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5/20/2018 DDW_02_140814_Screen(1).pdf-slidepdf.com http://slidepdf.com/reader/full/ddw02140814screen-1pdf 1/54 EURODIG Temquam voluptiae excea quibusam, Q2 2014 DER DIGITALE WANDEL  MAGAZIN FÜR INTERNET UND GESELLSCHAFT WIE EIN PHOENIX AUS DER ASCHE Das „Recht auf Vergessenwerden“ vo dem Europäischen Gerichtshof DIGITALES SPIEGELKABINETT Unsere gestörte Beziehung zum Internet ist reif für eine Kur INTERNET. KANN DAS WEG?  Medienangst reloaded 

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  • EURODIGTemquam voluptiae excea

    quibusam,

    Q2 2014

    DER DIGITALE WANDEL MAGAZIN FR INTERNET UND GESELLSCHAFT

    WIE EIN PHOENIX AUS DER ASCHE

    Das Recht auf Vergessenwerden vor dem Europischen Gerichtshof

    DIGITALES SPIEGELKABINETT

    Unsere gestrte Beziehung zum Internet ist reif fr eine Kur

    INTERNET. KANN DAS WEG?

    Medienangst reloaded

  • Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

    Julia Schnborn Internet. Kann das weg? . . . . . . . . . . . . . 7

    LEISTUNGSSCHUTZRECHT

    Jakob Steinschaden Leistungsschutzrecht: Google soll zahlen, Facebook nicht . . . . . . . . . . . . 12

    Christopher Buschow / Heidi Tworek Wettbewerbsvorteile durch Gesetzge-bung? Debatten zum Nachrichtenschutz im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

    RECHT AUF DAS VERGESSENWERDEN

    Orla Lynskey Wie ein Phoenix aus der Asche: Das Recht auf Vergessenwerden vor dem Europischen Gerichtshof . . 17

    Lorena Jaume Palas ffentlichkeit kennt keine beschrnkte Teilnehmerzahl . . . . . . . . 21

    Infografik Who Runs The Internet? . . . . . . . . . .24

    DER MENSCH UND DIE DIGITALISIERUNG

    Mercedes Bunz Digitales Spiegelkabinett: Unsere ge-stoerte Beziehung zum Internet ist reif fuer eine Kur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

    Ulrich Klotz Arbeit ohne festen Arbeitsplatz . . . . .28

    Christina zur Nedden Schne, neue Arbeitswelt? . . . . . . . . . . 31

    David Streit Der Mensch im medialen Alltag . . . . . . 33

    INTERNET GOVERNANCE

    Matthias C. Kettemann Grotius Goes Google . . . . . . . . . . . . . . . . 35

    Michael Riegner Grotius Has A Long Way To Go . . . . . . .38

    Jeanette Hofmann Nicht alle Europer finden Datenschutz wichtiger als das Recht auf Meinungs-freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .40

    Marian Schreier Digitalisierungsdebatte: Mehr Instituti-onen, bitte! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43

    NET MUNDIAL

    Mitchell Baker NET mundial - Ein Bericht . . . . . . . . . . .46

    #Digital-Impact Das NET mundial - Abschlussdokument: Ein Wegweiser fr die Zukunft der Internet Governance? . . . . . . . . . . . . . .48

    TTIP

    Peter Schaar Transatlantische Freihandelszone (TTIP): Transparenz gewhrleisten, Datenschutz sicherstellen . . . . . . . . . . 51

    NEUE FORMEN DES JOURNALISMUS

    Tobias Schwarz Die Krautreporter knnen ein Ver-sprechen fr die Zukunft des Journalis-mus sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

    Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44

    Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .50

    Das Editorial Board . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

    Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54

    D E R D I G I TA L E WA N D E L

    Inhalt

    Julia Schnborn Internet. Kann das weg?

    Mercedes Bunz Digitales Spiegelkabinett: Unsere gestrte

    Beziehungz um Internet ist reif fr eine KurMatthias C. Kettemann

    Grotius Goes Google

    07 26 38

  • 4maria zerihoun | https://flic.kr/p/m

    jzCahttps://creativecom

    mons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

  • 5Vorwort

    Was ist los mit dem Internet?

    Wenn Sie diese Ausgabe in Hnden halten, taucht das politische Berlin langsam wieder aus dem Sommer-loch auf.

    Noch immer fragen wir uns, wie sich die Digitalisierung aller Gesellschaftsbereiche entwickelt und wie wir da-mit umgehen knnen. Netzthemen mssen weiter in den Mainstream rcken und dieses Magazin will einen Beitrag dazu leisten, die Debatten aus dem und ber das Internet einer greren ffentlichkeit zugnglich zu machen. Zu wenige sind ber die Auswirkungen der Digitalisierung und der gesellschaftspolitischen Tragweite von dem, was wir als Netzpolitik begreifen, informiert. Das gilt gleichermaen fr die Politik, Unter-nehmen und die Zivilgesellschaft Friedemann Karig hat auf der Re:publica 2014 einen OMG-Moment erkannt. In seinem Vortrag berwachung macht impotent Neue Narrative gegen berwachung macht er auf das ZDF-Politbarometer aufmerksam, das die wichtigsten politischen Themen der deutschen Whler im April 2014 erfragt hat. Netzpolitik wurde von keinem der Be-fragten genannt.

    Seit unserer ersten Ausgabe ist viel passiert. Das EuGH-Urteil zum Recht auf Vergessenwerden wurde umge-setzt, der globale Internetverwalter ICANN debattiert

    ber seine Zukunft nach der US-Aufsicht und weitere Fakten ber das Ausma globaler Internetberwa-chung sind an die Oberflche gekommen. Im US-Kon-gress haben Reformvorhaben schon erste Hrden genommen, hnliche Vorste lassen anderswo noch auf sich warten. Stattdessen wird darber gestritten, ob man den Whistleblower Snowden in Ausschssen befragen soll oder nicht.

    Parallel dazu wird in Deutschland an einer Digitalen Agenda gearbeitet. Erste Entwrfe lesen sich wie ein Vorwort zu einem Absichtspapier aus den 1990er Jah-ren. Schaffen es Politik und gesellschaftliche Vertreter am Ball zu bleiben? ffentliche Stellen sind angeleitet, sich ernsthaft mit digitalen Brgerrechten, Netzneut-ralitt, Startups, Innovationen oder Open Government auseinander zu setzen. Mit dieser zweiten Ausgabe von Der Digitale Wandel mchten wir das Experiment, das dieses Magazin dar-stellt, ausweiten. Wir hoffen, Partner zu finden, die die Wichtigkeit dieser Debatte erkennen, das Magazin in Zukunft untersttzen, und somit weitere und bessere Ausgaben auch ber 2014 hinaus ermglichen.

    Wir wnschen eine spannende Lektre.

    Paul Fehlinger, Hauke Gierow, Julia Kloiber, John H. Weitzmann, Sebastian Haselbeck HERAUSGEBER

    Janina Gera REDAKTION

  • 6Viktor Rosenfeld | https://flic.kr/p/nBJA6t | CC BY-NC-ND 2.0 | https://creativecomm

    ons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

  • 72014. Das Jahr, in dem die Interneterkl-rerinnen und Interneterklrer miteinander verhandeln, wie wir unsere digitalen Inst-rumente bedienen und verteidigen wollen, auch wenn wir alle zugeben mssen, dass wir sie nicht verstehen.

    Zumindest wnschte ich, es wre so.

    Stattdessen habe ich den Eindruck, dass im mittlerweile zweiten Jahr nach Snow-den neben der deutlich sprbaren Verwir-rung innerhalb der digitalen Gesellschaft ein Phnomen wieder an die Oberflche kommt, das ich naiverweise fr berwunden gehalten habe: Technikangst.

    Nach dem schrittweisen Bekanntwerden der Totalberwachung, sowie greren und kleineren Betriebsstrungen wie dem Heartbleedbug oder dem Passwort-Hack bei Ebay, werden immer mehr technikskep-tische Einwnde und Warnungen vor dem Internet laut. Menschen, die die sozialen Netzwerke meiden, fhlen sich besttigt. Aber auch die technikaffine Erwachse-nenwelt, die ohne Internet nicht mehr sein kann, spricht von Oine-Zeiten, Digital Detox und technikfreien Urlauben. Un-abhngig von unserem eigenen Verhalten, konzentrieren wir uns darber hinaus ver-mehrt auf das Einschrnken der Medien-nutzung unserer Kinder.

    Besonders brisante Flle hierbei: Die um

    sich greifenden Smartphone-Verbote in deutschen Schulen, die unter Berufung auf die Sicherheit der Kinder von einer ber-wiegenden Mehrheit der Eltern abgenickt werden - und dennoch eigentlich nur halb legal sind.1 Aber woraus resultiert diese neue Abkehr?

    1. Medienangst reloaded

    In ihrem Artikel Standardsituationen der Technologiekritik erklrt Kathrin Passig, dass Technikangst mit jeder neuen Techno-logie auftritt und sich in ebenso heftigem Mae auch gegen das Telefon, das Flugzeug und den Buchdruck richtete wie gegen das Internet in den letzten Jahren. Allerdings: Die von ihr als What is it good for-Phase bezeichnete frhe Technologiekritik haben wir eigentlich lngst hinter uns.2 Die neue Technikabkehr beinhaltet zwar kleinere Flashbacks wie z.B.: Und berhaupt, sooo 1 Hierzu eine Suchanfrage zu Smartphonever-

    bot an Schulen bei der Suchmaschine Ihres Vertrauens stellen. In einem Blogbeitrag habe ich ber unsere Schule berichtet, vgl. Deine Mudda!,www.junaimnetz.de/deine-mudda, 30.05.2014. In einem Vortrag auf der Social Media Night in Karlsruhe sprach ich vor allem ber den Aspekt der Digitalen Entgiftung, der auch in diesem Artikel thematisiert wird. Hierfr vgl. auch http://www.junaimnetz.de/praesen-tation-zur-10-social-media-night-in-karlsruhe, 01.08.2014.

    2 Vgl. Kathrin Passig: Standardsituationen der Technologiekritik, http://www.eurozine.com/articles/2009-12-01-passig-de.html, 30.05.2014.

    wichtig ist das Internet ja nicht. Das reale Leben ist vieeel wichtiger, speist sich aber insgesamt eher aus der genderten Perspek-tive auf das InS, das Internet nach Snowden. Durch die zahllosen Artikel in der Vergan-genheit sind wir leicht zu beeinflussen - der Soziologe spricht von Prkonditionierung. Angst vor den digitalen Medien ist bereits Teil des kollektiven Gedchtnisses, und kann als solcher mit wenigen Schlagwr-tern wachgerufen werden. Unangefochtener Champion unter den alten Technologie-angst-Narrativen: Das Internet macht uns krank.

    In der deutschen Ausgabe der Huffpost erscheint im Mrz 2014 der Artikel Ver-bietet Euren Kindern Smartphones! 10 wis-senschaftliche Grnde. Die Smartphone-Nutzung, schreibt Cris Rowan, verzgere die geistige Entwicklung, mache fett, sorge fr Schlafentzug und Depressionen, mache aggressiv und fhre zu digitaler Demenz und Abhngigkeiten. Ihre empirisch eher gewag-ten Schlussfolgerungen untermauert sie mit einer Handvoll ebenfalls gewagter Studien.3

    Wie weit der Alltag von Jugendlichen be-reits vom Internet durchdrungen ist, kons-tatiert Bernd Gra: 3 Cris Rowan: Verbietet Euren Kindern Smart-

    phones! 10 wissenschaftliche Grnde, http://www.huffingtonpost.de/cris-rowan/verbietet-euren-kindern-smartphones\_b\_4947122.html, 29.05.2014.

    Internet. Kann das weg?

    Suchtmittel, Massenberwachung, Knstlichkeit der Online-Welt: Julia Schnborn erkennt die Angst, die viele dem Internet und dem World Wide Web entgegen bringen. Sie erlutert, dass eine Abkehr von der Technik nicht sinnvoll sei und schlgt Wege vor, damit umzugehen. Julia Schnborn promovierte 2014 zu literarischer Massenkommuni-

    kation im Internet und ist unter anderem auf junaimnetz.de prsent.

  • 8Heute sind Abiturienten nicht mehr weg, wenn sie ins Ausland reisen. Kommuni-kationstechnisch sind sie nie weg. Sie ver-abreden sich mit ihren Freunden zu einer bestimmten Zeit [zum] Video-Chat. [] Dass man sich zwischen diesen Video-Konferenzen jederzeit frische Fotos auf die Facebook-Walls stellt, um sie gegenseitig zu liken und lobend zu kommentieren, ist ohnehin klar. Die grte Sorge dieser jungen Menschen in fremden Lndern ist darum weniger, dass sie mit der dortigen Fremdheit nicht zurechtkommen knnten, sondern dass ihren Online- Gerten der Stromausgeht.4

    Die Mediennutzung einer fahrlssigen El-terngeneration und damit das Vorbild, das sie Kindern gibt, kritisiert der Medienpsy-chologe Daniel Sss:

    Mit den Smartphones ist die Menge der Eltern, die komplett auf etwas anderes als ihr Kind fokussiert sind, stark gewachsen. Mit einem Smartphone in der Hand be-kommt man oft nichts anderes mehr mit.5

    Und Louis C.K. erzhlt in der Late Night Show von Conan, dass seine Kinder keine Smartphones bekommen, weil er glaube, dass die Technologie das Erlernen von und den Umgang mit echten Emotionen ver-hindere.6

    Zwar ist das alles schon mehr als einmal behauptet und widerlegt worden, wie Ka-thrin Passig feststellt: Der damals zwei-undachtzigjhrige Computerpionier Joseph Weizenbaum erklrte 2005: Computer fr Kinder das macht Apfelmus aus Gehir-nen, und auch das Vorgehen ist stets das Gleiche: Medizinische oder psychologische Studien werden ins Feld gefhrt, die einen bestimmten Niedergang belegen und einen Zusammenhang mit der gerade die Gem-ter erregenden Technologie postulieren, aber die Wirksamkeit dieser Argumente scheint wiederbelebt.

    Einen berblick ber die aktuelle Diskussi-on um die Suchtgefahr im Umgang mit den 4 Bernd Graff: Das Echo der Geschwtzigkeit,

    http://www.sueddeutsche.de/digital/kommuni-kation-im-internet-das-echo-der-geschwaetzig-keit-1.1557367, 26.05.2014.

    5 Eltern stndig am Handy - Kinder werden depressiv, http://www.20min.ch/schweiz/news/story/19817440}, 29.05.2014. Hintergrund ist eine Studie aus Schweden, die die Gefahren des Smartphonegebrauchs fr die kindliche Entwick-lung beleuchtet.

    6 Vgl. Louis C.K. hates Cell Phones, https://www.youtube.com/watch?v=5HbYScltf1c, 03.06.2014.

    digitalen Medien geben Kathrin Kaufmann, Ninia Binias und Johanna Emge in ihrem re:publica-Vortrag Jetlag Overload.7 Johan-na Emge fhrt mit den Anwesenden einen Selbsttest von 1996 zur Online-Sucht durch, der heute unwesentlich abgendert seine Renaissance feiert.8 Sie weist darauf hin, dass es sich bei der Online-Sucht zwar nicht um eine anerkannte Sucht handele, dass aber dessen ungeachtet der Drogen-bericht der Bundesregierung die Online-Sucht auhre und von 560.000 schwerst Internetabhngigen spreche, was sie erfri-schenderweise als eine Riesengefahr fr die Gesellschaft ironisiert. Der Fakt, dass eine nicht-anerkannte Sucht im Drogenbericht berhaupt mit Zahlen von Betroenen ver-sehen wird, stimmt dabei doch sehr bedenk-lich. \newline

    Setzt man die Internetangst, wie Kathrin Passig es gemacht hat, in ihren historischen Kontext, so sollte man eher von Medien-

    7 Ninia Binias, Kathrin Kaufmann, Johanna Emge: Jetlag Overload - One day we`ll be tired baby, https://www.youtube.com/watch?v=rAYqREiMHz8}, 01.06.2014.

    8 Ein kruder RTL-Selbsttest von 2012 findet sich hier: http://www.rtl.de/cms/ratgeber/sind-sie-bereits-internetsuechtig-40db-a775-24-114377.html, 01.06.2014, und fr den Focus schreibt Anna Vonhoff 2013, dass das Internet ein bislang unterschtztes Suchtmittel sei. Anna Vonhoff: Internetsucht - woran Sie erkennen, dass Sie krank sind, http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/psychologie/krankheitenstoerungen/tid-33361/die-neue-sucht-krank-im-netz-wenn-das-internet-abhaengig-macht\_aid\_1091802.html}, 30.05.2014. Ein Beitrag der ARD fragt: Internetsucht - die Sucht der Zukunft?: http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/sendung/onlinesucht-100.html}, 30.05.2014. Neben Artikeln, die sich den Anschein von Seriositt geben, existieren auch popkulturelle Umsetzungen. So sind z.B. die Videos Look Up und I forgot my phone, die die exzessive Mediennutzung im Alltag kritisieren, aktuell sehr beliebt. Auch lesenswerte Repliken und Richtigstellungen zu Untersuchungen kursieren im Netz, vgl. z.B. Digitale Demenz - was ist dran?, http://www.psychologie-heute.de/news/medien-gesellschaft/detailansicht/news/der\_arme\_soll\_aber\_mehr\_krie-gen\_als\_der\_reiche\_kopie\_1/?utm\_content=bufferca5e2\&utm\_medium=social\&utm\_source=twitter.com\&utm\_campaign=buffer}, 02.06.2014; Nadja Schlueter: Der Unsinn des einsamen Gary, http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzei-gen/586546/Der-Unsinn-des-einsamen-Gary, 02.06.2014; Clemens Gleich: Kommentar: Smart-phones zerstren dein Leben! Echt jetzt? http://www.heise.de/newsticker/meldung/Kommentar-Smartphones-zerstoeren-dein-Leben-Echt-jetzt-2196121.html?wt\_mc=rss.ho.beitrag.rdf, 02.06.2014. Trotz dieser vielen guten Kommen-tare ist die Reichweite der technikskeptischen Beitrge derzeit um ein Vielfaches hher als die der Repliken.

    angst und Medienskepsis sprechen. Denn das, was den digitalen Medien passiert, durchlebte auch das Medium Schrift. Der Prozess der Gewhnung an lesende Men-schen dauerte alles in allem fast 2000 Jahre:

    Um 50 n. Chr. geielte der rmische Phi-losoph Seneca die schdliche Wirkung des Viellesens, und bis ins 18. Jahrhundert attestierte man dem Lesen krperlich sch-digende Eigenschaften sowie eine verderb-liche Wirkung, insbesondere auf Kinder und Frauen.9

    Und auch Ralph Caspers beschreibt die In-ternetangst treender als Angst vor neuen Medien, indem er auf das Lesen referiert:Angst vor diesem Internetdings? Toll! Vor vielen hundert Jahren hatten die Menschen noch Angst vor Bchern. Heute wissen wir: Bcher sind gar nicht so schlimm.10

    Mglicherweise liegt das Auammen der Skepsis trotz dieses Wissens an der neuen Unausweichlichkeit der digitalen Medien. Hatten wir bis vor wenigen Jahren noch das Gefhl, das Digitale sei eine Art Add-On fr unser Leben, durchdringt das Inter-net heute alle Bereiche. Um das Internet kommen wir nicht mehr herum, sagte vor kurzem ein Medienkompetenz-Trainer an der Schule unserer Tochter, als wre das im Grunde genommen das Erstrebenswertes-te. Und so bekommt der Umgang mit der Technologie etwas, in das man sich wider-strebend ergibt. Das Individuum scheint zu glauben, es habe die Wahlfreiheit, ob es ein digitales Leben mchte, verloren.

    2. Medienskepsis und Mediennut-zung

    Neben der immer oenbarer werdenden Unausweichlichkeit der digitalen Medien und dem Unbehagen gegenber der un-sichtbaren Totalberwachung, knnte ein weiterer Grund fr die Medienangst in der Digital Divide liegen,11 dem immer strke-ren Auseinanderklaen von medienkom-petenten und weniger medienkompetenten Menschen. Ein Rckzug aus den digitalen Medien wre dann als eine Abwehrreak-tion zu verstehen, a l Internet? Geh mir

    9 Total digital!, http://www.audibkk.de/Total-digital.1347.0.html, 29.05.2014.

    10 Ralph Caspers, zitiert nach Tanja und Johnny Husler: Netzgemse. Buchumschlag.

    11 Vgl. http://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Einrichtungen/Zentrale\%20Institute/IWT/FWG/Jugend\%20online/Digital\%20Divide.html, 30.05.2014.

  • 9blo weg damit! 12 Einen dritten, wesentli-chen Grund sehe ich in der latenten Prio-risierung, die wir bezglich unserer Medi-ennutzung vornehmen. Obwohl wir uns im Grunde fr aufgeklrte Menschen halten, ist auch fr uns oine immer besser als online, RL immer besser als VR, das Buch immer besser als das soziale Netzwerk.

    Jrgen Geuther stellt fest:

    Die Ansicht, die physische Welt habe ein Primat ber die digitale, ist weder neu noch gesellschaftlich besonders umstritten. Schon der Begri des Real Life fr das Leben im Meatspace in Abgrenzung ge-genber dem nur virtuellen, irrealen Le-ben im Cyberspace transportiert die Idee der berlegenheit des natrlichen.Und egal wie wundervoll und spannend die Projekte, Plattformen und Dinge im In-ternet sein mgen, den Makel der Knst-lichkeit wird die Digitalsphre nie ab-schtteln knnen. 13

    12 Formulierung in freundlicher Anlehnung an den re:publica-Vortrag von Stephan Evertz: Geh mir weg mit Barcamp!, vgl. Stephan Evertz: Die BarCamp-Session #rp14, http://cortexdi-gital.de/2014/05/die-barcamp-session-rp14/, 01.06.2014.

    13 Jrgen Geuther: Ein naturalistischer Fehl-schluss, http://connected.tante.cc/2014/05/19/ein-naturalistischer-fehlschluss/, 29.05.2014.

    Dieser Makel der Knstlichkeit, so meine These, verhindert, dass wir unser Online-Leben neu denken. Das Sprechen in Di-chotomien wie online-oine oder real-virtuell wollten wir eigentlich berwinden. Stattdessen verstrken wir die Entweder-Oder-Mentalitt, die neu um sich greift, indem wir uns zurckziehen und uns ein-reden, das sei gesnder fr uns. berdeut-lich auf dem Rckzug sind wir, nachdem wir gemerkt haben, dass sich groe Teile des Digitalen unserer Kontrolle entziehen. Ironischerweise ist dieser gefhlte Kon-trollverlust lediglich ein weiterer Aspekt, der unsere Online-Existenz unserer O-line-Existenz angleicht.14 Auch ber unser Leben in der wirklichen Welt (TM) haben wir nur eingeschrnkt Kontrolle. Knnen oder wollen wir uns nicht zurckziehen, bleibt als Manahme noch die Beschrn-kung der Mediennutzung unserer Kinder, zu ihrem Wohl und ihrer Sicherheit. Das jahrhundertelang verteufelte Buch loben wir, das Smartphone akzeptieren wir zh-neknirschend fr eine bestimmte Anzahl Stunden pro Tag. Die Ambivalenz zwi-

    14 Den Verlust der Kontrolle verwendet Michael Seemann als Metapher fr sein Blog und sein Buchprojekt, vgl. http://www.ctrl-verlust.net/, 30.05.2014. Sie ist sehr anschaulich und beschreibt das Gefhl, das viele technikaffinen Menschen nach Bekanntwerden der berwa-chung hatten und haben.

    schen eigener Mediennutzung und dem Umgang mit unseren mediennutzenden Kindern zeigt ebenfalls, wie tief die Angst vor den digitalen Medien immer noch in uns verwurzelt ist.Anhand der bisherigen Reflexionen las-sen sich drei Annahmen ber die digitalen Medien ableiten, aus denen sich die Me-dienangst reloaded zusammensetzt.

    1. Droge Internet: Das Internet ist ein krankmachendes Suchtmittel. Hier se-hen wir eine aktuelle Wiederbelebung eines bereits beraus bekannten Kon-zepts.

    2. Primat des Natrlichen: Der Raum des Internet ist nicht real, also ist auch nichts, was wir darin tun, real. Hier liegt eine folgenreiche Abwertung unserer Kommunikation via digitale Medien vor.

    3. Konsequenz aus der berwachung: Das Internet wird kontrolliert, deswegen ist es besser, es nur wenig zu nutzen.

    Da in den letzten Monaten deutlich geworden ist, dass die meisten Online-Dienste auch nach Bekanntwerden der berwachung genutzt werden, ist die drit-te Annahme vermutlich kein ausschlagge-bender Faktor fr die Mediennutzung und Medienangst, sondern eine die anderen Annahmen verstrkende Tatsache.

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  • 10

    3. Wie real ist Online-Kommunika-tion?

    Den Klassiker Das Internet macht uns krank kann man als Nutzerin glauben oder auch nicht. Die individuelle Entscheidung, technikfreie Zeiten und bestimmte Regeln z.B. fr die Smartphone-Nutzung einzu-fhren, soll im Folgenden nicht kritisiert werden. Hier geht es um eine gesamtgesell-schaftliche Tendenz und um falsche Recht-fertigung von eingeschrnkter Mediennut-zung aufgrund dieser Annahmen.Dabei halte ich die zweite Annahme fr die wichtigste (Fehl-)Annahme, denn aus ihr resultiert unser ambivalentes Verhalten in puncto Mediennutzung. Wenn wir das Online-Leben als knstlich und damit als niedriger wertig ansehen, nehmen wir auch das, was wir online tun, als knstlich, als nicht-real wahr. Das ist in mehr als einer Hinsicht problematisch, aber besonders gefhrlich im Hinblick auf unsere Online-Kommunikation. Es gibt eigentlich keinen validen Grund, anzunehmen, dass unsere Kommunikation im Social Web sich von unseren Oine-Gesprchen unterscheidet. Whrend wir in vielen Kontexten unsere analogen Konzepte einfach ins Digitale bertragen und dann merken, wie sie in den neuen Medien brechen, machen wir es interessanterweise bei der Kommunika-tion genau anders herum. So denken vie-le, Online-Kommunikation funktioniere grundstzlich anders, und verwechseln den Austausch via soziale Medien mit einer Art Computer- oder auch Rollenspiel. Der Grund dafr ist meines Erachtens nach die ungewohnte Gesprchssituation ins O, also die Nicht-Sichtbarkeit eines oder mehrerer Gegenber. Durch die Abwe-senheit des Krpers fehlt auch eine sicht-bare Rckmeldung des Gesprchspartners. Reichweitenmessungen von Posts zeigen nicht, ob meine Nachricht angekommen ist und wie sie verstanden wurde. Blogaufrufe beinhalten keine Daten, ob der Post gele-sen und vielleicht sogar oine besprochen wurde. Das Untergehen einer solchen, im face-to-face-Kontakt ganz selbstverstnd-lich vorhandenen, Rckmeldung lsst viele Menschen denken, ihre Online-Kommuni-kation habe keine Relevanz, keinen Impact on others.

    Teresa Bcker hat in ihrem Vortrag Burn-out and Broken Comment Culture auf der diesjhrigen re:publica diese Annahme the-matisiert. Ihr Vortrag war ein Aufruf zur achtsamen Online-Kommunikation, und der wichtigste Punkt in ihrer sehens- und hrenswerten Rede:

    Online-Kommunikation ist real, und On-line-Verletzungen passieren realen Men-schen. 15

    Ihr Punkt gilt im negativen wie im positi-ven: Auch Online-Zuspruch ist real, On-line-Diskussionen sind real, Verknpfun-gen, Hinweise, Online-Netzwerken, nichts davon ist rein virtuell. Ich mchte also Teresa leicht umformulieren und sagen:

    Der Einfluss, den wir online aufeinander haben, ist real.

    Das ist momentan noch eine Erfahrung, die jede/r von uns einzeln machen muss. Es gibt kaum Kommunikationsworkshops zu den Besonderheiten von Online-Kommu-nikation, keine Verbindlichkeit ber eine oft plattformabhngige Netiquette oder Chatiquette hinaus. Es gibt nach wie vor kaum Medienkompetenz-Unterricht, der diese Form der Kommunikation mit den Schlerinnen und Schlern bt. Dabei sind Kommunikation und, daraus resultierend, Kollaboration wesentliche Bestandteile unserer Verwendung der digitalen Medien. Anstatt uns gegenseitig dabei zu helfen und vor allem unsere Kinder und Jugendlichen zu schulen, haben wir die falschen Prmis-sen fest in unserem kollektiven Gedchtnis verankert und mssen sie nun in einem in-dividuellen Willensakt jeder einzeln ber-winden.

    Virtualitt ist nicht die Abwesenheit von Realitt, sondern von Krperlichkeit, sch-reiben Tanja und Johnny Husler. Kaum eine Aussage muss so hufig wiederholt werden wie diese.16

    Wie eng unsere Vorstellungen von dem Nicht-Realen mit Vorstellungen vom Nicht-Ernsthaften, von Prokrastination und Zeitvertreib gekoppelt sind, merken wir sptestens, wenn wir die digitalen und sozialen Medien als Spielzeuge abtun. Was nicht real ist, ist Spiel, und stiehlt damit le-diglich den ernsthaften Dingen die Zeit. Ein Konzept, das uns noch aus unserer Jugend bekannt sein sollte, als Papa uns aufgefordert hat, den Gameboy wegzule-gen und endlich Physik zu lernen. Bei der bernahme dieses Konzepts wird reichlich pauschaliert, denn z.B. das Bloggen oder Twittern mit dem Herumklicken in den neuesten Youtube-Videos oder dem Lesen von Online-Artikeln gleichzusetzen, zeugt von wenig Verstndnis gegenber dem u-15 Teresa Bcker: Burnout and Broken Com-

    ment Culture, https://www.youtube.com/watch?v=khX9Hd0s3iU, 29.05.2014.

    16 Tanja und Johnny Husler: Netzgemse, 114.

    erst dierenzierten Gebrauch der neuen Medien. Aber auch die Unsinns-Kunst17 des Social Web hat ihre Daseins-Berechtigung als ein Oenhalten der Kommunikations-kanle. Whrend der trkischen \#occupy-gezi-Proteste schreibt Sascha Lobo: Mit famosem Unfug wird die Maschinerie am Laufen gehalten, bis sie im Ernstfall tat-schlich bentigt wird.18 Gleichzeitig hat die Methode, unseren Gebrauch der digi-talen Medien pauschal als Bldsinn abzu-tun, einen Zweck, denn was bloer Zeit-vertreib ist und die Aufmerksamkeit von den wichtigen, ernsthaften Dingen abzieht, auf das sollte es leicht sein, zu verzichten - so weit unsere Erwachsenenlogik. Hinzu kommt die verstrende Erkenntnis, dass wir schlicht nicht wissen, was mit der ber-wachten und abgespeicherten Kommunika-tion von uns und unseren Kindern gemacht werden wird, und ob sie irgendwann gegen uns verwendet werden kann. Unser nicht-paranoides Weltbild hat seit Snowden einen gewaltigen Riss. Der Blick auf die Instru-mente, derer wir uns bedienen, hat sich auf schmerzhafte Weise gendert. Als Sascha Lobo vor einigen Monaten das bertriebene Bild der Digitalen Krnkung anfhrte,19 re-agierten viele belustigt und behaupteten, sie selbst seien nicht gekrnkt. Ich glaube, wir sind es doch. Wir sind gekrnkt und brin-gen die digitalen Medien in einen Abstand zu uns. Um in einer Art pdagogischen bersprunghandlung, wie eine Freundin es formulierte, den Zugang zu den Medien zu beschrnken, sei es unser eigener, sei es der der heranwachsenden Generation.

    Nein, das Internet wird nicht abgestellt.20 Halten wir die digitalen Medien knftig auf Abstand, ignorieren wir zum einen den Fakt, dass die Totalberwachung davon nicht weggehen wird. Zum anderen ver-gessen wir etwas, das Michel Serres zusam-menfasst. Wir knnen nicht mehr zurck:17 Ich bediene mich hier der Ausfhrungen von

    Christiane Frohmann bei der re:publica 2014, die im Unsinn des Internet noch ganz andere Vorteile als das von mir hier postulierte Offen-halten eines Kommunikationskanals sieht. Vgl. Christiane Frohmann: Unsinn stiften als perfor-mative Aufklrung, https://www.youtube.com/watch?v=vGhopIKGvR8, 30.05.2014.

    18 Sascha Lobo: Erdogan wird wissen, warum er Twitter frchtet, http://www.spiegel.de/netzwelt/web/tuerkische-revolte-die-entste-hung-der-sozialen-netzwehr-a-903616.html, 30.05.2014.

    19 Vgl. Sascha Lobo: Die digitale Krnkung des Menschen, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/abschied-von-der-utopie-die-digitale-kraenkung-des-menschen-12747258.html, 01.06.2014.

    20 Johnny und Tanja Husler: Netzgemse, 20.

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    Ohne da wir dessen gewahr wurden, ist in einer kurzen Zeitspanne, in jener, die uns von den siebziger Jahren trennt, ein neuer Mensch geboren worden. Er oder sie hat nicht mehr den gleichen Krper und nicht mehr dieselbe Lebenserwartung, kommu-niziert nicht mehr auf die gleiche Weise, nimmt nicht mehr dieselbe Welt wahr, lebt nicht mehr in derselben Natur, nicht mehr im selben Raum.21

    4. Was uns die berwachung ge-lehrt haben sollte

    Das Bekanntwerden der Totalberwachung durch verschiedene Geheimdienste msste uns dabei eines deutlich gemacht haben: Unsere regierenden Instanzen messen un-serer Online-Kommunikation eine gro-e Bedeutung bei. Sie analysieren unsere Daten nicht, um zugeschnittene Werbung zu platzieren oder unser Kaufverhalten vo-raussagen zu knnen. Sie tun das, weil sie sich Kontrolle ber uns durch die Kont-rolle unserer Kommunikation versprechen. Das ist das strkste Argument dafr, unsere Online-Kommunikation neu zu bewerten. Denn so unwichtig wie wir denken, kann sie nicht sein.

    Zeynep Tufecki hat in seinem Artikel Is the Internet good or bad? Yes fr die Re-alitt unserer Online-Kommunikation ein schnes Bild gefunden. Er vergleicht die sozialen Medien mit den Straenkmpfen der trkischen #occupygezi-Bewegung und sagt, beide htten eines gemeinsam: Sie machten uns einander sichtbar.22 Unter der Ausnahmesituation der Proteste also wer-den die zuvor unsichtbaren Einflsse, die wir durch unsere Kommunikation in den sozialen Medien aufeinander haben, pltz-lich transparent. Auf den Straen erhalten sie ihre Krper, ihre realen Stimmen. Aber da ist kein Unterschied zwischen der virtu-ellen und der realen Stimme. Sie beide sind real. Wir sind stets real. Sowohl auf twitter als auch auf der Strae konnte man beobachten, wie sich die Masse der Protestler aus sich selbst heraus organi-sierte - und wie die von der Regierung ein-gesetzten Instanzen die Kontrolle verloren.

    Die Ambivalenz in dieser Bewegung und die Rolle der berwachung unserer Kom-munikation fasst Zeynep Tufecki wie folgt:

    Yet the more we connect to each other on-

    21 Michel Serres: Erfindet Euch neu!, 15.22 Zeynep Tufecki: Is the Internet good or bad?

    Yes, https://medium.com/matter/is-the-internet-good-or-bad-yes-76d9913c6011, 01.06.2014.

    line, the more our actions become visible to governments and corporations. It feels like a loss of independence. But as I stood in Gezi Park, I saw how digital communication had become a form of organization. I saw it enable dissent, discord, and protest. [] Person after person told me how thankful they were for the Internet. Parents swore that they were going to apologize to their children, whom they had derided for spen-ding too much time in front of screens. [] After the Arab Spring I was asked the same question over and over again: Is the inter-net good or bad? Its both, I kept saying. At the same time. In complex, new configura-tions. 23

    Die soziale Kraft unserer Kommunikation ist der Grund fr die berwachung. Des-halb gibt es in verschiedenen Regimen Zensurmanahmen. Deshalb wird versucht, unsere Kommuikation zu unterbinden - sei es durch das Sperren von Internetdiensten wie im Frhjahr 2014 in der Trkei, sei es durch das Aufrechterhalten einer gegen unsere Grundrechte verstoenden berwa-chung in Berufung auf internationalen Ter-rorismus. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir erkennen, was fr ein Instrument wir da haben. Je mehr wir uns aus den digitalen Medien zurckziehen, desto leichter fllt es, unsere Kommunikation zu berwachen. Wir brauchen nicht weniger Kommunika-tion, sondern mehr. Mehr Strgerusche, mehr Unsinn, wie Christiane Frohmann sagt, mehr medienkompetente Jugendliche, die zu medienkompetenten Erwachsenen werden, mehr Laut-Sein, mehr Wider-stand. Nicht weniger Technik oder Digital Detox.

    In seinem Kapitel Lob der Menschenstim-men referiert Michel Serres auf die Macht unserer Gesprche:

    Alle Welt will sprechen, alle Welt kom-muniziert mit aller Welt in zahllosen Netzwerken. [] Die Stimme wurde einst schriftlich, auf einem kmmerlichen Stimmzettel abgegeben, in einer rumlich und zeitlich begrenzten Abstimmung; heute nimmt sie mit ihrem Geruschteppich den gesamten Raum ein. Die Stimme stimmt unaufhrlich ab. 24

    Das Internet ist kein Suchtmittel. Es ist eine Kombination unterschiedlicher Kom-munikations- und Informationsmedien, die bereits heute eine groe Rolle in unserem

    23 Ebd.24 Michel Serres: Erfindet Euch neu!, 56 f.

    privaten wie beruflichen Leben spielen - vollkommen ungeachtet des Missbrauchs durch ein paar kontrollgeile Paranoiker. Sei-ne Bedeutung - dafr spricht alles - wird in den nchsten Jahren weiter zunehmen. Das Internet als Raum mag nicht real sein. Die Menschen und ihre Interaktionen mitein-ander ber diese Medien sind es. Wenn wir das alle akzeptieren und uns gleichzeitig der Relevanz unserer digitalen Kommunikation bewusst werden, knnen wir folgendes tun:t Anstatt den Zugang zu den Medien ein-

    zuschrnken oder unseren Kindern die Verwendung sogar zu verbieten, knnen wir uns fr Medien- und Kommunikati-onskompetenz einsetzen und Wege fin-den, uns gegenseitig anzuleiten.t Wir knnen noch strker auf unsere Art,

    zu kommunizieren, achten, im Sinne ei-nes Digital Caring.25 Uns gegenseitig erinnern, dass es auch in unserer Online-Kommunikation ganz reale Regeln des Miteinander geben muss. Und, beraus wichtig, eine neue Medienethik entwer-fen. Denn ein Raum, der potentiell jedem offen steht, braucht eine verbindliche Ethik.t Wir knnen alternative, dezentrale Kan-

    le suchen und die zentralen Kanle, die wir verwenden, gegen die Totalberwa-chung verteidigen. Das Durchsetzen der Rechte verlangen. Mit unseren Reprsen-tant\_innen sprechen. Und Sascha Lobos Aufruf folgen und mehr Geld in die Ver-teidigung des Internet investieren.

    Wenn wir allerdings weiter auf der Irrealitt des Digitalen beharren, werden wir nichts davon tun knnen.

    Text-Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 | creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/

    25 Vgl. hierzu Peter Tauber. (M)ein Ziel: Digital Caring, http://blog.petertauber.de/?p=2023, 03.06.2014.

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    Whrend die Verlagshuser gerade versu-chen, vor Gericht Geld von Google zu er-streiten, schlittern sie bereits in die nchste Abhngigkeit, die teuer werden knnte: Nachrichtenseiten verbreiten genau jenen Content, fr den Suchmaschinen zahlen sollen, kostenlos ber Facebook oder Twit-ter und beschftigen dafr oft sogar eige-ne Social-Media-Manager. Die Gefahr: Genauso wie Google werden diese Social-Media-Dienste mit den Verlagen um die Online-Werbegelder rittern.

    Warum ist das wichtig? Whrend sich die Verlage aus der Umklammerung von Google lsen wollen, schlittern sie in eine neue Abhngigkeit von Facebook und Twitter.

    t Die VG Media will vor Gericht bis zu elf Prozent der Umstze von Google fr die Verwendung ihrer Inhalte erstreiten.t Whrenddessen verbreiten eben diese

    Verlage ihren eigenen Content gratis ber Social-Media-Dienste wie Face-book und Twitter.t Social-Media-Dienste werden den Ver-

    lagen jene Werbegelder streitig machen, um die sie jetzt mit Google kmpfen.

    Bis zu elf Prozent so viel von den Mil-lionenumstzen will die VG Media, die Verwertungsgesellschaft der privaten Me-dienunternehmen, von Google und anderen Internetunternehmen wie Yahoo, Microsoft oder 1&1 (Web.de, GMX) in Deutschland per Klage erzwingen. Grund: Google und Co. sollen die Online-Inhalte der deutschen Verlage nicht gratis in ihren Web-Diensten anzeigen drfen, sondern sollen dafr zah-len. Hinter der VG Media stecken zwlf der grten deutschen Verlage wie Axel Springer (bild.de, welt.de), Burda, Fun-ke (u.a.derwesten.de) oder M. DuMont Schauberg (u.a. www.rundschau-online.de, berliner-kurier.de).Die Klage ist der VG Media zufolge not-wendig, weil Google sich trotz dem 2013 verabschiedeten Leistungsschutzrecht wei-gert, fr Verlagsinhalte zu zahlen. Stattdes-sen hat sich die Suchmaschine trickreich eine Zustimmung der Verlage fr die kos-tenlose Nutzung der Inhalte geholt. Wh-rend die VG Media nun vor Gericht zieht, wird oenbar weiter politisches Lobbying betrieben zuletzt stellte der deutsche Jus-tizminister Heiko Maas ein verschrftes Leistungsschutzrecht in Aussicht. In s-terreich pocht der VZ, der Verband s-

    terreichischer Zeitungen, schon seit langem auf ein hnliches Leistungsschutzrecht, mit dem die Verlage Google endlich zur Kasse bitten knnen.

    Der Streit um die Snippets

    Das sind nun die Fronten: New Media mit Google auf der einen, Old Media mit Axel Springer auf der anderen. Gestritten wird um die Verwendung der Inhalte der Ver-lage doch Moment! Um welche Inhalte geht es denn da genau? Im Wesentlichen um so genannte Snippets. Dabei handelt es sich um kleine digitale Krtchen, auf denen Online-Artikel in Bild, Schlagzeile und Einleitung kurz zusammen gefasst und in den Suchergebnissen von Google sowie in seinem Dienst Google News automatisiert angezeigt werden. Ein Snippet sieht so aus:

    Social-Media-Nutzer werden genau jetzt stutzig werden und denken: Moment mal, solche Snippets sehe ich doch jeden Tag auf Facebook und Twitter! Und genau an die-sem Punkt wird es spannend: Denn wh-rend die Verlage Google und Co. fr die automatisierte Verwendung dieser Content-Snippets zur Kasse bitten will, publizieren

    Leistungsschutzrecht: Google soll zahlen, Facebook nicht

    Jakob Steinschaden schrieb am 21. Juli 2014 auf netzpiloten.de zu einem Widerspruch beim Leistungsschutzrecht fr Presseverlage: Suchmaschinenbetreiber sollen fr

    Vorschau-Snippets zahlen, wohingegen Online-Medien diese bei Social-Media-Diensten gratis verbreiten. Jakob Steinschaden arbeitet als Journalist und hat Bcher mit den Titeln

    Phnomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt (2010) und Digitaler Frhling - Wer das Netz hat, hat die Macht? (2012) verffentlicht. In seinem

    Blog Jakkse.com schreibt er ber die Menschen und ihr Internet von Social Media ber Netzaktivismus bis zu Start-ups.

    LEISTUNGSSCHUTZRECHT

  • 13

    ihre eigenen Redaktionen (oft mit Hilfe eigener Social-Media-Manager) genau die-se Content-Snippets freiwillig und kosten-los bei Facebook und Twitter. Am Beispiel unten sieht man an einem Beispiel von der Axel-Springer-Seite Welt.de, wie der Ver-lags-Content bei Google automatisiert dar-gestellt wird und bei Twitter und Facebook ber die Welt.de-Accounts von den eigenen Mitarbeitern aufbereitet wurde:

    Verlage versprechen sich von der Verwen-dung von Social Media, das Interesse der User zu wecken und sie zum Klick auf die Story und anschlieendem Besuch auf ihrer Webseite zu berzeugen. Google argumen-tiert brigens hnlich und behauptet, pro Monat weltweit ber sechs Milliarden Be-suche auf Verlagsseiten zu lenken.

    Je jnger, desto mehr Facebook

    Woher kommt nun dieser Trac, der auf den News-Seiten der Verlage eintrit? In einer Grafik, die Holger Schmidt auf Net-zoekonom.de im Mai 2014 verentlicht hat, sieht man, dass Suchmaschinen, also in erster Linie Google (rot), viel mehr Zugrie auf deutsche Nachrichten-Portale schaufelt als Facebook (gelb). Bei Welt.de, um beim obigen Beispiel zu bleiben, sorgen Suchma-schinen fr 43,9 Prozent der Zugrie, Face-book fr 4,9 Prozent:

    In dieser Grafik sieht man auch, dass Face-book-Trac umso wichtiger wird, je jnger und internationaler die Nachrichten-Seite ist und wie unwichtig Google-Zugrie fr neuere Online-Medien bereits sind.Nun wird es richtig absurd: Whrend die Verlage derzeit Google fr die automati-sierte Verlinkung ihres Content zur Kasse bitten wollen, bittet Facebook die Verlage dafr zur Kasse, dass sie ihre Fans in dem

    Online-Netzwerk berhaupt mit ihren Snippets erreichen knnen. Denn ber die Jahre ist die kostenlose organische Reich-weite von Facebook-Seiten, wie sie Welt.de und tausend andere betreiben, gesunken von 12 Prozent im Oktober 2013 auf 6,2 Prozent im Februar 2014, wie etwa diese Statista-Infografik zeigt:

    Das bedeutet: Wenn ein Online-Medium mit seinen Postings (a.k.a. Snippets) mehr als im Schnitt sechs Prozent seiner Fans (Likes) erreichen mchte, muss es entwe-der auf virale Eekte hoen (Shares, Likes) oder fr Facebook Ads bezahlen, damit die Reichweite der Postings wieder steigt.

    Vom Regen in die Traufe

    Zurck in die Vogelperspektive: Whrend die Verlage, die seit Jahren unter wirtschaft-lichem Druck stehen, sich via Leistungs-schutzrecht neue Einnahmen von Google und anderen Suchmaschinenbetreibern zu

    sichern versuchen, schlittern gleichzeitig in die nchste Abhngigkeit jene von Face-book. Und da sie dort ihren eigenen Con-tent selbst gratis und mit eigenem, teurem Personal verbreiten, werden sie sich aus dieser Abhngigkeit nicht per Leistungs-schutzrecht befreien knnen. Das Bedro-hungsszenario bleibt aber das Gleiche: Ist

    es jetzt Google, dass den europischen Me-dien Werbegelder streitig macht, werden es knftig Facebook und Twitter sein, mit de-nen sie um die Werbebudgets rittern ms-sen. Wie schwer dieser Kampf sein wird, kann man heute bereits erahnen: Wer sich heute etwa zu den dramatischen Ereignis-sen in der Ukraine oder in Gaza informie-ren will, der findet bei Twitter bereits so viel Verlags-Content, dass er gar nicht mehr auf die Nachrichtenseite klicken muss. Text-Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 | creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ | http://www.netzpiloten.de/leistungsschutzrecht-google-soll-zahlen-facebook-nicht/

  • 14

    In den letzten Jahren wird ein gesetzlicher Schutz von Online-Nachrichten in immer mehr Lndern diskutiert. Zwar schtzt das Urheberrecht Journalisten in den meisten Fllen bereits vor der bernahme ganzer Texte. Presseverlage beklagen aber zuneh-mend weltweit, dass Nachrichtensuchma-schinen, vor allem Google News, und an-dere Aggregatoren und Medienbeobachter berschriften und kleine Ausrisse ihrer Inhalte (sog. Snippets) in neuen Angeboten zusammenfhren. Zwar hat der Europi-sche Gerichtshof in diesem Jahr die Verlin-kung von frei zugnglichen Inhalten gene-rell fr rechtens erklrt (Az. C-466/12). Die Verlage deuten eine ber diese Verlinkung hinausgehende Auswertung ihrer Inhalte (z. B. die Anzeige von Snippets) aber als eine Verletzung von Eigentumsrechten Aggre-gatoren sollen fr die Benutzung bezahlen.

    In der Folge kommt es in unterschiedlichen Lndern immer wieder zu juristischen Aus-einandersetzungen oder zur Gewhrung neuer Schutzrechte fr Nachrichten. Seit etwa 2006 reklamieren Verlegerverbnde wie die WAN-IFRA Regulierungs- und Vergtungsansprche gegenber Suchma-schinen und anderen Anbietern. Im selben

    Jahr erwirkten einige belgische Verlage ein Gerichtsurteil gegen Google News, das der Nachrichtensuchmaschine die bernahme von Textanrissen verbot. Nachdem man mit einem Berufungsverfahren gescheitert war, entfernte Google die entsprechenden Ver-lage aus den Treerlisten. Erst Ende 2012 kam es zu einer auergerichtlichen Eini-gung, heute sind diese Verlage wieder im belgischen Google News vertreten. Keinen Konsens fand man in Brasilien, wo sich 154 Zeitungen, die 90 Prozent der nationalen Auflage ausmachen, 2012 aus Google News zurckzogen, weil die Anzeige ihrer Snip-pets nicht vergtet wurde. In Deutschland gelang es der Presse, beim Gesetzgeber ein eigenes Leistungsschutzrecht fr ihre Inhal-te zu erstreiten. Es soll die kostenpflichtige Lizenzierung von Snippets an verlagsex-terne, gewerbliche Webseiten ermglichen. Ein hnlicher Gesetzentwurf ist auch in sterreich geplant. In Spanien wird erwar-tet, dass die Regierung noch dieses Jahr eine als Google-Steuer diskutierte Regelung hnlich des deutschen Leistungsschutzrech-tes beschliet. In Frankreich zahlte Google einmalig 60 Millionen Euro in einen Fonds fr innovative Nachrichtenangebote, um einer staatlichen Regulierung zu entgehen.

    Diese Versuche einer Strategischen Insti-tutionalisierung zielen darauf, die Wert-schpfung der Verlage, insbesondere ihre Distribution von Inhalten, vor dem Zugri durch Wettbewerber zu schtzen. Denn die neuen Konkurrenten entbndeln den klassischen Vertriebskanal Zeitung, den die Verlage mglichst deckungsgleich zum analogen Produkt in das digitale Zeitalter bertragen wollten. Schutzrechte fr Nach-richten werden so zu strategisch bedeutsa-men Wettbewerbsvorteilen fr Verlage.

    Das zeigt auch der Blick auf die Geschichte des Nachrichtenschutzes: Seitdem Informa-tionen telegrafisch ber grere Distanzen verbreitet werden, gibt es Bemhungen, sie dem Zugri durch (neue) Konkurrenten zu entziehen. Ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte des Nachrichtenschutzes war die Pressesachverstndigenkonferenz des Vlkerbundes im August 1927 in Genf und die anschlieende Gesetzesinitiative in Deutschland. Diese Diskussionen sind bis-lang recht unbeachtet geblieben, obwohl sie bemerkenswerte Gemeinsamkeiten zu den heutigen Fllen aufweisen. Ein Vergleich des Leistungsschutzrechtes fr Presseverlage in Deutschland mit dem Gesetzentwurf zum

    Wettbewerbsvorteile durch Gesetzgebung?

    Debatten zum Nachrichtenschutz im Wandel der Zeit

    Christopher Buschow und Heidi Tworek forschen aus ihren jeweiligen Wissenschaftsdisziplinen zum rechtlichen Schutz von Nach-richten. Gerade arbeiten sie an einem historischen Vergleich. Zwischen der heutigen Diskussion um das Leistungsschutzrecht und dem Versuch deutscher Nachrichtenagenturen, in den 1920er-Jahren einen sogenannten Nachrichtenschutz zu etablieren, sind ihnen interessante Parallelen aufgefallen. Heidi Tworek ist akademische Rtin fr Geschichte an der Harvard University. Im Jahr

    2014 wurde ihre Dissertation zur Globalgeschichte deutscher Nachrichtenagenturen mit dem Herman E. Krooss Preis der Business History Conference ausgezeichnet. Christopher Buschow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule fr Musik, Theater

    und Medien Hannover. Der Artikel beruht auf einem Debattenbeitrag bei Vocer.org sowie auf zwei Verffentlichungen der Autoren.

    LEISTUNGSSCHUTZRECHT

  • 15

    Schutze des Nachrichtenwesens aus den 1920er-Jahren dokumentiert diese Parallelen.

    Neue Konkurrenz

    Auch damals prallten alte und neue Medi-en aufeinander: Mit der Markteinfhrung des Radios wurde es mglich, an Zeitungen per Radio verbreitete Nachrichten sehr ein-fach mitzuhren und abzuschreiben fr die Nachrichtenagenturen eine Bedrohung ihres Geschftsmodelles. Sie frchteten Nachrichtendiebstahl durch hinterlisti-ge Konkurrenten, die die Frchte unserer Arbeit ausbeuten knnten (Kent Cooper, Geschftsfhrer der Associated Press). Dis-kutiert wurde, ob das Abschreiben von In-halten mit dem Diebstahl eines materiellen Objektes vergleichbar sei. So entstand die Forderung nach einem rechtlich geregel-ten Nachrichtenschutz. Die Rhetorik aus den zwanziger Jahren hnelt auf erstaunli-che Weise den Vorwrfen, die die Verlage heute gegen Google erheben. So hie es zu Anbeginn der aktuellen Diskussion, In-ternetpiraten wrden eine schleichende Enteignung der Presse betreiben. Rupert Murdoch, Grnder von News Corp, nannte Google und andere Suchmaschinen im Jahr 2009 content kleptomaniacs. 2013 ver-glich Mathias Dpfner, Vorstandsvorsitzen-der von Axel Springer, den Suchmaschinen-anbieter mit einer Hehlerbande und das

    Geschftsmodell mit Ladendiebstahl. Da-her sei ein Leistungsschutzrecht fr Presse-verlage notwendig. Damals wie auch heute wurden die Gesetze vor dem Hintergrund einer Problemsituation eingefordert, die jedoch nur schwer empirisch nachzuwei-sen war. Das Raubrittertum im Internet ist heute ebenso unbelegt wie die damali-ge Feststellung, der Nachrichtendiebstahl sei um 1920 auf ein zuvor unvorstellbares Volumen angewachsen (Kurt Hntzschel, Ministerialrat im Reichsinnenministerium).

    Strategische Manahmen

    Schon im Jahr 1855 hatten die Herausgeber von vierzehn deutschen Zeitungen zusam-men mit der grten Nachrichtenagentur, Wol s Telegraphisches Bureau, eine Pe-tition zum Schutz von Nachrichten an die Bundesversammlung gerichtet. Sie baten damals jedoch vergeblich um einen urhe-berrechtlichen Schutz fr Nachrichten, der kleineren Zeitungen das Abschreiben der ber Telegraphie gesammelten Nachrichten bis 24 Stunden nach Verentlichung ver-bieten sollte. Dagegen war im Bundessstaat Victoria in Australien eine hnliche Petiti-on zum Schutz von Telegrammen aus dem Ausland in den 1870er-Jahren erfolgreich gewesen. Auf internationaler Ebene wur-de der Nachrichtenschutz erstmals bei der Verhandlung der Berner bereinkunft in

    den 1880er-Jahren und bei ihrer Revision 1908 in Berlin zum Thema. Die Befrwor-ter einer solchen Regulierung konnten sich zu jener Zeit aber nicht gegen diejenigen durchsetzen, die das Urheberrecht primr als Schutz knstlerischer und kreativer Leistungen verstanden. Nachrichten tat-schlichen Inhalts und faits divers blieben ungeschtzt.

    Zum alternativen Ort der Verhandlung wurde daher die Pressesachverstndigen-konferenz des Vlkerbundes im August 1927 in Genf. Hier waren internationale Vertreter aus Politik und Presse zusammen-gekommen, um medienpolitische Rich-tungsentscheidungen zu treffen. Eine fhrende Rolle kam der grten privatwirt-schaftlichen (ozisen) Nachrichtenagen-tur Deutschlands, Wols Telegraphisches Bureau, zu. Ihr Direktor Heinrich Mantler vertrat die Meinung, der Nachrichtenschutz sei einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Punkt auf der Tagesord-nung. Seine Aussage erinnert frappierend an die Einordnung deutscher Pressemana-ger, die das Leistungsschutzrecht als die wichtigste medienpolitische Initiative seit Jahrzehnten (Bodo Hombach, Geschfts-fhrer WAZ-Mediengruppe) und als in seiner strategischen Bedeutung kaum zu berschtzen (Mathias Dpfner) bezeich-neten. Wolff s Telegraphisches Bureau

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    verfolgte hnliche Interessen wie die deut-schen Regierungsvertreter, die die Weima-rer Republik auf internationaler Ebene als Pionier in der Gesetzgebung profilieren wollten. hnlich produktiv gestaltete sich das Zusammenspiel zwischen Verlagen und (nationaler) Politik im Falle des Leis-tungsschutzrechtes. Erstere, allen voran der grte europische Verlag Axel Springer, entwickelten die Regulierungsidee und un-terbreiteten sie zentralen Persnlichkeiten wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der anschlieend forderte, die verlegeri-sche Rechtsposition angemessen zu scht-zen. Kritische Stimmen waren Mitte 2009 (noch) nicht zu vernehmen mglicher-weise auch, da der Meinungsbildungspro-zess der Parteien mit dem Wahlkampf zur Bundestagswahl 2009 zusammenfiel. Im Resultat fand die Forderung der Pressever-lage Eingang in den Koalitionsvertrag aus dem Oktober 2009, der die Umsetzung des Gesetzes festschrieb.

    Genese der Gesetzentwrfe

    Bei der Pressesachverstndigenkonferenz 1927 hatte man nach lngeren Verhandlun-gen den Schutz unverffentlichter Nach-richten auf internationaler Ebene festge-schrieben. Den Umgang mit verentlichten Nachrichten sollte jedes Land in eigenen Gesetzen regeln. Die deutschen Regierungs-vertreter erstellten direkt im Anschluss an die Konferenz eine Gesetzesvorlage zum Schutz vermischter Nachrichten tatschlichen In-halts und Tagesneuigkeiten. Einer der wich-tigsten Frsprecher war Kurt Hntzschel, der neben seiner Beschftigung im Innenminis-terium gleichzeitig auch als Presserechtler auftrat. Seiner Ansicht nach sollte ein Nach-richtenschutz die gesellschaftliche Rolle der Meinungspresse sowie die internationale Po-sition der deutschen Nachrichtenagenturen vor der Konkurrenz durch die neuen Medien bewahren. Vergleichbare Argumente finden sich, wenn auch weniger deutlich formu-liert, in der heutigen Debatte: So gelang es den Verlagen, ihr wirtschaftliches Interesse an einem Leistungsschutzrecht unter dem Kampfbegri Qualittsjournalismus fr den die Verlage stehen sollten zum Ge-meinwohl zu stilisieren. Die Verlage und ihre Verbnde waren diejenigen, die den politi-schen Prozess mit viel Druck, Terminspeku-lationen und einer Untersttzung der Koa-lition vorantrieben. So schrieben sie zgig nach der Fixierung im Koalitionsvertrag, in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften, einen eigenen Gesetzentwurf, der vermutlich dem Bundesministerium der Justiz als Vorla-ge berlassen werden sollte.

    Unklarheiten und Zweifel

    Verblende Parallelen zeigen sich auch in den Debatten um diese Entwrfe. Teils sind dieselben Unklarheiten dokumentiert. Eine grundlegende Frage war 1928 zunchst, wer berhaupt in den Genuss eines Nachrich-tenschutzes kommen sollte. Anfangs wollte das Innenministerium nur Verfasser von Nachrichten schtzen. Als die Unschrfe des Begries deutlich wurde, einigte man sich auf berufsmige Nachrichtensamm-ler, sodass auch freiberufliche Journalisten einbegrien waren. Das Leistungsschutz-recht sollte ursprnglich nur Presseverlage begnstigen. Nach dem Protest von Blog-gern und anderen, die grundlegende Zwei-fel am Gesetz anmeldeten, wurde der Kreis um verlagstypische Angebote erweitert. Schon in den zwanziger Jahren debattierte man intensiv darber, wie lange ein Nach-richtenschutz gelten sollte. Im Gesprch waren damals 12, 18 oder 24 Stunden nach Verentlichung. Eingewandt wurde aber, dass nicht immer dokumentiert werden knne, zu welchem Zeitpunkt eine Nach-richt berhaupt verentlicht wurde. Die praktische Bestimmung der Schutzdauer blieb daher besonders unklar. Das Leis-tungsschutzrecht gilt heute fr ein Jahr vorgeschlagen wurde in der Diskussion aber auch eine Schutzdauer von 15 Jahren (Ge-werkschaften) und 50 Jahren (Verlage). Be-sonders vage bleibt der Gesetzestext bei der Frage, wer in der Praxis als Suchmaschine oder als Anbieter gilt, der Inhalte entspre-chend aufbereitet. Daher haben Kritiker angemerkt, das Leistungsschutzrecht habe den Charakter einer Arbeitsbeschaungs-manahme fr Rechtsanwlte und Ge-richte. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass in den zwanziger Jahren der damalige Verlegerverband VDZV aufgrund der geplanten zivilrechtlichen Verankerung des Nachrichtenschutzes ebenfalls vor einer Flut an Gerichtsverhandlungen warnte.

    Grundlegende Zweifel sowohl am Nach-richtenschutz als auch am Leistungs-schutzrecht meldeten damals wie heute die Journalisten an. Schon 1920 machten sie geltend, die bestehenden Gesetze (Urhe-berrecht, Wettbewerbsrecht) bten bereits hinreichenden Schutz. Auerdem wrden von einer gesetzlichen Regelung insbe-sondere grere Unternehmen profitieren. Der Nachrichtenschutz fhre damit zu ei-ner unerwnschten Monopolisierung der Nachrichtenproduktion. Im Gegenteil sei es notwendig, dass Nachrichten die grte entlichkeit erreichten (so Walter Quix-Mlheim, Journalist). Gewarnt wurde auch

    vor dem Aufbau neuer, inezienter Struk-turen. So war im damaligen Gesetz vor-gesehen, dass Schadensflle vor einer neu geschaenen Pressekammer aus Branchen-experten zu verhandeln seien, deren Aufga-be es sein sollte, die Hhe der eingetretenen Einbuen zu beziern. hnliche Inezien-zen werden im Falle des Leistungsschutz-rechtes aufseiten der Verwertungsgesell-schaften befrchtet.

    Zuknftige Entwicklungen

    Den letzten Entwurf des Gesetzes zum Schutze des Nachrichtenwesens verent-lichte das Reichsinnenministerium im April 1932. Er wurde nach der Machtbernahme der Nationalsozialisten im Zuge der Gleich-schaltung der Presse nie ratifiziert. Im Mrz 2013 verabschiedete der Deutsche Bundes-tag das Leistungsschutzrecht fr Pressever-lage. Obwohl mehr als 80 Jahre zwischen beiden Debatten liegen, sind bemerkens-werte bereinstimmungen dokumentiert. Sie zeigen sich sowohl bei den beteiligten Akteuren, ihren Argumenten und ihrer Rhe-torik als auch in den Unklarheiten beider Gesetzestexte.

    Deutlich wird auch: Hinter der Diskussion um Nachrichtenschutz steht immer auch die Abwgung zwischen entlichen und privaten Interessen. Die wirtschaftliche Be-deutung von Nachrichten muss ihrer gesell-schaftlichen Bedeutung gegenbergestellt werden. So wird abgewogen, ob eine weite, eventuell kostenlose Verbreitung von Nach-richten an die grtmgliche entlichkeit dem Schutz der Nachrichtenmacher, die die Produktion finanzieren und organisieren, vorzuziehen ist oder ob das Gegenteil gelten soll. Heute wird diese Frage meist noch auf nationaler Ebene entschieden. Ver-handlungen auf der internationalen Bhne sind aber zu erwarten, wie die Geschichte des Nachrichtenschutzes gezeigt hat. Die Wissenschaft sehen wir in der Rolle, diese Debatten zu begleiten und kritisch zu reflek-tieren dabei kann der Blick zurck sehr hilfreich sein.Fr tiefere Informationen:Tworek, H. J. S. (in Druck). Journalistic States-manship: Protecting the Press in Weimar Ger-many and Abroad. Erscheint in: German History, 32. Jahrgang, 4. Ausgabe, Winter 2014.

    Buschow, C. (2012). Strategische Institutionali-sierung durch Medienorganisationen. Der Fall des Leistungsschutzrechtes. Kln: Herbert von Halem Verlag.

    Text-Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 | creativecom-mons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/

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    Orla Lynskey ist Dozentin fr Recht an der London School of Economics. Dort hlt sie Kur-se zu diversen Fragestellungen des Internet-Rechts. Auf europeanlawblog.eu schrieb sie

    am 13. Mai 2014 zum Recht auf Vergessen. In ihrem Beitrag erklrt Lynskey das Vorgehen in der Urteilsfindung des Europischen Gerichtshof und zeigt ausfhrlich aber verstndlich auf, wieso

    Privatpersonen Ansprche gegen ein internationales Unternehmen wie Google durchsetzen knnen und warum die neuentdeckte Liebe des Rechts zur Privatsphre einen Konflikt mit dem Recht auf freie Meinungsuerung darstellt. bersetzt aus dem Englischen von Tobias Schwarz.

    Das Urteil, auf dem dieser Text beruht, kann unter bit.ly/1oIA8Gx aufgerufen werden.

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    Wie ein Phoenix aus der

    Asche: Das Recht auf Vergessenwerden vor dem Europischen

    GerichtshofUrteil des Gerichts (Grand Chamber) in C-131/12 Google Spanien v AEPD und

    Mario Costeja Gonzalez

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    Der Generalanwalt des Europischen Gerichtshofes, Niilo Jskinen, hat im Juni letzten Jahres seine Meinungen zum spanischen Google-Fall kundgetan. Dabei schien es fr viele, mich eingeschlossen, als der letzte Nagel im Sarg des kontroversen Right to Be Forgotten (Recht auf Ver-gessenwerden), das fr die Europische Datenschutzreform erdacht worden war. Das heutige Urteil der Hohen Kammer des Europischen Gerichtshof (EuGH) lsst aber etwas anderes vermuten. Das Urteil wirkt so, dass es stark zugunsten des Datenschutzes und der Privatsphre ausgelegt ist, wenn man es im Verhltnis zur Meinungsfreiheit betrachtet, als ob es zumindest vom Namen her ein solches Recht in der Europischen Datenschutz-verordnung schon geben wrde. Fr eine Beurteilung der Auswirkungen dieses Falls, kann man gleich zum Ende dieses Artikels gehen.

    Die Fakten des Falls sehen wie folgt aus: Costeja Gonzalez war in den spten neunziger Jahren aufgrund von Sozialver-sicherungsschulden an einem Insolvenz-verfahren beteiligt. Eine spanische Regio-nalzeitung berichtete damals darber und verentlichte den Artikel spter auch im Internet. Gonzalez, der in diesem Artikel namentlich erwhnt wurde, bat die Zei-tung den Artikel zu lschen, da der Fall abgeschlossen und keinerlei Relevanz mehr besa. Die Zeitung kam dem nicht nach, weshalb Gonzalez sich an Google wende-te und die Suchmaschine dazu auorder-te, dass dieser Artikel, wenn nach seinem Namen gesucht wird, nicht mehr angezeigt wird. Die spanische Datenschutzbehrde lehnte es ab, die Zeitung zur Lschung des Artikel aufzufordern und verlangte von Google Spanien und Google Inc. den Artikel aus dem Index der Suchmaschine zu entfernen. Google hat die Entscheidung der Behrde vor einem spanischen Gericht angefochten, welches den Fall aussetzte und sich fr ein vorlufiges Urteil an den Europischen Gerichtshof wandte. Die an den EuGH gerichteten Fragen umfassten drei Themenblcke:

    t den sachlichen Anwendungsbereich der Datenschutzrichtlinie (Directive 95/46 EC),t den territorialen Anwendungsbereich der

    Richtlinie undt die Existenz eines vergleichbaren Rechts

    wie das Recht auf Vergessenwerden in den bestehenden Datenschutzbestim-mungen.

    Der sachliche Anwendungsbereich der Direktive Die Vorstellung von Datenkontrolle und -verarbeitung

    Der EuGH hat den sachlichen Anwen-dungsbereich der Richtlinie vor dem ter-ritorialen Anwendungsbereich in Betracht gezogen. Das spanische Gericht fragte, ob die Aktivitten einer Suchmaschine als Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne des Artikels 2(b) der Direktive angesehen werden knnen und wenn dem so ist, ob eine Suchmaschine ein Daten-kontrolleur im Sinne des Artikels 2(d) der Direktive ist.

    Artikel 2(b) definiert die Verarbeitung personenbezogener Daten als Operation oder Operationen, die personenbezogene Daten erfassen, ob automatisch oder nicht. Dann listet der Artikel eine unvollstndi-ge Liste an solchen Operationen auf. Das Gericht stellte fest, dass die Aktivitten einer Suchmaschine, die personenbezoge-ne Daten sammeln, abrufen, aufzeich-nen, organisieren, verentlichen und zur Verfgung stellen, als verarbeitend eingestuft werden mssen [28]. Die Hohe Kammer hat festgestellt, dass, auch wenn Suchmaschinen nicht zwischen personen-bezogenen und nicht-persnlichen Daten unterscheiden, die Einstufung der Akti-vitten als verarbeitend gltig ist [28]. Ebenfalls irrelevant fr die Auassung des EuGH war die Feststellung, dass personen-bezogene Daten bereits online verent-licht und von Suchmaschinen nur unbear-beitet bernommen wurden [29], um sie aus dem Anwendungsbereich der Direktive zu nehmen [30]. Die Modifizierung von Daten ist von der Direktive abgedeckt, aber ebenso unbearbeitete Daten [31]. Bei der bernah-me einer wrtlichen Auslegung des Artikels 2(b), lehnte es der EuGH (glcklichweise) ab, dass Google fr die als verarbeitend klassifizierten Operationen zwischen per-sonenbezogenen und nicht-persnlichen Daten unterscheiden knnen muss. Diese Feststellung wurde von der Einschtzung des Generalanwalts in den Schlussantrgen besttigt (AG Stellungnahme) [82].

    Der EuGH prfte, ob Google als eine ju-ristische Person, allein oder gemeinsam mit anderen, den Zweck und den Prozess der Verarbeitung von personenbezogenen Daten bestimmt und daher als Daten-Kontroller gem Artikel 2(d) betrach-tet werden kann. Durch Rckgri auf die wrtliche und zweckbezogene Interpre-tation der Richtlinie, kam das Gericht zu der Entscheidung, dass eine Suchmaschi-

    ne nicht von der Definition eines Kont-rolleurs ausgenommen werden kann [34]. Der EuGH erkannte aber an, dass sich die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Suchmaschinenbetreiber von der durch Website-Betreiber unterscheide [35] und betonte die entscheidende Rolle, die Suchmaschinen bei der Verbreitung von Daten spielen [36]. Das Gericht betonte je-doch auch, dass die Funktionen von Such-maschinen, Daten allen Internetnutzern aufgrund einer auf einen Namen basie-renden Suche [36] zugnglich zu machen, und das Zusammenfassen von persnlichen Daten einer betroenen Person [37], mg-licherweise die Grundrechte der betroe-nen Person erheblich betreen knnte [38]. Laut Gericht sind diese Daten, auch wenn sie durch Website-Betreiber von Suchma-schinen ausgeschlossen werden knnen, nicht zwangslufig in Suchergebnissen an-zuzeigen [39].

    Territoriale Reichweite des Anwen-dungsbereichs der Datenschutz-richtlinie

    Nachdem festgestellt wurde, dass Google Spanien durch den sachlichen Anwendungs-bereich der Richtlinie als Daten-Controller angesehen wird, prfte das Gericht, ob es auch in den rumlichen Geltungsbereich der Richtlinie nach Artikel 4(1) fiel. Um im rumlichen Geltungsbereich der Richtlinie zu sein, muss die Verarbeitung durch einen in dem betreenden Mitgliedstaat niederge-lassen Daten-Controller oder die Steuerung muss durch den Einsatz von Gerten, die sich auf dem Hoheitsgebiet des betreenden Mitgliedstaats befinden, erfolgen.

    Deshalb prfte das Gericht, ob es relevant ist, dass fr diesen Zweck das spanische Tochterunternehmen von Google Inc. Werbeflche auf Google in Spanien ver-kauft und sich hierbei an den Aktivitten spanischer Internetnutzer orientiere. Der EuGH wies das Argument von Google ab, dass sich die Aktivitten als Suchmaschi-ne nicht auf Spanien begrenze und dass Google Spanien nur ein Handelsvertreter fr die Werbeaktivitten des Unternehmens ist und verwies eher auf einen funktionalen Ansatz zwischen Google Inc. und Google Spanien. Das Gericht bemerkte, dass ge-m Erwgungsgrund 19 der Richtlinie eine Niederlassung im Hoheitsgebiet ei-nes Mitgliedstaats die effektive und tat-schliche Ausbung einer Ttigkeit mittels einer festen Einrichtung voraussetze [48]. Es entschied, dass Google Spanien durch seine Aktivitten als Tochterunternehmen

  • 19

    fr Google Inc. als eine Niederlassung angesehen werden kann [49]. Das Ge-richt bewertete die Verarbeitung perso-nenbezogener Daten als Aktivitt eines Daten-Kontrolleurs. Es unterschied dabei aber zwischen der Verarbeitung durch das betreffende Unternehmen (was Google Spanien nicht machte) und der Aktivit-ten im Rahmen der Verarbeitung [52]. Das Gericht erklrte, dass zum eektiven und vollstndigen Schutz der Grundrechte, der Wortlaut von Artikel 4(1)(b) nicht restrik-tiv ausgelegt werden kann [53] und dass der Gesetzgeber eindeutig versucht, Personen davor zu schtzen, dass der Schutz durch die Richtlinie verloren geht, in dem terri-toriale Anwendungsbereiche von Unter-nehmen ausgeweitet werden. Der EuGH hat daher entschieden, dass die Aktivitten von Google Spanien zur Frderung und dem Verkauf von Werbeflchen durch die Suchmaschine, was sie wirtschaftlich ren-tabel macht, im Zusammenhang mit den Ttigkeiten des Unternehmens betrachtet werden muss [56]. Die Feststellung des Ge-genteils wrde die Wirkung der Richtlinie gefhrden.

    Das Gericht folgt deshalb ausdrcklich der Empfehlung des Generalanwalts, dass ein funktionaler Ansatz notwendig ist, um den

    rumlichen Geltungsbereich der Richtlinie zu bestimmen. Der Generalanwalt vertritt die Meinung, dass ein Daten-Kontrolleur fr diesen Zweck als eine wirtschaftliche Einheit behandelt werden muss, wenn kos-tenfreie Dienstleistungen, die die Verar-beitung von Daten zur Einnahmen durch Werbung subventionieren, miteinander ver-bunden sind [Stellungnahme, 66 und 67].

    Rechte und Pflichten gem der Datenschutzrichtlinie

    Nachdem festgestellt wurde, dass Google Spanien in den Anwendungsbereich der Direktive fiel, berdachte der Gerichtshof seine Verantwortung im Rahmen der Di-rektive. Das Gericht prfte insbesondere, ob sich fr einen Suchmaschinenbetreiber eine Verpflichtung aus Artikel 12 b) und 14 (1)(a) der Direktive ergibt, Internetlinks, die zu rechtlichem Material auf Internetseiten verentlicht wurden, zu entfernen.

    Das Gericht betonte, dass es das wichtiges Ziel der Richtlinie sei, das Recht auf Pri-vatsphre [66] zu schtzen. Die Direktive msse in Anbetracht der Grundrechte ge-sehen werden, die allgemeine Rechtsgrund-stze seien und in der EU-Charta [68] fest-gehalten werden.

    Es bezog sich auf den Schutz, der von den Artikeln 7 und 8 der Charta ausgeht. Diese legen die Rechte auf den Schutz der Privat-sphre und des Datenschutzes dar [69]. Es stellte weiterhin fest, dass der Artikel 12(b) der Direktive der betroenen Person das Recht gibt, die Richtigstellung, Lschung oder Sperrung von Daten, deren Verarbei-tung nicht im Einklang mit der Direktive steht, nachzukommen. Artikel 12(b) der Direktive benennt Bei-spiele der Bearbeitung, die nicht mit der Direktive kompatibel sind. Der Gerichts-hof weist allerdings darauf hin, dass diese Beispiele nicht vollstndig seien. Die Be-arbeitung msse auerdem mit den Daten-qualittsgrundstzen in Artikel 6 berein-stimmen und eine Rechtsgrundlage nach Artikel 7 der Richtlinie aufweisen [71].

    Der Gerichtshof entschied, dass die Da-tenverarbeitung im vorliegenden Fall durch den Artikel 7 (f ) [73] abgedeckt war, der einen Ausgleich der Rechte und Interessen der betroenen Person und der Datensteu-erung erfordert, unter Bercksichtigung der Charta-Rechte auf Datenschutz und Privat-sphre [74].

    Der Artikel 14(b) von der Direktive ermg-licht es dem Betroffenen, jene Vorgnge

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    einzusehen, die auf Grundlage von Artikel 7 (f ), erweiterten verpflichtenden Gesetzen durchgefhrt wurden und die mit seiner persnlichen Situation zusammenhngen [76]. Die betroene Person kann eine sol-che Forderung direkt an den Controller oder wenn die Anfrage nicht erfllt wurde zu einer nationalen Behrde leiten. Das Gericht behandelte die Anfrage von Costeja Gonzalez im vorliegenden Fall. Es entschied, dass das Recht auf Schutz der Privatsphre und Datenschutzes in der Regel den Interessen von anderen Internet-Nutzern und deren Zugang zu Informationen bergeordnet sei. Diese Ba-lance ist natrlich von Art der Daten und der Art des entlichen Interesses abhn-gig und kann sich von Fall zu Fall ndern [81]. Nach einer solchen Bewertung, knnte eine Aufsichtsbehrde oder ein Gericht den Suchmaschinenbetreiber dazu auordern, den Link zu einer Seite zu entfernen ohne dass die Originalquelle den verlinkten In-halt lschen muss [82]. In diesem Bezug hat das Gericht hervorgehoben, dass ei-nige Verlage auerhalb des Rahmen der EU-Gesetzgebung [84] seien und dass ein Suchmaschinenbetreiber offenbar nicht von der Ausnahmeregelung der Richtlinie profitieren kann, wenn es allein fr jour-nalistischen Zwecken [85] durchgefhrt wird. Auerdem hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Abwgung zwischen Artikel 7(f ) und 14(a) von der Direktive damit zusammenhngt, ob die Verarbei-tung von einem einem Webseiten-Betreiber oder einem Suchmaschinenbetreiber [86] durchgefhrt wurde. Denn nach Ansicht des Gerichts ist die Anzeige bei einer Such-maschine ein grerer Eingri in das Recht auf Privatsphre als die Verentlichung auf einer Webseite [87]. Folglich hat der Ge-richtshof entschieden, dass nach Artikel 12(b) und 14(1)(a) ein Suchmaschinen-Betreiber Links zu Web-Seiten, die zu einer bestimmten Person fhren, entfernt werden mssen, auch wenn die Nennung auf der Webseite rechtmig sind [88].Der Gerichtshof hat geprft, ob diese Link-Lschung gerechtfertigt ist, wenn sie auf der Grundlage beruht, dass die Infor-mationen zum Nachteil des Betroffenen sind, oder, dass diese Person einfach eine Lschung wnscht. Der Gerichtshof hat entschieden, dass unter Bercksichtigung der Umstnde dieses Falles die betreenden Informationen nicht mehr mit der Direktive konform gehen (zum Beispiel nicht ange-messen oder nicht relevant oder bertrieben sind). Deswegen mssen Informationen gem Artikel 12(b) [94] gelscht werden.

    Bei der Beurteilung von Anfragen fr eine solche Lschung ist es nicht notwendig zu klren, ob die fraglichen Informationen den Betroenen benachteiligen oder nicht [96]. Das Gericht ging dann so weit zu sagen, dass die Grundrechte auf Schutz der Privat-sphre und des Datenschutzes in der Regel nicht nur das wirtschaftliche Interesse des Betreibers, sondern auch das Interesse der entlichkeit bei der Suche nach diesen Informationen bergeordnet sind. Jedoch kann es unter bestimmten Umstnden ein berwiegendes Interesse der allgemeinen entlichkeit geben (zum Beispiel, wenn die betreende Person eine entliche Fi-gur ist) [97]. Ein solches berwiegendes Interesse besteht im vorliegenden Fall nach Auassung des Gerichts jedoch nicht, dies ist eine Bewertung, die von dem nationalen Gericht [98] getroen werden muss.

    Die Auswirkungen des EuGH-Urteils

    Das ist ein Urteil, das weitreichende Aus-wirkungen haben wird und es ist unmglich, diese in einem einzigen Blog-Post zu doku-mentieren. Am oensichtlichsten ist jedoch, dass das Urteil eine neue Begeisterung fr die Rechte auf Schutz der Privatsphre und des Datenschutzes widerspiegelt - vielleicht auf Kosten des Rechts auf freie Meinungs-uerung. Whrend der Gerichtshof bei der Aushandlung von Grundrechten normaler-weise vorsichtig agiert, ist eine solche Vor-sicht in diesem Urteil nicht erkennbar.Der Gerichtshof strkt das Recht auf Da-tenschutz. Einmal dadurch, dass er der Di-rektive groe Handlungsfreiheit bietet. In seinen Stellungnahme hatte sich der Gene-ralanwalt (mit Missbilligung) ber den weit-reichenden Eingri der Direktive geuert und insbesondere den Begriff des Cont-rollers kritisiert (Stellungnahme [81]). Um den Anwendungsbereich der Direktive zu einzuschrnken hat der Generalanwalt dem Konzept des Controllers ein subjektives Ele-ment zugeschrieben (mit dem Argument, dass ein Controller sich der Existenz der persnlichen Daten, die er verarbeitet, be-wusst sein muss). Die Probleme, bei einem solchen Ansatz sind jedoch deutlich: Knn-te sich ein Unternehmen bei der Anwen-dung der Regeln ahnungslos stellen, um sie zu vermeiden? Das Gericht hat den weiten Anwendungsbereich der Direktive in Schutz genommen und hervorgehoben, dass es wichtig fr einen eektiven Datenschutz ist.

    Die Anzahl der Referenzen in dem Urteil der Artikel 7 und 8 der EU-Charta, und das Recht auf Privatsphre im Besonderen, sind

    bemerkenswert. Das Gericht ist bemht, zu betonen, dass die Auswirkungen von Pri-vatsphre- und Datenschutz- Richtlinien auf Suchmaschinenbetreiber anders sind als die Auswirkungen auf auf Webseiten-betreiber. Dies ist darauf zurckzufhren, dass eine Suchmaschine Informationen sammeln, ein Profil erstellen kann und diese Information weiter verteilt sowie einfacher zugnglich macht (paras. 38 und 87). Die Datenverarbeitung durch eine Suchmaschi-ne kann weitreichendere Auswirkungen auf die Privatsphre eines Einzelnen haben. Es knnte aber auch argumentiert werden, dass ein Entfernen von Daten von einer Such-maschine, die auf einer Webseite noch zu finden sind, signifikante Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit hat: es verhindert ein-fachen Zugri auf Daten fr eine grere Anzahl von Personen. Hier wird deutlich, dass das Gericht daran gescheitert ist, di-rekt auf Artikel 10 der ECHR oder Artikel 11 der EU-Charta zu verweisen, welche die Freiheit Informationen zu vermitteln und erhalten schtzt. Das Gericht scheint der Meinung zu sein, dass nur Reden von entlichem Interes-se die Rechte auf Datenschutz und Privat-sphre bertrumpfen knnen. Vermittlern wie Google wurde daher eine starke Len-kung zugeteilt, den Schutz der Privatsphre ber die Meinungsfreiheit zu stellen (mit der Ausnahme von bestimmten Fllen). In der Praxis werden solche Vermittler wahr-scheinlich nicht im entlichen Interesse abwgen und einen Lschung zum neuen Standard machen. Dies steht im Einklang mit dem europischen Datenschutzrecht insbesondere wenn es dem Einzelnen eine erweiterte Kontrolle ber seine persnli-chen Daten gibt - aber es bringt die EU auf Kollisionskurs mit den USA, wenn es um Online-Meinungsfreiheit geht.

    Text-Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 | creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ | http://europeanlawblog.eu/?p=2351

  • 21

    Lschansprchen bei Google spricht der Europische Gerichtshof von einem Vor-rang des Datenschutzes ber die Mei-nungs- und Informationsfreiheit. Mit sei-nem Versuch, die digitale entlichkeit wieder kleinzustutzen, beschdigt er die entlichkeit selbst.

    Den EU-Institutionen wird hufig ein entlichkeitsdefizit attestiert, ihre Ver-treter haben dies mitunter selbst eingestan-den. Auch der Verfassungsrechtler Dieter Grimm und Politologen wie Fritz Scharpf oder Peter Graf von Kielmansegg haben diese Einsicht schon Mitte der neunzi-ger Jahre besttigt. 2009 versprach Claus Haugaard Srensen, Generaldirektor fr Kommunikation bei der Europischen Kommission, mit der weiteren Verbreitung des Internets werde auch die lang erwartete europische entlichkeit kommen.

    Doch nun machte der Europische Ge-richtshof Haugaard Srensen und der europischen entlichkeit einen Strich durch die Rechnung: Rechtmige, ent-liche Daten drfen entlich bleiben, aber in Europa bitte nicht allzu entlich. Das Gericht entschied letzte Woche im Recht-streit des Herrn Mario Costeja Gonzlez

    gegen Google Spain. Die Suchmaschine habe die erforderlichen Manahmen zu ergreifen, um Herrn Costeja Gonzlez be-treende personenbezogene Daten aus ih-rem Index zu entfernen und den Zugang zu diesen Daten in Zukunft zu verhindern. Diese Daten waren personenbezogen, aber zugleich rechtmig in der spanischen Zei-tung La Vanguardia verentlicht.

    Weil sie zulssig publiziert wurden ja, im vorliegenden Fall sogar publiziert werden mussten, durften sie auch nicht gelscht werden, auch wenn Costeja Gonzlez es gerne gehabt htte. Kurzum, die Daten drfen nicht gelscht werden, sie sind f-fentlich. Eigentlich. Dennoch soll der Zu-gang zu diesen Daten eingeschrnkt und nur ber die Zeitung selbst ermglicht werden. Somit sollen sie europaweit nur fr eine kleinere entlichkeit zugng-lich sein.

    ffentlichkeit kennt keine feste Grenze

    Ein Merkmal der entlichkeit ist, dass sich ihre Grenzen zwar gegenber der Pri-vatsphre und dem Individuum definieren lsst. Umgekehrt aber ist ihre Reichweite

    nicht bestimmbar. Mit anderen Worten: Man kann ihr keine maximale Grenze vor-schreiben. Der Sinn von entlichen Daten liegt darin, allgemein zugnglich zu sein nicht allgemein eingeschrnkt zugnglich. Eine eingeschrnkte Allgemeinheit ist ein Widerspruch. Wie gro oder klein die von der Presse berechtigt erzeugte entlich-keit ist und sein kann, darf nicht gesetzlich eingeschrnkt werden.

    Der erste Absatz von Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europischen Union, auf den sich das Urteil indirekt bezieht, ga-rantiert die Freiheit der Meinung und die Freiheit Informationen und Ideen ohne behrdliche Eingrie und ohne Rcksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und wei-terzugeben. Weiterhin heit es im zweiten Absatz Die Freiheit der Medien und ihre Pluralitt werden geachtet.

    Allgemeiner Vorrang von Privat-sphre und Datenschutz

    Mit seinem Urteil negiert der Europische Gerichtshof im Ergebnis alle drei Punkte: Da die Rechte auf Privatsphre und Daten-schutz im Allgemeinen gegenber dem Interesse der Allgemeinheit berwiegen

    ffentlichkeit kennt keine beschrnkte Teilnehmerzahl

    Lorena Jaume Palas erklrt, wieso das Urteil des Europischen Gerichtshof zum Recht auf das Verges-senwerden eine Gefahr fr das Private sowie das ffentliche ist. Die Politikwissenschaftlerin ist Dozentin

    am Lehrstuhl fr Philosophie IV der LMU Mnchen. Ihre Forschungs schwerpunkte sind Konflikte und neue Technologien in internationalen Governance-Strukturen sowie Strategien kollektiver Akteure und kollektiver Rationalitt. Beim Internet und Gesellschaft Collabora tory koordiniert sie die Arbeits gruppe Global Internet

    Governance. Ihre Reaktion auf das Urteil erschien am 21.Mai 2014 auf iRights.info.

    RECHT AUF DAS VERGESSENWERDEN

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    sollen (Randnummer 81), stellt das Gericht somit berechtigte entliche Daten unter die Aufsicht einer Behrde. Denn Artikel 8 (Recht auf Schutz personenbezogener Da-ten) autorisiert Datenschutzbehrden, die Einhaltung dieses neu festgestellten Vor-rangs des Datenschutzes vor der Meinungs-freiheit zu berwachen; sowohl bei privaten als auch dann bei entlichen Daten.

    Der entlichkeit wird da die Daten nicht gelscht werden, sondern nur die Indexie-rung bei Google eine virtuell-rumliche oder funktionale Grenze gesetzt. Die Freiheit der Medien wird insofern eingeschrnkt, als sie ihre Reichweite nicht ber die Aund-barkeit in Suchmaschinen erweitern knnen. Die entlichkeit kann damit auerhalb der Presse-Domains ein rechtmig entliches Datum nicht mehr aunden.

    Mit der Verentlichung des Urteils begibt sich der Europische Gerichtshof zugleich in einen unfreiwillig komischen, performa-tiven Widerspruch: Denn im Gegensatz zu Urteilsverentlichungen in Deutschland wird beim Europischen Gerichtshof der Name nicht geschwrzt so auch hier, ob-gleich der Name des Klgers fr den Sach-verhalt nicht relevant ist. Herr Gonzlez wird ber Google entweder dauerhaft im Zusammenhang mit dem Urteil und dem zugrundeliegenden Sachverhalt im Internet zu finden sein. Oder das Urteil wird fr die entlichkeit ber Google nie aundbar sein, wenn Herr Gonzlez auch die L-schung der Indexierung dieser personenbe-zogenen Daten bewirken sollte.

    Grundrechte: EuGH vs. nationale Gerichte

    Die Mitgliedstaaten in der EU legen bis-lang selbstndig das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit aus. Das ue-rungs- und Presserecht ist auch national geregelt. Inwiefern andere Grundrechte das Grundrecht auf Meinungs- und Infor-mationsfreiheit rechtmig oder -widrig einschrnken, wurde bisher nicht vom Eu-ropischen Gerichtshof festgestellt, sondern von den jeweiligen nationalstaatlichen Ge-richten.Dies wiederum wirft auf die Feststellung des EuGHs, nach der die Grundrechte (!) auf Privatsphre und Datenschutz im All-gemeinen gegenber dem bloen? In-teresse der entlichkeit auf Informati-onszugang berwiegen, ein ganz anderes Licht. Sichert sich der EuGH damit ein Mitspracherecht in Fragen der Meinungs-freiheit und beansprucht er auch insoweit

    den Grundrechtsschutz? Oder handelt es sich nur um ein Abwgungsinteresse un-ter anderen? Folgt er der Prmisse, dass Grundrechte gleichberechtigt nebeneinan-der stehen oder schat er eine Rangfolge?

    Privatisierung des ffentlichen

    Zeitungen schreiben nicht fr die Schub-lade; sie wollen und suchen eine mglichst breite ffentlichkeit. Auch ihre Archive wahren das Interesse der Allgemeinheit. Dank der Digitalisierung und der Indexie-rung ber Suchmaschinen knnen Zeitun-gen und Archive eine entlichkeit errei-chen, die ber die geographischen Grenzen ihrer Verbreitung hinwegreicht nicht zuletzt auch mit Suchmaschinenoptimie-rung, ber die Zeitungen ihre Inhalte besser sichtbar machen konnten. Der Zugang zu Archiven als ehemaliges Arkanprivileg wur-de dank Suchmaschinen allgemein mglich. Sind Informationen in Suchmaschinen nicht mehr aundbar, werden sie digital verstauben.entlichen Daten ein Haltbarkeitsdatum zu setzen wie es das Gericht in diesem Fall praktisch getan hat luft auf eine Privatisierung des entlichen hinaus. Das Private existiert nur, wenn auch das ent-liche existiert. Demokratische Gesellschaf-ten bedrfen beider Sphren, um die Balan-ce zwischen Kollektivitt und Individualitt herzustellen. Zugleich zerfransen die Gren-zen zwischen Privatem und entlichen mit der Zeit. Private Daten knnen mit der Zeit von entlichem Interesse sein, wie etwa die Liebesbriefe aus den Schtzengr-ben des ersten Weltkrieges.Auch ein Gebot des Vergessens entli-cher Ereignisse ist nicht neu und bereits aus Friedensvertrgen in der Antike be-kannt. Dennoch wurden diese offizielle Vergessens-Gebote von der Geschichts-schreibung, der Kunst und der Literatur frher oder spter berholt. Demokratische, liberale Gesellschaften haben dieses Gebot umgewandelt, nachdem sie erkannten, dass ein Zwang des Vergessens inkompatibel mit dem liberalen Konzept der Demokratie ist es sei denn in den Ausnahmefllen von Verjhrung und Amnestie.Dass das Private vor dem entlichen ge-schtzt werden soll, wird zurecht hufig in letzter Zeit gefordert. Dass auch das f-fentliche vor dem Privaten geschtzt wer-den soll, wurde oenbar vergessen. Auch vom Europischen Gerichtshof.Text-Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 | creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ | http://irights.info/artikel/oeffentlichkeit-kennt-keine-beschraenkte-teilnehmerzahl/23173

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  • MULTI-STAKEHOLDERSZivilgesellschaft & Internet-nutzer, die Wirtschaft, Regierun-gen, nationale und internationale Organisationen, Forschung, wissenschaftliche und technische Gemeinschaften all diese haben eine Stimme, wenn es um die Gestaltung des Internets geht.

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    DAS INT

    ERNET

    SO FUNKTIONIERT ES:

    Debatten und Entscheidungen leiten

    Richtlinien und Standards, die

    WER STEHT HINTER DEM INTERNET? WEDER EINE PERSON, NOCH EIN UNTERNEHMEN, EINE ORGANISATION ODER DIE REGIERUNG HLT DAS INTERNET AM LAUFEN.

    This graphic is a living document, designed to provide a high level view of how the internet is run. It is not intended to be a definitive guide. Please provide feedback at www.xplanations.com/whorunstheinternet

    IRTFINTERNET RESEARCH TASK FORCEFrdert die Forschung zur Entwicklung des Internets. Fokussierte, langfristige Forschun-gsgruppen arbeiten an Fragestellungen zu Internetprotokollen, Anwendungen, Architek-tur und Technologie.www.irtf.org

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    REGIERUNGEN UND INTERGOVERN-MENTALE ORGANISATIONENEntwickeln jeweils fr ihren Kompetenzbe-reich Gesetze, Regularien und Strategien fr das Internet. Sie sind Teilnehmer in multi-lateralen und Multi-Stakeholder Foren, die regional und berregional zu Internet Governance stattfinden.

    C P

    IAB INTERNET ARCHITECTURE BOARDberblickt die Technik und Entwicklung des IETF und IRTF.www.iab.org

    A C P S R

    ICANN INTERNET CORPORATION FOR ASSIGNED NAMES AND NUMBERSKoordiniert die so genannten Unique identifiers des Systems: IP Adressen, Protokoll-Parameter, Top-Level Domains (DNS root zone).www.icann.org

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    IETFINTERNET ENGINEERING TASK FORCEEntwickelt und frdert eine Bandbreite an Internet Standards, insbesondere jene, die sich mit den Internetprotokollfamilien beschftigen. Die technischen Dokumente der IETF beeinflus-sen, wie Menschen das Internet gestalten, benutzen und organisieren. www.ietf.org

    C P S

    IGFINTERNET GOVERNANCE FORUMEin offenes Multi-Stakeholder Forum fr Debatten um das Problemfeld der Internet Governance.www.intgovforum.org

    A C P

    WER IST INVOLVIERT?

  • 2013 | Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 | Aus dem Englischen bersetzt von Janina Gera

    OFFENE DEBATTE

    Wenn Rechtsrahmen und weitere Vorschlge fr Software-Standards fr ein Multistakeholder-Modell diskuti-ert werden, gibt es eine Reihe an Methoden: persnlich, Internet Drafts (Arbeitsdokumente, die online verbreitet werden), ffentliche Foren, Verffentlichun-gen und weitere.

    Richtlinien fr das Internet sind geteilte Prinzipien, Normen, Regeln, Entscheidungsfindung-sprozesse, sowie Programme, die die Entwicklung und Nutzbarkeit des Internets gestalten. Internet-Standards ermglichen die Funktionalitt der Systeme im Internet indem Protokolle, Nachrichtenformate, Schemata und Sprachen festgelegt werden.

    RICHTLINIEN & STANDARDS

    Den Internetbetrieb betreffen alle Aspekte von Hardware, Software und Infrastruktur, die bentigt werden, damit das Internet luft. Dienstleistungen betreffen Erziehung, Zugang, Web-Browsing, Online-Werbung, Soziale Netzwerke etc. ARBEITSPROZESSE & DIENSTLEISTUNGEN

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    Prozesse und Dienstleistu

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    Das Internet an sich ist ein global verteiltes Netzwerk an Computern, das sich aus vielen freiwillig verbundenen und selbststndigen Netzwerken zusammensetzt. hnlich ist seine Regierung nicht zentralisiert, sondern ein internation-ales Multi-Stakeholder Netzwerk. Das setzt sich aus verbundenden, selbststndigen Gruppen der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, Regierungen, der Wissenschaft und Forschung sowie nationalen und internationalen Organisationen zusammen. Sie arbeiten kooperativ, jeweils aus ihren Rollen heraus um eine gemeinsame Regelung aufzustellen und Standards zu entwickeln, die die globale Funktionalitt des Internet als ffentliches Gut erhlt.

    PolicyP StandardsSOperationsO ServicesVResearchR

    definitive guide. Please provide feedback at www.xplanations.com/whorunstheinternet

    RIRs5 REGIONALE INTERNET-BROSLeiten die Belegung und Registrierung von Internet Nummerquellen, wie IP Adressen, innerhalb von geographischen Regionen weltweit. www.afrinic.net Africawww.apnic.net Asia Pacific www.arin.net Canada & United States www.lacnic.net Latin America & Caribbeanwww.ripe.net Europe, the Middle East & parts of Central Asia

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    INTERNET