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DOI: 10.1007/s00350-013-3501-6 Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses Benjamin Reuter und Christoph Weinrich I. Einleitung Der Bewertungsausschuss hat als Einrichtung der gemein- samen Selbstverwaltung der vertragsärztlichen Versorgung 1 im Bereich der Vergütung bzw. Honorierung der ärztlichen Leistungen die wesentlichen Entscheidungen zu treffen 2 . Im Rahmen seiner Arbeit kommt dem Bewertungsaus- schuss ein weitgehender Gestaltungsspielraum zu, der re- gelmäßig Angriffen in Gerichtsverfahren zu Honorarfra- gen ausgesetzt ist. Im Folgenden gehen daher die Verfasser der Frage nach, welche Gestaltungsspielräume der Bewer- tungsausschuss bei seinen Aufgaben im System der ambu- lanten Versorgung hat und wo die Grenzen liegen. Dr. iur. Benjamin Reuter und Dr. iur. Christoph Weinrich, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Rechtsabteilung, Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin, Deutschland erfasst. Besser dürfte hier nach Einschätzung der Verfasser eine Herabsetzung der Mitarbeiterzahl oder aber ein gänzli- cher Verzicht auf die Einschränkung der Verpflichtungen sein. Hinter dem Vorschlag zur Einschränkung der vorgeschlage- nen Pflichten steht offensichtlich der Wille, kleinere Einhei- ten, wie beispielsweise den niedergelassenen Landarzt, mit der Pflicht zur Einrichtung einer solchen Funktion sowie des ent- sprechenden Risikomanagementsystems nicht zu überfordern. Auch wenn dieses Ziel sicherlich anerkennenswert ist, darf gleichwohl nicht übersehen werden, dass bereits aktuell jeder niedergelassene Arzt, unabhängig von der Größe seiner Pra- xis, verpflichtet ist, die ihn betreffenden Vorgaben der MPSV zu beachten. Insofern muss die notwendige Kompetenz und Organisation bei dem Arzt – unabhängig von der Praxisgrö- ße – ohnehin bereits vorhanden sein, zumal Ärzte auch durch die berufsrechtlichen Vorgaben der Berufsordnungen diverser Ärztekammern zur Meldung von Risiken im Zusammenhang mit der Anwendung von (bestimmten) Medizinprodukten an unterschiedliche Stellen verpflichtet werden 38 . Eine Überfor- derung steht daher nicht zu befürchten. Der Vorschlag des BVMed in der wie vorstehend vor- geschlagenen Modifikation erweist sich nach Ansicht der Verfasser gegenüber dem Vorschlag des Gesetzgebers zur Einführung eines Ordnungswidrigkeiten-Tatbestandes als überlegen. So wird durch die Pflicht zur Bestellung eines Vigilanz-Beauftragten mit hinreichender Fachkompetenz sowie zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems den zu vermutenden tatsächlichen Ursachen des unzurei- chenden Meldeverhaltens von beruflichen Betreibern und Anwendern von Medizinprodukten hinreichend Rech- nung getragen, indem zum einen Wissenslücken geschlos- sen und zum anderen organisatorische Defizite beseitigt werden. Dies ist mit der alleinigen Einführung eines Ord- nungswidrigkeiten-Tatbestandes, der das Unterlassen voll- ständiger und rechtzeitiger Meldungen sanktioniert, nicht in gleicher Form erreichbar. Überdies werden die absehba- ren negativen Folgen der Einführung einer solchen Sankti- onierung aller Voraussicht nach vermieden. Sollte die Einführung einer Pflicht zur Einrichtung der Funktion eines Vigilanz-Beauftragten das unzureichende Meldeverhalten von Betreibern und Anwendern innerhalb eines zu definierenden Zeitraumes tatsächlich nicht hinrei- chend verbessern, dann könnte in einem weiteren Schritt immer noch in Erwägung gezogen werden, das Vigilanz- System um einen zusätzlichen Ordnungswidrigkeiten-Tat- bestand zu ergänzen, der unzureichendes Meldeverhalten der Verpflichteten sanktioniert. IV. Fazit Ein funktionierendes Vigilanz-System für Medizinprodukte ist zur Erreichung des hinter den europäischen Medizinpro- dukte-Richtlinien stehenden Schutzziels der Patientensi- cherheit essentiell, da es eine unverzichtbare Rückkopplung zwischen Entwicklung, Herstellung und Anwendung eines Medizinproduktes gewährleistet. Vor diesem Hintergrund sind sich alle Beteiligten dahingehend einig, dass die ak- tuellen Schwachstellen des durch die Medizinprodukte-Si- cherheitsplanverordnung konkretisierten Vigilanz-Systems angegangen werden müssen. Diese bestehen vor allem in einem offensichtlich unzureichenden Meldeverhalten der gemäß § 3 Abs. 2 MPSV meldepflichtigen beruflichen oder gewerblichen Betreiber und Anwender von Medizinpro- dukten. Ob die von Seiten des Gesetzgebers vorgeschla- gene Sanktionierung einer nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erstatteten Meldung als Ordnungswidrigkeit der richtige Ansatz zur Behebung des erkannten Defizits ist, er- scheint überaus fraglich. So wird weitgehend angenommen, dass die Ursache für das unzureichende Meldeverhalten der Betreiber und Anwender schlicht und ergreifend in einer Unkenntnis der diesbezüglichen Pflichten sowie in orga- nisatorischen Defiziten besteht. Vor diesem Hintergrund scheint eine modifizierte Form des alternativ vorgeschlage- nen Lösungsmodells vorzugswürdig, welches in der Pflicht zur Bestellung eines Vigilanz-Beauftragten für Medizin- produkte sowie zur Einrichtung eines entsprechenden Ri- sikomanagementsystems in medizinischen Einrichtungen besteht. Auf diese Weise könnte die notwendige Kompetenz und Organisationsstruktur in die Einrichtung eingebracht und überdies eine mit einem Ordnungswidrigkeiten-Tat- bestand aller Voraussicht nach einhergehende Flut von un- begründeten Meldungen vermieden werden. Ob sich diese Erkenntnis letztlich auch auf Seiten des Gesetzgebers durch- setzen wird, bleibt abzuwarten. Reuter/Weinrich, Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses 584 MedR (2013) 31: 584–588 1) Vgl. hierzu schon Schneider, Handbuch des Kassenarztrechts, 1994, Rdnr. 719. 2) Hierbei stellt der Bewertungsausschuss ein besonderes „Vertrags- organ“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV- Spitzenverbandes dar (BSG, Beschl. v. 10. 12. 2008 – B 6 KA 37/08 B –, juris, Rdnr. 11). 38) Vgl. die ausführliche Darstellung berufsrechtlicher Meldepflich- ten durch Jäkel, MPR 2008, 65, 69.

Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses

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Page 1: Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses

DOI: 10.1007/s00350-013-3501-6

Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses Benjamin Reuter und Christoph Weinrich

I. Einleitung

Der Bewertungsausschuss hat als Einrichtung der gemein-samen Selbstverwaltung der vertragsärztlichen Versorgung 1 im Bereich der Vergütung bzw. Honorierung der ärztlichen Leistungen die wesentlichen Entscheidungen zu treffen 2.

Im Rahmen seiner Arbeit kommt dem Bewertungsaus-schuss ein weitgehender Gestaltungsspielraum zu, der re-

gelmäßig Angriffen in Gerichtsverfahren zu Honorarfra-gen ausgesetzt ist. Im Folgenden gehen daher die Verfasser der Frage nach, welche Gestaltungsspielräume der Bewer-tungsausschuss bei seinen Aufgaben im System der ambu-lanten Versorgung hat und wo die Grenzen liegen.

Dr. iur. Benjamin Reuter und Dr. iur. Christoph Weinrich, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Rechtsabteilung, Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin, Deutschland

erfasst. Besser dürfte hier nach Einschätzung der Verfasser eine Herabsetzung der Mitarbeiterzahl oder aber ein gänzli-cher Verzicht auf die Einschränkung der Verpflichtungen sein. Hinter dem Vorschlag zur Einschränkung der vorgeschlage-nen Pflichten steht offensichtlich der Wille, kleinere Einhei-ten, wie beispielsweise den niedergelassenen Landarzt, mit der Pflicht zur Einrichtung einer solchen Funktion sowie des ent-sprechenden Risikomanagementsystems nicht zu überfordern. Auch wenn dieses Ziel sicherlich anerkennenswert ist, darf gleichwohl nicht übersehen werden, dass bereits aktuell jeder niedergelassene Arzt, unabhängig von der Größe seiner Pra-xis, verpflichtet ist, die ihn betreffenden Vorgaben der MPSV zu beachten. Insofern muss die notwendige Kompetenz und Organisation bei dem Arzt – unabhängig von der Praxisgrö-ße – ohnehin bereits vorhanden sein, zumal Ärzte auch durch die berufsrechtlichen Vorgaben der Berufsordnungen diverser Ärztekammern zur Meldung von Risiken im Zusammenhang mit der Anwendung von (bestimmten) Medizinprodukten an unterschiedliche Stellen verpflichtet werden 38. Eine Überfor-derung steht daher nicht zu befürchten.

Der Vorschlag des BVMed in der wie vorstehend vor-geschlagenen Modifikation erweist sich nach Ansicht der Verfasser gegenüber dem Vorschlag des Gesetzgebers zur Einführung eines Ordnungswidrigkeiten-Tatbestandes als überlegen. So wird durch die Pflicht zur Bestellung eines Vigilanz-Beauftragten mit hinreichender Fachkompetenz sowie zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems den zu vermutenden tatsächlichen Ursachen des unzurei-chenden Meldeverhaltens von beruflichen Betreibern und Anwendern von Medizinprodukten hinreichend Rech-nung getragen, indem zum einen Wissenslücken geschlos-sen und zum anderen organisatorische Defizite beseitigt werden. Dies ist mit der alleinigen Einführung eines Ord-nungswidrigkeiten-Tatbestandes, der das Unterlassen voll-ständiger und rechtzeitiger Meldungen sanktioniert, nicht in gleicher Form erreichbar. Überdies werden die absehba-ren negativen Folgen der Einführung einer solchen Sankti-onierung aller Voraussicht nach vermieden.

Sollte die Einführung einer Pflicht zur Einrichtung der Funktion eines Vigilanz-Beauftragten das unzureichende Meldeverhalten von Betreibern und Anwendern innerhalb eines zu definierenden Zeitraumes tatsächlich nicht hinrei-chend verbessern, dann könnte in einem weiteren Schritt immer noch in Erwägung gezogen werden, das Vigilanz-

System um einen zusätzlichen Ordnungswidrigkeiten-Tat-bestand zu ergänzen, der unzureichendes Meldeverhalten der Verpflichteten sanktioniert.

IV. Fazit

Ein funktionierendes Vigilanz-System für Medizinprodukte ist zur Erreichung des hinter den europäischen Medizinpro-dukte-Richtlinien stehenden Schutzziels der Patientensi-cherheit essentiell, da es eine unverzichtbare Rückkopplung zwischen Entwicklung, Herstellung und Anwendung eines Medizinproduktes gewährleistet. Vor diesem Hintergrund sind sich alle Beteiligten dahingehend einig, dass die ak-tuellen Schwachstellen des durch die Medizinprodukte-Si-cherheitsplanverordnung konkretisierten Vigilanz-Systems angegangen werden müssen. Diese bestehen vor allem in einem offensichtlich unzureichenden Meldeverhalten der gemäß § 3 Abs. 2 MPSV meldepflichtigen beruflichen oder gewerblichen Betreiber und Anwender von Medizinpro-dukten. Ob die von Seiten des Gesetzgebers vorgeschla-gene Sanktionierung einer nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erstatteten Meldung als Ordnungswidrigkeit der richtige Ansatz zur Behebung des erkannten Defizits ist, er-scheint überaus fraglich. So wird weitgehend angenommen, dass die Ursache für das unzureichende Meldeverhalten der Betreiber und Anwender schlicht und ergreifend in einer Unkenntnis der diesbezüglichen Pflichten sowie in orga-nisatorischen Defiziten besteht. Vor diesem Hintergrund scheint eine modifizierte Form des alternativ vorgeschlage-nen Lösungsmodells vorzugswürdig, welches in der Pflicht zur Bestellung eines Vigilanz-Beauftragten für Medizin-produkte sowie zur Einrichtung eines entsprechenden Ri-sikomanagementsystems in medizinischen Einrichtungen besteht. Auf diese Weise könnte die notwendige Kompetenz und Organisationsstruktur in die Einrichtung eingebracht und überdies eine mit einem Ordnungswidrigkeiten-Tat-bestand aller Voraussicht nach einhergehende Flut von un-begründeten Meldungen vermieden werden. Ob sich diese Erkenntnis letztlich auch auf Seiten des Gesetzgebers durch-setzen wird, bleibt abzuwarten.

Reuter/Weinrich, Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses584 MedR (2013) 31: 584–588

1) Vgl. hierzu schon Schneider, Handbuch des Kassenarztrechts, 1994, Rdnr. 719.

2) Hierbei stellt der Bewertungsausschuss ein besonderes „Vertrags-organ“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbandes dar (BSG, Beschl. v. 10. 12. 2008 – B 6 KA 37/08 B –, juris, Rdnr. 11).

38) Vgl. die ausführliche Darstellung berufsrechtlicher Meldepflich-ten durch Jäkel, MPR 2008, 65, 69.

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II. Grundlage des Gestaltungsspielraumes

Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses ba-siert auf mehr als auf der einfachgesetzlichen Anordnung i. S. der §§ 87 und 87a SGB V: Er ist logische Konsequenz aus der korporatistischen Ausgestaltung des bundesdeutschen Gesundheitswesens 3. In diesem System werden die Regu-lierungsfunktionen des Staates an die Verbände der Leis-tungserbringer und die Kostenträger delegiert, in dem diese in das Regulierungssystem selbst eingebunden werden 4.

In einem System, in dem die verfasste Ärzteschaft mit den Krankenkassen die Grundlagen der Vergütung der Vertragsärzte selbst auszuhandeln haben, kann dies grund-sätzlich nur unter Zubilligung eines Gestaltungsspielraums geschehen. Eine Verhandlung ohne einen entsprechenden Gestaltungsspielraum würde die Verhandlung ihrer konsti-tutiven Elemente berauben 5.

Der deutsche Gesetzgeber hat sich in über hundertdrei-ßigjähriger Kontinuität zur Absicherung des Krankheits-risikos für ein Sozialversicherungssystem entschieden, das auf dem Sachleistungsprinzip beruht 6. Der Gesetzgeber legt dabei in der Versorgung der gesetzlich Krankenversicher-ten selbst keine Gebührenordnung fest, so dass die Hono-rierung der ärztlichen Tätigkeit über die Kassenärztlichen Vereinigungen als Gesamtvertragspartner der Gesetzlichen Krankenversicherung geregelt wird, was über die vorge-gebene Einrichtung einer vertragsärztlichen Gebührenord-nung – Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) – in § 87 SGB  V zunächst im Wege der vorgegebenen wertmäßi-gen Ordnung der Leistungen zueinander angeordnet wird. Bei dieser Errichtung stehen sich damit als Vertragspartner des deutschen ambulanten Gesundheitssystems zu Solidar-gemeinschaften im Rahmen der GKV zusammengefasste Versicherte und genossenschaftlich organisierte Kassen-ärztliche Vereinigungen gegenüber, die ihrerseits die Kas-senärztliche Bundesvereinigung bilden 7.

Aus der dargestellten Grundstruktur heraus ist zu erklä-ren, warum ein Selbstverwaltungssystem die Konkretisie-rung der gesetzlichen Rahmenvorgaben vornehmen muss, an dem über die KBV auch eine Legitimation von Ent-scheidungen durch die Vertragsärzte einfließt: Zunächst kommt das dem GKV-System zu Grunde liegende Kon-zept eines vertraglichen Zusammenwirkens von Ärzten und Krankenkassen ohne die Übertragung von Rechtsset-zungskompetenzen, die die Mitglieder beider Seiten bin-den, tatsächlich nicht aus 8. Die Übertragung von Entschei-dungsbefugnissen auf die Selbstverwaltung entfaltet vor dem Grundrechtseingriff in Art. 12 Abs. 1 GG aufgrund der Bindung der Vertragsärzte an die Mitgliedschaft in den KVen 9 nebst Sicherstellungsauftrag sowie Sachleistungs-prinzip vor allem eine freihheitssichernde Dimension 10. Der Gesetzgeber kann die Entscheidungsspielräume des Erweiterten Bewertungsausschusses in diesem System aus-gestalten und konkretisieren. Er muss dies sogar tun, wo es um die wesentlichen Grund ent scheidungen und Grundzü-ge geht 11. Es ist ihm jedoch verwehrt, die Entscheidungs-spielräume des Bewertungsausschusses im jetzigen System in Gänze abzuschaffen 12. Zwar ist die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen nicht über Art. 28 Abs. 2 GG geschützt, jedoch würde es einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit der Vertragsärzte bedeuten, wenn der Gesetzgeber die durch die verpflichtende Bindung der Vertragsärzte an die vorge-nannten Grundsätze notwendige Selbstverwaltung letztlich ins Leere laufen ließe 13.

III. Umfang und Grenzen des Gestaltungsspielraumes

Ein Gestaltungsspielraum liegt vor, wenn von der Ermäch-tigungsnorm nur der Regelungsbereich mit den maßgeben-den Strukturprinzipien vorgegeben wird 14. Kern eines Ge-

staltungsspielraumes ist, dass es nicht nur eine rechtmäßige Entscheidung gibt, sondern mehrere Möglichkeiten denkbar sind, die dem gesetzlichen Regelungsauftrag gerecht werden. Die Ermächtigungsnorm lässt bei Vorliegen eines Gestal-tungsspielraums dementsprechend mehrere Regelungsalter-nativen zu. Das bedeutet aber, dass im Rahmen eines Gestal-tungsspielraums eine vollständige gerichtliche Überprüfung im Hinblick auf unbestimmte Rechtsbegriffe ausscheidet.

Die Regelungen des Bewertungsausschusses werden von der Rechtsprechung als Rechtsnormen qualifiziert 15. Nach der Rechtsprechung des BSG geht mit Rechtssetzungsak-ten immer ein Gestaltungsspielraum einher 16. Das genaue Ausmaß des Gestaltungsspielraumes lässt sich aber nur aus der Ermächtigungsgrundlage bestimmen. Das BSG stellt in diesem Zusammenhang klar, dass der Gestaltungsspielraum des untergesetzlichen Normgebers nur innerhalb der erteil-ten Normsetzungsermächtigung besteht 17. Welches Maß an Gestaltungsfreiheit dem Bewertungsausschuss zukomme, sei nach der Wesensart der Ermächtigungsvorschrift und der ihr zugrunde liegenden Zielsetzung zu bestimmen 18.

1. Umfang der Gestaltungsspielräume

Im Ergebnis bedarf es daher bei der Bestimmung des Ge-staltungsspielraumes des Bewertungsausschusses einer ge-nauen Betrachtung seiner einzelnen Aufgabenbereiche.

a) Der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM)

Hauptaufgabe des Bewertungsausschusses ist die Aufstellung des EBM. Dieser bildet den Leistungskatalog der ärztlichen Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung ab und regelt ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander. Der EBM ist dabei sowohl für die Vertragsärzte als auch für die Gesamtvertragspartner bei der Vereinbarung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung als Leistungs-verzeichnis maßgeblich (vgl. § 87 a Abs. 3 S. 2 SGB V). Der EBM verknüpft so die Rechtsbeziehung zwischen den Kran-kenkassen und Kassenärztlichen Vereinigung sowie zwischen Kassenärztlicher Vereinigungen und Vertragsarzt 19.

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3) Vgl. hierzu Kingreen, ZMGR 2010, 227, der die Bestätigung des Gewaltengefüges im Vertragsarztrecht durch den 6.  Senat des BSG als Ernstnahme des historischen Gesetzgebers bezeichnet, die Ausgestaltung des Versorgungsgeschehens weitgehend den Ärzten und Krankenkassen zu überlassen.

4) Vgl. etwa Noweski, Der unvollendete Korporatismus, 2004, S. 24 ff.5) Vgl. BSG, Urt. v. 12. 12. 2012 – B 6 KA 3/12 R – juris, Rdnr. 29

m. w. N.6) Wigge, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts,

2. Aufl. 2006, § 2, Rdnr. 39; zur Vereinbarkeit des Vergütungsrechts mit dem Verfassungsrecht vgl. BSG, MedR 2005, 538, 540.

7) Vgl. schon Schneider, Handbuch des Kassenarztrechts, 1994, Rdnr. 5.

8) BSGE 81, 73, 83.9) Vgl. zum Grundrechtseingriff schon der Zulassungspflicht

grundlegend BVerfGE 11, 30.10) Vgl. hierzu Huber, VSSR 2000, 380 f.11) Vgl. BSGE 82, 55, 59; BSG, MedR 2005, 538, 540.12) So auch: BSGE 81, 73, 83, im Hinblick auf den Kollektivvertrag.13) Vgl. zum Selbstverwaltungsrecht der KVen Huber, VSSR 2000,

369–398.14) S. hierzu SG Marburg, Urt. v. 7. 5. 2008 – S 12 KA 363/07 –,

juris, Rdnr. 47. 15) Vgl. BVerfG, MedR 2005, 285, 286; zur Rechtsnormqualität in

Abgrenzung zur Allgemeinverfügung BSGE 71, 42. 16) Vgl. Freudenberg, in: juris Praxiskommentar SGB V, 2. Aufl. 2012,

§ 87, Rdnr. 115.17) BSG, SozR 4-2500 § 85 Nr. 68, Rdnr. 30.18) BSG, MedR 2012, 613, 615.19) Hieraus wird auch deutlich, dass die Rechtswidrigkeit einer Be-

stimmung im EBM zwangsläufig auch zu einer unrichtigen Ge-samtvergütung führt und damit Nachschusspflichten der Kranken-kassen erforderlich macht; s. hierzu BSG, SozR 4-2500 § 87 Nr. 26.

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Hieraus wird deutlich, dass der EBM nicht isoliert in sei-ner Funktion als Leistungs- und Bewertungsverzeichnis betrachtet werden kann 20. Er ist vielmehr das zentrale In-strument der vertragsärztlichen Vergütung, das die Einnah-me- und Ausgabeseite verknüpft. In diesem Sinne hat das BSG entschieden, dass der Bewertungsausschuss nicht da-rauf beschränkt ist, bei der Bewertung allein medizinische oder betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksich-tigen 21. Der Bewertungsmaßstab ist vielmehr Teil eines aus mehreren Elementen bestehenden komplexen Vergütungs-systems, das unterschiedlichen und teilweise gegenläufigen gesetzlichen Zielvorgaben gerecht werden muss 22. Im Hin-blick auf die Steuerungsfunktion, die dem EBM als bundes-weit verbindlicher Vergütungsgrundlage zukommt, ist es deshalb zulässig, über ergänzende Bewertungsformen wie Komplexgebühren, Gebührenpauschalen, Abstaffelungs-regelungen und Budgetierung Verteilungseffekte mit dem Ziel einer angemessenen Vergütung der ärztlichen Leistun-gen, auch im Verhältnis der Arztgruppen zueinander, her-beizuführen 23. Zudem ist der Bewertungsausschuss auch zur Regelung von Qualifikationsanforderungen ermächtigt 24.

Der Gesetzgeber hat damit dem Bewertungsausschuss die Möglichkeit eingeräumt, flexibel auf die jeweiligen Er-fordernisse der vertragsärztlichen Versorgung zu reagieren und hierbei sachgerechte Lösungen zur Sicherstellung der Versorgung der GKV-Versicherten zu finden.

b) Anpassung des Orientierungspunktwertes

Neben der Erstellung des EBM hat der Bewertungsaus-schuss noch weitere Aufgaben. Die wichtigste hiervon ist die in § 87 Abs. 2e und 2g SGB V vorgesehene Anpassung des bundesweit geltenden Orientierungswertes, der den re-gionalen Euro-Gebührenordnungen als Grundlage dient.

Auch hier muss dem Grunde nach ein weiter Gestaltungs-spielraum angenommen werden, der auch hier vor dem Hin-tergrund der Funktion der Regelung auszugestalten ist. Diese ist hier in der Schaffung der zentralen Preiskomponente zu sehen. Der Gesetzgeber macht dabei konkrete Vorgaben, wel-che Komponenten in die Preisbildung einfließen sollen. Dies sollen insbesondere die betriebswirtschaftlichen Kosten, die Möglichkeit zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreser-ven sowie die allgemeine Kostendegression bei Fallzahlstei-gerungen sein. Da der Orientierungspunktwert als zentrale Preiskomponente des Vergütungssystems anzusehen ist, ist dabei davon auszugehen, dass in den betriebswirtschaftlichen Kosten auch die Weiterentwicklung des Arztlohnes enthalten sein muss. Während die übrigen Betriebskosten dabei statis-tisch zu ermitteln sind und auf diese Weise auch Kostenan-stiege in der Kalkulation als rechnerische Größen überprüf-bar sein müssen, ist die Weiterentwicklung des Arztlohnes ein zentrales Element der Bildung des Orientierungspunkt-wertes, das im Wege der Verhandlung einzufließen hat. Vor diesem Hintergrund ist der Gestaltungsspielraum des Bewer-tungsausschusses so ausgestaltet, dass ihm Wertungen und Abwägungen der einzelnen Bereiche möglich sein müssen, da die Preiskomponente denknotwendig der zentrale Ver-handlungspunkt zwischen Ärzten und Krankenkassen sein muss 25. Jedoch ist er dabei verpflichtet, die einzelnen Ab-wägungsgesichtspunkte auch zu berücksichtigen, und darf er keine Komponente außer Acht lassen.

Weiterhin gibt der Bewertungsausschuss nach § 87 a Abs. 5 SGB V Empfehlungen über die Weiterentwicklung der Morbiditätsstruktur ab (Mengenkomponente). Da es sich hierbei um eine Fortentwicklung des Übergangs des Morbiditätsrisikos auf die Krankenkassen handelt, muss der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses hier an-ders ausgestaltet sein. Anders als nämlich im Rahmen der Preisgestaltung und der Erstellung des EBM geht es hierbei nicht um einen Prozess der Wertung und des Aushandelns, sondern darum, die reale Morbiditätsentwicklung in den Ländern abzubilden, da ansonsten das Morbiditätsrisiko

bei den Vertragsärzten verbliebe. Die Empfehlungen zur Mengenentwicklung dürfen daher nach dem klaren Willen des Gesetzgebers auch nicht dazu herangezogen werden, die vorbenannten Preisverhandlungen so auszugestalten, dass es zu einem vollständigen Ausgleich der empfohlenen Preisentwicklung kommt 26. Daher ist davon auszugehen, dass es bei den Empfehlungen zur Morbiditätsentwicklung letztlich um eine Abbildung von vorgefundenen Fakten geht. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass bei der Erarbeitung der entsprechenden Empfehlungen das Institut des Bewertungsausschusses nach § 87 a Abs. 5 SGB V einge-bunden ist. Insofern ist also im Rahmen dieser Empfehlun-gen kein Raum mehr für einen Gestaltungsspielraum i. S. eines Ver- und Aushandelns: Die Morbiditätsentwicklung hat in die regionalen Gesamtvergütungen einzufließen.

2. Verfassungsrechtliche Grenzen des Gestaltungsspielraumes

Soweit demnach dem Bewertungsausschuss im System der Gemeinsamen Selbstverwaltung ein weiter Gestaltungsspiel-raum zukommen muss und auch zukommt, sind diesem Ge-staltungsspielraum verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt.

a) Art. 12 Abs. 1 GG

Ausgangspunkt der Betrachtung zur Grenze der Gestal-tungsspielräume des Bewertungsausschusses ist Art.  12 Abs. 1 GG. Das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit denen, die an diesen Leistungen in-teressiert sind, auszuhandeln 27. Da durch die Vergütungsre-gelungen des Bewertungsausschusses der Honoraranspruch des Vertragsarztes wesentlich ausgestaltet wird und im glei-chen Maße das Recht des Vertragsarztes an der selbststän-digen Festsetzung seiner Vergütung verdrängt wird, sind die Beschlüsse des Bewertungsausschusses am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen 28.

Vergütungsregelungen sind nach der Rechtsprechung des BVerfG nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Die Grenzen der Zumutbarkeit sind dort erreicht, wo unange-messen niedrige Einkünfte zugemutet werden und auf der Grundlage der bestehenden Vergütungsregelungen eine wirtschaftliche Existenz generell nicht mehr möglich ist.

Aus der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zu Art. 12 Abs. 1 GG im Hinblick auf einen Eingriff in die Entgeltfestsetzungsfreiheit folgen dementsprechend zwei Vorgaben, denen die Beschlüsse des Bewertungsausschusses grundsätzlich genügen müssen und die damit den Gestal-tungsspielraum des Bewertungsausschusses begrenzen.

Einerseits müssen die Beschlüsse auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage 29 beruhen. Dies bedeutet jedoch

Reuter/Weinrich, Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses586 MedR (2013) 31: 584–588

20) Vgl. BSGE 78, 98, 105. 21) BSGE 88, 126, 129. 22) BSGE 78, 98, 105. 23) BSG, SozR 4-2500 § 87 Nr. 9, Rdnr. 17; BSGE 78, 98, 105. 24) Vgl. hierzu BSG, Urt. v. 9. 5. 2012 – B 6 KA 83/11 B –, juris,

Rdnr. 7. 25) Aus diesem Grunde ist es auch verfehlt anzunehmen, dass die

Verhandlungen hierüber konfliktfrei ablaufen könnten.26) BT-Dr. 16/3100, S. 130.27) BVerfG, MedR 2005, 160, 162; vgl. BVerfGE 101, 331, 347. 28) Nach dem BSG umfasst der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG grund-

sätzlich den Anspruch des Arztes auf Honorierung seiner ver-tragsärztlichen Tätigkeit (s. BSG, Urt. v. 20. 10. 2004 – B 6 KA 31/03 R –, juris, Rdnr. 29).

29) Das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage ergibt sich auch aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG; s. BSG, MedR 1991, 100, 102.

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nicht, dass die Ermächtigungsgrundlage die untergesetzliche Rechtsnorm in allen Einzelheiten tatbestandlich vorzeichnen muss. Eine solche Forderung würde einen Gestaltungsspiel-raum des Bewertungsausschusses unmöglich machen. Das Er-fordernis einer Ermächtigungsgrundlage ist vielmehr in dem Sinne zu verstehen, dass der Regelungsbereich, der durch die Rechtsgrundlage vorgegeben wird, nicht überschritten wird. Die Gerichte sind dabei nicht befugt zu überprüfen, ob die je-weils zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden worden ist 30. Die Grenzen der Rechtssetzungsbe-fugnis durch den Normgeber sind dann überschritten, wenn die getroffene Regelung in einem „groben Missverhältnis“ zu den mit ihr verfolgten legitimen Zwecken steht, d. h. in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist 31.

Grenzen des Gestaltungsspielraums des Bewertungsaus-schusses sieht die Rechtsprechung in einer nicht zulässi-gen Durchsetzung der honorarpolitischen Interessen ein-zelner Arztgruppen oder aber der Einkommenslenkung 32, der missbräuchlichen Ausübung von Kompetenzen durch bewusste Benachteiligung von Minderheitengruppen oder durch die Motivation durch sonst sachfremde Erwägungen.

Als zweite Voraussetzung, die sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergibt, müssen die Beschlüsse des Bewertungsausschusses zu einer Vergütung der Vertragsärzte führen, die generell eine wirtschaftliche Existenz ermöglicht. In diesem Sin-ne ist die Rechtsprechung des BSG zu verstehen, die dem Vertragsarzt dann einen Anspruch auf eine höhere Vergü-tung zugesteht, wenn durch eine zu niedrige Vergütung ärztlicher Leistungen das vertragsärztliche Versorgungssys-tem als Ganzes, oder zumindest in Teilbereichen, etwa in einer Arztgruppe, und als Folge davon auch die berufliche Existenz der an dem Versorgungssystem teilnehmenden Vertragsärzte gefährdet wird 33.

Eine weitergehende Verhältnismäßigkeitsprüfung i. S. einer Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismä-ßigkeit im engeren Sinne kommt im Rahmen von Leis-tungsbewertungen durch den Bewertungsausschuss nicht in Betracht. Der Grundrechtseingriff liegt in der gesetzli-chen Vorgabe einer festen Vergütung, die Festlegung der konkreten Gebührenhöhe durch den Bewertungsausschuss stellt darauf aufbauend begrifflich keinen Eingriff, sondern eine Gewährung dar und ist damit einer strengen Verhält-nismäßigkeitsprüfung nicht zugänglich 34.

Soweit Regelungen des Bewertungsausschusses als Vergü-tungsregelungen nicht nur in die Entgeltfestsetzungsfreiheit eingreifen, sondern den Zulassungsstatus des Vertragsarztes betreffen, bedarf es hierfür einer spezifischen gesetzlichen Ermächtigung 35. Ein Eingriff in den Status des Vertrags-arztes ist nach der Rechtsprechung des BSG dann gegeben, wenn Regelungen den Vertragsarzt von der Erbringung bzw. Abrechenbarkeit solcher Leistungen ausschließen, die für sein Fachgebiet wesentlich und prägend sind.

b) Art. 3 Abs. 1 GG

Weiterhin wird der Gestaltungsspielraum des Bewertungs-ausschusses durch Art. 3 Abs. 1 GG begrenzt 36. Der Gleich-behandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG schreibt unter stetiger Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken vor, we-sentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entspre-chend unterschiedlich zu behandeln 37.

Das bedeutet jedoch nicht, dass auf der einen Seite für jeden unterschiedlichen Einzelfall auch eine unterschied-liche Regelung gefunden werden müsste oder andererseits keinerlei Differenzierungen zulässig wären. Normgebung kommt ohne Pauschalisierung und Typisierung nicht aus. Dementsprechend ist der Bewertungsausschuss auch zur Generalisierung, Pauschalierung, Schematisierung und Ty-pisierung befugt 38.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist aber Art. 3 Abs. 1 GG dann als Prüfungsmaßstab heranzuziehen, wenn eine

Regelung des EBM eine Vergütung nur einer Arztgruppe gewährt, obgleich die Leistung auch von anderen Arzt-gruppen erbracht wird bzw. erbracht werden kann oder wenn die gleiche Leistung zwar für verschiedene medizi-nische Leistungserbringer dem Grunde nach abrechenbar ist, in Abhängigkeit vom jeweiligen Behandlerstatus aber unterschiedlich bewertet wird 39.

Eine solche Regelung ist aber nur dann rechtwidrig, wenn es im Lichte von Art.  3 GG keinerlei vernünftige Gründe für die Ungleichbehandlung gibt 40. Soweit z. B. ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Punktzahl der-selben EBM-Leistung in Abhängigkeit von der Arztgruppe vorliegt, ist eine solche Differenzierung zulässig 41. Hierbei können die Erwägungen des Normgebers nur dann vom Gericht beanstandet werden, wenn sie so offensichtlich fehlgehen, dass sie vernünftiger Weise keine Grundlage für die untergesetzlichen Regelungen abgeben können 42.

Soweit die Differenzierung auf tatsächliche Verhältnisse Bezug nimmt und/oder eine Regelung als sog. „zahlenför-mige Norm“ getroffen wird, gilt grundsätzlich nichts an-deres 43. Insbesondere bedarf es bei zahlenförmigen Norm nicht der Richtigkeit jedes einzelnen Elements in einem mathematischen, statistischen oder betriebswirtschaftlichen Sinn. 44 Dabei ist der Bewertungsausschuss nach Auffassung des BSG auch befugt, auf der Grundlage unvollkommener Erkenntnisse Entscheidungen zu treffen 45.

Wenn eine Regelung zunächst von einer nachvollziehba-ren Erwägung getragen wurde, die Regelung aber im prak-tischen Vollzug zu unerwünschten Ergebnissen führt, folgt hieraus ebenfalls nicht die Rechtswidrigkeit der Norm. Der Bewertungsausschuss ist in diesem Fall nur ggf. im Rah-men seiner Beobachtungspflicht verpflichtet, die Regelung anzupassen bzw. zu ergänzen 46.

IV. Fazit

Der Bewertungsausschuss ist eines der zentralen Organe zur Ausgestaltung der Vergütung der Vertragsärzte. Da ihm da-mit eine wesentliche Funktion in der Selbstverwaltung des

Reuter/Weinrich, Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses MedR (2013) 31: 584–588 587

30) S. BSG, SozR 3-2500 § 87 Nr. 15, S. 60. 31) BSG, MedR 2009, 174, 175.32) Vgl. LSG Berl.-Brdbg., Urt. v. 26. 9. 2012 – L 7 KA 94/10 –, juris,

Rdnr. 46.33) Vgl. hierzu BSG, Urt. v. 11. 3. 2009 – B 6 KA 31/08 B –, juris,

Rdnr. 11. 34) Das BVerfG prüft auch nur die gesetzliche Ermächtigungsnorm

zum Erlass des EBM: BVerfG, MedR 2005, 285, 286; s.  auch BSG, SozR 3-2500 § 87 Nr. 15, S. 60.

35) BSG, SozR 3-2500 § 72 Nr. 8, S. 20 m. w. N. 36) BVerfG, MedR 2005, 285, 286 m. Verweis auf BVerfGE 106,

166, 175. 37) Vgl. BSG, MedR 2009, 755, 257 m. w. N. aus der Rechtspre-

chung des BVerfG. 38) BSG, SozR 4-2500 § 87 Nr. 17, Rdnr. 15; vgl. auch BSGE 100,

154, 160. 39) S. hierzu BSG, Urt. v. 12. 12. 2012 – B 6 KA 3/12  –, juris,

Rdnr. 29 m. w. N. zur diesbezüglichen Rechtsprechung. 40) Vgl. SG Marburg, Urt. v. 6. 10. 2010 – S 11 KA 340/09 –, juris,

Rdnr. 86, unter Verweis auf BVerfG, SozR 4-2500 § 87 Nr. 6, Rdnr. 19.

41) Insofern missverständlich BSG, SozR 4-2500 § 87 Nr.  17, Rdnr. 28.

42) BVerfGE 77, 84, 106; 91, 129; BSGE 82, 55, 60.43) Die in BSG, MedR 2009, 174, 175, angesprochene Modifizie-

rung der gerichtlichen Kontrollen in solchen Fällen ist nicht nachvollziehbar, da es nach dem BSG auch in diesen Fällen bei einer Willkürkontrolle bleibt.

44) S. BSG, MedR 2009, 174, 175. 45) BSG, MedR 2005, 538, 549.46) BSG, SozR 3-2500 § 87 Nr. 15, S. 60, spricht insofern von der

Zulässigkeit von gröberen Typisierungen und geringeren Diffe-renzierungen bei Anfangs- und Erprobungsregelungen.

Page 5: Der Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses

Gesundheitswesens zukommt, die vor dem Hintergrund der Ausgestaltung des deutschen Systems auch notwendig ist, muss er einen weiten Gestaltungsspielraum haben, der aus dem organisierten Verhandlungsprozess zwischen Ärzten und Krankenkassen resultiert. Die Grenzen seines Gestal-tungsspielraums resultieren dabei auf der einen Seite aus den Grenzen der jeweiligen Ermächtigungsnorm, auf der ande-ren Seite aus einem zu gewährleistenden Minderheitenschutz. So soll verhindert werden, dass willkürliche Vereinbarungen zu Lasten von kleinen Arztgruppen getroffen werden. Dem-entsprechend führt das BSG in ständiger Rechtsprechung aus, dass die gerichtliche Überprüfung von Beschlüssen des

Bewertungsausschusses im Wesentlichen darauf beschränkt ist, ob der Ausschuss den ihm zustehenden Entscheidungs-spielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgenutzt hat 47. Im Übrigen aber ist er frei und muss es als Ort der Verhandlung zwischen Ärzten und Krankenkassen auch sein. Er ist ein Platz des organisierten Konflikts, von dem man daher auch nicht erwarten darf, dass der Weg zu seinen Entscheidungen friedlich ist.

Zum Umgang mit Behandlungsfehlern. (Organisations) Ethische, rechtliche und psychosoziale Aspekte.

Herausgegeben von Kurt W. Schmidt/Markus Sold/Torsten Verrel. LIT-Verlag, Münster 2012, 318 S., kart., € 29,90

In dem von Kurt W. Schmidt, Markus Sold und Torsten Verrel heraus-gegebenen Werk werden die Ergebnisse der ELSA-Klausurwoche zusammengefasst, in deren Rahmen sich Nachwuchswissenschaftler verschiedenster Disziplinen im Februar 2012 intensiv der Bewälti-gung von Behandlungsfehlern widmeten.

Im Jahr 2012 erfasste die Bundesärztekammer mehr als 12.000 Verdachtsmeldungen auf Behandlungsfehler, von denen sich mehr als 2.200 als begründet erwiesen hatten (http://www.bundesaerz-tekammer.de/downloads/Einheitliche_Bundesaerztekammerstatis-tik_2012.pdf ). Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen erfasste ebenfalls mehr als 12.000 Beschwerden, die in mehr als 4.000 Fällen als Behandlungsfehler anerkannt wur-den (http://www.mds-ev.de/ 4181.htm). Auch wenn diese – gemes-sen an der Zahl der ärztlichen Behandlungen insgesamt – statistisch nicht ins Gewicht fallen mögen, sind die Auswirkungen im Einzel-fall erheblich. Offensichtlich ist dies für die an Leib und Leben ge-schädigten Patienten sowie deren Angehörige und Hinterbliebene. Aber auch für Ärzte und nichtärztliches Personal sind die Folgen fehlerhafter Behandlungen zu bewältigen. Der rechtliche Rahmen für den Umgang mit Behandlungsfehlern ist seit kurzem durch das Patientenrechtegesetz abgesteckt: Nach § 630 c Abs. 2 S. 2 BGB ist der Behandelnde auf Nachfrage des Patienten oder bei gesundheitli-chen Gefahren zur Offenbarung von Behandlungsfehlern verpflich-tet. Gehalt und Tauglichkeit dieser Rechtsvorschrift sind umstritten. Sie gibt zudem keinerlei Vorgaben für die tatsächliche Ausgestaltung eines Fehlermanagements. Der Tagungsband ist damit keineswegs durch die gesetzgeberische Realität überholt.

Den Auftakt bilden zehn Thesen der Herausgeber, in denen sie die rechtlichen, ethischen und organisatorischen Fallstricke im Um-gang mit Behandlungsfehlern thematisieren. Sie geben damit einen Ausblick auf die weiteren Beiträge, wiewohl die durch die Thesen gegebene Struktur nicht den gesamten Band trägt. Die Beiträge glie-dern sich in vier Rubriken: nach den „Grundproblemen einer Feh-lerkultur“ (I) werden Anforderungen an die Kommunikation (II), ethische, theologische und philosophische (III) sowie schließlich haf-tungsrechtliche Aspekte (IV) diskutiert.

Im ersten Teil findet sich ein Plädoyer für eine Abkehr von der personenbezogenen Kritik hin zu einer problembezogenen Fehler-kultur. Der Rückzug auf die Benennung einzelner Schuldiger entlas-tet zu Unrecht andere Verantwortliche, rühren Fehler doch weniger aus Fehleinschätzungen eines Einzelnen, sondern aus dem Zusam-menwirken verschiedenster organisatorischer Ebenen. Fehlervermei-

dung ist daher nicht zuletzt eine Frage der Krankenhausorganisati-on. Der Band thematisiert einerseits in den Medien transportierte Pauschalvorwürfe ärztlichen Versagens, fördert aber auch Defizite in der Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten zutage. Diese könnten sich als eine Ursache für jenes erweisen. Die Beiträge ma-chen deutlich, dass Transparenz und Offenheit, eine verbesserte Ge-sprächskultur und eine Stärkung der außergerichtlichen Streitbeile-gung nicht nur zur besseren Bewältigung von Behandlungsfehlern, sondern auch zu deren Vermeidung beitragen können.

Erweist sich damit die Kommunikation als entscheidender Um-stand, werden im folgenden Teil des Tagungsbandes deren Möglich-keiten und Grenzen aufgezeigt. Diese liegen einerseits in der kul-turellen Prägung, die sowohl die Bereitschaft zur Kommunikation von Fehlern beeinflusst als auch die Bereitschaft, diese zu entschä-digen. Auf der individuellen Ebene wird deutlich, dass Ärzte durch die Zwänge des Ausbildungssystems und den stationären Alltag nur ungenügend auf unerwünschte Ereignisse vorbereitet sind und kaum Rückhalt erfahren, so dass sie – neben den Patienten – zum weiteren „Opfer“ ihrer Fehler werden. Die sich daran anschließenden sozia-len Aspekte veranschaulichen die folgenden Beiträge sehr deutlich. Es werden konkrete Handlungsstrategien für den klinischen Alltag entwickelt, die stets auch die Sicht und Wahrnehmung der Patienten und ihrer Angehörigen einbeziehen. Wertvolle Hinweise zur Bewäl-tigung der eigenen „Schuld“ aus Sicht der Behandelnden sowie zur Möglichkeit und Notwendigkeit des Verzeihens aus theologischer und philosophischer Perspektive ergänzen den Werkzeugkasten. Auch hier wird die Transparenz in den Fokus gerückt.

Der abschließende Teil widmet sich den haftungs- und strafrecht-lichen Aspekten. Aus rechtsvergleichender Perspektive wird nach Al-ternativen zur vertraglichen Haftung gesucht, insbesondere sog. Be-handlungsrisikoversicherungen und Entschädigungsfonds, die keinen Eingang in das Patientenrechtegesetz gefunden haben. Deutlich wird, dass die Art des Haftungsregimes aus rechtsökonomischer Sicht un-terschiedliche Anreize für die Fehlervermeidung, aber auch für das Fehlermanagement setzen kann. Der Zugang zu Rechtsschutz kann ebenfalls unterschiedlich ausgestaltet werden, sei es über Gerichte, über Schiedskommissionen oder Ombudspersonen. Die außergerichtlichen Modi der Streitbeilegung entlasten nicht zuletzt die Geschädigten, die im Prozess umfassenden Darlegungs- und Beweispflichten unterliegen.

Der Band vereint zahlreiche Nachwuchswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und bezieht Erfahrungen aus weiteren Staaten, etwa Schweden oder Neuseeland ein. Der in-terdisziplinäre Blick – Medizin, Pflegewissenschaften, Psychologie, Theologie, Philosophie, Rechtswissenschaften – verdeutlicht, dass das Recht allein nur bedingt geeignet ist, Behandlungsfehler zu ver-meiden oder zu bewältigen. Es bedarf vielmehr einer konzertierten Strategie, die den Interessen aller Beteiligten hinreichend Gehör ver-schafft. Insofern erweist sich der Band vor allem als sinnvoller und hilfreicher Ideengeber für die klinische Praxis. Zugleich dürfte er die wissenschaftliche Diskussion um eine Neuausrichtung, zumindest aber Ergänzung des hergebrachten Haftungssystems durch Media-tion und Entschädigungsfonds voranbringen. Der Gesetzgeber hatte sich im Patientenrechtegesetz trotz vielfacher Forderungen gegen ei-nen solchen Fonds entschieden. Er wird sich durch die Beiträge des Tagungsbandes bestätigt sehen.

Priv.-Doz. Dr. iur. Constanze Janda, Jena, Deutschland

Rezensionen588 MedR (2013) 31: 588

47) BSG, Urt. v. 12. 12. 2012 – B 6 KA 3/12 R –, juris, Rdnr. 29 m. w. N.

R E Z E N S IO N E N