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„deren Kosten den Lebensunterhalt vonHunderten armer Familien für lange Zeithätten sichern können“, so reich ist sie auch an intriganter Inspiration, um Franz Ferdinand für seine Ehe mit der dem HausHabsburg nicht ebenbürtigen Gräfin Chotek büßen zu lassen.
Manches wiederum, mit dem der Kaiserin spe den rumorenden Vielvölkerstaat reformieren will, klingt visionär, etwa seine Idee, „ÖsterreichUngarn nach dem Muster der Vereinigten Staaten von Nordamerika zu föderalisieren“. Dazu müsste maneben Kaiser sein. Im langen Warten daraufmacht sich der Thronfolger Feinde über Feinde. Er brüllt und verhärmt – und dieTiere im Wald müssen es büßen.
Ludwig Winder teilt mit seinem Protagonisten das Schicksal, den ihm gebührenden Rang nie innegehabt zu haben. Sein 1937 entstandener Roman wurde von derUnheilsgeschichte des letzten Jahrhunderts ebenso verschluckt wie seine übrigenWerke. Dabei zählte der Prager Feuilletonredakteur der Zeitung „Bohemia“ einmalzum Kreis um Kafka. Zwei Jahre nach Erscheinen seines „Thronfolgers“ floh der auseiner jüdischen Familie stammende Autornach England, wo er 1946 starb.
Eine der eindrücklichsten Szenen seines in Österreich sogleich wegen Verletzung der Landesehre verbotenen Romansist das groteske Leichenbegängnis. Wie todgeweiht die gemütliche Donaumonarchie ist, zeigt sich in der Unbarmherzigkeit, mit der sie die Rangordnung noch anden Toten exekutiert. Kurz darauf beginntdas große Schlachten. Eine schlimme Geschichte, ein großer Roman.
Ludwig Winder: Der Thronfolger. Roman. Zsolnay Verlag, 575 Seiten, 26 Euro.
dem düstere Genealogien wuchern. FranzFerdinands Großvater, der entmachtete König beider Sizilien, trug den BeinamenRe Bomba, weil er sein Volk brutal zusammenkartätscht hat. Die gespenstische Mutter zog es vor, das Haus Habsburg mit Söhnen zu bombardieren, einer kränklicher alsder andere. Allen voran Franz Ferdinand,ein cholerischer Hänfling, den niemand lei
den kann und der auch selbstniemanden mag. Seine Komplexe verbirgt er hinter einemkolossalen Schnurrbart, seinen fantastischen Reichtumhinter einem unbarmherzigen Geiz und seine politischeOhnmacht hinter einer pathologischen Jagdleidenschaft: „Er schoss an einemTag dreiundfünfzig Gamsböcke. Die Treiber zitterten,wenn er sie anblickte.“
Eine dynastische Launebestimmt dieses Ekel zumThronfolger. Und noch erstaunlicher: der Leser wirdzu seinem Komplizen. Ge
schickt unterwandert Winder unter Aufbietung avancierter Darstellungsformendie Zentralperspektive, gegen die ja auch –ins Politische übertragen – der finster sendungsbewusste Herrschaftsaspirant rebelliert. Denn so unangenehm der Herausforderer, so moribund zeigt sich das kaiserliche „Mumienkabinett“, das er einmal zu beerben trachtet. So schön diese Adelsgesellschaft auch schimmert, in Roben,
Es ist nichts.“ Das waren die letztenWorte des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand, nachdem
ihm das Projektil aus der Waffe des nationalbewegten serbischen Studenten Gavrilo Princip die Halsschlagader zerfetzt hatte. Das Attentat von Sarajevo am 28. Juni1914 nahm der habsburgische Kaiser zumAnlass, die unbotmäßigen Südslawen miteiner „kleinen Strafexpedition“ zu überziehen. Dergrößte Krieg, den dieMenschheit bis dahin kannte, entstand daraus. Er mordete Millionen von Menschen und blies neben vielemanderen die österreichischungarische Monarchie endgültig von der Landkarte.
Mit diesem lapidarenAusblick endet LudwigWinders Roman „DerThronfolger“, der zu den Entdeckungen dieses Gedenkjahrs gehört. Mit derpsychologischen Fantasieeines großen Romanciersund der kritischen Akribie eines nüchternen Historikers wird darin literarisch dokumentiert, wie sich der walzertaumelnde Herrschaftsflitter der Donaumonarchie in den leicht entzündlichen Zunderverwandelt, dessen Opfer und Repräsentant gleichermaßen der unglücklicheFranz Ferdinand gewesen ist.
Die historienselige SissiWelt hat sich ineinen bösen Zaubergarten verwandelt, in
Endzeit
Der letzte aller KriegeSchatten, Schemen, Verdreckte, Verwilderte, eher Tier als Mensch: so tappen die französischen Soldaten morgens aus ihren schlammigen Schlaflöchern, als Henri Barbusses Roman „Das Feuer“ uns erstmals indie Schützengräben führt. Man kann sichdie Erschütterung, die Barbusse bei jenenausgelöst haben mag, die bis dahin nur dasPropagandabild des Frontalltags kannten, gar nicht mehr ausmalen. „Das Feuer“ warder erste schonungslose Bericht über denGrabenkrieg, er erschien bereits 1916.
Barbusse (1873–1935) war Kriegsfreiwilliger, aber seine Erlebnisse an der Frontmachten ihm zum Pazifisten und Sozialisten. Sein „Tagebuch einer Korporalschaft“,
so der Untertitel von „Das Feuer“, handeltvon Erschöpfung, Benommenheit, Verzweiflung, und die unwirkliche Landschaft der Trichter, Pfützen, Gräben und Trümmer wird zum Endzeitgemälde. Hier kanndie Menschheit nur entweder völlig untergehen oder ganz neu anfangen.
Diese Hoffnung mitten im Grauen teiltHenri Barbusse mit vielen anderen Autoren, dass der große Krieg notwendig derletzte sein müsse. Nichts liest sich bittererals diese vermeintliche Gewissheit. tkl
Henri Barbusse: Das Feuer. Roman. Aus dem Französischen von Leo von Meyenburg.Tredition, Hamburg. 404 Seiten, 19,90 Euro.
Etappenleben
Hinter die Front, so schnell es gehtHelden bekommen Denkmäler, weil sieselbst nicht mehr erzählen können. IhreKarriere krönt der Heldentod. Schlump,Soldat des Kaisers, will diese Art Heldentum vermeiden, wobei ihm das Schicksalkräftig unter die Arme greift. Zunächst wäre er nämlich naiv genug, willig bis in dievordersten Gräben zu marschieren. Aberder Zufall macht den erst 17Jährigen füreine Weile und gleich zu Anfang seines Kriegseinsatzes vertretungsweise zum Kommandanten eines kleinen französischen Dorfes. Und Schlump gewöhnt sich an die Distanz zum Sterben in den Gräben,ans gute Essen, an die schönen Mädchenund an den Versuch, mit dem unter seinerFuchtel stehenden Feind zu angenehmenKompromissen zu kommen, damit dasLandleben weitergehen kann.
Hans Herbert Grimm (1896–1950), der„Schlump“ 1928 veröffentlichte, mischtElemente des Schelmenromans mit allerHärte der Weltkriegsliteratur. Als Schlumpwirklich einmal an die Front muss, erlebt erin Kürze all das, wovon andere Romaneausschließlich erzählen: das pure Grauen.Dieser Unkriegerische verdrückt sich alsbald nach hinten. Die Nazis begriffen solche Literatur als Wehrkraftzersetzung undhaben sie gehasst und verbrannt. Schlumpsunheldische Überlebenskunst ist pure Notwehr. Aber die Etappenoffiziere rundum, die andere in den Tod schicken, erscheinenhier als miese Verbrecher. tkl
Hans Herbert Grimm: Schlump.Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 348 Seiten, 19,99 Euro.
Bergkampf
Urgeschichte der GewaltDie Berge gelten gemeinhin als das Erhabene, an dem der Mensch seine moralischeAutonomie gegen die Herausforderung derNatur behauptet. Davon lebt der Alpinismus ebenso wie das touristische Sehnsuchtsbild der Bergidylle. Doch entlangeiner der malerischsten Alpenkulissen, die man sich vorstellen kann, den Dolomiten,verlief im Ersten Weltkrieg eine erbittert umkämpfte Frontlinie, an der nicht nurTausende österreichischer und italienischer Soldaten zuschanden wurden, sondern auch der Glaube an eine wie auch immer geartete moralische Integrität.
Der intellektuelle Einzelkämpfer UweNettelbeck hat 1976 in seiner Materialmontage „Der Dolomitenkrieg“ den Frontverlauf aus Fragmenten zeitgenössischerPropaganda, Kriegsberichterstattung undHeldenkitsch nachgezeichnet und dabeidie Demarkationslinie zwischen Barbarei und Zivilisation neu vermessen – so langeund so gründlich, bis von ihr nichts mehrübrig blieb. Mit historischen Fotos versehen ist sein Bericht nun neu erschienen.Wegen strategisch belangloser Geländegewinne belagern sich alpine Stoßtrupps inlebensfeindlichster Umgebung und unterhöhlen Gletscher und Berge mit ameisenhafter Beharrlichkeit, nur um die Stollensysteme sogleich mit immer gewaltigerenSprengladungen wieder in die Luft zu jagen. Der Phrasenstaub auf der Wendungvon der Absurdität des Kriegs wird von diesem aus höchsten Regionen niedergehenden Springquell der Vernichtung reingewaschen. Größer als die Berge ist nur derWahnsinn der Menschen. kir
Uwe Nettelbeck: Der Dolomitenkrieg. Mit einem Nachwort versehen von DetlevClaussen. Berenberg Verlag, 152 Seiten, 20 Euro.
Grabenkrieg
Zerrieben im TrommelfeuerDie Soldaten des Ersten Weltkriegs lagennicht einfach hingeduckt in Dreck und Kugelhagel. Sie lagen in einem gigantischenMörser, dessen Stößel die Idee vom Wertdes Individuums zerrieb. Das begreift manwieder sehr deutlich, wenn man „Golgatha“von Peter Schmitz (1887–1938) liest, der1935 erstmals im deutschsprachigen Belgien erschienen ist.
Als der 26jährige Künstler und Kunsthändler Schmitz 1914 als Freiwilliger in denKrieg zog, war seine Heimatstadt Eupenwieder einmal Teil von Deutschland. Aberin seinem stark autobiografisch geprägtenRoman wird die Begeisterung für Eroberungszüge, die auch in oft die Herren wechselnden Grenzgebieten vorkommt, nurnebenbei erwähnt. Früh schon sind die Soldaten von Skepsis geprägt, vom schlichten Wunsch, halbwegs heil heimzukommen.
Die Zweiklassengesellschaft von Frontschweinen und Etappenoffizieren, dieOhnmacht im Trommelfeuer, die Monotonie des äußersten Entsetzens, die derTodesgefahr die letzte Würde der Extremsituation nimmt, indem sie aus ihr einenindustriell herstellbaren Dauerzustandmacht, womit sich der Mensch schlicht alsfehlkonstruiertes, zu schwaches Teil derneuen Welt erweist – die schildert Schmitzso gut wie nur einer. Dass es ihm an sprachlichem Protz fehlt, macht ihn authentisch. Hier müht sich einer mit dem nicht Beschreibbaren, ohne es in die Distanz des polierten Kunsthandwerks zu rücken. tkl
Peter Schmitz: Golgatha. Roman. DonatVerlag, Bremen. 336 Seiten, 16,80 Euro.
Jäger und OpferWiederentdeckung Ludwig Winder zeichnet in seinem Roman „Der Thronfolger“ ein grandioses Psychogramm. Von Stefan Kister
Der Funke, der die Welt entzündetWeltkrieg Am 28. Juni jährt sich zum hundertsten Mal der Tag des Attentats von Sarajevo. Eine Buchseite zum Thema.
Die Illustrationen sind dem Band „Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten“ (Theiss Verlag, 24,95 Euro) entnommen, erschienen zur Ausstellung „1914–1918“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin ( bis zum 30. November). Großes Bild: Gasmaske M 1917. Danebenvon oben nach unten: Chirurgisches Lazarettbesteck; Armprothese;Maschinengewehr M 1908. Fotos: Verlag
Großer Krieg1914–1918 Erinnerung an
die Urkatastrophe eines
Jahrhunderts
34 Nr. 139 | Freitag, 20. Juni 2014STUTTGARTER ZEITUNGDAS BUCH