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Lutz Röhrich, Freiburg Der Froschkönig und seine Wandlungen Das Grimmsche Märchen vom Froschkönig (KHM l, AaTh 440) hat nicht nur Märchenforscher zu Interpretationen und Deutungen angeregt 1 , sondern auch Dichter und Schriftsteller, Kinderbuchautoren, Parodisten und Cartooni- sten verlockt, sich mit diesem Stoff zu befassen. Einige Beispiele sollen hier vorgestellt werden. Die Sammlung Neue Gedichte der 1974 in Bollschweil bei Freiburg verstor- benen Dichterin Marie Luise Kasdmitz enthält ein Gedicht mit dem Titel Bräutigam Froschkönig 2 : Wie häßlich ist Dein Bräutigam Jungfrau Leben Eine Rüsselmaske sein Antlitz Eine Patronentasdie sein Gürtel Ein Flammenwerfer Seine Hand Dein Bräutigam Frosdikönig Fährt mit Dir (Ein Rad fliegt hierhin, eins dorthin) Über die Häuser der Toten 1 Panzer, F. (ed.): Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Vollständige Ausgabe in der Urfassung. Wiesbaden s.a., 44—47; Mackensen, L. (ed.): Hand- wörterbuch des deutschen Märchens 2, 267—274, Artikel „Froschkönig* von Grun- wald; Beit, H. von: Symbolik des Märchens 2. Bern 1956, 34—42; Schoof, W.: Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich. Ein Beitrag zur Stilentwicklung der Grimmschen Märchen. In: Wirkendes Wort 7 (1956/57) 45—49; Lüthi, M.: Volks- märdien und Volkssage. Zwei Grundformen erzählender Dichtung, Bern/München 1961, bes. 9—13; von der Leyen, F.: Das deutsche Märchen und die Brüder Grimm. Düsseldorf/Köln 1964; Jockei, B.: Das Reifungserlebnis im Märchen. In: Märchen- forschung und Tiefenpsychologie (Wege der Forschung 102). Darmstadt 1969, 195— 211, bes. 205 sqq.; Kahn, O.: Die gerettete Frau in den Froschkönigsfällen (KHM l, AaTh 440). In: Die Freundesgabe (Jahrbuch der Gesellschaft zur Pflege des Mär- chengutes der europäischen Völker 1970) 34—45; Schliephacke, B. P.: Der Frosch- könig Urbild menschlicher Konflikte. In: Märchen, Seele und Sinnbild. Neue Wege zu altem Wissen. Münster 1974, 55—63; Rölleke, H. (ed.): Die älteste Märdiensammlung der Brüder Grimm. Cologny-Geneve 1975, 144—146; Gutter, A.: Es ist ein Band von meinem Herzen ... Zur Bedeutung des Märchens „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich" für die Psychohygiene (Schriften zur Kin- der- und Jugendliteratur). Solothurn 1976; Bettelheim, B.: Kinder brauchen Mär- chen. Stuttgart 1977, 273—278; Titel der amerikanischen Originalausgabe: The Uses of Enchantment, New York 1977. 2 Kaschnitz, M. L.: Neue Gedichte. Hamburg 1957. 0014-6242/79/2001-0015 $ 2.00 Copyright by Walter de Gruyter & Co. Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/10/13 5:52 AM

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L u t z R ö h r i c h , F r e i b u r g

Der Froschkönig und seine Wandlungen

Das Grimmsche Märchen vom Froschkönig (KHM l, AaTh 440) hat nichtnur Märchenforscher zu Interpretationen und Deutungen angeregt1, sondernauch Dichter und Schriftsteller, Kinderbuchautoren, Parodisten und Cartooni-sten verlockt, sich mit diesem Stoff zu befassen. Einige Beispiele sollen hiervorgestellt werden.

Die Sammlung Neue Gedichte der 1974 in Bollschweil bei Freiburg verstor-benen Dichterin Marie Luise Kasdmitz enthält ein Gedicht mit dem TitelBräutigam Froschkönig2:

Wie häßlich istDein BräutigamJungfrau LebenEine Rüsselmaske sein AntlitzEine Patronentasdie sein GürtelEin FlammenwerferSeine HandDein Bräutigam FrosdikönigFährt mit Dir(Ein Rad fliegt hierhin, eins dorthin)Über die Häuser der Toten

1 Panzer, F. (ed.): Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. VollständigeAusgabe in der Urfassung. Wiesbaden s.a., 44—47; Mackensen, L. (ed.): Hand-wörterbuch des deutschen Märchens 2, 267—274, Artikel „Froschkönig* von Grun-wald; Beit, H. von: Symbolik des Märchens 2. Bern 1956, 34—42; Schoof, W.:Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich. Ein Beitrag zur Stilentwicklung derGrimmschen Märchen. In: Wirkendes Wort 7 (1956/57) 45—49; Lüthi, M.: Volks-märdien und Volkssage. Zwei Grundformen erzählender Dichtung, Bern/München1961, bes. 9—13; von der Leyen, F.: Das deutsche Märchen und die Brüder Grimm.Düsseldorf/Köln 1964; Jockei, B.: Das Reifungserlebnis im Märchen. In: Märchen-forschung und Tiefenpsychologie (Wege der Forschung 102). Darmstadt 1969, 195—211, bes. 205 sqq.; Kahn, O.: Die gerettete Frau in den Froschkönigsfällen (KHM l,AaTh 440). In: Die Freundesgabe (Jahrbuch der Gesellschaft zur Pflege des Mär-chengutes der europäischen Völker 1970) 34—45; Schliephacke, B. P.: Der Frosch-könig — Urbild menschlicher Konflikte. In: Märchen, Seele und Sinnbild. NeueWege zu altem Wissen. Münster 1974, 55—63; Rölleke, H. (ed.): Die ältesteMärdiensammlung der Brüder Grimm. Cologny-Geneve 1975, 144—146; Gutter,A.: Es ist ein Band von meinem Herzen ... Zur Bedeutung des Märchens „DerFroschkönig oder der eiserne Heinrich" für die Psychohygiene (Schriften zur Kin-der- und Jugendliteratur). Solothurn 1976; Bettelheim, B.: Kinder brauchen Mär-chen. Stuttgart 1977, 273—278; Titel der amerikanischen Originalausgabe: TheUses of Enchantment, New York 1977.

2 Kaschnitz, M. L.: Neue Gedichte. Hamburg 1957.

0014-6242/79/2001-0015 $ 2.00Copyright by Walter de Gruyter & Co.

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Der Froschkönig und seine Wandlungen 171

Zwischen zweiWeltuntergängenPreßt er sichin Deinen SchoßIm Dunkeln nurErtastest DuSein feuchtes HaarIm MorgengrauenNur imMorgengrauenErblickst Du seineTraurigenSchönenAugen.

Das Zaubermärchen und speziell die Tierbräutigamerzählungen verlangenihrem Wesen nach die Erlösung. Doch Lyrik unserer Zeit, die sich des Mär-chens als Thema bedient, übernimmt oft nur die Erlösungssehnsucht des Mär-chens, ohne sie in der Realität des Lebens wiederfinden zu können. Das Motivdes häßlichen, ungeliebten und erlösungsbedürftigen Tierbräutigams wird hierzum Bild des Mannes in einer kriegerischen und männlichen Welt, die der Er-lösung zum Menschlichen bedarf. Die Frau repräsentiert dieses Menschliche;sie verkörpert das Leben („Jungfrau Leben"). Doch eine Erlösung, d. h. eineAnnäherung auf der gleichen menschlichen Ebene findet nicht statt.

Um eine Nicht-Verwandlung geht es auch in unserem nächsten Text, in demder Froschkönig als literarisches Symbol auftaucht. Es handelt sich um eineStelle aus Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften*

Als diesmal das Spiel endete, blieb Walter weich, ausgelaufen und verloren aufseinem halb umgedrehten Schemel vor dem Klavier sitzen, Ciarisse aber standauf und begrüßte lebhaft den Eindringling. In ihren Händen und ihrem Ge-sicht zuckte noch die elektrische Ladung des Spiels, ihr Lächeln zwängte sichzwischen einer Spannung von Begeisterung und Ekel durch.„Froschkönig!" sagte sie, und ihr Kopf deutete hinter sich auf die Musik oderWalter. Ulrich fühlte die federnde Kraft des Bandes zwisdien sich und ihr wie-der gespannt. Sie hatte ihm bei seinem letzten Besuch von einem furchtbarenTraum erzählt: ein schlüpfriges Geschöpf wollte sie im Schlaf überwältigen, eswar bauchig-weich, zärtlich und grauenvoll, und dieser große Frosch bedeuteteWalters Musik. Die beiden Freunde wahrten vor Ulrich nicht viel Geheimnisse.Kaum hatte Ciarisse ihn nun begrüßt, so wandte sie sich auch schon wieder vonihm ab, kehrte rasch zu Walter zurück, stieß abermals ihren Kriegsruf Frosch-könig aus, den Walter, wie es schien, nicht begriff, und riß ihn mit ihren nochvon der Musik zuckenden Händen schmerzlich und schmerzend wild an denHaaren. Ihr Gatte machte ein liebenswürdig verdutztes Gesicht und kehrte umeinen Schritt näher aus der schlüpfrigen Leere der Musik zurück.

Diese Passage umreißt das Verhältnis Walters zu Ciarisse. Man kann dieStelle nicht verstehen und interpretieren ohne die Kenntnis des Froschkönig-

1 Musil, R.: Der Mann ohne Eigenschaften. (Gesammelte Werke in Einzelausgaben,ed. A. Frise). Hamburg 1952, 48 sq., 52 sq.

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märdiens: Walter ist ein Liebhaber Wagnersdier Musik — Ciarisse dagegenhaßte Wagner:

Sie verabscheute darum aus ihrer ganzen Seele alle Wollust der Kunst und fühltesidi zu allem Mager-Strengen hingezogen, ob es nun die Metageometrie deratonalen neuen Tondichtung war oder der enthäutete, wie ein Muskelpräparatklar gewordene Wille klassischer Formen. In ihre jungfräuliche Gefangenschafthatte Walter die erste Botschaft davon gebracht. „Lichtprinz" hatte sie ihn ge-nannt, und schon als sie ein Kind war, hatten Walter und sie einander zuge-schworen, nicht zu heiraten, ehe er ein König geworden sei. Die Geschichteseiner Veränderungen und Unternehmungen war zugleich eine Geschichte un-ermeßlicher Leiden und Entzückungen, deren Kaufpreis sie gebildet hatte [...].Sie hatte Walter seit ihrem fünfzehnten Jahr für ein Genie gehalten, weil siestets die Absicht gehabt hatte, nur ein Genie zu heiraten. Sie erlaubte ihm nicht,keines zu sein. Und als sie sein Versagen merkte, wehrte sie sich wild gegendiese erstickende, langsame Veränderung in ihrer Lebensatmosphäre. Gerade dahätte nun Walter menschliche Wärme gebraucht, und er drängte, wenn ihn seineOhnmacht quälte, zu ihr wie ein Kind, das Milch und Schlaf sucht, aber Claris-sens kleiner, nervöser Leib war nicht mütterlich. Sie kam sich von einem Para-siten mißbraucht vor, der sich in ihr einnisten wollte, und sie verweigerte sich.Sie verhöhnte die wallende Waschküchenwärme, in der er Trost suchte. Eskann sein, daß das grausam war. Aber sie wollte die Gefährtin eines großenMenschen sein und rang mit dem Schicksal.

Die tiefere Bedeutung des Tierbräutigammärchens als Spiegelung der Pro-blematik menschlicher Partnerschaft wird in Musils Anspielung auf den Frosch-könig deutlicher als in mancher psychologischen Untersuchung. Walter undCiarisse sind ein Ehepaar. Sie hat ihn genommen, weil sie nur mit einemGenie verheiratet sein wollte. Dann allerdings hat sich herausgestellt, daß ersehr durchschnittlich ist. Der Mann leistet nicht das, was sie sich erträumt hat.Ihr Wesen ist kühl und streng; sie mag nichts Schwülstiges. Darum eben nenntsie ihn Froschkönig, weil sie hinter ihm zunächst einen außergewöhnlichenMenschen vermutet hat, der aber nicht in ihm steckte. Ciarisse ist besessen vonder Idee, der Welt einen Erlöser zu gebären. Für Walter seinerseits verbindetsich das erotische Begehren nach Ciarisse mit der Musik4.

Unser nächster Fund gehört auf eine völlig andere, etwas weniger sub-tile literarische Ebene, nämlich die des Kinder- und Jugendbuches. Aberauch in diesem Fall geht es um Reminiszenzen an den Froschkönig, und auchhier gibt es Frustrationen wegen seiner Nicht-Erlösung, wenn auch auf einerkindlichen Ebene. Es handelt sich um eine Passage aus Astrid Lindgrens Immerlustig in BullerbiP:

Und ich beeilte mich, die Kröte zu fangen. Denn jeder Mensch weiß doch, daßKröten fast immer verzauberte Prinzen sind. In den Märchen, meine ich. Ingawußte das auch, und sie wurde neidisch auf mich und meine Kröte.

4 In Walters „krankem Klavierspiel" vollzieht sich Musils Stellungnahme zum Kon-flikt „Nietzsche contra Wagner"; cf. Müller, G.: Ideologiekritik und Metasprachein Robert Musils Roman ,Der Mann ohne Eigenschaften* (Musil-Studien 2). Mün-chen/Salzburg 1972, 26 sqq.

5 Lindgren, A.: Immer lustig in Bullerbü. Hamburg 1975, 62 sqq.

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[...] Aber gerade da sah ich eine kleine Kröte, die auf dem Grabenrand saß,und da sagte ich:„O meine verzauberte kleine Kröte!"„Ach, bitte, darf ich sie einmal halten", bat sie.„Halte du deine weißen Kaninchen", sagte ich.Aber Inga bat und bettelte, und da durfte sie meine Kröte eine Weile halten.„Stell dir vor, wenn es nun wirklich ein verzauberter Prinz ist", sagte Inga.„Der Faulbaumduft hat dir den Kopf verwirrt", sagte ich.Aber dann dachte ich darüber nach. Vielleicht duftete der Faulbaum wirklich sostark in der Sonne, daß auch ich im Kopf verwirrt wurde. Denn plötzlich dachteich doch: Wer will denn genau wissen, ob diese Kröte nicht doch ein verzauber-ter Prinz ist? Zu der Zeit, in der es verzauberte Prinzen gab, hatte es sicherauch gewöhnliche Kröten gegeben, die keine Prinzen waren. Und da konnte esdoch geschehen sein, daß irgendeiner von den verzauberten Prinzen vergessenworden war — nur weil die Menschen gedacht hatten, es sei so eine ganz ge-wöhnliche Kröte. Und wenn sich damals keine Prinzessin bemüht hatte, ihn zuküssen, dann mußte er bis in alle Ewigkeit eine Kröte bleiben. Der Ärmste!Hier saß er nun im Graben von Bullerbü und war übriggeblieben! Ich fragteInga, ob sie das nicht auch glaube. Sie glaubte es auch.„Hm, dann haben wir nur noch eins zu tun: Wir müssen ihn küssen, damit derZauber schwindet."„Igittigittigitt", sagte Inga.Aber da sagte ich zu ihr, wenn die Prinzessinnen in früheren Jahren genausodumm und zimperlich gewesen wären wie sie, würden heutzutage sämtliche Grä-ben voll von verzauberten Prinzen sein.„Aber wir sind doch keine richtigen Prinzessinnen", lenkte Inga ein.„Deshalb müssen wir es doch versuchen. Wenn wir uns gegenseitig helfen, gehtes vielleicht."„Dann fang du an, Prinzessin Goldregen", sagte Inga und hielt mir den verzau-berten Prinzen hin. Ich setzte ihn auf meine Handfläche und sah ihn mir an.Als ich daran dachte, daß ich ihn küssen sollte, hatte ich ein unangenehmesGefühl im Magen. Aber das half mir jetzt nichts.Da fiel mir etwas anderes ein.„Du, Inga, wenn es wirklich ein verzauberter Prinz ist, dann denk bitte nachherdaran, daß es meine Kröte war."„Was meinst du damit?" fragte Inga.„Nun, wegen der Prinzessin, die er dann heiratet, und wegen des halben König-reiches — du weißt schon!"Aber da wurde Inga wütend.„Wenn ich dir helfe, ihn zu küssen, dann gehört er mir genauso gut wie dir",sagte sie. „Er soll nachher selbst wählen!"Und wir machten aus, daß der Prinz selbst entscheiden sollte, ob er PrinzessinGoldregen oder Prinzessin Goldlack haben wollte. Und dann sagte ich:

„Eins, zwei, drei,bei vier ist es vorbei,beim fünften Male schallt es,beim sechsten Male knallt es."

Ich kniff die Augen zusammen und küßte die Kröte.„Sicher ist er besonders stark verzaubert", sagte Inga, als sich kein Prinz sehenließ. „Ich glaube, es lohnt sich kaum, daß ich ihn noch küsse."„Versuch nur nicht, dich zu drücken", sagte ich. „Bitte sehr, Prinzessin Gold-lack!"

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Da nahm sie die Kröte und küßte sie sehr schnell. Sie hatte es so eilig, die Krötezu küssen, daß sie sie in der Eile in den Graben fallen ließ. Und husch, husch —fort war die Kröte.„Du Nußa, rief ich. „Da zieht er ab, unser verzauberter Prinz."„Weißt du was", sagte Inga, „es müssen sicher echte Prinzessinnen sein, wenn esbei einem solchen Scheusal wirken soll."

Unter dem Titel Bilderbogengeschichten erschien 1974 ein Bild-Text-Band,in dem Schriftsteller der Gegenwart Märchen und Sagen nach älteren Bilder-bogen (meist der Fliegenden Blätter) neu erzählten6. Darunter befinden sichauch Paralipomena zum Frosdjkönig von Barbara König. Das Märchen selbstwird in wenigen Worten rasch und unkonventionell nacherzählt. Als der Froschgegen die Wand geworfen wird, mit einem Knall zerplatzt und als schönerPrinz zu Boden fällt, wundert sich die Prinzessin ebenso wie der aufmerksameLeser des Grimmschen Märchens: „Daß Küsse einen Zauber lösen können, dashabe ich gewußt, aber daß es auch mit Gewalt geht, das hätte ich nicht ge-dacht!" Den kurzen Grimmschen Epilog vom Eisernen Heinrich empfand dieAutorin Barbara König offenbar als zu fragmentarisch und unmotiviert, unddeshalb gestaltete sie ihn zu einer längeren Szene aus. Der Zauber einer Hexe,dem der Prinz schon einmal verfallen war, läßt seine junge Gemahlin aufeifersüchtige Gedanken kommen, und so gibt es während der ersten gemein-samen Reise des jungen Paares einen psychologischen Ehedialog. Das beiGrimm ziemlich unmotivierte Anhängsel von den abspringenden Banden desEisernen Heinrich erhält hier eine völlig neue Motivation und ein eigenesGewicht.

[...] Begann die schöne Gemahlin:„Nun will ich alles über die Hexe wissen, die Euch verzaubert hat. Wer war sieund warum tat sie es?"„Ach, meine Liebste", erwiderte der Prinz, „das ist eine lange Geschichte."„Wir haben eine lange Reise vor uns", entgegnete die Prinzessin.„Nun gut", sagte der Prinz, „Ihr sollt es hören. Jene Hexe war eine Dame ausdem Hofstaat meiner Mutter, der Königin." Sagte die junge Gemahlin:„Ah-ha."Da hörten sie ein Krachen hinter sich, als ob etwas zerbräche, und der Prinzrief:„Heinrich, der Wagen bricht!" Erwiderte Heinrich:„Nein, Herr, der Wagen nicht, es ist ein Band von meinem Herzen, das da lagin großen Schmerzen, als Ihr in dem Brunnen saßt, als Ihr eine Fretschewast ..." Sprach der Prinz:„Er ist der Treueste der Treuen." Sagte die Prinzessin:„Das will ich gerne glauben. Doch zurück zu Eurer Hexe: Wie sah sie aus? Wiewar sie? Grundhäßlich und steinalt?"

6 Jung, J. (ed.): Märchen, Sagen und Abenteuergeschichten auf alten Bilderbogenneu erzählt von Autoren unserer Zeit. München 1974. Taschenbuchausgabe unterdem Titel: Bilderbogengeschiduen (dtv 1218). München 1976, 64—66.

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0,Genau genommen", entgegnete der Prinz, „war sie keines von beiden." Sagteseine Gemahlin:,„Ah-ha."Da krachte es abermals, so laut wie zuvor, und wieder rief der Prinz:^Heinrich, der Wagen bricht!" Erwiderte Heinrich:„Nein, Herr, der Wagen nicht, es ist ein Band von meinem Herzen, das da lagitn großen Schmerzen, als Ihr in dem Brunnen saßt, als Ihr eine Fretschewast ..."„Der Treueste der Treuen", sagte die Prinzessin, „ich weiß. Und just im rech-ten Augenblick zur Stelle. Dessenungeachtet: sagt mir, wie hieß der Zauber,der jener Hexe so viel Macht verlieh?"„Ich fürchte", sagte der Prinz, „es war ein Zauber von der angenehmsten Sorte,den sie nach allen Regeln verstand. Und erst, als dessen Wirkung nachließ, ver-kehrte sie ihn in sein Gegenteil, sein böses ..."„Hoffen wir", sagte die Prinzessin, „daß jene Dame das Wünschen und Ver-wünschen seither aufgegeben hat ..."„Solange ich im Banne Eurer sonnigen Augen stehe", entgegnete ihr Gemahl,„solange bin ich gegen jeden fremden Zauber gefeit."„Wie denn", rief die Prinzessin, „und länger nicht? — Euch ist es offenbar be-stimmt, von einem Zauber in den nächsten zu fallen! — So soll es denn auchbleiben: am selben Tag, an dem der Bann meiner Augen zum ersten Mal ver-sagt, will ich Euch, just so wie jene Hexe, in einen naß-kalt-abscheulichen Froschverwandeln!" Noch ehe sie zu Ende gesprochen hatte, krachte es zum drittenMale, so daß der Prinz ihre Worte nicht verstand, sondern:„Heinrich", rief, „der Wagen bricht!"„Nein, Herr, der Wagen nicht!" erwiderte die Prinzessin an Heinrichs statt undlachte, so hell, daß der Prinz nicht umhin konnte, sie in seine Arme zu schlie-ßen und ihr abermals seine Liebe zu erklären:„Euer Auge", so sprach er, „gleicht der Oberfläche eines Weihers, auf dem dieSonne spielt; Euer Mund ist die zarteste aller Seerosenknospen, Euer Körperein biegsames Rohr im Schilf ..."„Ich bitte Euch, mein Gemahl", erwiderte die Prinzessin, „für eine Zeit, zumin-dest, alle wäßrigen Vergleiche zu lassen; später könnt Ihr immer noch daraufzurückkommen ..." Sie wandte den Kopf, als erwartete sie ein Krachen, dochnichts rührte sich mehr. Alle eisernen Bande waren abgefallen von diesemtreuesten aller Herzen. Heinrich war glücklich, der Prinz war glücklich; diePrinzessin war so glücklich, wie ihr ebenso scharfes wie sonniges Auge es irgendzuließ.

Bei dieser Version genügt der Heldin das Abwerfen der Froschgestalt unddie Verwandlung des Froschkönigs zum Menschen noch nicht zum Glück. Siewill vielmehr wissen, ob der Mann, den sie aus Liebe erlöst hat, auch durchLiebe verzaubert worden ist. Aber immerhin gibt es noch ein glückliches Endeim Unterschied zu den meisten anderen literarischen Fassungen, die wir bereitskennengelernt haben.

Paraphrasen auf traditionelle Märchen zu schreiben, ist fast schon eineliterarische Mode geworden7. Immer wieder versuchen dabei die Autoren, imMärchen Vorgänge bewußt und sichtbar zu machen, die die überliefertenGeschichten im Verborgenen ließen, oder den vorgegebenen Märchen neue

7 Neue Zürcher Zeitung vom 24.725. Dez. 1977 und vom 31. Dez. 1977/1. Jan. 1978.

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Akzente abzugewinnen. Sie versuchen, das Märchen zu psychologisieren, alteMotivationen durch moderne zu ersetzen. Alle Nachdichtungen und literari-schen Abwandlungen haben — so verschieden sie auch die Grimm-Erzählungauffassen und umgestalten — doch auch etwas Gemeinsames: Alle haben er-faßt, daß es im FroscMömg-Märchen um eine problematische und schicksal-hafte partnerschaftliche Begegnung geht. Das Tierwesen, mit dem man Kontaktaufgenommen hat, entspricht nachher nicht den Erwartungen, die man zuvordaran geknüpft hat. Im Unterschied zu der Königstochter unseres Märchens,die unbewußt und zufällig den Frosch erlöst, sind die Heldinnen der literari-schen Bearbeitungen sehr viel bewußter; sie bringen den Erlösungsversuch involler Kenntnis seiner Möglichkeiten in Gang. Doch nachher geht es fast immeranders aus, als erhofft. Die Erwartung erfüllt sich nicht.

Nachdichtung, d. h. Dichtung über Dichtung, lohnt sich ja wohl nur bei Er-zählungen, die als substantiell und in einem psychologischen Sinne als arche-typisch, d. h. als elementar, zeitlos und von allgemein menschlichem Belangempfunden werden. Und das darf für die Grimmschen Märchen und speziellfür ihre num. l wohl gelten. Sicher hat dieses Märchen ein besonderes Gewichtund steht darum auch nicht zufällig am Anfang der Sammlung. Gerade vondieser hervorgehobenen Stellung her hat es denn wohl auch besondere literari-sche Weiterwirkungen haben können. Doch ist es ganz allgemein erstaunlich, wiegerade die Grimmschen Märchen immer wieder Grundlage neuer Dichtungwerden konnten. Fast immer beschränken sich Dichter und Parodisten aller-dings auf die Kenntnis der Grimm-Ausgabe letzter Hand, die ja bekanntlichin ganz besonderem Maße der künstlerischen Ausgestaltung durch WilhelmGrimm unterworfen war. Gleichwohl geben solche dichterischen Variationenauch dem volkskundlich, literaturwissensdiaftlich oder psychologisch interes-sierten Märchenforscher Anlaß zum Nachdenken und Anstöße zur Interpreta-tion der Märdien.

Die Tendenz, alte Märchen neu zu sehen, anders und überraschend zu moti-vieren und zu psychologisieren, kann freilich noch zu ganz anderen literari-schen Kategorien führen als nur zur Nach- und Umdichtung, nämlich zurParodie, Travestie und schließlich zum Märchenwitz.

In einem großformatig-aufwendigen (und entsprechend teuren) Handpres-sen-Druck erschien 1975 in einer beschränkten Auflage von 350 ExemplarenWalter Hasenclevers Polit-Satire Der Froschkönig, 35 Jahre nach dem Toddes Verfassers8. Walter Hasenclever (1890—1940) stand schon auf der erstenListe ausgebürgerter und verbotener Schriftsteller (vom 23. 4. 1933). Goebbelsreihte seine Werke unter die Schmutz- und Schundliteratur ein, und es mußHasenclever gereizt haben, sich mit satirischen Waffen gegen den National-sozialismus zur Wehr zu setzen. Das kurze, in szenischen Auftritten gestalteteStück ist voll von Anspielungen auf Personen der Zeitgeschichte von 1932, auf

8 Hasenclever, W.: Der Froschkönig, restauriert von P. Hacks, ed. von P. Stephan.Linolschnitte von W. Jörg und E. Schönig. Berlin 1975.

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Politiker und Theaterkritiker, auf Regierungskrisen, auf Ämterkorruption, aufFinanzsdiieber und Börsenspekulanten. Der verlorene goldene Ball erwecktReminiszenzen an das in der Inflation verlorene Geld. Der Versailler Vertragspielt herein, wenn der alte König sagt: „Vertrag ist Vertrag, und was manversprochen hat, muß man auch halten." Der „aus dem Untergrund" auftau-chende Frosch erinnert an „die unterirdischen Mächte, die den christlichenStaat untergraben". Er tritt auf in der Maske von Joseph Goebbels. Was erGroßes an sich hat, ist im wesentlichen sein Maul, das aber durch die krum-men Beine wieder relativiert wird. Der Frosch versucht die Prinzessin mitderen verlorenem goldenen Ball zu erpressen, indem er auf eine Notverord-nung aufmerksam macht, wonach es verboten ist, Edelmetalle und Devisen zubesitzen: „Alles Gold muß der Reichsbank abgeliefert werden.** Den Heirats-antrag des Frosches lehnt die Königstochter zunächst brüsk ab: „Ausgeschlos-sen, kommt gar nicht in Frage, ich bin eine deutsche Prinzessin und heiratekeinen Frosch." Dann aber verliebt sie sich unversehens doch in ihn, und eskommt auch hier zu einer Umkehr gegenüber der Märchen-Erwartung: DerFrosch ziert sich, während sich die Prinzessin den Geliebten einfängt, und esergibt sich eine politische Ehe von Adel, Kapitalismus, Nationalismus undFroschbürgertum9. „In der Maske des Goebbels gewinnt der Frosch an trivialerTücke und Falschheit [...]· ^n der profanen Parodie wird das Böse in derMaske des Propagandisten und Reklamechefs für Böses durch Lächerlichkeitgemeistert"10.

Das einfachste, wenn auch nicht immer witzigste Parodieverfahren11 ist es,alles umzudrehen. So verfährt beispielsweise Janosch12, indem er die männ-lichen und weiblichen Rollen im Märchen vertauscht: Einem Froschkönigkommt seine goldene Luftkugel abhanden. Ein häßliches Mädchen verliebt sichin ihn und sagt zu ihm: „Wenn du mich heiratest, fang' ich dir die goldeneLuftkugel." Er tröstet sich bei dem Gedanken, daß sie weder schwimmen nochtauchen kann, doch sie springt ins Wasser und verfolgt ihn bis in sein Wasser-schloß: „Froschkönig, mein Liebster! Mach doch endlich auf, hier bin ich, Suse,deine Frau.

Froschkönig, mein Liebster,laß midi rein!Weißt du nidit mehr, was du mir obenim Schilf versprodien hast?Frosdikönig, Liebster,laß midi dodi endlidi herein."

Am Froschkönigstisch gibt es Fliegen- und Mückensalat, aber sie ißt mit soviel Appetit, als wären es gezuckerte Himbeeren. Der Froschkönig versucht

9 Cf. die Besprechung durch R. Schenda in: FABULA 17 (1976) 105 sq.10 Stephan, P.: Nachwort zur Ausgabe (wie Not. 8) XXXIV.11 Cf. Röhridi, L.: Gebärde — Metapher — Parodie. Studien zur Sprache und Volks-

dichtung. Düsseldorf 1967, bes. 130—155 (Rotkäppchen-Parodien).12 Janosch erzählt Grimms Märdien. Weinheim und Basel 1972, 45—50.

12 Fabula 20Brought to you by | St. Petersburg State University

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zwar, seine hartnäckige Liebhaberin zu ertränken, aber „kaum war sie tot,verwandelte sie sich in eine schöne, grüne Froschprinzessin, schöner als jedeFroschprinzessin, die der Froschkönig je sah", und so gibt es auch hier einhappy ending: Das Mädchen wird schließlich eine Froschkönigin.

Die Gründe für Parodierung sind mannigfaltig. Wenn — wie bei Janosch —nur einfach die Geschlechterrollen ausgetauscht werden, so steht dahinter wohlauch das Mißvergnügen, daß diese im traditionellen Märdien oft auf einepatriarchalische Weise fixiert sind. Im Zeitalter der Frauenemanzipation und desFeminismus ist es nur allzu begreiflich, daß ein Bedürfnis besteht, die fixiertenRollenerwartungen auch im Märdien einmal auszutauschen, und so entstehenausgesprochene Gegengeschichten. Während im Grimmschen Märchen num. ldie Königstochter ohne Zweifel die Hauptperson ist, ihr Verhalten und ihrSchicksal die Perspektive der Erzählung ausmachen, läßt sich unser Märchennatürlich auch aus der Froschperspektive betrachten. Aus dieser Sicht verfolgtdie wohlbekannten Gesdiehnisse der „ersten Nacht" das folgende fiktive Inter-view von H. G. Fisdier-Tsdiöp18:

Hoheit, wie war Ihre „erste Nacht"?HOHEIT: In meiner Jugend litt ich unter starken Minderwertigkeitskomple-xen. Idi hatte etwas vorstehende Augen, einen großen Mund, und war imübrigen zu klein geraten. Frauen gegenüber verhielt idi mich entsprechendschüchtern. Daß ich je Karriere machen würde, erschien mir absurd. Nur imKreise meiner Sportkameraden stieß ich auf Anerkennung. Als Taucher war icholympiareif, im Weitsprung machte es mir keiner nach. Aber leider war ichkein Typ, auf den die Frauen fliegen; apropos: Fliegen! ... vielleicht erinnernSie mich noch einmal daran, Herr Novotny ...Wie lernten Sie Ihre Partnerin kennen?HOHEIT: Im Park. Ich sah sie an einem Brunnen. Das schönste Gesdiöpf derWelt. Amor hatte seine Hand im Spiel! Ihr war etwas entfallen, ich fand es undbrachte ihr die Goldschmiedearbeit, die ihr ans Herz gewachsen schien, zurück.Dabei mußte ich ins Wasser steigen. „Jetzt haben Sie sich ganz naß gemacht",sagte sie, „kann ich mich revanchieren?" Tollkühn bat ich sie, mich zu sich ein-zuladen! Wahrsdieinlich tat ich ihr leid, als ich so triefend vor ihr stand. Siesagte zu.Ihre erste Nacht fand bei ihr statt?HOHEIT: Ja. Bei einem Imbiß verharrte sie in eiskalter Höflidikeit. Als siemich nach dem Essen abwimmeln wollte, ging ich aufs Ganze. Und jetzt kommtwahrscheinlich die tollste Schlafzimmergeschichte, die Ihnen jemals zu Ohren ge-kommen ist. Ich drängte Friederike in ihr elegantes Boudoir — weiß Gott,woher ich die Kühnheit nahm — und versuchte, sie zu umarmen und zu küssen.Erst war sie zu verdutzt, um zu reagieren, aber sie erholte sich schnell vonihrem Schreck. Sie packte mich — ich habe schon darauf hingewiesen, sie warein gutes Stück größer als ich — und schleuderte mich von sich. Herr Novotny,war das Mädchen stark! Ich krachte gegen die Wand und sank benommen aufdie Ottomane. Alle Knochen taten mir weh. Aber da soll jemand aus denFrauen schlau werden! Nun geschah ein Wunder. Friederike stürzte sich aufmich und riß mich in ihr Bett: Diese Nacht war rundum die aufregendste und

18 Süddeutsche Zeitung vom 24./2S. Februar 1973.

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strapaziöseste meines Lebens: erst an die Wand geklatscht ... dann ins Bett ...In unserem Liebestaumel überschütteten wir uns mit glühenden Zärtlichkeiten.Da, sehen Sie das Närbchen in meinem Ohr?Nicht so recht . ..HOHEIT: Doch. Da biß sie hinein. Kein Wunder, daß ich mich wie neugeborenfühlte. Ich war ein anderer — größer, schöner! Sogar mein Butler Heinrich —er hat Sie vorhin hereingeführt — erkannte mich kaum wieder. Ich muß ja wieausgewechselt gewesen sein! Der Alptraum meiner freudlosen Jugend war ge-wichen. Friederike und ich blieben zusammen bis auf den heutigen Tag.Erlauben Sie, daß wir unseren Lesern Ihr Inkognito lüften?HOHEIT: Ich weiß nicht recht, war das im Honorar vorgesehen?Auf eine Mark fünfzig hin oder her soll es uns nicht ankommen, Hoheit.HOHEIT: Na gut, lüften Sie.Wir danken Ihnen für dieses ungeschminkte Interview: Herr Froschkönig!

Eine Parodie unseres Märchens aus der Froschperspektive bringt schließlichauch das Gedicht „Froschkönig 1978" von Armin Steinecke, das auf einen im„Zeit-Magazin" erschienenen „Aufruf an Schreibende" des Verlags Parker Pen(Baden-Baden) eingesandt worden war:

Auf demkalten Betondieses Brunnens hockendersehnehäßlicher Frosch ichdie mir versprochenewarmherzige Prinzessindie michmit ihrem Auto überfährtauf daß ichein Hausmann werdeder für sieim Supermarkt einkaufenihr Apartment putzenihren Abwasch machenihr Bettchen wärmenund mit ihr schmusendarfbis daß der Streß uns scheidet.

In Iring Fetsdiers Märchen-Verwirrbuch erscheint unsere Erzählung mit demUntertitel Die Überwindung des infantilen Narzißmus14. In einer halb ernst,halb ironisch gemeinten Interpretation verwundert sich Fetscher, daß ein Mäd-chen im heiratsfähigen Alter sich spielenderweise mit einem goldenen Ball dieLangeweile vertreibt und vermutet, daß es sich bei den einsamen Spielen derKönigstochter um erotische handelt, die einem extrem autistischen Narzißmusentstammen. Dazu übersetzt Fetscher den „goldenen Ball" flugs ins Hessi-sche (!) und macht einen „goldischen Phallus" daraus — wie wenn Phallus einmundartlich-volkssprachliches Wort wäre. So erklärt er die Berührungsangst

14 Fetscher, L: Wer hat Dornrösdien wachgeküßt? Das Märchen-Verwirrbuch. Ham-burg/Düsseldorf 1972, 193—206.

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des Mädchens vor dem nackten und nassen Frosch. Doch der „auf dem Gebietder Sexualerziehung liberalen Prinzipien zuneigende königliche Vater [...]versucht, die sexuelle Verhaltensstörung der Tochter mit Hilfe eines formalautoritären Befehls zu überwinden und seine Tochter aus ihrer autistisch-narzißtischen Befangenheit zu heterosexueller Intersubjektivität zu befreien".Neben dem sexualemanzipatorischen Gehalt sieht Fetscher auch noch einenprogressiv politischen: „Die Verwandlung des jungen Mannes aus dem Volke(Frosch) in einen ,Königssohn mit freundlichen Augen* drückt in verschlüsselterForm nichts anderes aus als die natürliche Ebenbürtigkeit aller Menschen alsLiebende."

Hinter Fetschers Scherz verbirgt sich auch Ernst. Der Autor macht sichebenso lustig über die Märchen wie über die Märchenforscher. Es sind schein-wissenschaftliche Märchenanalysen und ein Stück Wissenschaftssatire, die sichgegen die allzu hemmungslose Märcheninterpretationssucht wenden. Es istgewiß kein Zufall, daß dieses Märchenverwirrbuch ein großer Publikumserfolggeworden ist, umso mehr, als es nicht nur halb-ernste, halb-ironische Inter-pretation bietet, sondern auch die originalen Märchentexte selbst. Der Buch-erfolg (Auflage über 100000 Exemplare) zeigt, daß der moderne Märchen-leser nicht nur die alten Texte wiederfinden, sie unbefangen und naiv hinneh-men, sondern ihnen neue Aspekte abgewinnen will. Man verlangt „Demaskie-rungen", „Enthüllungen" und will wissen, was „wirklich" dahintersteckt. Frei-lich wird die Leserschicht eines solchen Buches wohl insbesondere unter Intel-lektuellen zu suchen sein. Und das bringt uns zur abschließenden Frage, wie-weit Märchenwitz und -parodie auch populäre mündliche Erzählung sein kön-nen. Märchenwitze gehören in der Tat zur modernen mündlichen Überliefe-rung. Verkürzungen von längeren Zaubermärchen zu pointiert-kurzen, witzi-gen Geschichten sind eine gar nicht so seltene Erscheinung moderner münd-licher Erzählung. Zur komischen Umformung reizen insbesondere die Inhaltedes Zaubermärchens, die modernem Empfinden besonders unglaublich erschei-nen müssen15:

Die Lehrerin erzählt ihren Sdiülerinnen das Märdien vom Frosdikönig: „Alsder kleine Frosch ihr den goldenen Ball aus dem Brunnen geholt hatte, war diePrinzessin so dankbar, daß sie ihn in ihrem Zimmer sdilafen ließ. Und als sieam nächsten Morgen erwadite, hatte er sidi in einen wundersdiönen Prinzenverwandelt, und sie heirateten und lebten glücklidi bis an ihr Ende." EineSdiülerin sieht die Lehrerin zweifelnd an. „Glaubst du die Geschichte etwanicht?** fragt die Lehrerin. „Nein**, erwidert sie. „Idi glaube sie nidit. Und ichwette, die Königin hat sie auch nicht geglaubt.**16

Ein junges Mädchen spaziert durch den Wald; da spricht ein Frosdi sie an:„Schöne Dame, ich bin eigentlich kein Frosch, sondern ein verzauberter Prinz.Bitte, nimm mich mit nach Hause und hege mich an deinem Busen, bis der

15 Cf. Röhrich, L.: Der Witz. Figuren, Formen, Funktionen. Stuttgart 1977, 72 sq.16 Cf. Röhrich, L.: Ausgemachte Viediereien. Tierwitze und was dahinter steckt (Her-

derbücherei 634). Freiburg/Basel/Wien 1977, 81 sqq.

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Morgen graut, damit ich meine Menschengestalt zurückerlange, und ich werdedir ewig dankbar sein." Das junge Mädchen bezähmt seine Verwunderung,nimmt den Frosch mit nach Hause und drückt ihn die ganze Nacht an seinenBusen. Frühmorgens sieht die Mutter den entzauberten jungen Mann im Bettder Tochter liegen, die ihr die ganze Geschichte erzählt. „Ach, du bist mir aberein süßes Lügenmäulchen !" sagt die Mutter entgeistert.17

Die Erzählung ist in mancherlei Varianten bekannt, und sie ist auch ziemlichinternational verbreitet. Jedenfalls sind mir ebenso Varianten aus Dänemarkwie auch aus USA bekannt18:

Es war einmal ein Mann, der kam eines Abends spät nach Hause, während seineFrau gerade auf einer Reise war, und da fand er einen kleinen Frosch auf derMatte vor seiner Haustür sitzen. Es war ein sehr hübscher kleiner Frosch. Erkonnte auch sprechen. Er sagte: „Ich bin in Wirklichkeit ein schönes, jungesMädchen, das durch Zauberei in einen Frosch verwandelt wurde, aber wenn ichins Bett gelegt werde, wird der Zauber behoben." Der Mann war natürlichziemlich erstaunt, aber selbstverständlich wollte er dem armen Frosch helfen,und deshalb nahm er ihn mit hinein und setzte ihn in sein Bett. Und tatsächlichverwandelte sich der Frosch in ein entzückendes junges Mädchen. Im selbenAugenblick aber kehrte die Frau des Mannes zurück, und — ob du's glaubstoder nicht — sie wollte ihm diese Geschichte nicht abnehmen.

Eine entsprechende Fassung hat z. B. auch V. Randolph 1951 in Fayette-ville/Arkansas aufgezeichnet und weist auch weitere amerikanische Parallelennach":

ONE TIME there was a pretty girl walking down the street, and she heardsomebody say, "Hi, Toots!" But when she looked around there was nobody insight, just a little old toadfrog sitting on the sidewalk.So then the pretty girl started to walk on down the street, and she heard somebody say, "Hello, Beautiful!" But when she looked around there was nobody insight, just this little old toadfrog.So then the pretty girl started to walk on down the street, and she heard some-body say, "You got anything on tonight, Baby?" But when she looked aroundthere was nobody in sight, just this little old toadfrog sitting on the sidewalk.The pretty girl looked down at the little old toadfrog. "I know it ain't youa-talking," she says."It's me, all right," says the toadfrog. "Fm a handsome young man, by rights.But I'm turned into a toadfrog now, because an old witch put a spell on me."The pretty girl studied awhile, and then she says, "Ain't there anything youcan do to break the spell?"The toadfrog says there is only one way, and that is for a pretty girl to let himsleep on her pillow all night. The pretty girl thought it was the least she coulddo, to help this poor fellow out. So she took the little old toadfrog home andput him on her pillow when she went to bed.Next morning the pretty girl's father came to wake her up, and he had seen ahandsome young man in the bed with her. She told her father about the littleold toadfrog, and the witch that put a spell on him, and how it all happened.But the old man didn't believe the story, any more than you do!

17 Legman, G.: Der unanständige Witz. Hamburg 1970, 468 sq.19 Henningsen, G./Holbek, ./ 0, L: Skaemtebogen. Kopenhagen 1965, 10.19 Randolph, V.· The Devil's Pretty Daughter. New York 1955, 91 sq. und 190 sq.

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Diese Witze bringen nicht nur eine Verkürzung gegenüber dem ursprüng-lichen Märchen und auch nicht nur einen anderen Schluß; sie haben auch dasMilieu verlassen: Es gibt keinen König, keinen Prinzen und keine Prinzessinmehr. Die Bekanntschaft von Frosch und Mädchen findet auf der Straße statt;der Frosch geht unmittelbar auf sein Ziel los; er spricht das Mädchen an, ohneihm vorher eine Vorleistung erfüllt zu haben. Ohne Information der Elternoder eine Bewährung am elterlichen Familientisch springt der Frosch ins Bettund läßt sich „erlösen".

Natürlich entstehen solche Witzwellen nicht von ungefähr, und sicherlichhaben auch die Massenmedien einen wesentlichen Anteil an der Verbreitungvon Märchenwitzen. Manche Zeitungen bringen ihren regelmäßigen Märchen-witz:

„Sdiluß mit dem Gequake: Solange die Hitparade läuft, kannst du den Grzimek niditsehen!"

Vielfach handelt es sich dabei um Bildwitze, um Cartoons. Die Froschkönig-Witze machen die unbewußt-erotischen Vorgänge des Märchens bewußt. Zu-gleich verändern sie grundsätzlich den Ausgang. Märchen-Cartoons und Mär-chen-Witze ziehen die vielepisodige Märchenerzählung in wenige Bildfolgenoder gar in eine einzige Momentaufnahme zusammen. Fast immer besteht diePointe darin, daß das traditionelle Element des Zaubermärchens in einenunerwarteten Kontrast zu rationalen Überlegungen tritt. In knappen Um-rissen wird z. B. das wohlbekannte Märchen wiedergegeben: Eine Prinzessinfindet einen Frosch und küßt ihn. Da verwandelt er sich in einen schönenPrinzen, und sie leben glücklich und zufrieden; bis sich herausstellt, daß derPrinz im Grunde doch ein Frosch geblieben ist, der mit seiner langen Zunge —ein Relikt seiner Froschexistenz — noch immer den Fliegen nachstellt.

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A FAIRY TALE

Once there was a Prtncess ÌÏËÏ found a frag ...

And it tttrned into a handsome Prince. And they lived happ y ever after....

(Harper's Magazine, April 1967)

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Ganz unabhängig von einander kommen dabei oft verschiedene Cartoonistenund Karikaturisten auf dieselbe Idee.

"Kissing thatfrog was the biggest mistake of my life /"

"Please don't mind Edgar—he used to be a frog."

(Playboy, August 1971)

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Noch schlimmer ist es freilich, wenn einstige positive Eigenschaften desFrro-schprinzen mit seiner Verwandlung zum Menschen abhanden gekommensimd:

„Es ist ein Jammer, als Frosch war er ein glänzender Schwimmer!"

In anderen Witzzeichnungen findet eine Prinzessin einen Frosch. Sie küßtihn. Es gibt einen großen Knall, aber statt der Verwandlung des Frosches ineinen Menschen findet sich jetzt auch das Mädchen in einen Frosch oder in einehäßliche Kröte verwandelt:

HI-STOKf

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Nicht immer findet der erlöste Frosch-Prinz bei der Erlösung das von ihmerhoffte Glück. In manchen Witzzeichnungen ist er mit seiner Partnerin nichteinverstanden und wünschte sich gerne wieder in die Gestalt des Frosches zu-rück:

uDas Ganze zurück. Ich möchte sofort wieder ein Frosch sein!"

(Playboy)

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Oder es geht unerwarte-terweise ein ganz andererWunsch in Erfüllung alsder nach einem jungenPrinzen. ELF MILJOEN FRANK

TROOST VOORZOEN

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Grundsätzlich ist es der im Märchen erwartete glückliche Ausgang, den derMärchen-Witz in Frage stellt. In einer weiteren Version bleibt der Frosch einFrosch. Auch nachdem die Prinzessin ihn mit sich ins Bett genommen hat, ver-wandelt er sich zu ihrem Leidwesen noch immer nicht in den erhofften schönenPrinzen. Die moderne Karikatur denkt sich also einen völlig anderen als dengewohnten Märchenausgang aus, und mit diesem Nichteintreten des Erwarte-ten wird eine komische Wirkung erzielt. Die Witztheoretiker sprechen in die-sem Zusammenhang vom „Zusammenbruch des Erwartungshorizontes". Diefrustrierte Prinzessin, die sich in ihren Hoffnungen getäuscht sieht, ist Gegen-stand unseres schadenfrohen Lachens. Ein bißdien spielt hier auch der Gedankemit, daß jedes Mädchen den von ihr Auserwählten für einmalig hält, dessenSchönheit aber den anderen verborgen bleibt:

Nicht jeder Frosch im Bett verwandelt sich in einen schönen Prinzen. Zu-nächst ist er für die Hausfrau oder für das Stubenmädchen, das die Bettenmachen will, einfach lästig. Vor allem, wenn sie für „Tierliebe" nichts übrighat:

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„Tierliebe gleich null!"

Die getäuschte Erlösungshoffnung kann in unerwartete Aggression umschlagen,die sich bis zu Mordabsichten steigern läßt.

*Wt'u. Ci« MM AM0TMK VMOK ** if MC DCffViT1UM MTO A PBNCS, Wti'u. WWt AtOMCH

(Wir geben ihm eine Woche lang noch eine Chance. Wenn er sich dann nicht in einenPrinzen verwandelt hat, gibt's zu Weihnachten wenigstens Froschschenkel.)

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Eine amerikanische Glückwunschkartezum Valentinstag enthält eine Aufforde-rung an den geliebten Freund, sich dochnicht so kalt wie ein Frosch zu zeigen,sondern die wahre menschliche Gestaltund menschliches Verhalten an den Tagzu legen: „Sei doch kein Frosch!"

-AH VOU•APRINCI

Auch aus der Froschperspektive kannselbstverständlich die Nichtverwandlunggesehen werden:

Doch bleibt im-mer die Hoffnung,der Frosch mögesich eines Tages inseiner wahrenmenschlichen Ge-stalt zeigen, wiedies F. K. Waechterzeigt in einerZeichnung, die er„Hommage a Ma-thias Claudius"überschreibt.

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Schließlich kann die scheinbar harmlose Geschichte vom Frosch als Liebhaberleicht in eine peinliche Dreiecksgeschichte und zum Ehebruch-Witz mit einerIn-flagranti-Überraschung umgemünzt werden:

(Playboy, November 1977)

„ Um Himmels willen, mein Mann!'

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Gerade dem traditionellen und scheinbar starren und unbewegbaren Mate-rial sucht man Innovationen abzugewinnen. Sie wirken dann besonders witzig,wenn sie am wenigsten erwartet werden konnten. Märchen-Cartoons sind zu-gleich ein Protest gegen die Rollenerwartungen und den Strukturzwang desMärchens, das „normalerweise" eben verlangt, daß auf Verwünschung Er-lösung folgt, daß Wünsche in Erfüllung gehen und daß am Schluß ein glück-licher Ausgang zu stehen hat. Märchenwitze und Cartoons lassen uns das alt-bekannte Märchen neu sehen, und sie lassen uns überhaupt andere Betrach-tungsweisen entdecken. Vom Stoff her gesehen verändern Märchenwitze undCartoons oft das gleiche wie die literarischen Bearbeitungen, nur tun sie dies mitanderen Mitteln und anderen Wirkungen. Dabei kann jede Märchenfigur prak-tisch zu fast allem umfunktioniert werden, und Grimm num. l steht hier nurbeispielhaft für die ganze Sammlung.

Diese Zusammenstellung von neueren FroscA&ömg-Varianten will nichtden Versuch machen, zu werten: Nicht jeder Witz veranlaßt jeden zum Mit-lachen, nicht jeder Versuch einer Umdichtung ist wirklich Literatur, und vielewerden nach diesen Eskapaden lieber wieder zum Original zurückkehren. MitRecht sagt Max Lüthi20 dazu: „Die Grimmsdien Märchen haben sich bishergegenüber allen Angriffen, Parodien und Travestien erstaunlich resistent ge-zeigt." „Das Märchen ist strapazierfähig und wird auch diese Deutungsver-suche überstehen."

20 Lüthi, M.: Zum Schutz von Dornrösdien. In: Neue Zürcher Zeitung vom 31. Dez.1977/1. Jan. 1978, 31 sq.

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