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Albrecht v. Graefes Arch. klin. exp. Ophthal. 174, 326--335 (1968) Der cephale Blutdruck bei Form- und Verlaufsanomalien der Carotiden I-I. BETTELIIEIH II. Augenklinik der Universit~it Wien (Vorstand: Prof. Dr. J. BScK) Eingegangen am 20. November 1967 Anomalien der Form und des Verlaufes der Halsschlagadern sind seit den anatomisehen Studien yon Ca~o~, MOO~H~AD und SMI~ (1902) bekannt. Die Beziehungen zwisehen den in der angloamerikanischen Literatur als tortuosity, coiling und kinking bezeiehneten Ver/~nderungen der Carotiden und eerebralen Durehblutungsst6rungen haben vor allem in den letzten Jahren durch angiographisehe Untersuehungen gr6Beres Interesse erweekt. Eine umfassende Darstellung angiographischer Befunde bei abnormer Schlingen- bildung oder Kniekung der Carotiden und der daraus mitanter resultierenden cerebrovascul~ren Insuffizienz stammt von WEIBEL und FIELDS. Sic unterscheiden drei I-Iauptformen der regelwidrigen Konfiguration der Halsschlagadern: 1. tortuosity. Die cervicalen Anteile der 6fters st/irker elongierten Carotiden sind betrgchtlieh gewunden, racist C-, manchmal auch S-fSrmig (Abb. 1). 2. coiling. Die Carotiden sind stark geschl~ingelt, sic weisen Sehleifen in S-, gelegentlich auch fast in Kreisform auf (Abb. 2). 3. kinking. Ein oder mehrere Segmente der Halsschlagadern sind abgeknickt oder abgewinkelt. Das geknickte Segment bildet eine Stenose der Strombahn, der proximal davon gelegene Gefi~Babschnitt ist dilatiert (Abb. 3), doch sieht man charakteristischerweise auch poststenotische Dilatationen. Nach Ansicht WEIBELS und FIELDS sind die als tortuosity oder coiling bezeichneten Formanomalien ange- borene Fehlbildungen. Nan finder sic schon bei Kindern und Jugendlichen, die weder Zeichen der Gefgltsklerose noch der Hypertonie aufweisen. Zumeist sind die Veriinderungen bilateral und symmetrisch, beide Carotiden also etwa in gleicher Weise und im gleichen AusmaB betroffen. Das sog. Kinkingsyndrom tritt dagegen erst im sp~teren Lebensalter auf. Es wird dureh sklerotische Plaques im Bereich yon sehon seit der Geburt starker geschl~ingelten oder gewundenen Gei/iB- abschnitten hervorgerufen. Somit is% es Ms erworbene Ver/inderung anzusehen, die sich den angeborenen Formanomalien (tortuosity, coiling) sozusagen aufpfropft. Wiihrend also der Begriff des kinking eine Carotisstenose impliziert, sind weder bei der tortuosity noch beim coiling Einengungen des Lumens der Halsschlagader nachweisbar. Eine hgmodynamische Insuffizienz ist jedoch vor Mlem beim coiling durch den erhShten Gef/igwiderstand innerhalb des geschliingelten, gewundenen Abschnittes durchaus m6glich. Nicht alle Autoren beurteilen die Zusammenh/~nge zwisehen cere- bralen DurchblutungsstSrungen und den Form- und Verlaufsanomalien der Carotiden in gleicher Weise. QUATTELBAUM beobachtete bei drei Patienten mit passageren Hemiloaresen jeweils ein ausgeprS~gtes kinking,

Der cephale Blutdruck bei Form- und Verlaufsanomalien der Carotiden

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Albrecht v. Graefes Arch. klin. exp. Ophthal. 174, 326--335 (1968)

Der cephale Blutdruck bei Form- und Verlaufsanomalien der Carotiden

I-I. BETTELIIEIH

II. Augenklinik der Universit~it Wien (Vorstand: Prof. Dr. J. BScK)

Eingegangen am 20. November 1967

Anomal ien der F o r m und des Verlaufes der Ha l ssch lagadern sind seit den ana tomisehen Studien yon C a ~ o ~ , MOO~H~AD und S M I ~ (1902) bekann t . Die Beziehungen zwisehen den in der angloamer ikanischen L i t e r a tu r als tortuosity, coiling und kinking bezeiehneten Ver/~nderungen der Caro t iden und eerebralen Durehb lu tungss t6 rungen haben vor al lem in den le tz ten J a h r e n durch angiographisehe Unte r suehungen gr6Beres In teresse erweekt .

Eine umfassende Darstellung angiographischer Befunde bei abnormer Schlingen- bildung oder Kniekung der Carotiden und der daraus mitanter resultierenden cerebrovascul~ren Insuffizienz stammt von WEIBEL und FIELDS. Sic unterscheiden drei I-Iauptformen der regelwidrigen Konfiguration der Halsschlagadern:

1. tortuosity. Die cervicalen Anteile der 6fters st/irker elongierten Carotiden sind betrgchtlieh gewunden, racist C-, manchmal auch S-fSrmig (Abb. 1).

2. coiling. Die Carotiden sind stark geschl~ingelt, sic weisen Sehleifen in S-, gelegentlich auch fast in Kreisform auf (Abb. 2).

3. kinking. Ein oder mehrere Segmente der Halsschlagadern sind abgeknickt oder abgewinkelt. Das geknickte Segment bildet eine Stenose der Strombahn, der proximal davon gelegene Gefi~Babschnitt ist dilatiert (Abb. 3), doch sieht man charakteristischerweise auch poststenotische Dilatationen. Nach Ansicht WEIBELS und FIELDS sind die als tortuosity oder coiling bezeichneten Formanomalien ange- borene Fehlbildungen. Nan finder sic schon bei Kindern und Jugendlichen, die weder Zeichen der Gefgltsklerose noch der Hypertonie aufweisen. Zumeist sind die Veriinderungen bilateral und symmetrisch, beide Carotiden also etwa in gleicher Weise und im gleichen AusmaB betroffen. Das sog. Kinkingsyndrom tritt dagegen erst im sp~teren Lebensalter auf. Es wird dureh sklerotische Plaques im Bereich yon sehon seit der Geburt starker geschl~ingelten oder gewundenen Gei/iB- abschnitten hervorgerufen. Somit is% es Ms erworbene Ver/inderung anzusehen, die sich den angeborenen Formanomalien (tortuosity, coiling) sozusagen aufpfropft. Wiihrend also der Begriff des kinking eine Carotisstenose impliziert, sind weder bei der tortuosity noch beim coiling Einengungen des Lumens der Halsschlagader nachweisbar. Eine hgmodynamische Insuffizienz ist jedoch vor Mlem beim coiling durch den erhShten Gef/igwiderstand innerhalb des geschliingelten, gewundenen Abschnittes durchaus m6glich.

Nich t alle Au to ren beur te i len die Zusammenh/~nge zwisehen cere- bra len Durchb lu tungss tSrungen und den Form- und Ver laufsanomal ien der Carot iden in gleicher Weise. QUATTELBAUM beobach te te bei drei Pa t i en t en mi t passageren Hemiloaresen jeweils ein ausgeprS~gtes kinking,

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das er Ms Ursaehe der Ausfallserseheinungen ansah. BA~rE~ n. Mitarb. konstatierten bei einer groBen Anzahl yon Kranken mit eerebrovasenl/irer Insuffizienz ebenfalls abnorme Sehlingen- und Kniekbildungen der Carotiden, ebenso DE~RIcx und SMIT~I. Aueh von diesen Autoren werden die Formanomalien als Grund ffir das Auftreten neurologiseher Symptome gewertet. WEIBEL und FIELDS hingegen meinen, dag die Zeiehen einer eerebralen Mangeldurehblutung h6ehstens beim Kinking- syndrom in einer einigermaBen gesieherten I~elation mit der Fehlbildung stehen. Sic sind abet in den allermeisten F/s nieht auf das kinking

Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3

Abb. 1. Schematisehe Darstellung der ,,carotid tortuosity"

Abb. 2. Sehematisehe Darstellung des ,,carotid coiling"

Abb. 3. Sehematisehe Darstellung des ,,carotid kinking"

selbst, sondern vielmehr auf das Versagen der kompensatorisehen Blut- zufuhr fiber die pr/~formierten Kollateralkreisl~ufe zurfiekzuf/ihren. Um also die h/imodynamisehe Situation korrek~ beurteilen zu kSnnen, sei die Kenntnis der Str6mungsverhiiltnisse aller das Gehirn versorgenden Sehlagadern erforderlieh. Man mfisse sowohl beide Carotiden als aneh die Vertebralarterien angiographiseh darstellen, und zwar bei ver- sehiedenen I tal tungen des Kopfes. Naeh WmBEL und FIELDS betr/~gt die beim kinking beobaehtete Stenose etwa 10--60% des Lumens. Zeiehen der Insuffizienz k6nnten daher haupts~ehlieh nur dann zu- stande kommen, wenn die anderen zum Seh/idelinneren ffihrenden Arterien, vor allem abet der Cireulus arteriosus WrLLISI, zusgtzliche Wandver/inderungen aufweisen. Sehr zurfiekhaltend fiber die h/imo- dynamisehen Effekte des Kinkingsyndroms auf den eerebralen Kreislauf /~uBern sieh aueh MorRIs und DE BAKEY. Sic sind der Ansieht, dag dem Problem des kinking in der amerikanisehen Literatur zuviel Beaehtung gesehenkt worden sei. Naeh ihren Erfahrungen k~me es im Gefolge des Kinkingsyndroms nut selten zu neurologisehen Ausfallserseheinungen. Diese treten dann ehar~kteristiseherweise nieh~ w/ihrend des Waehens, sondern zumeist wahrend des Sehlafes auf. Als typiseher angiographiseher Befund, der zugleieh das Vorhandensein einer Stenose im Bereieh des

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gekniekten Gefggsegmentes anzeigt, ist die Di la ta t ion des distal von der Kn iekung l iegenden Absehni t tes anzusehen.

Beriehte fiber augengrztl iehe Un te r suehungen des Gehirnkreislaufes bei Formanomal i en der I-Ialssehlagadern liegen bisher nieht vor, wenn m a n yon einem 1964 publizier ten Befund HAOEI~s absieht. Insbesondere existieren unseres Wissens keine oph tha lmodynamomet r i sehen Meg- ergebnisse beim Kink ingsyndrom.

Kfirzlieh ha t t en wit Gelegenheit, zwei Pa t i en ten mit ausgeprggtem kinking u n d tor tuos i ty der Carotiden u n d bei einer dieser K r a n k e n - - aueh der Vertebralar ter ien zu untersuehen. Die erhobenen Befunde dfirften neuere diagnostisehe Perspekt iven er6ffnen, weshalb sie im folgenden mitgetei l t u n d er6rtert werden sollen.

Der erste Patient (M. K., 71a, Sehproben-Nr. 7276/67) wurde am 4. 9.67 erstmals in der II. Univ.-Augenklinik untersueht. Seit fiber 14 Tagen hatte er Seh- st6rungen des reehten Auges bemerkt: 5fters am Tage hatte sieh ein Sehatten vor das reehte Auge gesehoben, die Sehsehgrfe sei etwas vermindert. Gelegentlieh sei er mit dem linken Bein eingekniekt.

Allgemeine Anamnese. Seit Jahren Hypertonie (bis 220 mm Hg), seit 2 Jahren reehtsseitige Dysakusie.

Ophthal~nologischer Be/und. Vordere Absehnitte beider Augen unauffgllig. Fundns o. d. : P~pille seharf begrenzt, temporal etwas blgsser. Die arteriellen Blut- sgulen enger, h/irtere ~eflexe. Zwei gaumwollfloekenherde unter der Maeula, dis- kretes Netzhaut6dem im Bereieh der Maeula. Fundus o. s. : Paloille und $Iaeula unauffgllig. Netzhautgefgge etwa wie reehts. Visus o. d. 6/12, Jg 2 (cure corr.), Visus o. s. 6/6, Jg 1 (eum corr.). Gesiehtsfelder: normale Augengrenzen. Kleines relatives Zentralskotom innerhalb yon 2 ~ reehts (Goldmannperimeter). Applana- tionstonometrie (GoIDNA?r reehts 14 mm Hg, links 14 mm Hg. Ophthalmodyna- mometrie (naeh W~m~I~X und LOBSTE~) : Braehialisblutdruek 150/90 mm Hg (Mitteldruek 115 mm tIg). Ophthalmieablutdruek reehts 70/30 mm Ilg (~ittel- druek 47 mm Hg), links 148/60 mm I-Ig (Mitteldruek 97 mm Hg). Abweiehung von Formelwert (Formel 2 naeh WEm~LII~) : reehts --41, links + 9. Ophthalmodynamo- gral0hie (naeh HAGEI~) (Abb. 4): Pulsationsvolumen der reehten A. ophthalmiea deutlieh kleiner Ms das der linken.

Wegen des dringenden Verdaehtes auf Obliteration der reehten Carotis wurde der Patient Herrn Oberarzt Dr. H. D~oI( yon der I. Chirurgisehen Abtei- lung des Krankenhauses der Stadt Wien-Lainz (Vorstand: Prof. Dr. G. SALZER) zur Begutaehtung fiberwiesen. Die Angiographie der reehten Carotis (Abb. 5) ergab ein ausgeprggtes kinking der Arteria earotis interna, knapp oberhalb der Bifurkation. Die yon Herrn Doz. Dr. H. HE]~GER (Herzstation des ttanuseh- krankenhauses in Wien, Vorstand: Prof. Dr. K. POLZgR) durehgeffihrte Aorto- graphie lieg im Bereieh der supraaortalen Arterien keine weiteren Obliterationen erkennen. Der internistisehe Befund war, ungeaehtet der seit Jahren bestehenden betrgehtliehen I-Iypertonie, un~uffgllig.

Die zweite Patientin (N. K., 66 a, Sehproben-Nr. 8228/67) litt seit 8 Monaten an Sehwindel. Am 8.9.67 stiirzte sie wghrend eines Sehwindelunfalles zu Boden, verlor aber das Bewul3tsein nieht. Aufnahme in eine Medizinisehe Abteilung (Kaiser Franz Joseph-Spiral der Gemeinde Wien), von deft Transferierung in die I. Chirur- gisehe Abteilung des Krankenhauses Lainz.

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Abb. 4. 0phthalmodynamogramme eines Patienten mit Kinkingsyndrom der rechten Arteria earotis interna. Seitengleiehe DruekwerLe, seitendifferente Pulsa- tionsvolumina, mm Hg automatisehe l~egistrierung des Systemdruekes dutch Druckm~rken. Ae Amplitude des Eiehpulses (entspreehend einem Eichpulsvolumen yon 50 ram3). Ap arithme~ischer Mittelwert der 6 h6ehsten supradiastolisehen Pulsamlolituden. S,D systolisehe bzw. diastolisehe 0phth~lnliea- und Braehialis-

blutdruekwerte

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330 H. B]~TTELHm~:

Abb. 5. Carotisangiogramm (mit freundlieher Genehmigung yon Herrn Oberarzt Dr. tI. DS~CK): Kinkingsyndrom der reehten Arteria earotis interna (Pfeil)

Sonstige Anamnese: 1939 Hysterektomie; 1947 Choleeystektomie. Seit 8 Jahren Diabetes mellitus.

Die Aortographie (Abb. 6), durehgefiihrt dutch Herrn Doz. Dr. HI~EG~R, ergab eine Stenose der reehten Arteria earotis eommunis, ein ausgepr~gtes Kinking- syndrom der linken Arteria earotis interna sowie Ver~inderungen der Arteria earotis externa sinistra und beider Vertebralarterien im Sinne einer tortuosity.

Herr Oberarzt Dr. tI. DE~eI~ iiberwies uns die Patientin zur OphthMmodynamo- metrie.

Ophthalmologischer Be/und. Vordere Absehnitte, Fundi, Visus und Gesiehts- felder normal. Applanationstonometrie (naeh GOLD~A~) reehts 12mmHg, links 12 mm Hg. OphthalmodynamoInetrie: Braehialisblutdruek 170/65 mm Hg (Mitteldruek 109 mm ttg). Ophthalmie~blutdruek reehts = links 165/30 mm Hg (Mitteldruek 87 mm Hg). Abweiehung yore Formelwert beiderseits d- 3. Ophthal- modynamographie (Abb. 7): Beiderseits konkordante Druekwerte, normale seiten- gleiehe Pulsationsvolumina.

Bei beiden Kranken ist eine Operation vorgesehen.

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Abb. 6. Aortogramm (mit freundlieher Genehmigung von Herrn Doz. Dr. H. HEEOEI~) : 66jghrige Patientin. Stenose der Arteria carotis communis dextra (a), Kinkingsyndrom der Arteria carotis interna sinistra (b), Tortuosity im Bereich der Arteria carotis externa sinistra (c) und der beiden Vertebralarterien (d, e).

Aortenbogen 0 ~)

Eigene ophtha lmodynamometr i sehe Untersuehungen von mehr als 90 Kranken mit versehiedenen Formen von Carotisversehl/issen haben ergeben, dab die Wer~e des Ophthalmieablutdruekes nicht als unbedingt zuverl~tssige Gradmesser der Gfite der kompensatorisehen Blu~versor- gung betraehte t werden diirfen. So findet man vor allem bei Pa t ienten mit Thrombosen der Arteria earotis eommunis oder bei Kranken mit Aor tenbogensyndrom (pulseless disease) gelegen~lieh maximal erniedrigte Druekwerte, die eine h6ehst unzureiehende Durehblutung des Gehn'ns vermuten lassen wfirden. Der neurologisehe Befund kann aber gerade bei solehen Pa~ienten ganz unauff/~llig sein. Andererseits weisen Kranke mit dureh Carotisobliterationen hervorgerufenen massiven tIemiplegien

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Abb. 7. Ophthalmodynamogramme der obigen Patientin (s. Text)

nicht selten seitengleiche und konkordante dynamometrische MelL werte auf. Nach den bisher mit der Ophthahnodynamographie nach

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HAGE~ an einem nahezu ebenso grol3en KraIfl~engug gewonnenen Er- fahrungen lassen sich ebenf~lls keine Beziehungen zwisehen eephalen Blutdruckwerten und dem Ausma~ der kollater~len Blutzufuhr erkennen. So k6nnen beispielsweise normale Bulbus-Orbita-Oszillogramme bei Patienten mit ausgeprSgten neurologischen Ausf~llserseheinungen eine gute Blutversorgung der betroffenen Hemisph/~ren vorts

Es f~llt daher sehwer, die bei den beiden oben besehriebenen F$11en erhaltenen Ergebnisse der Ophth~lmodyn~mometrie bzw. -graphie richtig zu bewerten. Was den ersten Patienten anlangt, d/irften die pathologisehen Mel~werte dieser beiden Methoden - - ungeaehtet der oben erwahnten Einschr/~nkungen - - doch den Stenosecharakter des Kinkingsyndroms unterstreiehen. Die einseitige, ffir Carotisversehlfisse geradezu pathognomonische Retinopathie (HoLLE~HORST) ist ein weiterer ttinweis darauf, dab das Kinking der Carotis ffir sieh ~llein, d. h. selbs~ bei vSllig normalen Zirkulationsverh~ltnissen im Bereich der anderen zum Seh/tdelinneren ffihrenden Gef$1~e - - eine ocul~re wie auch eine cerebrale Isch~mie hervorzurufen vermag. Aus dem oeulistisehen Aspekt dieses Fa]les ergeben sieh somit wiehtige Hinweise auf die durehzufiihrende Therapie: die Notwendigkeit einer ehirurgischen Intervention wird ja erst dureh die augen~rztliehen Untersuehungs- resultate evident.

Die bei der zweiten Patientin erhobenen Befunde aber zeigen, dal~ man die ophthalmodynamometrisehen und -gr~phisehen MeI]werte immer nur im Rahmen des gesamten klinisehen Bfldes, vor allem zu- s~mmen mit den Angiogrammen beurteilen darf. Hier jedenfalls kon- trastieren die durch~us normalen Ergebnisse der h~tmodynamisehen Methoden mit den angiographiseh nachweisb~ren Vers der C~rotiden und der Vertebral~rterien. Sie stimmen jedoeh andererseits mit dem dureh minimale neurologisehe Ausf/~lle eharakterisierten klini- sehen Status iiberein.

Der diagnostische Beitrag der augen~rztliehen Untersuehungsver- fahren (Ophthalmodynamometrie und -graphie) seheint dadureh gegeben, d~8 sie mitunter, wie etw~ bei dem zuerst besehriebenen Fall, den yon manehen Autoren - - z. B. Wv, IB]~]~ und FI]~u)s - - nicht uneingeschrSnkt akzeptierten Stenosechar~kter des carotid kinking unterstreichen. Ferner k6nnte unseres Erachtens der Naehweis einer Verminderung des Ophthalmie~blugdruekes und des orbitalen Pulsationsvolumens bei einem angiographiseh verifizierten K_inkingsyndrom weitere angio- graphisehe Untersuehungen ersparen helfen. Die Darstellung aller anderen zum Sch~delinneren ziehenden Arterien ist d~nn eventuell vermeidbar.

Jedenfalls sind weitere systematische Untersuchungen des Gehirn- kreisl~ufes dureh Ophthalmodynamometrie, Ophthalmodyn~mographie

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und Angiographie der Carotiden und Vertebrales erforderlich, um die Beeintr~chtigung der cerebralen Zirkulation durch Form- und Verlaufs- anomalien der Halssehlagadern beurteilen zu kSnnen.

Zusammenfassung

Form- und Verlaufsanomalien der Carotiden wie , , tortuosity", ,,coiling" und ,,kinking" sind vor allem durch die Arbeiten angloameri- kanischer Autoren, besonders WEIBELS und FIELDS, bekanntgeworden. Die Zusammenhi~nge zwischen StSrungen der cerebralen Zirkulation und diesen tefls angeborenen, tefls erworbenen Fehlbildungen konnten noch nicht vSllig gekl~rt werden. 0phthalmodynamometr ische und-graphi- sche Untersuchungen scheinen neue diagnostische Perspektiven zu er- 6ffnen. Es werden zwei Kranke mlt ,,kinking" und ,,tortuosity" der Carotiden und Vertebralarterien beschrieben und die ophthalmodynamo- metrischen und -graphischen Ergebnisse besprochen.

Summary

Morphological variations of the carotid arteries - - tortuosity, coiling and kinking - - have become well known by the publications of anglo-american authors, especially by the works of WEIBEL and FIELDS. The relationship of these morphological variations to cerebro- vascular insufficiency has not yet been completely clarified. Ophthalmo- dynamometr ic and -graphic investigations seem to provide new diag- nostic possibilities in this regard. Two case reports concerning tortuosity and kinking of the carotid and vertebral arteries are given. The respective ophthalmodynamometr ic and -graphic results are discussed.

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Dr. H. BETTELHEI~ II. Universit ats-Augenklinik Alserstr. 4 A-1096 Wien 9/0sterrcich