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Jeder Fertighaushersteller führt in seinem Sortiment Holzbau- ten, um damit eine irgendwie naturnah veranlagte Klientel an- zusprechen. Im ressourcenvergeudenden suburbanen Sied- lungsbrei mag das Einfamilienhaus aus Holz vielleicht noch das Richtige im Falschen sein. Fragt man die großen Anbieter jedoch nach Holzbausystemen für den mehrgeschossigen Wohnungsbau in Innenstädten, kommt nicht viel das ist die Erfahrung der vier Architekten, die sich 2008 als Partner zum „Institut für urbanen Holzbau“ (IfuH) zusammengeschlossen haben. Ihr Prototyp ist jetzt in Berlin-Pankow fertiggestellt worden. Dem Bauprozess ging eine ausführliche Recherche an der TU Braunschweig voraus, wo Philipp Koch und Daniel Rozynski als wissenschaftliche Mitarbeiter zur Entwicklung des industriellen Wohnungsbaus forschten. Daraus ging 2007 die Forschungsinitiative „fertighauscity 5+“ von Christoph Roe - dig und Matthias Schrimpf hervor, in der untersucht wurde, wie ein Wohnungsbau aus Holz in der Gebäudeklasse 4 – also mit einer Höhe der obersten Fußbodenoberkante von 13 Me- tern über Geländeniveau – konzipiert sein muss, damit er im Rahmen der deutschen Musterbauordnung genehmigungsfä- hig ist und ohne unwägbare Einzelfallprüfungen auskommt. Damals erregte gerade „e3“, ein siebengeschossiger Wohnungs- bau aus Holz vom Büro Kaden Klingbeil im Bezirk Prenzlauer Berg mediale Aufmerksamkeit (Bauwelt 15.2008). Die Archi- tekten des IfuH sehen das Werk ihrer Kollegen zwiespältig: Einerseits war es damit gelungen, das Thema publik zu ma- chen, andererseits sei an dem viel zitierten Beispiel kaum Holz zu sehen gewesen. Der Anspruch des IfuH unterscheidet sich davon insofern, als dass in ihrem Pilotprojekt der Baustoff Holz deutlich in Erscheinung treten und so wenig wie mög- lich durch Brandschutz-Verkapselungen verborgen sein soll. Desweiteren sollen Holzelemente, die zu sehen sind, auch konstruktiv wirksam sein, im Gegensatz etwa zu der „verlore- nen“ Holzschalung einer Betondecke. Dazu kommen werk- stoffgerechte Verbindungen ohne komplizierte Stahlknoten – konzeptioneller Purismus mit der Absicht, „den Holzbau zu radikalisieren“. Das Konzept „fertighauscity 5+“ strebt nach Allgemein- gültigkeit, was bedeutet: Grundrissflexibilität und urbane Kon- textfähigkeit, nutzungsneutrale Räume, zentraler Erschlie- ßungskern, allseitig gleichwertige Fassaden, adaptierbar nach Lage des Grundstücks. Als Konstruktion für dieses Mehrfami- Den Holzbau radikalisieren In Berlin-Pankow hat das Institut für urbanen Holzbau einen Prototyp errichtet, der den Holzsystembau als günstige Lösung für innerstädtische Lagen propagiert. Einmal mehr erweist sich das Modell der Baugruppe als treibende Kraft – für inno- vative Konstruktionen, aber auch für die Erneuerung des Berufsbilds des Architekten. Text Nils Ballhausen Fotos Stefan Müller Görschstraße 48/49 in Berlin- Pankow: Der Versprung der Öffnungen resultiert aus den unterschiedlichen Wohnungs- größen der Baugruppe Lageplan im Maßstab 1:5000 Straßenansicht und Konstruktionsprinzip | Isometrie ohne Maßstab Bauwelt 21 | 2012 36 Bauwelt 21 | 2012 37 Thema Holzbau für die Stadt

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Jeder Fertighaushersteller führt in seinem Sortiment Holzbau-ten, um damit eine irgendwie naturnah veranlagte Klientel an-zusprechen. Im ressourcenvergeudenden suburbanen Sied-lungsbrei mag das Einfamilienhaus aus Holz vielleicht noch das Richtige im Falschen sein. Fragt man die großen Anbieter jedoch nach Holzbausystemen für den mehrgeschossigen Wohnungsbau in Innenstädten, kommt nicht viel – das ist die Erfahrung der vier Architekten, die sich 2008 als Partner zum „Institut für urbanen Holzbau“ (IfuH) zusammengeschlossen haben. Ihr Prototyp ist jetzt in Berlin-Pankow fertiggestellt worden. Dem Bauprozess ging eine ausführliche Recherche an der TU Braunschweig voraus, wo Philipp Koch und Daniel Rozynski als wissenschaftliche Mitarbeiter zur Entwicklung des industriellen Wohnungsbaus forschten. Daraus ging 2007 die Forschungsinitiative „fertighauscity 5+“ von Christoph Roe - dig und Matthias Schrimpf hervor, in der untersucht wurde, wie ein Wohnungsbau aus Holz in der Gebäudeklasse 4 – also mit einer Höhe der obersten Fußbodenoberkante von 13 Me-tern über Geländeniveau – konzipiert sein muss, damit er im Rahmen der deutschen Musterbauordnung genehmigungsfä-hig ist und ohne unwägbare Einzelfallprüfungen auskommt.

Damals erregte gerade „e3“, ein siebengeschossiger Wohnungs-bau aus Holz vom Büro Kaden Klingbeil im Bezirk Prenzlauer Berg mediale Aufmerksamkeit (Bauwelt 15.2008). Die Archi-tekten des IfuH sehen das Werk ihrer Kollegen zwiespältig: Einerseits war es damit gelungen, das Thema publik zu ma-chen, andererseits sei an dem viel zitierten Beispiel kaum Holz zu sehen gewesen. Der Anspruch des IfuH unterscheidet sich davon insofern, als dass in ihrem Pilotprojekt der Baustoff Holz deutlich in Erscheinung treten und so wenig wie mög-lich durch Brandschutz-Verkapselungen verborgen sein soll. Desweiteren sollen Holzelemente, die zu sehen sind, auch konstruktiv wirksam sein, im Gegensatz etwa zu der „verlore-nen“ Holzschalung einer Betondecke. Dazu kommen werk-stoffgerechte Verbindungen ohne komplizierte Stahlknoten – konzeptioneller Purismus mit der Absicht, „den Holzbau zu radikalisieren“.

Das Konzept „fertighauscity 5+“ strebt nach Allgemein-gültigkeit, was bedeutet: Grundrissflexibilität und urbane Kon-textfähigkeit, nutzungsneutrale Räume, zentraler Erschlie-ßungskern, allseitig gleichwertige Fassaden, adaptierbar nach Lage des Grundstücks. Als Konstruktion für dieses Mehrfami-

Den Holzbau radikalisierenIn Berlin-Pankow hat das Institut für urbanen Holzbau einen Prototyp errichtet, der den Holzsystembau als günstige Lösung für innerstädtische Lagen propagiert. Einmal mehr erweist sich das Modell der Baugruppe als treibende Kraft – für inno-vative Konstruktionen, aber auch für die Erneuerung des Berufsbilds des Architekten.

Text Nils Ballhausen Fotos Stefan Müller

Görschstraße 48/49 in Berlin-Pankow: Der Versprung der Öffnungen resultiert aus den unterschiedlichen Wohnungs-größen der Baugruppe

Lageplan im Maßstab 1:5000

Straßenansicht und Konstruktionsprinzip | Isometrie ohne Maßstab

Bauwelt 21 | 201236 Bauwelt 21 | 2012 37Thema Holzbau für die Stadt

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Fünf Maisonettes (mit 102 bis 134 Quadratmetern) liegen nebeneinander im EG und OG, eine weitere (mit 198 Qua-dratmetern) befindet sich im 3. und 4. OG. Die sieben Eta-

genwohnungen (mit 118 bis 142 Quadratmetern) verteilen sich auf das 2., 3. und 4. OG.

Grundrisse im Maßstab 1:333, Details im Maßstab 1:100

Vertikalschnitt Fassade

1. OG

EG

liensystemhaus schien den Verfassern der Studie eine Kombi-nation aus Skelett- und Holztafelbau geeignet. Dank flexibler Vorfertigungsmöglichkeiten im industriellen Holzbau könn-ten partizipative Ansätze, wie sie etwa von Baugruppen ge-wünscht sind, bei diesem Typus des „gestapelten Einfamilien-hauses“ besonders gut bedient werden.

Doch Baugruppenmitglieder haben relativ homogene Wohnwünsche, meist zwischen 100 und 140 Quadratmeter in Innenstadtlage mit guter Infrastruktur (Bauwelt 39–40.2008). In der Baugruppe namens 3 x Grün taten sich 13 Parteien zu-sammen. Die frühere Eigentümerin des Grundstücks in der Görschstraße hatte genügend Geduld, um die Findung der Baugemeinschaft und die Entwicklung des Prototyps bis zur Baureife abzuwarten. In der Praxis waren dann doch einige Anpassungen erforderlich: Technisch wäre es zwar möglich ge-wesen, die Brandwände und das Erdgeschoss aus Holz zu er-richten, aber wegen der aufwendigen Schutzmaßnahmen ge-gen Feuer und Anprall wäre beides unwirtschaftlich gewesen. Die Architekten waren pragmatisch genug, hier auf Stahlbe-ton auszuweichen. Das Keller- und das Erdgeschoss bilden ei-nen Betontisch, auf dem das Holzskelett aufsitzt, ausgesteift

von den Brandwänden und den Treppenhäusern. Das Beson-dere: Oberhalb des ersten Obergeschosses bestehen alle De-cken aus 18 Zentimeter starken Massivholztafeln, die auf den Unterzügen in Gebäudelängsachse aufliegen, also entlang der Außenwände und zwischen Kernen und Brandwänden. Im Inneren der Wohnungen sind Unterzüge und Massivdecken bündig miteinander verschraubt, sodass sich eine flächige Un-tersicht ergibt. Die technischen Installationen sind auf der Oberseite der Decke in eine Schüttung gebettet, die auch die notwendige Masse erzeugt. Die Holzstützen sind in den Tro-ckenbauwänden und in den Fassadenelementen verborgen.

Wegen des hervorragenden U-Werts von Holz ist es mög-lich, die Decken über die Außenwände hinaus durchlaufen zu lassen. Diese konstruktive Errungenschaft verkörpert wohl am besten die Idee der Architekten von der Sichtbarmachung des Materials. Sie nutzen diese innovative Lösung als prägendes Gestaltungsmittel, indem sie die Decken im zweiten, dritten und vierten Obergeschoss über die gesamte Straßenfront als durchlaufendes Band auskragen lassen. Der schmale Balkon bindet die unregelmäßige Fassade optisch zusammen und kann sogar als informeller Verbindungsgang zwischen den Horizontalschnitt Fassade

Bauwelt 21 | 201238 Bauwelt 21 | 2012 39Thema Holzbau für die Stadt

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Blick in die Maisonette-Woh-nung im 3. und 4. OG: Die Holzdecken sind mit einem farblosen Brandschutzan-strich versehen. Gestalterisch problematisch erscheint die Kombination mit dem Holz-fußboden.

Grundrisse im Maßstab 1:333 Detail im Maßstab 1:100

ArchitektenIfuH – Institut für urbanen Holzbau, Berlin/Darmstadt mit atelier pk, roedig.schop architekten, rozynski_sturm architekten

MitarbeiterMoritz Behrens, Alexandra Buskühl, Susanne Enke, Julia Hartig, Mads Knak-Nielsen, Johannes Krohne, Stephanie Schoemann

Tragwerksplanungifb frohloff, staffa, kühl, ecker, Berlin

Bauherr3 xGrün GbR Bauherren-gemeinschaft

Hersteller Armaturen Grohe Beschläge FSB, BKS, WinkhausFassade Eternit, Finnforest Merk, KertoLeuchten XAL, RZBSanitärobjekte Duravit, Kera-mag, RemovaSchalter & Steckdosen GiraSonnenschutz WaremaTrockenbau Eternit, Ferma-cell, RigipsZeichenprogramm Vector Works ▸ www.bauwelt.de/hersteller-index

2. OG

3. OG

4. OG

DG

Knoten Unterzug/Decke

Bauwelt 21 | 201240 Bauwelt 21 | 2012 41Thema Holzbau für die Stadt

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Wohnungen dienen. Auf der Gartenseite wird dieses Motiv mit Einzelbalkonsen variiert, die beeindruckend weit, um knapp zwei Meter, auskragen (an die leichten Schwingungen beim Betreten gewöhnt man sich).

Hat sich der Forschungsaufwand also gelohnt? Kann das „Produkt“ in Serie gehen? Die Gesamtbaukosten werden mit 2222 Euro je Quadratmeter Wohnfläche beziffert (je Quadrat-meter BGF: 1375 Euro); ein (Holz-)Geschoss zu errichten dau-erte nur zwei Wochen. Industrielle Holzbauunternehmen kön-nen weitere Referenzwerte abfragen, um die Wirtschaftlich keit zu prüfen. Das IfuH jedenfalls entwickelt zurzeit zwei weitere Projekte in diesem System. Vielleicht noch bemerkenswer- ter als das entstandene Gebäude ist aber, wie die Architekten damit die Grundlagenforschung vorantreiben, ein neues Ge-schäftsfeld eröffnen, wie sie sich um ihren Forschungsgegen-stand herum organisieren, die Leistungen Entwurf, Ausfüh-rungsplanung und Bauleitung ohne Eitelkeiten untereinander aufteilen, ihre individuellen Kompetenzen bündeln, ihr Wis-sen austauschen. Das Haus in Pankow steht nicht nur für den experimentellen Holzbau, sondern auch für ein anderes Be-rufsbild des Architekten.

Der Garten ist den Kindern vor behalten, die Dachterrasse den Erwachsenen

Schnitt im Maßstab 1:500

Sehen Sie dazu auf Bauwelt.de | Bild-strecke: Baustellenbesuch in Pan -

kow – die Besonderheiten der Konstruktion

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Bauwelt 21 | 201242 Thema Holzbau für die Stadt