwelche Verleumdungen von ihr fortgeführt oder abgeschreckt zu werden.“1591

Damit kündigt er seine Antwort als eine Verteidigung der lutherischen Lehren an.

Durch die possevinische Auswahl wurden aus der Oratio des Chytraeus über die

Ostkirchen eine Reihe von theologischen Themen in Angriff genommen, die zum

Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen den beiden Theologen gemacht wurden.

Fast alle Themen waren seit dem Anfang der Reformation zwischen Reformatoren und

Katholiken umstritten. Während Possevinus sowohl aus der Bibel als auch aus der

Tradition der Kirche Beispiele und Argumente für seine Beweisführung heranzog, führte

der Rostocker seinen Maßstab an, nach dem in seiner Auffassung Fragen gelöst werden

müssten: „Als sichere Regel und Norm des Glaubens und der Anrufung Gottes und der

Kultformen, die ihm dargebracht werden, befolgen wir die einzige und unerschütterliche

Lehre Christi, die er mit seinen eigenen Worten verkündete und in den Heiligen Schriften

der Propheten und der Apostel enthalten ist, und die Glaubensbekenntnisse der

katholischen Kirche und die Entscheidungen über die Dogmen der anerkannten Synoden

der ersten und reineren Kirche, nämlich die Synoden von Nizea, Byzanz, Ephesus und

Chalkedon.“1592 Diese Art von Lehre würden auch die evangelischen Kirchen im

Bekenntnis, das unter Kaiser Karl V. in Augsburg abgelegt worden sei, bekennen.1593

Darum würden die Evangelischen gegen alle Häretiker streiten, die den Glaubensartikeln,

die durch das sichere Wort Gottes verkündet worden seien, widersprechen.1594

Wir haben gesehen, daß bei Philipp Melanchthon, dem Lehrer des Chytraeus, die höchste

Bewertung der altkirchlichen Tradition in der Aussage ihren Ausdruck fand, daß Gott sich

nicht nur in der Bibel, sondern auch in den drei altkirchlichen Symbolen geoffenbart

habe.1595 Chytraeus geht hier noch einen Schritt weiter und nennt neben den altkirchlichen

Symbolen auch die dogmatischen Entscheidungen der ersten vier Ökumenischen Konzilien

1590 Es klingen hier ähnliche Töne an, wie in den Auseinandersetzungen der Tübinger mit den Katholiken, in

denen jene behaupteten, daß sie sich anders als ihre Gegner an das Evangelium hielten, das die allerälteste schon im Paradies verkündete Lehre sei. Vgl. Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 393.

1591 David Chytraeus, Responsio, 8-9. 1592 Ebd., 9-10. 1593 Vgl. ebd., 10. 1594 Ebd., 10. 1595 In einem Brief an Alberto Hardebergio, 26 Januar 1559, schrieb Melanchthon: „Tecum invoco verum

Deum, sicut se patefecit in scriptis propheticis et apostolicis, et Symbolis.“ CR 9, 733. Vgl. auch Kap. 2.2.2.

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als Norm und Regel des Glaubens.1596 Die kanonischen Entscheidungen, die er ebenfalls

kannte, wie sich aus dieser Antwort leicht feststellen läßt, werden von ihm nicht als

normativ angenommen.1597 Auch bei ihm ist von der Voraussetzung auszugehen, daß die

altkirchlichen Glaubenssymbole und die Entscheidungen der ersten vier ökumenischen

Konzilien den Inhalt der Schrift zusammenfassen und darlegen. Aber da er diese

Einschränkung hier nicht ausdrücklich macht, finden wir in diesem Abschnitt die höchste

Bewertung der altkirchlichen Tradition durch einen berühmten evangelischen Theologen

des 16. Jahrhunderts, die mir bekannt ist.

Was die Kirchenväterschriften angeht, ist Chytraeus der Meinung, daß „die Schriften aller

Väter nach einem lauteren und gerechteren Leser verlangen, wenn der fehlt, wird auch bei

einem Cyprian, einem Hylarius, einem Hieronymus, einem Origen und einem Augustinus

nicht das fehlen, was zum Vorwurf der Häresie mißbraucht werden könnte.“1598 Darum

sollen die Kirchenväterzitate bei David Chytraeus Aussagen belegen und nicht begründen,

wie es bei Possevinus der Fall war. Da die beiden Theologen auf der Basis verschiedener

hermeneutischer Axiome argumentierten, ist es selbstverständlich, daß sie zu keinem

gemeinsamen Ergebnis kommen konnten.

Er zitiert dann Tertulian, der sagte, daß die Häresie eine nicht im Evangelium überlieferte

Lehre sei, die jemand nach seinem Belieben auswählt.1599 Darum argumentiert Chytraeus,

daß „was dem Possevinus und dem Mylonius wie Häresie schmeckt, nicht gleich häretisch

ist, wie nicht sofort heilig ist, was ihnen gefällt.“1600 Damit konnte er alle von Possevinus

vertretenen Lehren, die nicht in der Bibel erwähnt werden, als häretisch enthüllen.

Damit geht Chytraeus daran, „den Haufen seiner falschen Behauptungen, so spricht er

nämlich selbst, den er meiner Rede über die Kirche Griechenlands entgegenstellte, zu

widerlegen.“1601

Der Rostocker teilte seine Antwort in sieben Teilen,1602 in denen er die entsprechenden

Vorwürfe und Beschuldigungen des Possevinus zu widerlegen versuchte. Er zitierte zuerst

1596 Die Auffassung von Melanchthon war die folgende: Da die Konzilien oft geirrt haben und irren können,

soll man ihre Beschlüsse anhand der Schrift überprüfen. Richtig seien nur jene Beschlüsse der Konzilien,

die aufgrund der Schriftwahrheit formuliert wurden. Vgl. Kap. 2.2.2. 1597 Damit befinden wir uns vor einem Bruch. Dieselben Väter, die richtige dogmatische Entscheidungen

unter der Inspiration des Heiligen Geistes getroffen haben, haben keine normativen Entscheidungen hinsichtlich der kanonischen Ordnung der Kirche treffen können.

1598 David Chytraeus, Responsio, 10. 1599 Vgl. ebd., 12. 1600 Vgl. ebd., 10. 1601 Ebd., 14.

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wörtlich, oder faßte die gegen ihn gerichteten Aussagen des Possevinus zusammen und

antwortete dann in dieser Reihenfolge:

1. Auf die Behauptung des Possevinus, daß der Rostocker sich durch das Verfassen seiner

Rede mit dem eigenen Schwert meuchelte,1603 antwortete Chytraeus, daß „die Absicht mir

niemals nicht einmal im Fiebertraum in den Sinn gekommen ist, die mir Possevinus in

dieser „Oratio“ unterstellt; nämlich, Unerfahrenen einzureden, daß die Religion der

Griechen mit derjenigen Luthers durchaus zusammenkommt, oder Schutz und Beweise für

unsere Lehre bei den Griechen unserer Zeit zu suchen oder um (zu zeigen), daß die

Griechen der Konfession der Lutheraner oder anderer, die diese aus Deutschland dem

Patriarchen der Griechen geschickt hatten, beigetreten sein.

Ich wollte meinen Zuhörern eine einfache und ungeschminkte historische Darstellung und

eine Vorstellung von der gegenwärtigen Gestalt der griechischen Kirchen geben, sei es das

sie mit unseren, sei es, daß sie mit den Päpstlichen, sei es daß sie mit den Einrichtungen

anderer christlicher Völker übereinstimmen.

Bestätigung suchen wir nicht bei den modernen Griechen und Lateinern und nicht bei

Possevinus und Mylonius, sondern aus der geschriebenen Botschaft des höchsten Lehrers

und unseres Bewahrers Jesu Christi und seiner Apostel und wir fügen die Zeugnisse der

ersten und reineren Kirche hinzu, die den Zeiten der Apostel nahe steht. Possevinus

bekämpft also nicht den Vorsatz oder das Ziel meiner „Oratio“, das er betrügerisch und

verleumderisch umstellt und verdreht, sondern ein Gespenst, das er selbst erfunden

hat...“1604

Das ganze Vorgehen des Possevinus wird vom Rostocker in diesen Abschnitten

zurückgewiesen. Die Schrift des Jesuiten sei also eine bloße Unterstellung und

betrügerische Verdrehung seines Vorhabens, denn er schreibe eine ganz unparteiische und

einfache Geschichte. Es ist schon wahr, daß Chytraeus den reformatorischen Prinzipien

gemäß zwischen wahren und abergläubischen Lehren und Riten bei den Griechen

unterscheidet, und daß er auch Übereinstimmungen zwischen Orthodoxen und Katholiken

erwähnt, aber insgesamt versucht er dennoch mehr die Übereinstimmungen der neu

eingeführten lutherischen Lehren mit den griechischen hervorzuheben. Er hob jedenfalls

immer wieder bei jeder einzelnen Kirche in Asien und Afrika die mit den lutherischen

Lehren übereinstimmenden Lehren hervor. Wenn die übereinstimmenden griechischen

1602 Die letzte dem Rostocker von Possevinus vorgeworfene „Fälschung“, die sich auf mehrere Stellen der

Oratio des Rostockers bezog, wird von Chytraeus nicht mehr widerlegt. 1603 Siehe im Kap. 7.2. die Enthüllung der ersten Fälschung durch Possevinus. 1604 David Chytraeus, Responsio, 15-16.

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Lehren in der „Oratio“ zwar keine Begründungsfunktion für die lutherischen hatten, hatten

sie dennoch mindestens eine Beleg- und Bestätigungsfunktion.

Der Rostocker fühlte sich unter den Angriffen des Possevinus gezwungen, sein

Unternehmen in dem Sinne leicht umzuinterpretieren, daß er überhaupt keine Bestätigung

für die lutherischen Lehren bei den Ostkirchen gesucht habe. Chytraeus weist auf die

westliche Polemik bezüglich des Briefwechsels zwischen Tübingen und Byzanz hin,1605

und solidarisiert sich mit den Tübingern, indem er ähnlich wie diese behauptet, er habe nie

die Bestätigung der lutherischen Lehren durch die griechischen gesucht.1606 Da die

griechische Kirche von den Lehren des Apostels Paulus abgewichen sei, spiele sie keine

Rolle mehr als Zeugin der Wahrheit.1607 Darum nennt er als Norm der Wahrheit die

Heilige Schrift und die Zeugnisse der älteren Kirche,1608 die von ihm in der „Oratio“ nie

erwähnt wurden.

2. Was die Privatmesse ohne Kommunikanten betrifft, versucht Chytraeus Possevinus zu

widerlegen, indem er biblische Stellen, Kanones einiger westlichen Synoden, die älteren

Ausleger der Liturgien und das Beispiel der äthiopischen Kirche heranzieht. Der Rostocker

versucht ebenfalls nachzuweisen, daß die Privatmesse ohne Kommunikanten in den älteren

Zeiten auch in der römischen Kirche nicht in Gebrauch gewesen ist.1609

3. In einem dritten Kapitel versucht Chytraeus die Beweisführung des Possevinus

hinsichtlich des Opfercharakters der Eucharistie in den griechischen Liturgien von Basilius

und Johannes zu widerlegen.

Hier wird die Beweisführung von den beiden aus verschiedenen Perspektiven vollzogen.

Possevinus versucht zu verdeutlichen, daß in den griechischen Liturgien das für die Toten

dargebrachte Opfer erwähnt wird, aber er sagt nichts darüber, daß dieses Opfer auch zur

Befreiung der Seelen aus dem Fegefeuer dargebracht werde. Chytraeus erwähnt dagegen

ununterbrochen, daß die griechischen Liturgien nichts über die Befreiung der Seelen aus

dem Fegefeuer durch die Darbringung der Eucharistie sagen würden.

1605 Er erwähnt, daß eine Refutatio Censurae des Sokolovius vorbereitet und veröffentlicht werde, „damit

über die ganze Angelegenheit von frommen und lauteren Lesern leichter geurteilt werden kann und die Wahrheit deutlicher gesehen und bewahrt werden kann, wenn die Schriften beider Seiten, die zwischen dem Griechischen Patriarchen und denen, die du Lutheraner nennst, ausgetauscht wurden, studiert worden sind.“ David Chytraeus, Responsio, 19.

1606 Was die nachträgliche Uminterpretierung der ursprünglichen Absichten der Tübinger in der Polemik mit den Katholiken betrifft, siehe: Dorothea Wendebourg, Reformation und Orthodoxie, 395.

1607 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 19. 1608 Vgl. ebd., 16, 17 und 19. 1609 Vgl. ebd., 19-28. Seine ganze Beweisführung hier nachzuvollziehen würde uns zu weit von der

eigentlichen Fragestellung entfernen.

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Possevinus führe die in seiner Widerlegung auf das Gedächtnis der Toten bezogenen

Stellen aus den Liturgien an, aber der vernünftige und unblutige Gottesdienst bringe

Chrysostomus in seinem Kanon, nach Meinung des Chytraeus, für die Väter, Propheten

und die Jungfrau Maria dar, die keine Befreiung aus dem Fegefeuer bräuchten.1610

Die Eucharistie sei ein Opfer des Volkes, das früher die Gaben Wein und Brot sowie

andere Gaben – Wein, Früchte, Trauben und Öl – zum Nutzen der Armen und Kleriker

zum Altar gebracht hätte,1611 Ebenso sei die Eucharistie ein Dankgebet für alle „mirabilia

Dei“ vom Anfang der Welt.1612 Auch Justin der Märtyrer erwähne in der

Eucharistiebeschreibung seiner Apologie und im Dialog mit dem Juden Trifon kein Opfer

für die Toten.1613 Dafür stehen die Kanones der alten Kirche als Zeugnisse.1614

Während Chytraeus eine Entwicklung innerhalb der ostkirchlichen Liturgien voraussetzt

und den Opfercharakter der ursprünglichen Fassungen auf das Verständnis eines

geistlichen Opfers und auf die Almosen deutet, versucht Possevinus zu verdeutlichen, daß

bei den Griechen ein mit den Katholiken ähnliches Verständnis bezüglich des

Opfercharakters der östlichen Liturgien bestehe.

Daß in den neuesten Formen der Liturgien auch für die Seelen der Verstorbenen gebetet

wird, war dem Rostocker ebenfalls klar, auch wenn er es als eine Entstellung betrachtete

und nicht mehr kommentierte. Es ging ihm darum, daß die Eucharistie bei den Griechen

kein Opfer für die Befreiung der Seelen aus dem Fegefeuer war.

Sowohl Chytraeus als auch Possevinus versuchen abendländische Denkkategorien auf die

griechischen zu übertragen, so daß jeder nur einen Teil der Wahrheit aussprach und so

argumentierte, indem keiner die Vorwürfe des anderen in seine Argumentation

miteinbezog.

4. Bezüglich der Austeilung der Kommunion unter beiderlei Gestalt nimmt Chytraeus an,

daß die Eucharistie bei der Liturgie der vorgeweihten Gaben unter einerlei Gestalt verteilt

werde. Aber dennoch werde während des ganzen Jahres immer unter beiderlei Gestalt

1610 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 30. 1611 Er kommentiert, nachdem er den dritten apostolischen Kanon angeführt hat: „Es ist offenkundig, daß dies

nicht vom päpstlichen Opfer des Leibes und des Blutes Christi, sondern von der Darbringung von Brot, Wein, Früchten, Trauben und Öl, die das Volk früher zum Nutzen der Armen und Kleriker machte, gesagt wird.“ David Chytraeus, Responsio, 40-41.

1612 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 33-36. Hier zitiert Chytraeus wiederum lange Teile aus der Anaphora der Liturgie des Chrysostomus.

1613 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 30. Siehe zur Eucharistie bei Justin Karl Christian Felmy, Vom urchristlichen Herrenmahl, 10ff., wo genau die von Chytraeus angeführten Stellen aus den Schriften Justins des Märtyrers untersucht werden.

1614 Er führt den dritten apostolischen Kanon an, wo es um die Gaben geht, die für die Vorbereitung der Eucharistie zum Altar dargebracht werden sollen.

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kommuniziert.1615 Dieser Brauch sei nicht nur in Griechenland, sondern auch in Rußland

üblich1616 und selbst „einige Schriftsteller der päpstlichen Religion gestehen ein, daß es

ganz sicher sei, daß die universale Kirche Christi bis zu diesem Tag die westliche oder

römische Religion von Christi Geburt an mehr als 1000 Jahre lang besonders bei der

feierlichen und ordentlichen Spendung dieses Sakramentes allen Gliedern der Kirche

Christi beide Gestalt von Brot und Wein dargeboten habe, das, was aus zahllosen

Zeugnissen der alten Schriftsteller sowohl der Griechen als auch der Lateiner deutlich

sei...“1617

Nachdem Chytraeus eine Reihe von Beispielen anführt, die alle das Vorhandensein der

Spendung der Eucharistie unter beiderlei Gestalt auch in der katholischen Kirche

bezeugen,1618 wendet er sich wiederum an Possevinus: „Wenn du nur von den Lutheranern,

wie ihr sie zu nennen pflegt, entweder den Fürsten oder dem Volk allein sprächest, fändest

du bei den Verleumdern deines Schlages leicht eine Entschuldigung.“1619 Aber es seien

nicht die Lutheraner, sondern die orthodoxen Katholiken, die die Eucharistie unter

beiderlei Gestalt verlangen.

5. Hier will Chytraeus die Behauptungen des Possevinus hinsichtlich des Ehestands der

Priester widerlegen. Der Rostocker nennt von Anfang an die Basis der gemeinsamen

Verständigung: „Was aber die Eheschließung der Priester angeht, welches Angriffsziel

sich Possevinus an dieser Stelle auf ganzen zehn Seiten vorgenommen hat, unter

Anspannung aller Nerven seiner verschlagenen Sophisterei, akzeptiere ich zuerst die

Bedingung, die er selbst gestellt hat, daß nicht Zeugnisse und Beispiele über die

Eheschließung der Priester herangezogen werden, vom jungen Abschaum der Griechen,

sondern von der apostolischen und ursprünglichen oder so ganz griechischen Kirche vor

700 Jahren.“1620

1615 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 43-44. 1616 Vgl. ebd., 44-45. 1617 Ebd., 45. Chytraeus nennt dann eine Reihe von Gründen, warum die Eucharistie unter beiderlei Gestalt

dargeboten werden solle: die Unterweisung und das Beispiel Christi; weil diese beiden eine besondere Gnade symbolisieren; die Erinnerung an das Leiden Christi; vollständige Speisung durch Speise und Trank; Erlösung des Leibes und der Seele; Speise für den Körper und Blut für die Seele und letztlich weil Christus beiderlei Gestalt angenommen habe. Vgl. David Chytraeus, Responsio, 45-46. Dadurch erweist sich die chytraeische Argumentation als eine Weiterführung der evangelischen Argumentation vom Artikel 22. der CA.

1618 Als Gegenbeispiel wurde Johannes Eck angeführt, der in der Apologie der katholischen Fürsten schreibe, er könne sich nicht daran erinnern, gelesen zu haben, daß in der römischen Kirche die Eucharistie jemals unter beiderlei Gestalt den Laien gespendet worden sei, abgesehen von dem Beweis, der aus dem Leben des heiligen Laurentius genommen werden könne. Vgl. David Chytraeus, Responsio, 48.

1619 Ebd., 50. 1620 David Chytraeus, Responsio, 52.

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Es folgt danach eine Argumentation für den Ehestand der Priester, die mit den Stellen aus

den Briefen des Apostels Paulus beginnt und bis zu den kanonischen Entscheidungen des

Quinisextums weiter geführt wird, das nicht vor 700, sondern sogar schon vor 900 Jahren

stattfand, wobei einige Kanones zitiert und kommentiert werden. Im ganzen stehe, nach

Chytraeus, die Auffassung von der Ehelosigkeit der Kleriker im Widerspruch zum Gesetz

Gottes, das den Priestern im Alten und Neuen Testament die Ehe erlaube, sowie im

Widerspruch zu den klaren Kanones der Apostel und den Zeugnissen der ursprünglichen

Kirche.1621

Sehr interessant erscheint die Auseinandersetzung zwischen Chytraeus und Possevinus um

den 5. apostolischen Kanon und den 13. Kanon des Quinisextums: „Diese Definition des 6.

ökumenischen Konzils in Konstantinopel“,1622 sagt Chytraeus, „beweist nicht nur, daß

dasjenige, was ich geschrieben habe ganz der Wahrheit entspricht, daß nämlich

Verheiratete in den griechischen Kirchen nicht vom Priesteramt fern gehalten werden,

sondern sie widerlegt auch offenkundig die Torheit jenes spitzfindigen Arguments, das

Possevinus später benutzt, mit dessen Hilfe er vormacht, daß der Kanon der Apostel nicht

von ihrem Lager (der Eheleute u. Z.) oder der gemeinsamen Wohnung, sondern von der

Fürsorge für die Ehefrauen spricht, damit man ihnen im Kloster oder anderswo

Nahrungsmittel gibt.“1623

Während Chytraeus die Entstellung des Jesuiten dort richtig enthüllt, wird eine andere

Behauptung des Possevinus, nämlich, daß sich die Bischöfe nach der Weihe vom

vertrauten Umgang mit ihren Frauen bei den Griechen gänzlich zu enthalten haben, nicht

mehr richtig widerlegt. Chytraeus antwortet dazu: „Was ist das für eine Frechheit, solches

zu behaupten, obwohl das feierliche Dekret der 6. ökumenischen Synode in Byzanz ganz

im Gegensatz dazu steht.“1624 Der 12. Kanon dieser Synode entschied aber tatsächlich, daß

1621 Vgl. ebd., 71. 1622 Es geht hier um den 13. Kanon dieses Konzils, wo die Entscheidung des 5. apostolischen Kanons, daß die

Kleriker ihre Frauen unter Vorwand der Frömmigkeit nicht vertreiben dürften, wiederholt wird, was aber nur die Priester und die Diakone betrifft. Vgl. Ioan N. Floca, Canoanele Bisericii Ortodoxe, 111-113. Für die Bischöfe gab es andere Bestimmungen. Vgl. Ebd., 110-111.

1623 David Chytraeus, Responsio, 56. Noch ein von Possevinus umgedeuteter Kanon war der 3. Kanon des ersten ökumenischen Konzils von Nicaea, der den Klerikern verbat, eine Syneisakte zu haben. Vgl. Conciliorum Oecumenicorum Decreta, I, 7. David Chytraeus kommentiert den Kommentar des Possevinus zu diesem Kanon: „Der Kanon von Nizea gebietet also nicht rechtmäßige Ehefrauen, sondern fremde Frauen oder eingeschmuggelte oder das Zusammenleben mit nicht verheirateten Frauen mit Ausnahme von Müttern, Schwestern, Tanten usw. zu meiden, so daß es eine klare Frechheit ist, den Wortlaut des Kanons umzudeuten, zu einem Verbot des Zusammenlebens mit den eigenen Frauen.“ David Chytraeus, Responsio, 65.

1624 David Chytraeus, Responsio, 60.

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verheiratete Priester nach der Bischofsweihe ihre Frauen verlassen müssten.1625 Auch wenn

aus dem Kanon ersichtlich wird, daß es damals noch verheiratete Bischöfe gab und wir

wissen, daß es auch bis zum 13.-14. Jahrhundert in Byzanz noch verheiratete Bischöfe

gegeben hat,1626 stimmt die Widerlegung des Chytraeus in diesem Fall nicht mehr.

Des weiteren werden wiederum eine Reihe von Kanones, die von östlichen Konzilien

verabschiedet wurden, sowie Behauptungen der Kirchenväter herangezogen, die sich für

den Ehestand der Kleriker ausgesprochen hatten,1627 aber es würde zu weit führen, alle

einzelnen Beispiele darzustellen.

Um dennoch noch einmal die Stellung des Chytraeus zum Problem des Ehestandes der

Kleriker zu beleuchten, sei noch eine zusammenfassende chytraeische Stellungnahme zu

dieser Problematik zitiert: „Da ich diese Schriften der apostolischen und ursprünglichen

Kirche der Griechen, auf die du nicht verweist, und die Schriften der alten Väter gelesen

habe, liegt es mir fern, Possevinus, wie du dreist erfindest, daß ich einmal erkannt habe,

Dinge zu lehren, die dem katholischen Glauben widersprechen..., viel mehr erkenne ich

ganz deutlich, daß die apostolische Lehre, die in der ursprünglichen Kirche verbreitet

worden ist, von euch gegen das Gewissen benutzt, viel mehr listig und kriminell,

verdorben und vernichtet wird.“1628

6. Die Behauptungen des Possevinus, daß die Alten vom Gebet für die Verstorbenen

sprächen, seien Chytraeus bekannt (das wurde sogar in der Apologie der CA festgestellt),

aber die Evangelischen würden die Anwendung des Abendmahles für die Verstorbenen aus

dem vollzogenen Werk und für die Erlösung der Seelen aus dem Feuer des Fegefeuers

mißbilligen, worüber bei Chrysostomus keine Erwähnung gemacht werde.1629

Die griechische Kirche wird hier wenig erwähnt. Sich dahingegen auf die Aussagen der

CA stützend erklärt der Rostocker, daß die Gebete für die Verstorbenen dennoch nicht zu

verwerfen seien, da sie ein Bekenntnis zur Stärkung im Glauben sein könnten.1630 Die

Schlußfolgerung aber lautet: „Da also weder ein Versprechen, noch irgendein Beispiel in

der Heiligen Schrift über das Gebet für die Verstorbenen existiert, ist es offensichtlich, daß

1625 Vgl. Ioan N. Floca, Canoanele Bisericii Ortodoxe, 110. 1626 Vgl. der Kommentar von Ioan N. Floca zu diesem Kanon: Ioan N. Floca, Canoanele Bisericii Ortodoxe,

111. 1627 Vgl. ebd., 56-72. 1628 Vgl. ebd., 57. 1629 Vgl. ebd., 72-73. Es werden danach eine Reihe von biblischen und patristischen Stellen angeführt, die,

auch wenn sie über Gebete für die Toten sprechen, nichts über die Erlösung ihrer Seelen aus dem Fegefeuer sagen. Vgl. ebd., 73-80.

1630 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 80.

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es sich nicht um einen Glaubensartikel oder eine notwendige Verehrung Gottes

handelt.“1631

Was das Fegefeuer betreffe, so sei es aus heidnischen Bildern und poetischen Fiktionen

entstanden, denn es gebe in der Heiligen Schrift keinen Beweis dafür. Auch wenn die

Griechen einen dritten Platz zwischen Paradies und Hölle kennen würden, würden sie

diesen Ort weder "Purgatorium" nennen noch ihn als "Feuer" bezeichnen.1632 Auch wenn

die Griechen auf der Synode von Florenz die Lehre vom Fegefeuer angenommen hätten, so

hätten sie diese Lehre nach der Rückkehr nach Byzanz wieder zurückgewiesen.1633

Schließlich sei auf Johannes Damascenus hingewiesen, der in seinem zusammenfassenden

Werk über den orthodoxen Glauben, keine Erwähnung des Fegefeuers mache.1634

7. Schließlich kommt Chytraeus auf die Verehrung der Jungfrau Maria, der Heiligen und

der Ikonen zu sprechen, wobei schon von Anfang an gesagt werden muß, daß die Ostkirche

in diesem Punkt der Auseinandersetzung nicht in Betracht gezogen wird. Dennoch seien

auch hier die wichtigsten Punkte der chytraeischen Argumentation kurz zusammengefaßt.

Der Rostocker bekennt offen, daß es würdig ist, der Jungfrau Maria, dem Zelt Gottes, und

auch den Freunden Jesu Christi, den Heiligen, Ehre zu erweisen.1635 Aber „wir verwerfen

mit Nachdruck Statuen und Bilder anzubeten, und Maria und die Heiligen, die in Christus

gestorben sind, anzurufen und Hilfe und Befreiung in Gefahren, Krankheiten, Tod und

anderen Nöten des Lebens von ihnen zu erbieten und zu erwarten, und wir lehren, daß dies

eine häßliche, ruchlose, von Gott verworfene und ganz und gar heidnische Idololatrie

ist.“1636

Daß Lebende Gott für andere Lebende in diesem Leben bitten, sei durch das Beispiel

Moses, der für die Israeliten als Vermittler bei Gott eintrat, gerechtfertigt, aber daß wir

Tote oder Heilige in diesem Leben bitten, für uns bei Gott zu vermitteln, sei durch kein

Beispiel in der Heiligen Schrift angedeutet.1637 Darum solle man nur an Gott und nicht an

1631 Ebd. 1632 Vgl. ebd., 82. 1633 Vgl. ebd., 83. 1634 Vgl. ebd., 84. 1635 Vgl. ebd., 88-89. 1636 Ebd., 89. Diese Aussage kehrt immer wieder in der Argumentation des Chytraeus: „Diese und ähnliche

Anrufungen der Jungfrau und Gottesmutter Maria, mit denen ihr erfindliche göttliche Ehre erwiesen wird, weil sie uns von allen Unrecht befreit, weil sie in allen Gefahren Hilfe bringt, weil sie von Tod befreit, und die Tatsache, daß mit derselben Anbetung der Latria (adoratione latriae), mit der Christus selbst angebetet wird, auch die Bilder und das Kreuz Christi angebetet werden sollen, verwerfen wir als deutlich idolatrisch und heidnisch. Das ist der Punkt unseres Streites Possevinus, um den hauptsächlich gerungen wird.“ Ebd., 93.

1637 Vgl. ebd., 95.

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die Heiligen glauben,1638 denn das wichtigste bei Gott sei der Glaube, ohne den es

unmöglich sei, bei Gott Gefallen zu finden.1639

Nachdem der Rostocker die achte Beschuldigung des Possevinus nicht mehr berücksichtigt

hat, kommt er zu dem Schluß: „Nun wollte ich lediglich die Hauptpunkte der

„Fälschungen“ von Possevinus, mit denen er meine Rede über den Zustand der Kirchen

Griechenlands frech und gottlos anzugreifen wagte, aufdecken und zurückweisen. Und ich

zweifle nicht, daß allen Gelehrten und lauter Urteilenden mehr als sonnenklar ist, daß ich

nicht nur, was die Geschichte angeht, wahrhaftige und ganz genau erforschte und bekannte

Dinge über die griechischen Kirchen in jener Rede vorgetragen habe, sondern auch daß es

sich um eitle und unnütze Verleumdungen und wirklich Fälschungen handelt, mit denen

Possevinus versucht hat, meine Oratio der Häresie und der Lügen zu verdächtigen und

anzuschuldigen.“1640

Bevor Chytraeus jedoch zum Ende seiner Antwort kommt, will er auch Mylonius kurz

antworten, der ihn in seinem Vorwort zum possevinischen Werk der Häresie beschuldigt

hat.1641

Auf die Beschuldigung des Mylonius, daß Chytraeus sich durch das Lob der Pikardier in

seiner Rede über die Ostkirchen und die Kirchen Böhmens nicht als Lutheraner, sondern

als Pikardier und Kalvinist gezeigt habe, antwortete der Rostocker: „Ich aber begehre, wie

mir alle Bezeichnungen für Sekte und Menschen fremd sind, so mit dem Namen des

Erlösers Christi allein, der für mich gekreuzigt worden ist, bezeichnet zu werden und

Christ zu sein und als Christ zu gelten.“1642 Und ein wenig weiter: „Auch jetzt scheue ich

mich nicht zu behaupten, daß die Pikardier der Reinheit und der Einfachheit der

apostolischen Kirche viel näher stehen als Leute wie Possevinus und Mylonius und ihre

Hilfstruppen. Und ich berufe die heiligen Väter selbst, die der Zeit der Apostel am

nächsten stehen, zu meinen Richtern.“1643

Da Chytraeus die Schriften der Väter gelesen habe, apelliere er an das Urteil aller frommen

und gelehrten Menschen, die die Schriften der Väter gelesen hätten, ob nicht all die Kräfte

der papistischen Religion, deren Schutz Possevinus in diesem Büchlein unternommen

1638 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 94. 1639 Vgl. ebd., 97. 1640 Ebd., 98-99. 1641 Vgl. ebd., 99-105. 1642 Ebd., 100. 1643 Ebd., 101.

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habe, gänzlich zusammenbrechen und umgeworfen würden, wenn man das Urteil der

heiligen Väter, die der Zeit der Apostel nahe ständen, hinzu nähme.1644

Die Antwort des Rostockers endet mit einem Bescheidenheitstopos, indem Chytraeus

gesteht, daß er kein Theologe sei, jedoch bekennt, daß er sich trotzdem eifrig um die

Frömmigkeit und die wahre Lehre über Gott bemühe. Die Bezeichnung des Possevinus als

„Grammaticus“ möchte er sich nicht anmaßen, denn es sei leichter sich den Doktortitel in

beiderlei Recht und den anderen Fakultäten zu verschaffen, als ein tüchtiger Grammatiker

zu sein und die lateinische und griechische Sprache bei den besten Autoren, die uns die

Theologie, Mathematik, Geschichte, Medizin und Philisophie in ihren Schriften

illustrierten und überlieferten, richtig verstehen und anderen erklären zu können.1645

Die Schrift wurde von Chytraeus am 15. Juli 1583 mit der Bitte an den Sohn Gottes, daß er

sich weiter seine Kirche unter ihnen sammele,1646 abgeschlossen.1647

Selbstverständlich würde es von meiner Fragestellung abweichen, alle einzelnen Beispiele,

die in dieser Auseinandersetzung angeführt wurden, darzustellen. Außerdem wäre es

unergiebig, denn dieselben Aussagen kehren immer und überall wieder. Als wichtig ist

aber die Tatsache anzumerken, daß Chytraeus sich als ein guter Kenner der altkirchlichen

östlichen Kanones und Entscheidungen der Konzilen erweist, deren Entscheidungen er

meistens aus dem gratianischen1648 kanonischen Recht des 12. Jahrhunderts zitiert. Die

1644 Vgl. David Chytraeus, Responsio, 101-102. 1645 Vgl. ebd., 105. 1646 Vgl. ebd., 105-106. 1647 Mit dieser Antwort des Chytraeus endete der Streit noch nicht, da Antonius Possevinus 1586 eine neue

Schrift gegen seine Antwort verfaßte: Antonii Possevini Societatis Iesu Notae Divini Verbi et apostolicae Ecclesiae fides ac facies ex quatuor primis Oecumenicis Sinodis: ex quibus demonstrantur I. Fraudes provocantium ad solum Dei verbum scriptum; II. Atheismi haereticorum huius seculi; III. Errores adversantium Kalendario emendato; IIII. Vafricies pervertentium Canones et abutentium nomine SS. Patrum ac Principum in re fidei; ad Ioanem III. Sueciae, etc. Regem Serenissimum, adversus responsum cuiusdam Davidis Chytraei, Posnae in Polonia, 1586. Die Schrift ist nachgedruckt 1587 in: Antonius Possevinus, Moscovia et alia opera, 116-278. Auf diesen neuen Angriff des Jesuiten hat der Rostocker nicht mehr geantwortet, so daß die Schrift für unsere Fragestellung keine Rolle mehr spielt. Es soll jedoch gesagt werden, daß Possevinus ähnlich wie in der ersten Streitschrift wiederum die Aussagen des Chytraeus mit der uns schon bekannten Argumentation zu widerlegen versucht. Auch im 17. Jahrhundert hielt es ein anderer katholischer Theologe, Leo Allatius, erneut für nötig, die „Oratio“ des Chytraeus über die Ostkirchen zu widerlegen, wobei er nichts Anderes unternahm, als die Art und den Inhalt der gegen Chytraeus gerichteten possevinischen Polemik zu wiederholen. Siehe: Leo Allatius, De Ecclesiae Occidentalis atque Orientalis perpetua consensione libri tres, Coloniae Agrippinae, 1648, Sp. 1181-1253. Dieser Versuch, zeigt erneut die Bedeutung und die Gefährlichkeit, die dieser Rede von der katholischen Seite auch im 17. Jahrhundert noch beigemessen wurde.

Die Angriffe von Possevinus und Allatius, kommentierte Michael Heineccius am Anfang des 18. Jahrhunderts mit Recht folgendermaßen: „Der fromme und curieuse Mann (Chytraeus u. A.) hat die Nachrichten, welche er anführet (in seiner Oratio über die Ostkirchen u. A.), mit großer Sorgfalt von den Reisenden gesammelt..., ist aber nachgehends von Possevino und Allatio sehr hart angegriffen worden, und zwar von diesem desto unfreundlicher, je gewisser er wußte, daß der todte Chytraeus nicht mehr antworten könnte.“ Michael Heineccius, Abbildung, Anhang, 58.

1648 Zu Gratian und zu seinem kanonischen Recht siehe: A. M. Stickler, Gratian, Sp. 1168-1169.

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ersten vier ökumenischen Konzilien, das Konzil von Gangra (340), das Konzil von Ankyra

(314), das Konzil von Neocesarea (315) und das Quinisextum (691-692) werden in seiner

Antwort erwähnt. Unter den östlichen Kirchenvätern und Schriftstellern zitiert Chytraeus

Ignatius von Antiochien, Justin den Märtyrer, Clemens von Alexandrien, Polykrat von

Ephesus, Athanasius von Alexandrien, Gregor von Nyssa, Basilius den Großen, Dionysius

Areopagita, Epiphanius von Salamina, Gregor von Nazianz, Synesius von Cyrene,

Johannes Chrysostomos, Sokrates, Sozomenos und Johannes Damascenus, was eine

ähnliche Kenntnis von diesen Theologen erweist, wie sie auch sein Lehrer Melanchthon

gehabt hatte.

Es geht hier um einen Kampf um die schon in der CA und der Apologie der CA von den

Evangelischen bestrittenen Lehren der Katholiken. Manchmal wird die ganze Diskussion

so geführt, daß die Ostkirche überhaupt keine Rolle mehr spielt. Sie wird von den beiden

Streitenden nur dann herangezogen, wenn ihr Zeugnis hilfreich für die je eigene

Argumentation sein kann.

Man sucht nur einen Vorwand, um einen theologischen Streit beginnen zu können.

Nachdem dieser Vorwand gefunden worden ist, nämlich die Rede, wird sie nur aus dem

Grund im Streit angeführt, um dadurch den Kampf für die Richtigkeit der zwischen

Katholiken und Evangelischen umstrittenen Lehren führen zu können. Man löst sich von

Anfang an von der Rede als eigentlichen Maßstab ab und führt die eigenen Maßstäbe ein.

Auch wenn diese Auseinandersetzung was die Ostkirchen betrifft, eine nutzlose Episode

der westlichen Polemik blieb, zeigt sie dennoch die Bedeutung, die der chytraeischen Rede

über die Ostkirchen beigemessen wurde, da es einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der

wichtigste, katholische Kirchenpolitiker jener Zeit es für dringend hielt, sie durch eine

eigene Streitschrift zu widerlegen.

Was die kirchengeschichtliche Wirkung des literarischen Streites betrifft, ist kein wichtiger

Tatbestand zu vermerken. Der schwedische König befand sich seit den 70er Jahren auf

dem Weg der Reformation, wenn er in der Kirchenordnung auch einige alte mittelalterliche

Elemente beibehalten ließ.1649 Johanns Absicht war die Harmonisierung der Reformation

mit dem mittelalterlichen Kirchenleben. Es ging ihm um die Anknüpfung an die

Kirchenväter und um die Wiederherstellung der altkirchlichen Ordnung.1650

1649 Daß 1593 das Augsburgische Bekenntnis in Schweden angenommen wurde, (Vgl. Anders Jarlert,

Schweden II, 650) könnte als Sieg des Chytraeus gedeutet werden, aber ob dabei wirklich seine Antwortschrift an Possevinus und Mylonius eine Rolle gespielt hat, ist wenig wahrscheinlich.

1650 Vgl. dazu den ausgezeichneten Aufsatz von Martin Friedrich, Johann III. von Schweden, 210-211. Die zentrale These, die von Martin Friedrich neuerdings vertreten wird, lautet: „Sein zentrales Anliegen (des

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Da die Schrift des Chytraeus über die Ostkirchen, was die Reinheit der orthodoxen

Liturgien betrifft, ihm einen positiven Eindruck vermittelte,1651 beauftragte Johann III. im

selben Jahr, als Chytraeus seine Antwort an die Beschuldigungen des Possevinus in

Wittenberg herausgab, den Bischof von Turku (Finnland), Ericus Erici Sorolainen,

ebenfalls ein Schüler von Chytraeus, der in Rostock studiert hatte, daß er die schwedische

Liturgie (das sog. Rote Buch),1652 ins Griechische übersetze und sich auf eine Reise nach

Konstantinopel vorbereite, um theologische Verhandlungen mit dem Patriarchen von

Konstantinopel bezüglich einer Kirchenunion zu führen.1653

Bischof Ericus Erici schickte Tuomas Laurinpojan nach Tübingen, damit dieser die

zeitgenössische griechische Sprache unter der Leitung von Martin Crusius lernte. Zur

selben Zeit befragte er seinen Magister David Chytaeus hinsichtlich der Möglichkeit einer

kirchlichen Union mit den Griechen.1654 Letztendlich blieb der Schritt zu den

beabsichtigten Verhandlungen aus, und wurde bis heute aus unbekannten Gründen nicht

mehr gemacht.1655

Durch die Besonderheiten der schwedischen Reformation – besonders die Beibehaltung

der apostolischen Sukzession – und durch die altkirchliche Prägung ihrer Ordnung und

ihres Gottesdienstes - Fasten zur Abendmahlsvorbereitung, die Einführung der

Einzelbeichte, der bischöflichen Konfirmation, der letzten Ölung, die Wiedereinführung

der Ikonen in die Kirchen, u.a.,1656 - die Johann III. seiner Kirche versucht hat, zu eigen zu

Johann III. u. Z.) war, so meine These, die schwedische Kirche auf einen Weg hin zu seinem Kirchenideal zu führen; d.h. sie in der Form möglichst stark der altkirchlichen Tradition anzunähern, ohne die reformatorischen Prinzipien des sola scriptura und sola gratia aufzugeben.“ Ebenda, 213.

1651 Vgl. Martti Parvio, Luterilais-ortodoksiset, 193. 1652 Liturgia suecanae ecclesiae catholicae et orthodoxae conformis, Stockolm, 1576. Die Liturgie wurde

wegen ihres Einbandes auch „röda boken“, also „rotes Buch“ genannt. Vgl. Martin Friedrich, Johann III. von Schweden, 210, Anm. 67. Der König schlug als Basis der Verhandlungen diese Liturgie vor, weil sie im Geist der Kirchenväter und der alten Kirche verfaßt worden war. Vgl. J. S. Pajula, Suomen Kirkon, 50. In dieser Liturgie ist „die Restauration des eucharistischen Gebetes der Punkt, wo es Johann am besten gelungen ist, die altkirchliche Ordnung wiederherzustellen und mit der mittelalterlich-römischen Tradition zu brechen...“ Sitrygg Serenius, Liturgia Svecanae Ecclesiae catholicae et orthodoxae conformis. En liturgihistorisk undersökning med särskild hänsyn till struktur och förlagor, Åbo, 1966, 341 apud Martin Friedrich, Johann III. von Schweden, 211.

1653 Vgl. dazu auch Oskar Garstein, Rome and Counter-Reformation, I, 254. J. S. Pajula erwähnt in seiner Dissertation über den Zustand der finnischen Kirche zu jener Zeit, daß auch ein dogmatisches Buch, „tota fidei panoplia“ genannt, ins Griechische übersetzt werden sollte. Vgl. J. S. Pajula, Suomen Kirkon, 50.

1654 Vgl. Rafael Holmström, Eerikki Eerikinpoika Sorolainen, 40. 1655 Vgl. Martti Parvio, Luterilais-ortodoksiset, 193-194 und 210-211. Rafael Holmström, Eerikki

Eerikinpoika Sorolainen, 40. Für den Hinweis auf diesen Versuch des schwedischen Königs, Verhandlungen mit der griechischen Kirche durch einen Schüler des Chytraeus zu beginnen, bedanke ich mich herzlich bei meinem guten Freund, Vesa Hirvonen von der Universität Helsinki, der für mich auch die entsprechenden Passagen aus der finnischen Sprache übersetzt hat.

1656 Vgl. Martin Friedrich, Johann III. von Schweden, 209-210. Oskar Garstein, Rome and Counter-Reformation, I, 254. Die Nova Ordinantia ecclesiastica von 1575 z. B. griff auf die Kirchenväter zurück und führte viele ältere Gebräuche und Ordnungen wieder ein. Vgl. Anders Jarlert, Schweden II, 654.

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machen, erweist sich der Versuch des schwedischen Königs, theologische Verhandlungen

mit dem Patriarchat von Konstantinopel aufzunehmen, als die potentiell mit den besten

Voraussetzungen zum Gelingen begonnene Initiative einer Union zwischen einer

Reformationskirche und der orthodoxen Kirche, die uns im 16. Jahrhundert bekannt ist.

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8 Schlußfolgerungen: die Bedeutung der chytraeischen ostkirchlichen Veröffentlichungen

Nachdem die wichtigsten Kapitel der Arbeit fast durchgängig mit Zusammenfassungen

oder Bewertungen schließen, ist die Fülle der festgehaltenen Einzelergebnisse hier nicht

nochmals zu wiederholen. In diesem abschließenden Punkt wird es nur darum gehen, die

Bedeutung der chytraeischen ostkirchlichen Erforschungen und Veröffentlichungen im

Kontext der lutherisch-orthodoxen Beziehungen des 16. Jahrhunderts zu verdeutlichen.

Die Tätigkeit und die Erforschungen des Rostocker Theologieprofessors, Humanisten und

Historikers als Ostkirchenkundler bildet neben dem theologischen Briefwechsel zwischen

Tübingen und Byzanz aus den Jahren 1573-1581 die zweite große Episode der lutherisch-

orthodoxen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Während dort ein

ganzes „Team“ von Theologen und Humanisten, unter denen Martin Crusius und Stephan

Gerlach als prägende Gestalten besonders hervorzuheben sind, am theologischen Dialog

beteiligt war, wirkte David Chytraeus von Rostock aus allein, indem er mehr als 15 Jahre

lang Nachrichten und Dokumente hinsichtlich der Ostkirchen sammelte, bearbeitete und

veröffentlichte.

Während sich die Tübinger Theologen besonders für die griechische Kirche interessierten,

gab sich der Rostocker nicht nur mit der Darstellung dieser Kirche zufrieden, sondern

versuchte fast alle anderen Kirchen des Orients vorzustellen. Das Spezifische bei

Chytraeus im Vergleich zu den anderen Reformatoren ist das ununterbrochene Erforschen

der Ostkirchen. Im protestantischen deutschsprachigen Raum und nicht nur dort erscheint

David Chytraeus als der Ostkirchenkundler des 16. Jahrhunderts überhaupt. Niemand hat

in diesem Jahrhundert gewagt, ein eigenes Werk über die Ostkirchen zu schreiben. Bei ihm

handelte sich nicht um zufällige Begegnungen, denn der Rostocker war bei der Begegnung

mit den Vertretern der Ostkirchen und bei seinen persönlichen Erforschungen dieser

Kirchen immer die aktive und anregende Person der Kontakte und Erforschungen, so wie

es auch in den meisten Fällen der Beziehungen zwischen Orthodoxie und Luthertum im 16.

Jahrhundert der Fall war, wo die Vertreter der Reformation die Anreger der Beziehungen

darstellten.

Bei Chytraeus ging es wirklich um Erforschung. Man wußte damals nicht, was für

christliche Kirchen im türkischen Reich noch bestanden. Seine glaubwürdigen

Berichterstatter befragte er immer weiter. Er gab sich mit Kenntnissen allein über

Griechenland und Kleinasien nicht zufrieden und trieb die Exploration weiter über den

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ganzen Nahen Osten und bis nach Äthiopien hin. Die auf Europa zentrierte Welt begann

sich damals auszudehnen und die Menschen waren neugierig über neue Nachrichten von

legendären Ländern und Völkern. Zu den Erforschern solcher Länder zählt sich auch

Chytraeus, und als einen Wiederentdecker und Erforscher haben ihn alle Forscher

verstanden, die bis heute Interesse an seinem Werk über die Ostkirche bekunden.

Seiner Unterrichtsmethode der Geschichte treu gab Chytraeus nach der kurzen Vorstellung

der Ostkirchen eine Reihe von Quellen heraus, die eine Vertiefung verschiedener Aspekte

aus dem Leben dieser Kirchen ermöglichten. Der Anhang seiner Rede über die Ostkirchen,

in dem alle diese Dokumente veröffentlicht wurden, veranschaulicht deutlich den Umfang

seiner Erforschungen. An Mühe, sich Nachrichten zu verschaffen, hat er es nicht fehlen

lassen, denn dazu gehen Briefe, ja sogar eigene Boten in alle "Himmelsrichtungen". Über

Mittelsmänner wie Billerbeg, Budowitz und Oderborn ließ er sich über den Zustand der

christlichen Kirchen von Rußland bis Ägypten informieren. Seit 1580 hatte jede neue

Ausgabe der Oratio mehrere Dokumente im Anhang. Wenn wir die Schwierigkeiten in

Betracht ziehen, mit denen Budowitz und Billerbeg sogar in Konstantinopel und im Orient

zu kämpfen hatten, um einige neue glaubwürdige Nachrichten über die Ostkirchen zu

erfahren, kann man die Arbeit des Chytraeus als eine außerordentliche Leistung für jene

Zeit bewerten.

Im 16. Jahrhundert waren Nachrichten über den ziemlich unbekannten Osten sehr

erwünscht.1657 Überhaupt hatte Chytraeus für den Osten die größte Vorliebe, so daß die

Nachrichten aus dem Orient, so sagte er einmal, ihm lieber als alle anderen seien, die er

aus allen Weltgegenden erhalte. David Chytraeus freute sich als Humanist durchaus auch

über politische, kulturelle, ethnische und geographische Nachrichten aus dem Orient, aber

er zeigte sich besonders interessiert an den Lehren, den Riten, den Gebräuchen und

letztlich am allgemeinen Zustand der Ostkirchen. Es ging dem Humanisten aus Rostock

um die Weiterbildung der gelehrten Gesellschaft anhand von religiösen, kulturellen und

politischen Neuigkeiten aus dem Orient, die als ein kulturelles Gemeingut verstanden

würden. Da Chytraeus als lutherischer Theologe der zweiten Generation ein ausgeprägtes

Konfessionsbewußtsein zueigen war, kann man in seinen ostkirchlichen

Veröffentlichungen beobachten, daß den mit den evangelischen übereinstimmenden

orthodoxen Lehren wenn schon keine Legitimationsfunktion so doch mindestens eine

Bestätigungsfunktion beigemessen werden kann.

1657 Richard Hausmann, Studien, 7.

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Der Rostocker pflegte damals die Korrespondenz mit den bedeutendsten Gelehrten jener

Zeit aus dem Orient, dem Patriarchen Jeremias II. und dem zukünftigen Patriarchen von

Alexandrien Meletios Pegas. Beide haben ihn hochgeschätzt und mit ihm Bücher

ausgetauscht. Der Brief des Patriarchen Jeremias II. war dem Rostocker „lieber als alles

Gold und Edelsteine.“1658

Patriarch Michael von Antiochien, den Budowitz in Konstantinopel traf und ihm aus der

Oratio des Chytraeus den Abschnitt über die äthiopische Kirche vorlas, hörte das Gelesene

„nicht ohne Bewunderung“ (non sine admiratione).1659 Patriarch Michael von Antiochien

war der einzige orthodoxe Theologe jener Zeit, über den wir sicher wissen, daß er etwas

aus dem Inhalt des Buches von Chytraeus über die Ostkirchen kannte und mehr als das

bewunderte.

Wenzeslaus Budowitz maß der Oratio des Chytraeus die Bedeutung eines

Orientierungsführers bei einer Reise durch den Orient bei. Sie sei wie „Ariadnes Faden“ in

dem Labyrinth der verschiedenen orientalischen Kirchen.

Während bei Luther und Melanchthon eine Thematisierung der zwischen dem Luthertum

und der Orthodoxie übereinstimmenden Lehren anzutreffen ist, wird bei Truber und

Chytraeus in ihren Beschreibungen der Ostkirchen aus der Gegenwart argumentiert, wobei

in einer späteren Phase auch die Kirchenväter als Zeugen der Wahrheit angeführt werden,

besonders in der Auseinandersetzung mit dem Jesuiten Possevinus. In der literarischen

Auseinandersetzung mit den Jesuiten Antonius Possevinus und Nicolaus Mylonius treten

erneut die außerordentlich guten Kenntnisse der altkirchlichen östlichen Kanones, der

Entscheidungen der Konzilien und der östlichen Kirchenväter von Seiten des Chytraeus

hervor.

Der riesige hinsichtlich der Ostkirchenkunde in Deutschland gemachte Sprung des

Chytraeus ist leicht ersichtlich, wenn wir von der vermuteten Aussage Martin Luthers aus

dem Jahr 1532 ausgehend („Und ich glaube, daß in Armenien, Aethiopien, Mohrenland,

Indien und den Ländern gegen Morgen noch viel Christen seien, aber in Kleinasia sind alle

unter dem Türken“)1660 die Kenntnisse des Rostocker Ostkirchenkundlers betrachten.

Dabei ist noch zu bemerken, daß es nicht Philipp Melanchthon gewesen ist, in dessen Haus

sich der durch viele orthodoxe Länder gereiste orthodoxe Diakon Demetrios 1559 mehr als

6 Monaten aufhielt, der ihm dadurch eine gute Gelegenheit gab, die Riten, die Lehren und

1658David Chytraeus, Epistolae, 264. 1659 Julius Glücklich, Václava Budovce, 15. 1660 WA, Tischreden, 5, 451.

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die Zeremonien der Ostkirchen kennenzulernen, sondern der neugierige Chytraeus, der

sich aus Rostock 14 Jahre lang bemüht hat, den christlichen Osten zu erforschen.

Einer der größten Kenner der griechischen Kirche, Michael Heineccius, bezeichnete

Chytraeus 1711 als den „fromme[n] und curieuse[n] Mann,“ der Nachrichten „mit großer

Sorgfalt von den Reisenden gesammelt hat.“ Er machte in seinem Werk über die

griechische Kirche auf diese "Oratio" des Chytraeus aufmerksam, indem er es am Anfang

des Kapitels: „Auctores – welche von der Griechischen Kirche überhaupt geschrieben“ als

das einem „jeden wohl bekanntes“ Werk zu Anfang des 18. Jahrhunderts anführte.1661

Wenn wir einen Blick auf die auf ihm aufbauende Arbeit in Bezug auf die Ostkirchen

werfen, müssen wir die hohe Zuverlässigkeit und besonders die umfassende Darstellung

seiner ostkirchlichen Informationen bewundern. Es gibt keine andere Darstellung der

Ostkirchen im 16. Jahrhundert, die einen so umfassenden Überblick über die einzelnen

christlichen Kirchen des Orients und ihre Hauptmerkmale geben kann. Die frühere

Darstellung der äthiopischen Kirche durch Franciscus Alvarez oder die späteren

Darstellungen oder Reisebeschreibungen der Ostkirchen, bei Martin Crusius, Stephan

Gerlach, Salomon Schweigger, Damianus von Goes und Leonhart Rauwolff begrenzen

sich nur auf bestimmte orientalische Kirchen und haben nicht zum einzigen Zweck die

Beschreibung des kirchlichen Lebens, sondern auch die Vermittlung

religionsgeschichtlicher, historischer, geographischer, ethnischer, medizinischer,

sprachlicher sowie vieler anderer Kenntnisse über die Länder und Völker des Orients. Als

eine Rede, die ausschließlich dem Zustand der Ostkirchen gewidmet ist, bleibt die „Oratio

Davidis Chytraei de Statu Ecclesiarum“ ein einzigartiges Werk im 16. Jahrhundert.

Außerdem liegt die Bedeutung dieser Rede auch darin, daß sie chronologisch gesehen die

erste Darstellung der Ostkirchen im Abendland war. Als die Reisebeschreibung von

Leonhart Rauwolff 1583, die Turcograecia von Martin Crusius und die Acta et Scripta

Theologorum Wirtembergensium 1584 herausgegeben wurden, - vom Tagebuch des

Stephan Gerlach (erst 1674erschienen) und von der Reisebeschreibung des Salomon

Schweigger (1608erschienen) nicht mehr zu reden, - waren schon nicht weniger als 24

Auflagen der Rede des Chytraeus über die Ostkirchen in sieben verschiedenen Städten –

Rostock, Graz, Görlitz, Straßburg, Ingolstadt, Wittenberg und Frankfurt – erschienen.

Was die Rezeption der chytraeischen Oratio im 16. Jahrhundert anbelangt, kann man

feststellen, daß die Oratio des Rostockers nicht nur in den Kreisen der an den Ostkirchen

interessierten abendländischen Gelehrten und bei denen, die Chytraeus persönlich darüber

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Mitteilung machten, sondern auch vielen anderen Humanisten und Theologen wie Michael

Neander, Maximilian Fugger, Lambert Danaeus und Jakob Andreae bekannt war. In Wien,

im Baltikum, in Skandinavien, Byzanz und Frankreich war das Buch des Rostockers

ebenfalls vielen Gelehrten jener Gegenden bekannt. Auch in den nächsten Jahrhunderten

wurde die Oratio des David Chytraeus immer wieder von Gelehrten wie Michael

Heineccius, Gottfreid Arnold, Nicolae Iorga und Ioan Mihălcescu als ein wichtiges Buch

über die Ostkirchen angeführt.

Wenn man die späteren Darstellungen über die Ostkirchen bis zu den modernen

Darstellungen des 20. Jahrhunderts von Karl Beth,1662 Friedrich Heiler1663 und Reinhard

Thöle1664 mit der chytraeischen Rede des 16. Jahrhunderts vergleicht, kann man feststellen,

daß der umfassende Überblick des Chytraeus sowie die von ihm vorgeschlagene Thematik

in ihren Grundzügen auch in diesen späteren Darstellungen ihre Gültigkeit bewahrt haben.

Chytraeus hat den Blick der lutherischen Kirchengeschichtsschreibung, die noch ganz am

Anfang ihrer Laufbahn war, von der konfessionellen Einengung befreit und auf die

Christenheit der Ökumene, der damals bekannten bewohnten Welt gerichtet. Er ähnelt in

gewisser Hinsicht dem amerikanischen Missionshistoriker Kenneth Scott Latourette, der

erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit seinem Werk „A History of the Expansion of

Christianity“1665 „einer ökumenischen kirchlichen Geschichtsbetrachtung zum Siege

verholfen hat, hinter der die moderne Kirchengeschichtsschreibung nicht mehr

zurückschreiten kann. Sein Werk hat die Vorherrschaft der territorialkirchlichen,

nationalkirchlichen, denominationalistischen und konfessionalistischen Kirchengeschichts-

schreibung gebrochen, es hat die lange Periode des kirchengeschichtlichen Parochialismus

und Provinzialismus aller Arten und Gattungen beendet ...“1666

1661 Vgl. Michael Heineccius, Abbildung, Anhang, 57-58. 1662 Karl Beth, Die orientalische Christenheit der Mittelmeerländer. Reisestudien zur Statistik und Symbolik

der griechischen, armenischen und koptischen Kirche, Berlin, 1902. 1663 Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, Neubearbeitung von „Urkirche und Ostkirche“, München/Basel, 1971. 1664 Reinhard Thöle (Hg.), Zugänge zur Orthodoxie mit 41 Abbildungen, 3. Neubearbeitete Auflage,

Göttingen, 1998. 1665 7 Bände, New York, 1937-1945. Siehe auch die gekürzte deutsche Ausgabe: Geschichte der Ausbreitung

des Christentums. Mit einem Vorwort von Hermann Dörries, Göttingen, 1956. Zum ökumenischen Wert seiner Kirchengeschichtsschreibung siehe: Bernd Jaspert, Ökumenische Kirchengeschichtsschreibung, 18 ff.

1666 Ernst Benz, Kirchengeschichte, 36. Sogar die „Ökumenische Kirchengeschichte“, die von Raymund Kottje und Bernd Möller in den 70er Jahren herausgegeben wurde, bleibt bei der alten konfessionalistischen Kirchengeschichtsschreibung. Bernd Jaspert beurteilt dieses Werk wie folgt: „Bis auf wenige Seiten im dritten Band bleibt die „Ökumenische Kirchengeschichte“ einem vorökumenischen Germano- und Eurozentrismus verhaftet, was Stoff und Darstellung, Quellen- und Sekundärliteratur und erst recht, was die Auswahl der Mitarbeiter betrifft.“ Bernd Jaspert, Ökumenische Kirchengeschichtsschreibung, 33.

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David Chytraeus hat durch seine Rede über den Zustand der byzantinischen und

altorientalischen Kirchen aus Europa, Asien und Afrika im 16. Jahrhundert und ihre

wiederholte Herausgabe die Aufmerksamkeit des Abendlandes auf die Ostkirchen gelenkt

und ist dadurch zum Begründer sowohl einer protestantischen Ostkirchenkunde als auch

einer ökumenischen Kirchengeschichtsschreibung im Rahmen des deutschen Protestan-

tismus geworden.

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ARG = „Archiv für Reformationsgeschichte“, Berlin, 1, 1903/04ff.

BBKL = „Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon“, Hamm, 1, 1970ff.

BNBelg = „Biographie Nationale de Belgique“, Bruxelles, 1-28, 1866-1944; 29

(=Suppl.1) 1957ff.

Byz. = „Byzantion“, Revue internationale des études byzantines, Bruxelles, 1,

1924-14, 1939; 15, 1940/41-17, 1944/45; 18, 1946/48ff.

ByZ = „Byzantinische Zeitschrift“, Leipzig, 1, 1892ff.

BySl = „Byzantinoslavica“- International journal of Byzantine studies, Praha, 1,

1929ff.

Cath(M) = „Catholica“- Jahrbuch für Kontroverstheologie, Münster (etc.), 1, 1932ff.

DVfLG = „Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und

Geistesgeschichte“, Halle, 1, 1923-22, 1944; 23, 1949ff.

DThC = „Dictionnaire de Théologie Catholique“, Paris, 1-15, 1903-1950 + Tables

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EvDia = „Die evangelische Diaspora“, Leipzig, 1, 1919/1920ff.

ECR = „Eastern Churches Review“, Oxford, 1, 1966-10, 1978.

EI2 = „The Encyclopaedia of Islam“, Leiden, 1, 1960ff.

Eor = „Échos d’Orient“, Bucarest (etc.) 1, 1897/98-39/40, 1940/42 (1942/43)

EMZ = „Evangelische Missions-Zeitschrift“, Stuttgart, 1, 1940-5, 1944. NF 6, 1949-

31, 1974.

EvTh = „Evangelische Theologie“, München, 1, 1934/35ff.

FZPhTh = „Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie“, Freiburg, Schweiz,

68(= 4.Ser.1) 1954ff.

GOTR = „The Greek Orthodox Theological Review“, Brooklin, Mass. 1, 1954/55ff.

HGB = „Hansische Geschichtsblätter“, Köln (etc.), 1, 1871ff.

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JGGPÖ = „Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus im

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1667 Nach Siegfried M. Schwertner: „Theologische Realenzyklopedie, Abkürzungsverzeichnis“, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, zusammengestellt von Siegfried M. Schwertner, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1994.

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JÖB = „Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik“, Wien (etc.), 18, 1969ff.

KO = „Kirche im Osten“, Stuttgart (etc.), 1, 1958ff.

Kyrios = „Kyrios“, Vierteljahresschrift für Kirchen- und Geistesgeschichte Osteuropas,

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MÖSA = „Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs“, Wien, 1, 1948ff.

NDB = „Neue Deutsche Biographie“, Berlin, 1, 1953ff.

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OCP = „Orientalia Christiana Periodica“, Roma, 1, 1935ff.

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Cost = „Der christliche Osten“, Würzburg, 7, 1952ff.

OS = „Ostkirchliche Studien“, Würzburg, 1, 1952ff.

PBR = „The Patristic and Byzantine Review“, Kingston, N.Y., 1, 1982ff.

PuN = „Pietismus und Neuzeit“, Göttingen, 1, 1974ff.

RGG 2, 4 = „Religion in Geschichte und Gegenwart“, Tübingen, 1, 1927-5, 1931 +

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REArm = „Revue des Études Arméniennes“, Paris, 1, 1920-11, 1933, NS 1, 1964ff.

RESEE = „Revue des Études sud-est européennes“, Bucureşti, 1, 1963ff.

RHPhR = „Revue d’histoire et de philosophie religieuses“, Strasbourg (etc.), 1, 1921ff.

ROC = „Revue de l’Orient Chrétien“, Paris, 1, 1896 – 36, 1946.

RSBN = „Rivista di Studi Bizantini e Neoellenici“, Roma, 1, 1964ff.

SThZ = „Schweizerische Theologische Zeitschrift“, Zürich, 16, 1898-37, 1920.

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SODA = „Südostdeutsches Archiv“, München, 1, 1958ff.

ThLZ = „Theologische Literaturzeitung“, Leipzig, 1, 1876ff.

ThPh = „Theologie und Philosophie“, Freiburg, Br. 41, 1966ff.

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ZKG = „Zeitschrift für Kirchengeschichte“, Stuttgart (etc.), 1, 1877ff.

ZOF = „Zeitschrift für Ostforschung“, Marburg, 1, 1952ff.

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ZSlP = „Zeitschrift für slavische Philologie“, Heidelberg, 1, 1925-19.1, 1944;

19.2, 1947ff.

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Theologis edita, Witebergae, M.D.LXXXIIII.

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den Landen des mechtigen Königs in Ethiopien, den wir Priester Johann nennen.

Auch von seinem Geistlichen und Weltlichen Regiment, wie den solchs durch

das Königreich Portugal, mit besonderm fleiß erkündigt und das durch den

Herren Franciscum Aluares beschrieben, welcher sechs Jar in Priester Johans

Hofe verharren müssen. Das auch mit grossem fleiß auß Portugalischer und

Italienischer Sprach ins Teutsch gebracht, sehr nützlich und dienstlich jederman,

der über Wasser und Land rheiset zu lesen, durch D. Joachim Heller, Eißleben

1567.

Andreae, Iacobus, Christliche Leichpredig bey der Begräbnus des ehrwürdigen und

hochgelehrten Herrn Primus Trubern..., Tübingen 1586.

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Budowitz, Wenzeslaus, Antialkorán, Praha 1614. (Nachdruck Praha 1989)

Chytraeus, David, Auslegung der Offenbarung Johannis, darin viel Artickel Christlicher

lehr, viel Historien, und nötiger heilsamer Trost, in gegenwertigem trübsal und

zerrüttungen der Kirchen, uneinigkeit der Lehrer und anderen anfechtungen,

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1614.

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Statu Ecclesiarum hoc tempore in Graecia, Asia, Ungaria, Boemia, etc.

narrationes cognitu non inutiles, nec iniucunde, exponuntur, Argentorati,

Excudebat Nicolaus Wiriot, MDLXXIIII.

Ders., Oratio de studio Theologiae rectè inchoando, Witebergae, Excudebant Haeredes

Johannis Cratonis, Anno MDLXXX.

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desiit, usque ad nostram aetatem continuatae, s.l., 1582.

Ders., Responsio ad Antonii Possevini et Mylonii cuiusdam criminationes, Wittebergae

MDLXXXIIII.

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296

Ders., Vandalia et Saxoniae Alberti Cranzii continuatio ab anno Christi 1500 ubi ille

desijt: per studiosum quendam historiarum instituta. Accessit Metropolis seu

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annum 1585 deducta. Cum praefatione Davidis Chytraei et indice,

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300

solum Dei verbum scriptum; II. Atheismi haereticorum huius seculi; III. Errores

adversantium Kalendario emendato; IIII. Vafricies pervertentium Canones et

abutentium nomine SS. Patrum ac Principum in re fidei; ad Ioanem III. Sueciae,

etc. Regem Serenissimum, adversus responsum cuiusdam Davidis Chytraei,

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in fine sunt adiecta, de Livonia pacisque conditionibus et pace confecta hoc

anno, inter Serenissimum Regem Poloniae et Magnum Ducem Moscoviae. Nunc

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so viler in werender Reys gesehen und erfahren. Auffs fleisigst eigner Person

Beschrieben und auffgestanden durch, Burgern inn Nürnberg. Mit einer Vorrede

Herrn Salomon Schweiggers, Gedruckt und verlegt zu Nürnberg durch Balthasar

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CURRICULUM VITAE

Name: Benga

Vorname: Daniel

Geburtsort und Recea, Kreis Braşov, Rumänien

Geburtsdatum: 11.02.1972

Familienstand: verheiratet, zwei Söhne und eine Tochter

Staatsangehörigkeit: rumänisch

Studiengang: 1978-1986 Grundschule

1986-1990 Radu Negru Gymnasium Făgăraş, Kreis Braşov

1990-1994 Besuch der Orthodoxen Fakultät der Universität Bukarest

1994-1995 Magisterstudium an der Bukarester Fakultät für

Orthodoxe Theologie

1995-2000 Doktorand im Spezialbereich der Kirchengeschichte an

derselben Fakultät; Dissertation: Die großen lutherischen

Reformatoren und die Orthodoxe Kirche. Beiträge zur

Typologie der orthodox-lutherischen Beziehungen im 16.

Jahrhundert

1996/1997 Besuch eines intensiven Deutschkurses an der

Evangelischen Fakultät in Hermannstadt/Sibiu,

Rumänien

1997/2001 Stipendiat des Diakonischen Werkes der EKD in

Erlangen; Doktorand am Lehrstuhl für Theologie und

Geschichte des christlichen Ostens; Dissertation: David

Chytraeus als Erforscher und Wiederentdecker der

Ostkirchen

Berufliche Erfahrung: 1994-1996 Religionslehrer an der Grundschule Nr. 19, Bukarest

1996 und 1999-2004 Assistent im Fach Kirchengeschichte an der Orthodoxen

Theologischen Fakultät Bukarest

1998-2001 Pfarrer der rumänisch-orthodoxen Metropolie für

Deutschland und Zentraleuropa

2001-2004 Pfarrer der Gemeinde des Heiligen Stephanus in

Bukarest