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DENKMAL HESSEN Blickpunkt DIE STUCKAUSSTATTUNG IM WESTFLÜGEL SCHLOSS BIEBRICH Nachricht AUF DEN SPUREN DES ›KELTENFÜRSTEN‹ Publikation ›ALT-GEISMAR‹: 1500 JAHRE SIEDLUNGSGESCHICHTE MUSTER

DENKMAL HESSEN...schilde in unregelmäßig geformten Kartu-schen, die von Waffen und Fahnen umgeben sind, zudem ist die Hohlkehle mit Musikinstru-menten und weiterem Kriegsgerät gefüllt

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Page 1: DENKMAL HESSEN...schilde in unregelmäßig geformten Kartu-schen, die von Waffen und Fahnen umgeben sind, zudem ist die Hohlkehle mit Musikinstru-menten und weiterem Kriegsgerät gefüllt

DENKMAL HESSEN

BlickpunktDIE STUCKAUSSTATTUNG IM WESTFLÜGEL SCHLOSS BIEBRICH

NachrichtAUF DEN SPUREN DES›KELTENFÜRSTEN‹

Publikation›ALT-GEISMAR‹: 1500 JAHRE SIEDLUNGSGESCHICHTE

MUSTER

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INHALT

04 Verortung der Beiträge

05 Editorial

Blickpunkt

Katharina Benak06 DIE STUCKAUSSTATTUNG JOHANN PETER JÄGERS

IM WESTFLÜGEL VON SCHLOSS BIEBRICH

Nachricht

Axel G. Posluschny16 MIT HIGHTECH AUF DEN SPUREN DES

›KELTENFÜRSTEN‹

Publikation

18 NEUERSCHEINUNG ZU ›ALT-GEISMAR‹ EIN NORDHESSISCHES DORF SCHREIBT 1.500 JAHRE SIEDLUNGSGESCHICHTE

21 Autorenverzeichnis

22 Impressum

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54 DENKMAL HESSEN MUSTER

Welche Wertschätzung Kulturdenkmäler er-fahren, zeigen auch die hohen Besucher-zahlen, die die Denkmalorte an Tagen der offenen Tür oder zu anderen besonderen Anlässen vermelden. Denkmalpflege ist täg-lich wirksame Kulturpolitik, die die Vielfalt unseres gebauten und gepflanzten Erbes bewahrt – und sie ist ein Kulturangebot, das ganz oft ohne Eintrittsgelder auskommt und jedem offensteht.

Die Aufgaben der Denkmalpflege in Hes-sen sind heute so vielfältig wie die archäo-logischen, baulichen, künstlerischen, hand-werklichen und technischen Zeugnisse, die uns frühere Gesellschaften hinterlassen haben. Sie kümmert sich genauso um die Fossilienlagerstätten, keltischen Grabstät-ten und römischen Kastelle wie um die mit-telalterlichen Burgen oder Barockschlösser. Ihr Interesse gilt gleichermaßen der Jugend-stil-Villa und den modernen Wohnformen der 1920er-Jahre. Sie schätzt die spektaku-lären Bauten auf die gleiche Art und Weise wie die Bauern- und Bürgerhäuser, Scheu-ern, Brunnen und Grabmale. Sie allesamt sind Zeugnisse des Lebens und Arbeitens der Epochen.

Diese Vielfalt spiegelt sich auch in den Auf-gaben des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen wider und in dem breiten Spektrum der vielen Fachleute, die in seinem Auftrag sehr wichtige Aufgaben wahrnehmen. Sie erfassen und erforschen unsere Kulturdenk-mäler, beraten Eigentümerinnen und Eigen-

tümer und natürlich fördern und begleiten sie Sanierungsmaßnahmen von der Geneh-migung bis zur Ausführung.

Damit all das gut gelingt, braucht der Denk-malschutz auch das Verständnis der Bevöl-kerung. Deshalb besteht eine wichtige Auf-gabe darin, fachliche Entscheidungen und ihre Hintergründe nicht nur den Denkmal-eigentümerinnen und -eigentümern, son-dern auch der Öffentlichkeit zu vermitteln. Ein Schwerpunkt denkmalpflegerischer Öf-fentlichkeitsarbeit liegt deshalb auf Publi-kationen. In zahlreichen Zeitschriften und Broschüren werden die Ergebnisse der Ar-beit der archäologischen und der Bau- und Kunstdenkmalpflege dokumentiert. Die vor-liegende Zeitschrift ›Denkmal Hessen‹ leis-tet hierfür einen sehr wichtigen Beitrag. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und danke den Expertinnen und Experten, die ihren Sachverstand und ihre Leiden-schaft für den Denkmalschutz eingebracht haben.

Ihre Angela DornHessische Ministerin für Wissenschaft & Kunst

In dieser Ausgabe stehen folgende Themen im Fokus :

Verortung der Beiträge

DENKMÄLER IN HESSEN

1

2

1 BlickpunktWIESBADENSCHLOSS BIEBRICHSeite 07–16

2 NachrichtGLAUBERG, WETTERAUKREISSANDSTEINSTATUE ›KELTENFÜRST‹Seite 17–18

Liebe Leserin,Lieber Leser

mit Denkmalschutz und Denkmalpflege investieren wir in die Zukunft. Ob Baudenkmäler und ganze Ensembles, historische Stadtkerne oder neu genutzte Bauten der Industriegeschichte – sie alle charakteri-sieren unsere Städte und machen sie unverwechselbar.

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76 DENKMAL HESSEN MUSTER

Blickpunkt

DIE STUCKAUSSTATTUNG JOHANN PETER JÄGERS 1IM WESTFLÜGEL VONSCHLOSS BIEBRICHKatharina Benak

Das malerisch am Ufer des Rheins gelegene Schloss Biebrich in Wiesbaden war im 18. Jahr-hundert eine der bedeutendsten nassauischen Residenzen. Nach einer langen und komplizier-ten Baugeschichte wurde nach der Errichtung des Westflügels (1740–42) als letztem Bauabschnitt 1744 die Residenz der Linie Nassau-Usingen von Usingen nach Wiesbaden verlegt (Abb. 1). Fürst Karl (1712–75) konnte für den repräsentativen neuen Wohntrakt als Abschluss der dreiflüge-ligen barocken Schlossanlage den Architekten Friedrich Joachim Stengel (1694–1787) gewinnen, der bereits seit 1733 für das fürstliche Haus Nas-sau-Usingen tätig war und zuvor das Schloss in Usingen umgebaut hatte. 2

Der neue Schlossflügel ist ganz französischen Einflüssen verhaftet und zeigt die intensive Auseinandersetzung Stengels mit moderner französischer Architektur und den wichtigs-ten Architekturtraktaten dieser Zeit (Abb. 2).3

So geht beispielsweise das geschwungene schmiedeeiserne Treppengeländer im Haupt-treppenhaus, das Leonhard Vay 1743 nach einem Entwurf Stengels angefertigt hatte, ein-deutig auf einen Vorschlag Jacques- François Blondels für eine Rampe[s] d’escalier a grands panneaux avec pilastres zurück.4 Französi-schen Maisons de Plaisance vergleichbar liegt die Beletage, also das Hauptgeschoss, im Erd-geschoss und ist ebenerdig von der Ostseite aus erreichbar. Der Grundriss entspricht in sei-ner Aufteilung einem Appartement double:

Zu beiden Seiten des zentralen Saals schlos-sen sich südlich die Wohnung der Fürstin, nördlich die des Fürsten an. Die Raumfolge umfasst beginnend vom Saal Antichambre, Chambre à Coucher und Cabinet. Fürstin Christiane Wilhelmine verstarb allerdings be-reits am 27. November 1740, sodass sie das für sie vorgesehene Appartement im Westflügel sicher nie bewohnt hatte. Die Räume des Fürs-ten wurden offenbar als reines Appartement de Parade bzw. als Gästezimmer genutzt.Die ursprüngliche Stuckausstattung ist nur in Vestibül und Haupttreppenhaus, Saal und fürstlichem Appartement erhalten. Die be-treffenden Räume werden künftig analog zu ihrer ursprünglichen Funktion benannt. Der Saal diente als Speisesaal und wurde in den Quellen auch als solcher bezeichnet.5

Die Antichambre wurde in Biebrich offenbar auch als Audienzzimmer genutzt, da in den die Innenausstattung des Westflügels be-treffenden Quellen zum Biebricher Bauwe-sen auch die Fassung des Fursten Audientz gemach erwähnt wird.6 Das Schlafzimmer als nächster Raum ist nicht nur aufgrund der klassischen Raumabfolge innerhalb eines Appartements eindeutig als solches zu iden-tifizieren. Ein bisher nur wenig bekannter Plan der gesamten Schlossanlage mit Park von 1826 zeigt sehr detailliert den damals vorhandenen Grundriss, der in dieser Form auf die Erbauungszeit zurückgehen dürfte.7

Die Rückwand des Schlafzimmers ist hier als Alkoven gebildet.

Abb. 1: Stuckaturen im ehe-maligen SchlafzimmerAllegorie des HandelsFoto: Ch. Krienke, LfDH

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8 9DENKMAL HESSEN MUSTER

HOFSTUCKATEUR JOHANN PETER JÄGERStuckiert wurden die Räume im Westflügel 1742–44 von dem Mainzer Hofstuckateur Johann Peter Jäger (1708–90).8 Von dessen Werdegang vor seinen Arbeiten in Biebrich ist bisher nichts bekannt. 1740 wurde seinem Gesuch um den Titel eines kurfürstlichen Hofstuckateurs in Mainz stattgegeben, er selbst unterschrieb seine Biebricher Rech-nungen mit J Peter Jäger Hof Stuccator zu Maÿntz. Seit den 1740er-Jahren ist er mehr-fach als Stuckateur greifbar, so unter anderem 1743/44 bei Arbeiten im Palais Kesselstatt in Trier, um 1750/51 im Osteiner Hof in Mainz, 1752 im Osteinflügel des Kurfürstlichen Schlosses in Mainz sowie um 1768 im Osteiner Palais in Geisenheim. Zudem war er als Altarbauer und Architekt tätig. Sein wichtigstes Werk ist die katholische Pfarrkirche St. Ignaz in Mainz (1763–74), in deren Krypta er auch bestattet wurde. In Biebrich stuckierte er nicht nur den gesamten Westflügel aus, sondern war 1749 auch in den Galerien beiderseits der Rotunde tätig. Das Aussehen dieser Arbeiten ist nicht überliefert, den erhaltenen Quel-len zufolge handelte es sich um Stuckum-rahmungen für die Trumeauspiegel an den Schmalseiten zu den Pavillons und stuckier-te Supraporten.

VESTIBÜL UND TREPPENHAUSIm Vestibül des Westflügels von Schloss Bieb-rich wurde auf ein Deckenprogramm mit ikonografischen Inhalten verzichtet. Die Or-namentik beschränkt sich auf die Mitte der Decke und die vier Ecken der Voute. Zartes Bandelwerk verbindet sich mit zurückhaltend verwendeten Rocaillen, vorherrschend sind Blüten, vegetabile Formen und Gitterwerk, das an Treillagen erinnert. Dadurch wird eine Verbindung zwischen Außenraum – dem Park – und Innenraum geschaffen.Das Treppenhaus ist im Gegensatz dazu der Ort, wo durch die Abbildung des nassaui-schen Wappens auf das ausgedehnte Herr-schaftsgebiet des Bauherrn hingewiesen wird (Abb. 3). An den vier Ecken der Voute sowie zwei stuckierten Mittelrosetten an der längsrechteckigen Decke sind die einzelnen Wappenschilde des Vollwappens der walra-mischen Linie der Nassauer, wie es seit 1660 für die noch vorhandenen Linien der Familie Verwendung fand, verteilt.9 Dieses Wappen, das am Außenbau auch an der Westfassade im Giebel platziert wurde, weist hier jedoch aus Gründen der Symmetrie insgesamt zwölf Schilde auf, obwohl es sich tatsächlich nur aus acht zusammensetzt. Es umfasst folgende Herrschaftsbereiche: Grafschaft Saarbrücken (Löwe, normalerweise in Feld mit hier fehlen-

den kleinen Kreuzen), Grafen von Saarwerden (Doppeladler), Grafen von Moers (Balken), Gra-fen von Weilnau (zwei Leoparden übereinan-der), Herrschaft Merenberg (Andreaskreuz mit zwölf kleinen Kreuzen), Geroldseck-Lahr (Bal-ken), Lahr-Mahlberg (Löwe), Grafschaft Nassau (Löwe in Feld mit aufrecht gestellten Schin-deln). In der Voute befinden sich die Wappen-schilde in unregelmäßig geformten Kartu-schen, die von Waffen und Fahnen umgeben sind, zudem ist die Hohlkehle mit Musikinstru-menten und weiterem Kriegsgerät gefüllt. Häufig wurde in Treppenhäusern von Resi-denzen des Absolutismus die Gelegenheit zur Selbstdarstellung der Bauherrn genutzt, Besu-cher sollten sich an diesem Ort deren Bedeu-tung und Stand bewusst und somit nachhal-tig beeindruckt werden. Dies geschah häufig durch die Anbringung von Büsten an reprä-sentativer Stelle (zum Beispiel Gesandten-treppe in Versailles) oder auch der Darstellung der Bauherrn im Deckenfresko (zum Beispiel Würzburger Residenz). Ebenso wurden meist auch die Wappen der herrschaftlichen Familie abgebildet. Dies ist hier im Medium des Stucks verwirklicht, von zusätzlichen Hinweisen auf die Bedeutung des fürstlichen Hauses wur-de abgesehen. Durch die ›Vermehrung‹ der Wappenschilde wird dem Betrachter jedoch ein größeres Herrschaftsgebiet suggeriert, als

tatsächlich vorhanden war. Dies geschah wohl durchaus bewusst, da man die eigentlichen acht Schilde auf die Mittelrosetten hätte be-schränken und somit die Ecken der Voute für andere Inhalte hätte vorsehen können.

SPEISESAAL (SOGENANNTER BLAUER SALON)In der Achse des Vestibüls nimmt das Zentrum der Beletage des Westflügels der ursprüng-liche Speisesaal (heute sogenannter Blauer Salon) ein. Ursprünglich waren hier wie auch in den anderen Räumen die Türen und Fens-terbekleidungen eichenholzfarbig gestrichen und die Fenster mit Ölfirnis behandelt, so-dass die Raumwirkung eine ganz andere war als es heute der Fall ist. Im Accord Jägers von 1742 ist angegeben, dass er die Wände nach Zeignung für 200 fl anzufertigen hatte. Über der Lambris sind die Wände in einzelne Fel-der mit zarter Rokokostuckierung gegliedert, dabei greifen Stuckkartuschen nur an weni-gen Stellen über die obere Wandleiste hinaus. Über den drei Balkontüren an der Westseite sind im Scheitel der Bögen kleine Schlussstei-ne mit Köpfen angebracht, eine Dekoration, die mehrfach in Blondels zweitem Band sei-nes Traktats von 1738 erscheint. Ursprünglich gab es den Akten zufolge eine Ofennische im Saal, diese befand sich in der Südostecke. Die Ausstattung des Saals hat sich hier wie auch

Abb. 3: Stuckaturen im TreppenhausFoto: Ch. Krienke, LfDH

Abb. 2: Schloss Biebrich, WestflügelFoto: Ch. Krienke, LfDH

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in den übrigen Räumen nicht erhalten. Vor den Wandflächen zwischen den Fenstern wa-ren Spiegel und Konsoltische angebracht und über den Türen vergoldete Supraporten, die 1750 von Johannes Müller aus Saarbrücken bemalt wurden. Bei der Gestaltung der Wän-de gab es schon im Jahr 1750 Veränderungen, da Jägers bereits gefertigter Stuck offenbar zu weit in die Wandfelder herabgezogen war, sodass jener zumindest in Teilen abgeschla-gen und anschließend durch den Saarbrücker Marmorierer Johann Jakob Reißner als weißer Stuckmarmor neu angefertigt wurde. Die po-lierten Wandflächen wurden nach dem Vor-bild des Festsaals im Saarbrücker Schloss mit einer blauen Malerei à la porcelaine durch Simon Feylner, den späteren Direktor der Por-zellanmanufaktur Frankenthal, ausgeführt. Bis zur letzten Restaurierung waren diese noch schwach erkennbar, konnten aus konserva-torischen Gründen jedoch nicht sichtbar be-lassen werden. Offenbar handelte es sich um sehr zarte, zeichnerisch angelegte chinoise Szenen, die in der Darstellungsweise, ihrer Far-bigkeit und aufgrund des glänzend polierten Hintergrunds tatsächlich an chinesisches Por-zellan erinnerten und sicherlich einen über-aus kostbaren Eindruck machten. Im Gegensatz zu dieser Wandgestaltung steht der Deckenstuck, der in den vier Ecken der Voute Rocaillekartuschen mit Emblemen

der vier Jahreszeiten aufweist (Abb. 4). Vom eigentlichen Deckenspiegel sind diese durch einen mehrfach profilierten Wulst klar abge-teilt, auch sind sie nicht in den Wandbereich darunter herabgezogen. Der Deckenspiegel ist heute leer, zu vermuten ist zur Entstehungs-zeit eine stuckierte Rosette im Zentrum. Wie bereits im Vestibül mit der Verwendung von vegetabilen Ornamenten wurde hier durch die Darstellung der Jahreszeiten eine imagi-näre Durchdringung von Innen- und Außen-raum vollbracht. Der Bezug zur umgebenden Natur konnte durch die Öffnung der Fenster verstärkt werden: Die wandhohen Fenstertü-ren an der Westseite führen zu einem schma-len Balkon, der im 18. Jahrhundert den Aus-blick auf ein prächtiges Parterre de Broderie bot.

VOR- BZW. AUDIENZZIMMERIm, an den Saal angrenzenden, Vor- bzw. Au-dienz zimmer haben sich die stuckierte Ofen nische sowie der Deckenstuck mit vier Kartuschen und eine Mittelrosette mit der Darstellung von vier Männerköpfen im Profil erhalten (Abb. 5). Letztere sind mit Lorbeer-kränzen versehen und erinnern in ihrer Form an antike Gemmen. Ernst Kramer wies offen-bar 1965 als Erster darauf hin, dass es sich hier-bei um Darstellungen der vier Monarchien handelt.10 In Zedlers Universallexikon ist zu

den vier Hauptmonarchien folgendes ver-merkt: heissen im historischen Verstande diejenigen vier grossen Reiche, die vor an-deren in der Welt berühmt, und in Ansehen gewesen sind, und werden genennet: (1) die Assyrische, oder Babylonische; (2) die Persi-sche; (3) die Griechische; und (4) die Römi-sche [...]. Der Anlass zu dieser Benennung hat die Propheceyung Danielis gegeben, von dem grossen Bilde Nebucadnezars und von den vier Thiren.11 In der Kunst gibt es et-liche Beispiele für die Darstellung der Mon-archien, meist sind diese jedoch eindeutig durch Attribute oder Kleidung den jeweiligen Reichen zuzuordnen und häufig zusätzlich namentlich bezeichnet. Das assyrische ist in der Regel der bärtige Nimrod, das persische Cyrus oder Darius mit Turban, das griechische Alexander und das römische entweder Julius Cäsar oder Augustus oder in europäischer Rüstung und mit Krone Karl der Große. Als At-tribute sind ihnen häufig ein geflügelter Löwe, ein Bär, ein Fabelwesen mit vier Köpfen sowie eines mit vielen Hörnern beigegeben. Dies unterscheidet die üblichen Darstellun-gen von jenen Köpfen in Schloss Biebrich, die alle vier als antike Imperatoren im Profil abgebildet sind und es somit eher unwahr-scheinlich ist, dass tatsächlich die vier Mon-archien gemeint sind. Lohmeyer 12 überliefert einen Brief Stengels an den Fürsten (1739),

in dem er die Bestellung von Modellen der vier Monarchien für vier Nischen in der Ro-tunde bei einem Mainzer Bildhauer erwähnt. Deren Aussehen ist jedoch nicht überliefert. Die vier Monarchien als Statuen oder in an-derer Form in der Residenz eines Fürsten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Na-tion darzustellen, ist natürlich eine politische Aussage und weist auf die Herrschaft des Reichs als vierte und letzte Monarchie, nach der nur noch der Jüngste Tag kommt, hin. Die Rotunde als zentraler und prächtigster Ort der gesamten Schlossanlage bietet dieser Thematik den nötigen Rahmen, aber auch im Audienzzimmer des Fürstenappartements im Biebricher Westflügel wäre diese fürstli-che Selbstdarstellung der Einordnung in das letzte noch bestehende Weltreich denkbar. Dennoch ist aufgrund der fehlenden Ein-deutigkeit der stuckierten Köpfe doch eher von einer derartigen Interpretation abzu-sehen. Auch die Vierzahl ist kein Indiz, da sie sich aus Gründen der Symmetrie ergab. Ähnliche ›antike‹ Köpfe ohne tiefgreifendere Deutungsebene gab es beispielsweise schon bei den Stuckaturen Carlo Maria Pozzis im Weilburger und Idsteiner Schloss und auch bei einem Entwurf Jägers für eine Decke im Osteiner Palais in Mainz waren insgesamt sogar zwölf vergleichbare Köpfe in der Hohl-kehle vorgesehen.13

Abb. 4: Stuckaturen im ehemaligen SpeisesaalAllegorie des HerbstesFoto: Ch. Krienke, LfDH

Abb. 5: Stuckaturen im ehema-ligen AudienzzimmerFoto: Ch. Krienke, LfDH

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SCHLAFZIMMER UND KLEINES ECKKABINETTIm folgenden Schlafzimmer hat sich wiederum der Deckenstuck erhalten, der in den vier Ecken der Voute in weit in den Deckenspiegel hineinragenden Kartuschen weibliche Per-sonifikationen mit jeweils einem Putto zeigt (Abb. 6). Die Personifikation der Abundantia (Wohlstand, Überfluss) trägt eine Perlenkette um den Hals und hält ein umgedrehtes Füll-horn, der Putto neben ihr hat Perlen sowie eine Kette in der Hand. Eindeutig ist Justitia mit der Waage zu benennen, der zugehörige Putto hebt ihr Schwert empor. In der Linken hält sie einen Winkel, der Cesare Ripas ›Iconologia‹ zu-folge der männlichen Personifikation der Giu-dizio, also des Urteilsvermögens, beigegeben ist.14 Dies kann als zusätzliche Bedeutung pas-send zur Justitia durchaus auch hier gemeint

sein. Die Allegorie des Handels ist abgebildet mit Weltkugel und einem Putto mit dem Ca-duceus von Merkur, dem Gott der Händler (Abb. 1). Es folgt vermutlich Fides (Glaube) mit brennendem Herz und einem Putto mit Buch. Ein brennendes Herz ist zwar meist Attribut der Caritas (Nächstenliebe), jedoch kann hier aufgrund des Buches und des altarähnlichen Tischs, über den das Herz gehalten wird, von Fides ausgegangen werden. Ein inhaltlich zu-sammenhängendes Programm ist hier nur schwer zu interpretieren. Zumindest Justitia und Fides können als herrscherliche Tugenden direkt auf den Fürsten bezogen werden.Ikonografisch am interessantesten ist die Stuckdecke des kleinen Eckkabinetts. Im Zen-trum leuchtet ein Strahlenkranz mit einem Uroboros davor. Die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt und somit einen Kreis bildet, ist Symbol der Ewigkeit. Offenbar wird hier auf den ewigen, nicht endenden Glanz des Fürstenhauses hingewiesen. Die vier Kar-tuschen sind weniger leicht zu deuten (Abb. 7 und 8). Sie zeigen Embleme wie einen Turm, aus dem eine Feuerschale an einem langen Stab ragt, eine Palme, ein Zepter mit bekrö-nendem Auge und ein Zepter mit einer Hand als oberem Abschluss. Mit Hilfe der überlie-ferten Emblembücher der Neuzeit, die häufig Künstlern und Kunsthandwerkern als Vorlage gedient hatten, können sie jedoch entschlüs-selt und in ihrer Bedeutung auf das Fürs-tenhaus bzw. den Fürsten bezogen werden. Der Turm findet sich in Daniel de la Feuilles

›Devises et Emblemes‹, das in einer deut-schen Ausgabe 1695 in Augsburg publiziert wurde (Abb.  9). Die deutsche Inschrift dazu lautet: Ein Wacht-Feuer-Thurn an dem Ufer deß Meeres. [...] Beleuchtet Wasser und Land – vermutlich ein Hinweis auf die weitreichen-de Strahlkraft des Fürstenhauses. Nicht ganz so eindeutig, aber möglicherweise ebenfalls auf diesem Emblembuch basierend, ist das Au-genzepter mit der Beischrift Vorsichtig und be-hülfflich – gemeint ist möglicherweise die wei-se und bedachtsame Regentschaft des Fürsten. Der Palmbaum auf felsigem Untergrund gibt mit seiner lateinischen Beischrift UNO AVUL-SO NON DEFICIT ALTER (Es ist gleich wieder ein anderer vorhanden) 15 einen Verweis auf Vergils Aeneis und bezieht sich auf die Konti-nuität des Fürstenhauses. Für das Zepter mit Hand kann Gabriel Rollenhagens ›Selectorum Emblematum‹ von 1613 herangezogen werden, wo das passende Emblem die Umschrift FIDU-CIA CONCORS trägt.16 Die Deutung der Stucka-turen im Eckkabinett setzte also eine gewisse Bildung beim Betrachter voraus.Auf dem bereits erwähnten, wohl 1749 oder 1750 entstandenen Entwurf Jägers für das ovale östliche Eckzimmer im Osteiner Hof in Mainz finden sich – abgesehen vom Palmenmo-

tiv – eben diese Embleme erneut. Zudem ist in der Mitte des Deckenspiegels ebenfalls ein Uroboros vor einer Sonne zu sehen. Vorstell-bar ist durchaus, dass der Bauherr, der Mainzer Kurfürst Johann Friedrich Karl von Ostein aus Kenntnis des Biebricher Cabinets den Wunsch zu diesem ikonografischen Programm hatte, oder dass Jäger aus eigener Initiative heraus genau dieses ein zweites Mal realisieren wollte.

STILISTISCHE EINORDNUNG DER STUCKATUREN Obwohl die Farbschichten, die im Laufe der Jahrhunderte auf die Stuckaturen gekommen sind, das Bild ihrer Feinheit ein wenig schmä-lern, ist die Qualität der Stuckaturen Jägers in Schloss Biebrich durchaus noch erkennbar. Vor allem die Bandbreite an unterschiedlichen Formen, die der Mainzer Hofstuckateur hier zur Anwendung brachte, ist auffällig. So ver-binden sich in der Ornamentik Elemente des symmetrisch angelegten Bandelwerks, dessen Zenit zur Entstehungszeit der Stuckaturen im Schloss schon längst überschritten war, mit unterschiedlichsten Formen von unregelmä-ßig verlaufenden Rocaillen (Abb. 10). Es wirkt, als hätte Jäger hier in seinem ersten überlie-ferten Werk seinen Stil noch nicht gefunden.

Abb. 6: Stuckaturen im ehe-maligen SchlafzimmerAllegorie des Wohl-standes (Abundantia)Foto: Ch. Krienke, LfDH

Abb. 7: Stuckaturen im EckkabinettEmblem TurmFoto: Ch. Krienke, LfDH

Abb. 9: Emblem aus: ›Devises et Emblemes (...)‹Augsburg 1695, S. 12, Nr. 12

Abb. 8: Stuckaturen im EckkabinettEmblem PalmeFoto: Ch. Krienke, LfDH

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binet, wo die Voluten, die an der Ofennische im Audienzzimmer noch sehr klassisch aus-gebildet sind, zu großen Muscheln werden (Abb. 11).Da sich von Jägers Werk kaum etwas erhalten hat, nimmt die Stuckausstattung im Westflü-gel von Schloss Biebrich schon aus diesem Grund eine Sonderstellung ein, zudem ist es das erste überlieferte Werk überhaupt in sei-nem Schaffen. Die Auseinandersetzung mit Schloss Biebrich in der kunsthistorischen For-schung beschränkte sich bisher überwiegend auf die komplizierte Baugeschichte und die Ausstattung des Rheinflügels, dessen Mittel-bau – die Rotunde – ein Meisterwerk barocker Baukunst ist. Doch auch die wenigen Räume im Westflügel, deren originale, überaus qua-litätvolle Stuckdekorationen Johann Peter Jä-gers überdauert haben, sind näherer Betrach-tung wert. Sie zeigen eindrücklich das Können dieses bislang nur wenig beachteten Meisters und sind wichtiger, repräsentativer Bestand-teil der barocken Residenz der Nassauer.

Vorkriegsaufnahmen von seinem zerstörtem Werk in Trier (Palais Kesselstadt) und Mainz (Osteiner Hof) lassen erahnen, dass das Ban-delwerk schon bald keine Rolle mehr für ihn gespielt hat. Die Jahreszeitendarstellungen im Speisesaal füllen beinahe vollständig die sym-metrisch von zwei gleich geformten Rocaillen begrenzten Kartuschen aus, überschneiden diese jedoch nicht. Auch die Kartuschen selbst überschneiden an keiner Stelle die profilierte Leiste des Deckenspiegels. Dem stehen die Stuckaturen im Schlafzimmer gegenüber. Die Kartuschen reichen mit ihren variierten For-men weit in die Decke hinein, sie werden von den Personifikationen als Sitzfläche genutzt. Das Eierstabprofil wird beim Anschluss an die Kartuschen seiner Funktion als klar definierte Grenze zwischen Voute und Decke beraubt und vermeintlich in einen von Laubwerk um-rankten dünnen Stab verwandelt. Jäger scheint seine Formensprache teilweise direkt aus der Natur übernommen zu haben, besonders deutlich wird dies bei der Ofennische im Ca-

1 Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Aufsatzes in der Festschrift für Hans-Christoph Dittscheid, Augsburg 2010: Katha-rina Benak: Zur Stuckausstattung des West-flügels von Schloß Biebrich in Wiesbaden, in: Albert Dietl/Gerald Dobler/Stefan Paulus/ Hans Schüller (Hg.): Roma quanta fuit – Beiträge zur Architektur, Kunst- und Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Festschrift für Hans-Christoph Dittscheid zum 60. Geburts-tag, Augsburg 2010, S. 637–654. Diese gekürzte Fassung wurde bereits abgedruckt in der Zeit-schrift ›Denkmalpflege und Kulturgeschich-te‹, Heft 2, 2011, S. 17–23 2 Allgemein zum Schloss vgl. Griesbach- Maisant  – Ausführlich zur Baugeschichte seit diesem Bauabschnitt vgl. Einsingbach. Alle Angaben zum Westflü-gel sind, soweit nicht anders vermerkt, aus diesem Aufsatz. Vgl. auch Lohmeyer 3 Vgl. Dittscheid/Schneider, S. 107f. 4 Blondel, Bd. 2, Paris 1738, S. 58, Planche 55 5 Zum Beispiel in einer Rechnung des Stuckateurs Johann Peter Jäger aus dem Jahr 1743 (Hessi-sches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 137, Sign. 4519, Rechnung Nr. 228) 6 Rechnung des Stuckateurs Johann Peter Jäger über die farbige Fassung mehrerer Räume, 1744 (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 137, Sign. 4519, Rechnung Nr. 229) 7 Siehe Grundriss des Schlosses in Biebrich am Rhein. (Erstes Geschoss)/Gravirt im Königl. litogr. In-stitute zu Berlin 1824, Ausschnitt (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 3011/1, Sig. 2310 H) 8 Allgemein zu Johann Peter Jägers Werk: Krausse d’Avis. Die Stuckaturen in den meisten erhaltenen Räumen sind archivalisch für Jäger belegt, die Übrigen können ihm aus stilistischen Gründen ebenfalls mit Sicher-heit zugeschrieben werden. Zu den Quel-len vgl. Einsingbach, S. 205–215 9 Peter: Die Wappen des Hauses Nassau (2), Walrams Stamm 10 Kramer, S. 13 11 Zedler, Bd. 21, Halle/Leipzig 1739, Sp. 1014f., hier Sp.  1015 12 Lohmeyer, S. 82 13 Dieser Entwurf be-findet sich im Archiv der Freiherren von Ritter zu Groenesteyn 14 Ripa, S. 185 15 Devises et Emblemes Anciennes & Modernes, S. 12, Nr. 12; S. 26, Nr. 7; S. 13, Nr. 1 16 Rollenhagen, Emblem Nr. 86

Abb. 10: Stuckaturen im ehema-ligen AudienzzimmerFoto: Ch. Krienke, LfDH

Abb. 11: Stuckierte Ofennische im EckkabinettFoto: Ch. Krienke, LfDH

LITERATURBlondel, Jacques-François: De la Distribution des Maisons de Plaisance et de la Décoration des Edifices en général, 2 Bde., Paris 1738.Devises et Emblemes Anciennes & Moder-nes [ … ] oder: Emblematische Gemüths- Vergnügung Bey Betrachtung Siben hundert und funffzehen der curieusesten und ergötz-lichsten Sinn-Bildern Mit ihren zuständigen Deutsch-Lateinisch-Französisch und Italia-nischen Beyschrifften, Zweyte Ausfertigung, Augsburg 1695.Dittscheid, Hans-Christoph / Schneider, Reinhard: Ein Pantheon am Rhein. Zur Tätigkeit von Ma-ximilian von Welsch, Luca Antonio Colomba und Friedrich Joachim Stengel am Schloß zu Biebrich, in: Joachim Glatz/Norbert Suhr (Hg.): Kunst und Kultur am Mittelrhein. Festschrift für Fritz Arens zum 70. Geburtstag, Worms 1982, S. 85–121.Einsingbach, Wolfgang: Das Biebricher Schloß seit seinem Übergang an Fürstinwitwe Char-lotte Amalie von Nassau-Usingen (1728) bis zur Gegenwart, in: Nassauische Annalen, 86. Bd., 1975, S. 178–232.Griesbach-Maisant, Dieter: Schloss und Park Biebrich am Rhein, DKV-Kunstführer Nr. 574/0, München o. J. Krausse d’Avis, Heinz: Johann Peter Jäger, kur-mainzischer Hofstuckateur und Baurat, 1708–1790, in: Mainzer Zeitschrift, Jg. 11, 1916, S 1–37.Kramer, Ernst: Die vier Monarchien. Der Traum Nebucadnezars als Thema keramischer Wer-ke, in: Keramos, Heft 28, 1965, S. 3–28.Lohmeyer, Karl: Friedrich Joachim Stengel, = Mitteilungen des historischen Vereins für die Saargegend, Heft XI, Düsseldorf 1911.Peter, Bernhard: Die Wappen des Hauses Nassau (2), Walrams Stamm, 2008 (online veröffentlicht: http://www.bernhardpeter.de/Heraldik/Heraldik/nassau.htm, abgerufen am 17.06.2020).Ripa, Cesare: Iconologia, Rom 1603 (4. Nach-druck Hildesheim 2003, mit einer Einleitung von Erna Mandowsky).Rollenhagen, Gabriel: Selectorum Emblema-tum, Centuria secunda, o. O. 1613.Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal Lexikon Aller Wissenschafften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden, Bd. 21, Halle/Leipzig 1739.

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1716 DENKMAL HESSEN MUSTER

MIT HIGHTECH AUF DEN SPUREN DES ›KELTENFÜRSTEN‹

Den Fragen nach den bildhauerischen Grund-lagen und den verwendeten Werkzeugen zur Herstellung der berühmten Sandsteinstatue des › Keltenfürsten ‹ vom Glauberg (Glauburg-Glauberg, Wetteraukreis) widmet sich derzeit ein Kooperationsprojekt der Friedrich-Alexan-der-Universität Erlangen-Nürnberg (Dr. Martin Trefný, Prof. Dr. Doris Mischka, Darja Abramov), der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Wolfram Ney M. A.) und des Forschungszen-trums der Keltenwelt am Glauberg (Dr. Axel G. Posluschny) zusammen mit den tschechi-schen Spezialisten Michal Cihla Bc. und Fran-tisek Vaclavik M. A. Denn auch 23 Jahre nach ihrer Entdeckung hat die weltweit einzigartige Statue nicht alle ihre Geheimnisse preisgege-

ben. So sind zahlreiche Details der Herstel-lungsweise noch nicht ausreichend erforscht.Mithilfe von hochauflösenden Fotos wird ein 3D-Modell der Statue des › Fürsten ‹ sowie von zwei der drei weiteren, nur in Bruchstücken vorhandenen Statuen vom Glauberg erstellt (Abb. 1). Die angewandte Methode (Structure from Motion) ist ein Fotogrammetrieverfah-ren, das auch ohne Scans sehr genaue und detaillierte 3D-Modelle berechnen kann. Die-se werden es erlauben, u. a. Spuren der Werk-zeuge, die bei der Anfertigung der Statuen vor circa 2.400 Jahren Verwendung fanden, genauer zu bestimmen. Spuren von mindes-tens zwei verschiedenen Werkzeugtypen sind bereits während der aufwendigen Arbeiten in

der Keltenwelt am Glauberg festgestellt wor-den, weshalb durch die genaueren Daten mit zusätzlichen Einblicken zu rechnen ist.Ergänzt wurden die Untersuchungen durch sog. Röntgenfloureszenzmessungen (XRF), bei denen anhand eines tragbaren Gerätes die chemische Zusammensetzung von Stof-fen auf der Oberfläche eines Objektes – im vorliegenden Fall der Sandsteinstatuen – bestimmt werden kann (Abb. 2). Das Team hofft dadurch das Material der Werkzeuge zu ermitteln, mit denen die Sandsteinblöcke be-arbeitet wurden. Im Idealfall wird es möglich sein, zwischen Bronze- und Eisenwerkzeugen zu unterscheiden – denn auch in der Eisen-zeit war nicht nur das › moderne ‹ Eisen im

Gebrauch, vielmehr nutzte man teilweise nach wie vor Werkzeuge aus Bronze. Die während der Untersuchungen gewonnenen sehr um-fangreichen Datenmengen werden derzeit ausgewertet; insbesondere die Berechnung der 3D-Modelle wird noch einige Zeit in An-spruch nehmen.Sollten die Erwartungen des Teams an die eingesetzten Methoden erfüllt werden, ist geplant, mit Partnerinstitutionen zu einem späteren Zeitpunkt noch weitere keltische Statuen von anderen Fundplätzen zu unter-suchen. Insbesondere Figuralplastiken aus Nord- und Mittelitalien könnten aus stilisti-schen Überlegungen nach derzeitigem For-schungsstand als Vorbilder für die nur wenig jüngeren Statuen aus dem Gebiet nördlich der Alpen gedient haben. Die Arbeiten an der Glauberger Statue, die als die weltweit am besten erhaltene und am detailliertes-ten ausgearbeitete Steinskulptur aus der Zeit der Kelten gelten kann, könnten somit den Anstoß zu grundlegenden Untersuchungen dieser faszinierenden und oft rätselhaft wir-kenden Fundgattung geben.Die chemischen Analysen zur Klärung der Frage, ob die Statue ursprünglich bemalt war, sind mittlerweile abgeschlossen. Die Unter-suchungen des Instituts für Anorganische und Analytische Chemie (Lothar Fink, Edith Alig, Jürgen Glinnemann) und des Instituts für Geowissenschaften (Nadine Rademacher, Silke Voigt, Martina Dümmler) der Goethe-Universität Frankfurt a. M. konnten weder auf der Oberfläche der vollständig erhaltenen Sandsteinstatue noch in Proben des bei der Bergung anhaftenden Erdmaterials belast-bare Hinweise auf eine ehemalige Bemalung finden. Dies ist allerdings in Anbetracht der klimatischen Verhältnisse in Mitteleuropa umgekehrt auch kein Nachweis dafür, dass die Statuen ursprünglich nicht bemalt waren. Während sich im iberischen Raum bei annä-hernd gleich alten Steinstatuen häufig Farb-reste erhalten haben, könnten die ungleich feuchteren Klimabedingungen nördlich der Alpen für ein vollständiges Abwaschen einer Farbschicht auch noch während der Boden-lagerung gesorgt haben. Einige ihrer Geheim-nisse wird die Statue des › Fürsten ‹ wohl nie preisgeben.

Axel G. Posluschny

Abb. 2: Sandstein-AnalyseMithilfe eines portablen XRF-Gerätes wird nicht das Fieber am Kopf der zweiten Statue gemessen, sondern die Zusammen-setzung des Sandsteins analysiert.Foto: A. G. Posluschny, KWG

Abb. 1: Dreidimensionale ErfassungZur vollständigen Erfa-sung der Sandsteinsta-tue wird diese aus allen Winkeln fotografiert. Foto: A. G. Posluschny, KWG

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1918 DENKMAL HESSEN MUSTER

Mit der Arbeit von Andreas Thiedmann, Be-zirksarchäologe am Landesamt für Denk-malpflege Hessen, liegt nun die mittlerweile dritte Monografie zu den Forschungen an der eisenzeitlichen bis hochmittelalterlichen Siedlung bei Fritzlar-Geismar im nordhessi-schen Schwalm-Eder-Kreis vor. Auf dem etwa 8 ha großen, südlich der heutigen Ortslage gelegenen Fundplatz hatten zwischen 1973 und 1980 jährlich mehrmonatige ausgedehn-te Grabungen durch die hessische Landesar-chäologie stattgefunden. Aufgrund der rasch erkannten Bedeutung von ›Alt-Geismar‹ für die hessische Siedlungsforschung waren die Arbeiten gleich mehrfach durch die Deut-sche Forschungsgemeinschaft (DFG) geför-dert worden, u. a. im Rahmen des Projektes ›Nationes. Die Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter‹.Auf die unmittelbare Nähe Fritzlars kon-zentrierten sich zwischen den 1960er- und 1990er-Jahren noch zwei weitere groß ange-legte und zum Teil durch die DFG unterstütz-te Grabungsprojekte. Norbert Wand setzte die bereits in den 1920er-Jahren durch Josef Vonderau betriebenen Forschungen auf der Büraburg bei Fritzlar-Ungedanken fort, die den fränkischen Reichsannalen zufolge 774

herausragen. Sämtliche Steinbauten gehören der (hauptsächlich jüngeren) Karolingerzeit an und wurden wohl erst am Übergang zum Zeit-alter der Ottonen aufgegeben. Mehrere der einstigen Gebäude, darunter eines der Stein-fundamenthäuser, gaben sich als Schmieden zu erkennen, wie überhaupt zahlreiche mit Eisenverarbeitung im Zusammenhang stehen-de Funde und Befunde – Schlacken, Rennöfen oder Schmiedeessen – darauf hinweisen, dass diese wohl während der gesamten Besied-lungsdauer betrieben wurde. Darüber hinaus waren eine Bronze verarbeitende Werkstatt aus der späten Römischen Kaiserzeit sowie mehrere Webhäuser aus unterschiedlichen Epochen nachweisbar. In einem besonders großen karolingerzeitlichen Webhaus zeich-neten sich sogar die Standflächen mehrerer Webstühle ab, die gleichzeitig betrieben wer-den konnten, sodass von einer regelrechten Tuchmacherei – einem genicium gemäß zeit-genössischer Schriftquellen – auszugehen ist. Auch Knochen- und Geweihverarbeitung und sogar der Gusstiegel eines Goldschmiedes sind dokumentiert; letztlich ergibt sich aber das Gesamtbild einer zu allen Zeiten deutlich agrarisch geprägten Lebensweise.Die ländliche Siedlung bei Fritzlar-Geismar setz-te nach Ausweis der Funde und Befunde um den Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. ein, er-lebte ihre Blütezeit während der karolingischen Epoche vornehmlich im 9. Jahrhundert, um dann schließlich im 11./12. Jahrhundert von ihren Bewohnern verlassen zu werden. Der vorliegen-de Band zeichnet diese Entwicklung nach und die sich daraus ergebenden neuen Erkenntnisse wie auch der differenzierte Einblick in das Le-ben und die Wirtschaftsweise in einem histori-schen Dorf über eineinhalb Jahrtausende hin-weg unterstreichen erneut die Bedeutung von systematischen Siedlungsgrabungen und vor allem deren gründlicher Auswertung.

Petra Hanauska

Andreas Thiedmann, Die eisenzeitliche bis hoch mittelalterliche Siedlung bei Fritzlar-Geis-mar, Schwalm-Eder-Kreis. Die Siedlungsbefun-de aus den Grabungen der Jahre 1973 – 1980. Materialien zur Vor- und Frühgeschichte von Hessen 30 (Wiesbaden 2019) 526 Seiten, 87 Ab-bildungen, 11 Beilagen

während der Sachsenkriege Karls des Großen der umgebenden Bevölkerung als Fluchtburg gedient hatte. Seine Untersuchungen wurden 1999/2000 durch die Arbeiten der Abteilung Frühmittelalter des Instituts für Vor- und Früh-geschichte der Frankfurter Goethe-Universität ergänzt, was zu interessanten Neubewertun-gen führte. Die etwa 2,5 km südwestlich von Fritzlar gelegene Dorfwüstung Holzheim war aufgrund ihrer Bedrohung durch eine heran-rückende Kiesgrube ebenfalls das Ziel meh-rerer Grabungskampagnen, die Funde und Befunde von der Römischen Kaiserzeit bis in das späte Mittelalter erbrachten. Die Siedlung von Alt-Geismar war im Rahmen dieser For-schungsvorhaben nicht zuletzt deshalb von besonderem Interesse, weil der Ort mit dem in der Vita des hl. Bonifatius erwähnten Gaes-mare (›in loco, qui dicitur Gaesmare‹) gleich-gesetzt wird. Dort habe dieser im Jahr 723 die Donareiche gefällt und ihr Holz zum Bau der ersten Kirche in Fritzlar verwendet, um so die Überlegenheit des Christentums gegenüber der heidnischen Religion zu demonstrieren. Während die vorgeschichtliche Keramik be-reits durch Robert Heiner vorgelegt wurde und die der Völkerwanderungs- und Mero-wingerzeit, deren Katalog- und Tafelteil leider nicht publiziert sind, durch Werner Best, hat sich Andreas Thiedmann in akribischer Klein-arbeit der Aufarbeitung der annähernd 4.000 Grabungsbefunde gewidmet. Dabei entstand trotz der Schwierigkeiten bei der Bearbeitung durch gewisse Mängel in der Grabungsdoku-mentation ein detailreiches Bild dieses mehr als 1.500 Jahre lang besiedelten Platzes.Aus der Vielzahl der innerhalb der Siedlungs-befunde dokumentierten Pfostengruben lie-ßen sich zwar nur wenige zu Hausgrundrissen verbinden, unter diesen befindet sich aber im-merhin der eines nahezu vollständigen drei-schiffigen Langhauses, das wohl aus der aus-gehenden vorrömischen Eisenzeit oder der älteren Römischen Kaiserzeit stammt. Eine Besonderheit stellen sechs karolingerzeit-liche Hausfundamente dar, die sorgfältig aus Bruchsteinen gesetzt oder teilweise gemörtelt waren und denen ehemals aufgehende Wän-de in Ständerbautechnik aufsaßen. Daneben waren bei den Grabungen etwa 230 Gruben-häuser verschiedener Zeitstellungen zutage gekommen, aus denen allerdings solche mit trocken gemauerten Konstruktionselementen

Publikation

NEUERSCHEINUNG ZU ›ALT-GEISMAR‹ EIN NORDHESSISCHES DORF SCHREIBT 1.500 JAHRE SIEDLUNGS- GESCHICHTE

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20 21DENKMAL HESSEN MUSTER

Dr. Katharina Benak, Landesamt für Denkmal-pflege Hessen, Abt. Bau- und Kunstdenkmal-pflege, Bezirkskonservatorin, Schloss Biebrich, 65203 Wiesbaden

Dr. Axel G. Posluschny, Landesamt für Denk-malpflege Hessen, Außenstelle Keltenwelt am Glauberg, Leitung Forschungszentrum, Am Glauberg 1, 63695 Glauburg

Dr. Petra Hanauska, Landesamt für Denkmal-pflege Hessen, Abt. hessenARCHÄOLOGIE, Schloss Biebrich, 65203 Wiesbaden

AUTORINNEN UND AUTOREN

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22 DENKMAL HESSEN MUSTER

IMPRESSUM

Denkmal Hessenist eine Veröffentlichung desLandesamtes für Denkmalpflege HessenSchloss Biebrich65203 WiesbadenTel.: 0611 / 6906-0Fax.: 0611 / 6906-140E-Mail: [email protected]

Außenstelle DarmstadtBerliner Allee 5864298 Darmstadt

Außenstelle MarburgKetzerbach 1035037 Marburg

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Römerkastell SaalburgAm Römerkastell 161350 Bad Homburg v.d.H.

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Layout/GrafikDipl.-Des. Patricia Roth, LfdH

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