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Der Experimentator: Zellkultur || Die Geschichte der Zellkultur

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Page 1: Der Experimentator: Zellkultur || Die Geschichte der Zellkultur

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Die Geschichte der Zellkultur

1.1 Meilensteine in der Zellkultur – 2

1.2 Quo vadis Zellkultur? – 6 1.2.1 Automation im Zellkulturlabor – 7 1.2.2 Tissue engineering – Gewebeersatz aus dem Labor – 8

Literatur – 11

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S. Schmitz, Der Experimentator: Zellkultur, DOI 10.1007/978-3-8274-2573-7_1, © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011

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Merkt nun den Anfang. Aus: König Heinrich VIII.

Die ersten Versuche, Gewebe bzw. Organe aus Spenderorganismen in vitro zu kultivieren, liegen schon sehr lange zurück. Die Anfänge der ange-wandten Gewebe- und Organkultur lassen sich etwa auf den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zurückdatieren. Mit der heute schon fast hoch-technisierten Art Zellen zu kultivieren, haben diese ersten Gehversuche nichts gemein. Damals be-schäft igten sich nur einige wenige Wissenschaft ler mit solchen Dingen und dies machte sie zu Exoten unter ihren Kollegen. Diese Pioniere kämpft en un-erbittlich gegen die zahlreichen Kontaminationen, die nicht beherrschbar waren, an. Damals gab es weder Sicherheitswerkbänke, wie wir sie heute ken-nen, noch hatte man Antibiotika und Antimyko-tika zur Verfügung, die man zur Vermeidung von Infektionen mit Bakterien und Pilzen ins Nähr-medium geben konnte. Erst mit der Entdeckung des Penicillins Ende der 1920er-Jahre und der Ent-wicklung wirksamer Antimykotika war es möglich geworden, die Zellkulturplagen in den Griff zu be-kommen. Auch die Standardmedien, wie sie heute in jedem Zellkulturlabor benutzt werden, wurden erst später entwickelt.

Aus diesem Grund wurden die ersten Organ- und Gewebeexplantate zunächst in Ringerlösung kultiviert. Durch diese Entdeckungen und die Ent-wicklung zelltypspezifi scher Medien trat die Zell-kulturtechnik Mitte des letzten Jahrhunderts ihren weltweiten Siegeszug an, der bis heute ungebrochen andauert. Die Zellkulturtechnik hat sich im Laufe der Jahrzehnte nicht nur zu einer der am weites-ten verbreiteten Ersatztechniken für Tierversuche entwickelt, sie hat sich darüber hinaus zu einem vielseitigen und unverzichtbaren Werkzeug für die zell- und biotechnologische Forschung gemausert. Heute gibt es kaum noch ein Labor, in dem nicht auf die eine oder andere Art Zellkultur betrieben wird. Gerade deshalb ist es aus heutiger Sicht in-teressant, einen Blick zurück auf die Anfänge der Zell- und Gewebekultur zu werfen. Machen wir eine kleine Zeitreise zurück in die Geschichte und erfahren, wie alles begann …

1.1 Meilensteine in der Zellkultur

1881 – Der deutsche Biologe August Weismann ( .   Abb.  1.1 ) vermutete, dass der Tod (des Organis-mus) deshalb stattfi ndet, weil ein »abgenutztes« Gewebe sich nicht für immer selbst erneuern kann und weil die Fähigkeit zur Vermehrung durch Zell-teilung nicht ewig, sondern begrenzt ist. »Weis-manns Ideen waren neuartig und bedeutend, aber sie stift eten auch Verwirrung, weil er sich meta-physisch ausdrückte«, sagte der britische Kollege Cyril Dean Darlington in Gesetze des Lebens über ihn. Weismanns Konzept wurde später von Alexis Carrel über Bord geworfen und war zu der Zeit, als Leonard Hayfl ick (siehe unten) mit seinen Arbeiten begann, fast vollkommen in Vergessenheit geraten. Rückblickend betrachtet ist es erstaunlich, wie nahe Weismanns damalige Überlegungen an der heute allgemein akzeptierten Meinung waren, dass zel-luläres Altern im Zusammenhang mit Alterungs-prozessen und dem Tod des Organismus stehen.

1885 – Der deutsche Anatom und Embryologe Wilhelm Roux ( .   Abb.  1.2 ) schuf mit seinen For-schungen die Grundlage für die moderne Biologie, sein Lebenswerk war die Begründung der Ent-wicklungsmechanik. In Sachen Zellkultur leistete er Pionierarbeit, da ihm bereits 1885 die erste Zell-kultur gelang, in dem er embryonale Hühnerzellen in vitro für mehrere Tage in einer Salzlösung am Leben erhielt.

1907 – Ross Granville Harrison gelang es als Ers-tem, eine einfache Methode zu etablieren, explan-tierte tierische Gewebestücke außerhalb des Kör-

. Abb. 1.1 August Weismann

Kapitel 1 •  Die Geschichte der Zellkultur

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pers wachsen zu lassen. Er experimentierte mit embryonalen Nervenfasern von Fröschen, die er in Froschlymphe wachsen ließ. Mit seinen Versuchen konnte er beweisen, dass Nervenfasern sich von einer bestimmten Zelle des Gehirns, des Rücken-marks oder eines außerhalb liegenden Ganglions entwickeln.

1910 – Warren Harmon Lewis kultivierte zunächst Knochenmarkzellen von Meerschweinchenemb-ryos im Plasma bereits älterer Embryos des Meer-schweinchens. Später kultivierte er dann Stückchen embryonalen Hühnchengewebes und schließlich gelang ihm sogar das Wachstum und die Zellver-mehrung von Zellen vieler Organe des Huhns. Er erkannte, dass die meisten, wenn nicht alle kulti-vierbaren Zellen von Zelltypen stammten, die in jedem der untersuchten Gewebe vorkamen: Binde-gewebszellen und Endothelzellen der Blutgefäße.

1908–1912 Der französische Chirurg Alexis Carrel ( .   Abb.  1.3 ) demonstrierte bereits 1908 die ersten Ergebnisse zur Organtransplantation. 1912 erhielt er dafür sowie für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Gefäßnaht den Nobelpreis für Medizin. Car-rel gilt als der »Vater« der Gewebekultur, denn auf seinen Arbeiten beruhte das Dogma der damaligen zellbiologischen Forschung, dass Zellen in Kultur unbegrenzt teilungsfähig sind. Diese Schlussfol-gerung zog Carrel aufgrund des folgenden legen-dären Versuchs: Er kultivierte einen Gewebeschnitt aus dem Herzmuskel eines Hühnerembryos in Kulturmedium. Die Fibroblasten aus diesem Pri-märgewebe sollen 34 Jahre (!) lang kontinuierlich gewachsen sein und sogar rhythmisch geschlagen

haben. Das führte zu der allgemeinen Annahme, dass sich alle Säugerzellen in der Zellkultur unbe-grenzt teilen können. Allerdings überrascht es aus heutiger Sicht nicht, dass Carrels Ergebnisse bisher von keinem anderen Wissenschaft ler reproduziert werden konnten. Der Grund: Carrel machte einen experimentellen Fehler, von dem er vermutlich wusste, den er jedoch nie eingestand. Er »fütter-te« die Fibroblasten täglich mit einem Extrakt aus Hühnerembryogewebe. Dieses wurde unter Bedin-gungen extrahiert, die es erlaubten, dass die Fibro-blastenkultur bei der täglichen Gabe des Extrak-tes mit frischen lebenden Zellen versorgt wurde. Deshalb konnte die primäre Fibroblastenkultur so lange überdauern. Das Dogma der unbegrenzten Teilungsfähigkeit von Zellen in vitro war etwa 40 Jahre lang die herrschende Meinung der Zellbio-logen, bis es von Leonard Hayfl ick und Paul Moor-head widerlegt wurde.

1928 – Die Entdeckung des Penicillins durch Sir Alexander Fleming ( .   Abb.  1.4 ) ist aus heutiger Sicht ein Segen für die Zellkultur, da mit dieser Substanz die häufi gste Zellkulturplage, nämlich die Kontamination mit Bakterien, endlich beherrsch-bar wurde. Bei seiner Entdeckung kam Fleming der Zufall zu Hilfe. Er arbeitete als Bakteriolo-ge in einer Klinik, als ihm eine Panne bei seiner Bakterienkultur passierte: In einer von Flemings Bakterienkulturen hatte sich ein Schimmelpilz ein-genistet. Das war damals nichts Ungewöhnliches und schon vielen anderen Bakteriologen passiert. Während diese jedoch die »verdorbene« Kultur verwarfen, bemerkte Fleming, dass rund um den Pilz Penicillium notatum der Bakterienrasen ver-

. Abb. 1.2 Wilhelm Roux . Abb. 1.3 Alexis Carrel

1.1 •  Meilensteine in der Zellkultur1

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schwunden war. Mit einer verdünnten Lösung der bakterientötenden Substanz behandelte Fleming später Wunden und Augeninfektionen. Trotz der Veröff entlichung seiner Ergebnisse blieb diese sen-sationelle Entdeckung lange Zeit unbeachtet. Ein-zig der Entdeckung des ersten Sulfonamids durch die Bayer AG wenige Jahre später schenkte man Beachtung. Das änderte sich erst, als 1939 das Peni-cillin biochemisch isoliert und 1940 seine Heilwir-kung erfolgreich an Mäusen bewiesen wurde. Mit der Entdeckung des Penicillins war zwar der Weg für eine weltweite Verbreitung der Zellkulturtech-nik frei, es dauerte dennoch etwa weitere 20 Jahre, bis die Zellkultur in großem Maßstab Einzug in die Labors hielt.

1938 – Die beiden Genetiker Hermann Joseph Muller ( .   Abb.  1.5 ) und Barbara McClintock ( .   Abb.  1.6 ) belegten die Bedeutung der Telomere für die Stabilität der Chromosomen . Sie konnten zeigen, dass die Telomere verhindern, dass Chro-mosomenenden miteinander fusionieren. Über die Funktion der Telomere bei der Zellteilung war da-mals noch nichts bekannt.

Späte 1940erJahre – Die Pionierarbeiten von Ear-le, Hanks, Eagle, Dulbecco und Ham führten zur Entwicklung defi nierter Zellkulturmedien , die bis heute die Standardmedien für die Kultivierung von Primärkulturen sowie etablierter Zelllinien darstel-len.

1950 – Die Entdeckung des ersten spezifi schen Antimykotikums Nystatin , gefolgt von der Entde-

ckung von Amphotericin B im Jahre 1957, verhalf nicht nur der Mykologie, sondern auch der Zell-kulturtechnik zu einem Aufschwung.

1951 – Die Entdeckung des Zellzyklus durch Alma Howard und Stephen Pelc war bahnbrechend, da sie als Erste zeigen konnten, dass es einen Zeitrah-men für zelluläres Leben gibt. Sie postulierten die Existenz von vier Zellzyklusphasen und bestimm-ten mittels Autoradiographie deren Länge. Auf ihre Publikation geht die Bezeichnung der Zellzyklus-phasen, wie wir sie heute kennen, zurück.

1952 – HeLa war die erste epithelähnliche Zelllinie, die von menschlichem Gewebe stammte und durch eine permanente in-vitro -Kultur bis heute aufrecht-erhalten wird. HeLa wurde von George Otto Gey und seinen Kollegen aus dem Biopsiematerial des Zervixkarzinoms (Gebärmutterhalskrebs) einer 31-jährigen Schwarzen aus Baltimore isoliert. Die Patientin, He nrietta La cks, war unfreiwillige Spen-

. Abb. 1.5 Hermann Muller

. Abb. 1.6 Barbara McClintock

Kapitel 1 •  Die Geschichte der Zellkultur

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. Abb. 1.4 Sir Alexan-der Fleming

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derin und Namensgeberin dieser Zelllinie, denn sie wusste zu ihren Lebzeiten nicht, dass ihre Tu-morzellen zu Gey’s Labor geschickt und dort in Rollerfl aschen kultiviert wurden. Aus dieser Kul-tur wurde die erste immortale Zelllinie etabliert, die man erst Henrietta und später HeLa nannte. Seither ist sie eine der weltweit am meisten unter-suchten Zelllinien und ihre bis heute durch Zellver-mehrung propagierte Gesamtmasse übersteigt die ursprüngliche Körpermasse von Henrietta Lacks um ein Vielfaches. Leider ist ihre Beliebtheit so-gar schon zu einem Problem geworden, denn die Kreuzkontamination von Originalkulturen anderer Zelllinien mit HeLa-Zellen ist inzwischen legendär.

1953–1956 publizierten Wilton Earle und seine Kollegen Studien über proteinfreie chemisch defi -nierte Medien für die Kultur von subkutanen Bin-degewebszellen der Maus (L Stamm).

1961 – Leonard Hayfl ick ( .   Abb.  1.7 ) und Paul Moorhead widerlegen das auf Carrels Arbeiten beruhende Dogma der unbegrenzten Replika-tionsfähigkeit von Zellen in vitro . Sie entdeckten, dass Zellen nicht unbegrenzt teilungsfähig sind, sondern nach etwa 50 Zellverdopplungen abster-ben. Hayfl ick selbst nannte diese Beobachtung das » Phase-III-Phänomen « und postulierte, dass es für das replikative Limit von Zellen eine Art Uhr oder Zeitmechanismus geben muss, der die mut-maßliche Anzahl molekularer Ereignisse »zählt«. Mit diesen Ereignissen war nicht etwa die Zahl der Subkulturen gemeint, sondern die DNAReplika-

tionsrunden, die von dem so genannten » Repliko-meter « gezählt werden.

1962 – Hayfl ick entwickelt den ersten menschlichen diploiden Zellstamm WI-38 aus dem Lungengewe-be eines drei Monate alten weiblichen Embryos. Diese Zellen werden bis heute in der Herstellung von Impfstoff en eingesetzt. Hayfl ick führte einen sechs Jahre andauernden Streit mit den nationalen Gesundheitsbehörden um die Rechte an der daraus entwickelten Zelllinie – und gewann. Seither dür-fen amerikanische Forscher die Verwertungsrechte für ihre Entdeckungen behalten, auch wenn deren Forschung durch nationale Mittel fi nanziert wurde.

1964 – Littlefi eld führt das HAT-Medium (Hypox-anthin-Aminopterin-Th ymidin-Medium) ein, wo-durch erstmals die Anzucht somatischer Zellhybri-de möglich wurde.

1965 – Richard Ham führt ein defi niertes, serum-freies Anzuchtmedium (Ham’s F12) ein.

1974 – MacFarlane Burnet ( .   Abb.  1.8 ) prägt den Begriff Hayfl ick-Limit , um Hayfl icks Beobachtung der begrenzten Teilungsfähigkeit von normalen Zellen zu beschreiben und diese gegen Krebszellen abzugrenzen, die gewöhnlich unsterblich werden.

1975 – George F. Köhler und César Milstein be-schreiben erstmals die Dauerkultur fusionierter Zellhybride, die als erste Hybridoma-Zelllinie für die Antikörper-Produktion eingesetzt wurde.

. Abb. 1.7 Leonard Hayfl ick (mit freundlicher Genehmigung L. Hayfl ick)

. Abb. 1.8 MacFarlane Burnet

1.1 •  Meilensteine in der Zellkultur1

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1975 – Woodring Wright, damals als Doktorand in Hayfl icks Labor, konnte zeigen, dass das so genann-te » Replikometer« im Zellkern lokalisiert ist.

1978 – Elizabeth Blackburn entdeckt die Sequenz der Telomere des Ciliaten Tetrahymena thermophi-lus .

1981 – Hayfl ick und seine Kollegen transformieren eine normale humane Zellpopulation in eine un-sterbliche (immortalisierte) Zelllinie mittels eines chemischen Karzinogens und Strahlung.

1981 – Erstmalige Isolierung von embryonalen Mausstammzellen des Blastocystenstadiums. Wei-terführende Arbeiten auf diesem Gebiet führten zur Herstellung von »Knock out«-Mäusen durch Manipulationen der Keimbahn. Für diese Arbeiten erhielten die »Väter der Knock out-Maus« Martin J. Evans ( .   Abb.  1.9 ), Marop Capecchi und Oliver Smithies im Jahre 2007 den Nobelpreis für Physio-logie oder Medizin.

1985 – Carol Greider entdeckt die Telomerase .

1990 – Calvin Harley kann zeigen, dass sich die Telomere normaler humaner Zellen in der Zell-kultur verkürzen, wenn sie sich dem Hayfl ickLimit nähern.

1994 – Jerry Shay und Wissenschaft ler der Bio-pharmafi rma Geron beweisen, dass das Enzym Telomerase in allen von Tumoren abstammenden

Zelllinien und in 90% von humanen Primärtumo-ren vorhanden ist.

1998 – Woodring Wright und Geron führen den Nachweis, dass die ektopische Expression (ekto-pisch bedeutet nicht am physiologischen Ort be-fi ndlich; an einer untypischen Stelle) von Telome-rase in normalen Fibroblasten und epithelialen Zellen zur Umgehung des Hayfl ick-Limits führt. Sie konnten damit beweisen, dass die Telomere, die natürlichen Enden der Chromosomen, das von Hayfl ick postulierte »Replikometer« sind.

2000 – Jerry Shay und Woodring Wright zeigen anhand des Tiermodells der Scid-Maus wie hTERT-immortalisierte Zellen bei der Entwicklung von Techniken zum Gewebeersatz ( tissue engineering ) eingesetzt werden können.

Diese Entdeckungen waren echte Highlights in der Geschichte der Zellkultur. Viele waren zu jener Zeit bahnbrechend und legten den Grundstein für die moderne zellbiologische Forschung. Außer die-sen Meilensteinen hat sich aber noch vieles mehr auf dem Gebiet der Zellkultur getan, von dem der ganz normale Zellkulturexperimentator im Laboralltag profi tiert. So gibt es unzählige kleine Fortschritte und Weiterentwicklungen, die alle dazu beitragen, die Zellkulturtechnik zu verbessern und die Be-quemlichkeit und die Sicherheit für den Anwender zu erhöhen. Außerdem hat sich das Bewusstsein für den Umgang mit Kontaminationen in der Zell-kultur geändert und zu einem breiten Angebot an Produkten geführt, mit denen man seine Kulturen testen und gegebenenfalls behandeln kann.

1.2 Quo vadis Zellkultur?

Zukunft sweisende Fortschritte in der Zellkultur-technik sind in ganz unterschiedlichen Bereichen spürbar und setzen Trends für die angewandte Zell-kultur. Durch den vermehrten Einsatz von drei-dimensionalen Zellkulturen etwa wird versucht, den in vivo -Bedingungen so nahe wie möglich zu kommen. Davon profi tiert die Übertragbarkeit von in vitro -Ergebnissen auf die in vivo -Situation. Auch die Laborautomation gewinnt gerade für die Zellkulturroutine zunehmend an Attraktivität

. Abb. 1.9 Martin J. Evans im Jahr 2007 (Photo: Cardiff University)

Kapitel 1 •  Die Geschichte der Zellkultur

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und nicht zuletzt ist es den großen Fortschritten beim tissue engineering zu verdanken, dass das Re-sultat dieses Forschungszweiges, nämlich das Er-satzgewebe direkt dem Menschen zugute kommt. Während auf das Th ema 3D-Kultur ausführlich in einem methodischen Beitrag in Kapitel  14.3 ein-gegangen wird, sollen an dieser Stelle die beiden anderen Gebiete kurz vorgestellt werden.

1.2.1 Automation im Zellkulturlabor

Die steigenden Anforderungen an die Qualität der Zellkulturtechnik besonders in der Industrie sind der Motor für die Entwicklung technischer Lösun-gen, die früher wie Zukunft smusik klangen: Das vollautomatisierte Zellkultursystem. Solche Syste-me sind inzwischen keine Utopie mehr, sondern längst Wirklichkeit geworden. Es gibt mehrere automatisierte Zellkultursysteme für ganz unter-schiedliche Anwendungen auf dem Markt, so etwa von TAP (Th e Automation Partnership) und Tecan Deutschland GmbH. An dieser Stelle soll das Sys-tem der Firma PAN-Systech GmbH exemplarisch vorgestellt werden.

Das System PANsys 3000 ( .   Abb.  1.10 und 1.11 ) verfügt über ein Multikammer-System mit sechs Zellkulturkammern, unterteilt in zwei Einheiten zu je drei Kammern. Diese speziell für die Automa-tion entwickelten Kammern sind einzeln beheizbar und stellen damit das Herzstück des Systems dar ( Abb.  1.2 ). Die Gasversorgung mit CO 2 und O 2 wird über eine integrierte Begasungseinheit gesteuert. Benötigte Lösungen wie Nährmedien und Supple-mente werden in einem Kühlbehälter aufb ewahrt, der sich unter dem Kammersystem befi ndet. Von dort werden die Zellen vollautomatisch mittels eines Schlauchpumpensystems mit Medium und anderen benötigten Substanzen versorgt. Weitere Systemkomponenten sind das obligatorische Pha-senkontrastmikroskop samt Steuerung sowie die Flüssigkeits- und Steuerelektronik. Um den Zellen beim Wachsen zuschauen zu können, darf die PC-basierte Kontroll- und Analyseeinheit nicht fehlen.

Was leistet ein solches System noch? Lebend-Zell-Analysen im Zeitraff er oder Langzeitbeobach-tungen auch unter Einsatz von 6-Kanal-Fluores-zenz sind möglich. Das ist aber noch nicht alles. Ein Ventilblock steuert die Verteilung von Testsubstan-zen auf die einzelnen Kammern. Damit vollzieht man den Sprung von der simplen Versorgung der

. Abb. 1.10 Das automatisierte Zellkultursystem PANsys 3000

. Abb. 1.11 Das Herzstück des PAN-sys 3000 – Das Multikammersystem mit Anschlüssen

1.2 •  Quo vadis Zellkultur?1

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Zellen zum automatisierten Experiment. Damit das System den Anwenderwünschen folgt, muss es mit den entsprechenden Informationen gefüttert wer-den. Dies geschieht über eine computergesteuerte Kontrolleinheit, die der Einstellung, Überwachung und auch der Auswertung der gewünschten Kul-turparameter dient. Die Soft ware beinhaltet zahl-reiche Steuerungsfunktionen, mit denen die Zellen gekühlt, geheizt, begast und mit Nährstoff en ver-sorgt werden können. Außerdem wird mit ihr das optische System angesteuert, wodurch die Kamera positioniert, die Beleuchtung reguliert und letzt-lich auch die automatische Bildaufnahme der ein-zelnen Kammern ausgelöst wird. Wählt man den Menüpunkt »Analyse«, können soft waregesteuert Wachstumsparameter analysiert und die aufge-nommenen Bilder ausgewertet werden.

Damit Versuchsanordnungen auch in größe-rem Maßstab durchgeführt werden können, ist mittlerweile ein automatisiertes Zellkultursystem für Hochdurchsatzanalysen entwickelt worden – das PANsys 4000 . Dieses System ist geeignet für Mikrotiterplatten oder Zellkulturfl aschen. Nach den Auskünft en der Herstellerfi rma sind mit die-sem System derart viele unterschiedliche Anwen-dungen möglich, dass Assays von Apoptose bis hin zur Wundheilung kein Problem darstellen. Die Vorteile automatisierter Systeme liegen auf der Hand. Wo Maschinen arbeiten, reduziert sich der Personalaufwand auf ein Minimum und der Faktor »menschlicher Fehler« entfällt (meistens). Die lü-ckenlose Dokumentation macht die Nachvollzieh-barkeit der erhobenen Daten einfach und stabile Kulturbedingungen sorgen für eine hohe Reprodu-zierbarkeit der Ergebnisse. Zudem lässt sich Zeit und Geld sparen. Zeitraubende und nervige Rou-tineaufgaben können von diesen Systemen über-nommen werden, der Mensch wird entlastet und gewinnt mehr Zeit für die interessanten Projekte.

1.2.2 Tissue engineering – Gewebeersatz aus dem Labor

Tissue engineering – was ist das eigentlich? Man versteht darunter die in vitro -Züchtung von funk-tionalem implantationsfähigem Ersatzgewebe aus wenigen autogenen (körpereigenen) Zellen eines

Spenders. Die Forschung auf diesem Gebiet wird genährt durch die Hoff nung, dass es eines Tages möglich sein wird, geschädigtes menschliches Ge-webe mit »Ersatzteilen aus der Retorte« zu ergänzen oder sogar völlig zu ersetzen. Dieses Forschungsge-biet steckt einerseits noch in den Kinderschuhen. Andererseits wurden in den letzten Jahren in eini-gen Bereichen beachtliche Fortschritte erzielt. Ziel des tissue engineering ist es, die Ersatzgewebe zur Th erapie von Krankheiten einzusetzen. Das mag wie Science Fiction klingen, ist aber teilweise schon medizinischer Alltag. Bisher am besten erforscht ist der Ersatz der menschlichen Haut, um diese z. B. Verbrennungsopfern mit großfl ächig zerstörten Hautarealen zu implantieren. Auch die Züchtung von Knorpel und Knochen für die Anwendung in der Orthopädie, Chirurgie und Zahnmedizin ist mittlerweile weit gediehen.

Bei all diesen Anwendungsgebieten geht es da-rum, vitale Zellverbände an die defekte Stelle zu bringen. Wie macht man das? Hierzu gibt es zwei verschiedene Verfahren – die » off the shelf «-Tech-nik und die Kultivierung auf Trägergerüsten. Bei der off the shelf -Technik kommen natürliche oder künstliche Trägermaterialien zum Einsatz, die mit autogenen Zellen, d. h. von einem Lebewesen der gleichen Spezies, besiedelt werden. Dies können Fibroblasten, Keratinocyten oder mesenchymale Stammzellen sein. Ein solches Konstrukt wird zu-nächst kultiviert und anschließend eingefroren. Auf diese Weise konserviert, überstehen sie etwa ein Jahr in der Kälte, wobei die Lebensdauer allo-gener Zellen (das bedeutet von einem Spender der gleichen Spezies) im Vergleich zu autogenen Zellen geringer ist. Diese Technik wird derzeit hauptsäch-lich bei Hautersatz angewendet.

Das zuletzt genannte Verfahren benutzt Träger-gerüste, so genannte scaff olds . Nach der Entnahme autogener Zellen aus dem Spenderorganismus wer-den bestimmte gewebetypische Zellen isoliert und vermehrt. In einem zweiten Schritt werden sie auf einem biologisch abbaubaren Trägermaterial kul-tiviert und später in den Bereich des defekten Ge-webes implantiert. Im Idealfall kommt es zur voll-ständigen Absorption des Trägermaterials, so dass nur das Ersatzgewebe zurückbleibt.

Das alles hört sich einfacher an als es ist, denn es kann bei den unterschiedlichen Schritten zu unge-

Kapitel 1 •  Die Geschichte der Zellkultur

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wollten Eff ekten kommen. Beispielsweise können durch den Einsatz von Enzymen bei der Isolierung der benötigten Zellen die Zelloberfl äche oder auch Rezeptoreigenschaft en verändert werden. Eine Al-ternative besteht darin, undiff erenzierte Zelltypen aus mesenchymalen Stammzellen zu gewinnen. Aus solchen Stammzellen können verschiedene Gewebe diff erenziert werden (vergleiche hierzu 7 Kap. 14.2 ). Die präzise Steuerung der Zelldiff eren-zierung im Labor stellt eine Herausforderung dar. Damit nicht genug, muss sich der Gewebeersatz nach der Implantation an der richtigen Stelle an-haft en, dort verbreiten und auch die gewünschten Funktionen übernehmen.

Eine weitere Möglichkeit des tissue engineering besteht in der Lebendkonservierung von Gewe-be. Das ist vergleichbar mit einer Eigenblutspen-de, bei der das Blut vor einem operativen Eingriff entnommen, gelagert und während der OP dem Spender wieder zugeführt wird. Auch wenn Binde-gewebe der Mundschleimhaut benötigt wird, um eine Wunde zu verschließen, kann dieses Verfahren angewendet werden. Dazu wird die entnommene Mundschleimhaut in einem Perfusionscontainer aufb ewahrt und später zum Wundverschluss ver-wendet. Solche Techniken haben sich in der Mund- und Kieferchirurgie bereits gut etabliert.

Wo werden Ersatzgewebe noch verwendet? Gute Fortschritte beim tissue engineering wur-den bei der Chirurgie von Knorpelschäden er-reicht. Dazu werden Knorpelstückchen, z. B. aus dem Kniegelenk, entnommen, die Knorpelzellen (Chondrocyten) für einige Wochen kultiviert und vermehrt, um sie schließlich dem Patienten wieder zu implantieren. Voraussetzung für den Behand-lungserfolg ist allerdings die vorherige Korrektur von Fehlstellungen der Beine und die Stabilisie-rung der Bänder des Kniegelenks. Nur geringe Erfolge werden erzielt, wenn der Meniskus durch rheumatische Prozesse massiv geschädigt ist. Eine Weiterentwicklung dieser Transplantationstechnik stellt die so genannte autogene Chondrocyten-Transplantation (ACT) dar. Hierbei werden die im Labor vermehrten Knorpelzellen in die defekte Stelle gespritzt. Damit sie eine dreidimensionale Struktur annehmen können, müssen zuvor kleine Knochenlappen aus einem anderen Knochenareal

entfernt und die geschädigte Stelle damit überzo-gen werden.

Die größten Erfolge beim tissue engineering sind bei der Züchtung von Knochenzellen zu ver-zeichnen. Wurden früher unter chirurgischem Ein-satz Knochenstücke aus unbeschädigten Bereichen, wie etwa dem Becken entnommen, so ist dies durch die Verwendung autogener, im Labor gezüchteter Zellen überfl üssig geworden. Am häufi gsten dienen solche Techniken dem Ersatz von fehlendem Kno-chenmaterial besonders bei Kiefer- oder anderen Gesichtsknochen. Der Knochenschwund in diesem Bereich führt häufi g zu Zahnverlust. Zahnimplan-tate mit künstlichen Zahnwurzeln können aber nur dann im Kieferknochen verankert werden, wenn genügend Knochensubstanz vorhanden ist. Meist wird körpereigenes oder künstliches Ersatzgewebe verwendet.

Seit Anfang der 1980er Jahre werden Haut-transplantationen vorgenommen. Hierbei handelt es sich um Eigenhaut, die zuvor an einer anderen intakten Stelle entnommen wurde. Inzwischen ist es durch verbesserte Techniken möglich, sogar Vollhaut mit allen drei funktionalen Schichten zu transplantieren, um kleine aber tiefe Hautdefekte zu behandeln. Eine andere Methode besteht dar-in, hauchdünne Oberhautschichten (Spalthaut) zu transplantieren oder aber Eigenhaut zu züchten. Die Spalthautmethode eignet sich besonders gut für die Abdeckung großer Hautareale, wie sie etwa bei Schwerstverbrannten auft reten. Dazu werden beispielsweise aus dem Oberschenkel ca. 0.3  mm dicke Hautstreifen entnommen und in diese, mit-tels Chirurgie, kleine Schnitte gesetzt. Auf diese Weise entsteht ein Hautnetz, welches auseinander gezogen, etwa um das Dreifache größer ist als die ursprüngliche Größe. Wenn allerdings mehr als 70% der Haut zerstört ist, reicht diese Technik allein nicht mehr aus, um derart große Wunden zu verschließen. Daher versucht die Grundlagen-forschung Haut aus der Retorte zu züchten. Dies ist jedoch angesichts der enormen Komplexität dieses Organs ein schwieriges Unterfangen. Die kultivierten Zellen werden auf diverse Matrizes wie etwa Kollagennetze oder Fibrinkleber aufge-tragen. Mittlerweile Standard ist die Züchtung von Oberhautzellen auf Fibroblasten, wobei ein solches Transplantat nur dann funktioniert, wenn noch ein

1.2 •  Quo vadis Zellkultur?1

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Teil der Lederhaut intakt ist. Ist auch die Unterhaut geschädigt, führt diese Vorgehensweise nicht zum Erfolg. Eine Schwierigkeit bei der autogenen Haut-zelltransplantation ist, dass die Züchtung etwa drei Wochen dauert, was bei schweren Verbrennungen angesichts des großen Sepsisrisikos oft zu lang ist. Zur kurzfristigen Abdeckung bei großen Hautde-fekten oder Problemwunden werden daher Trans-plantate aus körperfremder (allogener) Haut einge-setzt. Zwar wird diese Haut später abgestoßen, die durch die Th erapie angeregte Produktion bestimm-ter Botenstoff e kann aber off enbar die Wundhei-lung verbessern. Bisher werden die besten Ergeb-nisse immer noch mit der Spalthauttechnik erzielt. Solche so genannten Meshgraft -Transplantate füh-ren aber später zu Schrumpfungen, Vernarbungen und Farbabweichungen der Haut. Aus dem Grund arbeitet man ständig an der Verbesserung des tissue enginnering . Forschern aus der Schweiz ist es in-zwischen gelungen, innerhalb von 2 Wochen 2 cm 2 große Hautareale zu züchten und diese dann dem Patienten zu transplantieren.

Auch für die Nervenrekonstruktion in der plas-tischen Chirurgie ist der Gewebeersatz aus dem Labor eine geeignete Alternative und zwar bei peri-pheren Nervenschäden, die durch Unfälle, Tumor-resektionen oder Geburtstraumata bedingt sind. Periphere Nervenverletzungen, das heißt Schädi-gungen an den Fortsätzen von Nerven oder von Nervenfaserbündeln, kommen wesentlich häufi ger vor als Schädigungen des zentralen Nervensystems. Das aktuelle in der Klinik angewandte Th erapie-konzept zur Nervenrekonstruktion ist die auto-gene Transplantation eines Nerven, wie z. B. des Nervus suralis (sensibler Nerv des Unterschenkels) oder anderer peripherer Nerven. Diese Methode hat jedoch Nachteile, denn das Auswachsen des neuen Nervs verläuft zum einen nur sehr langsam und zum anderen können ausgedehnte, d. h. lang gestreckte Nervenschädigungen nicht überbrückt werden. Außerdem ist das verfügbare Nervenma-terial begrenzt. An dieser Stelle ist ein großer Be-darf für Alternativmethoden auf der Basis des tissue engineering erkennbar.

Neueste Forschungen fokussieren auf ein bio-logisches Material, das nicht vom Menschen, son-dern von einer Spinne stammt (Allmeling et al., 2007). Wissenschaft ler fanden heraus, dass die

Schleppfäden von Radnetzspinnen der Gattung Nephila clavipes sich sehr gut für die Kultivierung von Schwann-Zellen einsetzen lassen. Diese Spin-nenfäden wurden auf ihre Bioverträglichkeit und Eigenschaft en in vitro untersucht und man fand heraus, dass die Spinnenseide ein höchst verträg-liches und proliferationsförderndes Biomaterial ist. Welche Rolle spielen die Spinnenfäden bei der Ner-venrekonstruktion? Der erste Schritt ist die Aussaat von Schwann-Zellen auf die Spinnenfäden und de-ren anschließende Kultivierung. In einem zweiten Schritt werden zur Herstellung von Nervenkonst-rukten die mit den Nervenzellen besiedelten Spin-nenfäden in azelluläre Venolen eingezogen. Dabei handelt es sich entweder um spendereigene oder artfremde azellularisierte Gefäße, die als Hüllkons-trukt für das gerichtete Auswachsen der Nervenzel-len dienen. Bereits nach einer Woche Kulturdauer lässt sich eine deutliche Ausrichtung von vitalen Schwann-Zellen entlang der Spinnenfäden erken-nen. Solche experimentellen Ansätze des tissue engineering sind sehr modern und lassen auf neue Möglichkeiten für die Neuroregeneration hoff en.

Wo liegen die Grenzen des tissue engineering ? Bisher ist es nicht möglich, ganze Organe zu züch-ten, da deren komplexe Struktur und Funktion im Labor nicht imitiert werden können. Betrachtet man beispielsweise eine Leber unter dem Mikro-skop, erkennt man kleine lappenförmige Struk-turen, die so genannten Lobuli. Die menschliche Leber besteht aus etwa 1,5 Millionen solcher Lobuli. Jedes dieser Läppchen ist eine funktionelle Produk-tionseinheit, die die komplette Funktion der Leber im Kleinen widerspiegelt. Dieses Funktionsprinzip gilt auch für die Niere und die Haut, sogar das Ge-hirn funktioniert in Einheiten. Diese Gegebenheit ist vermutlich der Grund dafür, dass Organe bisher in vitro nicht nachgebaut werden konnten. Da jede funktionelle Einheit eines Organs aus verschiede-nen Zelltypen besteht, die arbeitsteilig miteinander interagieren, kommt der unmittelbaren zellulären Umgebung, dem so genannten Mikromillieu, be-sondere Bedeutung zu. Eine Zelle fühlt sich nur wohl, wenn sie die »richtigen« Nachbarzellen um sich herum hat. Zudem ist die Kommunikation zwischen den Zellen für deren Funktion essen-ziell, so etwa für den Stoff austausch. An dem einen Ende eines Leber-Läppchens sind bestimmte Stoff e

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anders konzentriert als am anderen Ende. Damit die Zellen funktionieren, brauchen sie genau diese Gradienten. Hier liegt der Hase im Pfeff er, denn mit nur einem bestimmten Zelltyp in einem zwei-dimensionalen Gefüge kann die Komplexität gan-zer Organe nicht abgebildet werden. Das bedeutet, dass man wohl noch lange auf Organe aus der Re-torte wird warten müssen. Ob und wann das jemals gelingen wird – diese Frage kann jetzt noch nicht beantwortet werden

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Kapitel 1 •  Die Geschichte der Zellkultur

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