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30 pflegen: Demenz 21  | 2011 Ein Film von Ulrike Halmschlager Demenz unD Alter in Der Kunst „Es soll in Zukunft viele Alzheimer-Patienten geben. Vielleicht ändert sich das Straßenbild. Singende und verwirrte Menschen werden herumirren und die Umgebung beleben. Menschen, die sich plötzlich ausleben, sich anders gebärden, die Sau raus- lassen, viele wünschen sich das ein Leben lang. Alles ist nur eine Frage der Betrach- tung und des Winkels. Wer ist verrückt? Wer ist normal? Schauen wir in zehn Jahren! Ich sehe diese Krankheit als Möglichkeit, als Chance, dich auszuleben, deine innersten Wünsche, deine Gedanken rauszulassen, Dinge, die du nie getan hättest. Du singst, du sprichst über andere, früher hättest du dich nie getraut. Dein Leitspruch war immer „Was sagen die anderen?“ Jetzt pfeifst du drauf, heraus damit, es gibt keine Kontrolle und das ist gut. Das Innerste kehrt sich nach Außen ohne Wenn und Aber.“ * * Von Ulrike Halmschlager gesprochener Text aus dem Film „Ilse, wo bist du?“ Regie, Kamera: Ulrike Halmschlager, Schnitt und Gestaltung: Werner Müller, Länge 45 Minuten, Österreich 2010 Ilse, wo  bist du? Blindtext ohne sinn und Verstand nur zu grafischen Zwecken gedacht

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30 pflegen:   Demenz 21   |  2011

Ein Film von Ulrike Halmschlager

Demenz unD Alter in Der Kunst

„Es soll in Zukunft viele Alzheimer-Patienten geben. Vielleicht ändert sich das

Straßenbild. Singende und verwirrte Menschen werden herumirren und die Umgebung

beleben. Menschen, die sich plötzlich ausleben, sich anders gebärden, die Sau raus -

lassen, viele wünschen sich das ein Leben lang. Alles ist nur eine Frage der Betrach-

tung und des Winkels. Wer ist verrückt? Wer ist normal? Schauen wir in zehn Jahren!

Ich sehe diese Krankheit als Möglichkeit, als Chance, dich auszuleben, deine innersten

Wünsche, deine Gedanken rauszulassen, Dinge, die du nie getan hättest. Du singst, du

sprichst über andere, früher hättest du dich nie getraut. Dein Leitspruch war immer

„Was sagen die anderen?“ Jetzt pfeifst du drauf, heraus damit, es gibt keine Kontrolle

und das ist gut. Das Innerste kehrt sich nach Außen ohne Wenn und Aber.“*

* Von Ulrike Halmschlager gesprochener Text aus dem Film „Ilse, wo bist du?“ Regie, Kamera: Ulrike Halmschlager, Schnitt und Gestaltung: Werner Müller, Länge 45 Minuten, Österreich 2010

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D ie österreichische Filmemacherin Ulrike Halm-schlager blickt zurück auf weit mehr als 30

Film- und Videoproduktionen sowie zahlreiche TV-Beiträge, die sie zum Teil als Kamerafrau für den ORF Salzburg verfasst hat. In ihrem wohl eindrück-lichsten Werk hat sie die letzten fünf Lebensjahre ihrer an Alzheimer erkrankten Mutter Ilse filmisch begleitet. Seit der Uraufführung im September 2010 ist „Ilse, wo bist du?“ in über 40 Städten Österreichs und Deutschlands gezeigt worden. Halmschlager nimmt jede Gelegenheit wahr, über ihren 45-minü-tigen Film zu reden und Menschen mit dem Thema Alzheimer speziell zu konfrontieren – nicht zuletzt, um ihm das immer noch anhaftende Tabu zu neh-men und Betroffenen Mut zu machen. So orga-nisiert sie vielfach Podiumsdiskussionen und Ge-

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sprächsrunden mit pflegenden Angehörigen und Fachleuten aus den Bereichen Medizin, Kunst und Film, Psychologie, Pflege oder Gesundheit, die in der Regel im Anschluss an die Filmvorführungen stattfinden.

Die Zwänge des Verstandesdenkensüber Bord werfen

Vorher, unmittelbar nach Filmende, bleibe der Vor-führraum für eine gewisse Zeit dunkel, berichtet Halmschlager. Mit der teils traurigen Atmosphä-re, mit mal heiteren Bildern des Films vor Augen, möchte sie das Publikum auf eine Reise in die eige-ne Gefühlswelt einladen. Halmschlagers Stichwort

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Alzheimer unheilbar ist, sei unbestritten, so die Filmemacherin im Gespräch. Sobald sich Angehö-rige jedoch von dieser engen Perspektive zu lösen imstande sind und erkennen, dass die Erkrankten in einer besonderen Gefühlswelt verankert sind, sei plötzlich vieles leichter. Es ginge eher darum, sich auf die besondere Situation einzulassen, sich Zeit zu nehmen, genau hinzuschauen und die Wün-sche, Sehnsüchte und Emotionen sowohl der alten Menschen, als auch die eigenen wahrzunehmen und zuzulassen.

Mit dem filmischen Portrait ihrer auch in der Krankheit lange lebensbejahenden Mutter ist Ulri-ke Halmschlager ein berührender Film gelungen. Das nächste Projekt lässt nicht lange auf sich war-ten. Ein Buch ist in Vorbereitung, das zur Leipziger Buchmesse im nächsten Frühjahr erscheinen soll und den Film textlich wie auch mit vielen Fotodo-kumenten ergänzen wird. ■

** Presseartikel von Heinz Bayer in: Salzburger Nachrichten, 21.09.2010

*** Presseartikel von Nicole Unger in: Tiroler Tageszeitung, 12.12.2010

ist: Loslassen! Die Zwänge des Verstandesdenkens zugunsten von Emotion und Empathie für kurze Zeit über Bord werfen.

Arbeit im Weingarten und Rilke-Gedichte

Im Grunde handelt es sich bei dem Film um einen sehr persönlichen, einfühlsamen Dokumentarfilm über die im Alter von 79 Jahren gestorbene Mutter. Immer wieder streut Halmschlager alte Fotografien oder Sequenzen aus Super-8-Filmen vergangener Tage ein, die liebevolle Einblicke in das Leben der 1928 in Stein an der Donau in Niederösterreich geborenen Ilse und ihrer Familie geben. Der den Film begleitenden Broschüre ist zu entnehmen, dass sich Ilse in jungen Jahren für die Oper und das Theater begeistert, später entdeckt sie Gedichte Rainer Maria Rilkes für sich. Als Ausgleich zur har-ten Arbeit im elterlichen Weingarten pflegt sie die Blumen im eigenen Garten und liebt das Reisen mit ihrem Ehemann Ernst. Nach dem Tod ihres Mannes macht sich die Erkrankung Mitte der 1990er Jahre zunehmend bemerkbar. Ulrike und ihre Schwes-ter Andrea ermöglichen ihrer Mutter nicht zuletzt durch die Hilfe von Betreuerinnen ein Leben in der vertrauten Umgebung bis zu ihrem Tod.

Die Filmerin erinnert sich: „Im Jänner 2007 ist meine Mutter gestorben. Das Filmmaterial ist ein Jahr lang gelegen. Ich habe Abstand benötigt, ehe ich mich an die Umsetzung des Projektes machte. Mit Werner Müller fand ich einen Cutter, der sehr viel Feingefühl an den Tag gelegt hat. Ich habe Tex-te geschrieben, sie auch gesprochen und in Form eines Dialogs zwischen mir und meiner Mutter an-gelegt.“ **

Positive Entwicklung: Menschen mitDemenz in der Öffentlichkeit

Einer Journalistin gegenüber äußerte Ulrike Halm-schlager Gründe für die Realisierung ihres Films: „Die Menschen sind jetzt bereit hinzuschauen. Es war (vor noch einigen Jahren) nicht üblich, jeman-den in der Öffentlichkeit zu sehen, der krank ist. Vielmehr hat man Menschen mit Alzheimer regel-recht versteckt. Es existierten zu viele Ängste. (…) Ich und meine Schwester Andrea wollten unsere Mutter aber nicht verstecken.“ ***

Die Schwestern haben recht bald versucht, der Krankheit auch Positives abzugewinnen. Die Schwierigkeit für Betroffene zu akzeptieren, dass

u Kontakt HARTWIG KNACK

Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftlere-mail: [email protected] zum Film: www.ilsewobistdu.at

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