2
24 IBN | 2 | 2018 „Hör auf zu träumen!“, hören viele, die ihr Hobby zum Beruf machen wollen. Wer sich traut, weiter zu träumen, wird nicht unbedingt reich, aber unter Umständen glück- licher. Johanna Autenrieth hat es gewagt und betreibt heute erfolg- reich eine Segelschule in Lindau. Nach ihrem Studium der Betriebswirtschafts- lehre bekam Johanna Autenrieth sofort einen Job. Die Bezahlung stimmte, doch richtig zu- frieden war die junge Frau nicht. „Abends fragte ich mich immer: War‘s das jetzt?“, be- richtet sie. Irgendetwas habe ihr gefehlt. In ihrer Freizeit, schon während des Studiums, arbeitete sie als Segellehrerin und brachte an- deren das Segeln bei. Machte nebenher alle Führerscheine, vom Bodenseeschifferpatent bis zum Sporthochseeschifferschein und zeigte Freizeitkapitänen, besser zu skippern. Ein Regattatraining auf Mallorca verursachte dann eine Welle, groß genug, ihr bisheriges Leben zu unterspülen. Der Regattaleiter ließ sie eine völlig unerfahrene Crew auf ihrer Jan- tar 26 trainieren. Als diese bei der Regatta den ersten Platz belegte, versuchte sie jeder davon zu überzeugen, ihre Begabung zu nutzen und ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Mit 30 definierte sie ihr Ziel: eine eigene Se- gelschule am Bodensee, auf der Lindauer Insel. Der Alltag fordert die ganze Frau PRAXIS | BERUFE IM WASSERSPORT

Der Alltag fordert die ganze Frau - Hanna Autenrieth · 2020. 1. 21. · tar 26 trainieren. Als diese bei der Regatta den ersten Platz belegte, versuchte sie jeder davon zu überzeugen,

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Der Alltag fordert die ganze Frau - Hanna Autenrieth · 2020. 1. 21. · tar 26 trainieren. Als diese bei der Regatta den ersten Platz belegte, versuchte sie jeder davon zu überzeugen,

24 IBN | 2 | 2018

„Hör auf zu träumen!“, hören viele, die ihr Hobby zum Beruf machen wollen. Wer sich traut, weiter zu träumen, wird nicht unbedingt reich, aber unter Umständen glück-licher. Johanna Autenrieth hat es gewagt und betreibt heute erfolg-reich eine Segelschule in Lindau.

Nach ihrem Studium der Betriebswirtschafts­lehre bekam Johanna Autenrieth sofort einen Job. Die Bezahlung stimmte, doch richtig zu­frieden war die junge Frau nicht. „Abends fragte ich mich immer: War‘s das jetzt?“, be­richtet sie. Irgendetwas habe ihr gefehlt. In ihrer Freizeit, schon während des Studiums, arbeitete sie als Segellehrerin und brachte an­deren das Segeln bei. Machte nebenher alle Führerscheine, vom Bodenseeschifferpatent bis zum Sporthochseeschifferschein und zeigte Freizeitkapitänen, besser zu skippern.Ein Regattatraining auf Mallorca verursachte dann eine Welle, groß genug, ihr bisheriges Leben zu unterspülen. Der Regattaleiter ließ sie eine völlig unerfahrene Crew auf ihrer Jan­tar 26 trainieren. Als diese bei der Regatta den ersten Platz belegte, versuchte sie jeder davon zu überzeugen, ihre Begabung zu nutzen und ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Mit 30 definierte sie ihr Ziel: eine eigene Se­gelschule am Bodensee, auf der Lindauer Insel.

Der Alltag fordert die ganze Frau

PRAXIS | BERUFE IM WASSERSPORT

Page 2: Der Alltag fordert die ganze Frau - Hanna Autenrieth · 2020. 1. 21. · tar 26 trainieren. Als diese bei der Regatta den ersten Platz belegte, versuchte sie jeder davon zu überzeugen,

25IBN | 2 | 2018

BEURFE IM WASSERSPORT | PRAXIS

Mit Beharrlichkeit und Vertrauen ins Leben kündigte sie ihren Job und machte Belegnägel mit Köpfen. Ließ sich ab 2006 von Segelschulen anheuern und erstellte ein Konzept für ihren ei­genen Betrieb. Schnell fand sie ihr Traumboot, eine First Class 8 und ein geeignetes Motor­boot, aber keine Liegeplätze zur gewerblichen Nutzung. Bei einem Segelclub kam sie schließlich unter. Ein Mitbewerber zeigte sie aber an und sie musste den Hafen verlassen. 2008 hatte sie zwar ihr Auftragsbuch voll, aber keinen Platz, um ihre Schulungsboote hinzulegen. Wie nach einem Tsunami drohte ihre Existenz davonzu­schwimmen. Jahrelang hatte sie versucht, einen Liegeplatz im Lindauer Bundesbahnhafen zu bekommen. Erfolglos. Dieser gehörte damals noch zu Kon­stanz und dort hielt man sich an die Verord­nung und das war‘s. Johanna konnte nicht mehr schlafen und als die Not am größten war, fand sich ein hilfreicher Geist, der erwirkte, dass sie fortan am Steg 5 zwei Plätze zur ge­werblichen Nutzung bekam. So wirkte die zunächst destruktive Energie am Ende zugunsten der Frau mit der großen Lei­denschaft. Auch als der Hafen in Teilen zurück an Lindau ging und ihre Plätze erneut in Gefahr gerieten, stand sie unter einem guten Stern. Johanna hat den Kampf um die Liegeplätze gewonnen. Ein Kampf, der exemplarisch ist für die Situation am Bodensee und der den Traum von der Segelschule schnell zum Alptraum ma­chen kann.Schon als Kind galt Johannas Liebe dem Segeln. War sie mit dem Boot auf dem Bodensee, war alles gut. Dabei hatten es ihr vor allem die Wol­ken angetan, die „schwebenden Flüsse“, wie sie ihr Vater nannte. Sie entwickelte eine große Liebe zur Natur, auf die sich das Mädchen ver­lassen konnte. Ihr vertraute sie, egal, ob sie übers Wasser fuhr oder auf Bäume kletterte. Angst hatte sie dabei nie. Nur Respekt. Der war so groß, dass sie die Natur für den Gesetzgeber der Menschen hielt. Da war sie zehn Jahre alt. Diese besondere Beziehung hat sie sich bis zum heutigen Tag bewahrt. Aus dieser Quelle schöpft sie die Energie, die sie tagtäglich bei der Arbeit mit ihren Schülern braucht. Und davon braucht sie jede Menge. So traumhaft schön sie ihren Beruf erlebt, der

Alltag fordert meist die ganze Frau. „Ich muss immer mit meiner gesamten Aufmerksam­keit bei meinen Schülern, bei meinem Boot, beim Wetter sein“, erzählt sie, wobei ihre von sonnenverwöhnten Lachfältchen gesäumten Augen leuchten. Man sieht ihr an, dass sie Hand in Hand mit der Natur arbeitet. „Ich bin immer draußen sagt sie“, und wenn‘s regnet, dann regnet es eben. Um diese Tatsache kom­men auch ihre Schüler nicht herum.Morgens um sechs gilt ihre Aufmerksamkeit zunächst der Büroarbeit. Nur so hat sie den Kopf für den Rest des Tages frei, der im Sommer um neun Uhr mit Vorbereitung des praktischen Unterrichts beginnt. Samstags, zu Kursbeginn, begrüßt sie nach dem Abdecken der Boote ihre neuen Schüler und weist sie in das Boot und seine Begrifflichkeiten ein. Nach einer Mittagspause geht’s dann zum ersten Mal aufs Wasser. Anluven, abfallen, wenden, halsen, Schotführung und was das Backstag so macht – mit maximal vier Schü­lern hat jeder Gelegenheit, alles zu probieren. Nebenbei gibt die Lehrerin eine Einführung in die Wetter­ und Wolkenkunde und zeigt den Neulingen, wie man auf dem Wasser den Wind erkennt. Ist Rasmus mal schlecht gelaunt und macht statt Wind muffige Flaute, werden Knoten oder Reffen geübt. So bleibt sie auch bei der Mittagspause flexibel. Ob essen gehen an Land oder Vesper auf dem Wasser entscheidet nicht die Uhr, sondern allein der Wind. Denn bereits am Donnerstag ist praktische Prüfung und da zählt eben jede Stunde, die die angehenden Ka­pitäne auf dem Wasser verbringen. Während sich die Schüler mit Pinne, Groß­ und Vorschot vertraut machen, steht Johanna Au­tenrieth im Niedergang. Nur wenn ein Steuer­mann extrem ängstlich ist, setzt sie sich neben den Schüler nach Lee. „Ich will, dass meine Schüler am Ende ein Boot führen können“, sagt die energische Frau und meint damit nicht nur das Boot auf dem Wasser. „Der Schiffsführer muss Chef sein“, findet sie, „muss delegieren können.“ Für sie sind eine klare Kommandosprache und die Vorbereitung von An­ und Ablegen das A und O. Nur wenn jeder in der Mannschaft seine Position und seine Aufgabe kennt, kann das Manöver später reibungslos, unaufgeregt und ohne Geschrei an Bord funktionieren. Denn eines toleriert die Chefin an Bord nicht. Und das ist ein respektloser Umgang des Steu­ermanns mit der Crew oder der Crew unterei­

nander. Rumbrüllen und anderen in die Pinne greifen sind für sie ein absolutes No­Go. Dieser kultivierte Umgangston an Bord ist ihrer Meinung nach gerade für Frauen wichtig. Mit einem Anteil von 20 bis 30 Prozent liegt er in ihrer Schule relativ hoch und ihr erklärtes Ziel ist, Seglerinnen mehr Mut und Selbstbewusst­sein an Bord zu vermitteln. Während Männer, besonders bei der Motor­bootausbildung, sofort und oft unreflektiert Gas geben und Fehler ohne Schaden für das Ego in Kauf nehmen, plagen sich Frauen bereits vor ihrem ersten Versuch mit Versagensängs­ten und fürchten, sich zu blamieren. Vielfach bildet sie auch Frauen auf ihren eigenen Boo­ten aus. Traumatisiert vom Gebrüll unfähiger Skipper oder zu viel Lage bei starkem Wind, wollen viele trotzdem segeln und Herr über ihre Ängste und ihre Wasserfahrzeuge werden. „Manche von ihnen“, sagt Autenrieth nicht ohne Stolz, „segeln heute erfolgreich alleine.“Konzentriert sich Johannas Leben im Sommer auf den See, so findet es im Herbst und Win­ter eher in ihrer Segelschule auf der Lindauer Insel statt. Mit selbst erarbeitetem Lehrmate­rial werden die maximal zehn bis elf Schüler auch hier zum aktiven Mitmachen, zum Sel­berschreiben und Formulieren mit eigenen Worten motiviert. Frontalunterricht mit Zeit zum Schlafen in der letzten Reihe bietet sie nicht. Ein Konzept, das sich, wie sie sagt, in einer extrem niedrigen Durchfallquote widerspiegelt. „Ich könnte plat­zen vor Stolz“, sagt sie, wenn ihre Schüler die Prüfung bestehen. Das Resultat dessen, was sie vermittelt hat, zu sehen, ist, was sie motiviert. Es ist die Dividende ihrer Investition an Energie, Geduld und ihrer Fähigkeit, sich in die Schüler hineinzuversetzen.Ansonsten ist Johanna keine, die den Winter besonders mag. Da kommt es ihr sehr gelegen, dass sie inzwischen regelmäßig Aufträge zur Überführung von Yachten hat. Verlegt sie eine Yacht zum Beispiel von Kuba nach Martinique, da der Eigner keine Zeit dafür hat, nimmt sie auch interessierte Schüler mit. Neben jeder Menge Erfahrung bekommen diese zusätzlich die Gelegenheit, Meilen zu sammeln für den Sportküstenschiffer­, Sportseeschiffer­ und Sporthochseeschiffer­Schein. Und manchmal kommt sie sogar dazu, ganz privat zu segeln. Denn entgegen der gängigen Weisheit, dass einer, der sein Hobby zum Beruf macht, sich ein neues Hobby suchen muss, ist sie ihrem bis heute treu geblieben. AB

Johanna Autenrieth betreibt die Segel- und Motorboot-

schule Lindau, eine von vielen rund um den See in allen

drei Anrainerstaaten.