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Der Eremit von Condagia

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Nr. 127

Der Eremit von Condagia

Kampf auf der Springerwelt -Lordadmiral Atlan sucht den Retter

von Ammavol

von H. G. Francis

Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den üb-rigen Menschheitswelten schreibt man Ende Dezember des Jahres 2842 – einesJahres, dessen erste Hälfte äußerst turbulent verlief, wie die vorangegangenen Er-eignisse eindeutig bewiesen.

Jetzt herrscht in der Galaxis relative Ruhe. Der Aufbau des Solaren Imperiumsgeht kontinuierlich voran. Von den üblichen Geplänkeln und Reibereien an den Gren-zen des Imperiums abgesehen, gibt es nach der erfolgreichen Ausschaltung desPlasma-Mutanten gegenwärtig keine Schwierigkeiten für die Menschen und die mitihnen verbündeten Sternenvölker.

Man blickt daher mit Optimismus in die Zukunft, denn man weiß zu diesem Zeit-punkt noch nichts von einem Ereignis, das sich, obwohl es sich fern von der Erdeund in ferner Vergangenheit abspielte, in zunehmendem Maße auch auf die Mensch-heit selbst auszuwirken beginnt.

Alles begann in dem Augenblick, da das Sternenvolk der Bernaler die Grenze derDimensionen überschritt, sich aus den Fesseln der Körperlichkeit löste und zu Zeit-nomaden wurde.

Die programmierten Urgene der Bernaler sind jedoch in diesem unserem Univer-sum zurückgeblieben und finden Kontakt zu einzelnen Menschen, denen sie unheim-liche Fähigkeiten verleihen – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht.

Einen solchen »Kontaktler« aufzuspüren, ist Lordadmiral Atlans dringendes Anlie-gen. Und so läßt er den Mann suchen, der sich ausgibt als DER EREMIT VON CON-DAGIA …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Lordadmiral sucht einen neuen Mutanten anzuwerben.Lelle Salgouz - Der Retter von Ammavol wird zum Eremiten.Kervania Reallah und Meinja Idrak - Lelles Lebensgefährtinnen.Fenomera Falkass - Spezialistin der USO.Erret Ponktong - Patriarch einer Springersippe.

1.

Serpe Allak ging dem Patriarchen entge-gen, der vom Raumhafen kam. Er konnteseine kleine und massige Gestalt, die auf-recht auf der Flugplattform stand, deutlichsehen. Sie hob sich scharf gegen den tiefro-ten Himmel ab und schien direkt aus der un-tergehenden Sonne Karrout zu kommen.

Er flog so dicht an einem Mann vorbei,daß er diesen nahezu streifte. Dafür ernteteer eine Reihe von Schimpfwörtern.

Serpe Allak grinste.Er sah, daß zwei Frauen aus einer Senke

auftauchten und sich zu dem Passagier ge-sellten. Mehrere Hunde folgten ihnen. Sierannten bellend hinter dem Fluggerät her,doch der Fremde pfiff sie zurück, und siegehorchten sofort.

Erret Ponktong landete. Er winkte Allakzu und wartete, bis dieser zu ihm gekommenwar. Mit kleinen, listigen Augen musterte erihn.

»Seit wann transportiert ein Patriarch wieErret Ponktong Passagiere – und noch dazusolche?« fragte Allak.

Der Springer lachte leise.»Wahrscheinlich haben mich die Geister

der Leere geritten«, antwortete er. »Dieserfette Terraner hat mir eine ganze MengeGeld dafür geboten, daß ich ihn mitnehme.Er hat alles gegeben, was er hatte, und dieBevölkerung von Ammavol half mit einerkleinen Spende nach. Erst haben sie ihn wieeinen Helden gefeiert, aber dann hat er esdoch wohl zu toll getrieben.«

Serpe Allak schüttelte den Kopf.»Ich verstehe dich dennoch nicht, Erret«,

sagte er. »Oder sollten sich die Pläne geän-dert haben?«

»Keineswegs.«»Jeder Terraner mehr vergrößert das Pro-

blem.«Erret Ponktong sprang von der Plattform

herunter. Er boxte Allak scherzhaft gegendie Schulter und sagte: »Für uns spielt eskeine Rolle, ob wir einen mehr oder wenigerzu den Geistern der Leere schicken müssen.Dieser Kerl wird uns ohnehin keine Schwie-rigkeiten machen. Ich habe ihn noch nichtein einziges Mal nüchtern gesehen, seit wirAmmavol verlassen haben.«

Der Passagier kam auf sie zu. Die beidenFrauen und die Hunde zogen weiter. Neu-gierig blickte Serpe Allak den Mann an, dersich ihm mit schwerfälligen Bewegungennäherte. Die mächtige, aufgeschwemmt wir-kende Gestalt schwankte leicht. Als der Ter-raner vor dem Patriarchen stehenblieb, sahAllak, daß die kleinen, grauen Augen fastunter den schweren Lidern verschwanden.Das rotgeäderte Gesicht glänzte vorSchweiß. Ein mehrere Tage alter Bart ver-tiefte noch den Eindruck der Ungepflegtheit.

»Patriarch«, sagte der Mann mit rauherStimme. »Sie haben noch für einen Schadenaufzukommen, den Ihre Leute angerichtethaben.«

»Habe ich das?«»Ich denke schon. Man hat mir meinen

Destillierapparat zerschlagen.«Die beiden Männer blickten sich starr an.

Der Terraner kratzte sich das Kinn.»Ihre Männer haben behauptet, es sei ver-

boten, an Bord alkoholische Getränke herzu-stellen. Das habe ich auch akzeptiert. Ichwollte die Produktion einstellen, doch manließ mich nicht.«

»Man wird einen Grund dafür gehabt ha-ben«, sagte Serpe Allak scharf. »Bisher istnoch niemand auf den Gedanken gekom-

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men, an Bord eines unserer Schiffe Schnapszu brennen. Sie müssen vollkommen ver-rückt sein, wenn Sie so etwas versucht ha-ben. Seien Sie froh, daß die Mannschaft Sienicht einfach über Bord geworfen hat.«

»Ich habe Kopfschmerzen«, erklärte derPassagier.

»Das kommt vom Saufen«, entgegneteder Patriarch mit einem sardonischen Lä-cheln. »Die nächsten Tage werden noch vielschlimmer werden.«

»Sie können mir bestimmt ein paar Sa-chen geben, mit denen ich mir etwas destil-lieren kann. Also, tun Sie etwas, damit ichSie in guter Erinnerung behalte.«

Erret Ponktong zupfte an seinem rotenBart.

»Da fällt mir etwas ein, Serpe. Gib demfetten Knaben, was er braucht und schenkeihm noch eine Handvoll Villeham.«

»Was ist das?« fragte der Terraner.»Daraus läßt sich ein hervorragender

Schnaps brauen.«»Dann kann ich das Zeug gebrauchen.«»Warte hier«, befahl Serpe Allak.Die beiden Springer entfernten sich. Der

Terraner ließ sich auf den Boden sinken undblickte sich um. Tief atmete er die frischeLuft ein. Sie war nicht sehr dicht, aber sieroch würzig, obwohl es nicht viel Vegetati-on auf dieser Hochebene zu geben schien,auf der er sich befand.

Jedenfalls konnte er nur Moos, Gras undniederes Gebüsch sehen. Auch in größererEntfernung von dem Raumhafen und derSpringersiedlung änderte sich das Bild nicht.Lediglich an den Hängen der fernen Bergeentdeckte er einige gelbe und braune Flecke.

»Du hättest auf einer mieseren Welt lan-den können, Lelle Salgouz«, sagte er zu sichselbst. »Jedenfalls leben hier nicht sehr vieleMenschen und das ist das Wichtigste.«

Er beobachtete die beiden Springer, diedas Hauptschott zu dem halbkugelförmigenGebäude erreicht hatten, das dem Landefeldam nächsten war. Die Niederlassung derHändler war recht groß. Salgouz schätzte,daß hier wenigstens dreitausend Springer

lebten. Die zwölf Walzenschiffe, die aufdem Raumhafen standen, ließen daraufschließen, daß dieser Stützpunkt nicht ganzunbedeutend war.

Ächzend drehte er sich um und betrachte-te die Gebäude. Er zählte allein in seiner Nä-he zwanzig Halbkugeln. Sie wurden von ei-nem rötlich flimmernden Energiezaun einge-faßt, der mehrere Meter hoch war. Weiterhinten senkte sich der Boden ab, so daß derTerraner nicht mehr den ganzen Stützpunktüberblicken konnte. Er interessierte ihn auchnicht sehr.

Es wurde Zeit, daß er einen guten Tropfenbekam.

*

Serpe Allak blickte zu dem Passagier zu-rück, als er zusammen mit dem Patriarchendurch das Hauptschott ging.

»Willst du ihm wirklich Villeham ge-ben?« fragte er.

Der Patriarch grinste.»Warum nicht?«»Es wird ihn umbringen. Wer aus diesem

Zeug Schnaps brennen will, der muß schoneine Menge davon verstehen.«

»Das ist seine Sache – oder soll ich ihmauch noch das Verfahren beibringen?«

Erret Ponktong blieb stehen. Sie befandensich in einem kleinen Vorraum.

»Mich interessiert viel mehr, wie es hieraussieht«, sagte er. »Wie steht es um den Pa-triarchen Romon Rye? Hat er sich endlichzu Entscheidungen aufraffen können?«

»Keineswegs, und dennoch führt er dasWort unter den Patriarchen. Die anderenbeugen sich ihm und respektieren ihn. Keineinziger hat ihn auch nur kritisiert.«

»Ist er gewählt worden?«Serpe Allak schüttelte den Kopf und hob

abwehrend die Hände, um zu unterstreichen,wie abwegig dieser Gedanke war.

»Nein. Niemand hat an eine Wahl ge-dacht. Die Patriarchen haben ihm freiwilligdas Wort überlassen. Sie tun, was er sagt. Erist der Herr über Kontok.«

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»Dann sieht es nicht gut aus für uns«,stellte Ponktong beunruhigt fest. Er zerrte anseinem Bart und preßte die Lippen zornigzusammen. »Dieser alte Narr sollte sich mirnicht in den Weg stellen.«

»Es wird nicht leicht sein, seine Autoritätzu brechen«, sagte Allak. »Genaugenommengibt es nur eine Möglichkeit, wenn du dichauf lange Sicht durchsetzen willst. Du weißt,was ich meine?«

»Natürlich«, antwortete der Patriarch. Erblickte Allak in die Augen und legte ihm dieHand auf die Schulter. »Ich werde einenMann brauchen, der für mich tut, was ichnicht tun kann.«

»Du weißt, daß ich dein Freund bin, Erret.Ich werde für dich da sein, wenn du michbrauchst. Gib mir ein Zeichen, wenn es so-weit ist, dann werde ich Romon Rye ineinen Desintegratorstrahl laufen lassen.«

»Ich wußte, daß ich mich auf dich verlas-sen kann, Serpe. Romon Rye muß ver-schwinden. Kontok kann sich unter seinerLeitung nicht so entwickeln, wie es nötigist.« Er lächelte versteckt. »Und was machenwir mit den terranischen Eremiten?«

»Auch hier gibt es nur eine Möglichkeit.Deine Pläne mit Kontok können nicht aufge-hen, wenn die Eremiten hier sind. Wir wer-den einen nach dem anderen erledigen.«

»Das muß aber schnell gehen.«Allak machte eine bestätigende Geste.»Das wird es auch. Bevor wir jedoch los-

schlagen können, müssen wir genau wissen,wie viele es sind und wo sie leben. Noch ha-be ich nicht alle Informationen, die ich be-nötige, aber in einigen Tagen habe ich alleszusammen.«

»Du bist ein tüchtiger Mann, Serpe. Ichbin froh, daß du auf meiner Seite bist. Ichweiß deine Dienste zu schätzen.« Er blickteauf sein Chronometer. »Es wird Zeit fürmich. Sei so gut und bringe dem Saufboldda draußen, was er haben will.«

»Du willst ihm wirklich noch etwas hin-terherwerfen?«

»Diese kleinen Geschenke machen michnicht arm, aber sie erhöhen mein Vergnü-

gen.«Der Patriarch ging auf ein großes Innen-

schott zu, das die Symbole des PatriarchenRomon Rye trug. Es öffnete sich vor ihm,als er einen unsichtbaren Kontaktstrahldurchschritt.

Erret Ponktong betrat eine kreisrundeHalle, in der zehn Männer versammelt wa-ren. Einige erhoben sich und kamen ihm ent-gegen, um ihn zu begrüßen.

Mit düsterem Gesicht beobachtete RomonRye die Szene.

*

Quinto-Center war 36.800 Lichtjahre vomKarrout-System entfernt. Am 18.12.2842traf hier der USO-Spezialist Plantez Garva-renz ein. Er kam – wie Lelle Salgouz – vonder Kolonie Ammavol, und er erreichte seinZiel etwa zur gleichen Zeit wie dieser.

Schon sehr bald nach seiner Ankunft hatteer eine Unterredung mit Lordadmiral Atlan,dem er die Vorgänge auf Ammavol schilder-te.

»Lelle Salgouz heißt der Mann?« fragteAtlan.

Er ging zusammen mit dem Spezialistendurch einen Gang, der zu der Großpositronikdes ausgehöhlten Mondes führte.

»Man darf sich von seinem Äußeren undvon seinem Benehmen nicht täuschen las-sen.«

Der Arkonide lächelte unmerklich.»Völlig unwichtig sind diese Dinge nun

auch wieder nicht«, erwiderte er. »Dennochbin ich in diesem Fall Ihrer Meinung. DieserMann wird einen Grund für seine Leistungs-verweigerung haben. Sie sind doch nicht nurHyperfunktechniker, sondern auch Psycho-loge. Ist das richtig?«

»Ja, das stimmt, Sir, aber Sie irren, wennSie meinen, ich könnte Ihnen erklären, wes-halb Salgouz die Einsamkeit sucht. Er hatein gestörtes Verhältnis zur menschlichenGesellschaft und ihrem Leistungsstreben.Das ist richtig. Aber einen Grund dafür kannich Ihnen nicht nennen.«

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Atlan blieb stehen. Einer seiner admini-strativen Mitarbeiter kam zu ihm und reichteihm mehrere Akten. Er blätterte sie eiligdurch und unterzeichnete einige Schrift-stücke. Danach gab er eine Reihe von münd-lichen Anweisungen, die, wie es Garvarenzerschien, mit einem guten Dutzend andererFälle zu tun haben mußten. Dann wandte ersich dem Spezialisten wieder zu. Er lächelte.

»Ehrlich gesagt – ich habe auch keinePsychoanalyse von Ihnen erwartet. GlaubenSie, daß Lelle Salgouz ein Mutant ist?«

Plantez Garvarenz strich sich mit den Fin-gerspitzen über das schmale Oberlippenbärt-chen. Er war ein kleiner und schlankerMann, der neben dem Lordadmiral geradezuschmächtig wirkte.

»Ich bin davon überzeugt«, antwortete er.»Das ist auch der Grund dafür, daß ich gebe-ten habe, Ihnen meinen Bericht direkt vorle-gen zu dürfen. Mutanten sind für uns außer-ordentlich wichtig.«

»Vollkommen richtig. Auch ich glaube,daß wir es mit einem Mutanten zu tun ha-ben, der in unsere Reihen passen würde.«

»Vorausgesetzt, daß es uns gelingt, ihnaus seiner Trägheit aufzuscheuchen undeinen gewissen Leistungswillen in ihm zuwecken.«

Atlan blickte auf sein Chronometer.»Ich glaube, daß ich mich auf Sie verlas-

sen kann«, erklärte er. »In wenigen Minutenbeginnt eine wichtige Besprechung. Sie istnicht aufschiebbar, weil über Hyperkom ei-nige Herren von der Erde daran teilnehmenwerden. Gehen Sie, bitte, direkt zur Großpo-sitronik, und wählen Sie zusammen mit demEinsatzoffizier einen geeigneten Spezialistenaus.«

»Ich könnte versuchen, ihn …«Atlan schüttelte ablehnend den Kopf.»Sie bleiben hier«, entschied er. »Ich will,

daß ein anderer Spezialist Salgouz folgt. Ge-ben Sie also Ihren Bericht ab. Die Positronikwird danach jemanden auswählen, der alleVoraussetzungen dafür erbringt, Salgouz füruns zu gewinnen.«

Er reichte dem Spezialisten die Hand.

»Ich verlasse mich ganz auf Sie«, sagteer.

»Danke, Sir.«Plantez Garvarenz blickte dem weißhaari-

gen Lordadmiral nach, der sich mit einemOffizier zu unterhalten begann.

Garvarenz wollte sich abwenden, als einschlankes Mädchen auf ihn zutrat.

»Plantez«, sagte sie mit rauchiger Stim-me. »Daß man dich noch einmal wiedertrifft!«

Er zögerte kurz, legte ihr die Hände dannan die Hüften, zog sie an sich und küßte sieleicht auf die Wange.

»Fen – ich muß dich unbedingt spre-chen.«

»Ach, wirklich? Das überrascht mich«,erwiderte sie spöttisch.

Er lachte.»Ich habe nur noch einen kurzen Auftrag

bei der Positronik zu erledigen, dann steheich dir zur Verfügung. Wartest du aufmich?«

»Entschuldigen Sie bitte«, rief Atlan.»Nur noch eine Frage.«

Plantez Garvarenz fuhr herum.»Bis gleich«, flüsterte er dem Mädchen zu

und eilte zu dem Lordadmiral, der zusam-men mit dem Offizier auf ihn wartete.

»Sir?«»Glauben Sie, daß Salgouz süchtig ist?«»Das ist eine schwere Frage. Ich kann sie

nicht eindeutig beantworten, aber ich meine,daß Salgouz ganz gut mit dem Alkohol um-gehen kann. Zur Alkoholabhängigkeit ge-hört auch eine gewisse charakterliche Labili-tät. Diese aber habe ich bei ihm nicht erken-nen können. Im Gegenteil. Er scheint bei al-ler Faulheit und Gleichgültigkeit doch ziem-lich genau zu wissen, was er will. Eben daswird den Einsatz eines Spezialisten schwie-rig machen.«

»Gut«, entgegnete Atlan und nickte. »Daswar es eigentlich, was ich wissen wollte.«

Garvarenz verabschiedete sich.Er hörte, wie der Offizier sagte: »Der

Spezialist Reltat Neserp hat einen Notruf ge-sendet. Er ist auf Stealaway tätig.«

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»Können Sie mir nähere Einzelheitennennen?« fragte Atlan. »Ich kenne die Zu-sammenhänge nicht exakt.«

»Uns ist noch nicht sehr viel bekannt.«»Schicken Sie einen Flottenverband«, be-

fahl der Arkonide. »Sondieren Sie den Fall,und entscheiden Sie danach, wie stark derFlottenverband sein soll.«

Die weiteren Worte konnte Garvarenznicht verstehen. Sie interessierten ihn auchnicht. Fenomera wartete auf ihn.

Sie hakte sich bei ihm unter.»Geht es um Sekundenbruchteile?« fragte

sie ironisch.»Ganz so eilig haben wir es auch nicht.

Der Mann, mit dem wir uns beschäftigen,läuft uns ganz bestimmt nicht weg. Im Ge-genteil. Unser Problem ist, wie wir ihm Bei-ne machen können.«

»Dann bestehe ich darauf, daß du ersteinen Cocktail mit mir trinkst.«

»Hat das nicht noch eine halbe StundeZeit?«

»Leider nicht«, gab sie schnippisch zu-rück. »Mein Dienst beginnt in zehn Minu-ten, und ich habe einen charmanten Abtei-lungsleiter bekommen. Wenn du …«

»Na schön. Ich lasse mich erpressen«, un-terbrach Garvarenz sie lachend. »Aber ichhabe wirklich nur ein paar Minuten Zeit.«

*

Sally Ürbanü blickte auf ihr Chronometerund runzelte die Stirn.

»Sie haben erstaunlich lange benötigt, umvon der einen Seite des Eingangsschotts aufdie andere zu kommen«, stellte sie fest.

Plantez Garvarenz verzog die Lippen.»Sie haben ja recht mit Ihrer Kritik«, er-

widerte er. »Es tut mir leid, daß ich michverspätet habe.«

Der Programmoffizier setzte sich seuf-zend hinter das Steuerpult in einer Nebenka-bine, die durch Glaswände von dem großenInnenraum der zentralen Großpositronik vonQuinto-Center abgetrennt war. In anderenKabinen gleicher Art sah Garvarenz andere

Spezialisten, die mit den ihnen zugeteiltenProgrammoffizieren über den Einsatz vonUSO-Kräften sprachen.

Er betrat den kleinen Raum und schloßdie Glassittür hinter sich. Dabei bemerkte erbeunruhigt, daß der Cocktail ein wenig zuhochprozentig gewesen war. Er ärgerte sich,daß er sich von Fen hatte überreden lassen.Erst hätte er den ihm erteilten Auftrag erle-digen müssen.

»Also. Sie kennen das Verfahren«, be-gann das Mädchen. »Schildern Sie mir dasProblem.«

Sie richtete die Mikrophone auf ihn, da-mit die Informationen direkt von der Groß-positronik aufgenommen werden konnten.

Plantez Garvarenz berichtete knapp undpräzise über seinen letzten Einsatzort, denPlaneten Ammavol im Ammuses-System.

»Dort begegnete ich Lelle Salgouz«, fuhrer fort. »Dieser Mann fand heraus, daß sicheine energetische Vibrationsspange von Polzu Pol des Planeten spannte. Sie war dafürverantwortlich, daß die Bauten der Koloni-sten zusammenbrachen. Sie wurden teilwei-se regelrecht pulverisiert.«

»Wie fand er es heraus?« fragte Sally Ür-banü und berührte einige Tasten.

»Vermutlich auf telepathischem Wege.Ich weiß es nicht genau. Er behauptete, dieVibrationsspange sei von den Lemuren er-richtet worden, die mit ihrer Hilfe alle verja-gen wollten, die an diesem Planeten interes-siert sein könnten.«

»Also, wie fand er es heraus?« wiederhol-te das Mädchen ungeduldig. Sie spürte, daßGarvarenz nicht so konzentriert mitarbeitete,wie sie es für notwendig hielt.

»Ich kann Ihnen wirklich keine exaktenAngaben machen«, erklärte der Spezialist.»Salgouz erwähnte den Begriff des›Zeitflimmerns‹. Ich glaube, daß er damitandeuten wollte, er könne in eine andere Di-mension eindringen. Wahrscheinlich begeg-net er dort einer anderen Lebensform, vonder er Informationen erhält. Er deutete so et-was an.«

Das Mädchen blickte ihn prüfend an. Al-

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les in ihr schaltete auf Ablehnung. Sie wuß-te, daß sie sich frei von Emotionen haltenmußte, wenn sie ihre Arbeit präzise erledi-gen wollte. Aber sie schaffte es nicht, kühlund nüchtern zu bleiben. Sie hatte kein Ver-ständnis für die kleine menschliche Schwä-che, die Plantez Garvarenz sich geleistet hat-te. Natürlich wußte sie längst, wo er gewe-sen war, als sie auf ihn gewartet hatte. Undsie war auch darüber informiert, daß er einenCocktail »Stardust II« zu sich genommenhatte. Da er seit seiner Ankunft in Quinto-Center noch keine Zeit gehabt hatte, etwaszu essen, konnte sie sich sehr gut vorstellen,wie das hochprozentige Getränk bei ihmwirkte. Und gerade das gefiel ihr nicht. DieSituation forderte ihre Kritik heraus. SallyÜrbanü merkte nicht, daß sie sich ebenfallsfalsch verhielt. Durch ihr Verhalten er-schwerte sie sich ihre Arbeit selbst und min-derte zugleich den Wert ihres Berichts.

»Informationen aus einer anderen Dimen-sion – von Wesen, die dort leben?« fragtedas Mädchen. »Ich hoffe, Sie wissen, wasSie sagen.«

Plantez Garvarenz sah sie erstaunt an. Erspürte die Wirkung des Cocktails. Er ärgertesich über seinen Fehler. Zugleich begriff er,daß Sally Ürbanü an seinen Worten zweifel-te, und das steigerte seinen Zorn.

»Es ist nicht Ihre Aufgabe, meinen Be-richt zu werten und zu kritisieren«, erklärteer so scharf, daß sie zusammenfuhr. »Siesind lediglich dazu da, meine Worte so um-zusetzen, daß die Großpositronik in die Lageversetzt wird, einen Spezialisten auszuwäh-len. Sie sollen helfen, jemanden zu finden,der die größten Chancen hat, das anstehendeProblem zu bewältigen. Alles Weitere gehtSie nichts an. Haben Sie das begriffen?«

Sie schluckte und alle Farbe wich aus ih-rem Gesicht. Beleidigt senkte sie den Kopf.

»Sie waren sehr deutlich«, erwiderte sietonlos. »Also? Sie sprachen von den beson-deren Fähigkeiten von Salgouz.«

»Seltsamerweise verschwindet dieser Mu-tant hin und wieder im Nichts«, fuhr derSpezialist fort. »Er wird nicht einfach nur

unsichtbar, sondern er verschwindet. Wahr-scheinlich wechselt er dann in die andereDimension über.«

»Ohne den Ort tatsächlich zu wechseln?«erkundigte sie sich. »Ich meine, wenn er zu-rückkehrt, dann materialisiert er an der glei-chen Stelle, an der er vorher gewesen ist?«

»Das ist richtig«, stimmte Garvarenz zu.»Gut. Das habe ich verzeichnet. Wo ist

das Problem, das sich uns stellt?«»Es liegt in der Persönlichkeit dieses

Mannes«, erläuterte der Spezialist.»Genauer bitte.«Sie blickte auf.Garvarenz erklärte: »Salgouz ist ein Säu-

fer.«Er bemerkte, wie sich ihre Augen verän-

derten, und errötete vor Zorn. Er glaubte, ih-re Gedanken lesen zu können.

»Salgouz braut sich seinen Schnapsselbst. Er verweigert darüber hinaus jeglicheLeistung.«

»Er hat die Vibrationsspange zerstört –oder nicht?«

Wieder klang die Kritik an seinen Wortendeutlich mit. Garvarenz beeilte sich, den Wi-derspruch aufzuklären, der sich auf der Lei-stungsverweigerung auf der einen und derZerstörung der Vibrationsspange auf der an-deren Seite ergab.

»Salgouz fand heraus, was die Ursachefür die Zerstörungen auf dem Planeten war.Er berichtete den führenden Politikern vonseiner Entdeckung, aber man lachte ihn aus.Man hielt ihn für verrückt und meinte, derAlkohol habe bei ihm geistige Schäden be-wirkt. Aus Wut darüber tat er sich mit mirzusammen und ging gegen die Station amPol vor.«

Garvarenz lächelte unmerklich.»Danach allerdings fiel er in seine alte

Haltung zurück. Er verweigerte jegliche Lei-stung und war lediglich fürs Feiern zu ha-ben. Aber auch das reichte ihm schon bald.Er hat Ammavol mit einem Springerschiffverlassen und ist nach Condagia geflogen.«

»Gut«, lobte sie ihn. »Die Positronik si-gnalisiert aber, daß die Informationen noch

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nicht ausreichend sind. Wenn ich die Ein-gangsmitteilungen richtig verstanden habe,dann geht es darum, diesen Lelle Salgouz alsUSO-Spezialisten zu gewinnen. Ist das rich-tig?«

»Vollkommen.«»Dann müssen wir also einen Spezialisten

finden, der Salgouz dazu veranlaßt, sich fürdie Allgemeinheit einzusetzen. Das ist eineschwierige Aufgabe, Sir.«

»Ich habe es nicht geschafft, also muß esein anderer versuchen. Was wollen Sie nochwissen?«

Sally Ürbanü hatte noch eine Reihe vonFragen. Sie war unerbittlich. Plantez Garva-renz fiel es immer schwerer, sich zu konzen-trieren, denn der Cocktail wirkte immermehr. So war er froh, als sich das Mädchenendlich in ihrem Sessel zurücklehnte undihm zunickte.

»Ich glaube, das wär's. Nur noch eine Fra-ge: Warum schickt Atlan nicht einen Flot-tenverband nach Condagia? Nimmt er Rück-sicht auf die Springer, die dort eine Nieder-lassung haben?«

»Keineswegs«, antwortete der Spezialistmüde. »Mutanten kann man mit einer Flottenicht imponieren. Und einem Mann wie Sal-gouz schon gar nicht. Er würde höchstensfragen, ob man ihm nicht ein paar FlaschenSchnaps abtreten kann.«

Sally versuchte einen Scherz.»Mir scheint, wir müssen einen trinkfe-

sten Mann nach Condagia schicken«, sagtesie.

*

Zwei Stunden später kehrte Plantez Gar-varenz in einem der zahlreichen Antigrav-schächte aus seiner Unterkunft zurück. Erhatte nur schlecht geschlafen. Als er auf diePlattform vor einer Offiziersmesse her-austrat, kamen ihm Atlan und Fenomera Fal-kass entgegen. Er hörte, wie der Lordadmi-ral sagte:

»… kommt es darauf an, diesen Mann zubekehren und ihn zu einem wertvollen Mit-

glied der menschlichen Gesellschaft zu ma-chen. Salgouz scheint ein ganz besondersschwieriger Fall zu sein.«

Er bemerkte Garvarenz.»Ich habe eine Überraschung für Sie«,

sagte er, »die Großpositronik hat Miß Fal-kass ausgewählt. Sie wird nach Condagiafliegen.«

»Fen? Äh – Entschuldigung, ich meinte,Miß Falkass?« fragte der Spezialist entgei-stert. »Damit hätte ich allerdings nicht ge-rechnet.«

»Hoppla«, sagte sie. »Du willst damitdoch wohl nicht behaupten, ich sei für die-sen Auftrag nicht geeignet? Salgouz magzwar zwei bildschöne Frauen mit sich her-umschleppen, aber ich denke doch, daß auchich meine Wirkung auf ihn nicht verfehlenwerde.«

»Ganz bestimmt nicht«, erklärte Garva-renz verstört. »Aber so viel, wie du glaubst,macht er sich auch wieder nicht aus Frau-en.«

Atlan lachte.»Lassen Sie sich nicht durcheinanderbrin-

gen«, riet er. »Fen hat ganz gewiß nicht denAuftrag, diesen Mann zu verführen. Warumüberrascht es Sie so, daß die Großpositroniksie ausgewählt hat?«

»Das kann ich Ihnen nicht beantworten,Lordadmiral. Ich habe nur nicht damit ge-rechnet, daß Fen es sein würde. Sollte esmöglich sein, daß ich bei der Befragung fürdie Positronik unbewußt Angaben gemachthabe, die auf Fen zutreffen?«

»Das halte ich für ausgeschlossen.«»Sir, ich muß Ihnen gestehen, daß ich

vorher zusammen mit Miß Falkass einenCocktail getrunken habe.«

Atlan wurde ernst. Er musterte den Spe-zialisten mit wachen Augen, doch dann ent-spannte sich seine Miene wieder.

»Wir werden darüber noch miteinanderreden«, sagte er. »Aber ich glaube, daß MißFalkass tödlich beleidigt wäre, falls Sie da-mit andeuten wollen, daß Ihre Aussagen vondem Cocktail beeinflußt worden sind.«

»Tatsächlich«, rief sie empört. »Willst du

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damit etwa sagen, die Positronik habe michnur deshalb ausgesucht, weil du … betrun-ken warst und mich in diesem Zustand mög-lichst weit weg gewünscht hast?«

Plantez Garvarenz hob abwehrend dieHände.

»Bitte«, sagte er schnell. »Ich bin nur des-halb so überrascht, weil ausgerechnet duweggeschickt wirst. Und das gerade zu die-sem Zeitpunkt, da ich angekommen bin undkaum Gelegenheit hatte, mehr als drei Wortemit dir zu reden.«

»Ich weiß auch nicht, ob es gut wäre,wenn wir uns noch öfter treffen könnten«,erwiderte sie schnippisch.

»Mir scheint, wir reden schon jetzt anein-ander vorbei, und das wird kaum besser wer-den, wenn wir uns häufiger sehen.«

»Darf ich fragen, wann Miß FalkassQuinto-Center verlassen wird?« fragte derSpezialist steif.

Atlan lächelte bedauernd.»In wenigen Minuten schon. Wir haben ja

von Ihnen erfahren, daß Lelle Salgouz anBord des Schiffes PONKTONG XXXVIIgeflogen ist. Der Raumer gehört dem Sprin-gerpatriarchen Erret Ponktong, einem Mann,den wir mit besonderer Aufmerksamkeit be-obachten.«

»Darf ich nach dem Grund fragen?«»Das ist kein Geheimnis«, erklärte Atlan.

»Wir glauben annehmen zu dürfen, daßPonktong den Patriarchen Romon Rye ablö-sen will. Rye ist ein Mann, der uns bisherkeine Schwierigkeiten gemacht hat. SolltePonktong die Macht über die Springersippenauf Condagia ergreifen, könnte es unange-nehme Komplikationen geben. Miß Falkasshat also auch die Aufgabe, diesen Springerein wenig im Auge zu behalten. Je früher sieauf Condagia eintrifft, desto besser für Ro-mon Rye – und damit auch für uns.«

»Du siehst«, sagte Fen Falkass ironisch,»ich habe also überhaupt keine Zeit, mit dirzu schmusen.«

»Ich muß dich enttäuschen«, entgegnetePlantez grinsend. »Das hatte ich auch nichtvor.«

»Was denn?« fragte Fen neugierig.Garvarenz blickte Atlan an, schüttelte den

Kopf und sagte: »Ich verstehe nicht, daß duderartige Fragen in Anwesenheit des Lor-dadmirals stellen kannst.«

Er wandte sich an den Arkoniden: »Sir –ich möchte nicht länger stören.«

Fenomera Falkass errötete. Wütend blick-te sie dem Spezialisten nach. Sie nahm sichfest vor, es Plantez heimzuzahlen, wenn sievon diesem Auftrag zurückkam.

2.

Über der Springersiedlung auf Condagiawar die Sonne bereits aufgegangen, als ErretPonktong, Romon Rye und drei weitere Pa-triarchen beim Frühstück zusammensaßen.Sie hielten sich in den überaus luxuriös ein-gerichteten Räumen Ryes auf, der zu diesemfrühen Essen geladen hatte.

An den Wänden und den Fenstern lehntendie Adjutanten der Patriarchen. Sie beobach-teten das Geschehen mit argwöhnischen Au-gen. Serpe Allak war jedoch der einzige un-ter ihnen, der es wagte, seine Waffe, einenschweren Energiestrahler, offen zu tragen.

Mehrere knapp bekleidete Mädchen ausder Sippe des Patriarchen Rye bedienten dieMänner an der Tafel.

»Machen wir uns doch nichts vor«, sagteRomon Rye. »Condagia eignet sich nicht füreinen geheimen Stützpunkt.«

»Und warum nicht?« fragte Ponktongscharf.

Rye stopfte sich etwas Gebackenes, das ermit gebeiztem Fleisch belegt hatte, in denMund.

»Weil Terraner hier leben«, antwortete erschmatzend. »Was machen wir mit ihnen?Wir können sie nicht von hier vertreiben,ohne die halbe Galaxis darauf aufmerksamzu machen, daß wir hier etwas planen. Wirmüßten sie schon umbringen. Wollten Sie soetwas vorschlagen, Ponktong?«

Ponktong nahm einen üppig belegten Tel-ler mit hauchdünnen Fruchtscheiben von ei-nem der Mädchen entgegen. Er bediente

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sich gelassen, bevor er antwortete: »Warumnicht?«

Romon Rye schüttelte den Kopf. Die dreiroten Zöpfe rutschten ihm dabei über dieSchultern nach vorn. Sein rundes Gesicht rö-tete sich.

»Sie sind brutal und mordlüstern, Patri-arch Ponktong, aber leider nicht im gleichenMaße klug.«

Serpe Allak trat einen Schritt vor. SeineHand legte sich auf den Kolben des Energie-strahlers, doch sein Patriarch tat, als habe erdie Beleidigung überhört.

»Condagia hat eine außerordentlich gün-stige Lage in der Galaxis. Durch neue wirt-schaftliche und politische Entwicklungenwird dieser Planet in Zukunft immer bedeu-tungsvoller werden. Er bietet sich als Stütz-punkt für uns geradezu an«, erklärte er ge-lassen. »Was spielen da ein paar Terranerfür eine Rolle? Um wen handelt es sich dennhier? Um einige heruntergekommene Vaga-bunden. Wenn sie verschwinden, ändert sichüberhaupt nichts. Kein Mensch wird etwasmerken.«

»Sind Sie da so ganz sicher?« fragte Ro-mon Rye mit einem seltsamen Unterton.

Ponktong richtete sich auf. Seine Augenverengten sich.

»Absolut«, erwiderte er. »Oder wolltenSie mit Ihren Worten andeuten, daß es Ver-räter in Ihren Reihen gibt, die eine Nachrichtan die USO absenden, wenn wir auf die Ter-raner Jagd machen?«

Rye sprang auf. Seine Männer traten andie Tafel heran, doch Ponktong speiste ruhigweiter, als sei überhaupt nichts geschehen.Er biß von einer Fruchtscheibe ab und blick-te sich um. Ein spöttisches Lächeln lag aufseinen Lippen.

»Sie sind mein Gast«, erklärte RomonRye erregt. »Andernfalls hätte ich Ihnen diepassende Antwort gegeben.«

Ponktong warf sein Mundtuch verächtlichauf den Tisch und erhob sich. Er richtete sei-nen Bartzopf aus, so daß er genau der Ma-gnetverschlußlinie seiner Hemdbluse folgte,und ging auf die Tür zu. Serpe Allak stand

bereits dort. Er stützte seine Hand mit un-mißverständlicher Gebärde auf den Kolbenseines Energiestrahlers.

»Ihre Reaktion beweist mir, daß meineVermutung richtig ist«, sagte Ponktongfurchtlos. »Es gibt einen oder mehrere Män-ner in Ihren Reihen, auf die wir uns nichtverlassen können. Man scheute sich alsonicht, mit Terra zusammenzuarbeiten. Unterdiesen Umständen ist es allerdings besser,Pläne um Condagia nicht vor aller Ohren zubesprechen.«

Er verließ den Raum.Als sich die Schotte hinter ihm schlossen,

blickte er Serpe Allak lächelnd an.»Die Herren fühlen sich provoziert«, sag-

te er. »Jetzt wird sich zeigen, wie fest Ryeauf seinem Stuhl sitzt. Ich glaube nicht, daßman Verständnis dafür haben wird, wenn einSpringerpatriarch Verbindungen zum Sola-ren Imperium pflegt.«

»Bist du sicher, daß er das tut?« fragte derAdjutant.

»Natürlich nicht«, erwiderte der Patriarch.»Aber spielt das eine Rolle?«

Die beiden Männer stiegen in einen nachunten gepolten Antigravschacht. Sie fühltensich sicher. Das Gastrecht schützte sie. We-der in diesem Haus noch in der Siedlungwürde es jemand wagen, sie anzugreifen.Waren sie in den Raum gestartet, durften sienicht mehr so ganz sicher sein, daß es nichtzu unerwünschten Zwischenfällen kommenwürde. Ponktong plante jedoch noch langenicht, diesen Planeten zu verlassen.

Er war entschlossen, seine Pläne zu ver-wirklichen, auch wenn dabei ein paar Terra-ner sterben mußten.

*

Fenomera Falkass blickte auf das Bord-chronometer. Sie nickte unwillkürlich. Siehatten sich genau an den Zeitplan gehalten.Das Instrument zeigte den 20.12.2842 an.

Vor ihr leuchtete ein kleiner Bildschirm.Auf ihm konnte sie das kantige Gesicht desPiloten sehen. Er blickte direkt in die Auf-

Der Eremit von Condagia 11

Page 12: Der Eremit von Condagia

nahmesysteme.»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?« fragte

er.»Von mir aus kann es losgehen«, erwider-

te sie.»Wir verlassen den Ortungsschatten von

Karrout und nähern uns Condagia«, erklärteder Spezialist, der die SpaceJet lenkte. »Siehaben noch etwa eine halbe Stunde Zeit.Dann werden wir Sie ausschleusen.«

»Wie sieht es mit der Ortung der Springeraus?« erkundigte sie sich. »Haben Sie etwasfeststellen können?«

Er lächelte leicht.»Die galaktischen Händler fühlen sich si-

cher auf Condagia. Sie rechnen mit keinemAngriff und schon gar nicht mit einer Akti-on, wie wir sie durchführen. Auf Condagiagibt es nichts, was uns interessieren könnte.Das glauben sie wenigstens. Entsprechendgering ist ihre Aufmerksamkeit. Sie werdenungefährdet und unbeobachtet landen kön-nen. Es muß ja nicht direkt vor den Türender Springer sein.«

»Danke«, entgegnete sie. »Auf diesen Ge-danken wäre ich natürlich ohne Ihren Hin-weis nicht gekommen.«

Sie lachten beide.Wenig später meldete er, daß die Jet die

Bahn des zweiten Planeten von Karroutüberflogen habe.

»Es ist soweit, Miß Falkass.«»Danke.«Sie überprüfte die Ausrüstung und die In-

strumente abermals. Dann gab sie das Zei-chen. Sie fühlte, wie die Raumlinse angeho-ben und in die Schleuse gedrängt wurde. Ih-re Finger glitten über die Kontakttastatur.Die Bildschirme flammten auf. Die robusteHochleistungsapparatur der Linse erwachtezum Leben. Das winzige Raumschiff schüt-telte sich ein wenig, dann glitt es schwerelosaus der Jet in den Raum hinaus. Fenomerahatte den Piloten bereits vergessen. Sie kon-zentrierte sich voll auf ihre Arbeit.

Sie lag auf dem Konturlager, auf demauch noch ein zweites Besatzungsmitgliedausreichend Platz gefunden hätte. Das Im-

pulstriebwerk zündete. Fen wartete, bis alleInstrumente ausreichende Werte anzeigten,dann beschleunigte sie voll. Die Entfernungbis Condagia betrug noch fast 20 MillionenKilometer. Deutlich war der Planet auf demBildschirm zu erkennen.

Sie richtete sich auf und blickte durch dieAussichtskanzel hinaus. Von jetzt an würdedie Bordpositronik die Hauptarbeit erledi-gen.

Condagia hing als hellbraune Scheibe vorihr in der samtenen Schwärze des Alls. Dienächsten Sterne waren so weit entfernt, daßsie nur als Lichtpunkte zu erkennen waren.Der kleine, ovale Mond stieg über den Hori-zont des Planeten. Er würde Condagia halbumrundet haben, wenn sie mit der Raumlin-se eintraf, so daß sie sich aus seinem Or-tungsschatten heraus nähern konnte.

Fenomera Falkass hatte das Gefühl, mitungeheurer Geschwindigkeit auf Condagiazuzustürzen. Sie glaubte, sehen zu können,wie diese Welt anwuchs. Hauchdünne Wol-kenschleier machten deutlich, daß es wenigWasser auf diesem Planeten gab. Meere exi-stierten nicht. Fen wußte jedoch, daß esmehrere große Seen gab, die auf den Hoch-plateaus lagen.

Die Spezialistin richtete ihr Augenmerkwieder auf die Ortungsinstrumente. Bis jetztwar die Linse von keinem Suchstrahl erfaßtworden. Damit war auch nicht zu rechnen,denn der Anflug erfolgte auf die Halbkugelvon Condagia, die der Springersiedlung ge-genüberlag. Dennoch blieb das Unterneh-men in dieser Phase riskant. Jederzeit konnteein Walzenraumer starten oder sich eben-falls dem Stützpunkt nähern. Ihm bot sichdann ein völlig anderer Ortungswinkel, demsich die Linse nicht entziehen konnte. Daswinzige Raumschiff war zwar mit Ortungs-schutzeinrichtungen versehen, doch eine Zu-fallsentdeckung war niemals auszuschließen.

Fenomera spürte, daß es um ihre Ruhe ge-schehen war, als sie mit der Doppellinse indie Atmosphäre von Condagia eindrang. Sieflog mit hoher Geschwindigkeit. IonisierteLuftmassen umloderten das Schiff. Mühelos

12 H. G. Francis

Page 13: Der Eremit von Condagia

wurden die Schutzschirme mit dem Hitze-stau fertig.

Die Spezialistin überprüfte Kurs und Ein-flugwinkel. Alles war in Ordnung. DerSpringerstützpunkt war über zwanzigtau-send Kilometer von ihr entfernt.

Sie blickte nach unten. Die Raumlinsestrich über schroffe Felsrücken hinweg, diebis zu fünfzehntausend Meter hoch waren.Die Gesteine glänzten bläulichschwarz imLicht der Sonne. Nur ganz vereinzelt ent-deckte Fen Vegetationsinseln. Sie drücktedas Raumschiff noch tiefer hinab und verzö-gerte. Sie war unbeobachtet in die Lufthüllevon Condagia eingedrungen. Eine direkteOrtungsgefahr bestand nicht mehr. Zuschnell zu fliegen wäre riskant gewesen. Sieüberquerte einen flachen See, der einenDurchmesser von etwa dreißig Kilometernhatte.

Die Linse raste mit nahezu vierfacherSchallgeschwindigkeit über einen Ber-grücken hinweg. Dahinter dehnte sich einwüstenartiges Gebiet. Fen hatte es schon ausdem Weltraum gesehen. Es zog sich Hun-derte von Kilometern durch das äquatorialeHochland. Sie brauchte ihm nur zu folgen.Wenn sie die Gebirgszüge erreichte, die esin östlicher Richtung begrenzten, trenntensie nur noch wenige hundert Kilometer vomStützpunkt der Springer.

Sie drückte das Raumschiff noch weiterherunter. Die Wüste glitt so schnell unter ihrweg, daß sie keine Einzelheiten erkennenkonnte. Dann tauchten die Berge auf. Sieverzögerte stärker. Gleichzeitig näherte siesich dem Wüstenboden. Mit ruhiger Handlenkte die Spezialistin die Linse. Sie beob-achtete die Bildschirme und entdeckte plötz-lich jene Felsschlucht, die ihr auf Quinto-Center bezeichnet worden war. Sie brauchteden Kurs der Maschine nur geringfügig zuändern.

Die Raumlinse schwebte zwischenschwarze, steil aufragende Felswände undglitt schließlich unter einige Gesteinsplatten,die eine natürliche Höhle bildeten.

Kreischend rutschte sie noch einige Meter

über den rauhen Untergrund und blieb dannvor einer Wand stehen.

Fen atmete auf. Sie schaltete das Trieb-werk aus und legte alle Einrichtungen still,die von einer Energieortung erfaßt werdenkonnten.

Dann wartete sie.Die Positronik nahm ihr die Hauptarbeit

ab. Sie würde es ihr sofort melden, falls eineGefahr drohte, doch ganz mochte sich Fennicht auf sie verlassen.

Sie bereitete ihre Ausrüstung vor undschleppte sie hinaus. Zunächst machte es ihreinige Mühe, in der dünnen Luft zu arbeiten,doch sie gewöhnte sich schnell an die neuenBedingungen.

Als zwei Stunden verstrichen waren, ohnedaß die Positronik Alarm gegeben hatte, warsie davon überzeugt, daß es ihr gelungenwar, unbeobachtet zu landen. Sie verschloßdie Raumlinse und streifte sich einen leich-ten Kampfanzug über. An ihrem Gürtel be-festigte sie die verschiedenen Ausrüstungs-pakete und ruckte schließlich mit Hilfe einesleichten Antigravitators einige Felsbrockenvor die Höhle. Dann flog sie aus derSchlucht heraus.

Die Wüste lag offen vor ihr. Ein kalterWind strich über sie hinweg und trieb Staub-wolken vor sich her, in denen grüne, feder-leichte Pflanzen schwebten. Schon jetzt wardie Spur nicht mehr zu erkennen, die derkleine Raumer bei seinem Anflug auf dieFelsgrotte in den Wüstensand gezeichnethatte.

Fenomera Falkass wandte sich nach Nor-den. Mit Hilfe ihres Fluggeräts stieg sie anund glitt über die Spitzen der Berge hinweg.Die Luft war kristallklar. Ihr Blick reichtenahezu an hundert Kilometer weit überschroffe, braune Gebirgsrücken hinweg. Sieschrak auf, als sich überraschend ein grünerPflanzenteppich von einer Felswand erhob.Doch das seltsame Wesen griff sie nicht an,sondern flüchtete.

*

Der Eremit von Condagia 13

Page 14: Der Eremit von Condagia

Von einer Bergspitze aus konnte Fen denStützpunkt der Springer sehen. Er war nochweit von ihr entfernt. Wie Quecksilberkügel-chen lagen die Gebäude der galaktischenHändler auf dem kargen Boden. Davor lagein breiter Vegetationsgürtel, der überwie-gend grün war.

Die Spezialistin verzichtete darauf, nochnäher an die Niederlassung heranzufliegen.Sie hatte einige große Felsbrocken entdeckt,unter denen sie ihre Ausrüstung versteckenkonnte.

Sie streifte ihren Kampfanzug ab und be-hielt lediglich einen leichten Pulli, zerschlis-sene Hosen und Sandalen an. Um ihre Hüf-ten schlang sie sich einen breiten Ledergür-tel, der völlig harmlos aussah, jedoch eineReihe von USO-Spezialitäten in sich barg.Ihre Waffen mußte sie zurücklassen.

Als sie an den Berghängen hinablief, öff-nete sie sich ihr rotblondes Haar, bis es ihrlang über die Schultern herabfiel. Erst als siedie ersten niedrigen Bäume erreichte, bliebsie stehen.

Sie lauschte mit allen Sinnen.Irgendwo in diesem Gebiet zwischen den

Bergen und der Springerniederlassung leb-ten Terraner. Sie wußte nicht genau, wieviele es waren. In Quinto-Center hatte manihr eine Zahl von etwa hundert Männern undFrauen genannt, die hier ein kümmerlichesDasein führten. Sie meisten von ihnen warenEremiten. Sie versuchten, mit dem auszu-kommen, was ihnen Condagia bot. Genügtedas nicht, dann zogen sie zum Stützpunktder galaktischen Händler und erbetteltensich, was sie brauchten. Sie schienen daskeineswegs als entwürdigend zu empfinden.

Fen Falkass war eine schwache Telepa-thin. Sie konnte sich in die Gefühle andererMenschen und Lebewesen hineinversetzen,wobei es allerdings eine Reihe von Ausnah-men gab. Sie hatte versucht, etwas von denGefühlen zu erfassen, die Lordadmiral Atlanbewegten. Erfolglos. Auch mentalstabilisier-te Menschen blieben ihr verschlossen.

Hier aber spürte sie deutlich die emotio-nellen Impulse, die von den verschiedenen

Eremiten in ihren Schlupfwinkeln ausgin-gen. Sie würden es ihr erleichtern, jenenMann zu finden, den sie suchte.

Lelle Salgouz lebte hier. Auch er hattesich eine Höhle gesucht oder eine primitiveHütte gebaut, in der er mit seinen Frauenhausen konnte.

Fen fragte sich, was der Grund dafür seinmochte, daß diese beiden Frauen bei ihmblieben. Sie führten alles andere als ein er-strebenswertes Dasein an seiner Seite.

»Aus deiner Sicht, Fen«, sagte sie sichlaut, während sie einen Bach überquerte. »Inihren Augen sieht wahrscheinlich alles ganzanders aus.«

Sie war gespannt auf Lelle Salgouz.Plötzlich entdeckte sie eine Hütte zwi-

schen den Bäumen. Sie stand auf einer klei-nen Lichtung und war grob aus unbehauenenBaumstämmen zusammengesetzt. Fen wun-derte sich, daß sie nicht schon längst zusam-mengebrochen war, denn eine stabile Ver-bindung zwischen den Stämmen schien esnicht zu geben.

Sie blickte zur Sonne, die noch nicht sehrhoch über dem Horizont stand. Es war nochfrüh.

Fenomera sprang über eine Mulde hin-weg, in der ameisenähnliche Insekten einerote, fleischige Pflanze verzehrten. Sie kon-zentrierte sich ganz auf den Terraner in derHütte. Sie konnte seine Gefühle erfassen,und sie erschauerte. Der Mann war wach,aber er weilte nur körperlich auf dieser Welt.Geistig und emotionell bewegte er sich ir-gendwo zwischen den Dimensionen.

Sie umkreiste das primitive Gebäude undblieb neben einem Feuer stehen, über deman einem Dreibein ein Metallgefäß hing. Siesah, daß eine Brühe darin kochte. Ein süßli-cher Geruch stieg auf. Sie trat einige Schrittezur Seite, weil ihr übel wurde. Dabei ließ sieden bartlosen Mann jedoch nicht aus denAugen, der mit untergeschlagenen Beinenauf dem kahlen Boden kauerte. Er blicktestarr in die Sonne und nahm ihr Licht in sichauf. Obwohl er nicht blind war, schien erkeineswegs geblendet zu werden.

14 H. G. Francis

Page 15: Der Eremit von Condagia

Fen ging zögernd auf ihn zu und bliebdicht vor ihm stehen. Er beachtete sie nicht– zumindest äußerlich nicht. Die Spezialistinesperte aber emotionelle Schwankungen, dieihr eindeutig bewiesen, daß er sie sehr wohlbemerkt hatte. So etwas wie Haßimpulseklangen in ihm an.

Seine Lippen bewegten sich, doch sie ver-nahm keinen Laut. Irgend etwas warnte sie.Sie wußte nicht genau, was es war, aber siespürte die Gefahr auf sich zukommen.

Dies war nicht Lelle Salgouz. Daher wardieser Mann praktisch bedeutungslos für sie.

Fen wich zurück und blickte sich suchendum. Da fiel ihr auf, daß sie überall um sichherum feuerrote Käfer sah. Viele von ihnenkrochen scheinbar ziellos im grünlichbrau-nen Gras herum, die meisten aber strebteneilig auf sie zu. Sie streckten gezackte Zan-gen aus.

Erschreckt blickte Fen den Eremiten an.Jetzt wußte sie, was seine eigenartigen Lip-penbewegungen zu sagen hatten. Er befeh-ligte die Insekten, wobei er Töne so hoherFrequenz von sich gab, daß sie für dasmenschliche Ohr unhörbar blieben.

»Ich verschwinde ja schon«, sagte sie.Dabei rannte sie von dem Einsiedler fort

und setzte mit einem weiten Sprung über dieanrückenden Insekten hinweg. Sie kam ineiner flachen Mulde auf, in der sich zweiKäfer befanden. Blitzschnell griffen die Tie-re an. Sie schlugen ihr die Zangen in dienackten Knöchel.

Fen schrie gellend auf.Rasender Schmerz durchzog ihr Bein. Für

einen kurzen Moment glaubte sie, sich nichtmehr halten zu können. Wie wild schlug sieauf die Käfer ein, um sie von ihren Knö-cheln zu entfernen. Die Zangen hatten sichbereits so tief eingegraben, daß blutige Stel-len zurückblieben.

»Sie Teufel«, schrie sie dem Eremiten zu.Er reagierte nicht. Unverwandt blickte er

in die Sonne.Die Spezialistin rannte davon, bis sie si-

cher war, den Insekten entkommen zu sein.Dann zog sie aus ihrem Gürtel einige farblo-

se Schutzstreifen und drückte das selbstkle-bende Material auf die Wunden. Sie hoffte,daß die Insekten ihr kein Gift ins Bein ge-spritzt hatten. Um sich zu vergewissern,strich sie mehrere dünne Teststreifen durchdas Blut, das ihr bis auf den Fuß hinabgelau-fen war. Sie verfärbten sich nicht.

Erleichtert atmete Fen auf. Sie brauchtenicht mit Schwellungen und Entzündungenzu rechnen.

Nachdenklich blickte sie zu der Hütte mitdem Einsiedler zurück. Sie mußte zugeben,daß sie von dem Angriff überrascht wordenwar. Das behagte ihr nicht, denn sie hattenicht mit derartigen Schwierigkeiten gerech-net. Jetzt fragte sie sich, was sie von den an-deren Eremiten zu erwarten hatte.

Bestanden alle so entschlossen darauf, al-leingelassen zu werden? Würden alle so aus-gesprochen feindlich reagieren?

Dann würde sie es sehr schwer haben,Lelle Salgouz und seine beiden Frauen zufinden.

Fenomera runzelte die Stirn. Sie setztesich auf einen großen Stein, zog die Beinean und stützte das Kinn auf die Knie. Nach-denklich blickte sie durch eine Baumlückeauf einen weiten Hang hinauf. Sie sah dreiHütten, die weit voneinander entfernt waren.Vielleicht lebte Salgouz da oben.

Bis jetzt hatte sie sich schon allerlei Ge-danken darüber gemacht, wie sie mit ihm re-den wollte. Sie war überzeugt davon gewe-sen, daß sie es schaffen würde, ihn aus sei-nem Einsiedlerdasein herauszuholen. Dochnun begann sie zu zweifeln.

Was sollte sie tun, wenn er sich ähnlichverhielt wie dieser Insekten-Eremit? Siekonnte und durfte sich auf keinen Kampfmit ihm einlassen, denn damit würde sie dieschlechtesten aller denkbaren Argumentebenutzen.

3.

Die Hütte stand zwischen vier haushohenFelsen. Sie war aus ausgemusterten Raum-schiffsteilen errichtet worden. Kräftige

Der Eremit von Condagia 15

Page 16: Der Eremit von Condagia

Baumstämme stützten das primitive Bau-werk, aber es machte dennoch den Eindruck,als werde es beim nächsten Windstoß da-vonfliegen. Fenster oder Türen gab es nicht.Vor dem Eingang hingen Tierfelle, die be-reits so abgewetzt aussahen, daß Fen Falkassihr Alter auf einige Jahrzehnte schätzte.

An einem Bach, der dicht an dieser Not-unterkunft vorbeilief, kauerten zwei Frauenund versuchten, Fische zu fangen. Dabei be-nutzten sie ihre Kopftücher und hatten of-fensichtlich nur geringen Erfolg. Fen er-kannte die vollschlanke Kervania Reallahund die zierlichere Meinja Idrak in ihnen.Sie wußte, daß sie ihr Ziel erreicht hatte.

Aber dazu hätte sie die beiden Frauen garnicht erst zu sehen brauchen. Schon in einerEntfernung von mehreren hundert Meternhatte sie den Geruch bemerkt, der ihr ein-deutig verriet, daß sie sich einem Ort näher-te, an dem ein Destillationsapparat in Be-trieb war.

Sie wunderte sich, daß die beiden Frauenes so nahe bei der Quelle derart übler Gerü-che aushielten, aber weder Kervania nochMeinja schienen sich belästigt zu fühlen. Sieschwatzten miteinander und kreischten lautauf, wenn sie meinten, Beute gemacht zu ha-ben.

Fenomera Falkass rutschte einen Felsenherunter und sprang ins Gras hinab. Dannschritt sie langsam auf die beiden Frauen zu,die sie nicht zu bemerken schienen. Selbstals sie unmittelbar hinter ihnen stand, rea-gierten sie nicht.

»Hallo«, sagte die Spezialistin.Die beiden Frauen erhoben sich, nahmen

die drei Fische aus dem Gras auf, die sie ge-fangen hatten, und eilten schwatzend in dieHütte. Fen blickte ihnen nach. Dies war ihrezweite Begegnung mit Terranern auf dieserWelt. Sie hatte sich anderen Eremiten vor-sichtshalber nicht genähert, um keine weite-ren Zwischenfälle zu provozieren. Jetztneigte sich der Tag bereits dem Abend zu.Sie war froh, Lelle Salgouz gefunden zu ha-ben, und dachte nicht daran, sich abwim-meln zu lassen. Sie ging zur Hütte und

schlug die Felle zur Seite.In der Mitte eines winzigen Raumes stand

der Destillierapparat und verbreitete einenstechenden Gestank nach billigem Fusel.Die beiden Frauen waren mit einem offenenFeuer beschäftigt, das im Hintergrundbrannte.

Fen hielt die Felle hoch, damit ein wenigmehr Licht in die Hütte fiel. Jetzt entdecktesie Lelle Salgouz, der auf einem Lager imhintersten Winkel ruhte.

Er lag auf dem Rücken und hielt diegroßen, fleischigen Hände über dem Bauchgefaltet. Sein aufgedunsenes Gesicht sahbleich und blutleer aus. Wirr und unordent-lich hing ihm das Haar um den Kopf. Fenfühlte, daß ihr übel wurde. Sie wandte sichum und trat an die frische Luft hinaus, alszwei dunkle Schatten auf sie zuschossen. Siehörte das wütende Knurren der großenWolfshunde und fühlte einen harten Schlag.Rücklings flog sie gegen die Wand der Hüt-te. Sie riß die Arme hoch, um sich gegen diewütend nach ihrer Kehle schnappenden Tie-re zu schützen. Aus den Augenwinkeln her-aus sah sie, daß noch zwei weitere Hundeheranhetzten.

»Kervania! Meinja!« rief sie, während siekräftige Hiebe gegen die Tierleiber führteund die Hunde zurückschleuderte. Für einenkurzen Moment bekam sie Luft, dann mußtesie bereits die nächsten beiden Angreifer ab-wehren. Noch einmal kam sie davon, ohneverletzt zu werden dann aber sprangen dievier Hunde sie gleichzeitig an.

Fen flog durch die Felle in die Hütte hin-ein. Einer der Hunde erwischte ihr linkesHandgelenk. Er zerrte ihren Arm von ihremKopf und ihrem Hals fort, so daß die ande-ren Tiere eine günstigere Angriffspositionbekamen. Verzweifelt warf Fen sich herum.

Genau in dieser Sekunde griff Lelle Sal-gouz ein.

Mit unglaublicher Geschwindigkeit kamer von seinem Lager hoch. Er rief einen Be-fehl, mit dem er seine Hunde zurücktrieb. Erpackte Fenomera bei den Beinen und riß siemit brutaler Gewalt zurück. Sie stürzte auf

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Page 17: Der Eremit von Condagia

den Boden.»Das war knapp«, sagte er mit schwerer

Zunge. »Beinahe hättest du mir meine De-stille zerschmettert.«

Fen rollte sich von dem Feuer weg, dasden Glaskessel erhitzte. Sie sah Salgouznach, der heftig schwankend zu seinem Bettzurückkehrte und sich ächzend darauffallenließ.

Kervania Reallah und Meinja Idrak wand-ten sich wieder dem Feuer und den Fischenzu. Die vier Wolfshunde kauerten mit ge-bleckten Zähnen neben Fen und bewachtensie. Als sie sich aufrichten wollte, schnappteeines der Tiere nach ihrem Kopf. Sie sahein, daß sie allein nichts tun konnte, und leg-te sich wieder zurück.

»Kervania«, sagte sie. »Bitte, helfen Siemir.«

Die beiden Frauen sprachen leise mitein-ander. Sie taten, als sei sie überhaupt nichtvorhanden.

»Miß Idrak«, rief die Spezialistin. »Bitte.«Die jüngere der beiden Frauen erhob sich

und kam zu Fen. Dicht neben ihrem Kopfblieb sie stehen und blickte kühl auf sie her-ab.

»Bleiben Sie, wo Sie sind, bis Lelle auf-wacht«, riet sie Fen. »Wir können nichts tun.Die Hunde gehorchen uns nicht.«

»Lelle ist wach.«Das Mädchen lachte.»Der schläft jetzt mindestens drei Tage.

Er ist nur hochgekommen, weil Sie beinaheseinen Destillierapparat zerstört hätten. Undnun halten Sie endlich den Mund. Wir wol-len in Ruhe essen.«

Fenomera Falkass entspannte sich.»Nun gut«, erwiderte sie. »Ich bin gedul-

dig. Das ist eine meiner ganz großen Tugen-den.«

Sie hätte die vier Wolfshunde ohne weite-res töten können, aber das durfte sie nichttun. Damit hätte sie sich alle Chancen zer-stört, Lelle Salgouz zu gewinnen. Sie befandsich in der Hütte des Mutanten, und das ge-nügte ihr für den Anfang.

Sie schloß die Augen. Ihr Handgelenk

schmerzte ein wenig, aber es blutete nicht.Der Hund hatte es nur mit den Zähnen ge-halten, nicht aber verletzt.

*

Fenomera glaubte, ersticken zu müssen.Ihr Mund brannte, als habe sie kochendesWasser getrunken.

Mit einem gequälten Aufschrei richtetesie sich auf. Dabei stieß sie Lelle Salgouzdas Glas fast aus der Hand, das er an ihreLippen gesetzt hatte.

Sie hustete und würgte. Tränen schossenihr aus den Augen.

»Wasser«, rief sie röchelnd. »Bitte, gebenSie mir Wasser.«

Salgouz lachte dröhnend.»Kervania«, brüllte er. »Gib ihr, was sie

haben will.«Fen drehte sich halb um, in der Hoffnung,

einen kühlen Schluck zu trinken zu bekom-men. Aber Kervania machte nicht viel Um-stände. Sie nahm einen Holzeimer, der aufeinem Bord stand, schwang ihn herum undgoß den eiskalten Inhalt über das rotblondeMädchen. Fenomera bewahrte Haltung. Siebenetzte sich die Lippen mit den Fingern,nachdem sie sich das Wasser aus dem Ge-sicht gestrichen hatte.

»Besten Dank für den erfrischendenSchluck«, sagte sie. Gern hätte sie Salgouznoch einige Flüche an den Kopf geworfen,aber ihre Stimme versagte.

»Das war wohl ein bißchen scharf, was?«erkundigte er sich. Er nahm das Glas undtrank den Rest aus. Aus trüben Augen blick-te er sie an. Sein Gesicht war rot und aufge-dunsen.

»Du hast mich schon richtig verstanden,Van«, sagte er mit heiserer Stimme. »Also,beeile dich.«

Die vollschlanke Frau gehorchte. Siereichte Fenomera einen Becher Wasser. Lel-le Salgouz beobachtete sie, als sie trank. Ergrinste. Ihre Reaktion auf seinen selbstge-brannten Schnaps schien ihn köstlich zuamüsieren.

Der Eremit von Condagia 17

Page 18: Der Eremit von Condagia

»Wollen Sie noch einen?« fragte er. »Ichhabe ihn aus Villeham gebrannt. Das ist soungefähr das beste Zeug, das mir je unter dieFinger gekommen ist.«

Seine Hände zitterten, als er das Glas er-neut füllte.

»Na, was ist, Mädchen?«Fen schüttelte den Kopf. Lelle Salgouz lä-

chelte breit und trank das Glas selbst aus.Danach betrachtete er seine Hände und war-tete darauf, daß sie aufhörten zu zittern. DieSpezialistin erhob sich, griff nach einemStofflappen und trocknete sich damit ab, sogut es eben ging. Die beiden Frauen beach-tete sie nicht.

Salgouz, der bis jetzt auf dem Boden ge-kniet hatte, stemmte sich hoch. Er rülpstelaut und nahm noch einen kräftigen Schluckaus der Flasche. Danach kratzte er sich denBauch und stopfte das verrutschte Hemd indie Hose.

Fenomera beobachtete ihn.Alles an ihm sah schmutzig und verkom-

men aus. Das Haar hing ihm wirr ins Ge-sicht. Er hatte sich seit einigen Tagen schonnicht mehr rasiert und gewaschen. SeineKleidung war dementsprechend. Offensicht-lich legte er sie nie ab.

Lelle Salgouz setzte die Flasche erneutan, trank und ging hinaus. Fenomera Falkassfröstelte. Das nasse Hemd klebte kalt aufdem bloßen Körper. Sie hätte es am liebstenabgestreift, tat es jedoch nicht, weil sie Sal-gouz nicht auf falsche Gedanken bringenwollte. Sie ging ihm nach.

Er hockte auf einem Stein am Bach undtrank. Die Flasche war fast leer. Aus trübenAugen blickte er ihr entgegen. Sein Ober-körper schwankte.

Sie hockte sich vor ihm ins Gras.Seltsam, dachte sie. Dieser Mann sieht

heruntergekommen, disziplinlos und schmut-zig aus, und doch hat er etwas Besonderesan sich. Das ist nicht einfach nur ein Trin-ker.

»Was wollen Sie hier?« fragte er mitschwerer Zunge. »Ich habe an zwei Weiberngenug. Drei sind mir zuviel.«

Er musterte sie, wobei er sich bemühte,die Augen ein wenig weiter zu öffnen. Fenzweifelte daran, daß er in seinem Zustandnoch klar denken konnte. Wahrscheinlichnahm er gar nicht bewußt in sich auf, was ersah.

»Verdammt hübsch«, murmelte er. »Ansich stehe ich auf rothaarige Weiber. Aberwas soll's. Zwei sind genug.«

Er mußte sich mit der Hand abstützen,weil er sonst ins Gras gefallen wäre.

»Außerdem«, erklärte er kaum verständ-lich, »kann ich nicht mehr als zwei Frauenernähren. Hier wächst kaum etwas. UndWild gibt es auch wenig. Also – verschwin-den Sie!«

Er trank die Flasche aus und ließ sie acht-los ins Gras fallen.

»Warum gehen Sie nicht?« fragte er.Er schloß die Augen und atmete geräusch-

voll durch die Nase. Sie hatte den Eindruck,daß er eingeschlafen war. Doch sie irrtesich. Er rief nach Kervania, und die voll-schlanke Frau kam. Sie brachte ihm einevolle Flasche mit einer bräunlichen Flüssig-keit. Sie reichte sie ihm mit einem Kommen-tar, den Fen nicht verstehen konnte. Docherfaßte sie immerhin, daß es keine freundli-chen Worte waren.

»Ich will nicht bei Ihnen bleiben, Mr. Sal-gouz«, erklärte Fen Falkass. »Ich habe viel-mehr die Absicht, Sie von hier wegzubrin-gen.«

Er blickte sie an und hielt ihr die Flaschehin. Als sie ablehnte, bediente er sich selbst.

»Villeham ist aber wirklich gut«, sagte er.Dann schien er erfaßt zu haben, was sie

gesagt hatte. Er riß die Augen auf und starrtesie an.

»Was wollen Sie? Mich von hier wegbrin-gen?« fragte er mit erstaunlich klarer Stim-me. »Sind Sie verrückt geworden?«

»Warum?«»Sie glauben doch wohl nicht im Ernst,

daß ich mich mit einem Mädchen unterhalte,das nichts trinkt?«

Er hielt ihr die Flasche hin.»Also, entweder nehmen Sie einen

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Schluck, oder Sie verschwinden. Entschei-den Sie sich.«

Sie glaubte zu träumen. Sein Gesicht warnach wie vor aufgedunsen und trug unüber-sehbare Spuren des Alkohols, aber es warnicht das Gesicht eines Betrunkenen, son-dern eines Mannes, der hellwach war. In denAugen erkannte sie einen unbeugsamen Wil-len und die Härte eines Mannes, der sichdurchzusetzen weiß.

Zögernd griff sie nach der Flasche.»Haben Sie nicht ein Glas für mich?«

fragte sie unsicher.»Meinja!« brüllte er.Das Mädchen kam sofort. Es schien schon

zu wissen, was er wollte, denn sie brachtemehrere kleine Becher mit. Freundlich lä-chelnd reichte sie Fen einen und schenkteihn bis zum Rand voll.

»Sie müssen mit ihm trinken«, sagte sieflüsternd. »Sonst kann man nicht mit ihm re-den. Wollen Sie ihn uns wegnehmen?«

»Natürlich nicht«, entgegnete sie. »KeineAngst.«

Meinja schien sehr erleichtert zu sein.»Rajvan!« rief Salgouz.»Rajvan«, sagte Fen. »Was immer das

auch heißt.«Er antwortete nicht, sondern trank sein

Glas aus. Neugierig beobachtete er, wie dasMädchen mit dem scharfen Schnaps fertigwurde. Fen wagte es nicht, etwas zu ver-schütten, wie sie es zunächst geplant hatte.Sie quälte sich das Gebräu hinunter. IhreKehle brannte, und ihre Augen füllten sichmit Tränen. Lelle Salgouz nickte zufriedenund füllte ihren Becher erneut.

»Rajvan«, sagte er.Als sie zögerte, blickte er sie drohend an.»Rajvan«, entgegnete Fen unsicher. Auch

diesen Becher leerte sie bis auf den letztenTropfen.

Lelle Salgouz hielt ihr die Flasche auffor-dernd hin.

»Danke. Mir reicht es im Augenblick.«»Ich bestimme hier, wann es genug ist.

Nicht Sie!«Sie dachte an ihre Aufgabe und duldete,

daß er das Gefäß erneut bis zum Rand füllte.»Rajvan«, sagte er in herrischem Ton.»Nein, nein«, erwiderte sie schwach. Sie

fühlte die Wirkung des Alkohols bereits sehrdeutlich. »Wieviel Prozent hat dieser Rajvaneigentlich?«

Er lachte rauh.»Das ist kein Rajvan, Mädchen. Das ist

ein Villeham-Spezial, Sonderabfüllung Con-dagia. Er erreicht knapp 75 Prozent. Wa-rum? Ist er Ihnen zu milde?«

»Keineswegs«; entgegnete sie mit schwe-rer Zunge. Vor ihren Augen begann sich al-les zu drehen.

»Rajvan«, befahl er.»Rajvan«, sagte sie stöhnend.Der Schnaps brannte jetzt nicht mehr so

stark in ihrer Kehle wie zu Anfang. Benom-men blickte sie auf ihre Hand, die den Be-cher hielt. Sie sah, daß Lelle Salgouz ihnwiederum füllte. Sie wollte sich dagegenwehren, schaffte es aber nicht. Seine Stimmekam wie aus weiter Ferne zu ihr.

»Rajvan!«»Rajvan!«Er saß vor ihr, und sie sah ihn doppelt. Er

hatte zwei Gesichter, die aus rötlichen, ver-quollenen Stücken zusammengesetzt zu seinschienen. Und er hielt zwei Flaschen in denHänden.

»Ich muß mit Ihnen reden, Lelle Sal-gouz«, erklärte sie stockend. »Es ist sehrwichtig. Bestimmt.«

»Rajvan.«»Rajvan.«Es wurde dunkel um sie. Sie spürte nur

noch, daß sie nach hinten kippte und insWasser fiel. Sie wußte, daß sie etwas tunmußte, aber sie war nicht mehr dazu in derLage, irgend etwas zu unternehmen. DasWasser war kalt, aber es machte sie nichtmunter.

Fenomera Falkass hatte das Gefühl, in ei-ne Zentrifuge geraten zu sein, in der sie er-barmungslos herumgeschleudert wurde.

*

Der Eremit von Condagia 19

Page 20: Der Eremit von Condagia

Dieses Gefühl, ständig herumgedreht zuwerden, wich auch noch nicht, als sie wiederzu sich kam.

Es war kalt. Sie lag auf einem weichenUntergrund und war bis zum Kinn mitDecken zugedeckt worden. Ihre Blicke fie-len durch die offene Tür nach draußen, woein kleines Feuer brannte. Es war Nacht.

Fen wußte nicht, wieviel Stunden vergan-gen waren. Auf jeden Fall schienen es nochnicht genügend zu sein, denn die Wirkungdes Alkohols und seiner Abbauprodukte warnoch unerträglich kräftig vorhanden. Sieglaubte, ihr Kopf müsse zerplatzen. Zu-gleich war ihr so übel, daß sie sich nicht be-wegen mochte.

Sie fror, und erst jetzt merkte sie, daß sievöllig unbekleidet war.

Am Feuer hockten die beiden Frauen vonLelle Salgouz. Ihn selbst konnte sie nicht se-hen. Er war auch nicht in der Hütte, dennsonst hätte sie ihn vermutlich schnarchen ge-hört.

Ihre Kleider hingen auf einer Leine nebendem Eingang. Fen brauchte etwa eine Vier-telstunde, bis sie sich aufgerafft und zu ih-nen hinübergeschleppt hatte. Ihre Kehle warwie ausgedörrt. Sie schwankte stark undkonnte sich kaum auf den Beinen halten. Siehörte die Hunde bellen. Rasch streifte siesich Hemd und Hose über. Mit zitterndenFingern zog sie einige Tabletten aus einemverborgenen Schlitz im Ledergürtel. Sie ver-suchte, sie trocken hinunterzuschlucken,schaffte es aber nicht. Da sie nichts Trinkba-res in der Hütte entdeckte, ging sie langsamund wankend zum Bach hinüber. Sie trankaus der hohlen Hand und spülte die Tablet-ten hinunter. Dann kehrte sie in die Hüttezurück und ließ sich wieder auf das Lagersinken. Sie schlief augenblicklich wiederein.

Als sie erneut erwachte, war es draußenhell. Die beiden Frauen hockten schon wie-der an einem Feuer. Auf einem primitivenGestell darüber drehte sich ein großes,braungebranntes Fleischstück.

Fenomera fühlte sich ein wenig besser.

Ihr war nicht mehr so übel, und die Kopf-schmerzen hatten auch nachgelassen. Sie er-hob sich, ging nach draußen und wusch sicham Bach das Gesicht. Erst danach sah sie,daß Lelle Salgouz auf dem Boden saß, sichmit dem Rücken an die Hütte lehnte und einStück Fleisch verzehrte. In der linken Handhielt er eine fast geleerte Flasche.

Er war schon wieder betrunken.Fen strich sich das Haar in den Nacken

zurück.War dieser Mann wirklich so wichtig für

die USO? Sie konnte sich nicht vorstellen,daß er ein Mutant mit überragenden Fähig-keiten war. Würde denn ein solcher Mannsich derart gehenlassen?

»Guten Morgen«, sagte er mit rauherStimme. »Wollen Sie auch einen Schluck?Das hilft gegen den Kater.«

»Danke, ich verzichte«, erwiderte sie.»Tragen Sie die Nase nur nicht zu hoch,

junge Dame«, rief Kervania Reallah. »Lellekann tun und lassen, was er will. Wenn ersich besäuft, dann ist das seine Sache. Viel-leicht haben wir ein Recht, mit ihm herum-zuzanken. Sie aber bestimmt nicht.«

»Ich wollte Sie nicht ärgern. Weder Sienoch Lelle«, sagte Fen. »Entschuldigen Siebitte. Geben Sie mir etwas Fleisch?«

»Bedienen Sie sich«, antwortete Kervaniamürrisch. Sie schnitt sich einen großenBrocken ab, drehte sich zu Salgouz um undschrie wütend: »Kannst du nicht mehr klardenken? Das bißchen reicht doch nicht füruns alle. Warum hast du nicht mehr mitge-bracht?«

»Rajvan«, entgegnete er, hob die Flasche,grinste und trank.

»Reg dich nicht auf, Vania«, bat MeinjaIdrak schüchtern. »Ich esse ohnehin nichtviel.«

Sie reichte Fenomera einen kräftigen Bis-sen. Die USO-Spezialistin nahm ihn dankbarentgegen. Schweigend aß sie. Dabei beob-achtete sie die beiden Frauen, Lelle Salgouzund die vier Wolfshunde, die im Gras lagenund schliefen. Sie war ratlos. Natürlich wares ein Fehler gewesen, soviel zu trinken.

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Auf diese Weise würde sie Lelle Salgouzbestimmt nicht dafür gewinnen können, fürdie USO zu arbeiten.

Das Fleisch bekam ihr nicht. Ihr Magenrebellierte. Sie konnte gerade noch verhin-dern, daß sie alles wieder von sich gab.

»Trinken Sie einen Schnaps«, riet Sal-gouz. »Er hilft wirklich.«

Sie zögerte.»Trinken Sie schon«, sagte Kervania Re-

allah wütend. »Wenn er in dieser Stimmungist, dann ist es nicht ratsam, ihm etwas aus-zuschlagen.«

Sie nahm den Becher mit dem»Villeham-Spezial« entgegen und trankeinen kleinen Schluck. Das Gebräu wärmteund beruhigte ihren Magen. »Geht's bes-ser?« fragte er.

Sie nickte.»Na also.« Er lächelte zufrieden. »Unter

diesen Umständen können wir uns vielleichtvernünftig miteinander unterhalten.«

*

»Wer sind Sie?« fragte Lelle Salgouz.»Fenomera Falkass. Ich bin USO-

Spezialistin.«»Ach, nein!«Er betrachtete sie, als habe er sie vorher

nie gesehen.»Wir haben erfahren, was auf Ammavol

im Ammuses-System geschehen ist«, fuhrsie fort.

Er hielt ihr die Flasche hin, aber sie tat,als bemerke sie es nicht. Salgouz verzog dasGesicht, erhob sich, setzte die Flasche an dieLippen und trank sie halb aus. Dann drehteer sich um und ging davon. Fen sprang aufund ging ihm nach. Am Eingang zur Hütteerreichte sie ihn.

»Mr. Salgouz«, sagte sie.Er blickte sie über die Schulter hinweg an,

lächelte geringschätzig und betrat die Hütte.Der Fellvorhang fiel vor ihr zu. Ärgerlichbiß sie sich auf die Lippen. Was erwartete ervon ihr? Sollte sie sich ständig betrinken?

Kervania Reallah stieß sie zur Seite. Sie

stellte sich in den Eingang der Hütte undsagte: »Verschwinden Sie von hier. Nie-mand will Sie sehen. Lelle nicht. Ich nichtund auch Meinja nicht.«

Fen ging zum Bach und setzte sich dortauf einen Stein. Kervania rief den Hundenetwas zu. Die Tiere schnellten hoch undrannten auf die Spezialistin zu, griffen sie je-doch nicht an. Unmittelbar vor ihr bliebensie knurrend stehen.

Fen sah, daß Kervania in die Hütte ging.Beruhigend sprach sie auf die Tiere ein. Siespürte die Wirkung der Worte. Die Hundewaren bei weitem nicht so aggressiv, wieKervania wohl erwartet hatte.

Lelle Salgouz kam aus der Hütte. Er be-achtete sie nicht. Mit unsicheren Schrittenentfernte er sich. Fen stand auf. Sorgfältigbeobachtete sie die Wolfshunde. Mit ihrenschwach entwickelten telepathischen Sinnenkonnte sie recht gut verfolgen, was in ihnenvorging. Eine echte Bedrohung ging nichtvon ihnen aus.

Ungehindert ging sie zwischen den Tierendurch und folgte Lelle Salgouz. Sie konnteihn sehen. Die Bäume standen nicht sehrdicht, und die Büsche waren niedrig. Außer-dem gab er sich keinerlei Mühe, sich vor ihrzu verstecken. Rasch holte sie auf.

Sie versuchte, etwas von seinen Gedankenoder Gefühlen zu erfassen, aber das gelangihr nicht. Ihr war, als stoße sie gegen eineWand, die nicht zu durchdringen war.

Salgouz lief am Ufer des Bachs entlang.Ab und zu blieb er stehen und neigte sichnach vorn, als horche er. Hin und wiedernahm er einen kräftigen Schluck aus seinerFlasche.

Als er eine Felsgruppe mit schlanken Na-delbäumen erreichte, bückte er sich blitz-schnell. Er richtete sich auf und schleuderteeinen Stein auf einen Busch. Fen hörte einenSchrei. Ein antilopenähnliches Tier sprangauf und versuchte, zu entkommen. Aber Sal-gouz warf einen zweiten Stein, mit dem eres am Kopf traf.

Langsam ging er zu seiner Beute hinüber.Er bewegte sich wie ein Mann, der sich sei-

Der Eremit von Condagia 21

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ner Sache absolut sicher ist. Er schien über-haupt nicht auf den Gedanken zu kommen,daß er nicht gut genug gezielt haben könnte.

Als Fen neben ihm stand, blickte er kurzauf. Er war dabei, das Tier zu schälen undauszuweiden. Im Gras stand seine Flasche,die er bis auf einen kleinen Schluck geleerthatte. Er nahm sie und reichte sie ihr.

»Nun?« fragte er und blickte sie mit ver-engten Augen an.

Sie spürte, daß sie nicht weiterkommenwürde, wenn sie nicht nachgab. Sie nahmdie Flasche, wischte mit der Handflächeüber den Hals und trank. Die Augen tratenihr fast aus dem Kopf, und die Kehleschnürte sich ihr zu. Sie glaubte, erstickenzu müssen.

»Rajvan«, sagte er spöttisch. »Dieser Vil-leham hat 80 Prozent.«

4.

An diesem Tag war Lelle Salgouz nichtmehr ansprechbar. Erst am nächsten Morgenkam er zu den Fragen zurück, die FenomeraFalkass interessierten.

Sie hatte es vorgezogen, bei den Hundenin der frischen Luft zu schlafen. Unter eini-gen Fellen war es ihr warm genug gewesen.Als sie die keifende Stimme von KervaniaReallah hörte, wachte sie auf. Noch immerspürte sie die Wirkung des Alkohols. Vondem Geschmack in ihrem Mund wurde ihrfast übel. So beeilte sie sich, an den Bach zukommen und sich zu waschen. Als sie dieMorgentoilette erledigt hatte, fiel ihr auf,daß Lelle Salgouz bereits am Feuer saß. Ertrank eine heiße Brühe, die seine beidenFrauen ihm zubereitet hatten.

Fen pfiff überrascht durch die Zähne. Sal-gouz hatte sich über Nacht verändert. Er warglattrasiert. Die Haare lagen ordentlich ge-kämmt am Kopf. Er trug ein sauberes Hemdund eine relativ neue Hose. Auch seine Füßesahen frisch gewaschen aus. Die Spuren desAlkohols hatte er jedoch noch nicht soschnell verwischen können. Nach wie vorsah sein Gesicht aufgedunsen aus.

»Kommen Sie, Geheimagentin«, rief erfröhlich. »Das Frühstück ist fertig.«

»Die Dame kann ruhig ein bißchen mitanfassen«, sagte Kervania wütend. »Ich ha-be keine Lust, sie auch noch zu bedienen.«

»Laß doch, Vania«, bat Meinja verlegen.»Ich mache das schon für sie. Sie ist dochunser Gast.«

»Je schneller die Gäste verschwinden, de-sto lieber sind sie mir.«

»Ärgern Sie sich nicht über Vania«, rietSalgouz der Spezialistin. »Sie fühlt sich amwohlsten, wenn sie mit jemandem herum-streiten kann, aber sie meint es nicht so. ImGrunde genommen ist sie ein nettes Mäd-chen.«

Er schien vollkommen nüchtern zu sein.Fen beobachtete seine fleischigen Hände.Sie zitterten nicht. Sie setzte sich ihm gegen-über an das Feuer und nahm von Meinja dieHolzschale mit der Brühe entgegen.

»Einen Löffel habe ich leider nicht fürSie«, murmelte das Mädchen schüchtern.

»Sie haben also davon gehört, daß ich aufAmmavol die Vibrationsspange der Lemu-ren entdeckt habe«, sagte Salgouz. »Und dashat Sie auf einen Gedanken gebracht. Aufwelchen?«

»Plantez Garvarenz hat von Ihnen berich-tet. Bei der USO war man von Ihren Tatenund Ihren Fähigkeiten beeindruckt, Lordad-miral Atlan braucht Männer wie Sie sehrdringend. Er möchte Sie für die USO gewin-nen.«

»Ach, du meine Güte«, sagte er seufzend.»Ein Säufer bei der USO. Wer hätte das ge-dacht!«

»Das ist ein Problem von untergeordneterBedeutung«, erwiderte sie unsicher. Er lach-te dröhnend.

»Nun reden Sie mal nicht so gestelzt her-um, Mädchen. Einen Mann wie mich kannman nur gebrauchen, wenn er das Trinkenaufgibt. Das ist aber nicht meine Absicht.Ganz und gar nicht. Ich wüßte überhauptnicht, wie ich ohne meine Destille auskom-men sollte.«

»Man wird Sie von Ihrer Sucht befreien«,

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erklärte Fen.»Wer sagt denn, daß ich das will?« fragte

er. »Nein, Mädchen, ich gehe nicht mit, undich werde nicht für die USO arbeiten. Ichwerde mich niemals mehr um Dinge wie dieVibrationsspange oder so kümmern. Hierauf Condagia ist mein Platz. Ich bin froh,daß ich hierhergekommen bin, und ich blei-be hier – bis zu meinem Ende.«

»Das kann sehr bald kommen, wenn Sieso weitermachen.«

Er grinste sie an, holte eine Flasche hinterseinem Rücken hervor und trank sie zu ei-nem Drittel aus.

»Na und?« fragte er höhnisch. »Lieber imVollrausch sterben, als bei einem USO-Einsatz von irgendwelchen bösartigen Krea-turen fertiggemacht zu werden.«

»Hören Sie, Lelle, ich …«»Halten Sie endlich den Mund«, schrie

Kervania Reallah unerwartet heftig. IhreStimme überschlug sich fast. »Sie sehendoch, daß er nicht will. Meinja und ich wer-den auch nicht zulassen, daß Sie ihn vonhier wegbringen. Und wenn Sie nicht sofortverschwinden, dann passiert etwas.«

»Mäßige dich, Van«, bat Salgouz undnahm noch einen Schluck.

Sie fuhr temperamentvoll herum. Dabeiriß sie ein brennendes Holzscheit aus demFeuer. Ganz offensichtlich wollte sie damitnach ihm schlagen, doch dazu kam es nichtmehr.

Lelle Salgouz verschwand einfach.Die Stelle, an der er eben noch gesessen

hatte, war plötzlich leer.Kervania und Meinja sprangen entsetzt

auf. Die vollschlanke Frau ließ das Holz-scheit fallen. Zusammen mit dem Mädchenfloh sie in die Hütte.

Fenomera Falkass blieb sitzen, wo siewar. Sie wurde nicht überrascht, denn derBericht, den Plantez Garvarenz abgegebenhatte, hatte sie auf derartige Zwischenfällevorbereitet. Sie nahm einen Stock, der nebenihr im Gras lag, und strich damit langsamüber den Platz von Salgouz weg. Sie stießauf keinerlei Widerstand.

Lelle Salgouz war in eine andere Dimen-sion übergewechselt.

*

In der Springerniederlassung ahnte nie-mand etwas von den Vorgängen in den na-hen Bergen. Man interessierte sich nicht fürdie terranischen Eremiten.

Serpe Allak flog auf einer Gleiterplatt-form in eine der riesigen Lagerhallen, in de-nen sich die Waren aus allen Teilen der Ga-laxis stapelten. Er stoppte seine Fahrt nebeneiner Gruppe von Männern, unter denen sichauch Erret Ponktong befand. Der Patriarchunterbrach sein Gespräch mit den anderenSpringern sofort und wandte sich seinemAdjutanten zu. Dieser gab ihm mit einer ver-stohlenen Geste zu verstehen, daß er auf diePlattform steigen sollte.

Ponktong trat neben Allak, der die Ma-schine sofort wieder beschleunigte und ausder Halle herauslenkte.

»Was gibt es, Serpe?«»Du brauchst jetzt ein Alibi, Erret. In we-

nigen Augenblicken wird einer der Vertrau-ten von Romon Rye verunglücken.«

Sie flogen auf ein halbkugelförmiges Ge-bäude zu, vor dem mehrere Männer an ei-nem Luxusgleiter standen. Allak landete un-mittelbar neben dem Flugzeug.

»Gratuliere!« rief Erret Ponktong einemder Männer zu. Er ging zu ihm und schlugihm kräftig auf die Schulter. »Das ist daseleganteste Modell von Hayschlik, das ich jegesehen habe. Ist es ganz neu?«

Der Patriarch Ronkon lächelte stolz. Erwar ein schwergewichtiger Mann, der nochgrößer war als Ponktong.

»Es ist eigentlich noch gar nicht im Han-del«, erklärte er. »Ich habe es im Rahmen ei-nes ganz besonderen Geschäftes erwerbenkönnen.«

Erret Ponktong pfiff bewundernd. Lang-sam ging er um den Gleiter herum, ohnesich wirklich für ihn zu interessieren. Dabeiredete er ununterbrochen auf den anderenPatriarchen ein. Hin und wieder warf er Ser-

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pe Allak einen kurzen Blick zu. Er beobach-tete, daß ein mit mehreren Männern besetz-ter Transportgleiter hinter einem Gebäudehervorkam, das etwa einhundert Meter vonihnen entfernt war. Allak nickte unmerklich.Ponktong sah, daß sein Adjutant die Hand indie Jackentasche schob.

Im gleichen Augenblick explodierte derLastengleiter. Die Springer, die darauf sa-ßen, wurden durch die Luft geschleudert. Ei-ne gewaltige Stichflamme schoß empor.Dann gab es eine zweite Explosion, die alleszerstörte, was bis jetzt noch heil gebliebenwar.

Serpe Allak zog die Hand aus der Jacken-tasche und rannte zusammen mit Erret Ponk-tong, dem Patriarchen Ronkon und den an-deren Springern auf die Unglücksstätte zu.

Von dem Flugzeug, seiner Last und seinerBesatzung war nichts übriggeblieben.

Wenig später traf der Patriarch RomonRye ein, das Oberhaupt aller Springer aufCondagia. Er war bleich bis in die Lippen.Sein feistes Gesicht bebte, und seine Händestrichen ständig nervös über seinen gewalti-gen Leib.

Zornig trat er auf Ponktong zu.»Meine besten und wichtigsten Leute hat

es getroffen«, schrie er. »Das scheint Ihnennicht unrecht zu sein.«

Erret Ponktong blickte auf die Hände her-ab, die ihn an der Bluse gepackt hatten. Ge-lassen schob er sie zur Seite.

»Ich kann verstehen, daß Sie voller Trau-er sind«, sagte er ruhig. »Sie wollen aberdoch wohl nicht behaupten, ich hätte etwasmit diesem Unglück zu tun?«

»Es kommt Ihnen nicht ungelegen.«»Sie gehen zu weit, Patriarch«, warf Ron-

kon verstört ein. »Ponktong hat mit diesemVorfall nichts zu tun. Er war bei mir, als esgeschah.«

»Sie sind ein leichtgläubiger Narr«, erwi-derte Rye mühsam beherrscht. »Wenn in ei-ner solchen Situation, wie wir sie haben, et-was Derartiges geschieht, dann ist das keinZufall.«

Erret Ponktong und Serpe Allak blickten

sich an.Sie verstanden sich auch ohne Worte. Ro-

mon Rye hatte sein eigenes Todesurteil ge-sprochen.

Die beiden Männer wandten sich schwei-gend ab und gingen davon. Sie sprachen erstwieder, als sie sicher sein konnten, auch mitHilfe raffinierter Technik nicht abgehört zuwerden. Das war, als die massiven Schottedes Hauptbüros der von Erret Ponktong ver-walteten Sektion sich hinter ihnen geschlos-sen hatten.

»Condagia wird geheimer Großstützpunktwerden«, erklärte der Patriarch.

Serpe Allak lächelte drohend.»Und Romon Rye wird verunglücken.«»Weißt du, wieviel Terraner in den Ber-

gen leben?«»Es sind etwas mehr als einhundert. Ich

könnte sie an einem einzigen Tage beseiti-gen. Ich brauche nur mit einem Gleiter voneiner Hütte zur anderen zu fliegen. Die Sied-ler sind kein Problem.«

Der Patriarch setzte sich hinter einen Ar-beitstisch. Er nickte Allak zu.

»Schritt eins: Romon Rye muß sterben.Das soll heute abend geschehen.«

»Soll ich ihn erschießen?«Ponktong schüttelte den Kopf. Er griff

nach seinem Bartzopf und zog daran.»Nein – das wäre zu plump. Nach diesem

Vorfall würde jeder der anderen Patriarchenso etwas erwarten. Sein Ende würde mir kei-ne Sympathien einbringen. Nein, ein andererwird ihn töten.«

»Wer?«»Der Patriarch Ray Reynak.«»Er ist ein Freund des Alten.«»Gerade deshalb wird er es tun.«»Das begreife ich nicht. Wie soll das vor

sich gehen?«»Ich habe zufällig erfahren, daß Reynak

eine Partie Virgan mitgebracht hat. Das isteine Süßspeise, die Rye liebt. Er ist gerade-zu verrückt nach diesem Zeug. Reynak wirdihm heute abend beim gemeinsamen Essen,an dem auch ich teilnehmen werde, ein Ge-schenk überreichen. Wie ich Rye kenne,

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wird er sofort etwas von dem Virgan probie-ren wollen. Das wird sein Ende sein.«

»Ich verstehe immer noch nicht.«Der Patriarch zog eine flache Schachtel

aus der Innentasche seiner Bluse und reichtesie einem Adjutanten.

»Darin ist der Schlüssel zu dem Sicher-heitsschrank, in dem Reynak das Zeug auf-bewahrt. Du wirst das Geschenk sofort er-kennen. Daneben liegt eine Injektionspisto-le. Du wirst die Giftkapsel einlegen, die sichin dieser Schachtel befindet, und das Virganfür Rye präparieren. Alles klar?«

»Woher hast du den Schlüssel und die In-formationen?« fragte Serpe Allak über-rascht.

Ponktong hob abwehrend die Hände.»Ich habe sie. Das genügt. Romon Rye

wird noch heute sterben. Morgen werde ichmich von den anderen Patriarchen wählenlassen. Danach beginnen wir mit der Pla-nung für den Großstützpunkt. Deine Aufga-be wird es sein, das TerranerProblem soschnell wie möglich zu lösen.«

*

Lelle Salgouz kehrte plötzlich wieder zu-rück. Er erschien auf dem Platz, auf dem ervorher gesessen hatte, und tat, als sei über-haupt nichts vorgefallen. Die beiden Frauenblickten verängstigt durch den Fellvorhangzu ihm hinüber. Fenomera Falkass aß eineWurzel, die sie sich geschält hatte.

Salgouz strich sich mit der Hand über dasKinn, seufzte und erhob sich. Mit zögerndenSchritten ging er zur Hütte.

»Kervania, gib mir eine Flasche«, befahler.

Sie gehorchte. Sie reichte ihm das Ge-tränk. Fen sah, daß ihre Hände zitterten.Kervania hatte Angst.

»Ich komme auf meine Worte zurück«,sagte die USO-Spezialistin, als er sich ihrgegenüber ins Gras setzte. »Die USObraucht einen Mann wie Sie. Kommen Siemit mir, und reden Sie mit Atlan.«

»Das Thema ist abgeschlossen«, erwider-

te er. »Ich habe keine Lust mehr, mich nochlänger darüber zu unterhalten. Kehren Sie zuIhrem Boß zurück, und sagen Sie ihm, daßSie gescheitert sind. Tut mir leid für Sie.«

Fen gab noch nicht auf.»Wo sind Sie gewesen?«Er blickte sie nachdenklich an. Dann ent-

blößte er seine brüchigen Zähne, hielt Fendie Flasche hin und sagte: »Das werde ichIhnen nur sagen, wenn Sie diese Pulle mitmir leeren.«

»Nein. Wir drehen uns im Kreis, Lelle«,erwiderte sie. »Ich werde nichts trinken,weil wir dann nicht weiterkommen. Sie sindein wichtiger Mann durch ihre besonderenFähigkeiten. Sie dürfen sich nicht einfachder menschlichen Gesellschaft entziehen. Je-der Mensch hat Pflichten, die er erfüllenmuß.«

Er lachte ihr ins Gesicht.»Ich habe keine Pflichten«, antwortete er

verächtlich. »Nichts und niemand kann michzwingen, irgend etwas zu tun, was ich nichtwill. Ich bin ein freier Mensch. Ich kann tunund lassen, was ich will. Also, bleiben Siemir mit Ihrem dummen Gerede vom Hals.«

»So einfach ist das alles nicht, Lelle.Selbst wenn Sie Ihre besonderen Fähigkei-ten nicht hätten, dürften Sie nicht das Rechtfür sich in Anspruch nehmen, wie ein Tierdahinzuvegetieren. Sie sind ein Mensch, unddamit haben Sie auch eine Verantwortung.«

»Blablabla.« Lelle Salgouz nahm einenkräftigen Schluck aus seiner Flasche, erhobsich und fragte: »Wollen Sie mich beglei-ten? Ich will zu den Springern!«

»Was wollen Sie dort?«Unwillkürlich blickte sie in die Ebene

hinab, die sich vor den Bergen erstreckte.Dort unten lag die Springersiedlung. Sie waretwa dreißig Kilometer von der Hütte ent-fernt, in der Salgouz mit seinen beiden Frau-en untergekommen war. Vier Walzenraum-schiffe standen auf dem Raumhafen, der le-diglich aus einer ausgedehnten Plastikbeton-fläche, einigen Positionslampen und auto-matischen Funkpeilgeräten bestand.

»Betteln will ich dort«, antwortete Lelle

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Salgouz ungeniert.»Sie wollen wirklich betteln? Ein Mann

wie Sie, der mühelos mehr Geld verdienenkönnte, als er zum Leben braucht? Das glau-be ich nicht.«

Geringschätzig zuckte Lelle mit den Ach-seln.

»Na und? Die Springer geben mir, wasich brauche. Das ist nicht viel, aber es reichtfür Kervania, Meinja und mich. Vor allemkann ich Villeham von ihnen bekommen.Und dafür würde ich zur Not auch rund umden Planeten laufen.«

»Sie sind ein maßloser Egoist.«»Unsinn«, erwiderte er höhnisch. »Ich

sorge in geradezu rührender Weise für mei-ne beiden Frauen. Stimmt das, Vania? Wassagst du, Meinja?«

Die beiden Frauen, die aus der Hütte ge-kommen waren, verschwanden wieder darin,ohne eine Antwort zu geben. Salgouz lachte,drehte sich um und ging davon, ohne auf Fe-nomera Falkass zu achten. Die USO-Spezialistin blickte ihm enttäuscht nach.

»Dann bleibt mir nichts anderes übrig,Lelle«, sagte sie leise. »Ich muß dich zwin-gen.«

*

Fen wartete, bis es in der Hütte ruhig war.Dann stahl sie sich davon.

Vorsichtig eilte sie den Berghang hinauf,wobei sie den Höhlen und Hütten der Eremi-ten weit auswich. Sie wollte nicht gesehenwerden. Ihre telepathische Begabung halfihr, die Unterkünfte der Männer und Frauenrechtzeitig herauszufinden. Auf diese Weiseverlor sie nur wenig Zeit und konnte das Ri-siko, bemerkt zu werden, niedrig halten.Dennoch brauchte sie bis zum spätenAbend, um zu dem Versteck zu kommen, indem ihr Kampfanzug und ein großer Teil ih-rer Ausrüstung lagen.

Sie schaltete zunächst die Funkgeräte einund richtete sie auf die Frequenzen derSpringersiedlung aus. Danach hörte sie etwazwei Stunden lang die Gespräche ab, die

dort geführt wurden, ohne etwas zu erfahren,was ihr wichtig erschien.

Sie streifte sich den Kampfanzug über, alses völlig dunkel geworden war, und genoßdie wohlige Wärme. Sorgfältig sondierte sieihre Umgebung mit technischen und mit pa-rapsychischen Mitteln. Sie startete erst, alssie ganz sicher war, daß sich niemand in ih-rer Nähe aufhielt.

Lautlos glitt sie über den Berghang insTal. Sie flog langsam und hielt sich in gerin-ger Höhe, so daß sie den Baumkronen aus-weichen mußte. Schon bald erreichte sie ei-ne Höhle, vor der ein kleines Feuer brannte.Ein asketischer Mann mit einem ungepfleg-ten Bart kauerte sinnend davor. Sie nähertesich ihm bis auf wenige Meter und zieltedann mit einer kleinen Handwaffe auf ihn.Es klickte kaum vernehmbar, als der winzi-ge Giftpfeil den Lauf verließ.

Der Eremit strich sich mit den Fingerspit-zen über die Wange, als das Geschoß ein-schlug. Er war jedoch nicht beunruhigt. Arg-los wandte er sich wieder seinem Feuer zu.

Fenomera Falkass umflog den Platz undglitt lautlos an eine Hütte heran, vor der einanderer Eremit ebenfalls an seinem Feuersaß. Sie erkannte ihn wieder. Dieser Mannhatte die roten Käfer auf sie gehetzt. DieUSO-Spezialistin versah auch ihn mit einemGiftpfeil.

In der nächsten Stunde infizierte sie nahe-zu dreißig Männer und Frauen, ohne von ih-nen bemerkt zu werden. Sie wandte sich denBehausungen zu, die am Rande des Hangeslagen, dort wo sich das Grün der Bäume undBüsche verlor und hauptsächlich braune undgelbe Farben vorherrschten. Da sie einenSchutzanzug trug, brauchte sie sich nichtvorzusehen. Lelle Salgouz hatte sie gewarnt,diese Vegetationsbereiche zu betreten, dadie Zweige und die Blätter der Bäume, diehier wuchsen, äußerst giftig sein sollten. Sieerinnerte sich sehr genau an seine Worte, alssie in die Richtung zu diesem Pflanzengürtelflog. Nur mit äußerstem Unbehagen gingLelle Salgouz durch diesen Wald. Er tat esnur, wenn er zur Springersiedlung gelangen

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mußte.»Die Blätter sind so giftig, daß ein Men-

sch innerhalb von wenigen Sekunden stirbt,wenn er sie berührt«, hatte er erklärt. Er hat-te es wiederum von einem Eremiten erfah-ren, der noch vor diesem Vegetationsgürtelin der wüstenartigen Ebene lebte.

Etwa zwanzig Einsiedler hielten sich indiesem Giftwald auf. Sie hatten hier ihreHütten errichtet, weil sie sich im Schutze derGiftpflanzen sicher fühlten. Sie selbst schie-nen sich vor den Bäumen nicht zu fürchten.Sie kannten sich mit ihnen aus, und sie wuß-ten, wie man auf Schleichwegen aus demGestrüpp herauskam, ohne ein einziges Blattzu berühren.

Fenomera Falkass flog dicht über dieWipfel der Bäume hinweg, deren Laub nichtsehr dicht war. Der Mond von Condagiastieg über den Horizont und erhellte dieLandschaft. Sie mußte sich beeilen, dennvon nun an wurden ihre Chancen immer ge-ringer, unentdeckt zu bleiben.

Aus der Höhe bemerkte sie den erstenEremiten, der unbekleidet auf einer Lichtunghockte, das Gesicht dem aufgehenden Mondzugewandt. In der Dunkelheit war er kaumzu erkennen.

Fen zielte und schoß. Sie traf seinenRücken. Sie sah, wie der Mann zusammen-zuckte und mit einer Hand nach der Schuß-wunde tastete. Er würde nichts finden. Siezog sich lautlos zurück und wandte sich demnächsten Mann zu, dessen geistige Impulsesie klar ausmachen konnte.

Da schoß aus der Dunkelheit, die zwi-schen den Bäumen herrschte, eine massigeGestalt auf sie zu. Im letzten Moment erfaß-te sie die Haßgefühle, die von dem Mannausgingen, und warf sich herum. So entgingsie dem fürchterlichen Schlag, den er gegenihren Kopf führte. Er traf nur ihre Schulter,erzielte aber nur eine geringe Wirkung, weilder Schutzanzug ausreichend gepolstert war.

Jetzt bereute sie, daß sie keinen Helm an-gelegt hatte. Er hätte sie noch besser abgesi-chert.

In der Hand ihres Gegners blitzte ein

Dolch auf. Er wurde kraftvoll gegen sie ge-führt. Die Spitze bohrte sich ihr in die Hüfte,konnte jedoch den Anzug nicht durchdrin-gen. Doch sie fühlte einen heftigen Stoß.

Unter ihnen klangen vereinzelt Schreieauf. Die Einsiedler merkten, daß etwas nichtin Ordnung war, ohne erkennen zu können,was wirklich geschah.

Fen nutzte den Antigrav, um sich mit ei-nem mächtigen Schwung dem nächsten An-griff zu entziehen. Ihr Gegner schien ihreGedanken gelesen zu haben. Er folgte ihrmit fast synchroner Bewegung, holte raschauf und packte sie am Kopf. Er drehte ihnmit einem wuchtigen Ruck zur Seite, so daßFen fürchtete, er werde ihr das Genick bre-chen.

Sie stöhnte unterdrückt auf und drehtesich aus dem Griff. Er konnte sie nicht hal-ten.

Sie ergriff sein Bein und hebelte den Un-bekannten herum. Auch er trug keinenSchutzhelm. Sie faßte ihn an den Haarenund spürte einen Zopf in den Händen. Jetztwußte sie, daß sie es mit einem Springer zutun hatte. Gleichzeitig erkannte sie, in wel-cher Gefahr sie wirklich schwebte. Diesergalaktische Händler hatte nicht die Absichtgehabt, sie zu töten. Er wollte wissen, wersie war. Jetzt aber hatte sie die anfänglicheÜberraschung überwunden und wurde über-legen. Damit schwand seine Ruhe.

Er hatte nur noch den Wunsch, sie zu tö-ten.

Mit geradezu wütenden Anstrengungenversuchte er, seinen Energiestrahler aus derHalfter zu ziehen. Fen kämpfte nicht minderverzweifelt darum, ihn daran zu hindern.

Dieser Mann verfügte über gewaltigeKräfte. Mit Ellenbogen und Fäusten schluger auf sie ein, wo immer er konnte. Und ertraf sie mehrfach empfindlich am Kopf.

Fen hielt ihn fest umklammert, als er ver-sehentlich die Schaltung für sein Antigrav-gerät berührte. Sie stürzten ineinander ver-krallt in die Tiefe.

Sie erfaßte die ungeheure Gefahr sofort,riß sich los und stieß sich mit aller Kraft von

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ihm ab. Ihr eigener Antigrav fing sie ab undgab ihr dicht über den ersten Zweigen derBäume einen ausreichenden Aufschwung.Nur noch ihre Füße schlugen in die Blätter,während ihr Gegner mit voller Wucht durchdas Geäst der Bäume stürzte.

Sie hörte ihn panikerfüllt schreien, dochschaffte auch er es, seinen Antigrav zu betä-tigen. Der dumpfe Aufprall, auf den Fen ge-wartet hatte, blieb aus.

Dafür blitzte es zwischen den Bäumenauf. Ein nadelfeiner Energiestrahl zucktedicht an ihr vorbei und blendete sie.

Fen begriff, daß sie dem Springer ein aus-gezeichnetes Ziel bot, da sie sich gegen denhelleren Himmel gut abhob. Ihr blieb nichtsanderes übrig als die Flucht. Sie ließ sich ab-sinken und beschleunigte in horizontalerRichtung. Ein zweiter Schuß verfehlte sie.Der Energiestrahl durchschlug aber einigeZweige und setzte die Bäume unter ihr inBrand.

Abermals hörte sie den Springer schreien.Er stieg aus dem Pflanzengewirr auf undlöste die Waffe aus. Der Energiestrahl fuhrins Leere.

Fen zog sich bis hinter einige Felsen zu-rück, hinter denen sie sich einigermaßen si-cher fühlte. Sie lauschte mit allen Sinnen.Erschauernd stellte sie fest, daß Lelle Sal-gouz nicht gelogen hatte. Die Pflanzen wa-ren tatsächlich äußerst giftig. Das Leben desSpringers erlosch. Seine geistigen Impulsewurden immer schwächer.

Zwischen den Bäumen flackerten Feuerauf. Wohin die USO-Spezialistin auch blick-te, überall entdeckte sie Eremiten. Auch aufdem Berghang regte es sich.

Sie glaubte, unter diesen Umständen nureine geringe Chance zu haben, sich ungese-hen zurückziehen zu können. Die vielenFeuer erhellten den Hang, und das Mond-licht machte alles noch viel schwieriger. Fenentschloß sich, steil in die Höhe zu fliegen.Sie stieg mit hoher Geschwindigkeit auf,wobei sie die Beine anzog und die Knie mitden Armen umschlang. So konnte sie vonunten nur schwer als menschliche Gestalt er-

kannt werden, falls sie jemand zufällig sah.Die Luft wurde sehr schnell spürbar dün-

ner, so daß sie bereits in einer Höhe vonfünfhundert Metern zu einem horizontalenFlug überging, der sie in weitem Bogen zuihrem Versteck auf dem Bergrücken führte.Sie fand es sehr schnell.

Erschöpft ließ sie sich auf die Felsen sin-ken und schaltete die Funkgeräte ein. Wieerwartet, war es in der Springersiedlung un-ruhig geworden. Die Händler hatten Notsi-gnale empfangen.

Unter diesen Umständen mußte sie damitrechnen, daß bald weitere Springer auftau-chen und die Gegend genau durchsuchenwürden.

Fen entschied sich dafür, sich zunächstzurückzuziehen. Sie sagte sich, daß sie ihreErfolgschancen selbst minderte, wenn sie inder Nähe der Eremiten blieb. Wenn die ga-laktischen Händler sie mit Hilfe der Energie-ortung aufspürten, dann beraubte sie sichselbst der Möglichkeiten, Salgouz zu bekeh-ren.

Sie flog über den Bergrücken hinweg undließ sich in das anschließende Tal absinken.Sie folgte ihm, bis sie über hundert Kilome-ter von der Hütte von Lelle Salgouz entferntwar.

Da sie ungestört und ungefährdet schlafenwollte, klappte sie ihren Schutzhelm überden Kopf und legte sich auf einem Felspla-teau hinter einige große Steine. Hier – soglaubte sie – war sie zunächst ungefährdet.

5.

Karrout stand bereits gelblichweiß im Ze-nit, als Fenomera Falkass sich wieder derHütte von Lelle Salgouz näherte. Über demHang lag eine eigenartige Stimmung, diesich aus den emotionellen und geistigenSphären von den hier angesiedelten Eremi-ten zusammensetzte. In ihr mischten sichFurcht mit Gelassenheit, Entsetzen und Ekelmit Gleichgültigkeit. Es waren passive Ge-fühle – so empfand sie Fen jedenfalls.

An einigen Stellen waren deutliche Spu-

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ren eines Brandes vorhanden. Einige Rauch-säulen zeugten davon, daß die Feuer bis indie Morgenstunden hinein gewütet hatten.

Am Rand eines steilen Abhangs setzte dieUSO-Spezialistin sich auf einen Stein.

Sie befand sich in einem seelischen Zwie-spalt. Auf der einen Seite machte sie sichVorwürfe, daß sie sich zurückgezogen unddie Eremiten allein gelassen hatte. Auf deranderen Seite sagte sie sich, daß sie keineandere Wahl gehabt hatte. Unter den Ein-siedlern waren einige Männer, deren Gedan-ken sie relativ gut erfassen konnte, währendandere ihr nahezu vollkommen verschlossenblieben. So erfuhr sie, daß eine Expeditionvon der Niederlassung der Springer gekom-men war und das Gelände durchsucht hatte.Die Händler waren für die Feuer verantwort-lich, die ausgebrochen waren, und es schien,als hätten sie einige Männer mitgenommen,um sie in Ruhe verhören zu können.

Fen war sich dessen sicher, daß keinervon den Eremiten den Springern verratenkonnte, was wirklich geschehen war. Den-noch war sie beunruhigt. In dem Stützpunktwußte man jetzt, daß hier irgend etwas ge-schehen war, das nicht direkt mit den Ein-siedlern zu tun hatte. Man mußte sich ei-gentlich ausrechnen können, daß der vonden Bäumen vergiftete Mann hier auf einengleichwertig ausgerüsteten Gegner gestoßenwar.

Fenomera hörte schnelle Schritte hintersich. Sie fuhr herum.

Kervania Reallah rannte auf sie zu. Siehielt einen kräftigen Stock in den Händenund wollte sie damit schlagen. Fen sprangauf.

»Kervania«, rief sie. »Seien Sie vernünf-tig!«

Die braunen Augen der vollschlankenFrau starrten sie haßerfüllt an. Wie von Sin-nen stürzte sich die Frau des Eremiten aufsie. Der Stock zischte dicht an ihrem Kopfvorbei und traf sie mit voller Wucht an derSchulter.

Fen spürte nur einen kurzen Schmerz. Sieließ sich auf die Knie fallen und rettete sich

mit einem entschlossenen Sprung nach vorn.Kervania flog aufschreiend über sie hinwegund rutschte haltlos auf den Abgrund zu. DieUSO-Spezialistin erkannte, daß die Fraukaum noch zu retten war, versuchte aberdennoch, sie zu halten.

Für einen kurzen Moment umklammertesie den rechten Fuß Kervanias, die mit demanderen Fuß nach ihr schlug, dann entglitt erihr. Entsetzt beobachtete sie, wie die Frauüber die Felskante rollte und in die Tiefestürzte.

Sie kroch nach vorn und starrte ihr mitbrennenden Augen nach. Kervania fiel aufeine Geröllhalde zu, die etwa dreihundertMeter tiefer lag. Sie hatte keine Chancemehr.

*

»Lelle«, flüsterte Meinja Idrak. »Kommzu dir.«

Er blickte sie aus trüben Augen an. Wieso oft, saß er auch an diesem Morgen aufdem Stein am Bach. Die Flasche, die zwi-schen seinen Füßen im Gras stand, enthieltnur noch wenige Tropfen.

»Ich muß wieder hin zu den Springern,Meinja«, antwortete er geistesabwesend.»Sie haben mir zuwenig Villeham gegeben.Ich habe nur drei Flaschen füllen können.«

»Natürlich mußt du wieder zu ihnen ge-hen«, stimmte sie milde zu, »aber zunächstmußt du Vania zur Vernunft bringen.«

Er verzog die Lippen zu einem schwachenLächeln.

»Ich habe ihr das Fell versohlt. Wahr-scheinlich wurde es auch Zeit. Ist sie mir bö-se?«

»Dir nicht«, erwiderte sie ruhig. »Aber siewill die USO-Spezialistin umbringen. Siewill sie töten.«

Lelle Salgouz starrte das Mädchen an, oh-ne zu begreifen. Sie mußte ihre Worte wie-derholen. Dann endlich sah sie an seinenAugen, daß er erfaßt hatte, um was es ging.

»Vania weiß, daß du sie nur verprügelthast, weil du das fremde Mädchen liebst. Sie

Der Eremit von Condagia 29

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ist eifersüchtig und will die andere töten.«»Sie ist verrückt«, stellte er fest.Meinja erschrak, als er sich erhob. Er war

vollkommen betrunken und kaum noch sei-ner Sinne mächtig.

»Du mußt etwas unternehmen«, sagte siedrängend. »Du darfst nicht warten. Vaniahat das Mädchen gesehen. Es war da obenauf den Hängen.«

Sie zeigte zu den Bergen hinauf, aber Lel-le Salgouz folgte nicht mit seinen Blicken.Er verschwand einfach.

Meinja blickte auf die Stelle, an der ernoch eben gestanden hatte. Tränen fülltenihre Augen. Sie fürchtete, von ihm verlassenworden zu sein. Doch es dauerte nicht lange,bis er zurückkehrte.

Er wirkte ernüchtert. Die Alkoholwirkungschien verflogen zu sein. Sein Gesicht hattesich gestrafft.

Ohne sie zu beachten, ging er mit großenSchritten an ihr vorbei. Sie blickte ihm nach,bis die hohe, massige Gestalt zwischen denBäumen verschwand. Sein Verhalten flößteihr Furcht ein. Sie wußte nicht, was sie da-von halten sollte, daß er hin und wieder ver-schwand, denn er hatte ihr nie ausreichenderklärt, wo er dann blieb. Auf der anderenSeite wußte sie, daß er jetzt in der Lage war,etwas für Kervania zu unternehmen.

*

Fenomera Falkass wollte sich gerade zu-rückziehen und abwenden, als etwas Seltsa-mes geschah.

Tief unter sich sah sie Kervania, die mitflatternden Kleidern in die Tiefe stürzte, wo-bei sie sich immer wieder überschlug. Plötz-lich aber stabilisierte sich ihr Flug. Sie dreh-te sich langsam um sich selbst, wobei sieimmer sanfter fiel. Als Fen erwartete, siezwischen den Gesteinsmassen aufschlagenzu sehen, glitt sie zur Seite weg und schweb-te, wie von einem Antigravgerät getragen,davon.

Fen hielt unwillkürlich den Atem an. Sieglaubte, ihren Augen nicht trauen zu dürfen.

Dann aber sichtete sie eine männliche Ge-stalt zwischen den Felsen.

Lelle Salgouz!Er hatte Kervania gerettet.Die USO-Spezialistin verspürte eine er-

schreckende Sehnsucht, in die Tiefe zuspringen. Sie fühlte, wie sie etwas mit nahe-zu unwiderstehlicher Gewalt dazu drängte,sich über die Felskante fallen zu lassen. DieGeröllhalde, die tief unter ihr lag, gewanneine magische Anziehungskraft für sie.

Sie wußte, daß dort unten Lelle Salgouzwar, der sie auffangen würde. Er würde sienicht auf den Felsen aufprallen lassen, son-dern sie mit seinen geheimnisvollen Kräftenumgeben und beschützen.

Fen biß sich auf die Lippen. Sie wußte,daß die Tiefe für viele Menschen eine ganzbesondere Faszination besaß und daß vielesich versucht fühlten, in die Tiefe zu sprin-gen, wenn sie von einer Brücke herabblick-ten. Sie selbst aber hatte niemals etwas da-von verspürt.

Sie wagte es nicht, sich zu erheben. Aufallen vieren kroch sie vorsichtig rückwärts,bis der gefährliche Sog nachließ. Aufatmendlehnte sie sich gegen einen Felsen. Sie preß-te beide Hände vor das Gesicht.

Was war wirklich geschehen?Hatte Lelle Salgouz versucht, sie in den

Tod zu locken? Hatte er die Absicht gehabt,sich auf diese Weise von ihr zu befreien? Siewußte es nicht.

Unvermittelt mußte sie an Plantez Garva-renz denken. Sie erinnerte sich an die Ereig-nisse in Quinto-Center, als sie von der Groß-positronik für diesen Auftrag ausgesuchtworden war. Sie konnte sich kaum erklären,wo die Gründe dafür lagen. Natürlich hattesie ihre besonderen Qualifikationen, aberdiese schienen in keiner Beziehung zu LelleSalgouz zu stehen.

Hatte sich ein Fehler eingeschlichen? Hat-te Plantez zum Teil unrichtige Informatio-nen an die Positronik gegeben, weil er unterdem Einfluß von Alkohol gestanden hatte?Sie schüttelte den Kopf. Das erschien ausge-schlossen. Also mußte sie über eine oder

30 H. G. Francis

Page 31: Der Eremit von Condagia

mehrere Eigenschaften verfügen, die sie fürdiesen Einsatz besonders geeignet machten.Sie wußte nur nicht, welche das waren.

Aber mußte sie das unbedingt wissen?Sie lief über die Felsen und folgte einem

Abbruch, der sanft nach unten führte. Aufdiesem Weg benötigte sie fast drei Stunden,bis sie in die Nähe der Hütte von Lelle Sal-gouz kam. Sie ging jedoch nicht direkt zuihm, sondern machte zunächst einen Abste-cher zu einem Eremiten, der mitten in einemWald aus pinienähnlichen Bäumen lebte.Der weiche Boden war durchlöchert von denHöhlen kleiner Nager, die terranischen Mäu-sen recht ähnlich waren, jedoch buschigeSchwänze hatten. An ihrer Unterseite befan-den sich zahlreiche Stacheln, die sie blitz-schnell bewegen konnten. Mit ihnen liefensie wenigstens so schnell wie die Mäuse derErde.

Fen Falkass blieb stehen, als sie den Randder Lichtung erreichte, auf der die Hüttestand.

Der Eremit war ein noch sehr jungerMann. Sie schätzte ihn auf höchstens dreißigJahre. Er lag auf dem Rücken im Gras undbreitete die Arme weit aus. Sein Gesicht hat-te sich blauschwarz verfärbt. Die Lippen sa-hen dick und verquollen aus. Er hielt dieAugen fest geschlossen. Wahrscheinlichkonnte er sie gar nicht mehr öffnen, denn dietiefroten Lider sahen aus, als seien sie biszum Platzen mit Wasser gefüllt.

Fen wußte, daß dieser Mann keineSchmerzen hatte. Sein gesamtes Nervensy-stem war weitgehend ausgeschaltet. Nur dasVegetativum funktionierte noch einwand-frei.

Sie wandte sich ab und lief weiter.Wenig später schon erreichte sie die Höh-

le, in der eine ältere Frau hauste. Fen fandsie in ähnlicher Haltung auf dem Boden lie-gen. Sie träufelte ihr ein wenig Wasser aufdie ausgetrockneten Lippen.

Dann endlich näherte sie sich der Hütte,in der Salgouz und seine beiden Frauen leb-ten. Sie ging vorsichtig und langsam, um je-des Risiko, überrascht zu werden, auszu-

schließen. Bald aber merkte sie, daß keineunmittelbare Gefahr drohte. Bei der primiti-ven Behausung war alles still. Von den bei-den Frauen gingen keine feindseligen Ge-danken aus. Kervania stand offensichtlichnoch unter einem tiefgreifenden Schock.

Fen verließ die Deckung der Bäume undsprang über den Bach.

Lelle Salgouz bemerkte sie nicht. Er lagauf dem Rücken und lehnte den Kopf gegenden Stein, auf dem er sonst zu sitzen pflegte.Er war vollkommen betrunken. Zwei leereFlaschen neben seinen Schultern zeigtendeutlich an, daß mit ihm in den nächstenStunden nicht zu rechnen war.

Meinja Idrak hatte ein Feuer angemacht.Sie kochte Fleisch in einem Metalltopf. Alssie Fen sah, lächelte sie freundlich. Stummzeigte sie auf einen Holzhocker, der am Feu-er stand. Die USO-Spezialistin nahm Platz.

»Wie geht es Kervania?«»Ich weiß nicht«, antwortete das Mäd-

chen. »Lelle hat ihr etwas zu trinken gege-ben. Sie schläft.«

»Lelle darf nichts mehr bekommen«, sag-te Fenomera. »Er darf keinen Alkohol mehrzu sich nehmen. Die anderen Eremiten sindkrank. Er muß ihnen helfen.«

Sie schilderte Meinja, was sie bei den an-deren Hütten und Höhlen gesehen hatte.

*

Zwanzig Stunden später war Lelle Sal-gouz so weit, daß sie mit ihm reden konnte.

»Was ist eigentlich passiert?« fragte sie.»Ich meine, was haben die Springer getan?«

»Sie haben einige Hütten angesteckt.Sonst ist nichts vorgefallen«, entgegnete erbrummig.

Kervania hatte ihren Schock überwunden.Fen wunderte sich, daß es so schnell gegan-gen war. Sie vermutete, daß Salgouz ihr da-bei geholfen hatte. Nach und nach erfuhr sie,was passiert war.

Lelle Salgouz hatte nach ihr gesucht, alser von der Springersiedlung zurückgekom-men war. Als er sie nicht gefunden hatte,

Der Eremit von Condagia 31

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hatte er Kervania verdächtigt, sie vertriebenzu haben. Es war zu einem bösen Streit ge-kommen, bei dem Kervania von ihm ge-schlagen worden war. Danach hatte Salgouzsich betrunken. Kervania aber hatte ge-schworen, sich zu rächen. Fen wußte, daßsie das auch versucht hatte. Sie fragte sich,ob Salgouz sie mit seinen parapsychischenKräften auch aufgefangen hätte, wenn sieanstelle von Kervania über die Felskante ge-stürzt wäre. Sie musterte den Mann, der ihrgegenübersaß, wie er mit seinen großen,fleischigen Händen seine Brühe löffelte.

Sie würde nie erfahren, wie er sich verhal-ten hätte. Es war nicht ausgeschlossen, daßer nicht eingegriffen und damit das Problemals gelöst betrachtet hätte. Wahrscheinlichkannte er die USO nicht. Er begriff nicht,daß er sich ihr nicht auf die Dauer entziehenkonnte. Es half ihm überhaupt nichts, wenner sie – Fen – verunglücken ließ.

»Ich sagte schon einmal, Lelle. Die Ere-miten brauchen Ihre Hilfe. Sie sind krank.«

»Meine Hilfe?« Er schnaubte verächtlich.»Sie brauchen mich nicht. Wenn sie kranksind, so ist das ihre eigene Schuld.«

»Wollen Sie zusehen, wie diese Men-schen zugrunde gehen?«

Er blickte sie ernst an.»Warum nicht?« fragte er. Sie spürte, daß

er die Situation ganz nüchtern und kalt beur-teilte. »Jeder von ihnen wußte, daß er keineärztliche Hilfe finden würde, wenn er sichhier ansiedelt. Wir alle haben uns bewußtaus der menschlichen Gesellschaft ausge-schlossen, weil wir die Nase voll von ihr ha-ben. Sie ist krank.«

»Bleiben Sie gesund, wenn Sie hier in derWildnis leben – und trinken?«

»Das ist meine Sache«, wies er sie ab. »Esgeht Sie nichts an, wenn ich mich ruiniere,und es geht Sie nichts an, wenn die anderenTerraner, die hier leben, krank werden.«

»Meinen Sie wirklich?«»Ihre Ironie läßt mich kalt, Fen«, sagte er

heftig. »Jeder von uns Terranern hier aufCondagia weiß, daß er früher oder spätersterben muß. Das ist jedem von uns wirklich

sonnenklar. Wer von Ihnen hat sich aberschon mit dieser Tatsache abgefunden? Siealle schieben den Gedanken an den Tod vorsich her. Sie versuchen, die Realität zu ver-drängen, weil sie genau wissen, daß sie ihrLeben ganz anders einrichten würden, wennsie es nicht täten. Wie alt sind Sie?«

»32 Jahre«, antwortete sie freimütig.»Sie sind noch sehr jung, Fen. Das Leben

scheint noch vor Ihnen zu liegen. Sie glau-ben, daß es noch gut einhundertfünfzig odereinhundertachtzig Jahre dauern kann. Das istso lang, daß Sie es sich kaum vorstellenkönnen. Daran zu denken, daß es eines Ta-ges vorbei ist, halten Sie für ziemlich unsin-nig. Dennoch ist es so. Jeder von uns hieram Hang hat akzeptiert, daß seine Existenzeines Tages beendet ist. Deshalb ist es unsegal, ob es heute ist oder morgen. Haben Siebegriffen? Ich werde niemandem helfen,länger zu leben.«

»Sie wollen es auch dann nicht tun, wennSie jemand darum bittet?«

»Nein.«»Lelle, überlegen Sie, bitte. Ich will …«»Nein!«»Lelle, ich …«Kervania kam aus der Hütte. Sie fuhr auf

Fenomera zu und schrie: »Sie haben dochgehört, daß er nein gesagt hat!«

Sie reichte ihm eine volle Flasche.»Hier trink. Es ist Villeham, und er ist

noch warm.«»Sie töten ihn mit dem Zeug.«Die Frau lachte ihr ins Gesicht.»Na und? Wir müssen alle früher oder

später sterben. Sie haben es doch gehört.«»Bitte, trinken Sie nicht, Lelle«, sagte

Fen.Er setzte die Flasche an die Lippen und

ließ das hochprozentige Getränk in sich hin-einlaufen. Als er die Flasche absetzte, warsie halbleer.

Er rülpste lautstark und sagte: »So, undnun unternehmen Sie etwas, Sie superintelli-gente USO-Spezialistin!«

Fenomera preßte die Hände vor das Ge-sicht.

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Sie fühlte sich überfordert. Ihre telepathi-schen Sinne prallten an ihm wirkungslos ab.Sie spürte nur die kalte Ablehnung, die vonihm ausging.

Er wollte den Kranken nicht helfen, under würde es nicht tun, sosehr sie sich auchbemühte. Er würde sie noch nicht einmal an-sehen.

Würde er aber auch zusehen, wenn Ker-vania und Meinja litten?

Als Lelle Salgouz sich seufzend auf denRücken fallen ließ, lächelten die beidenFrauen hämisch. Sie wandten sich ab undgingen in die Hütte. Fen griff an ihren Gür-tel, holte zwei kleine Tabletten hervor undließ sie in die Suppe fallen.

Wenige Minuten später kehrten die Frau-en zurück und leerten den Topf.

»Wollen Sie nichts essen?« fragte Meinja.»Danke«, erwiderte sie. »Mir ist der Ap-

petit vergangen.«

*

Am nächsten Tag sah Fen ein, daß LelleSalgouz wirklich nicht daran dachte, den er-krankten Eremiten zu helfen. Sie mußte et-was tun. Salgouz hatte ununterbrochen ge-trunken. Er wäre gar nicht in der Lage gewe-sen, auch nur zehn Schritte zu gehen.

Zunächst hatte sie noch Hochachtung vordiesem Mann gehabt. Jetzt änderte sich ihreEinstellung. Je länger sie ihn beobachtete,desto mehr glaubte sie daran, daß PlantezGarvarenz sich in ihm geirrt hatte. Er schienihr absolut nicht für die USO geeignet zusein, da er psychisch labil war, wie sie mein-te.

Bei Kervania und Meinja zeigten sich dieersten Symptome der Krankheit. Sie warenmüde und fühlten sich kraftlos. Sie schliefenin der Hütte. Lelle Salgouz lag im Gras. Erwar nahezu bewußtlos.

Fen verließ den Platz erneut und machtesich auf den Weg zu den erkrankten Einsied-lern. Sie fand sie unverändert vor. Verfärbtund aufgequollen lagen sie auf dem Rücken.Es wurde Zeit, daß sie behandelt wurden.

Die USO-Spezialistin untersuchte sie. Kei-ner von ihnen würde gesundheitliche Schä-den zurückbehalten. Die wenigsten von ih-nen würden sich später überhaupt noch andas erinnern können, was geschehen war.Die Erscheinungen, die so gefährlich undabstoßend aussahen, waren tatsächlichharmlos, vorausgesetzt, das Gegengift wurdeinnerhalb der ersten zehn Tage nach der In-fektion gegeben. Geschah das nicht, dannwaren die Patienten nicht mehr zu retten.

Fen verabreichte das Gegenmittel. Damitdurchkreuzte sie ihren Plan mit Lelle Sal-gouz, aber sie glaubte ohnehin nicht mehrdaran, daß er aufgehen konnte.

Als sie den letzten der infizierten Eremi-ten behandelte, hörte sie Zweige hinter sichknacken. Sie fuhr herum und eilte an denRand der Lichtung. Niemand war zu sehen.

Dennoch war sie ganz sicher, daß irgendjemand hinter ihr gewesen war und sie beob-achtet hatte.

Sie versuchte, den Unbekannten mit Hilfeihrer telepathischen Sinne zu erfühlen, abersie stieß ins Nichts.

Schritt für Schritt suchte sie die Umge-bung der Lichtung ab, aber sie fand keineSpuren.

Nachdenklich kehrte sie zu dem Eremitenzurück. Sie nahm ihr winziges Krankenbe-steck auf und schob es wieder in den Gürtel.Keineswegs beruhigt, durchforschte sie nun-mehr die weitere Umgebung der Hütte, bissie auf den nächsten Eremiten stieß. Dieservertrieb sie mit wütendem Geschrei. DieserMann war nicht infiziert. Sie hatte ihn auchnoch nie gesehen. Er war groß und massig.

Seine Gedanken konnte sie nicht erfassen.

*

Lelle Salgouz lag noch immer im Gras,und die beiden Frauen schliefen, als Fen dieHütte erreichte. Hier hatte sich nichts verän-dert. Sie atmete auf. Zunächst hatte sie be-fürchtet, der Trinker habe sie überlistet, jetztaber wußte sie, daß das nicht der Fall seinkonnte. Sein Schlaf glich einer tiefen Be-

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wußtlosigkeit.Dennoch ging sie zu ihm und schob ihm

die Lider hoch. Er merkte nichts davon.Fen setzte sich ans Feuer und fachte es

wieder an. In der Hütte fand sie noch ein an-gebratenes Stückchen Fleisch. Sie erhitzte esüber der Flamme und verzehrte es ohnegroßen Appetit. Durch die Bäume hindurchblickte sie in die Ebene hinaus. Bei derSpringerniederlassung regte sich nichts.Dort war alles ruhig.

*

Im Springerstützpunkt war es durchausnicht ruhig.

Die Krise trieb ihrem Höhepunkt zu, alsPatriarch Romon Rye zu einer Konferenzrief. Anlaß dafür war der Tod eines seinerMänner. Das gab er auch offen zu, als die elfanderen Patriarchen an seiner Tafel Platz ge-nommen hatten. Einige Mädchen reichtendie Vorspeisen.

»Ich habe mehrere meiner Männer ausge-schickt. Sie sollten die Lage bei den Terra-nern sondieren. Einer von ihnen ist überfal-len und getötet worden.«

Er blickte Erret Ponktong an, der die Süß-speise lächelnd zurückwies.

»Wir haben herausgefunden, daß in letzterZeit öfter Beobachter bei den Terranern ge-wesen sind«, fuhr Rye fort. »Die Leute zeig-ten sich beunruhigt. Sie sind es nicht ge-wohnt, daß wir uns um sie kümmern.«

Erret Ponktong schob das Glas zurück,aus dem er getrunken hatte. Er erhob sich.Überrascht sah Rye ihn an. Bis jetzt fungier-te er noch als Oberhaupt aller Patriarchen.Niemand hatte es bisher gewagt, ihn in die-ser Weise zu brüskieren.

»Wir sind die Verdächtigungen leid«, er-klärte Ponktong.

Romon Rye dachte nicht daran, sich dasHeft so schnell aus der Hand nehmen zu las-sen. Sein Gesicht rötete sich vor Zorn. Erstemmte die Hände auf den Tisch, und seinmächtiger Körper schien zu erstarren.

»Ich halte es für besser, wenn die Sippe

Ponktong sich aus unserem Kreis zurück-zieht«, sagte er drohend. »Sie wird ein gutesGeschäft machen, denn sie wird überleben.«

Erret Ponktong verzog keine Miene.»Da draußen stehen jetzt vier meiner

Raumschiffe. Soeben ist die PONKTONGXXX gelandet, das stärkste Schiff meinerFlotte. Jeder hier weiß, daß dieser Raumeres mit jedem Zerstörer der Überschwerenaufnehmen kann.«

Erregt sprachen die Patriarchen durchein-ander. Romon Rye wurde um eine Nuanceblasser. Er wurde von der Mitteilung völligüberrascht.

»Nun nennen wir unseren Freund RomonRye zwar hinter der vorgehaltenen Handebenfalls einen Überschweren, aber das isteinzig und allein auf sein übermäßiges Ge-wicht, nicht aber auf seine Bewaffnung zu-rückzuführen.«

Einige Patriarchen lachten.»Diese Worte werden Sie zu bereuen ha-

ben, Erret Ponktong«, schrie Rye.»Warten wir es ab. Zunächst verbitte ich

mir jede Beleidigung. Ich erwarte Sachlich-keit, denn mir geht es um das Wohl allerSippen und um einen Großstützpunkt, wiewir ihn hier dringend brauchen. Wer darüberbefiehlt, ist mir gleich.«

»Das ist eine Lüge«, behauptete RomonRye erregt.

Erret Ponktong erhob sein Glas.»Ich biete Ihnen meine Freundschaft und

Zusammenarbeit an«, sagte er mit einer ele-ganten Geste.

Romon Rye zögerte lange, bis er zu sei-nem Glas griff. Er kämpfte mit sich. Offen-sichtlich wollte er diesen Trinkspruch nichtakzeptieren.

»Trinken Sie«, riefen einige der anderenPatriarchen. Sie griffen ebenfalls zu ihrenGläsern und erhoben sich.

Der »Überschwere« führte seine zitterndeHand zum Glas, hob es an und setzte es andie Lippen. Er trank.

Erret Ponktong lächelte zynisch. Er wech-selte einen kurzen Blick mit seinem Adju-tanten Serpe Allak, der im Hintergrund an

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der Wand stand und seine Hand lässig aufden Kolben seiner Waffe stützte. Allak gabihm das vereinbarte Zeichen. Erret Ponktongatmete unmerklich auf. Er beobachtete Ro-mon Rye, der plötzlich bleich wurde.

Das Glas fiel dem Patriarchen aus derHand, und er griff sich an die Brust. Betrof-fen wandten sich die anderen Patriarchenihm zu. Sie hörten ihn stöhnen.

»Erret Ponktong – was hast du mit mir ge-macht?« fragte der Springer ächzend.

Er griff mit unsicherer Hand nach seinemEnergiestrahler und zog ihn mühsam hervor.Unter Aufbietung aller Willenskraft richteteer ihn auf Erret Ponktong, der gelassen ste-henblieb und aus seinem Glas trank. RomonRye konnte die Waffe nicht mehr auslösen.Sie entfiel seiner kraftlosen Hand, ebensowie zuvor das Glas.

Dann brach Rye wie vom Blitz getroffenzusammen. Er stürzte vornüber auf die Tafelund blieb mit dem Oberkörper darauf liegen.

Die Wachen und Adjutanten des toten Pa-triarchen rissen ihre Waffen aus den Half-tern und richteten sie auf Erret Ponktong.Dieser blieb auch jetzt noch ruhig und ge-faßt.

»Ich erinnere daran, daß auf dem Lande-feld meine Schiffe stehen«, sagte er. »Mußich Ihnen erläutern, welche Befehle ich fürden Fall erteilt habe, daß ich nicht lebendhier herauskomme?«

Er lächelte herablassend.»Ich bin nicht schuld am Tode unseres

verehrten Romon Rye. Das wird eine ärztli-che Untersuchung ergeben.«

Er stellte sein Glas ab und ging zur Aus-gangstür.

»Ich erwarte Sie in einer halben Stunde zueiner Lagebesprechung.«

Serpe Allak kam zu ihm. Zusammen gin-gen sie hinaus.

6.

»Frohe Weihnachten«, sagte Lelle Sal-gouz.

Fenomera Falkass fuhr schlaftrunken

hoch.»Wie bitte?« fragte sie.»Ich erlaubte mir, Ihnen ein frohes Weih-

nachtsfest zu wünschen«, erklärte Salgouz.Er ergriff ihren Arm und bog ihn mit bruta-lem Griff so herum, daß sie das Chronome-ter sehen konnte. Es zeigte den 24.12.2843an. Sie entzog ihm ihren Arm und rieb sichdas schmerzende Handgelenk.

Lelle war betrunken, daran bestand keinZweifel. Dennoch hielt er sich gerade aufden Beinen, und seine Augen waren klar.Seine Unterlippe zitterte.

Fen krauste die Stirn.»Was ist los mit Ihnen, Lelle?« fragte sie.

»Weshalb sind Sie so zynisch?«Sie erhob sich und ging zum Bach, um

sich das Gesicht zu waschen. Die Sonnestand bereits hoch am Himmel. Sie hatte lan-ge geschlafen. Ein Schwarm von insektenar-tig kleinen Vögeln zog über den Hang hin-weg. Ein einzelner Raubvogel folgte ihnenin großem Abstand.

Er wartete mit seiner Antwort, bis sie zu-rückkehrte.

»Wenn Sie in die Hütte gehen, wissenSie, was ich meine. Oder sollten Sie esschon jetzt wissen?«

»Sie sprechen in Rätseln.«Fen tat, als ahnte sie überhaupt nichts. Sie

blickte in den Verschlag, wo die beidenFrauen lagen. Beide boten das gleiche Bild:Die Gesichter waren verquollen und hattensich schwärzlich verfärbt. Sie streckten Ar-me und Beine schlaff von sich.

Die USO-Spezialistin drehte sich um,lehnte sich an einen Türpfosten und kreuztedie Arme vor der Brust.

»Na und?« sagte sie. Voller Spannung be-obachtete sie Lelle Salgouz. Er war einmalaus sich herausgekommen, um Kervania zuretten, als sie von den Felsen stürzte. Ermußte auch jetzt etwas unternehmen. Ermußte aus seiner Gleichgültigkeit aufge-weckt werden. Die beiden Frauen bedeute-ten ihm offensichtlich sehr viel. Davon warFen fest überzeugt.

»Was heißt, na und?« fragte er gereizt.

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»Na und heißt, daß sie sterben werden. Naund? Wir müssen doch alle früher oder spä-ter einmal sterben. Irgendwann erwischt esuns. Ist es nicht egal, ob es heute oder mor-gen ist?«

Er sprang auf und kam schwankend aufsie zu. Sein Gesicht hatte sich gerötet.

»Mir gefallen Ihre Worte nicht.«»Es sind nicht meine Worte, Lelle. Ich ge-

be nur das wieder, was Sie mir gesagt ha-ben.«

Er blieb stehen und schloß die Augen.Angestrengt dachte er nach.

»Sie haben recht«, erwiderte er schließ-lich und nickte mehrmals. »Ich muß michdamit abfinden. Die beiden haben eben Pechgehabt.«

Er drehte sich um und kehrte zum Feuerzurück, wo er sich schwer auf den Bodenfallen ließ. Fen ging erregt zu ihm.

»Wollen Sie nicht endlich etwas tun?«Mit einem überraschenden Griff packte er

sie am Pulli und zog sie dicht an sich heran.Er hielt sie mit der rechten Hand. Mit derlinken nahm er eine Flasche und reichte sieihr.

»Ich werde die beiden Frauen retten,wenn Sie diesen kleinen Rest mit mir aus-trinken.«

Fen sah eine Chance. Sie befreite sich mitsanfter Gewalt und nahm einen Schluck. DerSchnaps brannte wie Feuer. Sie brachte ihnkaum über die Zunge.

Als sie Lelle Salgouz anblickte, erschraksie. Er grinste sie so hämisch und bösartigan, daß sie augenblicklich begriff.

»Was haben Sie getan?« fragte sie müh-sam. Sie schluckte mehrmals, weil ihr Halswie zugeschnürt war.

Lelle Salgouz nahm die Flasche undschleuderte sie weg. Sie zerschellte auf denFelsen. Unter einer zerschlissenen Deckeholte er eine zweite Flasche hervor, die nochrandvoll war. Er öffnete sie und trank.

»Frohe Weihnachten«, sagte er, als er sieabsetzte. Aber er richtete diese Worte nichtan Fen, sondern sprach sie so vor sich hin,als sei er völlig allein. Sein Blick ging auf

die Ebene hinaus, wo ein großer Walzenrau-mer der Springer startete.

In den nächsten Stunden sprach er keineinziges Wort mehr mit Fenomera. Zunächstkonnte sie sich sein Verhalten nicht erklä-ren, aber als die Sonne den Zenit überschritt,spürte sie, wie sich Muskelspannungen inihr aufbauten. Zugleich wurden ihre Extre-mitäten gefühllos und verfärbten sich. Alssie endlich begriff, daß er sie infiziert hatte,durchsuchte sie ihren Gürtel nach dem Ge-gengift.

Lelle Salgouz wandte sich ihr zu und be-obachtete sie dabei. Er grinste hinterhältig.

Der Gürtel war leer.Fen blickte Lelle fassungslos an. Er nickte

ihr zu.»Ja, kleines Mädchen. Es ist schon so. Sie

haben meine Frauen vergiftet, und ich habeSie krank gemacht. Nun sehen Sie, wie Siemit dem Problem fertig werden. Mich inter-essiert das alles nicht mehr.«

»Lelle«, sagte sie eindringlich. »Das dür-fen Sie nicht tun. Diese Krankheit verläufttödlich.«

»Wir müssen alle sterben«, erwiderte erkalt. Er erhob sich und ging in der Richtungzur Springersiedlung davon. Fen versuchte,ihm zu folgen, aber schon nach wenigenSchritten brach sie kraftlos zusammen. Siestreckte ihre Arme und Beine aus, weil siedas Gefühl hatte, sie nicht mehr am Körperertragen zu können. Die Luft wurde ihrknapp. Ihre Haut spannte sich, und die Liderquollen an. Sie wußte, daß sich ihr Gesichtschon jetzt schwärzlich verfärbte.

»Lelle«, rief sie stöhnend, aber er hörtesie nicht.

Fenomera Falkass fürchtete, den Verstandzu verlieren. Sie zermürbte sich in Selbst-vorwürfen, weil sie zu unaufmerksam gewe-sen war. Niemals hätte er ihr den Gürtelwegnehmen dürfen. Sie begriff überhauptnicht, daß ihm dieses Kunststück gelungenwar.

Er konnte es nur geschafft haben, wenn erparapsychische Kräfte gegen sie eingesetzthatte.

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Sie hatte noch weitere Medikamente beiihrer versteckten Ausrüstung in den Bergen,aber sie konnte es unter den gegebenen Um-ständen niemals mehr schaffen, dorthin zukommen. Niemand außer Lelle Salgouzkonnte jetzt noch helfen.

Sie bereute, daß sie den anderen Eremitendas Gegengift so schnell gegeben hatte. Siemachte sich Vorwürfe und sagte sich, daßsie wenigstens eine Woche hätte wartenmüssen. In dieser Zeit steigerten sich dieQualen der Befallenen, aber das wäre viel-leicht noch zu vertreten gewesen, wenn Sal-gouz dadurch bekehrt worden wäre. Sie ver-mutete, daß er sie doch beobachtet hatte.Nur er konnte es gewesen sein, der in ihrerNähe aufgetaucht und dann spurlos ver-schwunden war.

Die Stunden verstrichen, ohne daß etwasgeschah. Fen konnte bald nur noch das se-hen, was über ihr war. Den Kopf konnte sienicht mehr zu den Seiten wenden. Hin undwieder strichen ein paar Vögel oder Insektenüber sie hinweg. Aus der Hütte kam zuwei-len das Stöhnen der beiden Frauen.

Irgendwann kehrte Lelle Salgouz zurück.Er war so betrunken, daß er nicht mehr

aufrecht gehen konnte.

*

Fen hatte lange wach gelegen und nachge-dacht. Sie hatte alle Hoffnung verloren, ih-ren Auftrag noch erfolgreich abschließen zukönnen.

Alles war vorbei.Irgendwann war sie eingeschlafen.Sie wachte erst am nächsten Tag wieder

auf, als ihr jemand Wasser auf die sprödenLippen träufelte. Ihre Lider waren so ange-schwollen, daß sie kaum noch etwas sehenkonnte. Sie glaubte, Meinja erkennen zukönnen.

»Lelle hat uns gesund gemacht«, sagte diejunge Frau leise. »Er wird auch Ihnen hel-fen. Bestimmt.«

Fenomera begann, wieder zu hoffen. Wares nicht ein wirklich gutes Zeichen, daß der

Trinker seine geheimnisvollen Kräfte mobilgemacht hatte, um die Giftstoffe aus Meinjaund Kervania zu entfernen? Er konnte es nurmit parapsychischen Mitteln erreicht haben,gleichgültig, ob er diese direkt angewendetoder mit ihrer Hilfe die Codebezeichnungender Medikamente im Gürtel enträtselt hatte.

Kam er jetzt endlich aus seiner Reserveheraus?

Fen zwang sich zur Ruhe.Sie konnte nichts tun. Sie konnte nur war-

ten und sich auf den Moment vorbereiten, indem sie wieder aktionsfähig wurde. Sie erin-nerte sich an die Trainingsprogramme, diesie bei der USO absolviert hatte. Solangenoch nichts entschieden war, durfte sie nichtaufgeben. Lelle hatte es ihr mit gleicherMünze heimgezahlt. Das war eine Reaktion,die für sich sprach, wenn sie ehrlich zu sichselbst war. Sie mußte das anerkennen.

Sie horchte, um sich nichts entgehen zulassen. Immer wieder versuchte sie, mit ih-ren telepathischen Sinnen die Gedanken deranderen zu erfassen. Bei Salgouz stieß sienach wie vor ins Nichts. Bei Kervania undMeinja konnte sie immerhin die Gefühle er-tasten und daraus auf ihre Handlungen undReaktionen schließen. Die Geräusche verrie-ten ihr zudem, was in der Nähe der Hütte ge-schah.

Meinja bemühte sich um Salgouz. Sieschwatzte mit kindlichnaiven Worten aufihn ein und versuchte, ihn dazu zu überre-den, der Spezialistin zu helfen. Er hörtenicht auf sie. Kervania war nicht mit ihremVerhalten einverstanden. Sie griff immerwieder ein, wenn sie das Gefühl hatte, Sal-gouz könnte weich werden. Sie haßte Fen,weil sie eifersüchtig war. Sie spürte, daß derMann, den sie liebte, von dem fremdenMädchen beeindruckt war und daß ihreSchönheit ihn faszinierte. Sie wußte, daß ih-re Intelligenz ihn anzog und daß sie selbstnur wenig Chancen gegen sie hatte, weil siesich nicht mit ihr messen konnte.

Fen hatte erfahren, daß Kervania eineAusgestoßene war. Man hatte sie aus einemRaumschiff ausgewiesen und war ohne sie

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weitergeflogen. Lelle Salgouz hatte sie auf-gelesen, und sie war ihm zunächst mehr ausDankbarkeit denn aus Liebe gefolgt.

Meinja war ein liebes Mädchen. Sie be-griff nicht, was vorging. In ihrer Harmlosig-keit war sie selbst mit einem Mann wie LelleSalgouz zufrieden. Ihr kam gar nicht der Ge-danke, daß sie auch für einen anderen Manninteressant sein konnte.

Für sie war es eine gewaltige Energielei-stung, sich gegen Lelle Salgouz aufzulehnenund für das fremde Mädchen zu bitten, zu-mal sie ständig von Kervania zurechtgewie-sen wurde.

Vielleicht hätte Meinja nicht die Kraft ge-habt, wenn Salgouz Fen nicht so offen vorder Hütte hätte liegenlassen, wo Meinja sieständig sah. Mitleidig deckte sie die USO-Spezialistin mit Fellen zu. Fenomera wardas keineswegs recht, denn sie fror nicht. Ihrwar auch nachts nicht kalt. Im Gegenteil. Sieglaubte, von innen her verbrennen zu müs-sen, und sie wäre froh gewesen, wenn Mein-ja ihr die Decken nicht gegeben hätte. Abersie konnte sich nicht dagegen wehren. IhreLippen waren so verquollen, daß sie nichtmehr sprechen konnte.

Drei Tage verstrichen. Nichts geschah.Fen fühlte, daß ihre Kräfte nachließen.

*

Danach verschwand Salgouz.Meinja kümmerte sich von nun an aufop-

fernd um Fen. Sie versuchte alles, um ihr zuhelfen, ohne zu ahnen, daß alles vergeblichsein mußte. Ohne das Gegengift oder einenparapsychischen Eingriff war nichts zu er-reichen.

Immer wieder bemühte sich Fen, demMädchen mitzuteilen, wo ihre Ausrüstungwar, aber es kamen keine verständlichenWorte über ihre Lippen. Meinja begriff auchnicht, um was es ihr ging. Sobald sie ver-suchte, mit ihr zu sprechen, redete sie beru-higend auf sie ein und bat sie, sich nicht an-zustrengen. Sie meinte, das könne ihr nurschaden und sie weiter entkräften.

Diese Stunden waren am schwersten fürFen zu ertragen.

Ihre Kräfte verfielen. Sie spürte, daß dasEnde kam. Immer häufiger sank sie in einentiefen Schlaf, in dem sie sich jedoch keines-wegs erholte. Sie konnte die Tage nichtmehr zählen, und sie wußte schließlich nichtmehr, wieviel Zeit vergangen war. Späte-stens zehn Tage nach der Infektion würdeder Tod eintreten. Lelle Salgouz konnte dasnicht wissen.

Fenomera gab die Hoffnung auf.Sosehr sie sich auch bemühte, geistige

Disziplin zu wahren, es half alles nichts. Dasie sich mit niemandem verständigen konn-te, gab es keine Möglichkeit mehr, das Blattnoch einmal zu wenden.

Ihre Wahrnehmungsfähigkeit ließ nach.Ihre telepathischen Kräfte schwanden völlig.

Ihr Verstand klärte sich erst wieder, alsLelle Salgouz zurückkam. Er schrie wie einBesessener. Irgend jemand goß einen EimerWasser über Fen. Sie fühlte, wie es eiskaltüber ihr Gesicht lief. Vielleicht wurde ihrdadurch etwas wohler.

»Die Springer haben mir nichts gegeben«,brüllte Salgouz, der offensichtlich nüchternwar. »Nichts. Versteht ihr? Wir werden um-kommen, wenn sie nichts mehr heraus-rücken.«

Klatschende Geräusche und Schreie ver-rieten Fen, daß er die beiden Frauen schlug.

Danach wurde es still. Die beiden Frauenschienen weggelaufen zu sein. Fen hörte nurnoch Lelle Salgouz, der in der Hütte nach ir-gend etwas zu suchen schien. Später verrietihr ein stechender Geruch, daß er seinen De-stillationsapparat wieder in Gang gesetzthatte.

Die Ereignisse wurden zusammenhanglosfür sie, da sie zwischenzeitlich das Bewußt-sein verlor. Sie begriff nur, daß die beidenFrauen nicht wieder auftauchten.

Überraschend ließ das unerträgliche Span-nungsgefühl in ihren Lidern, ihren Wangenund ihren Lippen nach.

War das bereits das Ende?Es dämmerte bereits, als Fen das erstemal

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wieder etwas sehen konnte. Zunächst be-merkte sie nur einen mächtigen Schatten,der sich über ihr erhob. Anhand der Umrisseerkannte sie Lelle Salgouz. Er schwankte,und sie fürchtete, daß er auf sie fallen werde.Er schüttete ihr Wasser über das Gesicht.

Danach konnte sie besser sehen. DerMond schimmerte voll durch die tiefhängen-den Wolken.

Salgouz träufelte ihr etwas Wasser auf dieLippen, wartete und gab ihr dann eine lau-warme Brühe zu trinken. Sie erholte sich et-was.

»Wie geht es Ihnen?« fragte er.Allmählich klärten sich ihre Blicke, sie

konnte sein Gesicht erkennen. Nichts an ihmhatte sich verändert. Die Spuren des Alko-hols waren nach wie vor vorhanden.

»Jämmerlich«, entgegnete sie.Er lachte.»Das gönne ich Ihnen, Fenomera. Sie se-

hen ziemlich schlecht aus. Ich glaube, esgeht mit Ihnen zu Ende. Wollen Sie ster-ben?«

»Blöde Frage.«»Ich sehe, ihr bildschöner Körper geht da-

hin, aber im Kopf sind Sie immer noch vollda. Das gefällt mir. Sagen Sie bitte, bitte, da-mit ich Sie rette?«

»Sie meinen, jetzt sei ich weich, wie?«Er lachte.»Sie brauchen nur zu bitten, dann beseiti-

ge ich das Gift aus Ihrem Körper. In einigenTagen sind Sie dann wieder fit.«

Fen musterte ihn. Sie war überzeugt da-von, daß sie gesiegt hatte. Er brachte esnicht fertig, sie sterben zu lassen. Sie hatteihn gezwungen, seine Kräfte mobil zu ma-chen und nicht nur an sich selbst zu denken.

»Bitte, bitte«, sagte sie leise.Er lachte dröhnend.»Bilden Sie sich nur nichts ein, Fen. Ich

helfe Ihnen nur, wenn Sie mir versprechen,mit mir Silvester zu feiern. Heute ist der 31.Dezember. Was halten Sie davon?«

Sie wußte nicht, was sie denken sollte.Wollte er ihr tatsächlich nur helfen, damitsie sich zusammen mit ihm betrank? Sie

hielt diese Bemerkung für einen Bluff.»Ich habe es satt, hier zu liegen und zuse-

hen zu müssen, wie Sie den Villeham alleinvernichten, Lelle.«

»Das ist ein Wort.«Fen wollte noch etwas sagen, aber ihre

Arme und Beine wurden schwer wie Blei.Sie hatte das Gefühl, in schwarzer Watte zuversinken. Krampfhaft bemühte sie sich,wach zu bleiben, aber es gelang ihr nicht. Ihrwar, als wehre sie sich gegen eine Narkosevor einer Operation.

Als sie wieder zu sich kam, fühlte sie sichfrei. Sie konnte die Arme und Beine wiederbewegen, und die Muskelspannungen warenbehoben. Langsam führte sie die Hände zumGesicht und tastete es mit den Fingerspitzenab. Die Schwellungen waren abgeklungen.

Sie versuchte sich aufzurichten, schafftees jedoch nicht, weil sie zu schwach war.Mit aller Kraft wälzte sie sich auf den Bauchherum und kroch zum Bach. Sie brauchtesehr lange dafür und mußte immer wiederPausen einlegen, in denen sie ohnmächtig zuwerden drohte. Als sie das Wasser schließ-lich erreicht hatte, war sie vollkommen er-schöpft. Sie ließ die Arme hineinfallen undtauchte das Gesicht hinein. Danach fühltesie sich wohler.

Lelle Salgouz kam, ergriff sie bei denSchultern und schleppte sie wie einen nassenSack zum Feuer. Dort setzte er sie gegeneinen großen Stein und stopfte ihr ein Fell inden Rücken. Er reichte ihr ein Stück gebra-tenes Fleisch und stellte ihr eine Brühe hin.

»Essen Sie, damit Sie wieder zu Kräftenkommen«, befahl er mit rauher Stimme.»Sonst kippen Sie mir gleich aus den Sanda-len, wenn Sie den Schnaps trinken.«

Fen wurde übel bei dem Gedanken, etwasaus seiner Destillation trinken zu müssen.Hungrig schlürfte sie die Brühe und war da-nach bereits gesättigt, obwohl sie vorher so-viel Appetit auf das Fleisch gehabt hatte.

»Wo sind Meinja und Kervania?« fragtesie.

Er setzte sich ihr gegenüber und stützteeine volle Flasche auf sein Knie. Bevor er

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ihr antwortete, trank er einen Schluck.»Irgendwo da oben in den Bergen«, er-

klärte er. »Ich habe sie verjagt, weil sie nichtmit mir feiern wollten. Sie werden in dennächsten Tagen wiederkommen. Mir ist dasauch recht. Silvester habe ich noch immergefeiert, und ich werde es auch heute tun.Rajvan!«

»Wenn ich in meinem Zustand auch nureinen Schnaps trinke, bin ich sofort hin-über«, erwiderte Fen. »Erlauben Sie mir, ihnmit Wasser zu verdünnen?«

Er überlegte.»Ausnahmsweise.«Er stand auf und holte einen kleinen Hol-

zeimer voll Wasser. Dann schüttete er diehalbe Flasche »Villeham« hinein und schobihn Fen zu.

»Wenn Sie nicht mit mir feiern, Fen, dannsorge ich dafür, daß das Gift in Ihren Körperzurückkehrt. Sie wissen, daß ich die Fähig-keit dazu habe. Also – tun Sie, was ich sage.Und verderben Sie mir den Silvesterabendnicht. In dieser Hinsicht kann ich sehr emp-findlich sein.«

Fen versuchte das Villeham-Was-ser-Gemisch. Ihr wurde übel. Vor ihren Au-gen begann sich alles zu drehen.

»Essen Sie etwas Fleisch«, riet er ihr.»Dann geht alles besser.«

Sie tat, wie er geheißen hatte.Dabei überlegte sie fieberhaft, wie sie ihn

übertölpeln konnte. Sie durfte sich auf garkeinen Fall betrinken, sondern sie mußte dieChance nutzen, ihn endlich so zu packen,daß er nicht mehr ausweichen konnte.

»Rajvan!« rief er.Sie zögerte. Da stand er auf und flößte ihr

etwas ein. Fen hatte das Gefühl, auf ein fah-rendes Karussell gesprungen zu sein.

Nur der Gedanke, daß sie einen wichtigenZwischensieg errungen hatte, hielt sie auf-recht. Sie aß etwas von dem Fleisch, weil siehoffte, die Alkoholwirkung dadurch etwasneutralisieren zu können.

Er hatte ihr geholfen und ihr damit unge-wollt bewiesen, daß die Situation keines-wegs hoffnungslos war. Sie war fest davon

überzeugt, daß er es nicht nur getan hatte,weil er keine Lust hatte, an diesem Abendallein zu trinken. Er verbarg sich nur hinterdieser Schutzbehauptung, weil er wußte, daßer verloren hatte.

»Rajvan«, rief sie fröhlich. »Lelle, Sietrinken ja gar nicht. Haben Sie sich etwavom Alkohol abgewendet?«

»Rajvan, Sie Biest«, antwortete er.»Glauben Sie nur nicht, daß Sie mich schaf-fen. Ich tue, was ich will, und niemand wirdmich daran hindern. Auch Sie nicht. Ra-jvan.«

»Rajvan, Lelle. Sie gefallen mir immerbesser.«

»Sie sind ja betrunken«, gab er lallend zu-rück.

7.

Fenomera erlebte diese Nacht wie imTraum. Sie nahm immer nur tropfenweiseetwas zu sich und versuchte, sich unter Kon-trolle zu halten. Ihr durchtrainierter Körpererwies sich trotz der durchstandenen Strapa-zen als außerordentlich widerstandsfähig.Sie konnte sich der Wirkung des Alkoholszwar nicht völlig entziehen, wurde aberdoch nicht so beeinträchtigt wie Lelle Sal-gouz, der am Ende nahezu besinnungslosauf dem Boden lag und nicht mehr an-sprechbar war.

Fen kroch zum Wasser und wusch sichdie Arme und das Gesicht, die Schultern unddie Füße, bis sie sich wieder frisch fühlte.Danach stärkte sie sich mit ein bißchenFleisch und etwas Brühe. Wohlige Müdig-keit überfiel sie, aber sie schlief nicht ein.

Das Feuer erlosch. Sie erhob sich, um et-was Holz zu sammeln, als sie die Stimmenvon Meinja und Kervania hörte. Die beidenFrauen kehrten zurück. Fen blieb stehen undwartete. Die Sonne würde bald aufgehen.Der Horizont erhellte sich bereits. Bei derSpringersiedlung brannten zahlreiche Lich-ter.

Die beiden Frauen kamen nicht. Fen rief,aber ihre Stimme war zu schwach. Sie drang

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nicht weit. Sie sah ein, daß sie nicht vielausrichten konnte, und entfernte sich vonder Hütte. Als sie zurückkehrte, war es be-reits hell. Die beiden Frauen standen vor derHütte. Als sie Fen sahen, drehten sie sich umund gingen hinein. Der Trinker hatte siekräftig verprügelt. Das konnte Fen den ge-röteten und verquollenen Gesichtern anse-hen. Sie nahm sich vor, ein paar tröstendeWorte mit den beiden zu reden, und wandtesich zunächst dem Feuer zu. Sie versuchte,die Glut zu schüren und wieder anzufachen,als ihr Blick zufällig zur Ebene hinunter fiel.

Zwei große Fluggleiter näherten sich denBergen.

Das war absolut ungewöhnlich.»Kervania, Meinja«, rief sie in befehlen-

dem Ton. Als sich nichts rührte, wiederholtesie die Namen noch energischer. Die jüngereder beiden Frauen kam aus der Hütte.Schüchtern näherte sie sich ihr.

»Was gibt es?« fragte sie verängstigt.Fen deutete schweigend auf die Gleiter.

Sie sah, daß Meinja erschrak.»Was wollen die hier?« fragte die Frau.

Sie fuhr herum und schrie gellend nach Ker-vania. Diese kam sofort.

Sie fluchte, als sie die Flugzeuge sah.»Das hat nichts Gutes zu bedeuten«, er-

klärte sie. »Lelle, aufwachen. Ich habeschon immer gesagt, daß sie uns eines Tageswie die Hasen jagen werden, weil wir ihnenim Weg sind.«

Lelle Salgouz schlief weiter, obwohl Ker-vania ihn aufrichtete und ihm mit einem nas-sen Lappen über das Gesicht fuhr. Sie gabihre Bemühungen mit einer verächtlichenBemerkung auf und ließ ihn einfach wiederins Gras fallen.

»Sie glauben doch nicht im Ernst, daß dieSpringer uns töten wollen«, sagte Fen.

Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte sichnicht vorstellen, daß die galaktischen Händ-ler etwas Derartiges unternehmen würden.

Doch da blitzte es bei einem der beidenGleiter auf. Ein nadelfeiner Energiestrahlfuhr weit unterhalb der Hütte von Salgouz inden Berg. Ein gellender Schrei drang zu den

drei Frauen herauf. In der kristallklarenMorgenluft drangen alle Geräusche beson-ders weit. Sie hörten, daß unten bei den an-deren Eremiten Bewegung entstand. Felsge-röll polterte über den Hang, und Bäume bra-chen.

»Sie versuchen zu fliehen«, flüsterte Me-inja und schlug sich entsetzt die Hände vordas Gesicht.

Fen stieg auf einige Felsen, von denen aussie eine bessere Sicht nach unten hatte. Diebeiden Gleiter hatten sich getrennt. Sie flo-gen voneinander weg und durchsuchten dieunteren Bereiche des Berghangs. Immerwieder blitzen die Energiestrahler auf. Diesonnenheißen Strahlen schlugen in die Bü-sche und Bäume und setzten sie in Brand.Die Flammen loderten auf. Gefährlich wur-de die Situation, weil der Wind aus der wü-stenartigen Ebene kam und die Flammennicht nur anfachte, sondern auch vor sich herden Hang hinauftrieb. Immer mehr Bäumefingen Feuer.

Schon jetzt zeichnete sich für Fen ganzklar ab, daß die Eremiten keine Chance hat-ten. Das Feuer mußte sie aus ihren Höhlenund Hütten direkt vor die Energiestrahlge-wehre der Springer treiben.

Fen beobachtete einen alten, weißhaari-gen Mann, der etwa zwei Kilometer von ihrentfernt war. In der klaren Luft konnte siedeutlich erkennen, wie er über die Steinefloh. Ein Gleiter folgte ihm. Die Springerließen sich Zeit. Sie töteten den Einsiedler,kurz bevor er eine Höhle erreichte, die ihmDeckung geboten hätte.

Fen sprang vom Felsen herunter. VorSchwäche brach sie fast zusammen. Sieschleppte sich zu Lelle Salgouz und schriedie beiden Frauen an:

»Helft mir doch. Nur er kann uns nochretten.«

Meinja und Kervania gehorchten. Sie nah-men Salgouz auf und zerrten ihn zum Bach.Sie warfen ihn hinein, und während Meinjaseinen Kopf über Wasser hielt, massierteKervania ihn durch. Aber damit erreichtensie nichts. Der Terraner stand viel zu stark

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unter der Wirkung des »Villeham-Spezial«.Er kam noch nicht einmal zu sich.

»Man könnte auch versuchen, einen Totenaufzuwecken«, schrie Kervania schließlichenttäuscht.

Fen hatte inzwischen die beiden Gleiterbeobachtet. Sie waren weiter vorgedrungen.Systematisch suchten sie den Hang ab. DieArt, wie sie vorgingen, verriet der USO-Spezialistin, daß sie genau wußten, wo diegesuchten Siedler lebten.

»Hört zu«, sagte sie zu den beiden Frau-en. »Jetzt gibt es nur noch eine einzige, al-lerdings sehr kleine Chance. Oben in denBergen liegt meine Ausrüstung. Ich habeWaffen, die ich gegen die Springer einsetzenkönnte.«

Kervania kauerte auf dem Boden. An ih-rer Brust lehnte Lelles Kopf. Sie streichelteihn.

»Das ist doch alles sinnlos«, antwortetesie. »Was hilft es wirklich, wenn wir diesebeiden Gleiter zerstören können? Innerhalbeiner Stunde wäre der nächste hier. DieSpringer würden nur um so härter zuschla-gen.«

»Wir hätten Zeit gewonnen, Kervania«,sagte Fen ruhig. »Und darauf kommt es an.Ich habe einen Hypersender dabei, mit demich ein Notsignal abstrahlen kann. Damit istnicht gesagt, daß wir sofort Hilfe erhalten,aber …«

»Was soll das alles?« fragte Kervania er-regt. »Das hilft doch nicht weiter.«

»Lassen Sie mich aussprechen. Die Sprin-ger werden den Notruf zweifellos abhören,und damit muß ihnen klarwerden, daß wirihnen das Konzept verdorben haben. IhrPlan funktioniert nur, wenn sie alle Terranerinnerhalb kurzer Zeit umbringen können. Esdarf niemand überleben, so daß keiner be-richten kann, was hier geschehen ist. Verste-hen Sie?«

»Nein.«»Aber ich«, ereiferte sich Meinja.»Wenn Fen einen Notruf abschickt, dann

wissen die Springer, daß sie diese Mordakti-on nicht mehr geheimhalten können. Sie

werden aufhören und zu verhandeln versu-chen.«

Kervania blickte Meinja mit offenemMunde an. Sie war verblüfft und schien esnicht fassen zu können, daß sie psychologi-sche Zusammenhänge schneller erkannt hat-te als sie.

»Sie müssen mir helfen, zu meinen Sa-chen zu kommen«, sagte Fen rasch.

»Allein schaffe ich es nicht.«»Einer muß bei Lelle bleiben«, erklärte

Kervania. »Er kann uns bestimmt auch hel-fen, wenn er wach wird.«

»Sie bleiben hier«, bestimmte Fen.»Meinja geht mit mir.«

Wie nicht anders zu erwarten, war Kerva-nia einverstanden. Sie vertraute Lelle Sal-gouz blind und erwartete von ihm selbst inseinem derzeitigen Zustand eine größere undwirksamere Unterstützung als von der USO-Spezialistin.

»Können Sie sich mit ihm irgendwo ver-stecken?« fragte Fen.

Kervania zeigte den Hang hinauf.»Dort oben ist eine kleine Höhle. Dort

werden wir sein.«Fenomera stieg wieder auf den Felsen.

Die beiden Gleiter hatten sich von ihnen ent-fernt. Sie operierten in einem Felseinschnitt,in dem sie kaum zu sehen gewesen wären,wenn sie nicht pausenlos geschossen hätten.Fen beobachtete zwei verwundete Eremiten,die ganz in der Nähe an der Hütte von Sal-gouz vorbeiliefen und sich zwischen die Fel-sen zu retten versuchten.

»Kommen Sie, Meinja.«Sie faßte die junge Frau bei der Hand und

lief mit ihr davon. Zurückblickend sah sieKervania bei Lelle Salgouz. Sie übergoß sei-nen Kopf mit kaltem Wasser, um ihn aufdiese Weise zu sich zu bringen.

*

Als sie etwa eine Stunde lang geklettertwaren, wurden sie bemerkt. Einer der beidenGleiter stieg plötzlich steil nach oben undgewann innerhalb weniger Sekunden die

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gleiche Höhe wie die beiden Frauen. Dieseliefen über einen schmalen Felsgrat, auf demsie keinerlei Deckung hatten. Meinja be-merkte die Gefahr zuerst.

»Fenomera!« schrie sie panikerfüllt.In ihrer Angst rutschte sie aus und schlit-

terte einige Meter abwärts über die Felsen.Die USO-Spezialistin kam ihr sofort zu Hil-fe. Sie zerrte sie wieder nach oben. Dabeibeobachtete sie das Flugzeug, das sich ihnenmit hoher Fahrt näherte.

»Ich habe mir den Fuß verstaucht«, sagteMeinja stöhnend. »Ich kann nicht laufen.«

Fen blickte sich gehetzt um. Schließlichentdeckte sie unter den Felsen eine Höhle.Sie schob die widerstrebende Frau hineinund rannte wieder zum Grat hinauf. Die Ma-schine war nur noch etwa einhundert Metervon ihr entfernt. Ein Energiestrahler blitzteauf.

Fen jagte auf eine schützende Felsgruppezu. Sie machte alle Kräfte mobil, die noch inihr steckten. Als sie die Deckung erreichte,schossen die Springer erneut. Abermals ver-fehlten sie sie. Die Spezialistin brach zusam-men. Ihr wurde schwarz vor Augen. Wildrang sie nach Atem. Sie spürte, daß sie nichtnoch einmal davonkommen würde.

Seltsamerweise berührte es sie nicht sosehr, daß ihr Tod unmittelbar bevorstand.Sie dachte nur an Lelle Salgouz und daran,daß sie den Auftrag hatte, ihn für die USOzu gewinnen. Alles war vorbei. Sie hattesich jede nur erdenkliche Mühe gegeben, ihnaus seinem nutzlosen Leben herauszuführen.Es war ihr nicht gelungen. In Quinto-Centermußte man sie für eine Versagerin halten.

Niemand hatte damit rechnen können, daßdie Springer ihre Haltung zu den terrani-schen Siedlern so radikal ändern würden.Zunächst hatte Fen sich nicht erklären kön-nen, was die galaktischen Händler dazu ver-anlaßt haben mochte. Jetzt sagte sie sich,daß der Grund nur in einer Änderung derMachtverhältnisse in dem Springerstütz-punkt Kontok zu suchen sein konnte.

Sie kroch durch eine niedrige Felsspalte.Der Gleiter der Springer befand sich ganz in

der Nähe. Sie konnte das Summen seinerAntriebsaggregate hören.

Die beiden Männer brauchten nur zu war-ten. Sie mußte bald aus ihrem Versteck her-auskommen. Vielleicht würden die Springermit ihrer Energiekanone in die Felsen schie-ßen und sie dabei so erhitzen, daß sie sichhier nicht mehr halten konnte. Vielleichtaber würden sie ihre Maschine auch verlas-sen, um sie mit einer Handwaffe zu erledi-gen.

Fen erreichte das Ende der Spalte. Durcheinen schmalen Ausschnitt konnte sie aufden Hang sehen, auf dem ihre Ausrüstungunter einem Felsen lag. Nur noch etwa hun-dert Meter trennten sie von ihrem Energie-strahler, mit dem sie sich hätte zur Wehr set-zen können.

Sie konnte nicht mehr verhindern, daß sievon den Springern wie ein Stück Wild abge-schossen wurde. Waffenlos konnte sie nichtsausrichten.

Oder doch?Besaß sie denn wirklich keine Waffen?Sie straffte ihren Pulli und fuhr sich ord-

nend mit den Händen durch das Haar. Dannblickte sie prüfend an sich herunter. Siekonnte sich immer noch sehen lassen. Lang-sam trat sie aus dem Spalt heraus. Den Pullirollte sie etwas hoch, so daß sie ihre Tailleentblößte. Sie war noch keine drei Schrittevon ihrem Versteck entfernt, als der Gleiterum die Gesteinsbrocken herumkam, die siebis dahin gedeckt hatten.

Das Mädchen blieb stehen, als sei die Si-tuation keineswegs ungewöhnlich. Sie ord-nete sich ihr schulterlanges Haar und blicktedie beiden Springer herausfordernd an. DerGleiter schwebte auf sie zu. Drohend glüh-ten die Abstrahlmündungen der Energie-strahlwaffen.

Fen konnte die beiden Männer durch dieScheiben sehen. Sie saßen auf ihren Plätzenund starrten sie verblüfft an. Einer von ihnenhatte aus einem Papierbecher getrunken. Erwarf ihn durch das offene Fenster hinaus.Der andere lenkte die Maschine. Seine Hän-de lagen in lockerer Haltung auf den Tasten,

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mit denen er die tödlichen Waffen abfeuernkonnte.

Fenomera lächelte herablassend, drehtesich um und zog den Pulli mit einer energi-schen Geste straff über die Hüften. Dannfuhr sie sich erneut durch das Haar und gingdavon. Ihre Blicke richteten sich auf dasVersteck, in dem sie ihre Ausrüstung ver-borgen hatte.

Die Sonne stand hinter ihr. So fiel derSchatten des Gleiters an ihr vorbei, und siekonnte sehen, daß er ihr folgte.

Mit ihren telepathischen Sinnen konntesie die Emotionen der beiden Männer erfas-sen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Ihre Her-ausforderung hatte ihre Wirkung nicht ver-fehlt. Ganz ohne Zweifel war sie das hüb-scheste Mädchen hier in den Bergen.

Die beiden Männer dachten genau das,was sie hatte erreichen wollen: warum siejetzt schon töten? Man konnte sich doch erstein wenig mit ihr amüsieren. Danach bliebimmer noch Zeit genug, diese Zeugin zu be-seitigen.

Einer der beiden Männer dachte sogardaran, sie als seine Geliebte mit in denStützpunkt zu nehmen. Er überlegte nurnoch, wie er seinem Begleiter diese Absichtklarmachen sollte.

Fen lächelte.Von Schritt zu Schritt fühlte sie sich si-

cherer.Sie hütete sich, sich umzusehen, da sie

genau wußte, daß sie damit ihre Wirkungauf die beiden Männer herabmindern mußte.Gerade weil sie die Springer ignorierte, be-herrschte sie sie.

Als sie nur noch zwanzig Meter von ih-rem Versteck entfernt war, hörte sie, wie ei-ne Tür aufging.

»He, Mädchen«, rief einer der beidenSpringer. Er hatte einen abgrundtiefen Baß.

Fen ging noch etwa zehn Meter weiter. Errief erneut. Sie hörte seine Schritte hintersich. Betont langsam drehte sie sich um. Sieerschrak. Der Springer war sicherlich überzwei Meter groß und 150 kg schwer. DiesenMann zu überwältigen, würde nicht leicht

sein.Der Gleiter war gelandet. Der zweite

Springer stieg aus und näherte sich eben-falls. Beide Männer waren mit schwerenEnergiestrahlern bewaffnet.

Fen lächelte. Sie stützte eine Hand auf dieHüfte und fuhr sich mit der anderen durchsHaar.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, sag-te der Springer mit dem Baß. »Wir werdendich nicht töten.«

»Warum nicht? Was unterscheidet michvon den anderen am Berg?«

»Du bist jung und schön. Das ist ein sehrwesentlicher Unterschied.«

Er stand vor ihr und streckte seine flei-schigen Hände nach ihr aus. Sie sträubtesich nicht, als er sie an sich zog. Doch als erseine bärtigen Lippen auf ihren Mund pres-sen wollte, verwandelte sie sich in eine le-bende Kampfmaschine. Ihre Arme wirbeltendurch die Luft, nachdem sie die Umklamme-rung mühelos gesprengt hatten. Die stahlhar-ten Handkanten zerschmetterten den Wider-stand des riesigen Mannes, und ihre ge-streckten Finger bohrten sich ihm in dieNervenzentren am Hals und in der Herzge-gend.

Bevor der galaktische Händler überhauptbegriffen hatte, was geschah, sackte er be-wußtlos zusammen.

Fen packte ihn und hielt ihn halb aufrecht,um sich schützend hinter ihn zu ducken. Da-bei riß sie ihm den Energiestrahler aus derHalfter.

Der andere Mann stand ihr mit angeschla-gener Waffe gegenüber, schoß aber nicht,weil er seinen Begleiter nicht töten wollte.Er zögerte viel zu lange und überlegte, waser tun sollte.

»Leg die Waffe weg«, befahl Fen.Er schüttelte den Kopf und ging langsam

rückwärts. Aus seinen verwirrten Gedankenkonnte sie herauslesen, daß er in den Gleiterspringen und sie dann mit den Bordwaffenparalysieren wollte.

Sie hatte die Wahl zwischen ihm und derMaschine. Im Kampf gegen die Springer

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konnte der Gleiter von unschätzbarem Wertsein, aber dann hätte sie ihn erschießen müs-sen. Und das wollte sie nicht.

Auch sie zögerte die Entscheidung hinaus.Da kam der Springer, den sie niederge-

schlagen hatte, zu sich. Er lenkte sie füreinen kurzen Moment ab, als er sich regteund ihr dadurch fast entglitten wäre. Der an-dere nutzte die Chance, die sich ihm bot. Errannte zum Gleiter, riß die Tür auf und stiegein.

Jetzt hatte Fen keine Wahl mehr.Sie sprang auf und lief auf die Maschine

zu. Dabei streckte sie den Arm aus und feu-erte den Energiestrahler ab. Die Scheibenzersprangen unter der ungeheuren Hitzeein-wirkung. Der Springer versuchte, die Auslö-setasten für die Bordwaffen zu erreichen.Fen schoß erneut. Der Energiestrahl durch-schlug die Unterseite des Gleiters und er-reichte die Energiekammern des Antigravs.

Das Flugzeug explodierte. Eine grelleStichflamme brach aus der Unterseite hervorund drang in die Kabine, in der der Springersaß. Im nächsten Moment hüllten Flammendie ganze Maschine ein.

Fen wußte, daß die Entscheidung gefallenwar. Hier konnte sie nichts mehr tun. Siedrehte sich um, weil sie zu dem anderenSpringer zurückkehren wollte, als sich dieserauf sie warf. Er hatte sich an sie herange-schlichen, ohne daß sie es gemerkt hatte. Sieprallten zusammen, und Fen wurde umgeris-sen. Sie stürzte zu Boden und schlug schwermit dem Kopf auf. Ihr wurde schwarz vorAugen. Ihr Gegner krallte ihr beide Händeum den Hals. Dabei hätte er mühelos ihreWaffe nehmen und sie töten können, doch erwollte sie mit bloßen Händen umbringen.

Die USO-Spezialistin erfaßte die Impulseungeheuren Hasses, die von ihm ausgingen.Sie spürte seine ganze Mordlust, und siebäumte sich auf. Sie erkannte, daß ihr nurnoch Sekunden blieben, sich zu retten.

Sie versuchte, die Hände von ihrem Halszu lösen, doch gegen seine übermächtigenKräfte kam sie nicht an. Sie versetzte ihmeinige äußerst schmerzhaften Hiebe gegen

den Nacken und den Kopf. Er stöhnte ge-quält auf, gab sie aber nicht frei.

Fen spürte, wie ihre Kräfte nachließen.Vor ihren Augen begann es zu flimmern.Mit letzter, verzweifelter Anstrengung pack-te sie seinen Kopf. Sie zerrte an seinen Haa-ren und drehte ihm den Kopf zur Seite. Alser fürchtete, sie werde ihm auf diese Weisedas Genick brechen, ließ er sie los.

Sie rang wild nach Atem und nutzte diewinzige Chance, die sich ihr bot. Sieschmetterte ihm die Handkante gegen denHals. Er brach bewußtlos über ihr zusam-men.

Fen blieb einige Minuten so liegen, bis siedie Kraft fand, sich zu befreien. Sie krochüber den Boden und nahm den Energiestrah-ler auf, den sie verloren hatte.

Sie fühlte sich so müde und zerschlagen,daß sie sich nicht aufrichten konnte. Meterfür Meter schleppte sie sich an das Versteckmit ihrer Ausrüstung heran. Als sie es er-reichte, blieb sie liegen, um sich ein wenigauszuruhen. Sie hatte das Gefühl, auf einemPlaneten mit plötzlich erhöhter Schwerkraftzu sein. Ihre Glieder waren bleischwer.

Sie öffnete die Ausrüstungsbehälter undtrank ein wenig Wasser. Dann nahm sie eini-ge Tabletten mit Nahrungskonzentraten undrasch wirkenden Aufbaustoffen zu sich Siekonnte auf die Wirkung warten. Das Gefühllähmender Schwere verschwand.

Fen richtete sich auf und lehnte sich mitdem Rücken gegen einen Felsen. Von hieraus konnte sie den Springer beobachten, derzu sich gekommen war und auf allen vierennäher kam. Keuchend richtete er sich auf,als sie etwa noch zehn Schritte trennten.Sein bärtiges Gesicht war vor Haß verzerrt.

»Noch nie hat mich eine Frau besiegt«,sagte er mühsam. Er wollte noch mehr sa-gen, aber seine Stimme versagte. Er schluck-te.

Fenomera richtete den erbeuteten Ener-giestrahler auf ihn.

»Wenn Sie noch näher kommen, werdeich schießen.«

»Das werden Sie auch tun, wenn ich mich

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umdrehe und weggehe«, erwiderte er.Sie schüttelte den Kopf.»Ich bin kein Springer«, antwortete sie.

»Mit anderen Worten, ich bin kein Mörder.Also – gehen Sie.«

Er zögerte.Sie löste den Strahler aus. Der Energiefin-

ger glitt dicht an ihm vorbei. Sie sah, daß dieHitze ihm die Haare versengte.

Er wurde blaß, drehte sich um und ranntedavon. Sie ließ ihn laufen.

8.

Fenomera streifte sich den Kampfanzugüber und nahm an Ausrüstung mit, was sieglaubte, gebrauchen zu können. Dann flogsie sofort an den Hang zurück.

Die Szene hatte sich weiter verändert.Jetzt bot sich ihrem Blick ein einziges Feu-ermeer. Die Springer hatten mit ihren Bord-kanonen Büsche und Bäume in Flammen ge-setzt. Mitten in dem Feuer und Rauch ent-deckte sie Eremiten, die nicht wußten, wo-hin sie sich bei ihrer Flucht wenden sollten.

Sie sah sich versucht, diese Menschenaufzulesen und auszufliegen, aber sie wußte,daß sie dann höchstens zwei oder drei vonihnen retten konnte. Danach würde sie ent-deckt werden. Und damit war praktischnichts gewonnen.

Sie flog zwischen den Flammen auf dieHütte von Lelle Salgouz zu. Die Einrichtunghatte Feuer gefangen. Ihre telepathischenSinne sagten ihr, daß sich niemand mehrdarin befand. Sie näherte sich der Höhle, dieihr bezeichnet worden war, und erfaßte da-bei die geistige Ausstrahlung Kervanias, desMannes und der Hunde. Der Gleiter warweit von ihr entfernt. Nur durch einen Zufallkonnte sie entdeckt werden.

Sie landete vor der Höhle und ging hinein.Die Hunde kamen ihr knurrend entgegen,griffen sie jedoch nicht an, als sie sie an-sprach.

Kervania lehnte verängstigt an einer Fels-wand in der Höhle. Lelle Salgouz kauerteauf dem Boden und starrte sie mit leeren

Augen an. Er war noch immer betrunken.Fen kniete vor ihm nieder.»Nun, Lelle, wie geht es Ihnen?« fragte

sie sanft. »Wollen Sie noch immer nichtstun? Wollen Sie zusehen, wie Ihre Freunde,Ihre Frauen und Ihre Hunde umgebrachtwerden?«

Er versuchte, ihr zu antworten, brachteaber keine verständlichen Worte über dieLippen. Enttäuscht wandte sich die USO-Spezialistin von ihm ab.

»Kervania, versuchen Sie, ihm zu helfen«,bat sie. »Sie müssen ihn wach bekommen.Hat er noch etwas zu trinken?«

»Nichts«, antwortete Kervania verstört.»Der ganze Vorrat liegt in der Hütte.«

»Das ist vielleicht ganz gut.«Sie nickte ihr zu und verließ das Versteck.

Draußen schaltete sie den Antigrav ihresKampfanzugs wieder ein. Sie glitt mit hoherGeschwindigkeit über den Hang. Dabei hieltsie sich sehr dicht über dem Boden, so daßsie durch Flammen und Rauch gut gegenden Springergleiter gedeckt war.

Die beiden galaktischen Händler kämm-ten den Hang ab. Immer wieder blitzten dieEnergiestrahler auf. Fen wußte, daß nahezujeder Schuß das Ende für einen der Eremitendeutete.

Plötzlich wendete das Flugzeug. Es kamauf sie zu.

Fen preßte sich hinter einen Felsbrocken.Sie stand inmitten der Flammen, doch dieHitze machte ihr nur wenig aus, da derKampfanzug sie ausreichend schützte. Sieklappte den Schutzhelm über den Kopf, umbesser atmen zu können. Ruß und Schmutzschlugen sich auf der Sichtscheibe nieder.

Sie wartete.Die Sekunden strichen endlos langsam

dahin.Hatten die Springer sie geortet? Unwill-

kürlich schüttelte sie den Kopf. Nein, damitwar nicht zu rechnen. Die Mörder jagtenharmlose Einsiedler, heruntergekommeneTerraner, die oft kaum mehr auf dem Leibtrugen als ein Hemd und eine Hose. Sierechneten nicht damit, hier auf einen unge-

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wöhnlichen Gegner zu stoßen, und würdendaher die Energieortung gar nicht erst ein-setzen.

Sie versuchte, die Gedanken und Gefühleder beiden Männer zu erfassen. Es gelangihr nicht vollkommen. Sie esperte nur Ge-dankenfetzen – die nichts mit dem blutigenGeschehen hier zu tun hatten – und Gleich-gültigkeit. Die Springer empfanden prak-tisch nichts. Sie führten Befehle aus, ohnesich etwas dabei zu denken.

Der Gleiter schwebte so dicht an ihr vor-bei, daß sie die Gesichter der beiden Männersehen konnte. Sie fürchtete bereits, vorzeitigentdeckt zu werden, doch keiner der beidenSpringer wandte den Kopf zur Seite.

Fen wartete, bis die Maschine einige Me-ter von ihr entfernt war, dann schaltete sieihren Antigrav wieder ein. Sie flog auf dasHeck des Gleiters und feuerte ihren Energie-strahler auf die Glassitscheiben ab. Laut kra-chend zerplatzte das sonst so widerstandsfä-hige Material.

Die beiden Springer fuhren herum undstarrten entsetzt in die Mündung des Bla-sters.

»Aussteigen«, befahl Fen. »Los, schnell!«Einer der beiden Männer versuchte, zu

seiner Waffe zu greifen, doch als FensStrahler sich auf ihn richtete, zog er dieHand zurück.

Die Spezialistin ließ sich in die Kabinedes Flugzeugs gleiten. Mit sicherem Griffentwaffnete sie die beiden Springer.

»Ich sagte es schon einmal: Aussteigen!«Die Springer blickten nach draußen in die

Flammenhölle.»Das wäre unser Tod!«»Unsinn«, entgegnete sie ironisch »Sie

haben genauso viele Chancen wie die Leute,die Sie gejagt haben. Also, darf ich bitten?«

Die beiden Springer blickten sich an.Dann öffnete einer von ihnen die Tür an sei-ner Seite und sprang hinaus. Der anderefolgte ihm. Fen sah, daß sie in einem Asche-haufen landeten. Sie rannten durch aufwir-belnde Glut auf einen Felsen zu, um sich aufihn zu retten.

Von dort aus hatten sie einen guten Über-blick über den Hang. Dort konnten sie aberauch von den Eremiten gut gesehen werden.Fenomera beschleunigte. Der Gleiter jagteflach über den Berg hinweg.

*

Die Raumlinse befand sich noch in ihremVersteck. Niemand hatte sich an ihr zuschaffen gemacht. Das konnte Fen sehrleicht feststellen.

Sie setzte sich in die Maschine, fuhr dieHyperfunkantennen aus und richtete sie sehrgenau aus. Sie mußte eine der zahlreichenRelaisstationen erreichen. Quinto-Centerwar für einen direkten Funkspruch viel zuweit entfernt.

Sie formulierte knapp und präzise undschickte den Notruf dann fünfzehnmal hin-aus. Dann schaltete sie alle Geräte wieder abund verließ die Linse. Sie lief zu dem Glei-ter zurück, den sie im Wüstensand abgesetzthatte, und startete. Um die Spuren zu verwi-schen, die sie hinterlassen hatte, flog siemehrere Male dicht über den Landeplatzhinweg, so daß der Sand aufgewirbelt wur-de.

*

Die Situation am Hang der Eremiten hattesich kaum verändert. Noch immer wüteteder Buschbrand und trieb die Einsiedler ausihren Verstecken. Ein Gleiter war jedochnicht zu sehen. Fen schloß daraus, daß dieSpringer entweder noch nicht gemerkt hat-ten, was hier geschehen war, oder sich zu ei-nem zweiten Schlag zurückgezogen hatten.Wenn es so war, dann würden sie zunächstklären wollen, was passiert war, um dannmit geballter Wucht anzugreifen.

Sie landete unmittelbar vor dem Höhlen-eingang, in dem sie Lelle Salgouz wußte.Meinja war inzwischen eingetroffen. Sie lä-chelte erleichtert, als sie die Spezialistin sah.

Kervania kniete bei Salgouz am Bodenund massierte ihm den Nacken. Die Hunde

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lagen im Hintergrund. Sie verhielten sich ru-hig.

»Jetzt haben Sie Ihre letzte Chance, Lel-le«, sagte Fen.

Er blickte sie verlegen an. Mit zitterndenFingern strich er sich über die trockenenLippen. Sie sah ihm an, daß er Durst hatte.

»Wie meinen Sie das?« fragte er mit be-legter Stimme.

»Kommen Sie mit mir.«»Wohin wollen Sie?«»Zunächst will ich so viele Männer und

Frauen aus dem Feuer holen, wie ich kann.Danach werde ich zum Springerstützpunktfliegen und dort Ordnung schaffen.«

»Was habe ich damit zu tun?«»Das fragen Sie? Lelle, Sie haben kein

Recht, hier oder irgendwo sonst zu leben,wenn Sie nichts für sich und andere tun. Siehaben nur die Alternative, sich aufzulehnenoder unterzugehen. Glauben Sie nur nicht,als Schmarotzer leben zu können. Das ist so,wie Sie es sich vorstellen, auch nicht mög-lich.«

Er errötete.»Warum quälen Sie mich? Lassen Sie

mich doch in Ruhe.«»In Ordnung«, stimmte sie zu.

»Vergessen wir Sie!«Sie wandte sich an die beiden Frauen.»Unter den gegebenen Umständen können

Sie sich hier nicht halten«, erklärte sie. »Ichhabe auf meinem Flug zu meinem Raum-schiff einige Täler entdeckt, in denen we-sentlich bessere Lebensbedingungen vorhan-den sind als hier. Sie können dort sogar ohnedie Unterstützung anderer existieren. WennSie einverstanden sind, bringe ich Sie unddie Hunde dorthin. Ich habe mir vorgenom-men, auch die anderen Terraner dort abzu-setzen.«

Die beiden Frauen zögerten. Sie blicktenLelle Salgouz an. Ein Windstoß fachte drau-ßen die Flammen erneut an und trieb eineHitzewelle in die Höhle.

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dasfür mich täten«, sagte Meinja schüchtern.

»Ich gehe auch«, stimmte Kervania.

»Kommen Sie.«»Schon jetzt?«»Wie lange wollen Sie denn noch warten?

Wollen Sie hierbleiben, bis die Springerwiederkommen?«

Sie verließ die Höhle. Die beiden Frauenfolgten ihr. Als sie in den Polstern saßen,lief Lelle Salgouz auf den Gleiter zu. SeinGesicht war feuerrot.

»Warten Sie, bitte«, rief er.Fenomera startete. Der Gleiter löste sich

vom Boden.Lelle Salgouz sprang hoch. Seine Hände

krallten sich an die Türkanten.»Sie dürfen mich nicht allein lassen«,

schrie er.Fen öffnete das Fenster. Der Gleiter

schwebte unbeweglich etwa drei Meter überdem Boden.

»Warum nicht?« fragte sie. »Ich bin nichtfür Sie da. Niemand ist dafür da, daß Sie be-quem leben können. Also, verschwinden Sieendlich.«

Sein Gesicht straffte sich.»Hören Sie, Fen«, sagte er heiser. »Ich se-

he ein, daß Sie recht haben. Ich gehe mit Ih-nen nach Kontok und räume dort auf. Siehaben gewonnen, verdammt noch mal.«

Sie senkte den Gleiter ab und öffnete dieTür.

»Unter diesen Umständen ist es besser,wenn Meinja und Kervania hierbleiben«,sagte sie.

»Ich benötige noch einige Minuten für dieVorbereitung, Fen. Warten Sie auf mich.«

Lelle Salgouz verschwand. Er trat in dasZeitflimmern ein.

*

Salgouz hatte das Gefühl, sich übergebenzu müssen. Vor seinen Augen flimmerte es,und der Gleiter mit den drei Frauen ver-schwand. Er hörte das Knistern des Feuersnicht mehr, und er roch den Rauch nichtmehr. Seine Haut fühlte sich kühl und ange-nehm an. Er befand sich in einem milchig-trüben Nichts, in dem es keine Schwerkraft

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gab. Die bekannten, echoähnlichen Stimmenfehlten nicht.

Salgouz suchte die telepathische Verbin-dung zu jenen seltsamen Existenzformen,die als Zeitnomaden bezeichnet wurden. Oh-ne genau sagen zu können, wie es geschah,bekam er Kontakt mit diesen rätselhaften In-telligenzen. Sie waren ihm weit überlegen,und sie dachten in Begriffskomplexen, diefür ihn kaum verständlich waren. Ihnen ge-genüber fühlte er sich wie ein Kind, daszahllose Fragen stellen muß, um ein winzi-ges Teilstück eines großen Geschehens be-greifen zu können.

Wie bei seinen früheren Begegnungen er-wiesen sich die Bernaler auch jetzt als äu-ßerst geduldig und hilfsbereit. Sie schienengeradezu versessen darauf zu sein, den Kon-takt mit jener Existenzebene, aus der er kam,zu verbessern und zu vertiefen.

Salgouz öffnete seinen Geist. Er gab In-formationen darüber ab, was auf Condagiageschehen war. Zugleich versuchte er, dasmilchige Nichts zu durchdringen. Irgendwomußte es auch hier Klarheit und Übersicht-lichkeit geben. Es gelang ihm nicht.

Ihm war, als seien die Bernaler unmittel-bar vor ihm, als brauche er nur die Handauszustrecken, um sie zu berühren. Aber daskonnte er nicht. Obwohl er wußte, daß esnicht so war, glaubte er, seinen Körper ver-loren zu haben.

Plötzlich drängte es ihn zurück in dieFlammenhölle von Condagia.

Lelle Salgouz drehte sich um sich selbst.Aus den milchigen Schleiern tauchte derGleiter auf.

Was er bei seinen bisherigen Ausflügenzu den Bernalern immer wieder erlebt hatte,trat auch jetzt ein. Er erkannte die Zusam-menhänge des Geschehens bis in die Details.Er wußte, wer Romon Rye gewesen war undwelche Bedeutung Erret Ponktong und seinAdjutant Serpe Allak hatten. Er wußte, daßAllak den Patriarchen Rye vergiftet undnicht – wie anfangs geplant – mit einemDesintegrator ermordet hatte.

Er wußte aber auch, wer Fenomera Fal-

kass war und welche Gefühle sie mit demUSO-Spezialisten Plantez Garvarenz ver-banden. Er war sich klar darüber geworden,was er für sie empfand und was ihm ihreAchtung bedeutete.

Er blickte ihr in die blauen Augen. Dasausdrucksvolle Gesicht mit der schmalenNase und den vollen Lippen ließ soviel Per-sönlichkeit erkennen, daß er sich klein ne-ben ihr fühlte. Er biß sich auf die Lippen.

»Worauf warten wir noch?« fragte errauh. »Die Springer werden bald angreifen.Wir müssen ihnen zuvorkommen.«

»An mir soll es wahrhaftig nicht liegen«,entgegnete Fen ruhig.

»Macht's gut, ihr beiden«, sagte Salgouzzu Meinja und Kervania, die den Gleiter ver-lassen hatten und am Höhleneingang stan-den. »Ihr seid hier sicher.«

»Können Sie etwas gegen das Feuer tun?«fragte Fen.

Er stieg in die Maschine und schüttelteden Kopf.

»Ich benötige meine Kräfte für Kontok«,erwiderte er. »Das Feuer ist nicht mehr soschlimm. Wer den Angriff überlebt hat,kann sich aus eigener Kraft retten.«

Die USO-Spezialistin beschleunigte. DasFlugzeug glitt am Hang abwärts und rastedann auf die Springerniederlassung zu. Fenhielt es ständig in einer Höhe von nur weni-gen Metern. Sie wollte nicht, daß man sievorzeitig entdeckte.

Voller Spannung wartete sie darauf, wasLelle Salgouz unternehmen würde. Sie ver-traute ihm. Er hatte sich in den letzten Minu-ten vollkommen verändert. Ein ganz andererMensch schien neben ihr zu sitzen.

»Ich hoffe, daß die Springer einen gutenTropfen in ihrer Vorratskammer haben«,sagte er.

Sie blickte ihn schockiert an.»Greifen Sie Kontok nur an, weil Sie

nichts mehr zu trinken haben?«Er grinste breit und fuhr sich mit der Zun-

genspitze über die Lippen. Er nickte.»Natürlich«, entgegnete er. »Mein eigener

Destillationsapparat ist geplatzt. Glauben

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Sie denn, mein Durst sei gleichzeitig erlo-schen?«

Seine sonst so trüben Augen funkelten.Fen begriff, daß er seine Worte nicht ganzso gemeint hatte, wie sie sich angehört hat-ten. Sie versuchte, etwas von seinen Gedan-ken und Gefühlen zu erfassen, aber das ge-lang ihr auch jetzt nicht.

Lelle Salgouz deutete nach vorn.Der Energiezaun hatte sich geöffnet. Etwa

zwanzig große Kampfgleiter flogen aus derKuppelstadt heraus. Selbst aus großer Ent-fernung war deutlich zu erkennen, daß dieMaschinen mit vielen schwerbewaffnetenSpringern besetzt waren.

»Man will endgültig aufräumen. Wahr-scheinlich hat man gemerkt, daß etwas nichtin Ordnung ist.«

»Das hat man schon vor vier Stunden,Fen«, antwortete er. »Bisher hat Erret Ponk-tong jedoch gezögert, weil er im Grunde einFeigling ist. Er weiß nicht, was wirklich ge-schehen ist. Deshalb hat er Angst, in eineFalle zu laufen. Genau das wird auch passie-ren.«

Er bedeutete ihr mit einer Geste, daß sielanden sollte. Sie gehorchte. Die Kampfglei-ter verharrten vor der Springerstadt.

Lelle Salgouz sprang auf den sandigenBoden hinab. Er schob die Hände in die Ho-sentaschen und schlenderte auf die Maschi-nen zu. Fen blickte ihm nach. Sie lächelte.Wer diesen Mann so sah, der konnte sichwirklich nicht vorstellen, welche Macht sichbei ihm konzentrierte. Sein Hemd und seineHose waren zerrissen und teilweise ver-brannt. Sie hingen ihm nur noch in Fetzenum den Körper. Die Hose hielt er mit einemStrick, den er sich um die Hüften gebundenhatte. Die Sandalen hatte er verloren, so daßer jetzt mit bloßen Füßen durch den Sandging.

Die Springer kamen zu der Ansicht, daßsie sich vor ihm nicht zu fürchten brauchten.Das Funkgerät des Gleiters sprach an. Fenschaltete es ein.

Das scharfkantige Gesicht eines Springerserschien im Bild. Der Mann legte die linke

Hand an seinen geflochtenen Bart und zupf-te leicht daran.

»Mein Name ist Erret Ponktong«, sagteer. »Sie sitzen in einem unserer Gleiter. Er-klären Sie, was vorgefallen ist.«

»Sie sind also der Schurke, der befohlenhat, die Eremiten zu töten«, erwiderte sie.»Dafür werden Sie bezahlen müssen, Patri-arch.«

Sein Gesicht verzerrte sich zu einem ver-ächtlichen Lächeln.

»Ich rate Ihnen, den Gleiter sofort zu ver-lassen, sonst vernichten wir ihn.«

»Dazu werden Sie nicht mehr kommen«,behauptete Fen.

Sie sah, daß Lelle Salgouz beide Armehoch erhoben hatte. Er war nur noch etwazweihundert Meter von den großen Kampf-gleitern entfernt. Was hatte er vor?

Fen lenkte den Gleiter zu ihm hin. FünfMeter hinter ihm landete sie und sprang her-aus. Sie ging zu ihm.

»Was passiert jetzt?« fragte sie.Er lächelte unmerklich.»Gleich wird unter einigen der Gleiter ein

sehr hohes Schwerkraftfeld entstehen. War-ten Sie ab, was dann passiert!«

Sie blickte gespannt auf die Gleiter, beidenen jetzt die Projektionsfelder einigerBordkanonen aufflammten. Bevor die Sprin-ger feuern konnten, stürzten sechs Gleiterschlagartig zu Boden. Obwohl sie nur aus ei-ner Höhe von etwa zwei Metern fielen, gru-ben sie sich tief in den wüstenartigen Bodenein. Fen sah, daß die Springer von einer un-sichtbaren Gewalt zusammengestaucht wur-den. Die Seitenscheiben zerplatzten und dieStahlplastikpanzerung zerbrach wie sprödesEis.

Bevor die anderen Gleiter in den Kampfeingreifen konnten, erlitten sie das gleicheSchicksal. Sie prallten krachend auf den Bo-den und verwandelten sich dabei in flugun-fähige Wracks.

Fen hörte wütende Schreie. Eine dunkleStimme brüllte Befehle. Lelle Salgouz war-tete gelassen ab, bis die Springer die zerstör-ten Maschinen verlassen hatten.

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»Jetzt kehren wir die Schwerkraftverhält-nisse ein wenig um«, kündigte er amüsiertan.

Unmittelbar darauf wirbelten die Männervon Kontok hilflos durch die Luft. Sie verlo-ren den Boden unter den Füßen und stiegen,von aller Schwerkraft befreit, auf. Die mei-sten überschlugen sich. Einige lösten panik-erfüllt ihre Energiestrahler aus, ohne damitjedoch einen Schaden anzurichten.

Fen beobachtete Salgouz. Sie fragte sich,ob er wirklich ein Mutant war.

»Wenn Sie sie noch höher steigen lassen,ersticken sie«, mahnte sie. »Diese Männerhaben ohnehin jeglichen Kampfeswillen ver-loren.«

Er nickte. Fen blickte zum Himmel hin-auf. Die Springer waren nur noch als kleinePunkte zu erkennen. Salgouz entwaffnetesie. Es regnete Energiestrahler. Langsamsanken auch die Männer von Kontok wiederherab. Lelle Salgouz zog eine kleine Gruppezu sich heran.

»Lassen Sie sie nicht auf den Boden fal-len«, bat Fen.

»Ich will nicht töten«, erwiderte er. Weni-ge Minuten später stürzten die Springer inden Sand. Panikerfüllt versuchten sie zu flie-hen, doch unsichtbare Kräfte hielten sie fest.Lelle Salgouz zwang zwei Männer, zu ihmzu kommen. In einem von ihnen erkanntedie Spezialistin Erret Ponktong. Den ande-ren identifizierte sie mit ihren telepathischenSinnen als Serpe Allak.

Fassungslos starrte der Springerpatriarchdie zerlumpte Gestalt an. Dann wandte ersich Fenomera zu, doch sie zeigte auf Sal-gouz.

»An ihn müssen Sie sich wenden, Patri-arch«, sagte sie kühl. »Er ist der Mann, derdie Macht hat. Er wird, falls Sie sich nichtfügen, den gesamten Stützpunkt in einenTrümmerhaufen verwandeln.«

»Das … das kann er nicht«, sagte Ponk-tong stammelnd.

Lelle Salgouz befreite einen der Kampf-gleiter aus der Schwerkraftfessel. DasWrack stieg etwa zweihundert Meter in die

Höhe und stürzte dann ab. Jetzt blieb nurnoch ein Trümmerhaufen übrig.

»Das gleiche könnte ich mit jedem vondiesen Kuppelbauten machen«, verkündeteSalgouz. »Möchten Sie eine Demonstrati-on?«

Einige andere Springer kamen zu ihnen.Sie umringten Ponktong und führten ihn zurSeite. Ein untersetzter Mann ging auf LelleSalgouz zu.

»Mein Name ist Richan. Ich hoffe, Siewerden uns Ponktong und seinen Adjutantenüberlassen.«

Fen lächelte. Es war geschafft. Sie kehrtezu dem Gleiter zurück und setzte sich hin-ein. Wenig später gesellte sich Lelle Salgouzzu ihr.

»Die Springer werden den Schaden erset-zen, den sie angerichtet haben«, berichteteer. »Von jetzt an werden beide Gruppen hierleben können. Die Händler und wir Eremi-ten.«

»Sie, Lelle, werden nicht länger hierblei-ben.«

»Doch – das werde ich. Man braucht michhier.«

»Man braucht Sie nicht nur hier, sondernauch noch woanders. Wo – das werden Siebald erfahren.«

»Ich hoffe, daß die Springer mir bald eineFlasche Schnaps bringen. Ich komme umvor Durst«, erwiderte er.

*

Lordadmiral Atlan landete auf der Ebenezwischen Kontok und dem Hang der Eremi-ten. Fenomera Falkass erwartete ihn mitdem Gleiter, den sie den Springern wegge-nommen hatte.

Der Arkonide begrüßte sie freundlich.»Sie scheinen es geschafft zu haben«,

sagte er.Fen schüttelte den Kopf.»Noch nicht«, erwiderte sie. »Salgouz hat

von den Springern etwas zu trinken bekom-men. Er ist seit zwei Tagen nicht mehr nüch-tern geworden. Und auch jetzt sieht es nicht

Der Eremit von Condagia 51

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besonders gut aus.«Atlan setzte sich in den Gleiter. Fen star-

tete.»Ich habe nicht damit gerechnet, daß Sie

kommen würden«, gestand sie. Der Arkoni-de antwortete nicht. Er blickte zum Hanghinüber, wo Arbeitsroboter von Kontok sta-bile Expeditionszelte für die Eremiten er-richteten. Die Anstrengungen der galakti-schen Händler, das Unrecht wiedergutzuma-chen, waren nicht zu übersehen.

Solange der Lordadmiral neben ihr in demGleiter saß, hatte sie nicht das Gefühl, etwasAußergewöhnliches sei geschehen. Sie wun-derte sich darüber, daß er selbst gekommenwar, und konnte keine Erklärung dafür fin-den.

Das änderte sich erst, als sie Atlan in denBungalow führte, den die Springer für Sal-gouz erbaut hatten. Er lag mitten in einemkünstlich angelegten Park. Mit knappenWorten erläuterte Fen, was geschehen warund mit welchen Mitteln Salgouz die Händ-ler eingeschüchtert hatte.

Kervania empfing sie mit verschlossenerMiene.

»Er ist im Wohnzimmer«, sagte sie. IhrTonfall verriet Fen, wie es um ihn stand.

Lelle Salgouz lag auf einem Diwan. Zweileere Flaschen standen auf dem Tisch nebenihm. Dennoch wirkte er keineswegs so be-trunken, wie Fen befürchtet hatte. Als er At-lan sah, erhob er sich langsam. Seine Wan-gen röteten sich.

»Ist das nicht etwas ungewöhnlich?« frag-te er mit schwerer Zunge.

Der Arkonide setzte sich in einen Sessel.»Keineswegs. Wenn Sie wissen, was ge-

schehen ist, werden Sie wissen, wie wichtiges für uns ist, daß Sie uns helfen.«

Salgouz schüttelte den Kopf.»Ich habe es Fen schon gesagt. Ich werde

Condagia nicht verlassen. Mein Platz isthier.«

»Ich habe Nachrichten von Stealaway.Das ist ein Planet der Sonne Snowpoke. Beidieser Welt handelt es sich um einen vorge-schobenen Stützpunkt Terras im BluesBe-

reich. Dort ist etwas geschehen, was Ihnenvielleicht bekannt vorkommen wird«, sagteAtlan, als habe er Salgouz überhaupt nichtgehört. »Ein Mann namens Bilfnei Gloddusbeherrscht den ganzen Stützpunkt. Er hatden USO-Spezialisten Neserp getötet. Vondiesem Gloddus berichtet man, daß er zu-weilen im Nichts verschwindet. Er hat im-mer mehr Macht, wenn er zurückkehrt.

Auffällig ist, daß dieser Mann aus seinerAnonymität herausgetreten ist, als Sie IhreKräfte zum erstenmal entfalten konnten. Ichglaube daher nicht an einen Zufall, sondernsehe eine deutliche Parallelität.«

Lelle Salgouz griff nach seiner Flasche.»Gloddus ist uns entkommen«, fuhr Atlan

in sachlichem Tone fort. »Aber wir werdensehr bald wieder mit ihm zu tun haben. EinMann wie er braucht Bestätigung. Es genügtihm nicht, seine Macht ohne Zeugen aus-üben zu können. Er will bewundert und ge-fürchtet werden.«

Lelle Salgouz blickte Atlan in die Augen.Er kämpfte mit sich. Endlich nickte er.

»Ich glaube, ich kenne diesen Mann«, er-klärte er. »Wir sind uns einmal im Zeitflim-mern begegnet, ohne es zu merken. Es wirdmir erst jetzt bewußt.«

»Erzählen Sie uns etwas über diesenMann«, forderte der Lordadmiral ihn auf.»Wir müssen alles über seine Fähigkeitenund die Hintergründe seines Handelns wis-sen.«

Lelle Salgouz erhob sich wortlos. Er gingins Nebenzimmer. Atlan und Fen hörten,daß Wasser lief. Minuten später kehrte erzurück. Er war gewaschen, rasiert und ge-kämmt. In neuer Kleidung sah er völlig ver-ändert aus.

»Ich weiß, daß ich meine Fähigkeitennoch einmal einsetzen muß«, sagte er brum-mig. »Ich weiß, welche Macht im Zeitflim-mern zu gewinnen ist, und ich darf wohlnicht zulassen, daß Gloddus sie bekommt.«

Er starrte Fenomera mißmutig an.»Gibt es an Bord etwas zu trinken?« frag-

te er.»Natürlich«, erwiderte sie freundlich.

52 H. G. Francis

Page 53: Der Eremit von Condagia

»Frische, kühle Milch.«»Diese Existenzebene ist die Hölle«, gab

Salgouz knurrend zurück.»Sie können natürlich auch klares Wasser

bekommen«, ergänzte Fen.»Mir wird schon jetzt schlecht.« Er blick-

te Atlan fragend an. »Was wird mit meinenbeiden besseren Dritteln?«

»Die bleiben hier.«»Einverstanden«, sagte er mürrisch. »Ich

will mich nur noch von ihnen verabschie-den, dann können wir gehen.«

ENDE

E N D E

Der Eremit von Condagia 53