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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 43 Der Dinosaurier- Papst Er pickelt und stochert in der Urzeit. Paläontologe BEN PABST ist einer der bedeutendsten Saurierforscher der Schweiz. Die besten Funde macht er auf dem grössten Dino-Friedhof Europas: in Frick im Aargau. Knochenjäger Tongrube Frick AG: Ben Pabst, 66, mit Kennerblick und Forscherfrisur, untersucht versteinerte Saurierknochen.

Der Dinosaurier- Papst · PDF fileSommer auf einer Fläche, so gross wie ein Basketballfeld. Entdecken ist eine Sache, aus-graben ein ganz andere. Wahre Knochenarbeit. Wo Sonnenschirme

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Der Dinosaurier-Papst

Er pickelt und stochert in der Urzeit. Paläontologe BEN PABST ist einer der

bedeutendsten Saurierforscher der Schweiz. Die besten Funde macht er auf dem grössten Dino-Friedhof Europas:

in Frick im Aargau.

Knochenjäger Tongrube Frick AG: Ben Pabst, 66, mit Kennerblick und Forscherfrisur, untersucht versteinerte Saurierknochen.

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210 Millionen Jahre lag der Beinknochen verborgen – jetzt wird er gehoben

Fund «15.6.41» Der grösste Knochen, der Oberschenkel des Plateosauriers. In den roten Handy-Flaschen auf dem Areal ist Wasser zum Wegspülen von feinem Gestein und Acrylleim zum Härten der Knochen.

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Rausgepickelt Der Oberschenkel-knochen, in Alu gepackt und ein-gegipst, zum Abtransport parat.Oben: Kartografiert Eine Plastikfolie wird über den Fundort gelegt, darauf sind alle Knochen abgezeichnet.

Wo steckt der nächste Fund? Nach dem Baggereinsatz sind die Gesteinsschichten gut zu sehen. Unten: Schattendasein Ohne Mithilfe der Freiwilligen wäre die Grabung zu teuer. Budget: 50 000 Franken.

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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS MARKUS BÜHLER-RASOM

Knochentrocken. Die Ebene glüht in der Mittags-hitze. Der Stein-boden gleisst,

heizt und blendet, zwischen den Mergel- und Kalkbänken flirrt die Luft. Neben gewächshausähn-lichen Zelten, wie sie Archäo-logen bei Grabungen verwenden, kauern Gestalten und hauen, meis seln und pinseln. Sie sto-chern in der Urzeit, sie graben Dinosaurier aus. Eine Szenerie wie in den heissen Weiten Ameri-kas, stünden da nicht Chriesibäu-me und bimmelten Kuhglocken.

AG statt USA. Jurapark Aargau statt Jurassic Park.

Verlässt man die Autobahn A3 Zürich–Basel bei der Ausfahrt 17, steht da mitten im Verkehrs-kreisel – ein Saurier! Vier Meter hoch, aus Stahl. Willkommen im Saurierdorf Frick! Der 5000-Ein-wohner-Ort im Aargau gilt als grösster Dinofriedhof Europas.

Ein Paläontologe, der sein Leben den Sauriern verschrieben hat, der forscht, aufspürt und gräbt, bei Wind und Wetter – wie stellt man sich den vor?

So. Genau so. Ben Pabst, 66 Jahre alt, drah-

tig, gewitzt, forscher Blick (For-scherblick!), ist Zürcher, hat eine heisere Stimme und die blaus- ten Augen der Welt. Mit seinem kecken Bärtchen und dem weis-sen, wallenden Haar könnte er auch in einem Musketier-Film mitwirken oder als Alain-Sutter-Double auftreten. Dr. Ben Pabst (Zoologe steht im Telefonbuch, seine Dissertation schrieb er über die Fressstrategie von Seester-nen) gräbt seit 40 Jahren nach Saurierskeletten. 12 Stück hat er in den USA gefunden, 35 hier in Frick, so lautet seine Knochen-bilanz. In diesem Sommer sorgt

Markant «Ich geh nicht gern zum Coiffeur.» Ben Pabst mit weissem, wal-lendem Haar.

er einmal mehr für Schlagzeilen. «Sensationeller Saurier-Fund», titelte die «Aargauer Zeitung». Jetzt steht Pabst da, im Abbau-gebiet der Tonwerke Keller AG in Frick (wo seit 120 Jahren Ton für Backsteine und Ziegel abgebaut wird), tänzelt zwischen Knochen, Meisseln und Hämmern herum und zeigt seinen Schatz.

Das grösste zusammenhän-gende Saurierskelett, das bisher in der Schweiz entdeckt wurde, einer der grössten Plateosaurier weltweit. 210 Millionen Jahre alt, Pflanzenfresser, acht Meter lang, eine Tonne schwer, mit 60-Zenti-meter-Klauenfüssen.

Seit 1976 wird in Frick wissen-schaftlich gegraben; schon damals ist Ben Pabst als Student mit da-bei. Seit 2004 leitet er die Gra-bungen. Wie weiss er, wo suchen? Eine Mischung aus Erfahrung, Intuition und Zufall seis. Ein Bagger mit zahnloser Schaufel schabt jeweils sachte Gestein weg, während Pabst daneben steht. Erspäht er etwas, das nach Kno-chen aussieht, wird nachgeschaut, nachgekratzt, die Fläche abge-sperrt, und die Grabung beginnt. Fünf Saurier fand Pabst diesen Sommer auf einer Fläche, so gross wie ein Basketballfeld.

Entdecken ist eine Sache, aus-graben ein ganz andere. Wahre Knochenarbeit.

Wo Sonnenschirme stehen, wird geforscht. Wie Markierna-deln auf einer Landkarte stecken sie überall auf dem Areal. Pabsts Team besteht aus Profis und er-fahrenen Laien. Rolf Schweizer etwa, 58, Industriemeister, hat ex-tra zwei Monate Ferien genom-men. Mit einer Aale stichelt er an Zehenknochen herum. Lehrreich und spannend sei es, «ein Aben-teuer auf kleinstem Raum», sagt Schweizer und beugt sich – mit dem fiebrigen Blick, wie er Gold-gräbern und Glücksrittern eigen ist – wieder über die Zehenreste.

Skelette aus dem Gestein zu holen, sagt Pabst, erfordere den Kraftakt eines Bauarbeiters und die Feinarbeit eines Uhrmachers. Letzteres kann Rabea Lillich, 40, bestätigen. Die Paläontologin pinzettelt an Rippenknöchlein herum. Dünn wie Spaghetti seien die «und zerbrechlich – wie rohe Spaghetti». Etwas weiter vorne brummt ein Staubsauger. Ursina Bachmann, 31, geologische Präpa-ratorin, säubert einen Mordskno-chen – die Entdeckung des Tages.

Fundstück «15.6.41». Der rechte Oberschenkelknochen des Plateosaurus misst 75 Zentime-ter und steckt im Gestein. Die Beschriftung der Funde hat Sys-tem: 15 (bedeutet das Jahr, also 2015), 6 (6. Saurier, der hier heuer ge funden wurde), 41 (fortlaufen-de Anzahl Knochenstücke dieses Tieres). Um «15.6.41» kümmert sich Dino-Papst Pabst persönlich.

Ben Pabst. Heisst mit vollem Namen Benedikt Pabst. Er sagt das genüsslich, schweigt dann, schmunzelt und lässt dem Zuhö-rer Zeit, sich gebührend zu wun-dern. Benedikt Pabst – Papst Be-nedikt. Die Namensvetternschaft mit dem emeritierten Heiligen Vater, Papst Benedikt XVI., führe oft zu verzückten Reaktionen, sagt der Paläontologe. Autogram-me müsse er hin und wieder ge-ben, will er Klosterbauten besich-tigen, öffnet ihm seine Anmel-dung «Hallo, hier ist der Pabst» jede Pforte, und ein Hotelier in Bayern (wo der echte Papst a. D. herkommt) liess ihn gar gratis nächtigen. Seine «Jesusfrisur» habe übrigens keinen klerika-

len Hintergrund. Ben Pabst mag ganz einfach das Haare-

schneiden nicht sonder-lich. Letztmals beim

Coiffeur war er mit 16 Jahren, zweimal im Jahr schnippelt er sich seine Frisur

selber zurecht.

Wilder Westen? Nein, Aargauer Norden! Grabungsort auf dem Gelände der Tonwerke Keller AG.Oben: Das Dino-Dorf Eingangs Frick steht im Verkehrskreisel ein Plateosaurier aus Stahl.

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Damit Sonne und Regen die Knochen nicht zerstören, werden sie mit Acrylleim durchtränkt und so fixiert. Jedes Teammit-glied hat zwei alte, rote Handy-Abwaschmittel-Flaschen bei sich. «Die haben einen guten Stand, kippen nicht um, und dank der Farbe kann man sie nicht verlie-ren», rechtfertigt Pabst die unge-wöhnliche Materialwahl. In der einen Flasche (mit «W» beschrif-tet) befindet sich Wasser, mit dem man feines Gestein lösen kann, in der «A»-Flasche ist Acrylleim.

Während «15.6.41» sein Acryl-bad bekommt, erläutert Pabst, wie Frick vor 210 Millionen Jah-ren aussah. Selbst jetzt, beim Erzählen, ist er andauernd am Forschen, zerbröselt Brocken, schaut, ob was drinsteckt, und grübelt mit der Aale im Erdreich. «Frick war damals wie Pakistan heute», beschreibt Pabst das Klima. Ein Monsun-Gebiet, eine Ebene mit Wasserläufen. Die Sau-rier kamen an die Wasserstellen, blieben im Schlamm stecken und verendeten. «Darum finden wir viele Tiere in Frosch-Stellung. Sie versuchten, sich freizustrampeln.»

Ben ist fünf, als er erstmals gräbt. An der Hauswand entdeckt der Bub ein Fossil und klopft es heraus. Auch Tiere interessieren ihn, als erstes Haustier hält er sich Feuerwanzen. Ben studiert Meeresbiologie, in all den Jahren aber lässt ihn die Faszination für Fossilien nicht los. Er wählt einen Mittelweg – und gräbt nach versteinerten Fischen. Dann be-gegnet er Hans-Jakob Siber, dem Gründer des Sauriermuseums Aathal ZH, mit ihm gräbt Ben in Peru nach Wal-Skeletten und in den USA nach Sauriern. Dort ist Ben mit dabei, als man 1991 «Big Al», einen Acht-Meter-Allosau-rus findet – eine Weltsensation.

Pabst ist eine Art umgekehrter Grosswildjäger, er erweckt Jahr-millionen alte tote Tiere zu neu-

em Leben. Klar sei vieles beim Graben längst Routine, sagt Pabst, und doch spüre er jedes Mal aufs Neue wieder dieses Kribbeln: «Was finden wir heute?»

«15.6.41» und andere Kno-chen sind mittlerweile mit Acryl-leim gehärtet. Pabst legt eine Plastikfolie über die Fundstelle und zeichnet mit Filzstift die Knochen darauf nach. Dieser Bau- plan wird später benötigt, wenn die Knochen präpariert und zu einem Skelett zusammengesetzt werden. Das geschieht dann Mo-nate später in der Werkstatt des Sauriermuseums in Aathal.

Den Auftrag zur Grabung erteilt der Kanton Aargau, finan-ziert mit 50 000 Franken aus dem Lotteriefonds. Das reicht knapp zum Graben, für die Präparation des Sauriers bleibt wenig übrig. Sponsoren würden vieles erleich-tern, meint Pabst, vielleicht über-nehme ein Museum die Kosten und erhalte dafür ein Skelett als Leihgabe. Seit 1991 existiert im Primarschulhaus Frick zwar ein kleines (aber enorm feines) Sau-riermuseum, neue Funde haben dort aber kaum Platz.

Unerwarteter Besuch. Ein Ehepaar schaut vorbei, pen sio-nier te Güggeli-Züchter vom Mur- tensee. Sie sind Fans von Sauri- ern – und von Ben. Sie besuchen seine Vorträge und haben ihm gar in den USA bei Grabungen zugeschaut. Er befasse sich mit Jahrmillionen alten Dingen, «da sind halt auch meine Fans etwas an gejahrt», kommentiert Pabst mit knochentrockenem Humor.

Das Finale. «15.6.41» wird in Alufolie gekleidet, mit Jutestrei-fen und Gips eingekleistert, ge-hoben und in eine Kiste verpackt. All die Stücke werden zwischen-gelagert und später präpariert.

Ben Pabst, von welchem Fund träumen Sie?

«Zur Abwechslung mal in Afri-ka Knochen von Urmenschen fin-den und ausgraben, das wärs.»

Dann verrät der Meister einen Trick. Wie weiss man, ob ein Fund Stein oder Knochen ist? «Zunge dranhalten!», rät Pabst. «Der Knochen ist so porös, dass er sich an der Zunge fest-saugt.» Im Geiste sieht man all die Schul rei sekinder, die künftig nach Frick pilgern (Private dürfen auf dem «Klopfplatz» nach Fossilien suchen, die Grabung aber nicht betreten) und gemäss der Zun-gen-Theorie am Geröll lutschen.

Später Nachmittag, Feier-abend, die Sonnenschirme werden zugeklappt. Die letzten 40 Jahre fand man in Frick 80 Saurier. «Und es hat noch mehr», glaubt Pabst. Die Tonwerke AG werde in den nächsten Jahrzehnten zwei Hektaren Fläche bearbeiten, «pro Hektare sind, selbst bei konser va-tiver Schätzung, 500 Saurier ver-borgen», vermutet Pabst. Und wie es seine Art ist, stochert er wäh-rend des Sprechens im Gestein. Und stutzt. Guckt – strahlt und deutet auf schwarze Steinadern. Selbst ohne Zunge weiss er : «Da liegt bereits der nächste Saurier!»

Ben Pabst wird hier auch im nächsten Jahr wieder viele Son-nen schirme aufspannen.

Knochen für Knochen, wie ein Puzzle fügt er alles zusammen

Aus Alt mach wieder (fast) Neu Im Sauriermuseum Aathal ZH präpariert Ben Pabst Knochen.Unten: Kosename «MaX» Der 16-Meter-Dino, gefunden in den USA, wird in Aathal zusammengesetzt.

Selber forschen Das Saurier-museum Frick ist offen: jeden Sonntag von 14 bis 17 Uhr. Selber Fossilien suchen: «Klopf-platz» südwest-lich des Bahnhofs Frick.---------- sauriermuseum-frick.ch

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