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Das Jahr 2001 hat für die Denkmalpflege in Ba- den-Württemberg nach knapp 30 Jahren guter Erfahrungen mit dem 1971 vom Landtag verab- schiedeten Denkmalschutzgesetz wichtige Ver- änderungen gebracht. In der Koalitionsverein- barung des Jahres 1996 ist das Ziel benannt, so- wohl im Denkmalschutz wie im Naturschutz die Einvernehmensregelung und den damit verbun- denen Devolutiveffekt ersatzlos zu streichen. Da- mit sollte die Anfang der 70er-Jahre bewusst ge- schaffene Regelung ersatzlos aufgegeben wer- den, wonach die Untere Denkmalschutzbehörde nur im Einvernehmen mit dem Landesdenkmal- amt entscheiden kann und im Dissenzfall der Vorgang der nächsthöheren Behörde zur Ent- scheidung vorgelegt werden muss, die nach An- hörung des Landesdenkmalamtes entscheidet. Dieses, eine landeseinheitliche Denkmalpflege gewährleistende Verfahren sollte unter dem Ge- samtbegriff „Deregulierung“ dahingehend geän- dert werden, dass die Entscheidung im Denkmal- schutz allein der Unteren Denkmalschutzbehörde übertragen wird. Es vergingen noch einmal vier Jahre, bis zum Ende der vergangenen Legisla- turperiode, bis die Landesregierung einen modi- fizierten Novellierungsvorschlag in den Landtag einbrachte. Der bisherige Paragraph 3, Absatz 3, Denkmalschutzgesetz, sollte wie folgt geändert werden: „Die Denkmalschutzbehörden entschei- den nach Anhörung des Landesdenkmalamtes. Will die Untere Denkmalschutzbehörde von der Äußerung des Landesdenkmalamtes abweichen, so hat sie dies dem Landesdenkmalamt mitzutei- len. Der Präsident des Landesdenkmalamtes hat in Ausnahmefällen, bei einer drohenden schwer- wiegenden Beeinträchtigung des Kulturdenk- mals, das Recht, die Angelegenheit umgehend der Höheren Denkmalschutzbehörde vorzulegen. Diese ist berechtigt, über die abweichenden Auf- fassungen selbst zu entscheiden oder die Ange- legenheit an die Untere Denkmalschutzbehörde zurückzuweisen.“ Diese Gesetzesänderung wurde vom Landtag in der letzten Plenarsitzung der 12. Legislaturperi- ode am 21. Februar 2001 beschlossen. Sie ist am 1. Juli 2001 in Kraft getreten. Mit dieser neuen Regelung erhalten die 199 Unteren Denkmal- schutzbehörden die Aufgabe, nach Anhörung des Landesdenkmalamtes die Entscheidung in denkmalschutzrechtlichen Fällen zu treffen. Ich denke, dass damit den Gemeinden als Unteren Denkmalschutzbehörden eine Verantwortung für die Denkmallandschaft zukommt, die sie bisher nicht hatten und für die sie zum großen Teil weder fachlich noch personell ausgestattet sind. In der Vergangenheit bildete wegen der notwen- digen Herstellung des Einvernehmens die fach- liche Stellungnahme des Landesdenkmalamtes gewissermaßen einen Schutzschild, hinter dem sich die Unteren Denkmalschutzbehörden gege- benenfalls zurückziehen konnten. Nach der neuen Regelung muss sich die Untere Denkmalschutz- behörde, d.h. die kommunale Verwaltung, letzt- endlich für alle Entscheidungen – seien sie im Sinne der Denkmalpflege oder nicht – vor der Öf- fentlichkeit verantworten. Die bisherigen Erfah- rungen mit dieser Regelung sind noch gering. Diese gesetzgeberische Weichenstellung hat Kon- sequenzen für den denkmalpflegerischen Alltag, die man in ihrer Bedeutung erst in einigen Mo- naten, vielleicht erst in einigen Jahren, erkennen wird. Wie ich immer wieder betont habe, sehe ich durch die neue Regelung die landeseinheitliche Zielsetzung der Denkmalpflege gefährdet. Nicht nur in besonders gravierenden Fällen, auch im denkmalpflegerischen Alltag werden die unter- schiedlichsten Entscheidungen am Baudenkmal oder am archäologischen Denkmal offensicht- lich werden. Ziel für die Denkmalpflege, d.h. für die Konservatorinnen und Konservatoren ist es, auch unter den neuen Rahmenbedingungen eine landeseinheitliche Denkmalpflege durchzusetzen. Dies erfordert einen noch größeren Beratungsbe- darf im Vorfeld eines denkmalpflegerischen Falles und eine behutsame, offensive Überzeugungsar- beit im Sinne der gemeinsamen Ziele der Denk- malpflege im Land Baden-Württemberg. Vor die- sem Hintergrund kommt der Erarbeitung eines Leitbildes durch die Kolleginnen und Kollegen innerhalb des Landesdenkmalamtes besondere Bedeutung zu. Es soll beim diesjährigen Landes- denkmaltag im Oktober der Öffentlichkeit vor- gestellt werden und das Selbstverständnis der Denkmalpflege im Rahmen der Kulturpolitik des Landes deutlich machen. Neben den Veränderungen der rechtlichen Rah- menbedingungen wurde im August letzten Jah- res der Wille der Landesregierung bekannt, bis 1 Editorial Dieter Planck

Denkmalpflege 2002-1

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Zeitschrift für Denkmalpflege in Baden-Württemberg

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Page 1: Denkmalpflege 2002-1

Das Jahr 2001 hat für die Denkmalpflege in Ba-den-Württemberg nach knapp 30 Jahren guterErfahrungen mit dem 1971 vom Landtag verab-schiedeten Denkmalschutzgesetz wichtige Ver-änderungen gebracht. In der Koalitionsverein-barung des Jahres 1996 ist das Ziel benannt, so-wohl im Denkmalschutz wie im Naturschutz dieEinvernehmensregelung und den damit verbun-denen Devolutiveffekt ersatzlos zu streichen. Da-mit sollte die Anfang der 70er-Jahre bewusst ge-schaffene Regelung ersatzlos aufgegeben wer-den, wonach die Untere Denkmalschutzbehördenur im Einvernehmen mit dem Landesdenkmal-amt entscheiden kann und im Dissenzfall der Vorgang der nächsthöheren Behörde zur Ent-scheidung vorgelegt werden muss, die nach An-hörung des Landesdenkmalamtes entscheidet.Dieses, eine landeseinheitliche Denkmalpflegegewährleistende Verfahren sollte unter dem Ge-samtbegriff „Deregulierung“ dahingehend geän-dert werden, dass die Entscheidung im Denkmal-schutz allein der Unteren Denkmalschutzbehördeübertragen wird. Es vergingen noch einmal vierJahre, bis zum Ende der vergangenen Legisla-turperiode, bis die Landesregierung einen modi-fizierten Novellierungsvorschlag in den Landtageinbrachte. Der bisherige Paragraph 3, Absatz 3,Denkmalschutzgesetz, sollte wie folgt geändertwerden: „Die Denkmalschutzbehörden entschei-den nach Anhörung des Landesdenkmalamtes.Will die Untere Denkmalschutzbehörde von derÄußerung des Landesdenkmalamtes abweichen,so hat sie dies dem Landesdenkmalamt mitzutei-len. Der Präsident des Landesdenkmalamtes hatin Ausnahmefällen, bei einer drohenden schwer-wiegenden Beeinträchtigung des Kulturdenk-mals, das Recht, die Angelegenheit umgehendder Höheren Denkmalschutzbehörde vorzulegen.Diese ist berechtigt, über die abweichenden Auf-fassungen selbst zu entscheiden oder die Ange-legenheit an die Untere Denkmalschutzbehördezurückzuweisen.“Diese Gesetzesänderung wurde vom Landtag inder letzten Plenarsitzung der 12. Legislaturperi-ode am 21. Februar 2001 beschlossen. Sie ist am1. Juli 2001 in Kraft getreten. Mit dieser neuenRegelung erhalten die 199 Unteren Denkmal-schutzbehörden die Aufgabe, nach Anhörungdes Landesdenkmalamtes die Entscheidung in

denkmalschutzrechtlichen Fällen zu treffen. Ichdenke, dass damit den Gemeinden als UnterenDenkmalschutzbehörden eine Verantwortung fürdie Denkmallandschaft zukommt, die sie bishernicht hatten und für die sie zum großen Teil weder fachlich noch personell ausgestattet sind.In der Vergangenheit bildete wegen der notwen-digen Herstellung des Einvernehmens die fach-liche Stellungnahme des Landesdenkmalamtesgewissermaßen einen Schutzschild, hinter demsich die Unteren Denkmalschutzbehörden gege-benenfalls zurückziehen konnten. Nach der neuenRegelung muss sich die Untere Denkmalschutz-behörde, d.h. die kommunale Verwaltung, letzt-endlich für alle Entscheidungen – seien sie imSinne der Denkmalpflege oder nicht – vor der Öf-fentlichkeit verantworten. Die bisherigen Erfah-rungen mit dieser Regelung sind noch gering.Diese gesetzgeberische Weichenstellung hat Kon-sequenzen für den denkmalpflegerischen Alltag,die man in ihrer Bedeutung erst in einigen Mo-naten, vielleicht erst in einigen Jahren, erkennenwird. Wie ich immer wieder betont habe, sehe ichdurch die neue Regelung die landeseinheitlicheZielsetzung der Denkmalpflege gefährdet. Nichtnur in besonders gravierenden Fällen, auch imdenkmalpflegerischen Alltag werden die unter-schiedlichsten Entscheidungen am Baudenkmaloder am archäologischen Denkmal offensicht-lich werden. Ziel für die Denkmalpflege, d.h. fürdie Konservatorinnen und Konservatoren ist es,auch unter den neuen Rahmenbedingungen einelandeseinheitliche Denkmalpflege durchzusetzen.Dies erfordert einen noch größeren Beratungsbe-darf im Vorfeld eines denkmalpflegerischen Fallesund eine behutsame, offensive Überzeugungsar-beit im Sinne der gemeinsamen Ziele der Denk-malpflege im Land Baden-Württemberg. Vor die-sem Hintergrund kommt der Erarbeitung einesLeitbildes durch die Kolleginnen und Kollegen innerhalb des Landesdenkmalamtes besondereBedeutung zu. Es soll beim diesjährigen Landes-denkmaltag im Oktober der Öffentlichkeit vor-gestellt werden und das Selbstverständnis derDenkmalpflege im Rahmen der Kulturpolitik desLandes deutlich machen.Neben den Veränderungen der rechtlichen Rah-menbedingungen wurde im August letzten Jah-res der Wille der Landesregierung bekannt, bis

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EditorialDieter Planck

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zum Jahre 2006 eine „Null-Verschuldung“ zu er-reichen, die in allen Bereichen des Landes gravie-rende Einsparungen zur Folge hat. Dass auch dieDenkmalpflege dadurch erheblich betroffen ist,ist eine besonders unerfreuliche Tatsache; nichtzuletzt vor dem Hintergrund, dass die Landes-regierung schon 1996 und 1997 empfindlicheKürzungen bei dem Anteil der Denkmalpflegeaus dem Mittelaufkommen der „Staatlichen Toto-Lotto GmbH“ vorgenommen hat. Nach mehrerenGesprächen konnten wir erreichen, dass die ur-sprünglich noch höhere Einsparungsquote imEntwurf des Staatshaushaltsplans 2002/2003 fürunser Amt reduziert worden ist. Dennoch sindnun im Haushaltsjahr 2002 8 Mio. DM und imHaushaltsjahr 2003 10 Mio. DM weniger ver-anschlagt, was eine deutliche Verschlechterungder finanziellen Fördermöglichkeiten für die Bau-denkmale einerseits und einen Einschnitt bei derfinanziellen Möglichkeit zur Durchführung vonRettungsgrabungen andererseits bedeutet. Auchdie dringend notwendige Öffentlichkeitsarbeitwird betroffen sein. Dies stellt uns zweifellos vorzusätzliche Probleme. In mehreren Stellungnah-men habe ich auf die schwierige Situation hinge-wiesen und deutlich gemacht, dass die weiter zu-rückgehenden finanziellen Ressourcen der Denk-malpflege gravierende Folgen in beiden großenBereichen der Denkmalpflege haben werden.Wir stehen in den kommenden Jahren vor großenAufgaben. Stellvertretend nenne ich die Rettungdes Eichelhofschlösschens in Wertheim oder dasvom Abbruch bedrohte Schloss Krauchenwies inOberschwaben. Eine Reduktion der finanziellenMöglichkeiten wird vor allen Dingen den privatenDenkmaleigentümer besonders hart treffen, dahier oftmals unter großen persönlichen Opferndie Originalsubstanz vieler Baudenkmale erhaltenwird. Eine finanzielle Förderung – auch im kleine-ren Rahmen – wird dabei immer als zusätzlicherAnsporn und als Würdigung des persönlichen pri-vaten Einsatzes empfunden. Als besonders gra-vierendes Problem stellt sich in den letzten Mo-naten mehr und mehr die Frage nach Zumutbar-keit der Erhaltung bei schwindenden Möglichkei-ten der Zuschussgewährung.Auch im Bereich der Archäologischen Denkmal-pflege werden wir mit großen Problemen kon-frontiert. Allein der Rückbau und die Unterkel-lerung der Neuen Straße in Ulm und die damitverbundenen archäologischen Stadtgrabungen –sicherlich die größten in Baden-Württemberg –fordern von allen Beteiligten ein großes finanziel-les und persönliches Engagement. Bei der imNovember 2001 angelaufenen großen Rettungs-grabung in Ulm wird der mittelalterliche Stadt-kern von der merowingerzeitlichen Siedlung biszur staufischen Stadterweiterung und der neu-

zeitlichen Bebauung in einem großen Ost-Westverlaufenden Schnitt durch Baumaßnahmen auf-geschlossen und dieses „Archiv im Boden“ da-durch endgültig zerstört. Es wäre unverantwort-lich, wenn wir Anfang des 21. Jahrhunderts einesolche Fülle von archäologisch-historischen Quel-len zerstören ließen, ohne sie durch eine Ret-tungsgrabung zu dokumentieren und wissen-schaftlich auszuwerten. Die Stadt Ulm und dasLandesdenkmalamt finanzieren diese Grabungmit großer Unterstützung durch das ArbeitsamtUlm. Diese Stadtkerngrabung wird uns, nebenanderen großen Maßnahmen im Bereich der Ar-chäologischen Denkmalpflege, in den nächstenJahren besonders herausfordern.Die noch vor einem Jahr von mir optimistisch be-urteilten äußeren Rahmenbedingungen derDenkmalpflege in Baden-Württemberg habensich durch die aufgezeigten Entwicklungen ver-schlechtert. Für die kommenden beiden Jahresind empfindliche Rückschläge zu erwarten; den-noch hoffen wir, dass wir mit Unterstützung derbreiten Öffentlichkeit, die nach wie vor der Denk-malpflege insgesamt sehr positiv gegenüber-steht, viele gefährdete Denkmale erhalten undfür die nachfolgenden Generationen werden si-chern können. Ich hoffe hier auch auf die inzwi-schen tätige „Landesstiftung Baden-Württem-berg“. Nach wie vor dankbar sind wir für die Un-terstützung durch die Denkmalstiftung Baden-Württemberg, durch die Deutsche Stiftung Denk-malschutz und – was die finanzielle Förderungnational wertvoller Kulturdenkmäler angeht –durch die Bundeshilfe. Ich denke aber, trotz derFörderung durch diese Einrichtungen hat primärdas Land die Aufgabe und Verpflichtung, „seine“Denkmäler als unschätzbare und unersetzbareKulturgüter für die nächsten Generationen zu sichern.Auch im vergangenen Jahr konnten durch öf-fentlichkeitswirksame Veranstaltungen vielen In-teressierten die Arbeitsergebnisse von Inventa-risation, Archäologie und Bau- und Kunstdenk-malpflege nahe gebracht werden.Die Wanderausstellung „Steh fest mein Haus imWeltgebraus – Denkmalpflege-Konzeption undUmsetzung“ war in Überlingen, Karlsruhe undBad Wimpfen zu sehen. An allen Orten wurde die ursprünglich für den Ostalbkreis konzipierteSchau durch regionale Beispiele ergänzt. Auch2002 wird diese viel beachtete Ausstellung anweiteren Standorten gezeigt werden, so z.B. imFürstentum Liechtenstein.Ausstellungen spielen auch in der Archäologieeine wichtige Rolle. Genannt sei hier die Präsen-tation „Lieber Römer ausgraben als arbeitslos“,die in verschiedenen Arbeitsämtern des Landesgezeigt wurde – im Moment ist sie in Ulm zu

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sehen – und auf die gute Zusammenarbeit zwi-schen der Arbeitsverwaltung und dem Landes-denkmalamt hinweist. Eine große Ausstellung imRahmen der Heimattage Baden-Württembergwurde in Bad Rappenau unter dem Titel „Kelten,Römer und Germanen im Kraichgau“ mit gro-ßem Erfolg gezeigt und schließlich die Ausstel-lung „Stadt-Findung. Geschichte – Archäologie –Bauforschung in Esslingen“. Sie war eingebettetin den großen Kongress der „European Asso-ciation of Archaeologists“, einer internationalenTagung mit etwa 500 Teilnehmern aus aller Welt,die vom Landesdenkmalamt Baden-Württem-berg in Verbindung mit der Stadt Esslingen in Ess-lingen organisiert und mit großem Erfolg durch-geführt wurde. Neben zahlreichen Vorträgenwurden in verschiedenen Exkursionen die Teil-nehmer mit den Ergebnissen der Landesarchäo-logie bekannt gemacht.Neue, speziell der Archäologie gewidmete Mu-seen konnten eröffnet werden, so das Alaman-nenmuseum in Ellwangen, das die alamanni-sche Besiedlung Südwestdeutschlands exempla-risch darstellt. Auf dem frühkeltischen Fürstensitz„Heuneburg“ bei Riedlingen wurde ein Archäo-logischer Park mit Rekonstruktionen der Wehr-mauer aus luftgetrockneten Lehmziegeln undTeilen der Innenbebauung eröffnet. Das zugehö-rige Heuneburg-Museum in Hundersingen wurdeneu gestaltet und im vergangenen Jahr wiedereröffnet. In Mengen-Ennetach (Kr. Sigmaringen)wurde ein neues Römermuseum eingeweiht. Dieeindrucksvollen römischen Thermen von Baden-weiler erhielten nach jahrzehntelangen Bemü-hungen einen neuen Schutzbau. Schließlich wur-de in Heitersheim nach mehrjährigen Grabungenein Ausschnitt der römischen Ruinen als Römer-museum gestaltet.In einer ganzen Reihe wissenschaftlicher Werkesind die Ergebnisse der Ausgrabungs- und For-schungstätigkeit der Archäologischen Denkmal-pflege für die internationale Forschung aufberei-tet worden.Auch im Bereich der Bau- und Kunstdenkmal-pflege erschienen wichtige Veröffentlichungen.Beispielhaft möchte ich die Publikation zu KlosterAlpirsbach nennen. Sie ist durch ihre umfassendekulturhistorische Thematik das neue Standard-werk dieser bedeutenden mittelalterlichen Klos-teranlage.Mit seinem wissenschaftlichen Publikationspro-gramm in insgesamt 15 Reihen nimmt das Lan-desdenkmalamt Baden-Württemberg einen füh-renden Platz in der Denkmalpflege Deutschlandsein!Im September letzten Jahres wurde zusam-men mit dem Schwäbischen Heimatbund, demSchwarzwaldverein und dem Schwäbischen Alb-

verein das Projekt „Erfassung von Kleindenkma-len in Baden-Württemberg“ ins Leben gerufen,das sich im Land großer Resonanz erfreut und alseine gelungene Zusammenarbeit zwischen priva-tem Engagement und öffentlicher Verwaltunggilt.Internationale Beachtung fand die Eintragungder Klosterinsel Reichenau in die UNSESCO-Lis-te des Weltkulturerbes. Das Landesdenkmalamtwar an der Erarbeitung des Antrags auf Eintra-gung in die Liste maßgeblich beteiligt und hatdiesen Antrag in seiner Reihe als Arbeitsheft ver-öffentlicht.Um auch den Informationsfluss im Amt intern sicherzustellen, hat unser Öffentlichkeitsreferateinen täglich erscheinenden Pressespiegel unddie Mitarbeiterzeitschrift >dialog< ins Leben ge-rufen.Das vergangene Jahr brachte auch im Organi-sationsbereich wichtige Neuerungen. Zum erstenMal konnte am 24.Oktober 2001 in der Ale-xanderstraße in Tübingen die Zusammenführungaller dort ansässigen Dienststellen des Amtes an einem Ort realisiert werden. In Anwesenheitvon Herrn Regierungspräsident Wicker wurdendiese Diensträume eröffnet, welche der Tübin-ger Dienststelle in freundlichen, großzügig zu-geschnittenen Diensträumen gute Arbeitsbedin-gungen bieten. Auch in Karlsruhe liefen die Bau-arbeiten für die gemeinsame Unterbringung in einem Gebäude der Grenadierkaserne an. An-fang 2001 konnte mit dem ersten Spatenstich in Esslingen der Start für die Bauarbeiten zur Sanierung des Schelztorgymnasiums und für dengeplanten Neubau gegeben werden. Der Umzugder Stuttgarter Dienststelle und damit die Ver-lagerung des Hauptsitzes des Landesdenkmalam-tes von Stuttgart nach Esslingen wird voraus-sichtlich im ersten Quartal 2003 erfolgen.Eine besonders unerfreuliche Entwicklung wardie geplante flächendeckende EDV-Ausstattungdes Landesdenkmalamtes auf der Grundlage desvom Land geschlossenen Outsourcing-Rahmen-vertrages. Hier haben sich im vergangenen Märzerhebliche Probleme eingestellt, die nicht im Ein-flussbereich des Landesdenkmalamtes lagen unddazu führten, dass wir Ende 2001 im gegenseiti-gem Einvernehmen die Vertragsverhandlungenbeendet haben, um für das Landesdenkmalamtneue Wege zu gehen. Wir hoffen, dass dies in absehbarer Zeit möglich wird. Um aber den not-wendigsten Bedarf an Ersatzbeschaffungen täti-gen zu können, wurden verschiedene EDV-Ge-räte bestellt, und um die Kommunikationsmög-lichkeiten mit dem Landesdenkmalamt zu verbes-sern, wurde im Vorgriff auf künftige Lösungeneine E-Mail-Erreichbarkeit für alle Dienststellendurch die Einrichtung von Poststellen vorgesehen.

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Wenn auch die finanziellen Rahmenbedingungenfür 2002 zu wünschen übrig lassen, so bin ichdennoch der Überzeugung, dass die Konservato-rinnen und Konservatoren sich auch weiterhinmit großem Engagement und Idealismus für dievielfältige Denkmallandschaft Baden-Württem-berg einsetzen werden. Ich freue mich, dass imFebruar 2002 der erste Band einer neuen Publi-kationsreihe, nämlich der „DenkmaltopographieBaden-Württemberg“, der Öffentlichkeit vorge-stellt werden kann. Dieser Band wurde aufGrundlage einer neu entwickelten Konzeptionerarbeitet und stellt sämtliche Kulturdenkmaleder Stadt Staufen und der Gemeinde Münstertalin Wort, Bild und Kartierung dar. Mit dieser Reihewollen wir die Vielfalt der Denkmallandschaft un-

seres Landes mit den verschiedensten Denkmal-gattungen der Öffentlichkeit vorstellen, um deut-lich zu machen, wofür sich die Denkmalpflegeeinsetzt und was sie erhalten will. Hoffentlichkönnen diesem Beispiel bald weitere Bände die-ser Denkmaltopographie folgen. Ich denke, dassdiese Publikationsreihe als wichtigste neue Auf-gabe der Inventarisation einen zentralen Platz inder vermittelnden Öffentlichkeitsarbeit einneh-men wird.Im Oktober dieses Jahres findet in Biberach an derRiss der Landesdenkmaltag statt. Er steht unterdem Thema „Denkmalpflege und Kirche“. Im Zu-sammenhang mit dem Landesjubiläum wird esauch einen Rückblick auf „Fünfzig Jahre Denk-malpflege in Baden-Württemberg“ geben.

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Das Bild stammt aus der evangelischen Stadtkir-che Bad Wimpfen und zeigt mehrere Szenen ausdem Leben Johannes des Täufers mit der TaufeChristi im Vordergrund. Da die Oberfläche starknachgedunkelt ist und der Gesamteindruck vonzahlreichen Beschädigungen beeinträchtigt war,fand es schon lange keine große Beachtungmehr. Zuletzt hing es in der Sakristei der Wimp-fener Kirche. Da der Raum in ständiger Benut-zung für kleinere Veranstaltungen und Zusam-menkünfte ist, wird er regelmäßig beheizt, wasfür das Holztafelbild in der Vergangenheit denk-bar ungünstige Rahmenbedingungen schuf.Hohe Temperaturen und niedrige Werte der rela-tiven Luftfeuchte haben letztlich zum Bruch deraus mehreren Brettern zusammengefügten Holz-tafel geführt. Daraufhin machten Vertreter derGemeinde die Restauratoren des Landesdenkmal-amtes auf das schadhafte Gemälde aufmerksam,worauf das Bild in die Restaurierungswerkstattdes Amtes nach Stuttgart gebracht wurde, wodie dringend anstehende Konservierung und Res-taurierung vorgenommen wurden.

Darstellung

Thema der Holztafel ist das Leben Johannes desTäufers. Innerhalb eines Bildes werden mehrerewichtige Stationen der Johannesgeschichte illus-triert. Die Anordnung der Szenen folgt nichtstreng einem chronologischen Schema. Im Bad

Wimpfener Gemälde ist vor allem die Taufe Chris-ti als zentrales Erlebnis im Leben des Johannes inden Vordergrund gerückt.Während die durch Felsen, Pflanzen und den sichin die Bildtiefe hineinschlängelnden Fluss unre-gelmäßig gestaltete Landschaft die linke Bildhälf-te bestimmt, wird die rechte Seite im Hintergrundvon einer großen prächtigen Palastanlage mit insich verschachtelten Gebäudeteilen beherrscht.Die Hauptszene im Bildvordergrund zeigt die Tau-fe Christi durch Johannes im Jordan. Über derSzenerie erscheint zwischen den Wolken Gottva-ter, die linke Hand zum Segensgruß erhoben, undin Form einer Taube senkt sich der Heilige Geistaus den Wolken herab zum Haupte Jesu. ZweiJünger wohnen dem Geschehen als Zeugen bei,links im Bild warten zwei weitere Männer auf ihreeigene Taufe.Im Hintergrund zeigt die linke Bildhälfte überein-ander gestaffelt die Szenen, die sich mit dem Wir-ken des Täufers beschäftigen: Die erste Szene,die den Blick des Betrachters in das Bild hineinlenkt, ist die Befragung des Täufers durch diePriester und Leviten, die aus Jerusalem gesandtsind (Johannes 1, 19–28). Der Täufer bekennt,dass er weder Christus, noch Elija oder der Pro-phet sei. Stattdessen beschreibt er sich selbst als„der, von dem der Prophet Jesaja sagt: ‚Da ist ei-ner, der in der Wüste ruft: Baut eine geradeStraße, damit der Herr einziehen kann.‘“Direkt darüber ist die Begegnung Johannes‘ und

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Die Johannestafel in der StadtkircheBad WimpfenBericht über die Restaurierung

In der Restaurierungswerkstatt des Landesdenkmalamtes Baden-Württem-berg wurde von Mai 1999 bis Juli 2000 ein spätgotisches Holztafelgemäldeaus der Wimpfener Stadtkirche restauriert, das eine besondere Würdigung verdient. Die Durchführung der Maßnahmen sowie die damit verbundenetechnologische Untersuchung führte das Landesdenkmalamt in Zusammen-arbeit mit der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart durch. Die Untersuchungen zum Bestand des Tafelbildes brachten überraschendeSachverhalte zu Tage: Unter der heute sichtbaren Malerei liegt partiell eine ältere Malschicht. Im Rahmen einer Semesterarbeit sollte von einer Studentindes Studienganges Restaurierung und Technologie von Gemälden und ge-fassten Skulpturen geklärt werden, inwieweit sich Aussagen über Qualität,Umfang und Erhaltungszustand dieser Schicht sowie deren Beziehungen zur heute sichtbaren Malerei machen lassen.

Claudia Luckenbach

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Jesu in der Wüste (Johannes 1, 35–40) darge-stellt: Johannes, in Begleitung zweier Jünger, trifftauf Jesus und weist auf ihn als das Lamm Gotteshin, das die Sünden der Welt auf sich nehmenwird.Das Auftreten Johannes‘ als Bußprediger undTäufer sind in weiteren Einzelszenen zu sehen:Johannes predigt von einer aus Astwerk gefertig-ten einfachen Kanzel herab zu einer im Halbkreisangeordneten Gruppe von Frauen und Männern.Höher im Bild, dem Verlauf des Jordan folgend,kann man bei genauem Hinsehen eine weitereTaufszene erkennen.

Nahe der Predigtszene, aber stark verkleinert imMaßstab, ist die Gefangennahme des Johanneszu sehen, die sowohl inhaltlich als auch formalzur rechten Hälfte der Tafel überleitet: Er wird inFesseln abgeführt, in Richtung der großen Palast-anlage.Dort sind die Szenen aus der Zeit seiner Gefan-genschaft dargestellt, in denen Salome nachihrem bezaubernden Tanz vor Herodes Antipasden grausamen Wunsch nach dem Haupt des imPalastkerker gefangenen Täufers äußert und er-füllt bekommt (Matthäus 14, 3–11).

Beurteilung der Malerei

Die Darstellungsweise ist an sich typisch für die imspäten Mittelalter übliche Form der religiösen Un-terweisung. Heiligenlegenden werden anhandvon detailreich ausgeschmückten Bildern illus-triert, um sie den Gläubigen möglichst anschau-lich vor Augen zu führen. Die Szenen folgen da-bei dicht der biblischen Vorlage.Allerdings entfernt sich das Bild bereits von derTradition der mehrteiligen Altargemälde des 15.Jahrhunderts, welche die Ereignisse auf unter-schiedlichen zusammenhängenden Einzeltafelndarstellen. Stattdessen sind hier sämtliche Szenensimultan über- und nebeneinander angeordnetund schließen sich sukzessive zu einer Handlungs-folge zusammen. Vorder-, Mittel- und Hinter-grund werden durch Landschaft und Architekturso gegliedert, dass ein Bühnenraum entsteht.Diese Kunstform ist aus der niederländischen Ma-lerei vertraut. Auch stilistisch zeigt das Gemälde

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1 Johannestafel in derWimpfener Stadtkirche.Detailaufnahme wäh-rend der Restaurierung. Predigt von Johannes in der Wüste. Im Hinter-grund, stark verkleinert,ist die Gefangennahmedes Täufers zu sehen.

2 Salome tritt mit demHaupt des Täufers vorHerodes und Herodias.Über den beiden ist einTeil der durchscheinen-den Schwarzlotzeichnungzu sehen. Die Palast-anlage ist in diesem Be-reich stark über Fehl-stellen hinweg übermalt.

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3 Johannestafel nach Abschluss der Restaurierung. Der für die filigrane spätgotische Malerei zu wuchtige Rahmen ist einespätere Zutat, vermutlich des 17. Jahrhunderts. Bildmaße (ohne Rahmen): Höhe 81,2 cm, Breite 56,5 cm, Stärke 1 cm.

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in Zeichnung, Farbigkeit und Behandlung der Fal-tenwürfe Einflüsse aus den Niederlanden. Die ur-sprüngliche Qualität der Malerei ist heute leidernur noch in einzelnen Partien ersichtlich.Eine genaue Zuordnung des Tafelbildes zu einerbestimmten Werkstatt war nicht möglich. Ob esschon immer in der Wimpfener Kirche gehangenhat, bleibt vorerst ungeklärt. Auch die beidenWappen, die auf dem Bild im Vordergrund zu se-hen sind, konnten keinen näheren Aufschlussüber die genaue Herkunft des Bildes geben. Siesind eine spätere Zutat.

Bestand

Die Bestandsaufnahme mit Erfassung der histori-schen Schichten und ihrer Überarbeitungen inder Vergangenheit erfolgte zunächst mit Stirn-lupe und dem Stereomikroskop.

Ursprünglicher BestandDie Tafel ist aus drei Nadelholzbrettern von je-weils 1 cm Stärke zusammengesetzt, die mitein-ander glatt verleimt wurden. An drei Seiten,oben, links und rechts ist das Bild geringfügig be-schnitten. Auf der Vorderseite liegt auf dem Holz-bildträger über einer Leimschicht eine weißeLeim-Kreidegrundierung, darüber eine mehr-schichtige Malerei in „Mischtechnik“ und einSchlussüberzug. Auf der Rückseite erfolgte übereiner dünnen Grundierung ein schwarzer wasser-löslicher Anstrich.

Spätere Eingriffe

Vorderseitig fielen Ungereimtheiten bezüglichder unterschiedlichen Malweisen in verschiede-nen Partien auf. An mehreren Stellen konnte manbei eingehender Betrachtung Goldpartien durchdie oberste Malschicht durchscheinen sehen. ImStreiflicht ließ zudem die unruhige Oberflächen-struktur zahlreiche übermalte Fehlstellen und da-mit die Reparatur eines großflächigen Schadensin der rechten Bildhälfte vermuten. Die Überma-lungen erstrecken sich zudem auf die gesamteHimmelspartie. Außerdem sind die beiden ba-rocken Wappen im Bildvordergrund vermutlichdiesem Eingriff zuzuordnen.Das Übereinanderliegen unterschiedlich vergilb-ter Firnisschichten dokumentiert mehrere aufein-ander folgende Eingriffe. Die Anzahl der Firnisla-gen variiert in den unterschiedlichen Farbpartien.Vermutlich war es bei früheren Eingriffen zu Teil-reinigungen gekommen, bei denen der Überzugnur in bestimmten hellen Bereichen reduziertwurde.Störend hervortretende Retuschen konnten demletzten Eingriff an dem Tafelbild zugeordnet wer-den. Verschiedene verbräunte Stellen, die damitüberdeckt werden sollten, sind auf Veränderun-gen in der Malschicht zurückzuführen und nichtlösbar.Auf der Rückseite sind bei einem nicht datierba-ren Eingriff drei Querleisten angebracht worden,um ein Verwölben der Tafel zu verhindern. Da-zwischen befinden sich entlang der Fugen alsVerstärkung aufgeleimte Leinwandstreifen.Die originale Rahmung ist nicht erhalten. Derheute zum Bild gehörende Flammleistenrahmenist eine spätere Zutat und stammt vermutlich ausdem 17. Jahrhundert. Diese barocke Profilgestalttauchte zusammen mit der ihr verwandten Wel-lenleiste um 1600 auf, verschwand allerdingsnach 1700 auch schon wieder beinahe vollstän-dig und die Herstellungsweise geriet vorläufigwieder in Vergessenheit.

Erhaltungszustand

Die Holzsubstanz des Gemäldes ist durch einenehemals aktiven Schädlingsbefall zum Teil in ei-nem desolaten Zustand. Vor allem im Randbe-reich gibt es Stellen, bei denen allein die Holzla-mellen stehen geblieben sind, was zu Verlustender Malschicht geführt hat.Die Querleisten auf der Rückseite waren starr auf-geleimt worden und hatten dadurch gleich meh-rere Schäden hervorgerufen: Die durch die Fixie-rung erhöhte Spannung im Holz hat erst recht zueiner ausgeprägten konvexen Verwölbung (bis zu2 cm) geführt. Eine der Querleisten hatte sich un-

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4 Detail der offenen Fuge. Im Hintergrund:Türkisfarbene Überma-lungen im Flussbereichund Übermalungen im Mauerwerk.

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ter dem verstärkten Druck bereits in der Vergan-genheit abgelöst. Ebenso hatte sich eine der bei-den Klebefugen zwischen den Einzelbretternganz, die zweite bereits halb geöffnet.Auf der Vorderseite war es durch behinderteQuell- und verstärkte Schwindbewegungen imBildträger zu Malschichtlockerungen und Aus-brüchen gekommen.Im Bereich des Himmels ist es durch chemischeProzesse zu Verseifungsreaktionen gekommen:Das Bleiweiß reagiert dabei mit den im Öl enthal-tenen Fettsäuren und bildet so genannte „Blei-seifen“. Die Transparenz wird so sehr erhöht,dass die darunter liegende Malschicht schwachsichtbar wird.Das Übereinanderliegen mehrerer unterschied-lich vergilbter Firnisschichten hat insgesamt zu ei-ner starken Verbräunung geführt, welche die Far-bigkeit des Bildes vereinheitlicht. Zudem war dieoberste Firnislage an einigen Stellen „krepiert“.Damit sind feinste Mikrosprünge gemeint, dieeine optische Trübung erzeugen. Die Farbigkeitdes Bildes war dadurch erheblich beeinträchtigt.

Tiefenuntersuchungen

Die durch Himmel und Palastarchitektur durch-schimmernden Vergoldungen waren mit den Mit-teln der Oberflächenuntersuchung nicht ausrei-chend zu erfassen. Zur vollständigen Klärung desBestandes wurden Infrarotspektroskopien ange-fertigt. Die Untersuchungen mit einem digitalenGerät (MuSIS 2007: Multi Spectral Imaging Sy-stem 2007 aus den Niederlanden) erfolgten inder Restaurierungswerkstätte der StaatsgalerieStuttgart. Den Kollegen dort sei hiermit für ihrEntgegenkommen gedanktInfrarotstrahlen bieten die Möglichkeit, mit opti-schen Mitteln in tiefer liegende Bildschichten vor-zudringen. Für die Gemäldeuntersuchung wirddas nahe Infrarot in einem Bereich von 760–2400Nanometer verwendet. Die längerwelligen Strah-len werden weniger gestreut als sichtbares Licht,wodurch sich ein höheres Durchdringungsvermö-gen ergibt. In günstigen Fällen erfolgt die Durch-dringung bis auf die Grundierung, auf der, jenach Kontrastverhältnis, zum Beispiel Unterzeich-nungen oder – wie in unserem Fall – eine ausge-prägte Schwarzlotzeichnung sichtbar gemachtwerden können.Diese graphisch wirkende Verzierungsart, bei dereine schwarze Binnenzeichnung auf eine Gold-unterlage aufgetragen wird, war im 15. Jahrhun-dert eine verbreitete Verzierungstechnik und ver-schwand allmählich in den ersten Jahrzehnten des16. Jahrhunderts aus der Tafelmalerei. Sie ist ausder mittelalterlichen Glasmalerei entlehnt. Dortwurden die Hauptkonturen mit Bleifassungen her-

vorgehoben, die feinere Binnenzeichnung jedochmit Schwarzlot ausgeführt. Gemeint sind damitdie Bestandteile schwarzer Eisen- oder Kupfer-oxide, die beim Brennen ins Glas eingeschmolzenwurden, ohne sich farblich zu verändern.

Ergebnis der Infrarotuntersuchung

Als Untersuchungsergebnis lässt sich festhalten,dass unter der heute sichtbaren Übermalung imBereich des Himmels die ursprüngliche Gestal-tung in oben beschriebener Schwarzlottechnikauf Goldgrund noch beinahe vollständig erhaltenist. Da die Aufnahmen so kontrastreich sind, sindneben einer inhaltlichen Beschreibung auch Aus-sagen über die Qualität der Ausführung möglich.Es handelt sich dabei um eine Architekturdarstel-lung, die an die prächtig ausgestatteten Portaleder Gotik erinnert. Zwei ineinander greifende

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5–7 Infrarot-Reflek-tographie im Bereich des Himmels.5 Detail linke Seite: Moses und Engel.6 Detail Mitte: Gott-vater und Engel.7 Detail rechte Seite: Engel und männliche Figur.

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Kreuzbögen enden nach unten hin mit durchBlattwerk verzierten Konsolen und sind dem lich-ten Blau des Himmels vorgesetzt. Dieses prächtigwirkende Himmelsportal ist von musizierendenEngelchen bevölkert, welche die Außenseiten derBögen beleben, auf deren Laibungen sitzen undmiteinander kommunizieren, während innerhalbder Bögen größere musizierende Engel auf denKonsolen unter Baldachine eingestellt sind. Überdem Geschehen thront in der Mitte Gottvaterund links und rechts sind zwei Standfiguren in Ni-schen untergebracht, eine davon Moses, der dieGebotstafeln in den Händen hält.Diese Darstellung entspricht stilistisch den sicht-baren Bereichen im linken Teil des Bildes, dieebenfalls ähnlich fein und sorgfältig ausgearbei-tet sind. Die Gewänder der musizierenden Engelsind ähnlich wie die des Engels von der Taufszeneim Vordergrund.Mit Hilfe einer Fotomontage soll veranschaulichtwerden, wie die Johannestafel ursprünglich kon-

zipiert war und – zumindest eine Zeitlang – auchausgesehen haben mag. Das Gemälde erlitt zu ei-nem unbekannten Zeitpunkt schwere Beschädi-gungen in der rechten Bildhälfte. Der frühesteund gleichzeitig weitreichendste Eingriff umfass-te die aufwändigen Reparaturarbeiten dieserSchäden mit zahlreichen umfangreichen Überar-beitungen. Man kann davon ausgehen, dass die„modernisierende“ Neugestaltung im Bereichdes Himmels und auch die beiden Wappen aufdiesen Eingriff zurückgehen. Der Himmel wurdedabei dem veränderten Zeitgeschmack angepasstund die ursprüngliche Version rigoros übermalt.Die Figur Gottvaters wurde zwar übernommen,aber neu angelegt. Die Grenzen der übereinan-der liegenden Malschichten sind selbst unter demMikroskop kaum erkennbar.Diese Überarbeitungsphase ist in der Gestaltungsehr frei und spiegelt den schöpferischen Ansatzvon „Restaurierungen“ wieder, wie sie im 17. Jahr-hundert üblich waren. Ins 17. Jahrhundert weistaußerdem auch der erhaltene Zierrahmen. Es istdurchaus denkbar, dass die Neueinrahmung imZusammenhang mit dem Eingriff erfolgte.Der „Respekt vor dem Kunstwerk“ stand zum da-maligen Zeitpunkt noch lange nicht im Vorder-grund eines Eingriffes. Stattdessen orientierteman sich am Zeitgeschmack und praktischenÜberlegungen, die Formatänderungen oder Neu-einrahmungen oftmals mit sich brachten. DieAuthentizität des Objektes stand dabei nicht zurDiskussion, sondern war, wie es die Bad Wimpfe-ner Tafel anschaulich demonstriert, zweitrangig.

Restaurierungskonzept

Die neu gewonnenen Einblicke in die ursprüngli-che Gestaltung des Gemäldes hatten auf dieDurchführung der konservatorischen und restau-ratorischen Maßnahmen keinen Einfluss. Die Ge-staltungsphasen, die am Bild nachgewiesen wer-den konnten, gehören zur Geschichte des Bildesund bleiben mit Ausnahme der jüngsten störendhervortretenden Retuschen und der krepiertenFirnisschicht gewahrt. Dennoch kommt der Mög-lichkeit der Sichtbarmachung von tiefer liegen-den Malschichten mittels technischer Hilfsmittelein wichtiger Stellenwert zu. Einblicke in dieWerkgenese und künstlerischen Prozesse werdenermöglicht, ohne schädigend in die Substanz ein-zugreifen. Mit Hilfe dokumentarischer Mittel kön-nen diese einem breiten Publikum zugänglich ge-macht werden und bei Bedarf zu einem späterenZeitpunkt weiter wissenschaftlich ausgewertetwerden.Dringlichste konservatorische Maßnahmen wa-ren die Verleimung der offenen Fuge und des Ris-ses sowie die Festigung der gelockerten Mal-

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8 Fotomontage. Infrarot-Reflektographie-Auf-nahmen und sichtbareOberfläche kombiniert.

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schichtbereiche. Das Anbringen eines an die ver-wölbte Tafel angepassten Rückseitenschutzesbleibt eine verborgene, aus konservatorischerSicht hingegen wirkungsvolle Maßnahme, derebenfalls ein wichtiger Stellenwert zukommt.Kittung und Retusche der Fehlstellen sowie dieReinigung der Oberfläche zählen zu restauratori-schen Maßnahmen, welche die Ästhetik des Bil-des aufwerten.

Maßnahmen

Vor dem Transport des Bildes nach Stuttgart wa-ren gelockerte Malschichtpartien mit Japanpa-pierchen abgeklebt worden. In einem zweiten Ar-beitsschritt in der Werkstatt wurden diese Notsi-cherungen wieder abgelöst und die gefährdetenBereiche mit tierischem Leim gefestigt. Somit istder wertvolle Bestand gesichert.Die beiden Querleisten auf der Rückseite wurdenebenfalls abgelöst. Anschließend erfolgte die Ver-leimung der Holztafel.Aufwändig an der Verleimung waren vor allemdie vorbereitenden Arbeiten. Das durch denSchädlingsbefall geschwächte Holz wurde ent-lang der offenen Fuge gefestigt, um eine ausrei-chend feste Klebefläche zu schaffen. Als Auf-lagefläche während der Verleimung wurde einUnterbau an die leicht verzogenen Bretter an-gepasst. Aufgrund der starken Deformationender Fuge durch die Fraßgänge wurde als Klebe-mittel eine Kunstharzdispersion ausgewählt, diesich kalt verarbeiten lässt und eine einfacheHandhabung bei der Verleimung gewährleistet.Der eigentliche Verleimungsvorgang kann undmuss dennoch zügig durchgeführt werden, dadie „offene Zeit“ des Klebers begrenzt ist.Nach abgeschlossener Verleimung wurden dieFehlstellen innerhalb der Malerei mit Leim-Kreide-Kitt geschlossen und retuschiert. Bereichemit geschwächter Holzsubstanz mussten zur Sta-bilisierung vor dem Kitten zusätzlich mit Hölz-chen ausgespänt werden. Zündhölzer aus Pap-pelholz lieferten dafür ein gut zu bearbeitendesAusgangsmaterial.Eine feuchte Oberflächenreinigung zeigte nur ge-ringfügige Veränderungen. Die Malerei blieb wei-terhin trübe und gedämpft. Arbeitsproben zurLöslichkeit der obersten Übermalungen brachtengute Ergebnisse bei Verwendung von Ethylal-kohol. Damit ließ sich auch der oberste Überzuggut abnehmen. Gleichzeitig blieben die darunterliegenden älteren Farb- und Firnisschichten er-halten.Für die Dauer der Restaurierungsarbeiten solltedas Bild in einem Stützrahmen bearbeitet wer-den, der die Verwölbung berücksichtigte. Zu die-sem Zweck wurden Balsaholzleisten horizontal

an die Verwölbung angepasst und in einem Ar-beitsrahmen hinter der Tafel platziert. Der Rah-men gewährleistete eine sichere Lagerung desBildes und gleichzeitig eine gute Handhabbar-keit.Nach Abschluss der Restaurierung wurden dieBalsaholzrippen mit einer Weichfaserdämmplatteverbunden und als Rückseitenschutz hinter derTafel im Zierrahmen befestigt. Damit ist sowohlein mechanischer Schutz als auch eine Pufferwir-kung gegenüber klimatischen Schwankungen er-reicht. Die empfindliche Tafel wird stabilisiert,ohne bei weiteren Bewegungen blockiert zu wer-den. In den Falz des Zierrahmens wurde ein„Bett“ aus Balsaholzleisten eingearbeitet, das dieTafelkrümmung berücksichtigt und ausgleicht.Alle Untersuchungsschritte sind dokumentiert inText und Bild und werden im Archiv des Landes-denkmalamtes aufbewahrt.

Aufbewahrung

Inzwischen ist das Bild wieder in die evangelischeStadtkirche nach Bad Wimpfen zurückgekehrt.Nachforschungen zur Herkunft der Tafel, die be-gleitend zur Restaurierung angestellt wurden, er-gaben, dass ihr ursprünglicher Aufbewahrungs-ort die Nordkapelle gewesen sein muss. Die Nord-kapelle erfüllte früher die Funktion der Tauf-kapelle. Heute ist der Taufstein in die Vierunggerückt, womit die Nordkapelle ihre ursprüngli-che Bedeutung verloren hat und der Zusammen-hang zwischen Täufertafel und Taufkapelle inVergessenheit geraten ist. Die Aufhängung desTafelbildes in dem klimatisch stabilen Raum ga-rantiert ihren künftigen Bestand und erinnertgleichzeitig an die ursprüngliche Funktion desRaumes als Taufkapelle.

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9 Linke untere Ecke nachBeginn der Ausspänung.Rechts neben der Fehl-stelle ist der versprödeteFirnis zu sehen.

10 Arbeitsrahmen mit Balsaholzrippen.

11 Schema: Einrahmungmit Stützkonstruktion.

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Danksagung

Für die Ermöglichung und Unterstützung der Un-tersuchung sei dem Leiter des Restaurierungs-referates, Herrn Helmut F. Reichwald, und Frau Dr. Dörthe Jakobs herzlich gedankt. Für ihre Anregungen während der Restaurierung dankeich Herrn Professor Karl-Werner Bachmann undHerrn Dipl.-Rest. Peter Vogel von der Kunstaka-demie Stuttgart. Besonderer Dank gilt außerdemHerrn Jochen Ansel, Restaurierungswerkstatt, derimmer mit Rat und Tat zur Seite stand.

Literatur:

Alberti, Otto von / Gaisberg-Schöckingen, Friedrichvon, Württembergisches Adels- und Wappenbuch,Neustadt a. d. Aisch 1975 (Nachdruck).Arens, Fritz / Bührlen, Reinhold, Die Kunstdenkmälerin Wimpfen am Neckar, Mainz 1964.Cuany, Françoise / Schaible, Volker / Schiessl, Ulrich,Studien zur Festigung biologisch geschwächten Na-delholzes. In: Kunsttechnologie 3, 1989, S. 249–292.

Jutzi, Volker / Ringger, Peter, Die Wellenleiste undihre maschinelle Herstellung. In: Maltechnik 2, 1986,S. 34–62.Mairinger, Franz, Untersuchungen von Kunstwerkenmit sichtbaren und unsichtbaren Strahlen, Wien1977.Schäfer, Georg, Kunstdenkmäler im Großherzog-thum Hessen, ehemaliger Kreis Wimpfen, Darmstadt1898, S. 65–66.Straub, Rolf E., Tafel- und Tüchleinmalerei. In:Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken,Band 1, Stuttgart 1984, S. 230f.Toman, Rolf (Hg.), Die Kunst der Gotik, Köln 1998,S. 420ff.Unger, Achim und Wibke, Bibliographie zur Holz-konservierung. In: Holzschutz. Holzfestigung. Holz-ergänzung. Arbeitsheft 73, hrsg. vom BayerischenLandesamt für Denkmalpflege, München 1995,S. 61–79.

Claudia LuckenbachGertrud-Bäumer-Straße 3672074 Tübingen

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Die Altstadt von Bad Wimpfen am Berg (KreisHeilbronn) ist seit 5. Juni 1981 Gesamtanlagenach dem Baden-Württembergischen Denkmal-schutzgesetz, zu Recht (Abb. 1). Bad Wimpfen imTal ist das nicht, zu Unrecht.Eine ausgewiesene, d.h. rechtskräftige, und eineim Ansatz stecken gebliebene Gesamtanlage istjeweils auf ihren Erhaltungszustand hin zu be-trachten, was im Folgenden kurz geschehen soll.Flankierend war bereits 1980 eine Gestaltungs-satzung erlassen worden, sodass mit zwei In-strumentarien dem Erhaltungsgedanken Rech-nung getragen werden konnte, wie es später inder „Ortsanalyse“ des Denkmalamtes vertretenwurde.Das Referat Inventarisation des Landesdenkmal-amtes hatte 1978 in Vorbereitung der Gesamt-anlagen-Verordnung durch das Regierungspräsi-dium Stuttgart die Vorarbeiten mit Begründungs-text und einem Listenentwurf zu erbringen. FürNordwürttemberg war es erst die zweite rechts-kräftige Verordnung nach der Calwer Straße inStuttgart, in ganz Baden-Württemberg damals

freilich bereits die 35. Das hängt damit zusam-men, dass es für Freiburg schon 1947 ein Denk-malschutzgesetz gab. Mit dessen Hilfe waren bis1981 27 Ortskerne als schützenswert ausgewie-sen worden, mit Meersburg am Bodensee als ers-ter Gesamtanlage. Leider konnte man sich in BadWimpfen nicht gleichzeitig für die Talstadt als Ge-samtanlage erwärmen. Ein neuerlicher Anlauf zurUnterschutzstellung 1984, nach der Novellierungdes Denkmalschutzgesetzes mit Umwandlungder Verordnung in eine Satzung in Eigenverant-wortung der Gemeinden, blieb ebenfalls erfolg-los. Umso höher einzuschätzen ist die rechtzei-tige Unterschutzstellung der Bergstadt und dasbisher sehr erfolgreiche Wirken des Denkmal-schutzes während der Sanierungsmaßnahmen indieser so geschichtsträchtigen Stadt.Es war damals 1978/80 gar nicht so einfach: Dasdie Silhouette der Altstadt durchschneidendeMathildenbad warf mit einem Aufstockungs-vorhaben düstere Schatten nach Norden, und der moderne Pfarrhof bei der Dominikanerkirchetrumpfte gegen Süden auf (Abb. 2 u. 3), beides

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1 Bad Wimpfen, Berg-stadt von Süden, 1978.

Die Altstadt von Bad WimpfenAls Stadtdenkmal seit 20 Jahren Gesamt-anlage

Am 20. und 21.10. 2001 hat Bad Wimpfen mit Ausstellungen, Führungenund Vorträgen das Altstadt-Jubiläum „25 Jahre Stadtsanierung in Bad Wimpfen“ gefeiert. Aus diesem Anlass konnte die Denkmalpflege auch auf 20 Jahre Gesamtanlagen-Verordnung zurückblicken. Dazu hielt der Autorin Bad Wimpfen einen Vortrag, dessen Inhalt im Folgenden gekürzt wieder-gegeben wird.

Richard Strobel

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Bauten in einer noch nahezu unverfälschten mit-telalterlichen Stadt, die sich ihres Alters und Wer-tes durchaus bewusst war. Einst Freie Reichsstadt,als hessische Enklave mit eigener Geschichte bisins 20. Jahrhundert, Pfalzstadt oben und Stifts-stadt unten, ein wunderbar erhabenes Bild vonder Eindringlichkeit fast von Rothenburg, wie esschon 1898 im Vorwort des Inventars „Kunst-denkmäler im Grossherzogthum Hessen, ProvinzStarkenburg ehemaliger Kreis Wimpfen“ von Ge-org Schäfer bemerkt wurde: „Nimmt doch Wim-pfen am Neckar unter kunstarchäologischem und künstlerischem Gesichtspunkt mindestensdie gleich hohe Stelle innerhalb des Großherzog-thums Hessen ein, wie beispielsweise das be-rühmte Rothenburg an der Tauber innerhalb desKönigreiches Baiern.“ Es soll hier auch der wohl-bekannte Schlusssatz im genannten Vorwort von

Georg Schäfer angefügt werden: „Eine Bevölke-rung ehrt sich selbst, wenn sie die Kunstdenk-male ihrer Vergangenheit ehrt.“ Wobei man dasEhren als Erhalten interpretieren darf.Der Stadthistoriker und Denkmalpfleger ebensowie der Städte-Tourist und Mittelalter-Liebha-ber hat im Allgemeinen eine sehr komplexe Vor-stellung von den Objekten seiner Begierde à laRothenburg: die von der Schönheit und Unver-sehrtheit historischer Bauwerke, harmonisch auf-einander abgestimmt, alles von unübertroffenerProportionierung, von höchstem Stadtraum-Er-lebniswert, wie von selbst gewachsene Struktu-ren, von optimaler Brauchbarkeit bis heute undvon selbstredender, keiner Erklärung bedürftigenZeugnishaftigkeit für die hohe Kunst frühen Städ-tebaus. Dass dem so nicht ist in der Wirklichkeit,hier wie in vielen anderen ebenso stolzen mittel-alterlichen Altstädten oder barocken Residenz-städten, davon weiß jeder Liebhaber deutscherStadtbaukunst ein Lied zu singen: Hochhaus,Kaufhaus und Parkhaus terrorisieren Altstadt-häuser wie in Ludwigsburg (Abb. 4) oder Aalen,Unmaßstäblichkeit und Betonbrutalismus ge-gen kleinteilige, kunstvolle Denkmalhäuser, Zer-störung des früheren Gleichgewichts zwischenDenkmal als Großbau (wie Kirche, Schloss, Palais)und Denkmal als kleinteilige Vielzahl (wie Bürger-und Handwerkerhaus, Scheuer und Stallungen),Verkehrsbauten und Straßenschneisen zerschnei-den die Altstädte wie in Esslingen. Dort ging es so weit, dass sich der Denkmalpfleger an derStraßenplanung beteiligte und womöglich, umnoch größeren Schaden zu vermeiden, den Ab-bruch Dutzender von Altstadthäusern billigend in Kauf nahm beim Trassieren der nordwestlichenRingstraße.Es war sicher polemisch übertrieben, von derNachkriegszeit als verlustreicher an Kulturdenk-malen zu sprechen als vom Krieg selbst. Ein Blickin die auswahlbedingt unvollständigen vier Bän-de „Schicksale deutscher Baudenkmale im Zwei-ten Weltkrieg“ bzw. „Kriegsschicksale DeutscherArchitektur“ genügt. Was damals im 2. Weltkriegverloren ging, ist qualitativ wie quantitativ garnicht abschätzbar. Ein kleiner Ausschnitt aus derStuttgarter Altstadt mit bis dahin nicht erkannter,beim ersten Angriff noch unverbrannter Haus-substanz des 14./15. Jahrhunderts in der Schul-straße (Abb. 5) diene als Beleg für tausend an-dere Fälle anderer Städte, erinnert sei nur an denwertvollen Fachwerkhausbestand von Heilbronn,Ulm, Pforzheim.Dabei hat man das berühmte Diktum Georg De-hios über Rothenburg ob der Tauber im Ohr: „DieStadt als Ganzes ist Denkmal. Was wir sonst nurin abgelegenen Miniaturstädtchen gelegentlichfinden,... das zeigt sich uns hier in einer begü-

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2 Blick auf den Pfarrhof,bis ca.1960 Torhaus zumehemaligen Dominikaner-kloster.

3 Pfarrhof und Domini-kanerkirche, 1978.

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terten und kunstsinnigen Reichsstadt mittlererGröße: Erhaltung des alten Zustandes in uner-reichter Vollständigkeit und Dissonanzfreiheit.“Heute wird gerade beim Blick auf das über alleZweifel erhabene Stadtbild von Rothenburg obder Tauber verdrängt bzw. vergessen, dass auchdort ein Viertel der Gebäude im 2. Weltkrieg zer-stört war (Abb. 6). Nach längst erfolgtem Wie-deraufbau zweifelt kaum ein Besucher an derVollständigkeit des mittelalterlichen Stadtbildesund erst das Dokumentarfoto vermittelt einenoberflächlichen Eindruck vom tatsächlichen Sub-stanzverlust. Nur: Wen interessiert das von denNostalgie-besessenen Besuchern, wenn nur das„Bild“, die Kulisse, stimmt? Kaum jemand fragt,wie viel daran wirklich noch alt ist oder was allesauf alt hingetrimmt ist. Und das unterscheidet,wenigstens heute noch, Bad Wimpfen von Ro-thenburg.Verluste des Kriegs, aber eben noch viel mehr derSanierungswelle danach, die Unwirtlichkeit un-serer Trabantenstädte und Trostlosigkeit billigerSiedlungsplanung hatten ein bis dahin unvorstell-bares Denkmalpflege-Bewusstsein der 70er-Jahrein Politik und Gesetzgebung geschaffen, habendie Vorstellung von der heilen alten Stadt noch-mals gedeihen lassen. Eine gewaltige Sanierungs-welle und die wirtschaftliche Dynamik der Nach-kriegszeit hatten alte Vorstellungen der trautenGässchen und schnuckeligen Häuser, der gedie-genen Fachwerkwelt und des unversehrten Haus-bestands zum Einsturz gebracht, wörtlich wieübertragen. Da kam das Europäische Denkmal-schutzjahr 1975 sozusagen in letzter Minute miteinem bis dahin unvorstellbarem Umdenken proDenkmalpflege, da kamen in allen BundesländernDenkmalschutzgesetze und die Aufstockung derZuschussmittel in der Denkmalförderung, da ka-men die Gesamtanlagen-Vorstellungen endgültigzum Durchbruch, d.h. nicht das einzelne Bau-denkmal wie Kirche und Schloss, Rathaus undStadttor wurde als wichtig erkannt, sondern dieganze Altstadt mit ihren einzelnen Straßenzügen,Plätzen und Sichtbezügen.Die Gesamtanlagenausweisung ist als Möglich-keit gedacht gewesen, ganze Städtebilder unterSchutz zu stellen und sie als einziges Denkmal zubehandeln. Das barg natürlich auch Gefahren insich. Einerseits wurde ganz schnell von der „Käse-glocke“ des Denkmalschutzes gesprochen, an-dererseits verwischten sich die Grenzen, wenn es um die sog. Stadtbildpflege ging und der ge-bräuchliche, aber höchst schwammige Begriffvom „Bild“ und seinem Schutz Schwierigkeitenmachte.Heute scheint allerdings das Denkmalpflegegutin der Masse des historistischen Wohn- und Industriebaus in Großstädten zu bestehen oder

im ländlichen Hausbau einer gemischt bäuerlich-industriellen Besiedlung des 19./20.Jahrhunderts.Mit ihm hat der Denkmalpfleger ganz ande-re Probleme als mit den Denkmal-Städten „vonmittlerer Größe“, wie alten Bischofs- und Klos-terstädten, Pfalz-, Burg- und Residenzstädten,Bergbau-, Markt-, Brücken- und Festungsstäd-ten, die „klassischen“ Gesamtanlagen sozusa-gen, von denen eine und zu den wichtigsten inBaden-Württemberg überhaupt zählend BadWimpfen ist.Was zeichnet nun diese alten, vom Krieg ver-schonten Mittelstädte mit ihren Bürgerhäusernvor allen anderen, sozusagen den normalen Mit-tel- und Kleinstädten aus? Es sind drei Vorausset-zungen, die sie als Gesamtanlage darstellbar underhaltenswürdig machen.1. Eine Vielzahl, ja Mehrzahl von Kulturdenkma-len (und nicht nur vereinzelte) in großer Dichte,die ganze Stadt ist Denkmal bereits mit ihrerkleinsten Einheit und trotz Störungen.2. Eine parzellenscharf mögliche Umgrenzungzumeist im Umfang der alten Befestigungswerke.

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4 Ludwigsburg, Holzmarkt mit Marstall-Center, 1978.

5 Stuttgart, Schul-straße nach Bombardie-rung vom 3. 3. 1944.

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3. Eine ausgeprägte Schichtung, Ordnung, Hier-archie der Denkmale in historisch gewachsenenStrukturen.Die Mehrzahl an Kulturdenkmalen (Abb. 7) istVoraussetzung, um die Qualität der Gesamtan-lage zu sichern, ihre bevorzugte Stellung gegen-über normalen Städten mit Denkmalen zu beto-nen und sich ihrer hervorgehobenen Bedeutungals Denkmalstadt mit allen Konsequenzen der Pri-oritätensetzung zu vergewissern. Denkmalerhal-tung hätte in solchen Altstädten Vorrang zu ha-ben vor Neubau und gnadenloser Wirtschafts-förderung, vor bedingungsloser Verkehrsplanungund rücksichtsloser Stadtentwicklung. Auch daszur Unterscheidung von der sonstigen Normal-stadt mit Denkmälern. Bad Wimpfen am Berg besitzt eine Fülle von Kulturdenkmalen, geradeauch im Hausbestand. Diese Häuser haben schonimmer das Interesse der Historiker geweckt. Im

genannten Inventar von 1898 wird neben der extra behandelten Kaiserpfalz, dem WormserHof, dem Hospital, dem Rathaus, den Brunnenund der Befestigung auf immerhin 16 Seiten dieser anonyme Hausbestand abgehandelt undmehrfach mit Abbildungen erläutert. Auch Wimpfen im Tal besitzt noch eine Fülle einfacherBaudenkmäler, die als notwendige Ergänzungzum Ritterstift, als bescheidene, gleichmäßigeund doch individuelle Hintergrundsfolie sozu-sagen, vor der sich der prächtige solitäre Kir-chenbau erhebt, eine wesentliche Rolle spielen(Abb. 8).Die Begrenzung ist nicht nur aus denkmalschutz-rechtlichen Gründen Voraussetzung für die Aus-weisung von Gesamtanlagen. Sie ist es auch auswissenschaftlichen und aufklärend-benachrich-tigenden bei der notwendigen Erläuterung desSchutzgutes. Darzustellen ist eine klare, unver-zichtbare Grenzziehung gegenüber jüngerenSchichten der Bebauung, gegenüber Bereichenohne Denkmalwertigkeit und ohne Denkmale. InBad Wimpfen bereitete die Grenzziehung keineSchwierigkeiten, da sich die Stadtbefestigungnoch ganz deutlich abzeichnet und das Drau-ßen und Drinnen der Altstadt am Berg ebensowie des ummauerten Stadtteils im Tal bestens ab-lesbar ist.Die Schichtung der Denkmale und ihre Kenntnisist wiederum eine Frage eindringender Forschungund Kenntnisnahme der historischen Sozialtopo-graphie. Es ist nicht gleichgültig, wo der Kirchen-und Stiftsbezirk angesiedelt ist mit großzügigerKurienbebauung, und es ist sehr aussagekräftig,die Ansammlung von Pfalzgebäuden, Adels- oderPatrizierhäusern hier, Handwerker- und Händler-häusern dort, von Kleingewerbetreibenden, land-wirtschaftlichen Anwesen, Unterschichten fest-zustellen und sie mit ihren baulichen Zeugnissenzu bewahren.

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6 Rothenburg ob derTauber, 1945.

7 Karte von Bad Wimp-fen mit den 1978 er-fassten Kulturdenkmalen.

8 Bad Wimpfen im Talmit Ritterstift und meistbarocken Häusern.

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In Bad Wimpfen ist die Pfalz ein deutlich abge-grenzter Bereich, ebenso die beiden Kirchenbe-zirke um Stadtkirche und Dominikanerkloster. In-teressant ist auch die Kartierung aller selbststän-dig bestehenden Scheuern, die sich wie ein Kranzum den Altstadtkern und näher an der Stadtbe-festigung als an den Haupt-Wohnstraßen gele-gen ausnehmen.Sieht man sich heute in Bad Wimpfen um undvergleicht Fotos der späten 70er-Jahre des20. Jahrhunderts, kann summarisch festgestelltwerden, dass sich die Gesamtanlagenschutz-Ver-ordnung bewährt hat und dass von der Bergstadtaus auch die schützende Hand über die nochnicht festgelegte Gesamtanlage Talstadt gehaltenwurde. Zum Beleg mögen einige Fotos beitragen,die Häuser und Straßenzüge mit den schönenFachwerkhäusern zeigen, die sich immer aufsNeue als das eigentliche Gut Wimpfener Stadt-kultur präsentieren.Im Pfalzbereich hat an der Jugendherbergefreundliches Grün das etwas peinlich imitierteFachwerk der 70er-Jahre überzogen; die Kraftdes alten Fachwerkholzes kann immer noch ander Nordseite zum Neckar hin studiert werden(Abb. 9). Die Scheuer Burgviertel 16 blieb in ih-rer Zeugnishaftigkeit neben dem Blauen Turm bisheute erhalten (Abb. 10), ein wichtiges Motiv imPfalzbereich, wo sich nicht der Abbruchvorgangwiederholte, wie 1980 beim Gebäude Schaf-gasse 6/8. Ein Blick in die Salzgasse abwärts zeigtfarblich erneuerten, aber substantiell unverän-derten Fachwerkbestand (Abb. 11). Der Spitalbe-reich wurde saniert und enthält heute ein bemer-kens- und sehenswertes Stadtmuseum mit vielenoriginalen Spuren der Spitalvergangenheit (Abb.13); erinnert sei an die Versuche der späten 70er-Jahre, bei Neubauten mit Fachwerkimitation das„Bild“ zu wahren wie bei den Bankhäusern in derHauptstraße 77 (Abb. 14).Bad Wimpfen im Tal hat seinen Hausbestanddurchaus bewahrt. Als Beispiel diene die Haus-abfolge in der Corneliastraße mit dem Zustand1978 und 2001 (Abb. 12 u. 15). Die alte Gegen-überstellung am Ortseingang im Osten mit demAltbestand südlich und angepassten Wohnhäu-sern der 60/70er-Jahre nördlich kann noch einmalvergegenwärtigen, wie sich alte zu neuer Sub-stanz verhält. Hier hat sich das Umdenken mitverstärkter Hinwendung zur Substanzerhaltungbewährt und kann auch künftig als bester Garantfür die Erhaltung der so wichtigen Altstädte BadWimpfen am Berg und im Tal gelten.Ein Hauptproblem ist das des Baualters und seinerErkennbarkeit an Fassaden und in der Innenraum-gestaltung. Das Baualter und seine Kenntnis ist ge-rade bei der Beurteilung des Denkmalcharaktersälterer Gebäude von entscheidender Bedeutung.

Als Denkmale sind ja nicht irgendwelche oder garzeitgenössische Gebäude auszuweisen, sondernhistorische und in ihrer Geschichtlichkeit beurteil-bare. Das setzt die Kenntnis der Bauzeit und derVeränderungsperioden voraus. Häufig sieht manden Fassaden nicht an, was drinnen steckt, dennAußen und Innen können durchaus divergieren.Eine modernisierte Fassade kann noch sehr alteBausubstanz enthalten oder ein mit den Fassadenstehen gebliebenes Haus kann im Inneren völ-lig ausgekernt und damit historisch fast wertlos geworden sein. Auf längere Zeiträume besehen, ist das intakte, also nicht von Kriegszerstörungenund Wiederaufbau geprägte Stadtgebilde trotz eines gewissen statischen Beharrungsvermögensein fein bewegter Körper mit Abstoßungen undNeuausblühungen. Nicht nur Baualtersringe imWachstum um die Städte, sondern auch Zell-erneuerungen im Inneren sind nüchtern zu kon-statierende Fakten des Städtebauwesens. Geradedie Stadtsanierung, der Anlass Ihrer Feier und Ak-tivitäten, muss unter diesem Gesichtspunkt der Er-neuerung und Verträglichkeit mit dem histori-schen Bestand betrachtet werden.Es stellt sich die Frage, wie komme ich los von ei-nem nebulosen, stets wandelbaren „Leitbild“ derAltstadt, dem reinen Erscheinungsbild? Sicher istes doch allein die alte Frage nach den eigentli-chen Werten des historischen Städtebaus, sicht-bar nur an originaler Substanz mit Quellencha-rakter, also einzig und allein den Altbauten. Dazubedarf es der Kenntnis der unterschiedlich ge-schichteten historischen Bauten, und daraus folgtdas Grundanliegen der Denkmalpflege, mög-lichst viel davon im Original für die Anschauungzu erhalten. Es gibt verschiedene Wege, diesemGrundbedürfnis nachzukommen, arbeitsinten-sive, aber, wie ich denke, lohnende.Der intensivste, nur mühsam aufbaubare Weg istder der Bauforschung, der Bauarchäologie. Prä-

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9 Gebäude Burgviertel21/23, Nord- und Süd-fassade, 1978.

10 Blick auf Burg-viertel 16 und Schaf-gasse 6/8, 1980.

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11 Die Salzgasse 1978und 2001.

12 Gebäude Cornelia-straße 40, 1978 und2001.

zise Bauforschung und restauratorische Untersu-chung am leer stehenden Bau vor der Sanierunghat sich immer noch ausgezahlt. Richtige Pläne,konsequente photographische und zeichnerischeBefunddokumentation und ausreichende Notateim Raumbuch lehren einen Bau von innen herausund vom Keller bis ins Dachwerk, von der Außen-haut bis zum Innengerüst verstehen. Sie sicherndie Kenntnis des Baualters und der Bauabläufe,belegen historische Qualitäten in Bauweise undAusstattung, bilden Grundlage einer sichererenPlanung für die Sanierung. Die Bauforschung lie-fert im Stadtganzen Fixpunkte, die sich im Laufeder Jahre verdichten können und dann der Kennt-nis vom Baualter im Ganzen aufs Wertvollste die-nen. Ohne die bauforscherischen Ergebnisse derDendrochronologie und Gefügeforschung stün-den alle unsere Kenntnisse von der Stadt- undBaugeschichte auf viel schwächeren Füßen, gäbees viel mehr Hypothesen als gesichertes Wissen.In vielen Altstädten gibt es inzwischen wichtigeneue Erkenntnisse zum mittelalterlichen Haus-bau, so in Schwäbisch Gmünd, Tübingen, Ravens-burg, Schwäbisch Hall, Esslingen usw. WertvolleErgebnisse in Bad Wimpfen brachten z.B. die Un-tersuchungen zum Spital und zum Haus Markt-platz 6, wo die Steinhaustheorie nach dendro-chronologischen Untersuchungen korrigiert undergänzt werden konnte.

Im Allgemeinen kann aber die Bauforschungnicht überall gleichzeitig tätig werden oder mitRöntgenblick im Voraus die Alterswerte feststel-len. Deshalb haben sich in Altstädten mit dichtemDenkmalbestand die Baualterspläne bewährt, dieinventarisierende Begehung voraussetzen. Siestreben eine Kurzdokumentation durch Fotosund Karteneintragungen der Bauphasen an, er-gänzt durch Studium der Bauakten und Literatur.Sie geben damit einen ersten Überblick über dieHaussubstanz. Es wird der Finger für den Planergehoben, das Haus gibt wenigstens Teile seinesInnenlebens preis und Keller und Dachwerk sindhäufig sehr gute Zeitindikatoren für einen erstenDurchgang. Immer aber geht es um die vorhan-dene Substanz, nicht um eine Aura oder einenGeist. So kann ein gotisch oder romanisch nach-gebautes Haus als „Bild“ mit größter Anstren-gung diesen mittelalterlichen Altstadtbild-Geistbeschwören wollen. Auf der Baualters-Karte wirdes sofort entlarvt als Imitat der Moderne, alsDenkmal ohne Eigenschaften.Im Übrigen gibt es für Bad Wimpfen einen sehrfrühen, eindrucksvollen Baualtersplan von 1922,gezeichnet von Stadtpfarrer Otto Scriba, lithogra-phiert und gedruckt bei C. Rembold, Heilbronn(Abb. 16), fehler- und lückenhaft, wie es für denKenntnisstand damals verständlich ist, aber den-noch von eindringlicher Aussagekraft. Maßgeb-

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14 Gebäude Haupt-straße 77, 1978.

15 Gebäude Cornelia-straße 59–55.

13 Das ehemalige Spital2001.

lich war der Verein Alt-Wimpfen, dessen unglaub-lich weitblickendes, engagiertes Eintreten für dieAltstadt meines Wissens zu wenig bekannt ist inder Fachwelt.Weitere Baualterspläne gab es für Mannheim1899/1907, der heute wegen der Bombenzer-störungen Quellencharakter besitzt, oder fürSchwäbisch Hall 1975 mit Sicht auf Sanierungs-vorhaben. Eine Sonderform der gezielten Vorun-tersuchungen sind photogrammmetrische Fassa-denabwicklungen ganzer Straßenfassaden, wiees für Schwäbisch Gmünd durchgeführt wurde.Ferner der sog. Kellerkataster. Auch hier hatWimpfen mit dem Kellerplan des Pfalzbereichsein ungemein wertvolles Planmaterial zur Verfü-gung gestellt bekommen durch die Arbeit derHerren Doll und Drixler, bekannt gemacht durchRobert Koch in Band 8 der Forschungen und Be-richte des LDA, Archäologie des Mittelalters 1983.Wieder einmal war Anregung und Finanzierungdieser Grundlagenvermessung durch den VereinAlt-Wimpfen erfolgt.Muss der Baualtersplan auf Sanierungsgebietebeschränkt bleiben, führt zum Denkmalüberblickund zur größtmöglichen Sicherheit in der Kennt-nis des Denkmalbestandes die Inventarisation.Die Inventarisation ist Grundlage für eine geord-nete Denkmalpflege, sei es mit der zeitbedingtflüchtigeren Listenerfassung und dem traditions-reichen Denkmalbuch, sei es mit der eindringen-deren Topographie, als deren Vorläufer in Baden-Württemberg der Ortskernatlas gilt, sei es diegründliche Fundamentalinventarisation, die ihrenAnfang in Deutschland 1876 mit dem Inventarvon Elsass-Lothringen durch Franz Xaver Kraus

nimmt. Es soll damit um Denkmalverständnis inder Öffentlichkeit geworben und mehr Sicherheitin der Beurteilung geschaffen werden. Es gilt derGrundsatz: Die Denkmalpflege ist nur so gut wieihr Wissen um die Denkmale, sie muss auf gründ-licher Kenntnis der Objekte beruhen. Man darfsich nicht von schönen, aber auch nicht von ent-stellten Fassaden irreführen lassen, weshalb aufdie mühsamen Innenbesichtigungen nicht ver-zichtet werden kann. Vor Beginn aller Sanie-rungsmaßnahmen sollte eine Grundinformationüber das zu schützende Kulturgut vorliegen mitder rechtzeitigen Entscheidungsmöglichkeit zur

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bauforscherischen oder restauratorischen Unter-suchung. Das Risiko der noch zu entdeckendenGüter mit Innenausbau und Ausstattung solltebegrenzt oder zumindest abschätzbar bleiben.Die Denkmalpflege muss sich durchaus unzeit-gemäß verhalten dürfen, wenn es darum geht,standfest gegen die beliebige Verschiebbarkeitvon Kunstgut und Baudenkmalen zu argumen-tieren, gegen unbegrenztes Verschönern undVerjüngen, gegen den Trend zur Wandlungsbe-schleunigung, gegen Umnutzungen um jedenPreis. Nur im Insistieren auf den Substanz- undQuellenwert bewahrt sich die DenkmalpflegeGlaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Es gehtnicht um Scheindenkmäler, Kopien und Kulissen;wir brauchen keine Disneyland-Altstädte. Daskann man in Florida oder bei Paris viel besser. Waswir brauchen, ist die Klarheit unserer gebauten

Geschichtsquellen in der Wirrnis der Nachbautenund Kopien, ist die Fülle der substanziellen Zeug-nisse in ihrer eigenen Aussagekraft. Seien wirdoch stolz auf unsere Denkmale, die unverfälsch-ten, Zeugnis ablegenden, nicht einer vergange-nen heilen, aber einer kunstsinnig-präsenten unddinglich geschichtsgesättigten Welt. Sie ist eswert, möglichst unversehrt unseren Kindern er-halten zu bleiben, wofür man zu Recht keineMühe scheuen darf, glimpflich, umsichtig, wert-schätzend zu verfahren. „Eine Bevölkerung ehrtsich selbst, wenn sie die Kunstdenkmale ihrerVergangenheit ehrt.“

Dr. Richard StrobelWerastraße 470182 Stuttgart

16 Baualtersplan BadWimpfen am Berg von Otto Scriba 1922.

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1 Blick vom Münster-Hauptturm nach Süd-osten zum Hauptwach-platz, Rathaus und Neu Ulm. Foto Siegel, Ulm, Sommer 1952.Stadtarchiv Ulm F3fb133A–1972 Nr. 15.

Ulm, Neue StraßeZum Auftakt der Grabungen

Ulm gehört für die archäologische Mittelalterforschung in Baden-Württem-berg zu den wichtigsten Fundplätzen. Dies belegt auch die neue Großgrabungdes Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg in der Neuen Straße. Direktunter den Asphaltschichten der Neuen Straße liegen noch Reste der frühmit-telalterlichen, mittelalterlichen und neuzeitlichen Bebauung Ulms. Die Um-strukturierung zu einer autogerechten Stadt in den 1950er-Jahren stellt sich heute als Glücksfall für die Bodendenkmalpflege heraus, denn die dickeTeerschicht schützte die archäologische Substanz vor baulichen Eingriffen. Unter der Neuen Straße, sozusagen in einem unterirdischen Archiv, über-lagern sich die verschiedenen Entwicklungsphasen der mittelalterlichen Stadt. Somit eröffnet sich nun die Möglichkeit, diese ungestörten Befunde unter wissenschaftlichen Fragestellungen zu ergraben – und das in einer Stadt, deren archäologische Substanz zu 80% im Zweiten Weltkrieg verloren ging.

Andrea Bräuning / Christoph Kleiber

Die Geschichte der Neuen Straße

Bereits aus den 1920er-Jahren stammen die erstenÜberlegungen zum Neubau einer Ost-West-Ver-bindung in Ulm, der heutigen Neuen Straße. Diemittelalterliche Wegeführung verlief über dieHirschstraße zum Löwentor (unter dem Asphalt er-halten), vorbei an der Barfüßerkirche (heute Stadt-haus) zur Langen Straße, die nur den nördlichenStreifen der heutigen Neuen Straße umfasste. Dergeplante Eingriff hätte auch die Zerstörung dermittelalterlichen Stadtstruktur und eine Zweitei-lung der Stadt – im Süden die Pfalz und im Nordendie spätmittelalterliche Stadterweiterung – bedeu-tet. Dieses Projekt wurde nicht realisiert.

Erst die Folgen der Luftangriffe von 1944/45, diedie Altstadt Ulms zerstörten (Abb. 1 u. 2), darun-ter auch die Bebauung der Langen Straße, schu-fen die Voraussetzung, die alten Planungen wie-der aufzugreifen. 1948 kam es zum Gemeinde-ratsbeschluss für den Bau der Neuen Straße,1953 zum Baubeginn. Nicht nur die ausgebrann-ten Ruinen mussten der neuen vier- bis sieben-spurigen Stadtautobahn im Zuge der autoge-rechten Stadt weichen, auch die wenigen Ge-bäude, die den Krieg überstanden hatten bzw.gleich behelfsmäßig wiederaufgebaut wordenwaren – wie etwa der Musikpavillon auf demHauptwachplatz oder die Bäckerei Martin – fielenden Baggern zum Opfer.

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Die Schattenseiten des Projektes wurden baldsichtbar: die Zweiteilung der Stadt mit der NeuenStraße als Barriere (Abb. 3).In den 1970er-Jahren kamen erste Überlegungenzur Untertunnelung der Neuen Straße auf. DieUmsetzung scheiterte an den Kosten, bis dann1989 der Gemeinderat einen Baubeschluss zurUntertunnelung fasste, den aber ein Bürgerent-scheid am 16. 12. 1990 mit 81,7% Gegenstim-men zu Fall brachte. Das Landesdenkmalamtwurde in diesen Prozess eingebunden, als dasRegierungspräsidium Tübingen entschied, dassim Vorfeld großflächige Grabungen stattfindensollten. Seit dieser Zeit ist das Thema aktuell.Mit dem Baubeschluss des Gemeinderats am 17. 10. 2001 für den Bau des „Parkhauses amRathaus“ und damit dem Rückbau der NeuenStraße, war klar, dass Ulm für das Landesdenk-malamt in den nächsten Jahren zur größten undbedeutendsten innerstädtischen Grabungsflächein Baden-Württemberg werden würde.

Die Bedeutung Ulms für die archäologi-sche und landesgeschichtliche Forschung

Der Beginn der archäologischen Forschung inUlm reicht wie vielerorts weit in das 19. Jahrhun-

dert zurück, in die Zeit der Gründung der histori-schen Vereine. 1841 wurde der Ulmer Verein fürKunst- und Altertum in Ulm und Oberschwa-ben gegründet. Zu den Pionieren der südwest-deutschen merowingerzeitlichen Reihengräber-forschung gehörte Konrad Dietrich Hassler(1803–1873), seit 1850 Vorstand des Vereins undspäter, ab 1858, „Conservator der vaterländi-schen Kunst- und Altertumskunde in Württem-berg“. Sein Interesse galt dem großen alamanni-schen Reihengräberfeld am Fuße des Kienlesberg(heutiges Bahnhofareal) außerhalb der mittelal-terlichen Stadt, das er 1857 freilegte.Erst gegen Ende des 19. und vor allem in den20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhundertswuchs das Interesse an der eigentlichen stadthis-torischen Forschung, die sich außer auf Schrift-quellen, auf baugeschichtliche und topographi-sche Befunde und Untersuchungen sowie verein-zelt auf archäologische Ausgrabungen stützte.Der Bau öffentlicher Luftschutzräume im Zugedes Zweiten Weltkriegs ermöglichte erste klei-nere archäologische Ausgrabungen. Die Folgender 22 Luftangriffe auf Ulm veränderten die Situ-ation der Stadtarchäologie: Die Bombardementszerstörten 1944/45 vier Fünftel der Altstadt, ex-akt 81,13% fielen den Feuerstürmen zum Opferund brachten einen immensen Verlust an Bau-substanz, die heute nur noch in Restflächen er-halten ist.Albrecht Rieber und Ernst Reutter erkanntenrasch die Situation nach Kriegsende und versuch-ten, mit der Stadtgeschichtlichen Forschungs-stelle des Ulmer Museums im Rahmen ihrer be-schränkten Möglichkeiten den Wiederaufbau derStadt zu begleiten. Dazu gehörten auch die ar-chäologischen Untersuchungen 1953 in der Rui-ne des ausgebrannten Schwörhauses auf demWeinhof, wo die Pfalz zu lokalisieren ist.Anfang der 1960er-Jahre wurde das StaatlicheAmt für Denkmalpflege Stuttgart mit den Gra-bungen von Günther Fehring auf dem Weinhoferstmals in Ulm aktiv und sich allmählich der Be-deutung dieser Stadt für die Stadtarchäologie be-wusst. In Folge der großen Stadtsanierungswelleund der damit verbundenen großflächigen Tief-bauvorhaben wurde dann am Ende der 1980er-Jahre die Ulmer Altstadt ein Schwerpunkt derStadtarchäologie in Baden-Württemberg.

Chancen nach Kriegszerstörung

Der unter Stadtbaurat Max Guther durchge-führte Wiederaufbau der Stadt Ulm war durch einen unbekümmerten Umgang mit der histo-rischen Bausubstanz geprägt. Um Ulm zu einer„autogerechten Stadt“ auszubauen, wurden ohne Rücksicht auf die historischen Strukturen

2 Ulm. Luftaufnahmeder Innenstadt, Juli 1954.Ulm von Osten bis Süd-westen mit Blick auf dieNeue Straße. Die geplan-te Tiefgarage beginnt am unteren Bildrand aufder Höhe der NeuenStraße, wo sich ein ein-sames Gefährt befindet,bis zum Neuen Bau, demgroßen Gebäudekom-plex links oberhalb desMünsterturms. Die Trasseder Neuen Straße ist hier bereits gut sichtbar.Foto Sander, Ulm, 1954. Stadtarchiv Ulm, F 3fb.

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gänzlich neue Straßenfluchten, wie z.B. die NeueStraße, angelegt (Abb. 3 u. 4).Bereits Judith Oexle konnte nachweisen, dass nurungefähr 30% des mittelalterlichen Ulm heutenoch als unversehrte und somit archäologischauswertbare Flächen im Boden erhalten sind: vorallem unter den großen historischen Plätzen, wiedem Marktplatz, dem Judenhof und dem Wein-hof. Da sich Gestalt und Kontur dieser Plätze erstim Verlauf des 13. Jahrhunderts herausbildetenund sie bis zum Zweiten Weltkrieg unbebaut blie-ben, haben sich unter ihrer Oberfläche vor- undfrühstädtische Strukturen erhalten. Die die Plätze

säumenden Hofraiten wurden im Laufe der Jahr-hunderte wieder und wieder bebaut. Da zumin-dest die zur Straße gewandten Grundstückseitenseit dem 13. Jahrhundert zumeist unterkellertwurden, dürften ungestörte archäologischeSchichten wohl nur noch in den Hinterhöfen undzwischen den Gebäuden anzutreffen sein.Zu den archäologischen Restflächen gehören inUlm, so Judith Oexle, die großen neuen Straßen-züge wie beispielsweise die Neue Straße. Dadiese seit 50 Jahren von großen in den Boden ein-greifenden Baumaßnahmen verschont blieb, lie-gen in den ungestörten Bereichen unter ihrer

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3 Ulm. Luftbild von 1987.Blick nach Osten. DerWiederaufbau hat dasGesicht Ulms unwider-ruflich verändert, das alteStraßennetz wurde auf-geweitet bzw. umgelegt.Der Parzellenzuschnittveränderte sich durchGrundstücksumlegungen.Auch die Neue Straßeentstand nach dem Zwei-ten Weltkrieg als über 30 Meter breite Straßen-achse, die längs über ein spätmittelalterlichesStadtquartier planiertwurde.

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Oberfläche nicht nur Befunde aus vorstädtischerund frühmittelalterlicher Zeit, vielmehr sind außerdem in den Fundamenten und Kellerberei-chen der Vorkriegsbebauung die ältesten profa-nen Steinbauten Ulms nachzuweisen. Die archäo-logische Untersuchung dieser modernen Straßen-bereiche ist von größter Bedeutung, da dieForschung aufgrund fehlender, systematischerbaugeschichtlicher Untersuchungen für die früheGeschichte des Ulmer Profanbaus auf die Boden-befunde angewiesen ist; z. B. kann die bauge-schichtliche Lücke von 1200 bis 1350 jetzt beimProjekt „Neue Straße“ durch die archäologischeFeldforschung im Verbund mit der Bauforschunggeschlossen werden.

Siedlungsentwicklung

Das Gebiet der späteren Reichsstadt Ulm hatte invor- und frühgeschichtlicher sowie römischer Zeitkeinerlei zentralörtliche Funktion. Das Lösspla-teau am nördlichen Donauufer war besiedelt,nicht aber der sumpfige Bereich nördlich der spä-teren Altstadt.Für die Merowingerzeit sind auf dem späte-ren Stadtgebiet Ulms mehrere Gräberfelder, Be-stattungsplätze und Siedlungen nachgewiesen(Abb. 5). Das von Hassler ausgegrabene Reihen-

gräberfeld gehört zu den größten Südwest-deutschlands.Für die Karolingerzeit wird im Westen der Stadt,auf dem Weinhofsporn, ein fränkischer Königs-hof vermutet. Die königliche Pfalz wird erstmals854 urkundlich erwähnt und unter den Staufernum 1100 wegen ihrer strategisch günstigen La-ge zum „Vorort“ des Herzogs von Schwaben. Mitinsgesamt 62 Königsaufenthalten vom 9. bis zum12. Jahrhundert gehört Ulm somit zu den amhäufigsten besuchten Pfalzorten. Durch die Gra-bungen „Auf dem Kreuz“ und auf dem „GrünenHof“ konnte erstmals ein dörfliches Gefüge des11./12. Jahrhunderts als Umfeld eines solchenHerrschaftsmittelpunktes, der ohne dieses auchgar nicht lebensfähig gewesen wäre, belegt wer-den.Im Osten bestand aufgrund einer karolingischenStiftung seit Anfang des 9. Jahrhunderts der Rei-chenauer Hof. Im Besitz des Klosters Reichenau be-fanden sich auch die Pfarrrechte der ca.1 km nörd-lich der Pfalz gelegenen Marienkirche „ennet feld“.Zwischen diesen beiden Polen wuchs an der hierdie Donau überquerenden Fernstraße eine sali-sche Marktsiedlung von Händlern und Hand-werkern (suburbium). Dieses Ulm wurde 1134 imsalischen Erbfolgekrieg zwischen Staufern undWelfen zerstört.

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4 Ulm. Historische Bau-substanz im Jahr 1975.Stadtarchiv Ulm.

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Archäologische Fragestellungen

Aus archäologischer Sicht lassen sich für die Gra-bung „Neue Straße“ folgende Fragestellungenformulieren:Von der Pfalz haben sich keine baulichen Resteaußer denjenigen der Heilig-Kreuz-Kapelle erhal-ten, die von Rieber und Reutter zu Beginn der1950er-Jahre freigelegt wurde. Die Frage der In-nenbebauung der Pfalz ist bis heute ungeklärt.Zur Befestigung liegen zwar mehrere Befundevor, doch ist deren Interpretation derzeit nochnicht abschließend möglich.Bei der Grabung auf dem Münsterplatz wurde1988 bis 1991 ein kleiner Ausschnitt der nördli-chen Begrenzung des Pfalzareals angeschnitten,den man als doppelten Spitzgraben des 11./12.Jahrhunderts deutete. Tatsächlich ist unsicher, obdie beiden Gräben gleichzeitig sind oder nichteher eine Mehrphasigkeit der Befestigung wider-spiegeln. Der Umfang der Pfalz, der Verlauf unddie Art ihrer Befestigung sind hingegen noch zuerforschen.Nordöstlich des Pfalzbereichs lag das suburbium,eine Handwerkersiedlung, zu der vermutlich38 Hausgrundrisse auf dem heutigen Münster-platz und vor dem Neuen Bau sowie fünf weitere

Grubenhäuser in der Vestgasse gehörten. Bislangwissen wir nicht, von welcher Zeit an die Pfalz vondieser Siedlung getrennt war. Bis heute ungeklärtsind auch die Ausdehnung und Befestigung die-ses suburbium sowie die Frage nach weiterenSiedlungen im Umfeld der Pfalz, z.B. der von derhistorischen Forschung postulierten Marktsied-lung im Bereich der Neuen Straße.Als erste Umwehrung, die aber bereits das ge-samte, hochmittelalterliche Stadtareal umschloss,wurde an mehreren Stellen ein Graben mit zu-gehörigem Wall erfasst. Im Jahr 1140 begann un-ter Konrad der Wiederaufbau Ulms nach denKriegszerstörungen. Aus der 2. Hälfte des 12.Jahrhunderts stammen die staufische Stadtum-wehrung sowie wohl auch die ersten SteinbautenUlms, das zu dieser Zeit sicher schon Stadtrechtbesaß.Die Grundmauern früher profaner Steinbautenzeigen sich vereinzelt im archäologischen Befund.Archäologisch und archivalisch belegt ist dieNikolauskapelle samt Steinhaus: Um 1220 ent-standen, ist dieses das einzige erhaltene profa-ne Steingebäude der Stauferzeit. ArchäologischeGrabungen lieferten zudem wichtige Aufschlüsseüber die Klöster bzw. Teile der Klosteranlagenund Kirchen (Barfüßer, Prediger), Kapellen (Niko-

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5 Übersicht über diefrühmittelalterliche (rot)und hochmittelalterliche(blau) Siedlungstopo-graphie in Ulm, u ur-kundliche Nennung.

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lauskapelle, Heilig-Kreuz-Kapelle), die Pfarrkirche(ennet feld) sowie die Befestigungsanlagen. Dieältere Befestigung des 11./12. Jahrhunderts wur-de im 12./13. Jahrhundert durch eine größereWall-Graben-Befestigung ersetzt, zu der dannauch gemauerte Türme und Mauerabschnittegehörten (Löwentor, Diebsturm, Luginsland).Im Bereich der Neuen Straße sind umfangreicheBaubefunde der vorstaufischen Siedlung um diePfalz zu erwarten. Zu fragen ist nach der Ge-schichte und Gestalt der Besiedlung des späterenStadtzentrums:Wie wurde die salierzeitliche durch die staufischeBebauung überlagert bzw. umstrukturiert? Wiewar die Stauferstadt parzelliert, und lässt sich an-hand der Bebauung die historische Straßen-führung rekonstruieren?Wie verliefen Entwicklung und Wachstum derstaufischen Stadt? Wann entstanden die bis 1944erhaltenen Straßenzüge? Verlief der alte Han-delsweg geradewegs die Neue Straße entlangdurch ein Osttor oder an der Südwestecke desRathauses vorbei durch die Herdbruckerstraßezur alten Donau-Furt? Wie sah die Begrenzungder Stauferstadt aus? Gab es ein Osttor, Wall undGraben sowie eine Stadtmauer?Welche Sozialstruktur hatte sich im Umfeld desRathauses entwickelt? Wer lebte und arbeitetedort: Patrizier, Handwerker, Kaufleute? Bislangschließen wir aus der späteren Überlieferungzurück und vermuten, dass v.a. die städtischeOberschicht und die Fernkaufleute hier ihreWohnsitze (Steinbauten, Wohntürme) hatten,ohne dass wir die Entwicklung im Einzelnen ken-nen würden.

Eine Urkunde zur Erhebung der Stadt ist nichtüberliefert, die spätere Verleihung des EsslingerStadtrechts im Jahre 1274 bezeichnet Hans Eu-gen Specker als „Verlegenheitslösung“. Bis 1802war Ulm eine Freie Reichsstadt. Im 14. Jahrhun-dert kam es zu einer Erweiterung und Umstruk-turierung der Stadt. Mit dem Bau des Münsters(Grundsteinlegung 1377) verlor das Areal „NeueStraße“ seine zentrale Position im Stadtgefüge.Ein Teil des erhaltenen Baubestands in Ulm gehtin das Spätmittelalter zurück und wirft die Frageauf, inwiefern dabei ältere Strukturen umgebil-det wurden.Zu fragen ist aber auch: Was passierte mit derMarktsiedlung? Wie entwickelte sich das neuestädtische Zentrum (um Münsterplatz, Markt-platz und Neue Straße)? Wie lassen sich Bebau-ung (Steinhäuser), Parzellierung und Wegefüh-rung archäologisch fassen?

Vorbereitende Untersuchungen im Zuge der Planung des „Parkhausesam Rathaus“

Das Grabungsprojekt „Neue Straße“ eröffnethier zahlreiche Möglichkeiten zur Klärung dieserund anderer offenen Fragen. Um den Ablauf ef-fektiv und reibungslos zu gestalten, wurden be-reits im Vorfeld zahlreiche vorbereitende Unter-suchungen durchgeführt.Die Bauakten wurden bereits im Hinblick aufaußergewöhnlich starke Mauern – Belege fürmittelalterliche Steinhäuser – von Judith Oexleund Horst Gottfried Rathke gesichtet, ausgewer-tet und in Plänen kartiert. Ferner konnte auf eineFehlstellenkartierung der „Neuen Straße“ zu-rückgegriffen werden.Als Vorarbeit für die Grabung „Neue Straße“wurde im Jahre 2001 ein detaillierter Plan erstellt,aus dem die exakte Lage der Störungen – Infra-struktur, Leitungen usw. – hervorgeht, um sinn-volle Eingriffsflächen näher eingrenzen zu kön-nen.

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6 West-Ost-Schnitt durchdie Neue Straße. Die Tief-garage beginnt im Westenauf der Höhe des NeuenBaus und endet im Ostenauf der Höhe der Dreifal-tigkeitskirche (nicht mehrauf dem Ausschnitt zu se-hen). Die gefüllten Rautensind die sicheren Höhen-messpunkte, die belegen,dass sich das Straßen-niveau kaum veränderthat. Die offenen Rautenbezeichnen die nicht zerstörten bzw. auf denFundamenten des Vor-gängerbaus wieder auf-gerichteten Gebäude.Planentwurf: A. Bräuning,Umsetzung: Chr. Kleiber,H. Lang, Stand 2002.

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Anhand der vorhandenen Bohrprofile der Kern-bohrungen entlang der Neuen Straße aus den alten Unterlagen der vorbereitenden Untersu-chungen der 90er-Jahre und den Ergebnissen derangrenzenden Grabungen auf dem Münsterplatzund in der Vestgasse konnte die Stratigraphiebestimmt werden. In der Regel ist mit einemSchichtpaket ab Geländeoberkante von 1,5–2,5 m zu rechnen.Um das alte Geländeniveau zu rekonstruieren,wurden gemeinsam mit Christoph Kleiber undHans Lang die Stadtpläne von 1864, 1926,1935/40 sowie der moderne Katasterplan mit-einander abgeglichen. Der ansonsten wichtigeSchlumbergerplan von 1808 erwies sich hierfürals zu ungenau. Ferner wurden sichere Mess-punkte sowie die Schwellen der historischen Ge-bäude, die die Bombardierung überstanden ha-ben bzw. wieder aufgebaut wurden – wie derSalemer Pfleghof, das Ulmer Museum, das Rat-haus, die Alte Bierhalle und der Neue Bau – kar-tiert.Christoph Kleiber, Bauhistoriker und Bauforscher,wurde im Jahre 2001 mit der Archivrecherche aufKosten der Stadt beauftragt. Anhand von Bau-akten, Archivalien, Plänen und Ansichten ver-suchte er, die Baugeschichte des zu untersuchen-den Areals mit seinen ca. 65 Gebäuden von denfrühesten Urkunden bis zur Zerstörung der Häu-ser im Zweiten Weltkrieg nachzuvollziehen sowieanhand der Bauakten einen Kellerkataster zu erstellen. Alle 65 Objekte in der Neuen Straße wurden erfasst, und anhand der im Folgendenaufgeführten Archivalien wurde ein Häuserbuchbzw. die Biographie der einzelnen Gebäude bzw.der Parzellen erstellt, die teilweise bis ins 14. Jahr-hundert zurückreichen. Ein Ziel war die schnel-le Identifizierung der Objekte während der Gra-bung, um sicher in die älteren Schichten vordrin-gen zu können (Abb. 6). A. Bräuning

Archivalische Untersuchungen und Kellerkataster

Bei der Bearbeitung der Archivalien im Rahmender Vorbereitung zur Grabung „Neue Straße“ inUlm musste zunächst das Problem der Identifizie-rung einzelner Gebäude in den Archivalien gelöstwerden. So findet sich z.B. in den Archivalien des19. Jahrhunderts eine Nummerierung der Ge-bäude nach Stadtvierteln, davor findet man le-diglich eine Ortsbezeichnung mit der Nennungder jeweiligen Nachbarn. Zur Lösung dieser Fragestehen die Adressbücher und die älteren Stadt-pläne (Schlumbergerplan von 1808 oder Reduk-tion des Schlumbergerplanes von 1828) zur Ver-fügung, aufgrund derer eine Konkordanz derHausnummern und Straßenbezeichnungen zu-

mindest bis ins beginnende 19. Jahrhundert er-stellt werden kann. Jedoch stimmen auch diefrüheren Gassenbezeichnungen nicht immer mitden heutigen überein. Dies wurde bereits ver-schiedentlich untersucht, sodass hierdurch einegewisse Sicherheit auch in der Identifizierung derGebäude in älteren Quellen erlangt werden kann,sofern dort Gassen- oder Straßennamen genanntwerden. Oftmals wurden nur Gebiete oder da-mals allseits bekannte Gebäude als Nachbar-schaft bezeichnet. Eine Identifizierung der Häusergelingt in Ulm auch durch den möglichen Rück-griff auf die Untersuchungen Karl Schwaigers, indessen Nachlass sich zumindest für die Kauf- undKontraktbücher die Identifizierung aller Gebäudein dem in Frage kommenden Bereich findet.Seine Listen der Verkäufe einzelner Häuser mit je-weiligem Datum ihrer Protokollierung ermögli-chen es, direkt in die Kauf- und Kontraktbücher„einzusteigen“ und nach weiteren Hinweisen bisins 17. Jahrhundert in den jeweiligen Protokoll-texten zu recherchieren.Aufgrund der bei Schwaiger genannten Eigentü-merwechsel und weiterer Ergebnisse aus denKaufbuchtexten ist es möglich, über Namensregis-ter der jeweiligen Protokolljahrgänge der Bau-und Feuergeschworenen-Amtsprotokolle auchdort die einzelnen Gebäude zu lokalisieren undüber die darin besprochenen Bauangelegenheitenweitere Hinweise z.T. bis zurück ins 16. Jahrhun-dert zu bekommen. Über die Steuerbücher, in de-nen die zu Besteuernden nach Straßenzügen ge-nannt werden, gelingt mit etwas Glück auch einSprung ins 15. Jahrhundert oder über einzelne Ur-kunden gar ins 14. Jahrhundert. Die Identifizie-rung einzelner Häuser wird hierbei entsprechend

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7 Sattlergasse 1 (A 142).Blick nach Norden aufdas gotische SteinhausEcke Köpfinger Straße /Sattlergasse mit vermau-erten Biforien in der mitFialen gekrönten Giebel-wand. Stadtarchiv UlmF3fb, Foto aus der Nach-kriegszeit, Albert Barten-schlag, Ulm.

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schwieriger, und über die Steuerbücher könnenaußer den Besitzernamen keine konkreten Datenzur Baugeschichte mehr erhoben werden.Als sehr hilfreich für Datierungsfragen und wei-tere Erkenntnisse bautechnischer Art stellten sichalte Fotos (Abb. 7) aus der Zeit vor und nach derKriegszerstörung heraus, die – im Zusammen-hang mit Kenntnissen aus früheren Bauvorschrif-ten (z.B. in: Rotes Buch der Stadt Ulm) und bis-herigen Datierungen bestimmter stilistischer Merk-male in Ulm – eine Eingrenzung des Baualtersermöglichen: So lässt sich z.B. anhand der Ver-blattung der Fachwerkkonstruktion die Entste-hung eines Gebäudes zeitlich eingrenzen. Auchdas Verbot des Vorkragens (1376–1420, erneuteRegelung 1427) liefert Hinweise auf das Baualter.Als ebenso ergiebig erwies sich die Quellenlagedes 19. Jahrhunderts. Zu nennen wären vor allemdie Bauakten, die in Ulm etwa seit der Mitte des19. Jahrhunderts vorliegen und in den Bauge-suchsplänen wichtige Hinweise nicht nur auf Ver-änderungen im 19. Jahrhundert liefern. Sie ge-ben vielmehr auch darüber Auskunft, was damalsals Bestand in den Gebäuden vorzufinden war.Hier finden sich z.B. in Dachstuhldarstellungenoft Merkmale bestimmter Bauweisen in Ulm, diezeitlich einigermaßen einzugrenzen sind oder zu-mindest einen terminus ante oder post quem er-geben. Aus den Bauakten können die Lage desGebäudes und der Keller entnommen werden.Da es nur selten Angaben zur Tiefe der Keller gabund den Bauakten oft keine Schnitte beilagen,wurde versucht, die Tiefe der Unterkellerungen

anhand der in den Bauakten eingetragenen Trep-penstufen zu rekonstruieren. Dies scheiterte al-lerdings, da sich die Eintragungen in den Bauak-ten als zu schematisch erwiesen. Auch die in denGrabungen erfassten Höhen der Treppenstufenvariieren sehr stark, sodass die Bauakten hieraufkeine Rückschlüsse zuließen.Darüber hinaus dienen die seit dem beginnenden19. Jahrhundert erhaltenen Brandversicherungs-kataster und hierbei insbesondere das Gebäude-schätzungs-Protokoll von 1857 mit seiner detail-lierten Benennung von Räumlichkeiten und Kel-lern(!) als hervorragende Quellen zur Aufnahmedes Bestandes im 19. Jahrhundert.Aufgrund dieser und anderer Quellen (wie z.B. diedie städtischen Gebäude betreffenden Archiva-lien und Ratsprotokolle) sowie allgemeiner Ab-handlungen über die Stadt und ihre Gebäude (an-gefangen bei Felix Fabri im 15. Jahrhundert bis hinzu Dieterich im 19. Jahrhundert) und nicht zuletztder in jüngster Zeit über 50 Jahre währenden im-mensen Aufnahmetätigkeit des ehrenamtlich be-auftragten Denkmalpflegers Hellmut Pflüger lässtsich ein relativ gutes Bild über die Gebäudesitua-tion im Grabungsgebiet erlangen. Chr. Kleiber

Archäologische Untersuchungen

Der Archäologische Stadtkataster von Ulm wirdderzeit überarbeitet und zum Druck vorbereitet.Durch den Archäologen Rainer Schreg wurdendazu die alten Fundstellen überprüft, der Rie-ber‘sche Nachlass bzw. die Unterlagen der ehe-

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8 Ehemaliges GebäudeLange Straße 12. Schnittund Grundriss aus denBauakten von 1895. Bereits 1628 als „Hauszum Thurn genannt“ aufgeführt.a Schnitt. b Kellerplan mit der Einzeichnung derGewölbe. c Erdgeschoss-plan mit gelb angeleg-ter, d.h. abzubrechender sehr starker Wand zumjüngeren seitlichen An-bau. d Erstes Oberge-schoss. Stadtarchiv Ulm,Bauakten von 1895, Baudiarium 164.

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maligen Stadtgeschichtlichen Forschungsstelleim Archiv sowie die damals geborgenen Funde imUlmer Museum erneut gesichtet. Die Ergebnissedieser Recherchen wurden mit den Ergebnissender jüngsten Grabungen zusammengeführt unddamit auch eine Bilanz des aktuellen Forschungs-standes gezogen.Alle diese Untersuchungen mündeten in einemdetaillierten Plan der Neuen Straße (Abb. 6), denChr. Kleiber zusammen mit GrabungstechnikerHans Lang erstellte. In diesem wurden die ausden Bauakten fassbaren Wandstärken der Keller-fundamente (rot) auf der Grundlage des Urplansvon 1864, der ersten württembergischen Katas-teraufnahme (schwarz) und der modernen Be-bauung (Stand 2001, grau) kartiert. Abgeglichenwurde der Plan mit der Bebauung des Schlum-bergerplans von 1808. Keller, die in den Archiva-lien erwähnt wurden, deren Ausmaße aber unbe-kannt sind, erhalten entweder die Signatur Keller(K) (dies gilt auch für geträmte, d.h. mit einerHolzbalkendecke konstruierte Keller) oder Ge-wölbekeller (GK).Die Auswertung der Stadtpläne, der Grabungser-gebnisse und der Bohrprofile ergab, dass dasheutige Straßenniveau dem der Vorkriegszeitentspricht. Die gefüllten Rauten bezeichnen diesicheren Messpunkte, die offenen Rauten histori-sche Gebäude – wie das Rathaus, den SalemerPfleghof, die Alte Bierhalle, den Neuen Bau, dasUlmer Museum, die wieder aufgebaute Apo-theke, die auf dem Keller des Vorgängerbaus er-richtet wurde etc.

Erste Ergebnisse der Archivrecherche

Als erste Ergebnisse konnten nicht unterkellerteFlächen, sichere Datierungen einiger Gebäude,Hinweise auf eine mögliche Stadtmauer sowieHinweise auf Wohntürme ermittelt werden. Letz-tere gehen über die Ergebnisse von Judith Oexleund Horst Gottfried Rathke hinaus, die die Mau-erstärken der Kellerwände anhand der Bauaktenkartierten.Exemplarisch möchten wir einige Objekte, die wiraufgrund der archivalischen und archäologischenRecherche besser bestimmen können, näher aus-führen.

Lange Straße 12, A 259 (Schlumberger-plan) Abb. 8

Bei dem Gebäude Lange Straße 12 (A 259) han-delte es sich um ein viergeschossiges Eckgebäude(Marktplatz/Lange Straße) mit Satteldach. ZumMarktplatz war es traufständig, zur Lange Straßegiebelständig ausgerichtet.Im Hauptgebäude befanden sich 1857 laut Ge-bäudeschätzungsprotokoll zwei gewölbte Keller.Die seit 1848 in den Bauakten erhaltenen Um-baupläne zeigen im 19. Jahrhundert durchwegsehr starke Erdgeschossmauern. Die starkenAußenmauern im Süden und Osten können bisins 4. Geschoss verfolgt werden. Die Mauerstär-ken schwanken zwischen 1 m und 1,50 m. In die-sem Zusammenhang ist die bereits in den Kauf-und Kontraktbüchern zum Jahr 1628 auftau-

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10 Ehemalige Sattler-gasse 2. Blick nach Norden auf den Spitz-graben. Stadtarchiv Ulm.

11 Im Bereich des Grü-nen Hofs wurde 1943 beider Anlage eines Lösch-wasserbehälters vor derDreifaltigkeitskirche einBrückenbogen freigelegt.Stadtarchiv Ulm.

chende Bezeichnung des Hauses als „zum Thurngenannt“ interessant. Die beiden besagten star-ken Mauern legen mit der Bezeichnung als Turmden Schluss nahe, dass es sich um einen ehema-ligen Wohnturm oder zumindest um ein turmar-tiges Gebäude handelte, das später mit zweiFachwerkaußenwänden (wohl ab dem 1. Ober-geschoss) zum Markt und zur Langen Straße hinversehen wurde. 1848 fanden starke Verände-rungen im Bereich der Fassaden zum Markt bzw.zur Langen Straße statt, um dem ganzen Haus ein„geschmackvolleres Aussehen“ zu geben.

Lange Straße, A 344–345 (Schlumberger-plan), Gräth (1389 bis 1857, durch Brandzerstört) und die Hauptwache, Abb. 9

Die Gräth oder das Waaghaus, die zentrale Han-delsstation Ulms, bestand aus zwei Gebäuden,die einen Hof flankierten. Seit den 80er-Jahrendes 14. Jahrhunderts stand hier wohl schon einSalzstadel, der an Stelle einiger abgebrochenerHäuser dort eingerichtet wurde. In den Archiva-lien wird zum Jahr 1391 ein Vertrag erwähnt,„das die Statt Ulm Peter Rothen hauß, hofreithinund baumgartt und andere häuser und gesäß,wider deß von Württemb. Willen abgebrochenund Ihren Salzstadel darauff gesetzt“ haben. ImJahr 1460 schloss der Rat der Stadt Ulm mit Die-trich Müller von Giengen einen Vertrag zur Er-richtung eines Gebäudes und Ausstattung des-selben mit Stuben und Kammern (Repertorium 5,Bd. 2). Am 28. Dezember 1853 wurden die Gräthund die beiden direkt westlich angrenzenden Ge-bäude (A 158 und A184) durch Brand vernichtet.An Stelle der beiden zerstörten Wohnhäuserwurde bald darauf die Hauptwache errichtet, die1857 schon in den Adressbüchern der Stadt Ulmgenannt wird. Der Platz der Gräth blieb zunächstunbebaut. Erst 1899 wurde hier nach Auskunftder Bauakten ein Musikpavillon errichtet.

Ein kleiner Keller unter der Gräth ist aufgrund desEintrags einer Kellerstiege in einem Grundrissplanim Stadtarchiv Ulm sehr wahrscheinlich. Er fandjedoch in einer Beschreibung Dieterichs aus dembeginnenden 19. Jahrhundert keine Erwähnung.Auch der Umstand, dass es sich bei der darge-stellten Treppe um einen relativ schmalen Ab-gang handelte, spricht eher gegen eine Nutzungzur Warenlagerung. So besteht die Möglichkeit,dass man auf dem Gelände der ehemaligenGräth auf ältere Strukturen stößt, die zumindestnicht durch jüngere Kellereinbauten beeinträch-tigt wurden.

Archäologischer Stadtkataster

Eines der wichtigsten Ergebnisse der von RainerSchreg vorgenommenen Durchsicht der zahlrei-chen baubegleitenden Beobachtungen der ehe-maligen Stadtgeschichtlichen Forschungsstellestellt die Lokalisierung einiger früherer, bisher un-beachteter Erkenntnisse zur Befestigung der Pfalzdar. Die östliche Begrenzung der Pfalz wird dem-nach in der Höhe der Ostseite der heutigen Moh-

9 Erdgeschoss der Gräthmit Raumaufteilung undLage der Kellerstiege im Südosten. StadtarchivUlm, Sign. F1 Bauzeich-nungen K 18 L 6 M Gräth.

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13 Ulm, „Parkhaus am Rathaus“, Grabungs-und Bauablauf. Planvor-lage: Büro Scherr undKlimke, Ulm.

12 Ulm, Blick nach Nord-osten auf die Neue Stra-ße. Übersicht über dasTestfeld und die nördlichestraßenseitige Bebauung.Foto: Stadtarchiv Ulm.

renapotheke zu Tage treten. In einer Baugrubedes Grundstücks Neue Straße 65 wurde 1955 aufder Sohle der Baugrube die von Süden nachNordnordwest gebogene Verfärbung eines Gra-bens erfasst, der im Schnitt eine ebene Sohle,etwa 3,5 m unter Geländeoberkante zeigte.Mangels Funden ist er nicht näher datierbar, gehtaber der spätmittelalterlichen Parzellenstruktursicher voraus. Südlich des Grabungsareals hatteRieber 1958 in der Baugrubenwand des Grund-stücks Sattlergasse 2 das Profil eines Nord-Süd-verlaufenden Spitzgrabens fotografiert (Abb. 10).Vermutlich sind sowohl der Spitz- wie der Sohl-graben als Teil der Pfalzbefestigung zu verstehen,zumal ähnliche Spitz- und Sohlgräben auch ananderen Stellen an Münsterplatz und Weinhof er-fasst worden sind. Der Befund müsste sich in der

Grabung „Neue Straße“ erneut fassen lassen, so-dass Alter und Funktion wahrscheinlich geklärtwerden können und vielleicht auch eine Aussageüber das gegenseitige Verhältnis der beiden Grä-ben möglich sein wird.Ganz am östlichen Ende der neuen Grabung istmit Befunden der hochmittelalterlichen Stadtbe-festigung zu rechnen. Bei der Anlage eines Lösch-wasserbehälters südöstlich der Frauenstraße 2wurde 1943 ein Wallgraben mit einem Brücken-ansatz freigelegt (Abb. 11).Darüber hinaus werfen einige frühalamannischeund merowingerzeitlichen Funde der 1999er-Grabungen am Grünen Hof die Frage nach derLage einer Siedlung dieser Zeitstellung auf. Auchdarauf wird auf der Trasse der Neuen Straße zuachten sein.

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Startschuss zu den Ausgrabungen

Um all die skizzierten offenen Fragen zur frühenund mittelalterlichen Stadtentwicklung zu klären,wurde am 5. November 2001 mit einem erstenTeam die Grabung „Neue Straße“ begonnen,zwei weitere Teams nahmen am 4. März 2002 dieArbeit auf. In jedem Team arbeiten 20–25 Per-sonen. Die drei Teams arbeiten parallel in Teil-stücken in der Größe von ca. 1000 m2, für die je-weils sechs Monate Grabungszeit vorgesehensind. Insgesamt wurde die Neue Straße in zwölfsolcher Teilflächen eingeteilt. Ein Schwerpunktwird in der Öffentlichkeitsarbeit liegen. Am 28.Januar 2002 wurde auch mit den Tiefbauarbeitenbegonnen, fortan müssen Grabungen, Bauarbei-ten und Verkehrsführung eng miteinander ver-zahnt und abgewickelt werden (Abb. 12 u. 13).Das Landesdenkmalamt nützt die einmaligeChance – anhand eines Ost-West-Querschnittsdurch die mittelalterliche Stadt – die Entwick-lungsphasen der mittelalterlichen Stadt zu erfor-schen. Wir danken allen Beteiligten, vor allemdem Arbeitsamt Ulm, vertreten durch Herrn Di-rektor Johannes Rettig, der Stadt Ulm, Herrn Bau-bürgermeister Alexander Wetzig sowie dem Lei-ter des Stadtarchivs Ulm, Herrn Prof. Dr. Hans Eu-gen Specker, für ihre Unterstützung.

A. Bräuning / Chr. Kleiber

Literaturhinweise:

A. Bräuning, Um Ulm herum. Untersuchungen zumittelalterlichen Befestigungsanlagen in Ulm. For-schungen und Berichte der Archäologie des Mittelal-ters in Baden-Württemberg 23, Stuttgart 1998.A. Bräuning/U. Schmidt /R. Schreg, ArchäologischerStadtkataster Ulm. Neuauflage in Vorbereitung(Stuttgart 2002).Ch. Kleiber, Die Neue Straße in Ulm. Eine Archiv-recherche im Auftrag der Stadt Ulm. Unveröffent-lichtes Manuskript (Ulm 2002).J. Oexle, Ulm, in: Stadtluft, Hirsebrei und Bettel-mönch. Die Stadt um 1300. Herausgegeben vomLandesdenkmalamt Baden-Württemberg und derStadt Zürich, Stuttgart 1993, S. 165–181.

Dr. Andrea BräuningLDA · Archäologische DenkmalpflegeSilberburgstraße 19370178 Stuttgart

Christoph Kleiber M. A.Bauforschung und BauaufnahmeAuf der Insel 189073 Ulm

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Erfassung jüdischer Friedhöfe in Baden-WürttembergZweiter Projektbericht

Aufgrund eines Beschlusses durch den baden-württembergischen Landtag besteht seit 1990 am Landesdenkmalamt ein Projekt zur Dokumentation undzum Erhalt der jüdischen Friedhöfe in Baden-Württemberg. Sein Abschluss ist für den Sommer 2004 geplant. Da im Jahrgang 1996, S. 231ff. dieser Zeit-schrift bereits ein ausführlicher Artikel über dieses Vorhaben erschien, derauch auf Geschichte und Struktur der jüdischen Friedhöfe des Landes einging,soll in diesem Beitrag vornehmlich auf den derzeitigen Bearbeitungsstand und die Perspektiven eingegangen werden.

Martina Strehlen

Der Stand der Arbeiten

Im September 1999, dem Beginn unserer Ar-beitsphase, waren sämtliche jüdische Friedhöfebis auf einen in Württemberg erfasst oder wur-den bearbeitet. In Baden stand die Bearbeitungvon nur sieben Friedhöfen noch aus, zu denenallerdings mit Mannheim (rund 4750 Grabsteine)und Waibstadt (2556 Grabsteine) die größtenFriedhöfe des Landes gehören. Da die jeweiligeKommune den Auftrag vergeben und einen ge-ringen Teil der Kosten tragen muss, trat das Lan-desdenkmalamt im Frühjahr 2000 nochmals andie betreffenden Städte und Gemeinden heran,um sie zur Beteiligung an der Dokumentation zubewegen. Erfreulicherweise erklärten fast alleGemeinden ihre Bereitschaft dazu. Einheitlichwerden in allen Fällen Grunddokumentationenmit beispielhaften Übersetzungen der kulturhis-torisch wertvollen Grabsteine angefertigt.

Der Bearbeitungsstand zum Jahres-beginn 2002

Die Grabsteinzahlen richten sich nach den derzeitbekannten Aufstellungen bzw. den Angaben derBearbeiter. Aus diesem Grund kommt es zu Ab-weichungen von früheren Aufstellungen und sindauch in Zukunft weitere Änderungen möglich.Insgesamt gibt es in Baden 91 jüdische Friedhöfemit ca. 37 209 Steinen und in Württemberg 54jüdische Friedhöfe mit ca. 18 425 Steinen. In Ba-den ist die Bearbeitung von 83 Friedhöfen mit23 511 Grabsteinen abgeschlossen; in Württem-berg sind 52 Friedhöfe mit 17 734 Steinen bereitsbearbeitet.In Bearbeitung befinden sich zurzeit sieben badi-

sche Friedhöfe mit 12 398 Steinen und ein würt-tembergischer Friedhof mit 420 Steinen. Das Landesdenkmalamt leistet selbst die Erfassungder Friedhöfe in Lauda-Königshofen-Unterbal-bach (Main-Tauber-Kreis) und Waibstadt (Rhein-Neckar-Kreis).Im Auftrag und mit Beitrag der Kommunen wer-den die Friedhöfe in Karlsruhe, Kuppenheim(Kreis Rastatt), Mannheim, Rottenburg-Baisingen(Kreis Tübingen) und Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis) dokumentiert. Ein Bearbeiter erfasst derzeitden Friedhof in Ravenstein-Merchingen (Neckar-Odenwald-Kreis) in Eigeninitiative.Damit bleiben zwei Friedhöfe undokumentiert.Einvernehmlich haben die Israelitische Religions-gemeinschaft Württemberg und das Landes-denkmalamt beschlossen, den 1937 gegründe-

1 Hier ist geborgen eine würdige2 Frau, Frau Juta, Tochter des3 Herrn Jechi’el, die begraben wurde am 1[8?].4 Elul, am Montag 188 nach de Zählung5 des sechsten Jahrtausend. Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens6 im Garten Eden, Amen, sela.

1 Wertheim, GrabsteinNr. 424 (links).Übersetzung Emily Link.

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2 Bruchsal-Obergrom-bach: Geschändete Grab-steine. Während der na-tionalsozialistischen Herr-schaft kam es auf fast allen jüdischen Friedhö-fen zu Schändungen und Zerstörungen. Die altenGrabsteine des Obergrom-bacher Friedhofs wurdenzerschlagen und als Rand-befestigung mehrererFeldwege missbraucht.

3 Bruchsal-Obergrom-bach. Nach dem Abtragendes Bewuchses sind dieRückseiten der Grabsteinezu sehen.

4 Bruchsal-Obergrombach. Nach dem Auslösen der Grabsteine bleiben teilweise die Abdrücke der Inschriften im Erdreich erhalten (vgl. Abb. 5).

5 Bruchsal-Obergrombach. Das dazugehörige Grab-stein-Fragment (Abb. 4), das einer gebildeten undwohltätigen Frau namens Mirjam gewidmet ist. Nur die ersten Zeilen der kunstvoll angelegten In-schrift sind erhalten. Der Text enthält Anspielungenauf Bibelzitate, einen Endreim, und ein Akrostichon:Die jeweils ersten Buchstaben der Zeilen (rechterRand) ergeben von oben nach unten gelesen, denNamen „Mirjam“. Der untere Teil des Grabsteinskonnte nicht mehr identifiziert werden, sodassweder der Name von Vater und/oder Gatte nochdas Todesjahr bekannt sind.

6 Bruchsal-Obergrombach. Ein Teil der Fragmen-te, die nach dem Herauslösen aus den Feldweg-rändern zunächst auf einem Feld abgelegt wur-den. Weil der weitaus größte Teil der Grabsteinestark zerstört war und eine Erhaltung unmöglich machte, musste eine Auswahl der zu erhaltenden Grabsteine getroffen werden. Diese Auswahl geschah durch den Oberrat der Israeliten Badensund das Landesdenkmalamt. Insgesamt 87 Frag-mente wurden schließlich konserviert. Sie sollen auf einem von der Stadt Bruchsal zu diesem Zweck neu angekauften, nun zum alten Friedhof gehö-renden Geländestück wieder aufgestellt werden.Die restlichen Fragmente wurden bereits dort be-graben.

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7 Lauda-Königshofen-Unterbalbach, Luftbild desFriedhofes. Deutlich zu unterscheiden sind mehrereGräberfelder. Im linken, baumbestandenen Bereichstehen die ältesten Grabsteine (bis 19. Jh.). Nebeneinzeln stehenden Steinen sind kleine Gruppenoder Reihen zu erkennen. Häufig liegen Familien-mitglieder nahe beieinander; es gibt jedoch keinegemeinsamen Grabsteine von Eheleuten. Als Ma-terial verwendete man heimische Sandsteinarten. Der mittlere Bereich ist eines der neuen Gräber-felder (belegt von 1881 bis 1936). Hier erkenntman schnurgerade Grabreihen: Ursprünglich warendie Gräber mit Einfassungen versehen. Neben Sand-stein ging man zunehmend zu Hartsteinen (Granit,Kunststein) über. Ganz rechts befindet sich derneueste Teil des Friedhofs (1927–1938), auf demfast ausschließlich Granit und andere Hartsteine zu finden sind.

8 Lauda-Königshofen-Unterbalbach. Bei Be-trachtung der älterenGrabsteine fällt derenschlechter Erhaltungs-zustand ins Auge. Der Sandstein verwittertzunehmend, sodasszahlreiche Inschriften bereits nicht mehr zu ent-ziffern sind. Hier liegendie größten Schwierig-keiten der Dokumenta-tionsarbeiten.

ten Friedhof in Stuttgart-Steinhaldenfeld (ca. 271Grabsteine) nicht zu erfassen, weil sich auf ihmhauptsächlich Gräber aus den Jahren nach 1945befinden. In Bruchsal-Obergrombach (Kreis Karls-ruhe) konnte trotz der Zusage der Stadt Bruchsal,sich zu beteiligen, mit der Erfassung noch nichtbegonnen werden. Der Grund hierfür ist die Zer-störung des Friedhofs während der nationalsozia-listischen Herrschaft: Die alten Grabsteine wur-den zerschlagen und zur Befestigung von Feldwe-gen missbraucht. Nur 510 von ursprünglich weitüber 1000 Grabsteinen blieben auf dem Friedhof.In den vergangenen Jahrzehnten bemühte sichdie Stadt Bruchsal in Zusammenarbeit mit demOberrat der Israeliten Badens und dem Landes-denkmalamt um einen würdigen Umgang mitden Fragmenten. Alle wieder entdeckten Steinewurden aus den Wegen entfernt. Die Stadt kauf-te ein an den Friedhof grenzendes neues Gelän-destück an, auf dem stark zerstörte Fragmenteoder Bruchstücke ohne Inschriftspuren begraben

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9 Lauda-Königshofen-Unterbalbach, GrabsteinNr. 125: Beispiel für dieDokumentation. LeopoldBerlizheimer, Formblatt u. Übersetzung: M. Streh-len. Foto: Zentralarchiv zur Erforschung der Ge-schichte der Juden inDeutschland, Heidelberg.

werden konnten, ohne bestehende Gräber zuverletzen. Die größeren Fragmente wurden teil-weise auf dem Gelände ausgelegt, andere in eineGedenkmauer integriert. In Kürze sollen die letz-ten verbliebenen Grabsteine auf den Friedhofzurücküberführt werden. Noch für dieses Jahr istder Beginn der Dokumentation geplant.

Der Friedhof in Lauda-Königshofen-Unterbalbach (Main-Tauber-Kreis)

Um einen Eindruck in die Dokumentationsarbeitinnerhalb des Projektes zu bekommen, soll bei-spielhaft der jüdische Friedhof in Lauda-Königs-hofen-Unterbalbach vorgestellt werden, dessenDokumentation durch das Landesdenkmalamtselbst geleistet wurde und kurz vor dem Ab-schluss steht.Der Friedhof wurde gegen Mitte des 16. Jahr-hunderts auf dem Gebiet des Deutschen Ordensgegründet. Er war ein so genannter „Verbands-friedhof“, ein gemeinsamer Friedhof für alle jüdi-schen Gemeinden des Taubertals, nicht nur fürdie auf Deutschordensgebiet. Zeitweise bestatte-ten auf ihm mehr als 20 Gemeinden. Mit heutenoch 1358 erhaltenen Grabsteinen ist er einerder größten und ältesten Friedhöfe Baden-Würt-tembergs; der älteste noch lesbare Grabsteinstammt aus dem Jahr 1603. Während der NS-Zeitblieb der Friedhof relativ unbehelligt. Die letzte

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Lauda-Königshofen-Unterbalbach, Grabstein Nr. 125: Formblatt.

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Beerdigung vor der Deportation der verbliebenenGemeindemitglieder fand im März 1938 statt. Esgibt mehrere Gedenksteine für Personen, die inder Emigration gestorben sind, und einige für in den Konzentrationslagern Ermordete. Eine jü-dische Gemeinde wurde im Taubertal nach dem2. Weltkrieg nicht mehr gegründet.Auf allen jüdischen Friedhöfen Deutschlands warbis ins 19. Jahrhundert Hebräisch die einzige Spra-che auf den Grabsteinen; so auch in Unterbal-bach. Während auf anderen Friedhöfen bereits zuBeginn des 19. Jahrhunderts erste deutsche Texteauftauchen, die den Namen und das Todesdatumenthalten, findet sich in Unterbalbach erst 1832der erste deutsche Zusatz, der zweite folgt 1846.Das ist eine auffallend späte und zögerliche Ent-wicklung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts neh-men die deutschsprachigen Texte zu. Doch gibtes auch im 20. Jahrhundert immer noch auffälligviele Grabsteine mit traditionellen hebräischenInschriften: ein Hinweis auf die konservative reli-giöse Einstellung der Juden des Taubertals. Dochauch „allgemeine“ Bildung spiegelt sich auf denGrabsteinen. So wird der 1916 verstorbene IsakHirsch in seiner hebräischen Grabsteininschriftmit Bibelzitaten als ein treu sorgender Familien-vater, Wohltäter und beliebter Mitmensch ge-würdigt. Auf der Steinrückseite findet sich als(deutschsprachiges) Lebensmotto ein Goethe-Zi-tat: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“.Familienzeichen sind eine weitere beachtens-werte Besonderheit des Friedhofs. Auf den Grab-steinen von Angehörigen der Familien Hirsch undAdler werden diese Tiere dargestellt. Ein einzel-ner Baum findet sich auf zahlreichen Grabsteinenvon Mitgliedern einer auch überregional bedeu-tenden Familie, die vom Begründer der Mergent-heimer jüdischen Gemeinde abstammt. Unter ih-ren Nachkommen finden sich Rabbiner, Landes-vorsteher und Hoffaktoren. Der bekannteste un-ter ihnen war vermutlich der hoch geachtete Hof-agent Kurkölns und des Deutschordens, BaruchSimon, der Großvater von Ludwig Börne. Er starbhochbetagt im Jahr 1802 in Mergentheim undwurde in Unterbalbach begraben. Die Herkunftdes Baumes als Familienzeichen ist ungeklärt,denn weder nannte sich die Familie „Baum“ nochtrugen ihre Mitglieder jemals einen einheitlichenFamiliennamen. Handelte es sich ursprünglich umein Hauszeichen, das später in Vergessenheit ge-riet? Interessant sind auch die unterschiedlicheDarstellung des Zeichens auf den Männer- undFrauengrabsteinen sowie dessen zeitliche Ent-wicklung, worauf hier jedoch nicht weiter einge-gangen werden kann.

Der Vater einer weiteren berühmten Persönlich-keit war Leopold Berlizheimer (1799–1865), einLehrer und Vorsänger in Massenbachhausen undMarkelsheim. Neue Forschungen ergaben, dasssein jüngster Sohn David 1870 in die USA emi-grierte und unter seinem neu angenommenenNamen Maximilian Delphinus Berlitz als Gründerder Berlitz-Sprachschule berühmt wurde (freund-liche Mitteilung von Frau Emily C. Rose).

Überlegungen zum Umgang mit den Ergebnissen

Das Ziel des Projektes besteht darin, die wichtigs-ten Informationen der Grabsteine durch das Er-stellen einheitlicher Formblätter und die Auswahlkulturhistorisch wertvoller Grabsteine zu sam-meln. Die Ergebnisse werden in eine Datenbankeingegeben und damit abrufbar gemacht. Vorallem die hebräischen Aussagen der Grabsteinesind erst dadurch allgemein zugänglich und ihreInhalte bleiben für die Nachwelt erhalten.Am Ende dieses Projektes werden in Baden-Würt-temberg als erstem deutschen Bundesland allehistorischen Grabsteine erfasst und dokumentiertsein. Für kulturhistorisch besonders bedeutendeSteine werden Übersetzungen vorliegen. Bei einerReihe von Friedhöfen konnten zusätzlich durchArchivarbeiten auch Angaben für Grabstätten er-mittelt werden, deren Grabstein verwittert oderverloren ist.Das große Interesse, das unser Projekt erregt, be-stätigt uns in unseren Bemühungen. Häufig errei-chen uns Anfragen von Forschern und insbeson-dere von Nachkommen aus dem In- und Ausland.Was nach Abschluss des Projektes mit dem Mate-rial geschieht, wird noch geklärt. Wichtig wäre es,die Dokumentation über die Weitergabe an die Is-raelitischen Religionsgemeinschaften und das Zen-tralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Ju-den in Deutschland (Heidelberg) hinaus für die in-teressierte Öffentlichkeit zugänglich zu machen.Eine Möglichkeit, die häufig in Anfragen ange-sprochen und zurzeit diskutiert wird, wäre, die Er-gebnisse über das Internet abrufbar zu machen.

Literatur:

S. Michal Antmann u. Monika Preuß: Das Projekt zur Erfassung jüdischer Grabsteine in Baden-Würt-temberg, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg.Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes 25, 4,1996, S. 231–243 (mit weiterer Literatur).

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Badischer Landesteil (91 Friedhöfe)Adelsheim-Sennfeld (MOS)Ahorn-Eubigheim (TBB)Angelbachtal-Eichtersheim (HD)Angelbachtal-Michelfeld (HD)Bad Rappenau (HN)Bad Rappenau-Heinsheim (HN)Bad Schönborn-Mingolsheim (KA)Baden-Baden (BAD)Binau (MOS)Breisach, alter Friedhof (FR)Breisach, neuer Friedhof (FR)Bretten (KA)Bruchsal (KA)* Bruchsal-Obergrombach (KA)Buchen-Bödigheim (MOS)Bühl (RA)Durbach (OG)Eberbach (HD)Efringen-Kirchen (LÖ)Eichstetten (FR)Emmendingen, alter Friedhof (EM)Emmendingen, neuer Friedhof (EM)Eppingen (HN)Freiburg (FR)Gailingen (KN)Gottmadingen-Randegg (KN)Hardheim (MOS)Heidelberg, Bergfriedhof (HD)Heidelberg, Klingenteich (HD)Hemsbach (HD)Hockenheim (HD)Hohberg-Diersburg (OG)Ihringen (FR)Ilvesheim (HD)Ittlingen (HN)Karlsruhe, Kriegsstraße (KA)* Karlsruhe, liberaler Friedhof (KA)Karlsruhe, orthodoxer Friedhof (KA)Karlsruhe-Grötzingen (KA)Kehl (OG)Kippenheim-Schmieheim (OG)Kirchhardt-Berwangen (HN)Königheim (TBB)Königheim-Gissigheim (TBB)Königsbach-Stein-Königsbach (PF)Konstanz, alter Friedhof (KN)Konstanz, neuerer Friedhof (KN)Konstanz, neuester Friedhof (KN)Kraichtal-Neuenbürg (KA)Kraichtal-Oberöwisheim (KA)Krautheim (KÜN)Külsheim (TBB)* Kuppenheim (RA)

Ladenburg (HD)* Lauda-Königshofen-Unterbalbach (TBB)Lörrach, alter Friedhof (LÖ)Lörrach, neuer Friedhof (LÖ)* Mannheim, Hauptfriedhof (MA)Mannheim-Feudenheim, Scheffelstraße (MA)Mannheim-Feudenheim, Talstraße (MA)Meckesheim (HD)Mosbach (MOS)Müllheim (FR)Neudenau (HN)Neuenstadt-Stein am Kocher (HN)Nordrach (OG)Oberderdingen-Flehingen (KA)Offenburg (OG)Öhningen-Wangen (KN)Pforzheim, alter Friedhof (PF)Pforzheim, Stadtfriedhof (PF)Philippsburg-Huttenheim (KA)Rastatt (RA)* Ravenstein-Merchingen (MOS)Rheinau-Freistett (OG)Rielasingen-Worblingen (KN)Schriesheim (HD)Schwanau-Nonnenweier (OG)Schwetzingen (HD)Sinsheim (HD)Sulzburg (FR)Tauberbischofsheim (TBB)Tauberbischofsheim-Hochhausen (TBB)* Waibstadt (HD)Waldshut-Tiengen (WT)Walldorf (HD)Walzbachtal-Jöhlingen (KA)Weingarten (KA)Werbach-Wenkheim (TBB)Wertheim (TBB)* Wiesloch (HD)

Württembergischer Landesteil (54 Friedhöfe)Bad Buchau (BC)Bad Friedrichshall-Kochendorf (HN)Bad Wimpfen (HN)Bopfingen-Aufhausen (AA)Bopfingen-Oberdorf (AA)Braunsbach (SHA)Crailsheim (SHA)Creglingen (TBB)Dörzbach-Hohebach (KÜN)Dörzbach-Laibach (KÜN)Ellwangen (AA)Esslingen, alter Friedhof (ES)Esslingen, neuer Friedhof (ES)Freudental (LB)

Gerabronn-Dünsbach (SHA)Göppingen (GP)Göppingen-Jebenhausen (GP)Haigerloch (BL)Haigerloch-Weildorf (BL)Haiterbach-Unterschwandorf (CW)Hechingen (BL)Heilbronn (HN)Heilbronn-Sontheim (HN)Horb (FDS)Horb-Dettensee (FDS)Horb-Mühlen (FDS)Horb-Mühringen (FDS)Horb-Nordstetten (FDS)Horb-Rexingen (FDS)Kusterdingen-Wankheim (TÜ)Laupheim (BC)Leingarten-Schluchtern (HN)Ludwigsburg, alter Friedhof (LB)Ludwigsburg, neuer Friedhof (LB)Münsingen-Buttenhausen (RT)Neckarsulm (HN)Niederstetten (TBB)Obersulm-Affaltrach (HN)Oedheim (HN)Öhringen (KÜN)Remseck-Hochberg (LB)Riesbürg-Pflaumloch (AA)* Rottenburg-Baisingen (TÜ)Rottweil (RW)Schöntal-Berlichingen (KÜN)Schwäbisch-Hall-Steinbach (SHA)Stuttgart, Hoppenlaufriedhof (S)Stuttgart, Pragfriedhof (S)**Stuttgart, Steinhaldenfeld (S)Stuttgart, Bad Cannstadt (S)Ulm, alter Friedhof (UL)Ulm, neuer Friedhof (UL)Wallhausen-Michelbach (SHA)Weikersheim (TBB)

Erläuterungen zur Friedhofsliste:zum Stand der Bearbeitungen:ohne Sternchen = Bearbeitung abgeschlossen* = in Bearbeitung** = nicht bearbeitet.

Martina Strehlen M.A.LDA · Inventarisation und DokumentationMörikestraße 1270178 Stuttgart

Anhang: Jüdische Friedhöfe in Baden-Württemberg

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Hintergrund des Antrages

Rund 100 Jahre ist es her, dass die Reste des rö-mischen Limes erstmals systematisch aufgenom-men wurden. Die Reichs-Limeskommission, ge-gründet durch die damaligen Anrainerstaaten,erforschte und dokumentierte den Verlauf derGrenze in einer über 10 Jahre währenden Tätig-keit mit einer großen Zahl an Wissenschaftlern,den sog. Streckenkommissaren. Dabei konntensie im Gründungsjahr 1892 schon auf Vorarbei-ten früherer Kollegen zurückgreifen, die aus pri-vatem oder staatlich gefördertem Interesse denrömischen Resten nachspürten. Das Projekt mün-

dete bekanntermaßen in einem 105 Einzelbändeumfassenden Werk, dem „Obergermanisch-Rae-tischen Limes des Römerreichs“, in dem der Ver-lauf der Strecke und die einzelnen Kastellplätzebeschrieben wurden. 1996 wurde in der Kultus-ministerkonferenz auf Betreiben Hessens hin derBeschluss gefasst, den Limes bei der UNESCO fürdie Liste der Welterbestätten im Jahre 2003 an-zumelden. Eine Voraussetzung für diesen Antragist eine aktuelle Zustandsbeschreibung des Denk-mals, sodass seit dem Sommer 2000 in den be-teiligten Bundesländern Rheinland-Pfalz, Hessen,Baden-Württemberg und Bayern eine Aufnahmeder erhaltenen Reste durchgeführt wird.

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1 Entwicklung der römi-schen Reichsgrenze imsüddeutschen Raum.Gelb: bis zur Mitte des 1. Jh. n. Chr. Blau: bis ge-gen Ende des 1. Jh. Rot: seit Ende 1. Jh. bis zur Mitte des 2. Jh. undendgültiger Limesverlauf seit der Mitte des 2. Jh.bis zur Mitte des 3. Jh.(schwarze Linie). Dieseletzte Ausbauphase desLimes zwischen Rheinund Donau ist Gegen-stand des Antrags an dieUNESCO.

„... öfters über Berg und Thal, durch Wal-dungen, Sümpfe und Einöden fortgeführt ...”Der Limes – zukünftiges Weltkulturerbe?

Auf Beschluss der Kultusministerkonferenz soll der römische Limes zwischenRhein und Donau, eindrucksvolles Zeugnis antiker Grenzpolitik im Nordwestendes römischen Reiches, bei der UNESCO für die Liste der Welterbestättenangemeldet werden. Zurzeit erfolgt für diesen Antrag die Zustandserhebungdes Denkmals im Gelände. Positives wie Negatives ist über die Erhaltung dieses Bodendenkmals zu berichten.

Thomas Becker

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Der Limes im Gelände

Mit einer Gesamtlänge von 550 km zieht die rö-mische Grenze von Rheinbrohl am Rhein bis zurDonau bei Hienheim durch die verschiedenstenLandschaften der deutschen Mittelgebirgszone.Schon Christian Ernst Hanßelmann beschrieb inder 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts mit seinem hierim Titel übernommenen Zitat sehr eindrücklichden Verlauf des Limes, der keinerlei Rücksicht-nahme auf die Geländegegebenheiten zeigt. Ba-den-Württemberg hat mit einem Abschnitt von164 km den größten Anteil an der Gesamtstreckedes Limes. Er beginnt an der bayerisch-baden-württembergischen Grenze nördlich von Wall-dürn und läuft von dort durch den östlichen Randdes Odenwaldes, durch die Kocher-Jagst- und dieHohenloher Ebene und den Schwäbisch-Fränki-schen Wald bis nach Lorch im Remstal. Dort än-dert sich die Laufrichtung von Nord-Süd in West-Ost und die Grenzlinie folgt dem Remstal bis kurzvor Aalen, wo sie dann in einem weiten Bogendie Ostalb quert und bei Stödtlen wiederum diebayerische Grenze erreicht.Von der Gesamtlänge 164 km sind annähernd dieHälfte heute noch im Gelände erfahrbar. Diese Er-fahrbarkeit kann allerdings sehr unterschiedlichausfallen, denn nur ca. ein Viertel vom Limes inBaden-Württemberg ist in seiner Originalsub-stanz zu erkennen. Dies heißt, man kann im west-lichen Teil die Reste von Wall und Graben, die hierdie Grenzsicherung zusammen mit einer vorgela-gerten Palisade bildeten, im Gelände noch erken-nen. Im östlichen Teil des Limes war die Grenzemit einer Mauer befestigt, die noch heute teil-weise als Schuttwall das Gelände prägt.Doch nicht nur die eigentlichen Reste dieser Meis-terleistung römischen Ingenieurwesens lassenden kundigen Beobachter den Verlauf der Grenzeim Gelände wissen. Die beeindruckende Gelän-demarke hat auch in nachrömischer Zeit als Ori-entierungshilfe gedient, sodass wir heute entlangdes ehemaligen Limesverlaufes nicht selten Ge-markungsgrenzen, Ackerfluren oder gar Wegefinden. Gerade der Verlauf der ehemaligen Mau-er wurde gerne mit Straßen überbaut – waren diesteinreichen Streifen des Fundamentes doch keinguter Boden für landwirtschaftliche Nutzung.Entlang der Grenze sicherten die Römer den Ver-lauf mit Türmen, von denen aus Soldaten dasVorfeld überwachten und Sichtkontakt mit denbenachbarten Besatzungen anderer Türme oderder Kastelle hielten. Aus Baden-Württembergkennen wir insgesamt 164 dieser Turmstellen,wobei für weitere 173 die Lage nur vermutetwird. Die Turmstellen lagen in relativ regelmäßi-gem Abstand voneinander. Dabei achteten dieRömer weniger auf eine genaue Einhaltung der

Abstände als auf eine topographisch gute Posi-tionierung der Standorte. So kommen Abständezwischen 200 und 700 m zustande.Vom baden-württembergischen Abschnitt des Li-mes kennen wir insgesamt 16 größere Kastell-plätze mit zugehörigen Zivilsiedlungen sowie 16kleinere Anlagen. Hervorzuheben sind hier dieKastelle in Walldürn, Osterburken/Annexkastell,Welzheim/Ostkastell, Rainau-Buch und Halheim,wo sich die römischen Anlagen ganz oder zugroßen Teilen noch heute in der Landschaft oderim Stadtbild erhalten haben. An anderen Kastell-plätzen wurden Teile der Anlagen für den inter-essierten Besucher wieder sichtbar gemacht. DieKastelle selbst hatten eine Größe zwischen 0,2und 6 ha und beherbergten zwischen 100 und1000 Soldaten. Bei kleineren Anlagen, die auchals so genannte „Feldwachen“ angesprochenwerden, haben wir mit einer Besatzung von 20bis 30 Soldaten zu rechnen, die meist zu Siche-rung bestimmter geographischer Punkte (z.B. Tal-einschnitte) oder grenztechnischer Einrichtungen(z. B. Übergänge) von einer größeren Hauptein-heit abgestellt waren.

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2 Der Limes beim Hag-hof, Gemeinde Alfdorf(Rems-Murr-Kreis).

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Die Zustandsbeschreibung

Für einen Antrag zur Aufnahme in die Liste derWelterbestätten verlangt die UNESCO eine aktu-elle Zustandsbeschreibung des Denkmals. Diesesoll neben der eigentlichen Beschreibung desDenkmals eine parzellenscharfe Kartierung bein-halten, um die Eigentümer der Welterbestättegenau benennen zu können.Für den Limes bedeutete dies eine aktuelle Be-standsaufnahme des 550 km langen Verlaufes imVorfeld des Antrages. Hier konnte zwar auf ältereKartierungen zurückgegriffen werden – nebender großen Erstkartierung durch die Reichs-Li-meskommission Ende des 19. Jahrhunderts führ-te der ehemalige Direktor des Saalburgmuseums,D. Baatz, in den Jahren 1968 bis 1972 Begehun-gen am Limes durch, deren Ergebnisse er in einerKartei festhielt. Doch beinhalteten diese Arbeitennicht die für den Antrag notwendige Aktualität,sodass sich die am Projekt beteiligten Denk-malämter – Landesamt für Denkmalpflege Rhein-land-Pfalz (Koblenz); Landesamt für Denkmal-pflege Hessen (Abt. Archäologische und Paläon-tologische Denkmalpflege, Wiesbaden); Landes-denkmalamt Baden-Württemberg (Stuttgart);Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (Au-ßenstelle Schwaben, Thierhaupten) – entschlos-sen, eine Neuaufnahme im Gelände durchzufüh-ren. Die Federführung des Gesamtprojektes wurdein die Hände des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg gelegt, da sich hier der längste Ab-schnitt des Limes befindet.Im Vorfeld der eigentlichen Geländearbeit muss-ten die vorhandenen Daten und Angaben ausden Altkarten und den Ortsakten für die Arbeitvor Ort aufbereitet werden. Dabei wurde für dieOrientierung im Gelände der von der Reichs-Li-meskommission festgestellte Verlauf der Grenzein die modernen Kartengrundlagen übertragen.

Am Limes selbst galt das Hauptaugenmerk derBeschreibung und Dokumentation der erhalte-nen Substanz. Dabei wurden die erhaltenen Teilebeschrieben, photographiert und in die moder-nen Kartengrundlagen eingetragen (DeutscheGrundkarte 1:5000 für Baden, Flurkarte 1:2500für Württemberg). In Baden-Württemberg sindnur Teile des Limes in die genannten Karten alsVerlauf übernommen worden, sodass sich hierdie Frage nach Vermessung der obertägig sicht-baren Abschnitte stellte. Eine konventionelle Ver-messung, wie sie noch von der Reichs-Limeskom-mission durchgeführt wurde, konnte im Rahmendieses Projektes nicht geleistet werden. Verein-zelte Abschnitte des Limes wurden bereits in ei-ner Zusammenarbeit zwischen der Fachhoch-schule Stuttgart, Fachbereich Vermessung undGeoinformatik, und dem Landesdenkmalamt Ba-den-Württemberg topographisch aufgenommen,sodass hier eine exakte Vermessung vorlag.Dank der großzügigen Unterstützung der „Ost-albstiftung“ (Aalen) konnte für die weitere Ver-messungsarbeit im Gelände ein Satelliten-Ver-messungsgerät (GPS) angeschafft werden, mitdem eine Einmessung vor Ort bis zu einem MeterGenauigkeit möglich ist.Weiterhin erhoben wurde die aktuelle Flächen-nutzung entlang des Limesverlaufes. Hier unter-scheiden sich vor allem vier Nutzungsarten desGeländes, nämlich die landwirtschaftliche Nut-zung als Acker oder Wiese, die forstwirtschaftli-che Nutzung als Wald oder die Überbauung durchmodernen Siedlungsraum.Um diese erhobenen Flächennutzungen bewer-ten zu können und zukünftige Planungen im Be-reich der Limesstraße und den Kastellorten zu er-fahren, stand im Rahmen der Geländebegehungauch ein Besuch bei den Bürgermeistern der An-rainergemeinden auf dem Arbeitsplan. Diese Be-suche dienten natürlich nicht nur der Erörterungder genannten Aspekte, sondern sollten vor al-lem die Gemeinden von den laufenden Arbeitendes Landesdenkmalamtes in Kenntnis setzen. Zudiesem Zweck erschien auch das von einem Au-torenkollektiv erstellte Informationsheft (siehe Li-teraturangaben).

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3 Mögglingen (Ostalb-kreis). Nördlich des Orteszieht der Schuttwall der raetischen Mauerdurch ein Waldgebiet.Der Limeswanderwegfolgt seinem Verlauf direkt auf der Wallkrone.

4 Forchtenberg-Sindrin-gen (Hohenlohe-Kreis). In den 1970er Jahrenwurde das Fundamentdes Wachtturms 9/14vom staatlichen Forst-amt konserviert.

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Der Limes als einzigartiges Kultur-denkmal

Die Besonderheiten, die dieses Denkmal in denAugen der Denkmalpflege als einzigartig bestim-men und damit für das Prädikat „Weltkulturerbe“würdig machen, sind vielfältig. Zunächst einmalhandelt es sich um das ausgedehnteste archäolo-gische Denkmal in Europa und neben der Chine-sischen Mauer um eines der längsten der Welt.Herausragend sind die vermessungs- und bau-technischen Leistungen der Römer bei der Anlagedieser Grenzsperre. So orientierten sie sich imnördlichen Teil vornehmlich an den Gegebenhei-ten des Geländes, um hier eine optimale, strate-gische Positionierung zu erreichen. Der südlicheTeil wird hauptsächlich durch eine schnurgeradeStreckenführung der einzelnen Abschnitte be-stimmt, deren Höhepunkt sicherlich die 80 kmlange Gerade zwischen Walldürn und Welzheimdarstellt, bei der keinerlei Rücksicht auf die natur-räumlichen Gegebenheiten genommen wurde.Die ehemals römische Grenze scheint nach ihrerAufgabe weiterhin das Leben der an ihr wohnen-den Menschen beeinflusst zu haben. So wurdenAbschnitte von Wall und Graben im Mittelalterund der Neuzeit noch als Grenzmarkierungenverwendet. Streckenweise hob man den Grabenauch wieder aus, um die Linie als Landwehr/Landhege zu verwenden. Flurnamen wie „Pfahl“oder „Pfahläcker“ erinnern noch heute an nichtmehr sichtbaren Abschnitten des Limes daran,dass der Grenzwall den Menschen im Mittelalternoch eindrücklich vor Augen gestanden habenmuss.

Der Limes steht auch im Verdacht einer nach-römischen Kulturscheide, die sich oft kleinräumigzwischen einzelnen Orten vor und hinter derGrenze bemerkbar macht bzw. machen soll.

Der Limes als Problemkind der Denkmal-pflege

Leider hat die Begehung des Limes gezeigt, dassin den vergangenen 100 Jahren seit der erstenausführlichen Dokumentation die Substanz starkgelitten hat. Hierbei handelt es sich jedoch nichtum ein spezielles Problem des Limes, sondern be-trifft alle Gattungen von Bodendenkmalen glei-chermaßen. Starke landschaftsprägende Ein-griffe und durch Siedlungsdruck umgewandelteKulturlandschaft bedrohen die Zeugnisse unsererMenschheitsgeschichte ebenso wie die durch in-tensiveren maschinellen Einsatz verstärkte Land-und Forstwirtschaft.Den Limes betreffen diese Bedrohungen beson-ders, weil sie nicht nur in die Substanz eingreifenbzw. diese zerstören. Auch der das Denkmal aus-zeichnende Gesamtverlauf wird in seiner Erfahr-barkeit beeinträchtigt, wenn immer wieder kleineTeile der 550 km Gesamtlänge zerstört werden.Dies gilt vor allem für die Anlage von Neubauge-bieten über den Grenzverlauf, was in den letzten100 Jahren meist ohne große Rücksichtnahmeder denkmalpflegerischen Belange geschah. Hiergilt es, in Zukunft in Zusammenarbeit mit denKommunen und anderen InteressenverbändenLösungen für den denkmalverträglichen Umgangmit der archäologischen Substanz zu finden.Aber nicht nur die Grenzlinie selbst ist einer mas-

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5 Welzheim (Rems-Murr-Kreis). Der archäologi-sche Park im Bereich desehemaligen Ostkastellsstellt eine Möglichkeit der didaktischen Präsen-tation des zukünftigenWeltkulturerbes dar.

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siven Bedrohung ausgesetzt. An den Kastellplät-zen wurde in den vergangenen Jahrzehnten mas-siver Raubbau betrieben. Vor allem die zum Kas-tell gehörigen Zivilsiedlungen verschwanden oftunter moderner Bebauung. So dehnten sich diemodernen Siedlungsareale bei neun der insge-samt 13 Plätze über Kastell und/oder Vicus aus –ein unwiederbringlicher Substanzverlust der 60er-und 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts, der nur ineinigen Fällen durch Schaffung von archäologi-schen Reservatsflächen begegnet werden konn-te. Hier bedarf es eines weitreichenden Schutzesder Substanz, die sich ansonsten bei einer eben-so fortschreitenden Entwicklung bald auf diesiedlungsfern liegenden letzten vier KastelleWalldürn, Zweiflingen-Westernbach, Rainau-Buchund Ellwangen-Pfahlheim beschränken würde.Ackerbau und Forstwirtschaft zerstören ebenfallsdie Substanz des Denkmals – wenn auch der Ver-lust schleichender bzw. nur in seltenen Fällensichtbar ist. Die Intensivierung der Landwirtschaftdurch die Weiterentwicklung des eingesetztenMaschinenparks wirkt sich z.T. verheerend aufdie im Boden befindlichen Reste des Limes aus,wie sich durch Substanzverluste am Denkmal imDezimeterbereich belegen lässt. Mittel- bis lang-fristig sollen hier der Streckenverlauf und dieTurmstellen aus der Nutzung herausgenommenwerden – das Mittel von Flächenaufkäufen oderStilllegungen bietet hier ebenso Möglichkeitenwie die Zusammenarbeit mit den Flurbereini-gungsämtern wie den Kommunen.Auch der scheinbar so sichere Wald ist durch denEinsatz moderner Rückemaschinen und deren ri-gorosen Gebrauch zum unsicheren Bereich ge-worden. Hier kann im Gespräch mit den Waldbe-sitzern und Forstbehörden für das archäologischeDenkmal und den sorgsamen Umgang mit die-sem geworben werden.

Der Limes als Touristenziel

Die Gründung des Vereins „Deutsche Limes-straße” und das damit verbundene Ansteigen derÜbernachtungszahlen in den Anrainergemeindenbelegen, dass der Limes und die im Gelände sicht-baren bzw. sichtbar gemachten Reste durchauseine touristische Attraktivität besitzen. Dies giltes, im Sinne des Fremdenverkehrs, aber auch imSinne des Denkmals zu fördern wie zu steuern.Dabei kommt man sicherlich nicht um eine Zen-trumsbildung zur didaktischen Präsentation derrömischen Grenze herum. In Baden-Württem-berg sind diese Zentren vor allem in den StädtenOsterburken, Welzheim und Aalen mit ihren mu-sealen, konservierten oder rekonstruierten At-traktionen zu sehen. Bei weiteren Gemeindenwäre eine angemessene Präsentation der erhalte-

nen Reste des Limes ebenso wünschenswert wiedidaktisch sinnvoll gewählte Rekonstruktionen.Sicherlich kann eine touristische Erschließung desLimes nicht auf Kosten der archäologischen Sub-stanz durchgeführt werden. In Zukunft dürfenEingriffe wie z. B. die Konservierung von Turm-fundamenten – eine beliebte Präsentation vor al-lem der 70er-Jahre – keine Rolle bei einer Kon-zeption einer Sichtbarmachung der Denkmalsub-stanz spielen. Vielmehr muss ein denkmalver-träglicher Umgang mit dem zukünftigen „Welt-kulturerbe” gefordert werden, wie es beispiels-weise eine Heckenbepflanzung an obertägig nichtmehr erhaltenen Teilstücken des Grenzverlaufesvorführt. Hier kommen sicherlich auch Interessenmit anderen Verbänden, wie beispielsweise demNaturschutz, zusammen, wodurch für das Denk-mal positive Synergieeffekte entstehen können.

Der Limes – zukünftigesWeltkulturerbe?

Das Prädikat „Welterbestätte“ bekommen nachDefinition der UNESCO „Denkmäler von heraus-ragender Bedeutung“. Mit dem Titel verbundensind keinerlei rechtliche Veränderungen am Sta-tus des Denkmals, da die UNESCO nicht in gel-tendes Recht der einzelnen Länder eingreifenkann. Der Titel beinhaltet vielmehr eine morali-sche Verpflichtung für den Umgang mit der Welt-erbestätte.Für ein aufgenommenes Denkmal wird aller-dings der größtmögliche Schutz nach der Ge-setzgebung des Antragslandes verlangt. Am ba-den-württembergischen Abschnitt des Limesmüssen daher die Strecke und Teile der Kastell-plätze parzellenscharf als „Weltkulturerbe“ aufKarten eingezeichnet und diese Flächen als„Kulturdenkmale von besonderer Bedeutung“nach § 12 DSchG eingetragen werden. Für einePufferzone um die eingetragenen Flächen anden Kastellen, bei der die Denkmalpflege überarchäologische Substanz Kenntnis erlangte, dieErhaltung aber gegen eine direkte Aufnahme insWeltkulturerbe spricht, wird eine Ausweisungals Grabungsschutzgebiet nach § 22 DSchG an-gestrebt.Im Vorfeld der Ausweisungen von Denkmal undPufferzone wurden Gespräche mit den Anrainer-gemeinden geführt, um Planungen von kommu-naler Seite zu eruieren und einen Konsens überdas zukünftige „Weltkulturerbe“ zu erlangen. ImBestreben der am Projekt beteiligten Denkmal-ämter liegt es selbstverständlich nicht, eine „Käse-glocke“ über den Limes nach seiner Eintragungals Weltkulturerbe zu stülpen. Planungen sollenin Zukunft im Interesse von Denkmal und Anrai-nern gestaltet werden, um der UNESCO gewähr-

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6 Mittels GPS werdendie sichtbaren Reste des Limes im Geländevermessen.

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leisten zu können, dass Baden-Württemberg be-wusst mit seinem Kulturerbe umgeht. Der Limes kann hier als Beispiel für andere ar-chäologische Denkmäler stehen und Maßstäbefür Schutz und Umgang liefern. Hier besteht dieMöglichkeit zu zeigen, in welchem Rahmen diestaatliche Denkmalpflege in Zukunft für die Erhal-tung von Bodendenkmälern Sorge tragen sollte.

Literatur:

D. Planck, Der römische Limes als Aufgabe der Bo-dendenkmalpflege. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 10, 1981, 1–8.H. U. Nuber, Limesforschung in Baden-Württemberg.In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 12, 1983,109–118.

W. Beck, D. Planck, Der Limes in Südwestdeutsch-land (Stuttgart 21987).Th. Becker / St. Bender/ M. Kemkes / A. Thiel, Der Li-mes zwischen Rhein und Donau. Ein Bodendenkmalauf dem Weg zum UNESCO-Weltkulturerbe. Ar-chäologische Informationen aus Baden-Württem-berg 44 (Stuttgart 2001).St. Bender, Das Projekt Weltkulturerbe Limes. Für dieErhaltung eines südlichen Fremdlings in unserer mit-teleuropäischen Landschaft. In: Denkmalpflege undKulturgeschichte 1/2001, 60–61.

Thomas Becker M. A. LDA · Archäologische DenkmalpflegeSilberburgstraße 19370178 Stuttgart

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7 Jagsthausen (Kreis Heil-bronn). Im Zusammen-hang mit dem Antrag andie UNESCO sollen dieAreale der ehemaligenKastellplätze im Bereichsüdlich des Schlosses (am rechten Ortsrand) als Grabungsschutzge-biete eingetragen wer-den. Am Beispiel vonJagsthausen sieht man, dass darin weite Teile der modernen Bebauungeinbegriffen sind.

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Der dreigeschossige, verputzte Gefängnisbau istvon einer hohen Backsteinmauer umgeben. Erwurde 1844/45 anlässlich der Verlegung desOberamts von Wiblingen nach Laupheim errich-tet.Oberamt und Oberamtsgericht bezogen damalsdie Räume des Kleinlaupheimer Schlosses. DerArrest wurde im früheren Schlosspark neu er-baut. Im Erdgeschoss liegt die einstige Wohnungdes Gerichtsdieners und Gefängniswärters. Inden beiden oberen Etagen waren in jeweils viergut gesicherten Zellen die Gefangenen einquar-tiert. Die Fenster der Zellen sind heute noch – wiedie des südlich angebauten Aborterkers – vergit-tert; zusätzlich war bis vor kurzem die Aussichtdurch Sichtblenden verhindert. Vor der Außenre-novierung des Hauses in jüngster Zeit war unterdem abblätternden Putz noch anschaulich dieausbruchsichere Beschaffenheit der Zellenwändeablesbar: Eine Fachwerkkonstruktion mit stehen-dem Stützengitter und Backsteinausfachung oder

waagrecht angebrachten Bohlen. Aufgrund derWandstärke von etwa einem Meter ist anzuneh-men, dass diese Konstruktionen mehrfach hinter-einander geschichtet sind. Die Zellen in den Ober-geschossen sind mit einem von außen heizbarenKanonenofen, hochklappbaren Eisenbetten undprimitiven Plumpsklos spärlich möbliert. Bis in die1960er-Jahre waren hier Delinquenten unterge-bracht.Nur sehr wenige solcher relativ kleiner Gefäng-nisbauten sind aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhun-derts überliefert. Da das Laupheimer Gebäudenahezu unverändert die Zeit überdauert hat,kann es als besonders anschauliches Beispiel die-ser Architekturgattung angesehen werden.

Sabine Kraume-Probst M. A.LDA · Inventarisation und DokumentationAlexanderstraße 4872072 Tübingen

Denkmalporträt

Hinter Gittern ohne AusblickDas Gefängnis in Laupheim (Kr. Biberach)

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Das Rathaus im Ortszentrum von Pfahlheim wur-de 1877 – laut Inschrift an einer Stuhlsäule desDachwerks – mit allen charakteristischen Aus-bauten und Einrichtungen erstellt. Wie heute ablesbar, war im Erdgeschoss die Feuerwehr un-tergebracht, der Gemeinderat tagte in dem imObergeschoss befindlichen Sitzungssaal. Darüberversteckt sich im ansonsten unausgebauten Dach-raum das ehemalige Ortsgefängnis. Solche Ar-restzellen waren städtische und dörfliche Ein-richtungen und zumeist in Rat- oder Amtshäu-sern untergebracht.Das Pfahlheimer Ortsgefängnis umfasst nur zweiRäume mit geringer Grundrissfläche, die über ei-nen schmalen Vorraum erschlossen und durch einkleines vergittertes Fenster belichtet sind. Dop-pelte Eisenbänder und Riegel sichern die Türen zuden Zellen. Die Unterkunft für eher harmlose Ge-

setzesbrecher, wie z.B. Randalierer, Bettler, Land-streicher oder Dirnen, war immerhin beheizbar.Ein offensichtlich aus Wasseralfingen stammen-der Ofen konnte vom Vorraum aus befeuert wer-den; über die gusseisernen ornamentierten Ofen-platten strahlte er Wärme in die Arresträume ab.Die überlieferte Einrichtung, bestehend aus je-weils einer Pritsche und einem Hocker, veran-schaulicht die Haftbedingungen, mit denen sichdie Festgenommenen zu arrangieren hatten.Das Pfahlheimer Gefängnis zählt zu den wenigengut erhaltenen Dokumenten der Ortsgerichtsbar-keit in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Dipl. Ing. Angelika ReiffLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeMörikestraße 1270178 Stuttgart

Denkmalporträt

Mit Pritsche und OfenGefängniszellen im Rathaus Ellwangen-Pfahlheim (Ostalbkreis)

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Ein erstes Projekt des Architekten Hezinger füreine große dreischiffige Turnhalle in Rottweilscheiterte 1866 aus finanziellen Gründen. Dochkonnte 1891 die bestehende, von Stadtbaumeis-ter Wilhelm Haug konzipierte Halle eingeweihtwerden.Inzwischen sind die Beispiele für unverändert er-haltene Turnhallen des Historismus selten gewor-den. Die von dem Rottweiler Gebäude beeinfluss-te, 1893 errichtete Turnhalle in Sigmaringen, gingebenso verloren wie die Tübinger Universitäts-turnhalle.Breite Pilaster mit Sandsteinkämpfern zwischenden Fenstern gliedern die sieben mal drei Achsendes strengen Klinkerbaus. Ein auffallendes Ton-nendach über einer Stahlkonstruktion bildet denDachabschluss. Auf seiner nördlichen Giebelseitebetont ein mit Zierwerk bekrönter Mittelrisalitden Hauptzugang. Vor dem Hintergrund der fürdas 19. Jahrhundert bedeutenden Turnbewegungkommt dem Bauwerk, heute „Möbelwagen“ ge-tauft, ein hoher Stellenwert für die Kultur- undBaugeschichte zu.

1970 wurde die Turnhalle von der Stadt Rottweilan die Deutsche Bundespost verkauft. Inspiriertvom Erscheinungsbild und der Materialität desKulturdenkmals sah der Neubauentwurf für dieHauptpost eine verbindende Gestaltung undNutzung mit der Turnhalle vor. Diese sollte zur Pa-kethalle werden. Grundsätzliche Überlegungender Postverwaltung zogen 1986 den Abbruchan-trag für die Turnhalle nach sich. Diesem Ansinnenkonnten weder die Stadt Rottweil noch das Lan-desdenkmalamt Folge leisten. Fehlenden Denk-malwert und die Unzumutbarkeit der Erhaltungmochten auch 1988 die Widerspruchsbehördeund 1990 das Verwaltungsgericht nicht anerken-nen. 1992 entzog man sich durch den Verkauf aneinen privaten Denkmalinteressenten der Erhal-tungsverantwortung.Der Durchbruch nach 30 Jahren ohne Nutzunggelang 2000 mit dem Konzept Markthalle. Ver-schiedene Marktbeschicker im Erdgeschoss undein Cafébetreiber auf der offenen Galerie tei-len sich Halle und Nebenräume. Mit einer erstenInvestition konnte der „Möbelwagen“ nun wie-

Ortstermin

Von der Turnhalle zur MarkthalleDie Wiederbelebung des „Möbelwagens“Wilhelmstraße 5 in Rottweil / Neckar

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der einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden.Grundlage für das Instandsetzungskonzept bilde-ten die historischen Planunterlagen und eine res-tauratorische Untersuchung. Mit der Befreiungvon Bewuchs, der Abdichtung des Daches undder kontrollierten Abführung des Regenwassers,der Sicherung der Klinkerfassaden und der Repa-ratur der historischen Fenster hat das Bauwerkdie seit Jahren überfällige Konservierung erfah-ren. Im Innern bildeten die Sicherung der Putz-flächen und die Überfassung der Raumschalenach Befund sowie die holzrestauratorischenMaßnahmen an Decke, Türen, Böden, Täfelun-gen und Emporenbrüstung die denkmalpflegeri-schen Schwerpunkte. Zur Erschließung des Gale-riecafés war aus baurechtlichen Gründen nebender hölzernen Wendeltreppe ein zweiter Zugang

erforderlich. Dieser wurde als freistehender Ge-rüstturm in der Halle gestaltet. Die erforderlichenNebenräume wurden in den ehemaligen „Mus-terungsräumen“ im Erdgeschoss unter der Em-pore eingerichtet.Fazit: Was einmal abgebrochen wurde, ist unwie-derbringlich verloren. Die Erhaltungsverantwor-tung liegt bei allen. Die Sicherung und Eröffnungeiner neuen geeigneten, vielleicht auch nur vor-übergehenden Nutzung ist ein entscheidenderSchritt hin zur Erhaltung.

Dr. Bernhard LauleLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeSternwaldstrasse 1479102 Freiburg/Breisgau

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Der Denkmalschutz unterliegt in Deutschland derKulturhoheit der Länder. Vor fünfzig Jahren habensich die Landesdenkmalpfleger der jungen Bun-desrepublik zu einer Vereinigung zusammenge-schlossen, die dem länderübergreifenden Fach-und Erfahrungsaustausch dienen sollte. Aus demursprünglich kleinen Kreis leitender Mitarbeiterentwickelte sich ein kulturpolitisches Forum, des-sen jährliche Tagung mittlerweile hunderte Teil-nehmer aus dem Tätigkeitsfeld Denkmalpflegeanzieht. Das letztjährige Thema „Das Denkmalals Bild“ lud zur Diskussion über die Balance zwi-schen Substanzerhaltung und Erscheinungsbild-pflege in der denkmalpflegerischen Praxis ein.Eröffnet wurde die Jahrestagung 2001 (19.–22.Juni 2001) durch ein Festkolloquium (am 18. 6.)zum 50-jährigen Bestehen der Vereinigung. Dieersten drei Vorträge zeichneten die historischeEntwicklung der Denkmalpflege in der Zeit seitdem Zweiten Weltkrieg nach, wobei die Ge-schichte der Vereinigung – als Spiegel der Denk-malpflege in der Bundesrepublik – sowie die Er-eignisse in der DDR und in Österreich im Vorder-grund standen. Die durch die dichte Folge derVorträge bewirkte vergleichende Betrachtungverdeutlichte die divergierenden Rahmenbedin-gungen der Institutionen, vor allem des Institutsfür Denkmalpflege und seiner Arbeitsstellen inder DDR, und die daraus resultierende Rolle derDenkmalpflege in der Gesellschaft.Während Manfred F. Fischer, der ehemalige Lan-deskonservator von Hamburg, für die Bundesre-publik kompakte Entwicklungsstufen markierte –Erlangen von Akzeptanz, Krise und Abkoppe-lung, Selbstkritik –, charakterisierte Heinrich Ma-girius (vormals Landeskonservator von Sachsen)die kulturpolitische Vereinnahmung der Denk-malpflege durch die Regierung. Die politischeVerpflichtung auf die Maximen des Sozialismus ging zu Lasten der Wissenschaftlichkeit und desRespektes vor gewachsenen Raumstrukturen.Viel Substanz ging in den Abbruchkampagnenverloren. Die „geradezu scholastisch wirkende“Aufgliederung des Denkmalbestandes in Wertka-tegorien höhlte den Schutzgedanken weiterhinaus, da sie der Politik unbeabsichtigt Angriffsflä-chen bot. Der fortschreitende Städteverfall wurde

für viele schließlich auslösender Moment der„friedlichen Revolution“. Magirius schloss mitdem Appell an die Zunft, sich nicht in die Ver-waltung der Monumente abdrängen zu lassen,sondern ihre Werte mit Respekt, Liebe und Ver-ehrung unseren Zeitgenossen zu vermitteln. ErnstBachers (Bundesdenkmalamt Wien) Rede ließzwar offene Kritik an der deutschen Denkmal-pflege vermissen, formulierte jedoch – wie auchFischer – zutreffend die Problematik der Denk-malpflege unserer Tage: Wie kann die staatlich in-stitutionalisierte Denkmalpflege mit der indivi-dualistischen Gesellschaft, deren Ansprüche anInformation, Flexibilität und vor allem Einfluss-nahme enorm gewachsen sind, eine gemeinsameDiskussions- und Handlungsebene finden? Lei-se fielen auch die Worte „Entstaatlichung“ und„Privatisierung“, um im nächsten Atemzug wie-der als „an und für sich absurd“ abgetan zu wer-den. Aus der gelassenen Sicht einer Hochschuleund daher ungerührt von diesen strukturellenSorgen stellte Uta Hassler (Universität Dortmund)den Denkmalschutz als Teil und Kriterium der Altbauerhaltung in den umfassenderen Rahmen des Umweltschutzes: Es sei paradox, dass die all-gemein anerkannte Ressourcenschonung nichtauch den Denkmalschutz umfasst. Im Altbau-bestand seien wertvolle Energien und materielleRessourcen gebunden. Würden die Kosten fürEntsorgung, Recycling und Lagerung nicht nurteilweise und mittelfristig, sondern langfristig alsÖkobilanz in die Neubaukalkulation einbezogen,wäre sich die Gesellschaft der Vorteile einer Alt-bauerhaltung viel mehr bewusst. Ein weitererGrund für die mangelnde Akzeptanz des histo-rischen Bestandes liege im zunehmend spieleri-schen und oberflächlichen Umgang mit der unsentfremdeten Vergangenheit und ihren Zeugnis-sen begründet. An ihre Stelle sind Surrogatweltengetreten, in denen die Denkmale eingebettet undinszeniert werden. Augenscheinlich wird dies etwain der festivalartigen Präsentation von Industrie-denkmalen, die zu einer Verniedlichung und letzt-lich Ent-Historisierung führen.Mit einem ähnlich kritischen Ansatz plädierte Vit-torio Lampugnani (Departement für Architektur,ETH Zürich) in seinem Festvortrag „Für ein Projekt

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Tagungsberichte

Das Denkmal als BildJahrestagung 2001 der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in Halle / Saale

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der Erinnerung“ für die Verdichtung der Stadt zu-gunsten der kostbaren Ressource Landschaft. Dieinnerstädtische Konzentration soll unter Bevorzu-gung bestehender Bausubstanz erfolgen, weil diegewachsene Urbanität – die Stadt als steinernesBuch, das von sich selbst erzählt – nicht durchImitationen ersetzt werden kann. UnerwarteteHilfe bei der Erhaltung historischer Strukturen leis-tet die neue Informationstechnologie, die u.a.eine Miniaturisierung sämtlicher Kommunikati-ons- und Haushaltsgeräte ermöglicht. Substanz-eingriffe in die Architektur werden so minimiert.Die langfristig denkbare Rückkehr zur Fußgän-gergesellschaft würde der Erhaltung kleinteiligeroder dörflich abgelegener historischer Strukturenzugute kommen. Abschließend warnte Lampug-nani mit Blick auf die letztjährige Denkmal–Dis-kussion vor dem „unterschiedlosen Aufbewah-ren“ aller Relikte der Vergangenheit und fordertedazu auf, „eine [andere?] Strategie der Bewah-rung zu entwickeln.“ Eben ein Projekt der Erin-nerung!Das Thema der folgenden Fachtagung war dem„Denkmal als Bild“ gewidmet: Damit war nichtdas Produkt nach vollendeter Restaurierung ge-meint, sondern das vielgesichtige (Vor)Bild in denKöpfen von Bauherrn, Architekten und Denkmal-pflegern. Wofür entscheiden? Urbild, Relikt oderspurenreiches Zeugnis des Geschichtsablaufs?Welche Kriterien geben bei den Konservatorin-nen und Konservatoren den Ausschlag, die überden beabsichtigten Zustand post restaurationembefinden, der seit der Diskussion der vergange-nen Jahre besonders kritisch beäugten Ästhetik?Der Wissenschaftlichkeit? Und wie gelingt es,zwischen den „Bildern“ des Denkmalpflegers unddenjenigen der anderen, zumeist wesentlich län-gerfristig Beteiligten – Eigentümer, Bewohneroder Nutzer –, zu vermitteln?

Peter Findeisen (Landesamt für DenkmalpflegeSachsen-Anhalt) zeigte in seinem Vortrag „DasDenkmal zwischen Vorstellung und Abbild“ ein-drucksvoll die „Fallstricke“ denkmalpflegerischenHandelns auf. Dazu zählen neben dem Zulassenästhetischer Kriterien die Bevorzugung ältererBauglieder, die zu Rekonstruktionen, Zerstörungjüngerer Schichten (Beispiel: Bauten an der„Straße der Romanik“) oder zu Bauphasen-Puzz-les führen, auch das Fortführen tradierter Fehl-einschätzungen, etwa die Kontinuität der Stein-ansichtigkeit, die mehr dem Geschmack des 19. Jahrhunderts als dem bauzeitlichen Bild ent-springt. Georg Mörschs (ETH Zürich) Abwägung„Denkmalpflege als Wissenschaft – die Verwis-senschaftlichung der Denkmalpflege“ befanddenkmalpflegerisches Handeln als grundsätzlichsubjektiv. Die wissenschaftliche Methodik eröff-net unter Umständen eine Vielzahl von Möglich-keiten, ein Denkmal zu restaurieren, beispiels-weise eine Fehlstelle in einer Wandmalerei zu be-heben. Die Auswahl unter ihnen muss zwangs-läufig subjektiv sein, ohne dass sie zugleich un-wissenschaftlich ist. In der denkmalpflegerischenPraxis geht es nicht darum, sich auf die vermeint-lich einzig wissenschaftlich vertretbare Lösungzurückzuziehen, sondern die Gründe für die Ent-scheidung offen zu legen; bereits Artikel 11 derCharta von Venedig warnt vor Alleingängen undfordert zu Transparenz in der Diskussion auf. DieWissenschaften – so großartig sie sich an dieDenkmalpflege angepasst haben und auf derenBedürfnisse antworten – können das Bild nichteindeutig definieren.HPC Weidner (Landesamt für DenkmalpflegeSachsen-Anhalt) charakterisierte in seinem Vor-trag „Zeit, Ort und Bild. Denkmalgestalt und Denk-malpflege“ die drei Komponenten eines Kultur-denkmals. Jedes Denkmal ist statisch und /oder

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1 Die Meisterhäuser von Walter Gropius inDessau, erbaut 1924/25wurden bzw. werden auf den Zustand beimAuszug der Meister,1934, restauriert; in die-sem Zusammenhangwerden an den Außen-bauten die Atelierfensterund die ursprünglicheHöhe der Treppenhau-stürme sowie die Farbig-keit rekonstruiert. Hierdas bereits fertig gestell-te Haus Feininger, dasdurch einen Kriegsverlustals halbes Doppelhausauf uns gekommen ist.

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inhaltlich ortsgebunden. Verändernd wirke dieZeit auf das Bild des Denkmals. Der Umgang mitder Zeit – ließe sie gewähren oder griffe man ein – und mit dem Bild – welcher Art und Tiefedarf der Eingriff sein – sei seit den Anfängen derDenkmalpflege ein umstrittenes Thema. Weidnerließ viele Beispiele Revue passieren, um die Zu-sammenhänge zwischen Denkmalgestalt undDenkmalpflege zu erläutern. Aufmerksam mach-te er auf das neuere denkmalpflegerische Prinzipder „Reversibilität“, das im konservatorischen All-tag als Instrument, Eingriffsminimierung durch-zusetzen, geschätzt wird. Tatsächlich sei – woraufbereits der Restauratorenverband 1988 eindring-lich hinwies – kein Eingriff irreversibel. In der Pra-xis entwickele sich die Problematik unterdessenzu einem Argument für die „Opposition“: Wa-rum auf einen Eingriff verzichten, wenn er dochreversibel sei?Hanno Rauterberg („Die Zeit“) begab sich mit sei-nem Beitrag „Echt Unecht. Über die Bedeutungder Denkmalpflege in Zeiten der Künstlichkeit“spielerisch auf das Terrain der Wahrnehmungs-psychologie. Mit ironischen Spitzen durchsetztmalte er das Bild des tragischen Helden „Denk-malpfleger“, der das Original zu erhalten ver-sucht, während sich die Öffentlichkeit – in derenAuftrag er ja tätig ist – mit dem stimmungsver-mittelnden Bild zufrieden gebe. Werde Letzterelediglich durch den baulichen Neohistorismus derGegenwart in die Irre geführt – das 1998 vollen-dete Hotel Adlon läuft bereits als ehrwürdigerAltbau –, müsse sich der Denkmalprofi mit einemweitaus tiefgreifenderen Problem auseinandersetzen: Eigentlich gebe es das Original gar nicht.Sein eigenes denkmalpflegerisches Handeln habees zum Kunstprodukt gemacht. Unwissentlichund streitend fänden sich Profi und Laie auf einerEbene wieder, eine wahrlich schlechte Verhand-lungsposition für den Verfechter des Authenti-schen! Die Idee des Originals sei allem zum Trotzunersetzlich: „denn nur dieses hat sich der Ver-

gänglichkeit widersetzt, hat die Zeiten überdau-ert, nur diesem vermag ich zu vertrauen, dass esvon mehr erzählt als nur vom Gegenwärtigen.“Im Umgang mit der kritischen Öffentlichkeit rätRauterberg, offen über die vielen Bilder, dieDenkmäler wachrufen, zu diskutieren.Eingebettet in die Tagung wurde ein Exkursions-tag, der sechs verschiedene Sektionen anbot.Aufgrund der Aktualität der Themen „Die schwie-rige Balance zwischen Substanz und Bild-Denk-malpflege an Bauten der Moderne“ (Sektion 2)und „Leitbild Landschaftsbild? Denkmalpflege ingroßflächigen Denkmalbereichen“ (Sektion 3)werden hier Berichte dieser beiden Sektionenausführlicher vorgestellt. Die anderen Sektionenthematisierten die Instandsetzung mittelalterli-cher Kirchenbauten (Sektion 1), die Problematikstädtischer Wohnhäuser (Sektion 4), die Restau-rierung von Schlossbauten (Sektion 5) und Stand-punkte zur Ruinendenkmalpflege (Sektion 6).

M. Mertens

Die Sektion 2 („Denkmalpflege an Bauten derModerne“) tagte in Dessau und diskutierte dieschwierige Balance zwischen Substanz und Bildbei der Instandsetzung von Bauten der Moderne.Bei diesen in der Regel durch eine sehr reduzierteFormensprache und ausgewogene Proportionencharakterisierten Bauten können schon geringeVeränderungen zu einer gravierenden Störung,zur Banalisierung der Architektursprache führen.Hinzu kommt, dass der materialbedingte Alte-rungsprozess dieser Bauten in Gestalt von Ver-schmutzung und Verschleiß wegen z.T. weißdurchgefärbten Putzen, fragilen Stahl- und Glas-konstruktionen zu besonderen Beeinträchtigun-gen führt. Viele der bauphysikalischen Mängelder Bauzeit können nur bei musealer Nutzung to-leriert werden.Vorgestellt wurden zunächst in zwei Vorträgendurch das Landesamt für Denkmalpflege in Sach-sen-Anhalt die kürzlich abgeschlossenen und ak-

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2 Das Arbeitsamt vonWalter Gropius in Dessauwurde 1929 erbaut. Dasetwa halbkreisförmige Gebäude, das ursprüng-lich nur durch das Glas-dach belichtet wurde, hat großen ästhetischenReiz. Auf heftigen Protestder Nutzer hin wurden bereits in den 30er-JahrenFenster in die Seitenwän-de gebrochen. Diese Fens-ter bleiben bei der jetztlaufenden Restaurierungauch im Interesse der heu-tigen Nutzer erhalten.

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tuell laufenden Sanierungsmaßnahmen an denDessauer Bauhausbauten. Ein erstes Beispiel wardas Tagungslokal, das „Kornhaus“, ein Ausflugs-lokal im Stil des Neuen Bauens; andere Objektewurden am Nachmittag im Rahmen einer sehr in-teressanten Exkursion gezeigt.Holger Brülls (Landesamt für DenkmalpflegeSachsen-Anhalt) arbeitete in seinem Grundsatz-referat über „Historische Authentizität oderästhetische Perfektion?“ heraus, dass beides, so-wohl die Rekonstruktion als auch das konservie-rende Erhalten – Letzteres ein künstliches Aufhal-ten des Alterungsprozesses – manipulierte Zu-stände eines Baudenkmals sind. Die DessauerBauhausbauten sind dem kollektiven Gedächtnisder Architekturrezipienten durch die weltweitverbreiteten Schwarzweißaufnahmen als Inkuna-beln des Neuen Bauens eingeprägt. Sie waren so-wohl von den Nationalsozialisten wie auch langeZeit von den Machthabern der DDR ungeliebt,vernachlässigt, Veränderungen ausgesetzt. Vordem Hintergrund der hohen Wertigkeit dieserBauten hat der zuständige Konservator die für dieeinzelnen Bauten unterschiedlichen Restaurie-rungskonzepte vorgestellt, dabei aber auch einteilweise rekonstruierendes Vorgehen für diesenspeziellen Fall als gerechtfertigt angesehen. Sowurden z.B. die Meisterhäuser von Gropius aufden Zustand zum Zeitpunkt des Auszugs der Meis-ter 1934 zurückgeführt.Der Restaurator Thomas Danzl (Landesamt fürDenkmalpflege Sachsen-Anhalt) berichtete, dasssich – im Gegensatz zu den von Gropius ge-machten Angaben – sowohl beim Bauhaus wiebei den Meisterhäusern vor allem traditionelleTechniken eindeutig nachweisen lassen. Am Außenbau wurde Kalkanstrich auf Kalkputz ver-wendet, im Inneren herrschen Leimfarben vor.Daneben wurden aber auch etliche Werkstoffeerprobt, die später großindustriell hergestelltwurden.Elke Onnen (Landesamt für Denkmalpflege Meck-lenburg-Vorpommern) zeigte an zwei Beispiel-bauten des Rostocker Stadtbaudirektors GustavWilhelm Berringer die Problematik von nachträg-lichen Veränderungen an Bauten der Moderne.Im Falle des Warnemünder Kurhauses wurde derbereits kurz nach der Fertigstellung aus klima-tischen Gründen angemeldete Bedarf nach einerTerrassenverglasung erst in unserer Zeit realisiertund hat zu einer starken Verunklärung desgeschichteten Baukörpers geführt. Den Konfliktzwischen dem zum Konzept gehörenden Flach-dach und den im Jahr nach der Fertigstellung auf-tretenden Bauschäden hat Frau Onnen an derRostocker Goethe-Schule von 1929/30 darge-stellt. Ob das Walmdach von 1937/38 nur zurBeseitigung der Feuchteschäden oder auch aus

ideologischen Gründen aufgesetzt wurde, ließsich nicht nachweisen. Angesichts der jetzt wie-der anstehenden Renovierung ist unter der Leh-rerschaft der Wunsch entstanden, diese Schulewieder mit einem Flachdach zu rekonstruieren.Von drei weiteren Referenten wurden Schädenund Erhaltungsmaßnahmen an konkreten Beispie-len vorgestellt. Helmtrud Köhren-Jansen (Rhei-nisches Amt für Denkmalpflege) stellte die In-standsetzung der benachbarten Industriellenvil-len Lange und Esters in Krefeld von Ludwig Miesvan der Rohe vor. Die original erhaltenen Villendienen seit langem als Museum. Das Ziel, diegrößtmögliche Authentizität bei der notwendi-gen Reparatur von Undichtigkeiten an Dächern,Terrassen, Fenstern und Kellern zu bewahren,konnte aufgrund der sorgfältigen Auswahl derReparaturmittel weitgehend erreicht werden. Diezugehörigen Gärten wurden teilrekonstruiert.Ulrich Krings (Stadtkonservator Köln) gab einenÜberblick über die reiche rheinische Sakralkunstvon der Nachkriegszeit bis zu den 70er-Jahren.Schäden an Trümmerstein- und Betonwänden,an Dachdeckungen und an der Statik zwingenzum Handeln. Mit Verschalung, Verputzung, Ein-hausung, deckenden Anstrichen, vorgesetzter Ver-glasung, Kupfer- und Schieferdeckungen wurdedas Erscheinungsbild der Bauten bei der Scha-densbehebung in den 60/70er-Jahre – noch ohneDenkmalpflege – stark verändert. Seit den 1980/90er-Jahren werden entsprechend der Beratungdurch die Denkmalpflege Betonoberflächen, weilfarblich ähnlich, vielfach mit Blei verkleidet.Die behutsame Restaurierung der weitgehendauthentisch überlieferten Villa Schmincke in Lö-bau, erbaut 1932–33 von Hans Scharoun, stellteUlrich Rosner vom Landamt für Denkmalpflege

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3 Löbau, Haus Schmincke:Nordostseite mit ehem.Fabrik im Hintergrund, Zustand 2001.

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Sachsen vor. Hier wurde der ursprünglich silber-weiße, glimmerhaltige Terranovaverputz durchWirbelstrahlverfahren schonend gereinigt. Aufdie Wiedergewinnung des für diese Stilstufe cha-rakteristischen, leuchtenden Weiß wurde verzich-tet; gewonnen wurde eine deutlich nachgedun-kelte, aber wieder gereinigte und in ihrer Farbig-keit einheitliche Putzoberfläche. Bei den ursprüng-lich durch starke Farbigkeit geprägten Innenräu-men konnte mangels Befunden keine Restau-rierung des ursprünglichen Raumeindrucks erfol-gen. In der Diskussion wurde darauf abgehoben,dass bei diesem Beispiel die konservierende Er-haltung eines Baus der Moderne gelungen sei.

P. Wichmann

Die Sektion 3 („Denkmalpflege in großflächigenBereichen“) beschäftigte sich mit der Auswei-sung (Abgrenzung und Inventarisation) und lang-fristigen Pflege großflächiger Denkmalräume.Das Exkursionsziel Dessau-Wörlitz, das jüngst indas UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommeneGartenreich des Fürsten Leopold III. von Anhalt-Dessau, spiegelt sämtliche Eigenschaften undProbleme dieser Schutzgruppe wider.Hans-Joachim Dreger (Brandenburgisches Lan-desamt für Denkmalpflege) warnte vor dem Hin-tergrund Potsdamer Erfahrungen vor der Illusion,das Weltkulturerbe-Siegel böte wesentlich mehrSchutz als die Instrumente der deutschen Denk-malschutzgesetze. Großprojekte wie Plattenbau-ten in der Sichtachse Sanssoucis und dem Luxus-Wohnpark „Preußisches Arkadien“ am Haveluferin unmittelbarer Nähe von Schloss Babelsbergund Schloss Glienicke konnten trotz aller Wider-stände nicht vermieden werden und führten zuerheblichen Beeinträchtigungen des eingetrage-nen Bereichs.Mit Bezug auf das Dessau-Wörlitzer Gartenreichthematisierte Michael Kummer (Bauaufsicht Frank-furt/Main) die Entwicklung eines strategischen

Systems, das die historische Rolle des Fürsten inihrer gestalterischen Zielsetzung durch demokra-tische Strukturen erfolgreich zu ersetzen vermag.Die Führungsrolle in diesem System wollte KurtRohner (Biel) den Raumplanern überlassen wis-sen, auch Christoph Machat (Rheinisches Amt fürDenkmalpflege) lehnte eine Dominanz der Denk-malpfleger ab und sprach sich deutlich für eineZusammenarbeit zwischen den Disziplinen undBehörden aus.Das trotz seiner Denkmaleigenschaft weithin alsbloße „Bildstörung“ empfundene Kraftwerk Vo-ckerode fand in Heike Brückner (Stiftung Bau-haus Dessau) eine engagierte Anwältin, die seineQualität als Spannung erzeugender Gegenpol zurarkadischen Gartenlandschaft hervorhob. GeorgMörsch stimmte diesem Aspekt unter Hinweisauf die denkbare Heterogenität von Kulturdenk-malen innerhalb eines Denkmalbereichs zu. DieGegenwart hat ihre Befürwortung dieses Zeug-nisses einer weltbedeutenden Industrielandschafteingeholt – am 22. September 2001 wurde dasKraftwerk Vockerode gesprengt (siehe auch FAZ,21.9. 2001, S. 54).Die anschließende Diskussion enthüllte divergie-rende Vorstellungen des Begriffs „Denkmalbe-reich“ und seines Verhältnisses zur „Kulturland-schaft“. Kann eine Kulturlandschaft Denkmal-bereich sein? Auf jeden Fall erfordert die Kultur-landschaft ein anderes Instrumentarium als dasFlächendenkmal, zumal z.T. die Ansicht vertretenwurde, dass es in einer sich weiter entwickelndenKulturlandschaft keine „Störung“ geben kann.Weder ist sie parzellenscharf abzugrenzen – prag-matisch ein juristisches und damit auch kartogra-phisches Problem – noch können „Störungen“ indieser Klarheit definiert werden.Kurt Rohner präzisierte mit seinem Beitrag zurKulturlandschaft Bielersee, dass Landschaft imGegensatz zur Parzelle ein öffentliches Gut sei,das allen gehöre. Tatsächlich beruht die Stärke

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4 Vockerode/Elbe, Kraft-werk Elbe, Zustand 1993,gesprengt am 2.9. 2001.

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Der „Studienkreis für Geschichte des Wasser-baus, der Wasserwirtschaft und der Hydrologie“(Siegburg) entstand 1963 bei der Bundesanstaltfür Gewässerkunde in Koblenz, nachdem sichdort nach einem Aufruf zur Zusammenarbeit aufdem Gebiet der Geschichte des Wasserbausmehrere Mitarbeiter zusammengefunden hat-ten. Arbeitsbereich sind etwa Hydrologie, Kanal-bau, Wasserkraftnutzung, Bewässerung sowieErfassung und Schutz von Denkmälern des Was-serbaus. Der Studienkreis hat gegenwärtig 135Mitglieder und trifft sich in loser Folge an ver-schiedenen wasserbaugeschichtlich relevantenOrten Deutschlands und des benachbarten Aus-landes. Vorschläge zu Tagungsthemen kommenaus dem Kreis der Mitglieder, die sich an der Vor-bereitung und Durchführung im Rahmen ihrerMöglichkeiten beteiligen.

Die 16. Tagung fand in Wangen im Allgäu stattund war dem Thema „Kultur- und Wasserbauge-schichtliches in Oberschwaben und dem Boden-seeraum“ gewidmet. Die Leitung hatten DirektorWolfram Such, Leiter des Studienkreises in Sieg-burg, und Professor Werner Konold, Institut fürLandespflege an der Albert-Ludwigs-Universität inFreiburg.Nach der Eröffnung der Tagung und einem Rund-gang durch Wangen am Donnerstag folgte amFreitag eine ganztägige Vortragsveranstaltungzum Thema. Zuerst führten Bürgermeister Dr.Jörg Leist und Stadtarchivar Dr. Rainer Jenschdurch die Ausstellung „Wasser in der Stadt Wan-gen“. Im ersten Vortrag stellte Professor Dr. JosefHärle die geographischen Gegebenheiten desAlpenvorlandes vor. Der Beitrag von Dr. Lutz Diet-rich Herbst ließ die enge Verwandtschaft zwi-

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des vorgestellten Pflegewerks auf der privatenTrägerschaft eines Vereins, der die 16 betroffe-nen Gemeinden seit 1933 mit einem übergreifen-den ökologischen Schutzprogramm unterstützt.In den letzten Jahrzehnten spielte die Einbindungvon Zivilarbeit, auch Arbeitsloser, eine wachsendeRolle. Indem der Verein jedem Akteur seine Wich-tigkeit belässt, genießt er eine große Akzeptanz,welche die „Knoten“ des geschaffenen Netzesverstärkt.Karl Decruppe von der Landesanstalt für Groß-schutzgebiete (Eberswalde) bestätigte die gegen-wärtige Tendenz, auf Abstand zu den traditionel-len Amtsstrukturen zu gehen. Stattdessen werdenalternative Strukturen entwickelt, die Mitgestal-tungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit grundsätz-lich zulassen und daraus Glaubwürdigkeit undAkzeptanz beziehen.Insgesamt standen an diesem Tag in Wörlitzstrukturelle Probleme der Schutzgemeinschaft(Behörden, Vereine, Träger öffentlicher Belange)und ihrer Zusammenarbeit im Vordergrund. Da-bei wurde klar, dass es weniger um Kompetenz-streitigkeiten, sondern vielmehr um eine neueDefinition des Verhältnisses zwischen Öffentlich-keit und Behördenarbeit geht. Hier sind bereitsAnsätze entwickelt und zum Teil umgesetzt wor-

den, die auch für die ureigenen Aufgabenberei-che der Denkmalämter zu diskutieren wären.Die Schlussdiskussion der Jahrestagung kreistenochmals um das Bild des Denkmals, dessen trü-gerische Realität durch die virtuelle Bilderflut derneuen Medien an Einfluss gewonnen hat. Folgeist die Unfähigkeit, die Authentizität unsererDenkmale zu erkennen, und damit langfristig derVerlust von historischer Substanz. Im Ganzenwurde bei der Tagung klar, dass die Arbeit derDenkmalpflege – bei allem Bemühen um authen-tische Überlieferung – immer auch gestaltend ist.Wenn sie sich dies eingestünde – wie mehrfachauf dieser Tagung gefordert – gewönne sie anGlaubwürdigkeit und gesellschaftlicher Relevanz.

M. Mertens

Dr. Melanie MertensLDA · Bau- und KunstdenkmalpflegeMörikestraße 1270178 Stuttgart

Dr. Petra WichmannLDA · Dokumentation und InventarisationSternwaldstraße 1479102 Freiburg/Breisgau

Tagung des „Studienkreises für Geschichtedes Wasserbaus, der Wasserwirtschaft undder Hydrologie“ 20. bis 23. September 2001 in Wangen/Allgäu

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schen alpinen Brauchwasserkanälen und den imMittelalter von Klöstern angelegten Bewässe-rungssystemen in Oberschwaben erkennen. Ei-nen Überblick über die Geschichte des Alpen-rheins aus wasserbaulicher Sicht vermittelte Dipl.Ing. Uwe Bergmeister. Professor Werner Konolderläuterte am Beispiel der Stadt Isny die Entwick-lung der städtischen Wasserwirtschaft. Über diebereits 1176 erstmals erwähnten Wasserrechtezur Wiesenwässerung sind zahlreiche Verträgezwischen Kloster, Stadt und später Privatperso-nen erhalten, die die genaue Regelung der Be-wässerung im Verlauf der folgenden Jahrhun-derte bis heute dokumentieren.Die Geschichte der Wasserkraftnutzung in Ober-schwaben und an der Iller, vorgestellt von Dipl.Ing. Klaus Kalweit, zeigte, dass einige Wasser-kraftwerke noch heute mit ihrer ursprünglichentechnischen Ausstattung in Betrieb sind. Dr. GerdMettjes setzte mit seinem Ausblick auf die Kul-turdenkmäler Oberschwabens einen unerwartetnichttechnischen Akzent.Am Beispiel der Eschach zeigte Dipl. Ing. WalterSieger die wasserbautechnische wie auch ökolo-gische Problematik des Hochwasserschutzes auf.Ein 1683 angelegter Umgehungskanal bei Leut-kirch ist das älteste noch erhaltene Zeugnis dieserBemühungen, die sich archivalisch jedoch bis indie Karolingerzeit zurückverfolgen lassen. Die zwi-schen 1784 und 1971 erfolgten Planungen einesNeckar-Donau-Bodensee-Kanals scheiterten zu-nächst an technischen Unwägbarkeiten, wie et-wa zu große Höhenunterschiede oder Strecken-verlauf mitten durch Stadtkerne. Dr. Wolf-IngoSeidelmann erläuterte, wie in neuerer Zeit Bahnund Straße die Flüsse und Kanäle als Transport-wege ablösten.Zum Abschluss berichtete Winfried Müller vonseinen Forschungen über Teilsäulen in der Quell-wasserversorgung, deren Geschichte bis in rö-mische Zeit zurückreicht. Dabei wurde das an-kommende Wasser in so genannten Teilsäulen in verschiedene Einzelleitungen aufgeteilt, derenZuflussmenge sich nach dem jeweiligen Wasser-recht des Beziehers richtete.

Der Samstag war einer Exkursion zu Orten derWasserbaugeschichte in Oberschwaben gewid-met. Die beiden ersten Ziele waren die noch funk-tionsfähig erhaltene Mühle von 1711 in Amtzell-Reibeisen und das Kraftwerk der ehemaligen Pa-pierfabrik Wolfegg. Die Weiterfahrt führte zumWurzacher Ried, wo bei einem Rundgang dasEntwicklungskonzept zur Erhaltung des Mooreserläutert und das ehemalige Torfwerk besichtigtwurde. Den Abschluss bildete eine Begehung des„Stillen Bachs“ bei Unterankenreute und eine Be-sichtigung des Rösslerweihers, Beispiele für mit-telalterliche Bewässerung und Weiherwirtschaft.Den Abschluss der Tagung bildete am Sonntageine Schifffahrt auf dem Bodensee von Lindauaus zur Mündung des Alpenrheins und zu derBaustelle zur Vorstreckung des Hochwasser-schutzdammes.Die Tagung hatte insgesamt viele Bezüge zurDenkmalpflege in Oberschwaben: Zum einen,weil hier neuere Erkenntnisse zu teilweise bereitsbekannten technischen Kulturdenkmalen in die-sem Raum vorgestellt wurden; zum andern aberauch, weil sie die Forschungen von anderen Fach-gebieten aufzeigte, die sich im Bereich der Tech-nikgeschichte mit dem Anliegen der Denkmal-pflege überlagern.Die Vorträge, Diskussionsbeiträge und Exkursi-onsberichte erscheinen in der Veröffentlichungs-reihe des Institutes für Landespflege der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Der Studienkreis ist unter folgender Anschrift erreichbar:Leiter des StudienkreisesDirektor W. Suchc/o WahnbachtalsperrenverbandKronprinzenstraße 1353721 SiegburgTel. 02241/128430/440

Iris Fromm-Kaupp M. A.LDA · Inventarisation und DokumentationAlexanderstraße 4872072 Tübingen

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Bernd Mathias Kremer (Hrsg.): Barockjuwel am Bodensee. 250 Jahre Wallfahrtskirche Birnau.

444 Seiten, 150 meist farbige Abbildungen, gebunden. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg2000, 20 Euro.

Die Wallfahrtskirche Birnau gehört zu den Haupt-werken der Barockkunst in Baden-Württembergund gilt auch außerhalb der Landesgrenzen alsbildlicher Inbegriff der Bodenseelandschaft undihrer Kultur. Im heiligen Jahr 2000 beging manhier den 250. Jahrestag der Klosterweihe. Zu die-sem Anlass hat Bernd Mathias Kremer eine um-fangreiche und ansprechend ausgestattete Fest-schrift herausgegeben, die nicht nur Kirche undPriesterbau als Kunstwerk würdigt, sondern es ineinen übergreifenden religiösen, historischen, so-zialen und landschaftlichen Gesamtzusammen-hang stellt. Der Herausgeber gibt Auskunft überdas wechselvolle Schicksal des Klosters – es warnach der Säkularisation 1807 bis 1919 aufgeho-ben – und reflektiert die nachtridentinische Fröm-migkeitspraxis, die Ursache und Ziel der in Birnauüberwältigend gestalteten künstlerischen Insze-nierung war. Den fundamentalen Zusammenhang von Kunstund Kulturlandschaft untersuchen Felicitas Buch,Volker Caesar und Michael Ruhland. Sie lenkenden Blick auf die wertvolle Umgebung des ba-rocken Klosterbaus mit Schloss Maurach, demSeeufer, den Weinbergen und Streuobstwiesensowie den Kirchweiler Seefelden, deren Gestaltund Topographie sich wesentlich der historischenKlosterwirtschaft verdankt. Die Mitarbeiter desLandesdenkmalamts plädieren nachdrücklich fürdie Ausweisung einer Gesamtanlage „Birnau –Maurach – Seefelden“ (vgl. Nachrichtenblatt1/2001), um nicht nur Gebäude und Kleindenk-male, sondern auch das historisch gewordeneGesamtbild der Landschaft insgesamt vor dendrohenden baulichen Auswirkungen eines ste-tig zunehmenden Verkehrs und des Tourismusschützen zu können.Die neunzehn Aufsätze des Bandes erscheinenunter den Themenschwerpunkten „Kloster undWallfahrt“, „Kunstgeschichte“ und „Kulturge-schichte“. Dass diese Begriffe als Orientierungs-hilfe zu verstehen sind, zeigt bereits der Beitragvon Peter Kalchthaler im ersten Teil, der das theo-logische Programm der Deckenfresken von Gott-fried Bernhard Göz anhand der Birnauer Kirch-weihpredigten von 1750 höchst gewinnbringenderläutert und in der Verknüpfung von Bildquelle

und Text Ikonologie im besten Sinne betreibt. Eingeschriebenes Concetto für den Freskanten hatsich nicht erhalten, dennoch sind die Predigtenprägnante Quellen Bild gewordener Theologie.Unter dem Hauptkapitel „Kunstgeschichte“ er-läutert der gleiche Autor später detailliert diebildlich-skulpturale Kirchenausstattung und ihreallgemeinere Ikonographie. Hans-Otto Mühlei-sens bemerkenswerte Diskussion des BirnauerThesenblattes aus dem Eröffnungsjahr knüpfteng an den ersten Beitrag Kalchthalers an und er-möglicht Einblicke in eine zutiefst rhetorisch ori-entierte Bildgrammatik und -syntax, deren allge-meines Verständnis bereits im 19. Jahrhundertweitgehend verloren gegangen ist. Kenntnisreich belegt die Studie Heinfried Wi-schermanns, dass sich ein zisterziensisches Cha-rakteristikum bezüglich Raumprogramm und -disposition bei der Birnau und vergleichbarenWallfahrtskirchen nicht auffinden lässt. Bei ande-ren Orden, insbesondere bei den Jesuiten, ist dieForschung bereits zu ähnlichen Ergebnissen ge-kommen. Peter Thumb, dem berühmten Vorarl-berger Baumeister und Architekt der Birnau, wid-met Peter Köhler seine bautypologisch ausge-richtete Studie. Das durch ihn auch bildlich an-schaulich dokumentierte Werk wird als Entwick-lung vom Wandpfeilerschema zum Saalbau be-schrieben, wobei die Birnau im Kontext zeitge-nössischer Vergleichsbauten anderer Künstler alshervorragendes Bauwerk seiner Zeit hervortritt.Daran anschließend schildert Dorothea Ohl prä-zise die Gestalt der Klostergebäude und der zuGunsten der Fassadenwirkung zum See genorde-

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Buchbesprechungen

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ten Kirche. Der Betrachtung des Sakralbaus vordem Hintergrund des Vorarlberger Münstersche-mas folgt dabei die gründliche Analyse hin-sichtlich seiner baulichen Vorbilder. Ulrich Knappbefragt die ästhetische Funktion der Architektur-plastik und ihrer skulptural-dekorativen Ausge-staltung und führt schlüssig die Empfindlich-keit des rational erdachten Gesamtgefüges ge-genüber später vorgenommenen Veränderun-gen vor. Von den Entstehungsbedingungen, den künstle-rischen Vorbildern und dem Schicksal des Hoch-altars aus der alten Klosterkirche mit Gemäldendes Johann Christoph Storer berichtet ManfredHermann in einem faszinierenden Aufsatz. Derkünstlerischen Genese des grandiosen neuenHochaltars von Joseph Anton Feuchtmayer spürtMarion Harder-Merkelbach nach und begreiftdiesen als kompositorische Einheit, Fortsetzungund Vollendung der übergreifenden Innenraum-gestaltung. Hermann Brommer beschreibt in ei-nem ausführlichen Inventar den Kirchenschatzdes Priorats. Hier wird deutlich, dass sich aus derZeit des Klosterneubaus keine auch urkundlichnachweisbaren vas sacra überliefert haben, wo-mit ein wichtiger Aspekt der ganzheitlich zu den-kenden Barockliturgie im Dunkeln bleiben muss.Das klösterliche Leben war und ist von einemstrengen Tagesablauf geprägt, weshalb den Uh-ren eine eminente Bedeutung zukam. Karl HeinzBurmeister würdigt die prächtig ausgestattetenZeitzeiger des Klosters nicht nur in ihrer über-schwänglichen künstlerischen Gestaltung, son-dern auch in ihrer historischen Technik.Die umfassende und durchweg gelungene Fest-schrift erhält, wie auch das Gesamtkunstwerk derBirnau selbst, durch die Musik ihren würdigenAbschluss. Christoph Schmider berichtet überdas musikalische Geschehen in der neuen Klos-terkirche, deren Musikgeschichte sich durch diewenigen Quellen lediglich nach Funktion undInhalt der liturgischen Gesänge dokumentierenlässt. Der den Gläubigen einst tatsächlich zu Ge-hör gebrachte Tonsatz hat sich jedoch nicht über-liefert. Clemens Kieser

Heinz Strobl / Ulrich Majocco / Heinz Sieche: Denkmalschutzgesetz für Baden-Würt-temberg. Kommentar mit ergänzendenRechts- und Verwaltungsvorschriften.

2. Auflage 2001, Kohlhammer Verlag Stuttgart,376 Seiten, 85 Euro. ISBN 3-17-015621-7.

12 Jahre nach Erscheinen liegt nun eine Neuauf-lage des in der Denkmalpflegepraxis in Baden-Württemberg nicht mehr hinwegzudenkenden

Werkes vor. Zwei Gesetzesänderungen, einigeVerwaltungsvorschriften und zahlreiche richtungs-weisende Entscheidungen zum Denkmalschutzzu beinahe allen Bereichen haben eine Neuauf-lage notwendig gemacht. Insgesamt ist das Werkvon 247 Seiten auf nunmehr 376 Seiten ange-wachsen. Um es vorwegzunehmen, dem Nutzerwerden auf wissenschaftlich hohem Niveau zu al-len auftretenden Fallgestaltungen praxistauglicheLösungen angeboten.Die bisherige Grundkonzeption, die auch schon in der 1. Auflage überzeugt hat, wurde beibehal-ten. In einleitenden Ausführungen werden diegeschichtliche Entwicklung des Denkmalschutz-rechtes, die Bezüge zum Bauordnungs- und Bau-planungsrecht, zum Steuerrecht sowie das Rechtzum Schutz deutschen Kulturgutes dargestellt.Dem Gesetzestext folgt dann die nach einzel-nen Paragrafen geordnete umfassende Kom-mentierung des Denkmalschutzgesetzes für Ba-den-Württemberg. In einem Anhang sind die zurDenkmalpflege erlassenen einschlägigen landes-rechtlichen Vorschriften, die bundesrechtlichenVorschriften und internationale Konventionen ab-gedruckt. Neu aufgenommen wurden denkmal-fachliche Texte, wie z.B. Charta von Venedig.Den Abschluss bildet ein umfassendes, chrono-logisches Verzeichnis der Rechtsprechung desVerwaltungsgerichtshofes (VGH) Baden-Würt-temberg sowie Bundesgerichtshofes (BGH) unddes Bundesverfassungsgerichtes (BverfG) zumDenkmalschutzgesetz für Baden-Württemberg.Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis erleichtert denZugriff auf spezifische Einzelprobleme, wie z.B.die Frage der Fenstergestaltung oder die Frageder Zulässigkeit von Solaranlagen an einem Denk-mal.Das Kernstück des Buches ist die sehr detailreicheKommentierung der 29 Paragrafen des Denkmal-schutzgesetzes für Baden-Württemberg, die sichan den Bedürfnissen der Praxis orientiert. Sämtli-che Problemgestaltungen des Denkmalschutz-rechts werden umfassend unter Einbeziehung derhierzu erschienenen Literatur und Rechtspre-chung kommentiert. Rechtsprechung und Litera-tur wurden vollständig aufgearbeitet. Im Vorder-grund stehen dabei natürlich die Kommentierungzum Denkmalbegriff, zur Zumutbarkeit der Erhal-tung eines Kulturdenkmals sowie zur Genehmi-gung von Veränderungen an einem Denkmal.Auch die Kommentierung zur Bodendenkmal-pflege nimmt einen großen Raum ein. Beispielhaftseien die Themen Schatzregal, Raubgrabungensowie die Thematik der Funde von Kulturdenk-malen sowie der Ausweisung von Grabungs-schutzgebieten genannt.Die letzte Änderung des Denkmalschutzgesetzesdurch das Gesetz zur Neuorganisation der Natur-

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Bernd Mathias Kremer (Hrsg.): Barockjuwel am Bodensee. 250 Jahre Wallfahrtskirche Birnau.

444 Seiten, 150 meist farbige Abbildungen, gebunden. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg2000, 20 Euro.

Die Wallfahrtskirche Birnau gehört zu den Haupt-werken der Barockkunst in Baden-Württembergund gilt auch außerhalb der Landesgrenzen alsbildlicher Inbegriff der Bodenseelandschaft undihrer Kultur. Im heiligen Jahr 2000 beging manhier den 250. Jahrestag der Klosterweihe. Zu die-sem Anlass hat Bernd Mathias Kremer eine um-fangreiche und ansprechend ausgestattete Fest-schrift herausgegeben, die nicht nur Kirche undPriesterbau als Kunstwerk würdigt, sondern es ineinen übergreifenden religiösen, historischen, so-zialen und landschaftlichen Gesamtzusammen-hang stellt. Der Herausgeber gibt Auskunft überdas wechselvolle Schicksal des Klosters – es warnach der Säkularisation 1807 bis 1919 aufgeho-ben – und reflektiert die nachtridentinische Fröm-migkeitspraxis, die Ursache und Ziel der in Birnauüberwältigend gestalteten künstlerischen Insze-nierung war. Den fundamentalen Zusammenhang von Kunstund Kulturlandschaft untersuchen Felicitas Buch,Volker Caesar und Michael Ruhland. Sie lenkenden Blick auf die wertvolle Umgebung des ba-rocken Klosterbaus mit Schloss Maurach, demSeeufer, den Weinbergen und Streuobstwiesensowie den Kirchweiler Seefelden, deren Gestaltund Topographie sich wesentlich der historischenKlosterwirtschaft verdankt. Die Mitarbeiter desLandesdenkmalamts plädieren nachdrücklich fürdie Ausweisung einer Gesamtanlage „Birnau –Maurach – Seefelden“ (vgl. Nachrichtenblatt1/2001), um nicht nur Gebäude und Kleindenk-male, sondern auch das historisch gewordeneGesamtbild der Landschaft insgesamt vor dendrohenden baulichen Auswirkungen eines ste-tig zunehmenden Verkehrs und des Tourismusschützen zu können.Die neunzehn Aufsätze des Bandes erscheinenunter den Themenschwerpunkten „Kloster undWallfahrt“, „Kunstgeschichte“ und „Kulturge-schichte“. Dass diese Begriffe als Orientierungs-hilfe zu verstehen sind, zeigt bereits der Beitragvon Peter Kalchthaler im ersten Teil, der das theo-logische Programm der Deckenfresken von Gott-fried Bernhard Göz anhand der Birnauer Kirch-weihpredigten von 1750 höchst gewinnbringenderläutert und in der Verknüpfung von Bildquelle

und Text Ikonologie im besten Sinne betreibt. Eingeschriebenes Concetto für den Freskanten hatsich nicht erhalten, dennoch sind die Predigtenprägnante Quellen Bild gewordener Theologie.Unter dem Hauptkapitel „Kunstgeschichte“ er-läutert der gleiche Autor später detailliert diebildlich-skulpturale Kirchenausstattung und ihreallgemeinere Ikonographie. Hans-Otto Mühlei-sens bemerkenswerte Diskussion des BirnauerThesenblattes aus dem Eröffnungsjahr knüpfteng an den ersten Beitrag Kalchthalers an und er-möglicht Einblicke in eine zutiefst rhetorisch ori-entierte Bildgrammatik und -syntax, deren allge-meines Verständnis bereits im 19. Jahrhundertweitgehend verloren gegangen ist. Kenntnisreich belegt die Studie Heinfried Wi-schermanns, dass sich ein zisterziensisches Cha-rakteristikum bezüglich Raumprogramm und -disposition bei der Birnau und vergleichbarenWallfahrtskirchen nicht auffinden lässt. Bei ande-ren Orden, insbesondere bei den Jesuiten, ist dieForschung bereits zu ähnlichen Ergebnissen ge-kommen. Peter Thumb, dem berühmten Vorarl-berger Baumeister und Architekt der Birnau, wid-met Peter Köhler seine bautypologisch ausge-richtete Studie. Das durch ihn auch bildlich an-schaulich dokumentierte Werk wird als Entwick-lung vom Wandpfeilerschema zum Saalbau be-schrieben, wobei die Birnau im Kontext zeitge-nössischer Vergleichsbauten anderer Künstler alshervorragendes Bauwerk seiner Zeit hervortritt.Daran anschließend schildert Dorothea Ohl prä-zise die Gestalt der Klostergebäude und der zuGunsten der Fassadenwirkung zum See genorde-

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ten Kirche. Der Betrachtung des Sakralbaus vordem Hintergrund des Vorarlberger Münstersche-mas folgt dabei die gründliche Analyse hin-sichtlich seiner baulichen Vorbilder. Ulrich Knappbefragt die ästhetische Funktion der Architektur-plastik und ihrer skulptural-dekorativen Ausge-staltung und führt schlüssig die Empfindlich-keit des rational erdachten Gesamtgefüges ge-genüber später vorgenommenen Veränderun-gen vor. Von den Entstehungsbedingungen, den künstle-rischen Vorbildern und dem Schicksal des Hoch-altars aus der alten Klosterkirche mit Gemäldendes Johann Christoph Storer berichtet ManfredHermann in einem faszinierenden Aufsatz. Derkünstlerischen Genese des grandiosen neuenHochaltars von Joseph Anton Feuchtmayer spürtMarion Harder-Merkelbach nach und begreiftdiesen als kompositorische Einheit, Fortsetzungund Vollendung der übergreifenden Innenraum-gestaltung. Hermann Brommer beschreibt in ei-nem ausführlichen Inventar den Kirchenschatzdes Priorats. Hier wird deutlich, dass sich aus derZeit des Klosterneubaus keine auch urkundlichnachweisbaren vas sacra überliefert haben, wo-mit ein wichtiger Aspekt der ganzheitlich zu den-kenden Barockliturgie im Dunkeln bleiben muss.Das klösterliche Leben war und ist von einemstrengen Tagesablauf geprägt, weshalb den Uh-ren eine eminente Bedeutung zukam. Karl HeinzBurmeister würdigt die prächtig ausgestattetenZeitzeiger des Klosters nicht nur in ihrer über-schwänglichen künstlerischen Gestaltung, son-dern auch in ihrer historischen Technik.Die umfassende und durchweg gelungene Fest-schrift erhält, wie auch das Gesamtkunstwerk derBirnau selbst, durch die Musik ihren würdigenAbschluss. Christoph Schmider berichtet überdas musikalische Geschehen in der neuen Klos-terkirche, deren Musikgeschichte sich durch diewenigen Quellen lediglich nach Funktion undInhalt der liturgischen Gesänge dokumentierenlässt. Der den Gläubigen einst tatsächlich zu Ge-hör gebrachte Tonsatz hat sich jedoch nicht über-liefert. Clemens Kieser

Heinz Strobl / Ulrich Majocco / Heinz Sieche: Denkmalschutzgesetz für Baden-Würt-temberg. Kommentar mit ergänzendenRechts- und Verwaltungsvorschriften.

2. Auflage 2001, Kohlhammer Verlag Stuttgart,376 Seiten, 85 Euro. ISBN 3-17-015621-7.

12 Jahre nach Erscheinen liegt nun eine Neuauf-lage des in der Denkmalpflegepraxis in Baden-Württemberg nicht mehr hinwegzudenkenden

Werkes vor. Zwei Gesetzesänderungen, einigeVerwaltungsvorschriften und zahlreiche richtungs-weisende Entscheidungen zum Denkmalschutzzu beinahe allen Bereichen haben eine Neuauf-lage notwendig gemacht. Insgesamt ist das Werkvon 247 Seiten auf nunmehr 376 Seiten ange-wachsen. Um es vorwegzunehmen, dem Nutzerwerden auf wissenschaftlich hohem Niveau zu al-len auftretenden Fallgestaltungen praxistauglicheLösungen angeboten.Die bisherige Grundkonzeption, die auch schon in der 1. Auflage überzeugt hat, wurde beibehal-ten. In einleitenden Ausführungen werden diegeschichtliche Entwicklung des Denkmalschutz-rechtes, die Bezüge zum Bauordnungs- und Bau-planungsrecht, zum Steuerrecht sowie das Rechtzum Schutz deutschen Kulturgutes dargestellt.Dem Gesetzestext folgt dann die nach einzel-nen Paragrafen geordnete umfassende Kom-mentierung des Denkmalschutzgesetzes für Ba-den-Württemberg. In einem Anhang sind die zurDenkmalpflege erlassenen einschlägigen landes-rechtlichen Vorschriften, die bundesrechtlichenVorschriften und internationale Konventionen ab-gedruckt. Neu aufgenommen wurden denkmal-fachliche Texte, wie z.B. Charta von Venedig.Den Abschluss bildet ein umfassendes, chrono-logisches Verzeichnis der Rechtsprechung desVerwaltungsgerichtshofes (VGH) Baden-Würt-temberg sowie Bundesgerichtshofes (BGH) unddes Bundesverfassungsgerichtes (BverfG) zumDenkmalschutzgesetz für Baden-Württemberg.Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis erleichtert denZugriff auf spezifische Einzelprobleme, wie z.B.die Frage der Fenstergestaltung oder die Frageder Zulässigkeit von Solaranlagen an einem Denk-mal.Das Kernstück des Buches ist die sehr detailreicheKommentierung der 29 Paragrafen des Denkmal-schutzgesetzes für Baden-Württemberg, die sichan den Bedürfnissen der Praxis orientiert. Sämtli-che Problemgestaltungen des Denkmalschutz-rechts werden umfassend unter Einbeziehung derhierzu erschienenen Literatur und Rechtspre-chung kommentiert. Rechtsprechung und Litera-tur wurden vollständig aufgearbeitet. Im Vorder-grund stehen dabei natürlich die Kommentierungzum Denkmalbegriff, zur Zumutbarkeit der Erhal-tung eines Kulturdenkmals sowie zur Genehmi-gung von Veränderungen an einem Denkmal.Auch die Kommentierung zur Bodendenkmal-pflege nimmt einen großen Raum ein. Beispielhaftseien die Themen Schatzregal, Raubgrabungensowie die Thematik der Funde von Kulturdenk-malen sowie der Ausweisung von Grabungs-schutzgebieten genannt.Die letzte Änderung des Denkmalschutzgesetzesdurch das Gesetz zur Neuorganisation der Natur-

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schutzverwaltung und zur Änderung des Denk-malschutzgesetzes vom 14. März 2001, das denWegfall des Dissensverfahrens und die Einfüh-rung des Vorlagerechts des Präsidenten des Lan-desdenkmalamtes gebracht hat, wurde bereitsberücksichtigt und ausführlich besprochen. Dieneuere Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichtes, die zum rheinland-pfälzischen Denk-malschutz- und Denkmalpflegegesetz ergangenist, wird im Hinblick auf die baden-württembergi-schen Gegebenheiten exakt analysiert. Die Auto-ren kommen zu dem zutreffenden Ergebnis, dassein Handlungsbedarf für den baden-württember-gischen Gesetzgeber aufgrund der in § 6 Denk-malschutzgesetz für Baden-Württemberg veran-kerten Berücksichtigung der Zumutbarkeit fürden Eigentümer nicht gegeben ist.Die Autoren sind ausgewiesene Kenner der Mate-rie. Sie waren oder sind unmittelbar mit der An-wendung des Denkmalschutzrechts betraut. Ab-weichend von der Vorauflage ist an Stelle von Helmut Birn Heinz Sieche, Leiter des ReferatsDenkmalschutz im Wirtschaftsministerium Ba-den-Württemberg, getreten.Insgesamt zeichnet sich das Werk gleichermaßenals umfassende wissenschaftliche Gesamtdarstel-lung des in Baden-Württemberg geltenden Denk-malschutzrechts wie auch durch seine hohe Pra-xisrelevanz aus. Es ist für die tägliche Praxis allermit der Denkmalpflege Befassten unentbehrlich.

Kurt Gloser

Baden-Württembergischer Archäologie-preis 2002

Die auch in der Denkmalpflege tätige WüstenrotStiftung, Gemeinschaft der Freunde Deutscher Ei-genheimverein e.V., Sitz in Ludwigsburg, ist seitdem Jahre 2001 Stifterin des Baden-Württember-gischen Archäologiepreises. Sie hebt damit ihr In-teresse an der archäologischen Forschung in Ba-den-Württemberg hervor.Für alle an der Landesarchäologie von Baden-Württemberg Interessierte ermöglicht die Wüs-tenrot Stiftung, den seit knapp 20 Jahren fürWürttemberg und seit vier Jahren für das ganzeBundesland ausgeschriebenen Archäologiepreiswieder verleihen zu können.Mit dem Preis ausgezeichnet werden Personenund Institutionen für besondere Verdienste umdie Entdeckung, Erforschung, Erhaltung, Publika-tion oder Präsentation von archäologischen Fun-den im Land Baden-Württemberg. Über die Preis-verleihung entscheidet eine Jury.Der Baden-Württembergische Archäologiepreis

wird alle zwei Jahre vergeben. Er teilt sich in einenHauptpreis in Höhe von 5000 Euro und in einenFörderpreis von 2500 Euro.Der Baden-Württembergische Archäologiepreiswird hiermit für das Jahr 2002 ausgeschrieben.Vorschläge sind bis zum 15. Juni 2002 einzurei-chen an den Vorsitzenden der Jury:Prof. Dr. Dieter PlanckLandesdenkmalamt Baden-WürttembergMörikestraße 1270178 Stuttgart

Die Vorschläge müssen eingehend schriftlich undmöglichst mit Bildunterlagen begründet werden.Der Archäologiepreis wird am 28. November2002 in Stuttgart verliehen.

Weitere Informationen: Wüstenrot Stiftung, Ge-meinschaft der Freunde Deutscher Eigenheimver-ein e.V., Hohenzollernstraße 46, 71638 Ludwigs-burg, Telefon: 0 71 41 / 16 –1.

Kolloquium zu römischen Heilthermen

Veranstaltet vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Badenweiler und der BadenweilerThermen und Touristik GmbHFreitag, 14. Juni 2002Kursaal BadenweilerBeginn: 10.30 Uhr

ProgrammBegrüßung und Einführung:Prof. Dr. D. PlanckBürgermeister K. E. Engler, BadenweilerVorträge:H. U. Nuber: Topographie und Bedeutung des rö-mischen Badenweiler;H. v. d. Osten-Wolkenburg: Geophysikalische Un-tersuchungen in Badenweiler;G. Seitz: Römische Tempel von Badenweiler;M. N. Filgis: Die römischen Heilthermen von Ba-denweiler;H. Chr. Grassmann: Wärme und Bauphysik in derrömischen Heiltherme von Badenweiler;W. Heinz: Metrologie der römischen Heilthermenvon Badenweiler;G. Fingerlin: Badenweiler in nachrömischer Zeit;P. Davenport: Roman Baths at Bath;A. Yaras: Die römischen Thermen von Allianoinahe Pergamon.Führung durch die BadruineEmpfang durch die Gemeinde Badenweiler

Tagungsbeitrag:10 Euro. Jeder Teilnehmer erhält mit der Tagungs-

Mitteilungen

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mappe den neuesten archäologischen Führer zuden römischen Heilthermen in Badenweiler.

Schriftliche Anmeldung (bis zum 7. Juni 2002):Herr Dr. Jörg BofingerLandesdenkmalamt Baden-WürttembergArchäologische DenkmalpflegeSilberburgstraße 19370178 StuttgartTel. 0711 / 169 -732 Fax: 0711 / 1694 -707

Verband der Restauratoren e.V. (VDR)

Am 29. September 2001 wurde auf dem Restau-ratorentag in Berlin der formelle Zusammen-schluss von sieben deutschen Restauratorenver-bänden zum „Verband der Restauratoren e.V.(VDR)“ vollzogen. Als Sprecher der LandesgruppeBaden-Württemberg wurden Otto Wölbert, Lan-desdenkmalamt Baden-Württemberg, ReferatRestaurierung, sowie Peter Volkmer, freiberufli-cher Restaurator, Rötenberg, gewählt.Die erste Sitzung der Landesgruppe Baden-Würt-temberg fand am 23. November 2001 im Würt-tembergischen Landesmuseum Stuttgart unterVorsitz von O. Wölbert statt. Von den 500 in derLandesgruppe organisierten Mitgliedern nahmenetwa 100 an dieser Veranstaltung teil und nutztendie Gelegenheit u.a. zur Diskussion. Dabei spra-chen sich die Anwesenden vehement als vorran-giges Ziel der Verbandsarbeit für die Durchset-zung eines Berufsschutzes für Restauratoren aus.

Claudia Mohn

Mittelalterarchäologie, Bauarchäologie / Bau-forschung Stuttgart

Claudia Mohn, 1967 in Potsdam geboren, stu-dierte nach einer zweijährigen Tätigkeit als Mu-seumsassistentin bei den Schlössern und Gär-ten Potsdam-Sanssouci Kunstgeschichte, Bau-forschung und Mittelalterarchäologie an denUniversitäten Greifswald, Weimar und Bamberg.Während des Studiums arbeitete sie in verschie-denen Bereichen der Bauforschung und war nachdem Abschluss 1996 Stipendiatin im Graduier-tenkolleg Kunstgeschichte – Bauforschung –Denkmalpflege der Universität Bamberg und derTU Berlin. Ihre Dissertation, die kurz vor der Ab-gabe steht, beschäftigt sich mit Klöstern der Zis-terzienserinnen, speziell mit den Auswirkungen,

welche die spezifischen Bedingungen der Frauen-konvente auf die Struktur ihrer Bauanlagen hat-ten.1998 war Frau Mohn am Landesamt für Archäo-logie Sachsen an der Vorbereitung der Sächsi-schen Landesaustellung „Zeit und Ewigkeit“ imKloster St. Marienstern beteiligt und arbeitetedort anschließend als Bauforscherin bei verschie-denen Grabungen mit.Nach Lehraufträgen im Aufbaustudium Denk-malpflege an der Universität Bamberg und derTFH Berlin war sie bis zu ihrem Wechsel nachStuttgart als wissenschaftliche Mitarbeiterin imFachgebiet Bau- und Stadtbaugeschichte an derTU Berlin beschäftigt.Seit Februar 2001 ist Claudia Mohn im ReferatMittelalterarchäologie in Stuttgart als Baufor-scherin tätig. Wesentliche Aufgabenbereiche lie-gen in der referatsübergreifenden Koordinationbauhistorischer Untersuchungen, insbesondere ih-rer wissenschaftlichen und technischen Vorberei-tung und Begleitung.

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PersonaliaAbbildungsnachweis

LDA, Stuttgart, Restaurierung: Titelbild;Jean Jeras, Breisach: 48, 49;P. Wichmann, Freiburg: 50 unten, 51;Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, München: 16 oben;Stadt Ellwangen: 47;Aus: Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 44. Stuttgart 2001, 10: 40;Aus: Fotografie und Gedächtnis. Sachsen-Anhalt.Eine Bilddokumentation. Hrsg. D. Kerbs u.S. Schleußner. be.bra Verlag, Berlin-Brandenburg1997, 151: 73;LDA, Stuttgart, O. Braasch: L 7524/013-00, 1987:23; L 6524/0358-03, 1995: 35; L 7122/028-01,2000: 41; L 7122/003-00, 1990: 43; L 6722/010-00,1990: 45;LDA, Stuttgart: 5 bis 12, 13 bis 15, 16 unten bis19, 23, 24, 33 bis 37, 42;LDA,Tübingen: 46.

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ten Kirche. Der Betrachtung des Sakralbaus vordem Hintergrund des Vorarlberger Münstersche-mas folgt dabei die gründliche Analyse hin-sichtlich seiner baulichen Vorbilder. Ulrich Knappbefragt die ästhetische Funktion der Architektur-plastik und ihrer skulptural-dekorativen Ausge-staltung und führt schlüssig die Empfindlich-keit des rational erdachten Gesamtgefüges ge-genüber später vorgenommenen Veränderun-gen vor. Von den Entstehungsbedingungen, den künstle-rischen Vorbildern und dem Schicksal des Hoch-altars aus der alten Klosterkirche mit Gemäldendes Johann Christoph Storer berichtet ManfredHermann in einem faszinierenden Aufsatz. Derkünstlerischen Genese des grandiosen neuenHochaltars von Joseph Anton Feuchtmayer spürtMarion Harder-Merkelbach nach und begreiftdiesen als kompositorische Einheit, Fortsetzungund Vollendung der übergreifenden Innenraum-gestaltung. Hermann Brommer beschreibt in ei-nem ausführlichen Inventar den Kirchenschatzdes Priorats. Hier wird deutlich, dass sich aus derZeit des Klosterneubaus keine auch urkundlichnachweisbaren vas sacra überliefert haben, wo-mit ein wichtiger Aspekt der ganzheitlich zu den-kenden Barockliturgie im Dunkeln bleiben muss.Das klösterliche Leben war und ist von einemstrengen Tagesablauf geprägt, weshalb den Uh-ren eine eminente Bedeutung zukam. Karl HeinzBurmeister würdigt die prächtig ausgestattetenZeitzeiger des Klosters nicht nur in ihrer über-schwänglichen künstlerischen Gestaltung, son-dern auch in ihrer historischen Technik.Die umfassende und durchweg gelungene Fest-schrift erhält, wie auch das Gesamtkunstwerk derBirnau selbst, durch die Musik ihren würdigenAbschluss. Christoph Schmider berichtet überdas musikalische Geschehen in der neuen Klos-terkirche, deren Musikgeschichte sich durch diewenigen Quellen lediglich nach Funktion undInhalt der liturgischen Gesänge dokumentierenlässt. Der den Gläubigen einst tatsächlich zu Ge-hör gebrachte Tonsatz hat sich jedoch nicht über-liefert. Clemens Kieser

Heinz Strobl / Ulrich Majocco / Heinz Sieche: Denkmalschutzgesetz für Baden-Würt-temberg. Kommentar mit ergänzendenRechts- und Verwaltungsvorschriften.

2. Auflage 2001, Kohlhammer Verlag Stuttgart,376 Seiten, 85 Euro. ISBN 3-17-015621-7.

12 Jahre nach Erscheinen liegt nun eine Neuauf-lage des in der Denkmalpflegepraxis in Baden-Württemberg nicht mehr hinwegzudenkenden

Werkes vor. Zwei Gesetzesänderungen, einigeVerwaltungsvorschriften und zahlreiche richtungs-weisende Entscheidungen zum Denkmalschutzzu beinahe allen Bereichen haben eine Neuauf-lage notwendig gemacht. Insgesamt ist das Werkvon 247 Seiten auf nunmehr 376 Seiten ange-wachsen. Um es vorwegzunehmen, dem Nutzerwerden auf wissenschaftlich hohem Niveau zu al-len auftretenden Fallgestaltungen praxistauglicheLösungen angeboten.Die bisherige Grundkonzeption, die auch schon in der 1. Auflage überzeugt hat, wurde beibehal-ten. In einleitenden Ausführungen werden diegeschichtliche Entwicklung des Denkmalschutz-rechtes, die Bezüge zum Bauordnungs- und Bau-planungsrecht, zum Steuerrecht sowie das Rechtzum Schutz deutschen Kulturgutes dargestellt.Dem Gesetzestext folgt dann die nach einzel-nen Paragrafen geordnete umfassende Kom-mentierung des Denkmalschutzgesetzes für Ba-den-Württemberg. In einem Anhang sind die zurDenkmalpflege erlassenen einschlägigen landes-rechtlichen Vorschriften, die bundesrechtlichenVorschriften und internationale Konventionen ab-gedruckt. Neu aufgenommen wurden denkmal-fachliche Texte, wie z.B. Charta von Venedig.Den Abschluss bildet ein umfassendes, chrono-logisches Verzeichnis der Rechtsprechung desVerwaltungsgerichtshofes (VGH) Baden-Würt-temberg sowie Bundesgerichtshofes (BGH) unddes Bundesverfassungsgerichtes (BverfG) zumDenkmalschutzgesetz für Baden-Württemberg.Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis erleichtert denZugriff auf spezifische Einzelprobleme, wie z.B.die Frage der Fenstergestaltung oder die Frageder Zulässigkeit von Solaranlagen an einem Denk-mal.Das Kernstück des Buches ist die sehr detailreicheKommentierung der 29 Paragrafen des Denkmal-schutzgesetzes für Baden-Württemberg, die sichan den Bedürfnissen der Praxis orientiert. Sämtli-che Problemgestaltungen des Denkmalschutz-rechts werden umfassend unter Einbeziehung derhierzu erschienenen Literatur und Rechtspre-chung kommentiert. Rechtsprechung und Litera-tur wurden vollständig aufgearbeitet. Im Vorder-grund stehen dabei natürlich die Kommentierungzum Denkmalbegriff, zur Zumutbarkeit der Erhal-tung eines Kulturdenkmals sowie zur Genehmi-gung von Veränderungen an einem Denkmal.Auch die Kommentierung zur Bodendenkmal-pflege nimmt einen großen Raum ein. Beispielhaftseien die Themen Schatzregal, Raubgrabungensowie die Thematik der Funde von Kulturdenk-malen sowie der Ausweisung von Grabungs-schutzgebieten genannt.Die letzte Änderung des Denkmalschutzgesetzesdurch das Gesetz zur Neuorganisation der Natur-

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schutzverwaltung und zur Änderung des Denk-malschutzgesetzes vom 14. März 2001, das denWegfall des Dissensverfahrens und die Einfüh-rung des Vorlagerechts des Präsidenten des Lan-desdenkmalamtes gebracht hat, wurde bereitsberücksichtigt und ausführlich besprochen. Dieneuere Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichtes, die zum rheinland-pfälzischen Denk-malschutz- und Denkmalpflegegesetz ergangenist, wird im Hinblick auf die baden-württembergi-schen Gegebenheiten exakt analysiert. Die Auto-ren kommen zu dem zutreffenden Ergebnis, dassein Handlungsbedarf für den baden-württember-gischen Gesetzgeber aufgrund der in § 6 Denk-malschutzgesetz für Baden-Württemberg veran-kerten Berücksichtigung der Zumutbarkeit fürden Eigentümer nicht gegeben ist.Die Autoren sind ausgewiesene Kenner der Mate-rie. Sie waren oder sind unmittelbar mit der An-wendung des Denkmalschutzrechts betraut. Ab-weichend von der Vorauflage ist an Stelle von Helmut Birn Heinz Sieche, Leiter des ReferatsDenkmalschutz im Wirtschaftsministerium Ba-den-Württemberg, getreten.Insgesamt zeichnet sich das Werk gleichermaßenals umfassende wissenschaftliche Gesamtdarstel-lung des in Baden-Württemberg geltenden Denk-malschutzrechts wie auch durch seine hohe Pra-xisrelevanz aus. Es ist für die tägliche Praxis allermit der Denkmalpflege Befassten unentbehrlich.

Kurt Gloser

Baden-Württembergischer Archäologie-preis 2002

Die auch in der Denkmalpflege tätige WüstenrotStiftung, Gemeinschaft der Freunde Deutscher Ei-genheimverein e.V., Sitz in Ludwigsburg, ist seitdem Jahre 2001 Stifterin des Baden-Württember-gischen Archäologiepreises. Sie hebt damit ihr In-teresse an der archäologischen Forschung in Ba-den-Württemberg hervor.Für alle an der Landesarchäologie von Baden-Württemberg Interessierte ermöglicht die Wüs-tenrot Stiftung, den seit knapp 20 Jahren fürWürttemberg und seit vier Jahren für das ganzeBundesland ausgeschriebenen Archäologiepreiswieder verleihen zu können.Mit dem Preis ausgezeichnet werden Personenund Institutionen für besondere Verdienste umdie Entdeckung, Erforschung, Erhaltung, Publika-tion oder Präsentation von archäologischen Fun-den im Land Baden-Württemberg. Über die Preis-verleihung entscheidet eine Jury.Der Baden-Württembergische Archäologiepreis

wird alle zwei Jahre vergeben. Er teilt sich in einenHauptpreis in Höhe von 5000 Euro und in einenFörderpreis von 2500 Euro.Der Baden-Württembergische Archäologiepreiswird hiermit für das Jahr 2002 ausgeschrieben.Vorschläge sind bis zum 15. Juni 2002 einzurei-chen an den Vorsitzenden der Jury:Prof. Dr. Dieter PlanckLandesdenkmalamt Baden-WürttembergMörikestraße 1270178 Stuttgart

Die Vorschläge müssen eingehend schriftlich undmöglichst mit Bildunterlagen begründet werden.Der Archäologiepreis wird am 28. November2002 in Stuttgart verliehen.

Weitere Informationen: Wüstenrot Stiftung, Ge-meinschaft der Freunde Deutscher Eigenheimver-ein e.V., Hohenzollernstraße 46, 71638 Ludwigs-burg, Telefon: 0 71 41 / 16 –1.

Kolloquium zu römischen Heilthermen

Veranstaltet vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Badenweiler und der BadenweilerThermen und Touristik GmbHFreitag, 14. Juni 2002Kursaal BadenweilerBeginn: 10.30 Uhr

ProgrammBegrüßung und Einführung:Prof. Dr. D. PlanckBürgermeister K. E. Engler, BadenweilerVorträge:H. U. Nuber: Topographie und Bedeutung des rö-mischen Badenweiler;H. v. d. Osten-Wolkenburg: Geophysikalische Un-tersuchungen in Badenweiler;G. Seitz: Römische Tempel von Badenweiler;M. N. Filgis: Die römischen Heilthermen von Ba-denweiler;H. Chr. Grassmann: Wärme und Bauphysik in derrömischen Heiltherme von Badenweiler;W. Heinz: Metrologie der römischen Heilthermenvon Badenweiler;G. Fingerlin: Badenweiler in nachrömischer Zeit;P. Davenport: Roman Baths at Bath;A. Yaras: Die römischen Thermen von Allianoinahe Pergamon.Führung durch die BadruineEmpfang durch die Gemeinde Badenweiler

Tagungsbeitrag:10 Euro. Jeder Teilnehmer erhält mit der Tagungs-

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