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Der Finanzdienstleister DBV Das Magazin des 1/2012 Nach vorn: Horst Büger und Gottlieb Chlebnitschek sind Schrittmacher bei Xchanging Signal für freie Gewerk- schaften Solvency II: Gefahr für die Rente vieler Banker

DBV Heft 2 2011 Umschlag - dbv-gewerkschaft.info · Ersatz-Gesetzgeber im Betrieb, für die mit dem Urteil ent-sprechend ein klares, einheitliches Handlungsfeld ohne Störfaktoren

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Der Finanzdienstleister DBVDas Magazin des

1/2012

Nach vorn: Horst Büger und Gottlieb Chlebnitscheksind Schrittmacher bei Xchanging

Signalfür freieGewerk-schaften

Solvency II: Gefahr für die Rente vieler Banker

Aktuelle und hintergründige Informationen aus unserem Internet-Auftritt bekommenSie immer regelmäßig automatisch über unseren e-Mail-Newsletter. Melden Sie sicheinfach in wenigen Augenblicken an unter http://www.dbv-gewerkschaft.de/index.php?id=131. Bis bald und viel Erfolg !

Herausgeber:

DBV – Gewerkschaft der FinanzdienstleisterOststraße 10, 40211 DüsseldorfTel.: 0211/36 94 558, Fax: 0211/36 9679E-Mail: [email protected]: http://www.dbv-gewerkschaft.de

Redaktion, verantwortlich für den Inhalt undAutor, wenn nicht anders benannt: Oliver Popp

Ständige Mitarbeiter:Sigrid Betzen, Stephan Szukalski

Fotos: Oliver Popp Agentur Fotolia (www.fotolia.de)(Bild hintere Umschlagseite)Agentur Photocase (www.photocase.de)

Postanschrift: Der FinanzdienstleisterOststraße 10, 40211 Düsseldorf

Satz, Gestaltung und Druck:Druckerei Rechtsverlag Gutenberghaus Druck & Medien GmbH & Co.KGOststraße 119, 40210 DüsseldorfTel.: 0211/8 6718 33, Fax: 0211/8 6718 41

Papier: Gedruckt auf chlor- und säurefreiemumweltfreundlichem Papier

Postverlagsort: DüsseldorfBezugspreis: EURO 1,25Jahresbezug: EURO 3,75jeweils zuzüglich Zustellgebühr,für Verbandsmitglieder ist der Bezugspreisim Mitgliedsbeitrag enthalten.

Erscheinungsweise: 3 mal jährlich

Mit Namen gezeichnete oder signierte Beiträgestellen die Ansicht des Verfassers nicht unbe-dingt die des Herausgebers oder der Redaktiondar. Für unverlangt eingesandte Beiträge wirdkeine Haftung übernommen. Kürzungen undredaktionelle Änderungen behalten wir uns vor.Die Rücksendung von Manuskripten erfolgt nur,wenn Rückporto beiliegt.

E Titelthema Tarifeinheit:Weg vom Schmalspurdenken! 2-3

E Titelthema BVV: Zukunft derbetrieblichen Altersversorgung in Gefahr 4-5

E Titelthema Xchanging:,,Das Vertrauen ist das Wichtigste” 6-8

E Interview Daniel Bahr: ,,Politiker solltenmehr Erfahrung in der Bank sammeln” 8-9

E Mitmachen Demografischer Wandel:Rezepte für Alt und Jung 10-11

E Reportage Aberdeen Asset: Hunger nach Wissen 12-13

E Gesundheit Überlastungsanzeige:die rote Karte im Arbeitsleben 14-15

E Organisation 16

PRIVATES BANKGEWERBEFEIKES Ursula – VerhandlungsführerinBEESE UteBETZEN SigridFREUND PetraGAMBINO GiulioHAMACHER Karl-HeinzHEINRICH NorbertLANGENSIEPEN PetraRUCK KarinSCHOCK VolkerSZUKALSKI StephanTÖGEL JürgenWOLFF Karsten

VOLKS- UND RAIFFEISENBANKENBUFF Heinz – VerhandlungsführerALBRECHT ThomasBENTERBUSCH Heinz NorbertBETZEN SigridBRAUN-BAUMANN HeidiBURSKI FriedhelmHINKE NorbertWITTIGER Helmut

VERSICHERUNGSGEWERBEBEESE Ute – VerhandlungsführerinBETZEN SigridKÖHLER MarkusMATTHES Kurt WalterRUCK KarinSEIFER Sonja

THEMEN SEITE Unsere Tarifkommissionen

Infokasten: FREITAGmittagKompakt auf einen Blick die wichtigsten Informationen zu einerBranche, wöchentlich aktuell: FREITAGmittag erreicht dieEntscheider in Banken - und nach mehreren Kooperationen mitführenden Hochschulen auch diejenigen, die es werden wollen.Die Agentur FLEISCHER´S gibt den Newsletter seit rund sechsJahren heraus. Mittlerweile erreicht er mehr als 2.000 Leser inüber 100 Banken und Sparkassen. FREITAGmittag im Test -kostenfrei und unverbindlich, das Probeabo läuft automatisch aus. Einfach hier bestellen: www.freitagmittag.de Wir

ist

stärkerals ich!

DBV Inhaltsverzeichnis

DBVGrußwort

1

Gewusst wie: Die richtige Pflege

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

der Frühling hat sich schon mächtig ins Zeug gelegt underfreut uns mit neuem Grün und reichlich Farben. Licht und Luft locken nach draußen – viele in den Garten. Welch’schöne Motivation, ans Werk zu gehen, wie ich finde! Sowie viele ihre Scholle bearbeiten, müssen wir auch unserenDBV-Garten bestellen. Und viel Pflege gelingt da wie dortnach ähnlichem Muster.

Damit Blüte und Ernte wie in den Vorjahren kommen, hilftmeist nur der Griff zur Gartenschere. Altes muss weichen,damit Raum für Neues ist – wie unser Kampf gegen dasAuslaufmodell Tarifeinheit und für freie Organisation vonGewerkschaften zeigt (Seiten 2 und 3). Wir stehen dabei ineinem breiten Bündnis von der dbb Tarifunion bis zurTarifgemeinschaft deutscher Länder und haben erreicht,dass das Justizministerium den Gesetzentwurf zurTarifeinheit nicht weiter verfolgt. Und doch ist er noch nichtgänzlich vom Tisch – wir müssen wachsam bleiben.

Wir tun auch etwas für alle, wenn wir unsere sorgfältiggepflegte, vielfältige und ertragreiche Flur davor bewahrenwollen, von Anderen zu einem peniblen Mustergarten zu-rechtgestutzt zu werden. Der BVV als gewachsene undwiderstandsfähige Altersversorgungskasse für viele Banker –eine der ersten großen DBV-Initiativen 1909 – wird nämlichdurch unmäßige Brüsseler Eigenkapitalvorschriften bedroht(Seiten 4 und 5). Obwohl wir schon über mehrere Jahreden Boden bereiten für lebensnahe Auflagen, erweist sichdieser Acker der EU-Regulation bisher als zäh und wenigfruchtbar.

Dagegen keimen auf unserem Frühbeet wieder einige neueSetzlinge – wir konnten neuen Betriebsräten mit Organi-sationshilfe und Seminaren Energie geben für die kommen-den Aufgaben, wie etwa bei Aberdeen Asset (Seiten 12und 13).

Einen alten Baum verpflanzt man nicht, aber er kann immerwieder neue Kraft entwickeln, wenn man ihm Platz schafftund den Boden lockert. Dann kann er noch lange Schattenspenden, und viele können sich an seinen Stamm anleh-nen. Aus solchem Holz sind auch viele ältere Mitarbeiter inden Banken, sie wollen für die Jüngeren da sein als Erfah-rungsgeber und souveräner Ruhepol in hektischen Zeiten –wenn sie dürfen und angemessen gefördert werden. Unse-re Arbeitsgruppe „Demografischer Wandel“ entwickelt da-für vielfältige Rezepte (Seiten 10 und 11) und freut sich aufrege Rückmeldung.

Diese stattlichen Bäume mussten erst wachsen und sichauch durch trockene Jahre kämpfen und Krankheiten über-stehen – sie sind davon gezeichnet, aber sie erholen sich

wieder bei richtiger Pflege und wenn man ihnen Zeit gibt.Nicht wenige Kollegen in den Banken leiden viel zu langestill, so dass die Behandlung und Pflege oft so spät kommt,dass ebenso Wunden bleiben, körperlich und / oder see-lisch. Deshalb sollten sich die menschlichen Patienten aucheinmal entschiedener zu Wort melden, wenn niemandNotiz nimmt – mit einer Überlastungsanzeige. Wir zeigenIhnen auf den Seiten 14 und 15, wie dieses Notventil Vor-gesetzte und Personalabteilung zum Handeln zwingt, wenndiese sich nicht strafbar machen wollen.

Wir suchen auch noch fleißige Helfer für die Gartenarbeitunseres DBV in den kommenden Jahren – zur Hauptver-sammlung am 5. Juli 2012 in Düsseldorf. Wer hat guteIdeen, wer möchte organisatorisch mit anpacken, wer hatInteresse, für ein Amt bei uns zu kandidieren? Wir freuenuns auf Ihren „grünen Daumen“! Wir werden gut planenund mit Elan und Mut ans Werk gehen, ab und an aberauch innehalten und prüfen, ob unser Garten so aussiehtwie wir uns das zu Beginn vorgestellt haben – wenn nicht,müssen wir das eine oder andere auch neu gestalten oderanders behandeln. Die Gartenpflege bei uns bringt Ab-wechslung über die Saison – allerdings ist sie wie überallkontinuierliche Arbeit. Wer ständig Cocktails schlürfend amPool liegt, wird bei uns nicht glücklich. Nur wenn alle mit-helfen, können wir gemeinsam die Früchte der Arbeit ern-ten. In Form von gehaltvollen Tarifverträgen, direkterRechtshilfe, anschaulicher Weiterbildung und Glaubwürdig-keit auf der politischen Bühne, um nur einige zu nennen…

HerzlichstIhre Karin Ruck

Karin Ruck

DBV Titelthema

2

Tarifeinheit:

Weg vom Schmalspurdenken!

In den meisten Medien war es nur eine Randnotiz, alsJustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)letztes Jahr vehement gegen den gemeinsamen Gesetz-entwurf des Arbeitgeberverbandes BDA und ver.di zurTarifeinheit Stellung bezog. Und doch ist es eine gewich-tige Festlegung, die den Arbeitnehmern und ihren Vertre-tungen die Kraft sichert, sich in den Auseinandersetzungenmit der Arbeitgeberseite in den nächsten Jahren zu be-haupten, wenn nicht gar ihre Rechte auszubauen. Zugleichging der Stellungnahme der Ministerin ein heftigesTauziehen von Befürwortern und Kritikern der gesetzlichgeregelten Tarifeinheit voraus, das immer noch andauert,und bei jedem Streik einer Nicht-DGB-Gewerkschaft neuaufflammt.

Wir, der Deutsche Bankangestellten-Verband, gehören zuden Kritikern der Tarifeinheit und befürworten stattdessendie in der Verfassung festgelegte Koalitionsfreiheit undTarifpluralität, das heißt die Möglichkeit des Wirkens meh-rerer Gewerkschaften in einem Betrieb und die Freiheit fürdie Mitarbeiter des Betriebes, sich in einer Arbeitnehmer-Vertretung ihrer Wahl zu organisieren. Dabei stehen wir ineiner breiten Gemeinschaft mit dem dbb beamtenbundund tarifunion, den Gewerkschaften des PostkonzernsDPVKOM und komba, der Tarifgemeinschaft deutscherLänder, dem Marburger Bund, der Gewerkschaft Erziehungund Wissenschaft, zahlreichen Arbeitsrechtlern undWissenschaftlern und großen Teilen aller Fraktionen desBundestages. Seit Juni 2011 setzt sich auch in ver.di undbeim DGB die Erkenntnis durch, dass dem Ausschaltenunangenehmer Konkurrenten nicht wichtige freiheitlich-demokratische Errungenschaften untergeordnet werdendürfen.

Alles begann mit der Entscheidung des großen Senats desBundesarbeitsgerichtes im Jahr 1967, die Tarifeinheit festzu-schreiben – das heißt ein Betrieb = eine Gewerkschaft =ein Tarif. Damals sahen die Richter die Tarifparteien noch alsErsatz-Gesetzgeber im Betrieb, für die mit dem Urteil ent-sprechend ein klares, einheitliches Handlungsfeld ohneStörfaktoren geschaffen werden sollte. Dieses Richterrechtwurde jedoch nie in ein formelles Bundesgesetz gegossen,sondern blieb einfach gelebte Praxis.

Doch die Tarifeinheit funktioniert immer weniger, seitdemBerufsgruppen sich immer mehr spezialisieren und ausein-ander driften und seitdem die Arbeitgeberseite diese sichtrennenden Bedürfnisse der Arbeitnehmer-Gruppen dazunutzt, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und Tarifeauszuhöhlen. Ein weiteres Problem in den Betrieben warimmer stärker, dass mit Großgewerkschaften abgeschlosse-ne Tarifverträge häufig gerade hoch- und höchstqualifizier-te Mitarbeiter benachteiligt haben, und hier die Zuge-

ständnisse gemacht haben, gegen die im unterenTarifbereich heftiger Widerstand geleistet wurde. Eine ein-zige Gewerkschaft im Betrieb kann folglich vielfach nichtdie passgenauen Antworten für die Fragen aller Mitarbeiterfinden und genug Druck gegenüber der Arbeitgeberseiteaufbauen. Der alte Gewerkschaftsgrundsatz „Einigkeitmacht stark“ gilt noch, aber er muss anders organisiert wer-den als in früheren Arbeitskämpfen der 1960er oder 70erJahre.

Ein gutes Beispiel einer heute wirksamen Tarif-Ausein-andersetzung ist die langwierige, aber erfolgreiche Einigungfür die Beschäftigten der Charité Facility ManagementGmbH (CFM) im Dezember 2011. Die Berliner Charité istdas größte Uni-Klinikum Europas. Es wird zu 100 Prozentvom Land Berlin getragen. Die 2006 ausgegliederte Tochterleistet alle nichtmedizinischen Aufgaben in der Charité –von der Abfallwirtschaft über die Mitarbeiter- und Patien-tenverpflegung bis zur Medizintechnik, Reinigung undZentralsterilisation. An dieser Charité CFM GmbH hält dieCharité 51 Prozent. Damit ist das Land mittelbar Mehr-heitsgesellschafter bei der CFM GmbH. Viele der bei derCFM GmbH Beschäftigten müssen trotzdem mit befristetenVerträgen leben. Obendrein liegen die Brutto-Stunden-löhne um die 6,50 Euro.

Gegen diese Mini-Entlohnung, die viele Mitarbeiter als sit-tenwidrig empfinden mussten, führten die dbb tarifunionund ver.di im vergangenen Herbst über drei Monate einenArbeitskampf, bis die Arbeitgeberseite einlenkte. 8,50 Eurobekommen die Beschäftigten nun mindestens – und zwardeshalb, weil die dbb tarifunion und ver.di gemeinsamDruck gemacht haben. Beide sind im Betrieb ähnlich starkorganisiert. Mit einer verbindlichen Tarifeinheit wäre dieserErfolg wohl nicht möglich gewesen, so der Tenor vielerTarifexperten. Hier tritt die eigentliche Brisanz der Befür-worter einer gesetzlichen Tarifeinheit offen zutage. Sie wol-len in ihrem Gesetzesentwurf zwischen der so genanntenMehrheits- und Minderheitengewerkschaft differenzieren.Nur die Mehrheitsgewerkschaft, also diejenige, die ineinem Betrieb die meisten Mitglieder organisiert, soll einengültigen Tarifvertrag abschließen dürfen und dafür gegebe-nenfalls auch streiken. Im Falle eines abgeschlossenenTarifvertrages gilt für die Minderheitengewerkschaft(en) die Friedenspflicht. Das bedeutet für sie ein Streikverbot.

Und diese Situation ist in den allermeisten Betrieben an-zutreffen – Mitarbeiter sind Mitglieder in verschiedenenGewerkschaften, sie eint aber das Ziel einer gemeinsamenGrundabsicherung in Form eines tariflichen Rahmens. Soauch in den Finanzdienstleistern. Mit dem geschlossenenAusstand und Verhandeln von DBV, DPVKOM, komba (alsTarifgemeinschaft unter dem Dach der dbb tarifunion) undver.di konnten wir die Arbeitgeberseite im Dezember 2011in der Postbank BCB davon abbringen, die Gehälter vielerMitarbeiter in der Kreditabwicklung und später auch imZahlungsverkehr um effektiv bis zu mehrere hundert Euromonatlich zu kürzen. Das ist ein wichtiges Zeichen für dieGeschäftsführungen der Deutschen Bank und der Postbankim Integrationsprozess der kommenden Monate. Wir, dieGewerkschaften in beiden Konzernen, werden die Tarifeund Besitzstände speziell für die Belegschaft in den ausge-gliederten Service-Töchtern gemeinsam verteidigen unduns bei der Überleitung von Mitarbeitergruppen aus

DBVTitelthema

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Tarifpolitik: Für alle Gewerkschaften offen halten! Foto: fotolia.de

Postbank-Einheiten in originär Deutsche Bank-Betriebe oder umgekehrtoder aus beiden in ganz neue Betriebe am jeweils höheren Tarif orien-tieren.

Dabei wird das Streikrecht eine wesentliche Rolle spielen – wovon wir bisvor einigen Jahren im Bankensektor nur selten Gebrauch machten. Wirsind dazu gezwungen, wenn die Arbeitgeber diese Integration und auchandere dazu nutzen wollen, Kosten zu sparen und zugleich weiterhin ver-suchen sollten, lang bewährte Arbeitnehmer-Rechte zurückzudrängen –Absprachen zuvor hin oder her. Das Druckmittel Streikrecht ist aber wiezuvor beschrieben mit einer gesetzlich geregelten Tarifeinheit in Gefahr,weil dann für kleinere Gewerkschaften die Friedenspflicht gilt. VieleMitarbeiter organisieren sich bewusst in verschiedenen Gewerkschaften,die ihnen fachlich und von der Ansprache her nahe stehen. So zumBeispiel viele verbeamtete Postbank-Mitarbeiter in den Gewerkschaftenkomba und DPVKOM. Kaum jemand geht aber in eine Gewerkschaft, derdie Zähne des Streiks fehlen und die deshalb nicht wirkungsvoll aktiv wer-den kann. Damit ist die Möglichkeit der betreffenden Gewerkschaft ein-geschränkt, für sich zu werben und sich zu organisieren. Diese Freiheit istim Artikel 9 des Grundgesetzes als „Koalitionsfreiheit“ jedoch geschützt.Und deshalb kippten der 4. und 10. Senat des Bundesarbeitsgerichtes am23. Juni 2010 in einer Neubewertung die langjährige Praxis der Tarifeinheit– sie passe nicht mehr in die heutige Arbeitswelt.

Und dann begann das Tauziehen. Im Sommer 2010 starteten der Bunddeutscher Arbeitgeber (BDA) und zunächst auch der DGB eine Initiative,die Tarifeinheit nun mit Hilfe eines Gesetzes wieder herzustellen, zur Notauch durch eine Änderung des Grundgesetzes. Sie bemühten das Bildeiner „Balkanisierung der Tariflandschaft“ und von ungeordneten „engli-schen Verhältnissen der 1970er Jahre“, die anderenfalls drohen – Splitter-gewerkschaften würden aus dem Boden schießen und maßlose Abschlüs-se für ihre Mitglieder fordern. Doch „ungeordnete Verhältnisse“ gibt esschon länger, zum Beispiel die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer(GDL) schon seit 150 Jahren, heute im dbb-Verbund. Oder den MarburgerBund, der seit 1947 die angestellten Ärzte vertritt. Gemittelt über vieleJahre sind ihre Lohnforderungen und Abschlüsse nicht höher oder niedri-ger als bei anderen Gewerkschaften – nur zugeschnitten auf die besonde-ren Bedürfnisse und auch Belastungen ihrer Mitglieder.

Um diese Forderungen durchzusetzen, bleibt das Streikrecht unverzicht-bar. Dies würde eine Tarifeinheit aber schmälern – und dies war derGrund, weswegen im Frühjahr 2011 zuerst ver.di-Landesverbände wieNordrhein-Westfalen und Berlin, dann ver.di insgesamt und schließlich derDGB aus der Initiative mit dem Arbeitgeber-Verband ausstiegen.Entscheidend waren dabei auch zwei Gutachten im Auftrag der dbb tarif-union, die die rechtliche Seite bzw. die gelebte Praxis der richterlich neugefassten Tarifpluralität begründeten. Jüngst hat der dbb beamtenbundund tarifunion ein neues Gutachten des renommierten ArbeitsrechtlersProf. Dr. Wolfgang Däubler veröffentlicht. Nach seiner Bewertung seienGewerkschaften, denen das Streikrecht genommen würde, nichts ande-res als „Bittsteller“.

Die Dokumente zeigen außerdem eindrucksvoll, dass zum Beispiel inNahverkehrs-Unternehmen des Landes Bayern mit der neuen Tarifplu-ralität nun nicht das gewerkschaftliche Chaos ausbrach, sondern sich frei-willige Koalitionen der vertretenen Gewerkschaften bildeten, die viel bes-sere Kompromisse für die gesamte Belegschaft finden und auch durchset-zen konnten, als wenn sich eine Gewerkschaft im Namen der gesetzli-chen Tarifeinheit mit ihren Teil-Interessen durchsetzt und damit vieleMitarbeiter nicht berücksichtigt. Und im Fall des Falles haben Gewerk-schaften in der Tarifpluralität auch das Recht, allein für einzelne Mitarbei-tergruppen einen neuen Tarif zu erwirken – im Sinne eines fairen Wett-bewerbs. Dass er die Betriebe nicht lähmt, haben die Jahre 2010 und 2011gezeigt.

Stattdessen ist gerade durch die Tarifeinheitder Betriebsfrieden in Gefahr. Denn derGesetzentwurf regelt nicht, was genau einBetrieb ist und wie lange er bestehen muss.Und davon kann der Arbeitgeber profitieren,indem er Betriebe neu gründet, teilt oderzusammenfasst – als unternehmerische Ent-scheidung ist dagegen kein Kraut gewach-sen. Und damit kann der Arbeitgeber sichmit geschicktem Rechnen und Austariereneinen Betrieb zurechtschneiden, in der dieGewerkschaft in die Mehrheit kommt, dieden Interessen des Arbeitgebers am nahe-sten kommt, befürchten Beobachter, dassGewerkschaften ausgebootet werden könn-ten.

Der Arbeitgeberverband BDA jedenfalls ver-folgt den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit wei-ter. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundtberuft sich in Pressebeiträgen im Frühjahr2012 immer wieder auf die Zusage vonBundeskanzlerin Angela Merkel, das Gesetzvoranzutreiben. Große Teile der CDU, derSPD und auch der FPD selbst unterstützenden Entwurf nach wie vor und stehen damitquer zum Votum der Justizministerin. Derstarre Gesetzentwurf zur Tarifeinheit ist alsonoch nicht vom Tisch. „Ein Gesetz in seinerderzeitig angedachten Form stellt aus unse-rer Sicht einen Angriff auf die funktionieren-de Sozialpartnerschaft dar. Wir bewertendies auch als schweren Eingriff in die Tarif-autonomie im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG.Damit würden wir notfalls vor das Bundes-verfassungsgericht ziehen“, so Willi Russ, 2.Vorsitzender der dbb tarifunion. Viele Beob-achter rechnen spätestens dann mit demendgültigen Aus des Gesetzes.

Oliver Popp

DBV Titelthema

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BVV: Zukunft derbetrieblichen Altersversorgung in Gefahr

Mit Augenmerk: BVV-Finanzvorstand Rainer Jakubowski (r.) be-rät mit Pressesprecher Uwe Neujahr über die weitere Strategie inSachen Solvency II. Foto: O. Popp

Berlin, Kurfürstendamm 111-113. Ein Bürogebäude aus derNachkriegszeit, erweitert um einen Neubau: Trotz seinerGröße steht es eher schlicht als prahlend am westlichenBeginn des Boulevards mit dem großen Namen. Doch sor-gen hier 200 Altersvorsorgeexperten und Kapitalanleger fürverlässliche Renten der – gemessen am verwaltetenVermögen – größten Pensionskasse Deutschlands. Es ist dasGebäude des BVV Versicherungsverein des Bankgewerbesa.G., der im Jahr 1909 als „Beamtenversicherungsverein desdeutschen Bank- und Bankiersgewerbes“ auf Initiative desDBV und mit kaiserlichem Segen gegründet wurde. Heutesteht hinter dem langen Namen eine moderne Versor-gungseinrichtung, die rund 95 Prozent des privaten Ban-kensektors betreut. Mehr als 720 Mitglieds- und Träger-unternehmen sowie etwa 435.000 Versicherte und Rentnervertrauen dem BVV. Das Vermögen beträgt kontinuierlichwachsend etwa 23 Milliarden Euro. Und diese Zahlen stei-gen auch weiter – trotz Finanzmarktkrise, verschärftemWettbewerb und wachsender Regulierung.

Der Hamburger Rainer Jakubowski ist seit 2001 als BVV-Finanzvorstand auch der oberste „Anlagechef“ und müssteangesichts der guten Zahlen positiv in die Zukunft schauenkönnen. Aber die Aussichten sind eingetrübt – „SolvencyII“ wirft dunkle Schatten auf die betriebliche Altersver-sorgung. „Wenn diese europäische Regelung kommt, dannwird das über Jahrzehnte erfolgreiche Modell der deut-schen betrieblichen Altersversorgung hinweg gefegt“, wählt der an sich abgeklärte Kaufmann deutliche Worte.

Solvency II ist ein Ergebnis der Anstrengungen derRegierungschefs der Europäischen Union, die Ausfall-Risiken von Finanzprodukten der Banken und Versicherun-gen zu senken, welche als wesentliche Ursache für dieSchieflage der Geldhäuser in der Finanzkrise seit 2007angesehen werden. Für „Einrichtungen der betrieblichenAltersversorgung“ findet die Solvency II-Richtlinie zwarkeine direkte Anwendung, sondern allein die Pensions-fonds-Richtlinie. Allerdings soll die Richtlinie überarbeitetwerden – und auf Grundlage der Prinzipien von Solvency IIeinheitliche Rahmenbedingungen für diese Einrichtungenhergestellt werden.

Im Wesentlichen sieht Solvency II vor, mehr Eigenkapital zubilden und zurückzustellen, um eventuelle Verluste direktauffangen zu können. Eine zunächst gute und konstruktiveIdee, befindet auch Jakubowski. „Doch die deutschenPensionskassen unterscheiden sich fundamental von denBanken und Versicherungen. Zunächst einmal gilt dieEinstandspflicht des Arbeitgebers – das ist das gegenüberdem versicherten Arbeitnehmer abgegebene Rentenver-sprechen, das wir lediglich finanziell unterlegen. Außerdem

– sollte eine Pensionskasse in Schwierigkeiten kommen,würde die BaFin sehr schnell steuernd einschreiten.“

Solvency II beinhaltet einen „mark-to-market“-Ansatz, nachdem sämtliche Aktiva und Passiva zum nächstenBilanztermin liquidiert und zum aktuellen Marktwert aneinen externen Investor zu veräußern wären („full balancesheet approach“). Die zugrunde liegende, ausschließlicheMarktsicht auf Kapitalanlagen und Verpflichtungen ent-spricht den Interessen von Aktionären. Als Versicherungs-verein auf Gegenseitigkeit ist der BVV hingegen frei vonInteressen Dritter und zeichnet sich durch die paritätischeBesetzung seiner Vereins-Gremien (Arbeitnehmer undArbeitgeber) aus. Die aus den Kapitalanlagen erwirtschafte-ten Renditen gehen in ganzem Umfang an die Versichertenund Rentner. „Der einjährige stichtagbezogene Bewer-tungszeitraum von Solvency II wird dem langfristigen, aufeinen für Generationen ausgelegten Zeitraum von deut-schen Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung inkeiner Weise gerecht“, erläutert Jakubowski.

Doch Solvency II geht noch weiter: Zur ermitteltenMarktwertbewertung werden weitere Annahmen getroffenund eine Ausgangsbilanz erstellt. Diese Ausgangsbilanzwird einem Stresstest unterworfen. Dabei wird ein„Katastrophenereignis“ mit Stressfaktoren vorausgesetzt,die unter anderem ein Absinken der Immobilienpreise um25 Prozent, einem Verlust der Aktienwerte von 40 Prozent,einer Reduzierung der Sterblichkeit um 20 Prozent sowieein deutlich verringertes Zinsniveau vorsehen. Da einesofortige Bedeckung dieser gestressten Marktwertbilanzsicherzustellen wäre, ist mit einer deutlichen Erhöhung des Eigenkapitals zu rechnen. Experten erwarten eineMehrbelastung von 40 bis 45 Milliarden Euro, die auf diedeutschen Einrichtungen der betrieblichen Altersversor-gung zukommen würde. „Das ist fern jeder Realität undzeigt mir, dass viele Fachleute und Beiräte in Brüssel dieBesonderheiten der deutschen Altersversorgung überhauptnicht durchdrungen haben. Nur noch Großbritannien unddie Niederlande sind beim Pensionssystem ähnlich weitwie wir“, betont der Hanseat.

In den Augen des BVV-Vorstands ist deshalb Solvency II eingrundsätzlich falscher Ansatz. Es zwingt die Einrichtungen

DBVTitelthema

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Der BVV mit festem Domizil am Ku’damm. Foto: BVV

der betrieblichen Altersversorgung in ein viel zu engesRisikomodell hinein, das für die gesamte FinanzwirtschaftEuropas gestrickt ist. „Der BVV hat zwei Weltkriege,schwarze Freitage, Währungsumstellungen sowie diverseFinanzmarkt- und Wirtschaftskrisen in den über hundertJahren seines Bestehens erfolgreich überstanden ohneeinen so überzogenen Eigenkapitalzwang“, so Jakubowskiweiter.

Die Folgen von Solvency II wären dramatisch. Eine kapital-gedeckte Altersversorgung mit lebenslangen Garantie-Leistungen wäre nicht mehr möglich. Die EU erklärt auchnicht, was aus den bestehenden Versorgungszusagen wer-den soll. Den Versicherten würde heute eine sichereLeistungskürzung drohen, um eine unwahrscheinlichekünftige Leistungskürzung zu vermeiden – ein Paradoxon,das absurder kaum noch geht. Neue Verträge könnten nurnoch geschlossen werden, wenn die Versicherten sämtli-che Risiken tragen. Sicher würden auch die Mitglieds- undTrägerunternehmen des BVV (also Banken und Versiche-rungen) keine neuen Mittel geben, um das Eigenkapital desBVV zu stützen – denn dies wäre wettbewerbsrechtlichangreifbar. Zudem haben die Banken bekanntermaßenselbst Probleme genug Rücklagen für sich zu bilden.Finanziert werden könnten die Eigenkapitalanforderungenalso nur durch Beitragserhöhung und Leistungsreduzierung.Ein Szenario, dass der erklärten Absicht der Bundes-regierung, die betriebliche Altersversorgung zu stärken,deutlich widerspricht.

Der BVV muss auf die Bedrohung durch Solvency II reagie-ren, wenn er sie verhindern oder zumindest abmildern will.Doch ist er als regulierte Pensionskasse zur Neutralität ver-pflichtet und hat von vornherein das Selbstverständnis, alleKräfte zur Mehrung der Leistungen für die Versicherten undRentner einzusetzen – und nicht für Lobbyarbeit in Brüssel.Notwendig ist es dennoch. Deshalb erheben die Interes-senverbände AbA (Arbeitsgemeinschaft für betrieblicheAltersversorgung e.V.) und VFPK (Verband der Firmen-pensionskassen e.V.) bei der Europäischen Kommissionauch im Namen des BVV ihre Stimme.

Erste Reaktionen darauf sind erkennbar – doch sie reichennicht aus. Die EU will zwar die Marktwert-Bilanzierung nachdem „full balance sheet approach“ durch einen „holisti-schen“ Ansatz so ändern, dass das Geschäftsmodell derPensionskassen ausreichende Beachtung findet, so dieEinschätzung der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA.Doch Details zur eigenkapitalentlastenden Berücksichti-gung der Einstandspflicht des Arbeitgebers sowie einergegebenenfalls bestehenden gesetzlichen Insolvenzsiche-rung sind noch offen. „Bisher gibt es keinerlei Entwarnungfür uns. Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier will unszwar beruhigen, aber er hat eben noch keine konkretenVorschläge gemacht, wie Solvency II für die Pensionskassengeändert werden soll“, zeigt sich Jakubowski skeptisch.

Er hat das Gefühl, dass sich solche Züge kaum noch aufhal-ten lassen, wenn sie einmal angefahren sind, und sieht sichdamit in Übereinstimmung mit nicht wenigen EU-Bürgern,die viele Brüsseler Entscheidungen als verschlossen, praxis-fremd und aktionistisch wahrnehmen. Aus anderen Wirt-schaftskreisen ist indes zu hören, dass es sich wohl wahr-scheinlich bis Anfang 2016 verzögern könnte, bis dasRegelwerk für Versicherungen und Pensionskassen scharfgeschaltet wird – die Banken müssen aller Voraussicht nach

bereits 2013 in Folge von Basel III / MiFID mehr Eigen-kapital vorhalten, doch auch hier sind Verzögerungenwahrscheinlich.

Das Vertrauen der Versicherten und Rentner sowie derMitglieds- und Trägerunternehmen in den BVV ist dennochunverändert hoch und gewann selbst in der Finanzkrise anStärke. Freilich – auch die Überschüsse des BVV sanken inden vergangenen vier Jahren leicht. Das brachte einiges anKritik, erinnert sich Jakubowski. „Aber man beachte nur dieEntwicklung der Kapitalmärkte in den Jahren von 2008 bisheute – fast durchweg schlechte Renditen und eine extre-me Volatilität.“ Der BVV warf hingegen in den letztenJahren verlässlich 4 Prozent Zinsen ab, die ebenfalls stabi-len Bundesanleihen brachten zuletzt nur etwa 1,8 Prozent.Der BVV erwirtschaftete diese 4 Prozent auch im Jahr 2011,obwohl griechische Staatsanleihen abzuschreiben waren –was sich vor drei Jahren niemand hätte vorstellen können.Es blieb der einzige gravierende Einschlag. „Derzeit verla-gern wir notgedrungen Anlagen aus dem Euroraum inSchwellenländer. Auch in Unternehmensanleihen investie-ren wir wieder verstärkt, selbstverständlich im vorgege-benen regulatorischen Rahmen. ‚Sicherheit vor Rendite’ bleibt der rote Faden der Anlagepolitik des BVV“, unter-streicht der BVV-Finanzvorstand.

Der BVV spricht auch neue Zielgruppen an. InsbesondereBerufseinsteiger und junge Bankmitarbeiter müssen jedocherst einmal erfahren, dass es sich lohnt, früh an dieVersorgung im Alter zu denken. Junge Banker sehen zusätz-liche Altersvorsorge zwar meist positiv, aber auch als zeit-lich weit weg. Zudem ist ihre Stelle und damit das planba-re Geld nach der Ausbildung weit weniger sicher als nochvor 15 oder 20 Jahren. Und deswegen beachten sie diezusätzliche Altersversorgung zunehmend weniger, obwohlsie wegen der absehbar sinkenden gesetzlichen Rentenimmer wichtiger wird. Wenig Eigenverantwortung zu zei-gen ist jedoch auch ein kulturelles Problem, schätzt man imBVV ein. Es gebe verbreitet die Einstellung, dass einAnderer, beispielsweise „der Staat“ Verantwortung für denEinzelnen übernehmen muss. „Jeder, der gut ausgebildet,gesund und kräftig ist, sollte ohne Wenn und Aber für dasAlter vorsorgen“, wirbt Jakubowski klar. Der gelasseneKaufmann aus dem Norden ist wohl einer der Garanten,dass der BVV seinerseits eine feste Größe bleibt, ohne zuprahlen. Wie sein Domizil am Ku’damm.

Oliver Popp

DBV Titelthema

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„Das Vertrauenist das Wichtigste“

Wer Gottlieb Chlebnitschek in „seiner“ Firmatrifft, erlebt einen zupackenden Macher, einenmit gutem Draht zu den Mitarbeitern und mitRespekt bei der Geschäftsführung. Der 57-jäh-rige Neu-Anspacher vertritt die derzeit 615 Mit-arbeiter des Wertpapierabwickler XchangingTransaction Bank GmbH in Frankfurt-Sossen-heim als Vorsitzender des Betriebsrates, inenger Abstimmung mit seinem StellvertreterHorst Büger. Außerdem ist er Vorsitzender des Gesamt- und des Konzernbetriebsrates(Xchanging Deutschland). Letzterer vertritt auchdas Tochterunternehmen Fondsdepot Bank, mitSitz in Hof und München. Nicht zuletzt ist erseit 2008 stellvertretender Aufsichtsratsvorsit-zender. In Summe könnte man denken, dass alldie Funktionen über viele Jahre gewachsenwären.

Doch er ist erst seit März 2010 ordentlichesBetriebsratsmitglied – schneller geht ein Startwohl kaum. „Ja, ich wollte etwas für die Mit-arbeiter bewegen“, meint er schlicht und über-zeugend. Berührungsängste hatte er nicht.Dennoch war es eine Umstellung, plötzlich inregem Meinungsaustausch mit der Geschäfts-leitung die Mitarbeiter-Interessen zu vertreten.„Den Mut und die Kraft dazu haben mir die vie-len Kollegen und Kolleginnen vor und bei derWahl gegeben. Wir haben vor zwei Jahren ausdem Stand mit unserer freien Liste 12 der 13BR-Sitze gewonnen“, sieht Gottlieb Chlebnit-schek mit etwas Stolz die Wahl als Vertrauens-vorschuss und bleibende Verpflichtung zu-gleich.

Heute, im Frühjahr 2012, wertet er als den größ-ten Erfolg, dass sich der Betriebsrat nun tatsäch-lich mehr Vertrauen bei den Mitarbeitern erar-beiten konnte. „Neue Betriebsvereinbarungender letzten Zeit und die klare Linie des Betriebs-rates sind enorm wichtig. Das Entscheidende istaber eher, dass sich die Mitarbeiter von uns mit-genommen fühlen und dass auch Führungs-kräfte lange vor der Entscheidung unsereMeinung hören wollen.“ Vertrauen zur Ge-schäftsleitung ist für den BR unverzichtbar.„Man kann durchaus in einer Sache kontrover-ser Meinung sein. Die unterschiedlichen Stand-punkte sind wichtig, um einen Kompromiss zufinden. Anschließend muss man aber auchgemeinsam wieder einen Kaffee trinken kön-nen, ohne dass sich eine der Parteien beleidigt

oder verletzt fühlt. Das ist die Arbeitsgrundlage, und das kannman als BR gar nicht hoch genug bewerten“, betont GottliebChlebnitschek.

Im Betriebsrat ist er ein Neuling, nicht aber im Betrieb. Seit 34Jahren hat er nun seinen Arbeitvertrag der Deutschen Bank,unbeschadet aller Veränderungen. Nach Banklehre 1973 beimBankhaus B. Metzler seel. Sohn & Co. in Frankfurt am Mainfing er nämlich 1978 im Technischen Zentrum (TZE) derDeutschen Bank in Eschborn als Disponent für ausländischeBanken an. „Wir mussten den Umsturz im Iran 1979 bewälti-gen. Da wurden erst mal alle Gelder des alten Schah-Regimeseingefroren, und Verfügungen musste über die ZIA (ZentraleInternationale Abteilung) genehmigt werden. Ablehnungenwurden den Banken, damals noch mit Telex, mitgeteilt. Dasbedeutete 20 bis 25 Telex-Sendungen pro Tag, die mitSchreibmaschine und Lochstreifen vorbereitet, codiert undanschließend in der Fernschreibstelle versendet wurden. JedeBank hatte dafür ihre eigene papierhafte Verschlüsselung inKatalogstärke“, erinnert sich Gottlieb Chlebnitschek. Auch dieFinanzdisposition der Sponsorengelder der olympischenWinterspiele in Sarajevo (1984) lag in seinen Händen, vor Ortwar aber leider ein Kollege aus München.

Zehn Jahre lang, bis 1995, betreute er danach die mittlereDatentechnik – mit Gerätegrößen zwischen PC und Groß-rechner. Anschließend wechselte er für vier Jahre in den IT-Support in der Wertpapierabteilung, bei der inzwischen dasPC-Zeitalter Einzug gehalten hatte. .„Bei Problemen mit demPC oder den Anwendungen sind wir noch physisch zu jedemder etwa 1000 Mitarbeiter zählenden Wertpapierabteilung hingegangen und haben dort Support geleistet. Nix mit Fern-wartung oder Remote-Zugriff. Und da habe ich oft gehört:‚Kannste mal helfen?’. So habe ich schon viele Kollegen näherkennengelernt“, so der Technik-Spezialist.

1999 gründete die Deutsche Bank ihre Wertpapierabwick-lung, den Zahlungsverkehr und Printmedien in die etb AGaus. Eine eigene Organisationsabteilung wurde aus demBoden gestampft, der Gottlieb Chlebnitschek als Mitarbeiterfür „non IT-Technologie“ beitrat. Im Jahr 2000 zog das neueUnternehmen mit 1400 anderen Kollegen aus dem Technik-

Stets ansprechbar:Gottlieb Chlebnitschek.Foto: O. Popp

DBVTitelthema

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Warten auf kleine Gäste:Die Spielzone des Eltern-Kind-Büros. Foto: privat

Zentrum Eschborn (TZE) in die neu gebauten Räumlich-keiten des Frankfurt-Euro-Park (FEP) in Sossenheim um. Derstörungsfreie Umzug auch der Technik war die erste großeHerausforderung für das junge Unternehmen – es gelangmustergültig.

Neben der bewegten Infrastruktur mussten nun auch diebestehenden Betriebsvereinbarungen überarbeitet undneue Vereinbarungen individuell abgeschlossen werden.Die lokalen Betriebsräte des neuen Unternehmens warenda ebenso gefragt wie der etb-Gesamtbetriebsrat unterFührung von Stephan Szukalski. „Seine Ruhe und seine ver-bindliche Art brachte das damals maximal Mögliche anSicherheit für die Kolleginnen und Kollegen auf den Weg,und das in zähen Verhandlungen“, beurteilt GottliebChlebnitschek einen der Wegbereiter. Das vor zwölf JahrenErreichte ist auch heute noch die Grundlage, denMitarbeitern soziale Sicherheit zu geben.

2002 wurde die etb AG in ihre Fachbereiche aufgespalten.Der Zahlungsverkehr wurde an die Postbank verkauft, diePrintmedien blieben weiterhin eine eigene Sparte unterdem Dach der Deutschen Bank. 2004 wurde dann auch dieWertpapierabwicklung zu 51% an Xchanging PLC, Londonverkauft. Die Deutsche Bank war nunmehr nicht mehr derHauptanteilseigner. Aus der etb AG wurde die XchangingTransaction Bank (XTB) GmbH, mit ihrem Hauptsitz inFrankfurt und Standorten in Düsseldorf und Ludwigsburg.Von ursprünglich etwa 800 Mitarbeitern, sind heute – nichtzuletzt auf Grund der Wirtschaftskrise – 615 Mitarbeiterübrig geblieben. Sie tätigen die Wertpapiertransaktionen für andere Mandanten (Sparda-Banken, Targobank, Sal.Oppenheim und Deutsche Bank AG) im Back Office.

Die Lage des Unternehmens insgesamt gilt als solide nachden Zahlen und dem Eindruck der Mitarbeiter. Die XTBkann sich auch Hoffnung auf neue Kunden machen, weilgerade wieder einige Großbanken überdenken, wo sie ihrWertpapiergeschäft tätigen oder tätigen lassen. Derzeit istim Markt der Abwickler jedoch nicht viel Luft – drei großeFirmen (Xchanging, dwp-Bank und Deka) teilen sich fast daskomplette Geschäft in Deutschland, und der Kostendruckist enorm.

Steigende Service-Versprechen und Leistungsverdichtungbei gleichzeitiger sinkender Mitarbeiterzahl führten zwangs-läufig dazu, dass auch eine eingespielte Belegschaft ausdem Takt kommt. „Doch ich wollte nicht immer nurmeckern, sondern auffangen, etwas zum Besseren bewe-gen. Vielleicht ist es meine soziale Verantwortung – die soll-te jeder ein Stück weit in sich tragen. Auch Mannschafts-geist. Mit 17 Jahren habe ich mich als Handball-Spieler maß-los über die Leistung einiger Schiedsrichter aufgeregt. Abermir war bald klar: ‚Du musst es selbst anpacken’“, meint derSportsmann. Das war der Startschuss für eine 20-jährigeSchiedsrichterkarriere, die Gottlieb Chlebnitschek früher alsRegionalliga-Schiedsrichter bis nach Luxemburg und in nor-dische Länder brachte.

Seit 2010 ist er nun auf dem Betriebsratsfeld in der Verant-wortung – und bekam es gleich zu Beginn mit der Absichtder Geschäftsführung zu tun, wegen der Wirtschaftskrise

80 Mitarbeiter zu entlassen. „Die Zahlen undPrognosen, welche uns von dem Managementvorgelegt wurden, sprachen für sich. Wir habenuns deshalb auf Trennungsgespräche eingelassenund jeder einzelne Fall beraten, um möglicheHärtefälle zu vermeiden oder ihnen besondereHilfe anzubieten. Dabei haben wir nicht gedrohtoder geschachert, sondern konstruktiv Aufhe-bungsverträge ausgehandelt und zwar sehr oft amEnde mit weit besserer Abfindung, als die Firmaursprünglich vorhatte“, so der damals neu Ge-wählte. Die Kollegen konnten auch Bewerbungs-gespräche trainieren, und mit einigen Arbeits-agenturen konnte vereinbart werden, dass dieSperrfrist entfällt.

Gerade diese Bewährungsprobe schuf das Ver-trauen zwischen Betriebsrat und Geschäftsfüh-rung, das bis heute hilft. Zum Beispiel in demschwierigen aktuellen Fall, eine neue Bonusrege-lung zu verhandeln. Grundlage ist eine neueLeistungsbewertung – daraus einen fairen Bonusabzuleiten und zu vereinbaren ist allerdings nochein weiter Weg, wissen beide Seiten.

Zudem muss die Vereinbarung der variablenArbeitszeit dringend überarbeitet werden. DerBetriebsrat hat da bereits konkrete Vorstellungen,die auch die „Grauzone“ der Arbeitszeiten füraußertarifliche (AT-)Mitarbeiter klären soll. Sinnvollfür alle wäre eine Umstellung auf eine elektroni-sche Arbeitszeiterfassung. Sie wäre unbestechlichund von allen Seiten genauer zu überprüfen.Doch dazu müssten auch die Kollegen erfasst wer-den, die von unterwegs oder daheim arbeiten –was sich derzeit noch als kompliziert herausstellt.„Als BR sind wir darauf angewiesen, dass dieMitarbeiter ihre geleistete Arbeitszeit korrekt auf-schreiben. Zwar kontrollieren wir zyklisch die frei-willige Zeitaufschreibung, doch in der Summe istder Mitarbeiter selbst verantwortlich. Zum Beispielkommen Mitarbeiter mit vielen Überstunden erstdann zu uns, wenn ihnen die versprocheneSondervergütung nicht gezahlt wird. Sie könnendann aber selbst in der Bredouille kommen, weilsie da unter Umständen längst die gesetzlichen

DBV Titelthema / Interview

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„Politiker sollten mehr Erfahrung in der Bank sammeln“

Daniel Bahr. Foto: BM für Gesundheit

Leistungsfähig bleibt auf Dauer nur, wer nicht über seine Kräftearbeitet – das bedeutet einen guten, gesunden Job machen zukönnen. Aber wer trägt dafür Sorge, und in welchen Unterneh-men ist der Weg schon weit beschritten? Daniel Bahr (35, FDP)antwortet. Der Münsteraner war seit September 2009 Staatsekretärim Bundes-Gesundheitsministerium und wurde im Mai 2011selbst Minister. Er ist gelernter Bankkaufmann (1996 bis 1998 in derDresdner Bank und seitdem DBV-Mitglied) und studierte späterVWL mit Schwerpunkt Gesundheitsmanagement.

Was hat Ihnen die Banklehre mitgegeben?

Viel. Es war mein Glücksfall, arbeiten und dann studieren zukönnen. So konnte ich mir eine solide Berufsbasis schaffen. AlsBanker lernt man früh, Risiken richtig einzuschätzen und ebenauch eine ordentliche Buchführung zu beherrschen. AllesWissen, das man als Politiker gut brauchen kann. Mit einerBankausbildung hat man Bauchschmerzen, wenn langfristigeDarlehen kurzfristig refinanziert werden sollen.

Warum sind Sie dann in die kurzatmige Politik gewechselt?

Es war Glück, dass ich 2002 als letzter derNRW-Landesliste in den Bundestag ge-wählt wurde. Die Chance habe ich genutzt– auch wenn ich mein Bankkarriere dannruhen lassen musste.

Höchstarbeitszeiten überschritten haben und ihnenwegen fehlerhafter Zeitaufschreibung zusätzlich eineAbmahnung droht“, verdeutlicht Gottlieb Chlebnit-schek.

Die Betriebsvereinbarung zur Vergütungsregelung fürTarget-Tage (börsenoffene Feiertage, an denen Ge-schäft abgewickelt werden muss) als auch sonstigeFeiertage ist schon neu gefasst. AT-Mitarbeiter gehennun nicht mehr leer aus, sondern bekommen eineFeiertags-Vergütung, wie es bei den Tarifangestelltenschon lange üblich ist. Die Tarifler mussten dafürAbstriche in Kauf nehmen – aber die Höhe derVergütung ist nun vergleichbar und gerechter. Sie spie-gelt wieder, dass alle das gleiche Opfer bringen, wennsie ihr Familienleben an diesen Tagen einzuschränken.

Kein Aprilscherz – am 1. April öffnet das „Eltern-Kind-Büro“ als ein neues Gemeinschaftswerk von Betriebs-rat und Geschäftsführung. In Notfällen, wenn der Kin-

dergarten geschlossen hat oder die Tagesmutter krankist, können bei Xchanging beschäftigte Eltern ihreKinder in das besondere Büro mitbringen – mit extraSpielzone gleich neben vier normalen Arbeitsplätzen.Die Eltern müssen sich allerdings dabei selbst um ihreKinder kümmern. Bis zu 5-mal pro Jahr kann derService genutzt werden, in begründeten Fällen auchöfter. Das Angebot wird bereits von einigen Mitarbei-tern erwartet – eine Sorge weniger.

Eine zweite Amtsperiode ab 2014 traut sich der 57-Jährige allemal zu – besonders auch, weil er sich alsälterer Experte an der Spitze des Betriebsrates gegenü-ber der Geschäftsführung gut behaupten kann. Und sobliebe auch genug Zeit, einen ebenso sachlich-beharr-lichen Nachfolger oder eine Nachfolgerin anzulernen.Dann wäre auch wieder mehr Zeit für die Familie, denHund und den Garten – und die Hobbies Motorrad-fahren und Tauchen. Ein wenig muss das aber nochwarten. Oliver Popp

DBVInterview

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Im Bundeshaushalt muss kräftig gespart werden.Hat dann eher die Bankenhilfezum Beispiel mit Hilfe des SoFFin Vorrang, oder das Gesundheitswesen?

Die Krankenversicherung wird im Wesentlichen ausBeiträgen der Versicherten finanziert. Die Anstren-gungen der Koalition haben bewirkt, dass wir derzeitsogar Überschüsse haben, welche die Krankenkassenan ihre Versicherten zurückgeben könnten. Damache ich mir aktuell keine Sorgen.

Was die Finanzmärkte angeht, so ist deren Stabilitätvon größter Bedeutung. Denn nur wenn sie funktio-nieren, dann können Unternehmen mit Krediten ver-sorgt werden, und nur dann können Sparer auf stabi-le Erträge hoffen und konsumieren.

Die Pflegereform ist demnächst im Kabinett. Was liegt denn noch bei Ihnen auf dem Schreibtisch?

Die Pflege wird immer wichtiger. Ganz besondershaben wir bei der Reform die Demenzkranken imBlick. Aber auch die Unterstützung der pflegendenAngehörigen ist uns wichtig, da geht es nicht immernur um Geld, sondern auch um Anerkennung derLeistungen und die Möglichkeit, sich auch mal zuerholen. Da sind die Arbeitgeber gefragt, flexibel zusein, wenn pflegende Angehörige mal frei brauchen.

Was die Mitarbeiter in Banken direkt betrifft, geht esmir darum, in der betrieblichen Gesundheitsförde-rung aktiv zu werden. Es ist ja schon heute so, dassArbeitgeber die Kosten dafür mit bis zu 500 Euro proBeschäftigtem steuerlich absetzen können. Außerdemgibt es Unterstützung von den Krankenkassen. Diegroßen Unternehmen sind da meist schon sehr weit– viele Kleine aber noch nicht. Und da wollen wir zei-gen, dass es auch da geht. Mit Best-Practise-Beispie-len, die man einfach übernehmen kann. Einige Vorbil-der findet man auf der Homepage des Ministeriums,zum Beispiel die VR-Bank Südpfalz, die u.a. zwei Vor-sorgetage für alle Mitarbeiter freihält, oder die Kreis-sparkasse Stade, die ihre Führungskräfte in SachenGesundheit trainiert und die Arbeitsplätze noch weitüber das normale Maß gesund gestaltet.

Wie sieht denn Ihr idealer Arbeitsplatz aus?

Abwechslungsreich, mit einer kommunikativen Eckeund auch einer Ruhezone. Das ist auch in Großraum-büros und vielen anderen räumlichen Konstellationenmöglich. Bei den Arbeitszeiten ist mir eine Kernzeitwichtig, aber auch Flexibilität, dass sich junge Eltern

oder Pflegende mal ein oder zwei Tage frei nehmenkönnen. Dafür hat jeder Chef Verständnis.

Wirklich?

Ja, ich habe das in der Bank so kennengelernt. Kinderverändern das Leben der Eltern von Grund auf und dagilt es als Chef, flexibel zu sein und gute Lösungen zufinden. Der Schatz der Dienstleistungsbranchen sinddie Mitarbeiter. Um gute Kräfte zu halten, muss mangute Angebote machen. Das sage ich, auch wenn ichselbst noch keine Kinder habe.

Bliebe für ein Familienleben Zeit?

Derzeit wäre es eine Herausforderung. Ich bin wiealle Kabinetts-Kollegen ständig unterwegs und habeeinen randvollen Terminkalender. Meine Amtszeit alsMinister hat gleich mit großen Aufgaben begonnen,ich hatte keine Zeit mich warmzulaufen. Der EHEC-Erreger und die Pleite der City-BKK verlangten schnel-les und überlegtes Handeln. Aber trotz dessen machtmir die Arbeit Freude und ich habe noch viele Ideenund bin voller Tatendrang.

Eines ihrer Herzensthemen ist ja die alternde Gesellschaft und wie sie weiter funktionieren kann.Welches Unternehmen ist denn „demografiefest“?

Die Gesundheitswirtschaft ist aus meiner Sicht einerder Jobmotoren hierzulande. Mit dem zunehmendenAlter der Bevölkerung wird die Nachfrage nachGesundheitsdienstleistungen weiter steigen. Hiersehen wir schon heute einen Mangel an Fachkräften.Lange verzichtete die Wirtschaft auf Ältere undschickte die Leute in eine teure Frührente, mit derWissen und Talente verschwinden. Das ändert sichjetzt spürbar. Die Arbeitswelt ist eine vollkommenandere.

In welcher Form?

Mehr und mehr Angestellte sehen ihre Karriere nichtals festgelegte Einbahnstraße, sondern als Projekt, dassie selbst gestalten wollen. Sie wechseln die Funktio-nen, die Aufgabengebiete und den Arbeitgeber.Dabei sammeln Sie neue Erfahrungen. Dazu gehörtnatürlich, dass ich mir auch mit Mitte 50 etwas Neueszutraue. Und auch, dass ich als Azubi oder jungerArbeitnehmer flexibel bin und auch Dinge einfordere.

Oliver Popp

DBV Mitmachen

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Rezepte für Alt und Jung

Alt und Jung bestärken sich gegenseitig.Foto: fotolia.de

Mit 55 Jahren als „unflexibel“ aufsAltenteil? Mit 20 Jahren schnell,schnell in den Verkauf? DiesePersonalplanung mancher Führungs-kräfte in den Banken wird sich baldändern müssen – wenn die Firmeneine Zukunft haben wollen. Sie wol-len zunächst einmal Kosten sparen.Doch an die Stelle ungezielter oderüberholter Rationalisierung „perRasenmäher“ muss ein anderes, bes-seres Potenzial treten – nämlich einneuer Ausgleich zwischen Alt undJung. Eine langfristig tragfähige, neueAltersstruktur ist das Ziel dieses„Demografischen Wandels“.

Damit können zum einen dieErfahrung und die Kontakte derlangjährigen Mitarbeiter bewahrtwerden – ein großer Schatz geradeheute, wenn sich Arbeit immerschneller verändert und Fehler ver-mieden werden sollen. Ohnehinkommt wegen geringer Geburten-zahlen immer weniger Nachwuchs indie frei werdenden Stellen der Älte-ren – weswegen auch Banken undVersicherungen ihre bewährtenFachkräfte länger halten müssen. Siekönnen den Jungen abseits derLehrpläne und Vertriebszahlen einviel breiteres Praxiswissen geben –und von ihnen wiederum gut neueTechnik und Prozesse erklärt bekom-men. Zudem bringen die Jungenneue Ideen, neuen Schwung mit,der das Unternehmen frei machenkann von allzu viel „Schema F“.Wenn man Beide auch mal lässt,arbeitet der Betrieb nachher runderund findet bessere Antworten aufWidrigkeiten im Geschäft.

Die Unternehmen müssen dieses Umsteuern aber ihren jün-geren und älteren Mitarbeitern im Betrieb besser erklären,damit alle mitziehen können und wollen. Und zwar binnender nächsten paar Jahre – denn wegen geringer Geburten-zahlen ersetzt rapide steigend immer weniger Nachwuchsdie Älteren, die zu früh gehen. Die Lebensspanne derArbeitenden muss wieder breiter werden.

Wir, der DBV, haben zu diesem Zweck unsere Arbeitsgruppe„Demografischer Wandel“ ins Leben gerufen, die Ihnen alsMitarbeiter, Betriebsrat und Entscheider einen Fahrplan undpraktische Tipps geben will, wie Sie gemeinsam ein gesünde-res Gleichgewicht der Generationen in Ihrem Betrieb gewin-nen können. Dabei möchten wir Ihnen im Folgenden einigeGedankenanstöße geben, wie Sie in Ihren Betrieb beobach-ten und handeln können – ohne Anspruch auf Vollstän-digkeit. Geben Sie uns ihre Ideen, Wünsche und Kritik wei-ter – in unserem Spezial „Demografischer Wandel“ aufhttp://www.dbv-gewerkschaft.de/index.php?id=508 gebenwir Ihnen und dem Thema breiteren Raum und bauen dasPortal fortwährend aus.

Zunächst können Betriebsräte mit Hilfe der Altersstruktur-analyse, kurz ASA, herausfinden, wo sie in ihrem Betriebeigentlich genau handeln müssen, um einen gleichmäßigenAltersaufbau zu fördern. Zunächst müssen sie verschiedeneZahlen in einer Umfrage erheben, die sie dann etwa in folgende Masken eingeben:

1. in den Demografie-Rechner der IHK, zum Beispiel:http://www.ihk-nordwestfalen.de/fileadmin/medien/02_Wirtschaft/00_Standortpolitik/Analysen_Positionen/medien/Demografie-Rechner_regional_IHK_Nord_Westfalen.xls.

DBVMitmachen

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2. in das herunterladbaren Werkzeug der TBSNordrhein-Westfalen:http://www.tbs-nrw.de/bib/index,id,1689,selid,1223,type,VAL_MEMO.html.

3. in das ebenfalls kostenlose Tool einerMittelstands-Beratung:http://www.mbs-essen.de/ unter „Software“.

Nicht nur der Ist-Zustand ist wichtig, sondernauch, auf welche Mitarbeiter sich das Unterneh-men in 5 oder 10 Jahren regional stützen kann.Interessierte finden bei der Arbeitsagentur(http://www.statistik.arbeitsagentur.de/), dem Statistischen Bundesamt (http://www.statistik-portal.de/)oder der Bertelsmann-Stiftung(http://www.wegweiser-kommune.de/)heraus, welche Fachkräfte in der Region zu fin-den sind und wie sich die Städte und Wirt-schaftszweige entwickeln werden – wichtig fürdie Planung des Betriebes, welche Fachkräfte esvon außen gewinnen kann bzw. intern sichernmuss.

Im nächsten Schritt bauen wir auf unsererHomepage auch einen Konzept-Speicher, derIhnen Antworten auf Ihre ASA-Ergebnisse gebensoll. Auch er lebt von Ihrer Beteiligung – gebenSie uns gesammelte Erfahrungen und Ideen wei-ter. Sie helfen damit, Kolleginnen und Kollegenzu helfen, die in anderen Betrieben vor ähnli-chen Fragen stehen. Einige Firmen haben hierschon ein positives Beispiel gegeben – in Formdes praxistauglichen Gesundheitsmanagements(PDM), wovon Teile auch in anderen Firmenleicht übernommen werden können. So unter-suchte die Bosch-Stiftung gute Demografie-konzepte von mehreren deutschen Kommunen

(http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/html/25707.asp),die Gothaer Versicherung gewann einen Sonder-preis Demografie des Corporate Health Award(http://www.gothaer.de/app/notes/gothaer/presse.nsf/VWWeb01/24BD0ABB7BADAF67C12577E50045F83B?OpenDocument),und bei BMW bewirkt das Projekt „Heute fürMorgen“ ein Umdenken(http://www.bmwgroup.com/d/nav/index.html?../0_0_www_bmwgroup_com/home/home.html).

Dabei sind die Übergänge zu einem gutenbetrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM)fließend.

Betriebsräte können mit diesen oder ähnlichenBeispielen bei Ihrer Geschäftsführung ein Nach-denken und Umsteuern anstoßen – oder auchsich selbst fragen: Welche Perspektive gibt dasUnternehmen den älteren Mitarbeiterinnen undMitarbeitern über das Mindest-Soll hinaus? Rea-giert die Geschäftsführung überhaupt auf Vor-schläge von Betriebsrat und Mitarbeitern? Waslässt sich im Betrieb und was überbetrieblichregeln?

Genau hier muss das Handeln auf der einen mitdem Wirken der anderen Ebene zusammenpas-sen, um insgesamt für die Mitarbeiterinnen et-was zu erreichen. Ein Beispiel ist die „Erklärungzu Gesundheitsschutz und Demografie“, die derDBV in den Privat- und auch Geno-Banken imHerbst 2010 erreichte (etwahttp://www.dbv-gewerkschaft.de/fileadmin/user_upload/pdf/Geno2010_Gesundheitserkl_rung.pdf).

Die Ziele darin legen eine Grundlage für einDemografie-Management – wir wollen sie des-wegen in der gesamten Branche durchsetzen.Doch zugleich sind solche Erklärungen zu wenigverbindlich. Deshalb prüfen wir zu einem, wiesie von Seiten der Gewerkschaft tariflich weiterfixiert werden können. Zu anderen müssen siebetrieblich unterlegt werden – zum Beispiel miteiner Betriebsvereinbarung zu flexiblen Arbeits-zeitmodellen für Ältere oder mit einem Lehrplanfür altersgerechtes Lernen in Weiterbildungen.

Ein anderer Ansatz ist etwa, die Arbeitszeit überdie Lebensspanne hinweg gesehen besser zuverteilen. So könnten z.B. Jüngere in einem ge-wissen Rahmen ihre Überstunden auf ein beson-deres Arbeitszeitkonto einzahlen, dass nicht jähr-lich geräumt werden muss. So könnten dieNeuen in manchen Monaten zum Beispiel 110Prozent Arbeitszeit erbringen – und könntenspäter im Alter von diesem Konto „abheben“und nur noch 90 Prozent arbeiten. Allerdingsmüsste erst einmal ein universelles Arbeitszeit-konto in der Branche vereinbart werden, das z.B. auch nach einem Wechsel des Bank-Arbeitgebers gültig bleibt. Die Diskussion isteröffnet… Oliver Popp

DBV Reportage

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Große Pläne: Die Aberdeener hatten schnell eine große Palette an Themen notiert,die für einen BR wichtig sind.Fotos: O. Popp

Hunger nach Wissen

Die zehn Frauen und Männer kamen mit großer Erwartung, hör-ten genau zu, schrieben fleißig mit, stellten viele kluge, kleine undgroße Fragen, übten kräftig die Beispielfälle aus der Praxis, undzeigten oft, dass sie mit ganzer Kraft an ihre neue Aufgabe heran-gehen. Es waren die sieben ordentlichen Mitglieder und auch die ersten drei Nachrücker des neu gewählten Betriebsrates des Frankfurter Standortes des britischen VermögensverwaltersAberdeen Asset Management, die Anfang März 2012 unser zwei-tägiges DBV-Einsteigerseminar im Arbeitsrecht und BR-Organi-sation besuchten. Im Herbst hatten sie den Mut gefunden, denersten Betriebsrat im Aberdeen-Konzern zu gründen, und hattendie erste Wahl im Januar mit Erfolg gemeistert. „Gerade alsAnfänger fiel es uns schwer, Rat zu bekommen über die ersten

Schritte, die ein Betriebsrat gehenmuss. Es gibt da nur wenig gut ver-ständliche und praxisnahe Litera-tur oder Internet-Seiten“, schaut dieneue BR-Vorsitzende Marika Laszlozurück.

Doch inzwischen hat sie im Vereinmit ihrem Stellvertreter RobertBauer und den anderen Betriebs-rats-Kollegen viel Fahrt aufgenom-men. Erste Einladungen und Proto-kolle sind geschrieben, Aufgabenauf mehrere Schultern verteilt, frist-gerecht die ersten Stellungnahmenverfasst, auch die ersten kritischenGespräche mit der Geschäftsfüh-rung gut überstanden und mit ihnenfeste Informationswege abgespro-chen, extra Mail-Adressen und wö-chentliche Sprechstunde für dieMitarbeiter eingerichtet. Inzwischenist sogar ein eigenes BR-Büro kurzvor dem Bezug und die ersteBetriebsversammlung in Planung,mit der sich das 7-köpfige Gremiumden 103 Beschäftigten im Frank-furter Westend Ende April vorstellenund erste Pläne verkünden will. Wasetablierten Betriebsräten in Groß-banken banal erscheint, musstendie Sieben aus dem Stand nebender stark drängenden Arbeit neuaufbauen, was sie kaum zu hoffenwagten – es ist ihnen gelungen.

Dabei begann ihr Einsatz gleich mitdem Sprung ins kalte Wasser. Eineheikle Personal-Maßnahme derGeschäftsführung kam gleich in denersten Tagen auf den Tisch des BR:die „personenbedingte“ Kündigungeines Mitarbeiters kurz nach derProbezeit. Es wurde Widersprucheingelegt – und die Geschäftsfüh-rung musste erkennen, dass sie nunnicht mehr unwidersprochen ein-zelne Mitarbeiter entlassen kann.

Dabei ist es eben gerade für das bri-tische Mutterhaus eine Herausfor-derung zu begreifen, wie man miteinem deutschen Betriebsrat um-geht. Der BR steht jenseits desÄrmelkanals nicht selten in dem Ruf,wirtschaftlich notwendige Entschei-

DBVReportage

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Standort: Aberdeen Asset im Frankfurter Westend.

dungen für das Unternehmen zu verzögern oderzu blockieren, wenn nicht gar die Mitarbeiter auf-zuwiegeln. Dass der Betriebsrat nach deutschemBetriebsverfassungsgesetz das Wohl des Unter-nehmens im Blick haben muss und auch einen Teilder Verantwortung für die Personalpolitik mittragenkann, hat sich dort eher selten herumgesprochen.Als umso wichtiger sahen es die Aberdeener imneuen BR an, selbst schnell sattelfest zu werden,um zuerst die Frankfurter Geschäftsführung undspäter auch London vor den Vorteilen einer Zu-sammenarbeit zu überzeugen.

Und hier war das DBV-Seminar ein wichtigerBaustein im Training des wachsenden Betriebsrates.Das wichtigste Feld sind ohne Zweifel Kündigun-gen, wo es oft auch um genaue Einhaltung von Fristund Form geht – und zwar für den Arbeitgeber,aber auch für den Betriebsrat. Eine Faustregel hier-bei: Alle Fehler, die der Arbeitgeber macht, gehenzu Lasten der Wirksamkeit der Kündigung – alleFehler, die der Betriebsrat macht, gehen zu Lastender Ansprüche des Mitarbeiters. Deshalb trafengerade die Beispielfälle auf ungeteilte Aufmerksam-keit in der Runde – zum Beispiel eine ordentlicheKündigung, für deren Zulässigkeit es eine dringen-de betriebliche Erfordernis geben muss, die auchdas Arbeitsgericht nicht anzweifeln kann. In der fol-genden Sozialauswahl bekommt der BR vomArbeitgeber eine Liste der Mitarbeiter-Daten undprüft, wer am schützbedürftigsten ist. Es geht nachden Kriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeitund Unterhaltspflichten. Wer älter und lange imBetrieb ist, minderjährige Kinder hat und Single ist,bekommt die meisten Sozialpunkte und darf erstnach den Anderen gekündigt werden.

Dieses Prozedere und andere sind seit vielenJahrzehnten Teil des deutschen Arbeitsrechts – dasaber oft eine zu geringe Rolle in der Ausbildung derFührungskräfte, der Personalabteilung und derGeschäftsführung spielt. Deshalb war der Rat derbeiden DBV-Trainerinnen Karin Ruck und SigridBetzen an den Betriebsrat, früh und regelmäßig das Gespräch mit der Geschäftsführung zu suchen,um Missverständnisse zu vermeiden. „Vertrauenwächst da nicht durch Klüngel oder Frontstellung,sondern durch Klarheit und Fairness“, warb KarinRuck. Und berichtete aus eigener Erfahrung, dassRoutine und ein fester eigener Arbeitsbereich denAnfangsstress im neuen Betriebsrat bald senkt.Zudem muss nicht jeder BR-Schriftsatz in saube-rem Juristen-Deutsch verfasst sein – falls nötig, sindRichter sowieso gewohnt, Alltagssprache nachrechtlichen Argumenten zu durchsuchen.

Die Seminargruppe atmete fast hörbar auf – alleshalb so wild. Und bald stellten alle fest – unserGrundgerüst steht, gezieltere Fragen schlossenmehr und mehr Lücken. Die intuitiven Lösungs-vorschläge der Einzelnen in den Übungsfällenergänzten sich zu einem Bild, das der tatsächlichenBewertung durch Richter fast immer nahekam –das deutsche Arbeitsrecht ist durchaus logischbegreifbar. Positiv war für die meisten BR-Schüleretwa zu begreifen, wie weit die Mitbestimmungs-rechte des Betriebsrates tatsächlich gehen. VieleFallstricke sind nun ebenfalls erkannt. Zugleich ent-stand der Wunsch der Zehn, noch mehr Rhetorikzu üben, weil die Gespräche mit der Geschäfts-führung doch fordernd seien – oft unangenehmeThemen in sortierter Form abarbeiten. Und danachnoch mental zu verarbeiten. Es wuchs aber auchdie Erkenntnis, dass der BR auch Zeit hat und sichnicht selbst unter Druck setzen muss – Fachleuteunterstützen und nehmen einen Teil der Last. DerHunger nach neuem Wissen ist jedenfalls nochnicht gestillt…

Oliver Popp

DBV Gesundheit

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Die rote Karte im Arbeitsleben

Wenn sonst nichts mehr hilft: Die Gefährdungsanzeige diagnostiziert dieMängel am Arbeitsplatz unmissverständlich. Foto: fotolia.com

Wer die Zeitung liest gewinnt den Eindruck, dass DeutschlandsBetriebe die Gesundheit entdeckt haben. Wie nie zuvor äußernsich Betriebskrankenkassen, Gesundheitsbeauftragte undPersonalstellen zu Themen wie BEM (betriebliches Eingliederungs-management), BGM (betriebliches Gesundheits-Management),Burn-out-Prävention oder Stressmanagement. Man könnte beina-he denken, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden in„Watte gepackt“ und den Unternehmen liegt das Wohl und Wehder Menschen, die dort arbeiten (müssen) ganz besonders amHerzen. Als wäre es durch die allgegenwärtige Finanz- undWirtschaftskrise zu einem großen Umdenken gekommen.

Das mag in Teilbereichen unserer Wirtschaft so sein. Doch dieRealität, also das Erreichen betrieblicher Ziele, wird nach wie vordurch intensive Ausbeutung aller Ressourcen – inklusive dermenschlichen – erkauft. Einsicht und Rücksicht, Nachsicht undVorsicht sind oft nur Folklore.

Viele Beschäftigte glaubten langfristig bestehen zu können wennsie mit Hochdruck Leistung zeigen. Doch die vergangenenKrisenjahre bewiesen, dass die Überlastung bei allen kommt – derKrug geht nur so lange zum Brunnen, bis er bricht. Mit der Folge,dass erst die eigene Gesundheit und in Masse auch die desUnternehmens in Gefahr gerät. Denn in den Betrieben, in denenimmer wieder über Leistungsgrenzen vieler Kollegen hinausgegan-gen wird, zeigt sich am Ende ein Verschleiß, dass sich die betref-fende Firma langfristig nicht mehr am Markt behaupten kann.

Dagegen helfen dann auch nicht mehr gut ausgehandelteRahmentarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Interessenausglei-

che oder sonstige mitbestimmungspflichtigeEinzelverträge. Wenn gültige Rechtsnormenverletzt, Gesetze missachtet oder ein ver-nünftiges Miteinander negiert werden –wenn also permanent auf Foul gespielt wird– hilft manchmal nur die ROTE KARTE.

Die gibt es sinnverwandt tatsächlich, wennder Arbeitgeber gesundheitliche Schädigun-gen durch ständige Überlastung der Arbeit-nehmer billigend in Kauf nimmt. In unsererFinanzbranche kennt sie zwar noch kaumein Betriebsrat oder Mitarbeiter. In denDienstleistungen und besonders in derPflege ist sie dagegen schon sehr erfolgreicheingesetzt worden – die Überlastungsan-zeige. In meinen Augen passender wäre derBegriff Gefährdungsanzeige.

Im deutschen Arbeitsrecht ist diesesInstrument schon lange angelegt. Zwar nicht explizit in Gesetzen, Verordnungenoder Tarifverträgen – aber als Keim in denParagrafen 15 und 16 des Arbeitsschutz-gesetzes. Danach sind die Arbeitgeber ver-pflichtet, Gefährdungen der Gesundheitoder Sicherheit von Beschäftigten auszu-schließen. Darüber hinaus müssen auch dieBeschäftigten selbst Sorge tragen, dass ihreeigene Gesundheit und Sicherheit und dieanderer Kollegen keinen Schaden nimmt –nach ihren Möglichkeiten und unter Berück-sichtigung der Unterweisung und Weisungdurch den Arbeitgeber. Die Mitarbeiter müs-sen dem Arbeitgeber jede von ihnen fest-gestellte unmittelbare erhebliche Gefahr fürdie Sicherheit und Gesundheit unverzüglichmelden. Auch die § 241, 242, 276, 278, 611des Bürgerlichen Gesetzbuches stützendies. Besonders der § 618 des BGB schreibtdem Arbeitgeber vor, Dienstleistungen un-ter seiner Anordnung oder Leitung so zuregeln, dass der verpflichtete Arbeitnehmergegen Gefahr für Leben und Gesundheitsoweit geschützt ist, als die Natur der Dingees gestattet.

Mit einer Überlastungs- oder Gefährdungs-anzeige können Mitarbeiter und Betriebs-räte den Arbeitgebern deutlich anzeigen,dass nur mit einer Änderung der Arbeits-verhältnisse wieder ein gesundes und effek-tives Arbeiten möglich ist, wobei auch alleKollegen in der Umgebung für eine Ver-änderung ihrer Arbeitsweise bereit seinmüssen.

Doch wie kann so etwas in der Praxis funk-tionieren? Ich möchte es gern an einemBeispiel deutlich machen:

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Heiner Birnstiel. Foto: privat

Winfried Immerstark arbeitet im Service seiner global aufgestelltenBank. In seinem Team ist es an der Tagesordnung und allgemeinbekannt und geduldet, dass Arbeitnehmer sich bei starkemArbeitsanfall – nach den tariflich vorgeschriebenen rund achtArbeitsstunden – von der Erfassung der variablen Arbeitszeitabmelden und zwei, drei oder mehr Stunden weiter arbeiten. DieArbeitsverdichtung ist über die Jahre und diverse Umstrukturie-rungen hinweg so groß geworden, dass mit dem stets kleiner wer-denden Mitarbeiterkreis eine Bewältigung der Aufgabenmengeunter normalen Umständen nicht mehr möglich ist. DieFührungskräfte wissen um die Situation, dulden sie jedoch – auseigenem Kalkül, aus Angst oder Schwäche.

Nun merkt Kollege Immerstark, dass sich langsam Probleme ein-stellen. Anfangs leidet die Konzentration, nach und nach kommenleichte bis mittlere Wehwehchen wie Grippe oder Kopfschmerzenhinzu. Später stellen sich wegen Belastung und Unausgeglichen-heit auch familiäre Konflikte ein, Krankheitszeichen verstärken sich– in Form von Hörsturz oder Rückenleiden. Ein Gesundheitscheckzeigt ihm, dass die Uhr auf Fünf vor Zwölf steht. Herr Immerstarkwendet sich an seine Fach- und Disziplinarvorgesetzten, um aufdie wachsende Überlastung hinzuweisen. Die weisen ihn ab, ersei doch „das beste Pferd im Stall“, „was sollen denn die Anderendenken“, und außerdem bekomme er „am Ende des Jahres docheinen besonderen Bonus als Belohnung“. Unter diesem Druckfügt er sich und arbeitet weiter, bis es zu ersten, ernsthaften Burn-out-Merkmalen kommt.

Zum Glück trifft er bei seinem Arzt im Wartezimmer auch einenArbeitsrechtler, der ihm rät, dem Arbeitgeber bzw. seiner Füh-rungskraft eine so genannte Überlastungsanzeige vorzulegen. Indieser macht er, der sonst stets souveräne Kollege Immerstark,ausdrücklich auf seine, ihn gefährdende Situation aufmerksam,indem er konkret und nachweisbar sämtliche Umstände aufführt,die sein Arbeitsumfeld momentan kennzeichnen. Dazu gehörendie tatsächlich geleistete Arbeitszeit, der Umfang der Arbeits-aufgaben, die einzelnen unerledigten Arbeitsaufgaben, kritischeSituationen (z.B. Reklamationen von Servicearbeiten), die man-gelnde Personalausstattung, sein persönlicher Gesundheitszu-stand, die bereits erfolgten fruchtlosen Gespräche mit Füh-rungskräften, das ständige Auffordern, die Situation zu verbessernund so weiter. Darüber hinaus sollte die Gefährdungsanzeigeeinen eindeutigen Hinweis auf die Folgen enthalten. Zum Beispiel,dass sich die Arbeitsverhältnisse ändern müssen, weil sonst weite-re Fehler bei der Erbringung der Arbeitsleistung nicht auszu-schließen sind und diese dann Regress-Ansprüche Dritter, denVerlust von Kundenbeziehungen oder ähnliches zur Folge habenkönnten.

Gibt der Mitarbeiter eine solche „Überlastungs- oder Ge-fährdungsanzeige“ ab, und der Arbeitgeber beachtet sie nicht,indem er die Mängel beginnt abzustellen, übernimmt derArbeitgeber die volle Verantwortung. Es trifft ihn dann ein„Verschulden durch Unterlassen“. Dies ist eine Verletzung derAufsichtspflicht nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz und beinhaltet einen Bußgeldtatbestand. Und beim Geld wird auchder unnahbarste Arbeitgeber kribbelig. Besonders dann, wenn die Bußgelder schnell einmal in den fünf- oder sechsstelligenBereich klettern!

Eine Gefährdungsanzeige ist eine Urkundeim Sinne des Strafgesetzbuches und darfohne Einwilligung des Erstellers nicht ver-nichtet werden. Sie gehört aus diesemGrund dauerhaft in die Personalakte. EinHerausreden aus der kritischen Situation istdem Arbeitgeber damit unmöglich gemachtund bringt ihn bei einem eventuellenArbeitsgerichtsprozess in große Schwierig-keiten.

Der Arbeitnehmer kann im Ernstfall also mitHilfe der Gefährdungsanzeige einen Teil desUngleichgewichts mit dem Arbeitgeber aus-gleichen und ihn unter Druck setzen, dieVerhältnisse im Betrieb so zu ändern, dassKolleginnen und Kollegen ein positivesHandeln möglich wird. Denn zuerst müssendie Verhältnisse am Arbeitsplatz stimmen!Dann klappt das auch mit dem richtigenVerhalten.

Heiner Birnstiel

Ein Muster einer Gefährdungsanzeige findenSie auf unserer Homepage hier:

http://www.dbv-gewerkschaft.de/fileadmin/user_upload/pdf/Muster-Ueberlastungsanzeige.pdf.

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