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23 Haben Sie schon einmal einen Bapfel geges- sen? Ein Bapfel ist eine ungewöhnliche Obst- sorte, halb Birne, halb Apfel und ist zugege- benermaßen ein etwas drolliges Beispiel für das Kreuzen unterschiedlicher Obst- und Gemüsesorten. Bisher habe ich das Ver- edeln, also die künstliche Verbindung zwei- er Panzenteile, immer etwas belächelt. Ich musste dabei immer an Rosenzüchter den- ken, die Farbtöne oder Blütenkonstellationen um kleinste Nuancen verändern wollten. Schön und gut, nice to have, aber nicht wirk- lich zwingend erforderlich. VEREDELUNG RETTET DIE WEINBERGKULTUREN Veredelung kann aber auch lebensnotwenig sein. Vor 150 Jahren nagte sich die unschein- bar aussehende Reblaus aus Amerika durch die europäischen Weinberge. Die Wurzeln der heimischen Rebsorten waren gegen die- ses fremde Ungeziefer nicht resistent, so dass in einigen Weinbaugebieten ganze Kulturen fast vernichtet wurden. In Weingebieten, in denen die Rebstöcke nur sortenrein und in Monokulturen angebaut wurden, grassierte der Befall am stärksten. Man stellte fest, dass die heimischen Panzen unter den Schäd- lingen litten, während im Ursprungsland der eingeschleppten Reblaus die Weinstöcke wi- derstandsfähig waren. Für die Bekämpfung machte man sich die Resistenz der amerika- nischen Reben zu Nutze. Man begann, die amerikanischen Reben mit den heimischen Reben zu kombinieren. Dazu wurden auf reblausresistente Reben aus Amerika euro- päische Edelreben aufgepfrop. Die Wurzeln 'LH 5HEODXV EUDFKWH GLH GHXWVFKH :HLQEDXWUDGLWLRQ DQ GHQ 5DQG LKUHU ([LVWHQ] 'RFK VLH JLQJ GDUDQ QLFKW ]XJUXQGH ZHLO GLH KLHVLJHQ 0RQRNXOWXUHQ PLW DXVOlQGLVFKHQ :HLQVRUWHQ YHUHGHOW ZXUGHQ 'LH 9HUELQGXQJ YRQ 1HXHP XQG $OWHQ UHWWHW /HEHQ XQG VRUJW IU QHXH 6RUWHQ ¨ DXFK LP :HLQEHUJ .LUFKH Der harte Job im Weinberg

Der harte Job im Weinberg. (Artikel aus dem 3E Magazin 2014/4

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Haben Sie schon einmal einen Bapfel geges-sen? Ein Bapfel ist eine ungewöhnliche Obst-sorte, halb Birne, halb Apfel und ist zugege-benermaßen ein etwas drolliges Beispiel für das Kreuzen unterschiedlicher Obst- und Gemüsesorten. Bisher habe ich das Ver-edeln, also die künstliche Verbindung zwei-er Pflanzenteile, immer etwas belächelt. Ich musste dabei immer an Rosenzüchter den-ken, die Farbtöne oder Blütenkonstellationen um kleinste Nuancen verändern wollten. Schön und gut, nice to have, aber nicht wirk-lich zwingend erforderlich.

VEREDELUNG RETTET

DIE WEINBERGKULTUREN

Veredelung kann aber auch lebensnotwenig sein. Vor 150 Jahren nagte sich die unschein-bar aussehende Reblaus aus Amerika durch die europäischen Weinberge. Die Wurzeln der heimischen Rebsorten waren gegen die-ses fremde Ungeziefer nicht resistent, so dass in einigen Weinbaugebieten ganze Kulturen fast vernichtet wurden. In Weingebieten, in denen die Rebstöcke nur sortenrein und in Monokulturen angebaut wurden, grassierte der Befall am stärksten. Man stellte fest, dass die heimischen Pflanzen unter den Schäd-lingen litten, während im Ursprungsland der eingeschleppten Reblaus die Weinstöcke wi-derstandsfähig waren. Für die Bekämpfung machte man sich die Resistenz der amerika-nischen Reben zu Nutze. Man begann, die amerikanischen Reben mit den heimischen Reben zu kombinieren. Dazu wurden auf reblausresistente Reben aus Amerika euro-päische Edelreben aufgepfropft. Die Wurzeln

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Der harte Job im Weinberg

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echt. evangelisch. engagiert. Das Ideenmagazin für die Kirche.

DOSSIER: KIRCHE ZWISCHEN INNOVATION UND TRADITION

waren somit widerstandsfähig und das Edelreis trug weiterhin die traditionellen europäischen Sorten. Eine innovative, aber resiliente Grundlage bekam somit eine tra-ditionelle und geprägte Erweiterung. Heute werden fast ausschließlich Rebsetzlinge ge-

pflanzt, die auf eine solche Art und Weise vorbehandelt wurden. Wurzelechte und nicht veredelte Reben gibt es weltweit nahe-zu nirgendwo mehr. Natürlich gibt es im modernen Ertragsweinbau auch tausende von neuen Kreuzungen, die zum Ziel ha-

ben, neue Geschmacksnuancen zu kreieren oder den Ertrag zu steigern. Aber grund-sätzlich geht es in erster Linie immer noch allein um die Reblausresistenz der Unter-lage. Eine lebenserhaltende Verbindung in unseren Breiten.

„Die Veredelung ist weniger ein kirchenpolitischer Akt, als ein geist licher Prozess.“

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SANDRA BILS ist Pastorin der Hannoverschen Landeskirche und 5HIHUHQWLQ�I�U�GLH�|NXPHQLVFKH�%HZHJXQJ�.LUFKHKRFK]ZHL��3ULYDW�liebt sie Wein und hat sich im letzten Jahr zur Assistent-Somme-

lière ausbilden lassen. www.pastorsandy.de

INNOVATION UND TRADITION

BEFRUCHTEN EINANDER

Stellen wir uns einmal unsere Kirche als Weinberg vor. Wie sieht dann dieser Wein-berg aus? Wie pflanzen wir dort und vor al-lem was? Wie sorgen wir uns um die zarten Triebe junger Pflanzen und die alten Be-stände? Um uns herum können wir eine plurale Kirchenlandschaft mit verschiedens-ten Formen gemeindlichen Zusammenlebens und gottesdienstlichen Feierns entdecken. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass auch hier eine einfache Klassifizierung möglich ist: Auf der einen Seite des Wein-bergs traditionelle Gemeinden mit klassi-schem Gepräge und verlässlichem Zulauf: erfolgreiche Konfirmanden- und Jugendar-beit, volle Gottesdienste nach bewährter Form und traditionelle Angebote vor Ort. Auf der anderen Seite wären innovative Ge-meinden zu vermuten, die kreativ und mit frischen Ideen auf den Kontext vor Ort re-agieren und sich neu erfinden, mit frischen Ausdrucksformen, die nicht nur auf klassi-sche Kirchgebäude beschränkt sind. Dort fül-len Bibelgespräche Eckkneipen, oder Gottes-dienste in Discos ziehen Kirchenferne an.

Wer nicht genau hinschaut, läuft Gefahr zu pauschalisieren. Die Fortschreibung tra-dierter Stereotype führt dann dazu, einer-seits die klassischen Gemeinden als Boll-werke der Tradition zu stilisieren und in ih nen nur Altbewährtes zu verorten: den Handarbeitskreis, den Kindergottesdienst und das Gemeindefest. Andererseits wer-den dann die innovativen Gemeindefor-men zu Projektionsflächen der Hoffnung. Erwartungen, die in den neuen Projekten das alleinige Allheilmittel für eine zukunfts-fähige Kirche sehen.

Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die Trennung gezwungen und künstlich ist. Denn erstens wird morgen schon auch das heute noch Neue alt sein, und zweitens haben auch innovative Ge-meinden ihre Traditionen. Außerdem gibt es unter den klassischen Gemeinden außer-ordentlich kreative Neuaufbrüche.

GOTT BILDET EINE

NEUE GEMEINSCHAFT

In der anglikanischen Kirche gibt es seit zwei Jahrzehnten eine interessante Entwick-lung, in deren Zentrum die so genannten Fresh Expressions stehen. Darunter versteht man frische Formen kirchlichen Seins, die an unterschiedlichsten Orten entstehen. Sie legen einen besonderen Fokus auf den Kon-text und die Menschen, die dort leben, be-

sonders, wenn diese bisher der Kirche nicht nahe stehen. Nun könnte man ja meinen, dass es hier um etwas rein Innovatives gin-ge. Die Rede von den Fresh Expressions, den frischen Formen von Kirche, hängt je-doch mit etwas ganz Traditionsreichem zusammen. In der Ordinationsformel der anglikanischen Church of England verspre-chen nämlich die Priester und Priesterin-nen, die Verantwortung zu teilen, den Glau-ben in jeder Generation zu erneuern („share in the responsibility to proclaim the faith afresh in each generation.“). Diesem liturgi-schen Versprechen liegt zugrunde, dass es nicht um das Neue oder Traditionelle an sich geht, sondern allein um das Evangeli-um, das auf frische Art und Weise gelebt und geteilt werden soll. Darin liegt die Er-neuerung. Ganz egal, ob dies in innovativen oder traditionellen Formen geschieht. So-bald der Fokus auf der gemeinschaftsbil-denden Kraft Gottes liegt, die Nachfolge und Gemeinschaft an unterschiedlichsten

Orten und in verschiedensten Formen ent-stehen lässt, werden alte Stereotype über-holt. Es lohnt sich, im Weinberg Kirche et-was genauer hinzuschauen, um eine plurale Vielfalt zu entdecken. Keine Monokultur, sondern Vielfalt. Einige dominierende Haupt sorten, aber gleichzeitig auch ein Reichtum an unzähligen unterschiedlichs-ten anderen Formen.

Ein konkretes Beispiel für Vielfalt kann die Gemeinde St. Marien in Winsen sein, die vor einem Jahr mit einem Team von 40 Ehrenamtlichen, ihrem Pastor Markus Kalm-bach und dem Superintendenten Christian Berndt auf die wachsende Anzahl von Asyl-bewerbern in ihrer Region mit der Grün-dung eines internationalen Cafés reagiert hat (Seite 42). Auf den ersten Blick ist St. Marien eine klassische Gemeinde, bei ge-nauerem Hinsehen entdeckt man eine gro-ße Vielfalt unterschiedlichster Menschen, Formen und Ansätze. Denn nicht nur die Asylbewerber bringen neue Impulse in die Gemeinde. Auch Ehrenamtliche, die sich bisher wenig oder gar nicht kirchlich ver-bunden fühlten, bringen sich seit Grün-dung des Cafés ein und werden Teil der

Gemeinschaft. Dies ist jedoch auch ein wechselseitiger Prozess. Die Gemeinde bleibt nicht nur bei sich, sondern sucht auch Kooperationen vor Ort. Pastor und Superintendent luden Sportvereine, Arbei-terwohlfahrt, Rotes Kreuz, Volkshochschule und politisch Verantwortliche in Stadt- und Landkreis zu einem Koordinierungstreffen ein und schufen so Verknüpfungen auf ver-schiedensten Ebenen.

VEREDELUNG ALS GEISTLICHER

PROZESS

Die Gemeinde St. Marien in Winsen ist ein Beispiel veredelter Kirche. In ihr finden auch unterschiedliche Formen zusammen, fast wie im Weinberg. Es entsteht ein fruchtba-rer Mix, der die Vielfalt und Pluralität ge-meindlichen Lebens verkörpert. Dieser Mix beinhaltet sowohl Traditionelles als auch Innovatives, aber besonders den Wunsch, dass sich christliche Nachfolge vor Ort ganz praktisch entwickeln kann. Dieser Verede-lung liegt in der Achtsamkeit auf Gott und den Kontext vor Ort eine wahrnehmende und wertschätzende Haltung zugrunde. Die Neugier am Anderen, die Bereitschaft, sich zusammenzutun und die Erkenntnis, dass man in der Gemeinschaft mehr erreichen kann als allein. Eine Kirche, die veredelt, nimmt die Stärken Anderer wahr und ernst – und mehr noch, sie rechnet damit, dass in der Gemeinschaft noch mehr entstehen kann. In ihr verbinden sich unterschiedliche Milieus, Frömmigkeitsformen und Gepräge. So be-kommt auch Ökumene hier eine ganz neue Bedeutung. Diese Veredelung ist weniger ein kirchenpolitischer Akt, als ein geistli-cher Prozess. Veredelung ist nicht nur im Weinberg ein aufwendiges Handwerk. Auch in der Kirchenlandschaft braucht sie für ei-nen Paradigmen- und Haltungswandel Aus-dauer und Kraft. Die Umstellung verspricht jedoch eine ausgewogenere Lebensgemein-schaft aus vielen Arten von Pflanzen: Schnell-wachsenden oder sich eher langsam entwi-ckelnden, Kranken und Gesunden – und eben keine reine Monokultur. Dieser Hal-tungswandel verändert das Miteinander im eigenen Nahbereich, aber auch im gesam-ten Kontext Kirche.

„Veredelung ist nicht nur im Weinberg ein aufwendiges

Handwerk. Auch in der Kirchenlandschaft braucht sie Ausdauer und Kraft.“