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Der I s l a m in Deutschland - im Spannungsverhältnis zwischen Religion (Scharia) und Demokratie (säkularer Rechtsordnung) - Bestandsaufnahme und Analyse A. I. Allgemeine Daten zur Entwicklung der aus islamischen Herkunftsländern zugewanderten Wohnbevölkerung in Deutschland Zum Islam bekennen sich in Deutschland derzeit (November 2015) etwa 6% der Wohnbevölkerung, was etwa 5 Millionen Menschen entspricht. Darüber hinaus sind etwa 2 Millionen in Deutschland lebende Menschen islamischer Herkunft entweder den sogenannten Kulturmuslimen (ohne jegliche Bindung an Moschee-Gemeinden) sowie der nicht unbeträchtlichen Zahl der Atheisten zuzurechnen. Etwa 150.000 frühere Muslime sind zwischenzeitlich zum Christentum konvertiert. Auf Grund der seit 2015 explosionsartig anwachsenden Zahl von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien, aber auch aus anderen islamischen Herkunftsländern (insbesondere aus Afghanistan, Pakistan, Algerien und Marokko), muss tendenziell innerhalb der nächsten fünf Jahre (Wegfall der gegenwärtigen Suspendierung des Familiennachzuges) mit einem Anwachsen auf dann mindestens 10 Millionen Menschen muslimischer Herkunft in Deutschland gerechnet werden. Derzeit besitzen, begünstigt durch die erweiterten Möglichkeiten des Erwerbs der doppelten Staatsbürgerschaft, bereits mindestens 3 Millionen Menschen muslimischer Herkunft die deutsche Staatsangehörigkeit mit rasch steigender Tendenz. Zuvor war erstmals in den 1960er Jahren ein nennenswerter Zustrom von Menschen aus islamischen Herkunftsländern als Gastarbeiter nach Deutschland zu verzeichnen gewesen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte seit 1961 mit einer Reihe islamisch geprägter Staaten Arbeitskräfte-Anwerbeabkommen abgeschlossen (so mit der Türkei, Jugoslawien, mit Tunesien und mit Marokko).

Der I s l a m in Deutschland - im Spannungsverhältnis ... · Hadith keine überzeitlich wahren und ewiggültigen Aussagen sind, sondern Vorstellungen propagieren, über die die weltanschauliche,

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Der I s l a m in Deutschland - im Spannungsverhältnis zwischen

Religion (Scharia) und Demokratie (säkularer Rechtsordnung) -

Bestandsaufnahme und Analyse

A.

I. Allgemeine Daten zur Entwicklung der aus islamischen

Herkunftsländern zugewanderten Wohnbevölkerung in

Deutschland

Zum Islam bekennen sich in Deutschland derzeit (November 2015) etwa 6%

der Wohnbevölkerung, was etwa 5 Millionen Menschen entspricht.

Darüber hinaus sind etwa 2 Millionen in Deutschland lebende Menschen

islamischer Herkunft entweder den sogenannten Kulturmuslimen (ohne

jegliche Bindung an Moschee-Gemeinden) sowie der nicht unbeträchtlichen

Zahl der Atheisten zuzurechnen. Etwa 150.000 frühere Muslime sind

zwischenzeitlich zum Christentum konvertiert.

Auf Grund der seit 2015 explosionsartig anwachsenden Zahl von

Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien, aber auch aus anderen islamischen

Herkunftsländern (insbesondere aus Afghanistan, Pakistan, Algerien und

Marokko), muss tendenziell innerhalb der nächsten fünf Jahre (Wegfall der

gegenwärtigen Suspendierung des Familiennachzuges) mit einem Anwachsen

auf dann mindestens 10 Millionen Menschen muslimischer Herkunft in

Deutschland gerechnet werden.

Derzeit besitzen, begünstigt durch die erweiterten Möglichkeiten des Erwerbs

der doppelten Staatsbürgerschaft, bereits mindestens 3 Millionen Menschen

muslimischer Herkunft die deutsche Staatsangehörigkeit mit rasch steigender

Tendenz.

Zuvor war erstmals in den 1960er Jahren ein nennenswerter Zustrom von

Menschen aus islamischen Herkunftsländern als Gastarbeiter nach Deutschland

zu verzeichnen gewesen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte seit 1961 mit

einer Reihe islamisch geprägter Staaten Arbeitskräfte-Anwerbeabkommen

abgeschlossen (so mit der Türkei, Jugoslawien, mit Tunesien und mit Marokko).

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Nachdem die Möglichkeit eines Familiennachzuges erleichtert worden war,

blieben nicht nur viele der früheren Gastarbeitern auf Dauer in Deutschland,

sondern sie holten auch ihre Familien nach.

In den 1980er – und 1990er-Jahren kamen schließlich auch vielfach Muslime

aus anderen Staaten, wobei es sich zum Teil um politisch verfolgte

Asylsuchende handelte. Hierunter befanden sich beispielsweise viele Iraner,

die im Zuge der Islamischen Revolution 1979 in die Bundesrepublik geflüchtet

waren, oder Afghanen, die infolge des Bürgerkriegs bzw. des Sowjetisch-

Afghanischen Krieges in großer Zahl in Westdeutschland Zuflucht suchten. Auch

bei Libanesen, Bosniern und Kosovo-Albanern war Krieg im Heimatland der

Grund für deren Emigration nach Deutschland. Hinzu kamen noch eine Vielzahl

von aus der Türkei geflüchtete Kurden .

Da eine Rückkehr in ihr Heimatland bei vielen Muslimen aus den

verschiedensten Gründen immer mehr in den Hintergrund trat, entstand

zwangsläufig allmählich auch eine gewisse religiöse Infrastruktur, die allerdings

der Vielfalt islamisch religiöser Gruppen Tribut zollen musste. Dabei war und ist

der Organisationsgrad der Muslime immer noch sehr niedrig und dürfte kaum

25% der muslimischgeprägten Gesamtbevölkerung erreichen.

Etwa 75% der in Deutschland lebenden und sich zum Islam bekennenden

Muslime sind Sunniten; die Aleviten machen etwa 13% aus, die Zwölfer-

Schiiten 6%, die Alawiten 3% und die Mitglieder der Ahmadiyya 1%.

Die restlichen 2 Prozent gehören anderen muslimischen Strömungen wie

beispielsweise den Zaiditen, Ibaditen, Sufis oder den Ismailiten an.

Die Sunniten bilden weltweit die größte islamische Glaubensrichtung,

allerdings ist deren Anteil in Deutschland etwas geringer als im weltweiten

Durchschnitt . Der Grund dafür liegt darin, dass in vielen von Sunniten

dominierten Staaten islamische Minderheiten abweichender

Glaubensrichtungen als Häretiker unterdrückt und verfolgt werden und daher

als Asylbewerber zum Bleiben berechtigte Aufenthaltstitel in Deutschland

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erhielten. Dies gilt insbesondere für viele Aleviten und Mitglieder der

Ahmadiyya Gemeinschaft.

Die Sunniten stellen in Deutschland wiederum organisatorisch keine

einheitliche Glaubensgemeinschaft dar, unterscheiden sich doch die

praktizierenden Sunniten in Deutschland je nach der von ihnen besuchten

Moschee-Gemeinde in der Glaubenslehre .

Die in Deutschland ihren Glauben praktizierenden Sunniten lassen sich in 4

verschiedene theologische Richtungs- bzw. Rechtsschulen einteilen. Dabei

werden oft Moscheen von Muslimen einer Herkunftsnation besucht und

teilweise auch aus Mitteln des Herkunftsstaates finanziert:

- Hanefiten: Türkische Muslime organisiert in der Ditib und der radikalen

Milli Görus, aber auch überwiegend bosnisch-albanische Moschee-

Vereine

-

- Hanbaliten: Gläubige aus dem arabischen und teilweise aus dem

nordafrikanischen Bereich, geleitet von Imame aus Saudi-Arabien,

darunter Wahabiten bzw. Salafisten

-

- Malikiten: Nordwestafrikanische Muslime. Viele marokkanischen

Moscheenvereine folgen dieser Rechtsschule

-

- Schafiiten: Kurdische Muslime

Die Anhänger des aus den ölreichen Golfstaaten stammenden Salafismus

stellen innerhalb der sunnitischen Gemeinde zwar eine noch relativ kleine, aber

stark wachsende Minderheit dar, die besonders unter jüngeren in Deutschland

lebenden Muslimen, aber auch bei einer Vielzahl von jüngeren christlichen

Konvertiten großen Zuspruch gewinnt. Grund hierfür ist nicht nur die starke

Internetpräsenz, sondern auch die Förderung durch die ölreichen und

finanzstarken Golfstaaten.

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II. Islamische Organisationen in Deutschland

Islamische Organisationen entstanden in Deutschland sowohl durch die

Entsendung von Missionaren als auch durch die sogenannten

Arbeitsmigranten und muslimische Flüchtlingen, die an ihren jeweiligen

Wohnorten in Eigeninitiative Gebetsstätten einrichteten.

Sie haben sich überwiegend in religiösen Moschee-Vereinen nach dem

deutschen Vereinsrecht zusammengeschlossen, die sich zumeist an den

religiösen Strömungen und Institutionen in ihren Herkunftsländern orientieren.

Im Laufe der Zeit haben sich dann weitere Interessengruppen und

Organisationen von Muslimen in Deutschland herausgebildet.

1. Körperschaften des öffentlichen Rechts

Die Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR , die seit den frühen

1920er Jahren in Deutschland vertreten ist, hat als erste islamische

Glaubensgemeinschaft seit 2013 den Körperschaftsstatus inne, wonach

auch eine Vielzahl anderer islamischer Vereine und Verbände streben.

Denn die Körperschaften des öffentlichen Rechts (KdöR) genießen vom

Staat gewährte Sonderrechte, u.a.:

(1) Körperschaften können vom Staat Steuern erheben und von ihren

Mitgliedern abführen lassen (Steuererhebungsrecht),

(2) Kirchenbeamten ernennen (Dienstherrenfähigkeit)

(3) Zuziehende Gemeinschaftsmitglieder am neuen Wohnort in Anspruch

nehmen (Parochialrecht) sowie

(4) Eigene Friedhöfe anlegen

Einige türkische Vereine und Dachverbände (z.B. die Ditib) haben bereits

vor längerer Zeit Anträge auf Anerkennung des Kirchenstatus gestellt.

Bisher wurden ihnen allerdings eine Anerkennung verwehrt.

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2. Organisationen nach dem Vereinsrecht

2.1 Sunnitischer Islam

2.2

2.1.1. Türkisch-Sunnitische Dachverbände

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.(Ditib) ist

der mitgliederstärkste islamische Verein in Deutschland. Sie wurde 1984 als

Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Deutschland gegründet.

Die Rolle der Ditib ist sehr umstritten, da mit ihr ein ausländischer Staat,

nämlich die Türkei, direkten Einfluss auf das islamische Leben in Deutschland

nimmt.

Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs ist der deutsche Ableger der

türkischen religiös-islamischen Partei unter Necmettin Erbakan, dem Ziehvater

des derzeitigen türkischen Präsidenten Erdogan. Sie wurde 1976 in Köln

gegründet. Mehrere Verfassungsschutzämter beobachten diese Vereinigung

und berichten über verfassungsfeindliche Tendenzen. Die

Organisationsstruktur ist schwer zu durchschauen, worin Kritiker eine bewusste

Verschleierungsstrategie sehen.

Die ATiB (Union Türkisch-Islamischer Kulturvereine in Europa e.V.)

ist ein nationalistischer Dachverband von Kulturvereinen, die sich 1987

zusammengeschlossen haben.

Der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) ist der

islamische Verband, der auf den Lehren von Süleyman Hilmi Tunnahan (1888-

1959) beruht. Der Verband wurde 1973 gegründet und ist damit die älteste

dauerhaft existierende türkisch-islamische Vereinigung in Deutschland. Im

Mittelpunkt der Aktivitäten steht religiöse Meditation, unmittelbar politisch

aktiv ist die Bewegung nicht.

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2.1.2. Verbände arabischer Sunniten

Die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) wurde 1958 in München

gegründet als Moscheebaukommission e.V. . Ihren jetzigen Namen trägt die

Organisation seit 1982. Die IGD wird der fundamentalistischen Muslim-

bruderschaft zugerechnet.

2.1.3. Verbände europäischer Muslime

Vereinigung islamischer Gemeinden der Bosniaken in Deutschland:

Gemeinden der in Deutschland lebenden Muslime aus Bosnien-Herzegowina

schlossen sich 1994 in diesem Verband zusammen. Er ist Mitglied im Zentralrat

der Muslime in Deutschland. Bosnische Muslime leben vor allem in Nordrhein-

Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg.

Die Union der Islamisch Albanischen Zentren in Deutschland hat ihren Sitz in

Hamburg. Über Mitgliederzahl und Organisationsstruktur ist wenig bekannt.

Die Organisation gehört dem Zentralrat der Muslime in Deutschland an.

2.2. Organisationen schiitischer Muslime

2.2.1 Islamisches Zentrum Hamburg: Einflussreichste schiitische Institution

Europas. Es gilt als Verbindungszentrum zur Islamischen Republik Iran.

2.2.2 Islamischer Rat der Ahl-ul-Bayt Gemeinschaften

2.2.3 Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS)

ist ein im Jahre 2009 gegründeter schiitischer Dachverband mit mehr als 100

schiitischen Gemeinden mit Sitz in Berlin.

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2.3. Konvertiten

2.3.1 Deutsche Muslim-Liga und Deutsche Muslim-Liga Bonn:

Wichtige Organisationen, in denen sich in erster Linie Konvertiten zum Islam

zusammengefunden haben, sind die Deutsche Muslim-Liga mit Sitz in Hamburg

und die stark vom Sufismus geprägte Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V.

2.3.2 Naqschbandi: Die wohl größte Gruppe deutschstämmiger Muslime hatte

sich unter dem Sufi-Scheidh Nazim Adil al-Qubrusi al-Haqqani

zusammengefunden. Ihr Hauptsitz in Deutschland liegt in der Eifel in Kall-

Sötenich.

2.4. Sondergruppen

2.4.1 Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF):

Die neben den türkischen Sunniten zweitgrößte Gruppe türkischer Muslime in

Deutschland besteht seit 1992. Bei den Aleviten handelt es sich um eine

liberale Glaubensgemeinschaft. Für sie gilt z.B. das islamische Rechtssystem

Scharia nicht. Die AABF unterhält mehr als 100 Vereine mit insgesamt über

20.000 Mitgliedern. In Deutschland leben zwischen 750.000 – 1.000.000

Aleviten. Die AABF, in der auch eine Vielzahl türkischer Kurden Mitglieder sind,

sieht die Trennung von Staat und Religion als wichtig an.

2.4.2 Liberal-Islamischer Bund

Liberale Muslime haben 2010 den Liberal-Islamischen Bund unter dem Vorsitz

von Lamya Kaddor gegründet, der liberale Positionen vertritt z.B. die

gleichgeschlechtliche Ehe anerkennt und auch eine religiöse Verpflichtung zum

Tragen des Kopftuches ablehnt. Der Bund lehnt auch jede Form von

antichristlicher, antisemitischer und antiislamischer Diskriminierung ab und

befürwortet eine dogmenfreie und zeitgemäße Auslegung des Korans.

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Auf die diversen muslimischen Jugendorganisationen (u.a. Bund der

Alevitischen Jugendlichen in Deutschland, Bund Moslemischer Pfadfinder und

Pfadfinderinnen Deutschlands sowie Muslimische Jugend in Deutschland e.V.)

sowie diverse muslimischer Bildungsorganisationen sei hingewiesen, ohne an

dieser Stelle näher darauf einzugehen.

3. Dach- und Spitzenverbände

Als Ansprechpartner insbesondere für deutsche Bundes- und

Landesinstitutionen wurde der Spitzenverband Koordinationsrat der Muslime

(KRM) 2006 gegründet. Ihm gehören die Scharia gebundenen Dachverbände

lSLAMRAT für die Bundesrepublik Deutschland und Z e n t r a l r a t der

Muslime in Deutschland , sowie die beiden gleichfalls Scharia gebundenen

Organisationen Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) und

Verband der islamischen Kulturzentren an.

In Dachverbänden sind mehrere islamische Organisationen

zusammengeschlossen:

- Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e.V. ist ein Verband,

dessen größte Mitgliedsorganisation die Islamische Gemeinschaft Milli

Görüs ist.

- Zentralrat der Muslime in Deutschland: Diese Organisation vertritt,

anders als ihr Name suggeriert, nur eine Minderheit der Muslime in

Deutschland, ist aber der ethnisch vielfältigste Verband von Muslimen in

Deutschland.

Islamkonferenz

Unter dem Vorsitz von Innenminister Schäuble begann in Berlin am 27.

September 2006 die Deutsche Islamkonferenz. Sie wurde seitdem in

verschiedenen Zusammensetzungen und zu unterschiedlichen Fragestellungen

einberufen.

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B. Der Islam und der säkulare Staat – eine kritische Bestandsaufnahme

I. Islamische autoritative Texte (Koran, Sunna und Hadith) und das

Grundgesetz

Es ist unumstritten, dass zahlreiche Aussagen des K o r a n s, der nach

sunnitischer und schiitischer Glaubenslehre Allahs wortwörtliche und

übergeschichtlich gültige Rede und als solche die oberste Lebens- und

Gesetzesnorm ist, sowie umfangreiche Passage des „gesunden“ H a d i t h,

dessen Inhalt nächst dem Koran als verpflichtendes Vorbild gilt, nicht im

Einklang mit den Normen und Werten einer auf Pluralismus aufbauenden

freiheitlich-demokratischen Verfassung stehen.

Ebenso unumstritten ist, dass Koran und Hadith im Gemeindeleben wie im

häuslichen Milieu der sich an die Scharia gebunden fühlenden Muslime eine die

Mentalität und Weltanschauung prägende Rolle innehaben: Koranrezitationen

stehen auf Tonträgern zur Verfügung, sie begleiten den Ritenvollzug.

Den Koran auswendig zu kennen, wird als ein Zeichen löblicher

Glaubensfestigkeit verstanden usw. In gleicher Weise ist das Prophetenhadith

ein wesentliches Element der Formung und Deutung des Alltags.

Für die zahlreichen säkularisierten Muslime steht außer Frage, dass den in

diesen Texten enthaltenen, die Weltanschauung und den Lebensvollzug

bestimmenden Aussagen, kein verpflichtender Charakter eigen ist.

Anderes scheint aber bspw. für die im Koordinationsrat der Muslime (KRM)

zusammengeschlossenen Interessenverbände zu gelten. Denn sie vertreten

nach eigenem Bekunden Muslime, die die auf dem Koran und dem Hadith

basierende Scharia als die einzig wahre und letzten Endes ausschlaggebende

Lebensnorm betrachten. Somit wird die Frage unabweisbar, ob und inwieweit

die erwähnten Verbände bzw. ihre führenden Persönlichkeiten ihrer

Beteuerung gemäß im Kreise ihrer Mitglieder und auch allgemein unter den

sich an die Scharia gebunden fühlende n Muslimen in Deutschland auf die

Verbreitung der Einsicht hinwirken, dass die im folgenden

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angeführten Abschnitte sowie sinnverwandte Passagen des Korans und des

Hadith keine überzeitlich wahren und ewiggültigen Aussagen sind, sondern

Vorstellungen propagieren, über die die weltanschauliche, gesellschaftliche

und politische Entwicklung der Menschheit hinaus gelangt. Mit anderen

Worten: Wie vermitteln die den Verbänden angehörenden Imame und

Moschee-Prediger ihrer Zuhörern, dass sich weite Teile der autoritativen Texte

des Islams lediglich auf die unwiederbringlich vergangene Lebenswelt Arabien

im frühen 7. Jahrhundert beziehen und daher für die Verhältnisse im

gegenwärtigen Deutschland im Zweifel keinerlei normative Kraft besitzen?

Welche Anstrengungen unternehmen die genannten Verbände, um sowohl in

der in ihrer Verantwortung betriebenen religiösen Unterweisung

(“Koranschule“) als auch bei der Ausarbeitung von Lehrplänen für den

islamischen Religionsunterricht ihren Einfluss zur Förderung der erwähnten

Einsicht geltend zu machen? Oder, um ein konkretes Beispiel zu nennen: Wie

verdeutlichen die Verantwortlichen einem muslimischen Schüler, dem beim

vielfach wiederholten Lesen und Rezitieren des Korans immer aufs neue ins

Gedächtnis gerufen wird, die Andersgläubigen seien „törichter als das Vieh“

(vgl. unten , 1. Sicht „Andersgläubiger …), dass diese Aussage der „Rede Allahs“

im Hinblick auf die freiheitlich-pluralistische Gesellschaft Deutschlands nicht

nur keine Wahrheit, sondern sogar eine mit Sanktionen bedrohte Verleumdung

Andersdenkender darstellt?

Wie dringlich es insbesondere ist, gerade die muslimische Jugend in

Deutschland über die durch das Grundgesetz begrenzte Reichweite der

Autorität von Koran und Hadith aufzuklären, bedarf eigentlich keiner näheren

Ausführungen. Gleichwohl sollte ihr – der muslimischen Jugend – auch

vermittelt werden, dass der „Werteordnung der Verfassung“ grundsätzlich der

Vorrang zukommt, nicht etwa nur vorübergehend bzw. aus taktischen

Erwägungen.

Im folgenden sollen die wichtigsten Themenbereiche, in denen eine fehlende

Kompatibilität von Koranaussagen und Normen und Werten einer

pluralistischen, freiheitlichen Verfassung offenkundig sind, namhaft gemacht

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werden, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben:

1. Sicht „ Andersgläubiger und Glaubensloser“ in den islamisch

autoritativen Texten vs Diskriminierungsverbot im GG

„Welch ein übles Beispiel geben die Leute ab, die unsere (d.h. Allahs) Zeichen für

Lüge erklären und (damit) wider sich selber unrecht handeln! Wen Allah auf den

rechten Weg führt, der geht diesen rechten Weg, und wen er in die Irre führt,

der zählt zu den Verlierern. Für die Hölle haben wir viele Dschinnen und

Menschen geschaffen – sie haben Herzen, mit denen sie nicht begreifen, Augen,

mit denen sie nichts sehen, Ohren, mit denen sie nicht hören. Sie sind wie das

Vieh, ja , sie gehen noch mehr in die Irre, sie geben nicht (auf Allahs Zeichen)

acht“ (Sure 7, Verse 177-179; vgl. auch 4.“ Austritt aus dem Islam“). Diesen

Versen sind beispielhaft Sure 25, Vers 44 an die Seite zu stellen (wer nicht auf

die von Mohammed verkündete Botschaft hört , ist stumpfsinniger als das

Vieh) , desweiteren Sure 2, Vers 171, Sure 6, Vers 39 und Sure 17, Verse 96-99.

Eine schrecklichere Diskriminierung Andersgläubiger bzw. Andersdenkender

ist schwerlich vorstellbar. Die in diesen Passagen des Korans zutage tretende

Gesinnung ist geeignet, immer aufs neue das Verhältnis zwischen den

Muslimen und anderen Menschen zu vergiften.

2. Sicht der „Pluralität“ in Koran und GG

Die Pluralität von Ansichten und Anschauungen ist laut Koran eine

verhängnisvolle Folge der teilweisen oder vollständigen Abwendung von der

Anleitung durch Allah , vom „Wissen“ schlechthin.

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Die Pluralität von Ansichten stellt demgemäß einen Unheilzustand dar, der

durch die Verkündigung der koranischen Botschaft rückgängig gemacht

werden soll.

Mohammed und seiner Verkündigung zu folgen , bedeutet nicht nur die

Errettung von dem Höllenfeuer, sondern führt schon hier und jetzt zu einem

Gemeinwesen ohne Meinungsstreit. Vielfach mahnt der Koran die Muslime

daher, „Allah und seinem Gesandten“ zu gehorchen (z.B. Sure 3, Vers 32 und

132; Sure 48, Vers 13); dies nicht zu tun bedeutet „Unglauben“ (z.B. Sure3,

Vers 32). Wer Allah und seinem Gesandten gehorcht, gewinnt das Paradies

(Sure 4, Verse 13 und 69).“Ihr , die ihr glaubt! Gehorcht Allah und gehorcht

dem Gesandten und denjenigen unter euch, die etwas zu sagen haben. Und

wenn ihr über etwas verschiedener Meinung seid, dann legt es Allah und

seinem Gesandten vor!“ (Sure 4, Vers 59). Die von Allah stammende

Entscheidung gilt,, denn sie garantiert die Eintracht. Zwar mag es einmal

vorteilhaft sein, den Rat Betroffener einzuholen, doch am Ende entscheidet

Mohammed, der sich stets auf Allah verlässt (Sure 3, Vers 159).

Bereits in Mekka entstand die Koranpassage, die heutzutage stets dafür

angeführt wird, dass Mohammed schon eine „demokratische“

Herrschaftsform im Auge gehabt habe. Sie lautet: „Alles, was ihr (in dieser

Welt) erhaltet, das sind nur die Güter des diesseitigen Lebens. Was bei Allah

(bereitsteht), ist besser und dauerhafter – für diejenigen, die gläubig wurden

und auf ihren Herrn vertrauen, (für) diejenigen, die schwere Verfehlungen

und verwerfliche Taten meiden, (für) diejenigen, die, wenn sie zürnen,

verzeihen, (für) diejenigen, deren (gemeinsame) Angelegenheit ein

Gegenstand der Beratung untereinander ist und die von dem, was wir (d.h.

Allah) ihnen als Unterhalt zuteilen, Spenden abführen.“ (Sure 42, Verse 36-

38).Es geht in dieser Passage allein um eine formlose Solidarität unter den

„Gläubigen“; nicht wird darüber ausgesagt, was mit dem Ergebnis einer

solchen Beratung geschehen soll; dass es die in medinensischen Versen so

oft erwähnten Anordnungen Allahs, „seines Gesandten und derjenigen, die

etwas zu sagen haben“ , beeinflussen oder gar bestimmen könnte, wird

nirgends auch nur angedeutet. Niemals hat diese Passage in der

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islamischen Geschichte irgendwelche auch nur entfernt als „demokratisch“

zu bezeichnenden Herrschaftsformen angeregt oder legitimiert. In der

Gegenwart wird sie oft dazu missbraucht, despotischen Regimen den

Anschein einer Offenheit für Mitbestimmung zu verschaffen. Denn befasst

man sich näher mit dem unter dem Stichwort der Beratung entwickelten

Vorstellungen, so ergibt sich folgendes: Das Beratergremium geht nicht aus

freien, allgemeinen und geheimen Wahlen hervor,; die Kandidaten

durchlaufen eine Vorauswahl, in der sie ihre Bindung an den Islam, ihr

schariatreues „Expertentum“ unter Beweis zu stellen haben. Dies alles ist

keineswegs bloß Spekulation. So ist beispielsweise die Geschichte des

Parlamentarismus in Pakistan die Geschichte der Unterwerfung der

Entscheidungen der Abgeordneten unter die Regelungen der Scharia. Im

Iran ist das Parlament der Kontrolle der Rechtsgelehrten unterstellt, wie

Chomeini es in seiner programmatischen Schrift „Die Herrschaft des

Rechtsgelehrten“ angekündigt hatte; voller Abscheu äußerte er sich darin

über den westlichen Parlamentarismus, der den Abgeordneten gestatte, zu

beschließen, was sie für gut und richtig erachteten , und diese ihre

Beschlüsse der Bevölkerung aufzuerlegen; das sei, eben weil die

Entscheidungen nicht durch Allahs Gesetz gerechtfertigt seien, blanker

Despotismus. Damit wird der Pluralismus als unislamisch verworfen.

Demgegenüber bedeutet das demokratische Prinzip im Grundgesetz

Volkssouveränität im Sinne der Herrschaft der Volksmehrheit.

Minderheitenschutz wird gesichert durch die Grundrechte und den freien

Meinungsbildungsprozess in der Demokratie, der den Wettstreit der

Meinungen garantiert und damit für die Minderheit die Chance sichert,

selbst zur Mehrheit zu werden.

3. Religionsfreiheit aus der Sicht des Korans und der Hadithen vs GG

„Wer nicht an Allah glaubt, nachdem er (zuvor) gläubig geworden war – nicht

(der ist gemeint), der (zum Unglauben) gezwungen wurde, im Herzen aber

zuversichtlich dem Glauben verhaftet blieb, sondern der, der sich (aus freien

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Stücken) dem Unglauben öffnet – über den kommt Allahs Zorn und er hat eine

furchtbare Strafe zu gewärtigen!“ (Sure 16, Vers 106). Solche Leute, unterstellt

Mohammed, geben dem Diesseits den Vorzug: Allah versiegelte ihnen das Herz

und die Sinne, und daher werden sie im Jenseits zu den Verlierern zählen ( Sure

16, Verse 107-109). Dies ist die die älteste Stelle im Koran (spätmekkanische

Periode), an der vom Aufgeben des durch Mohammed verkündeten Glaubens

gesprochen wird. In Medina greift Mohammed dann dieses Thema mehrfach

auf:

Ursprünglich bildeten die Menschen eine einzige Gemeinschaft, behauptet er,

aufkommender Zwist wurde zu wieder holten Malen durch die von Allah

entsandten Propheten beigelegt, doch glaubten ihnen viele nicht, weswegen

die betroffenen Gemeinschaften von Unheil heimgesucht wurden.. Stets

bezeugte die Gemeinschaft, zu der ein Prophet geschickt wurde, die Wahrheit

der Botschaft, aber etliche wandten sich danach von ihrem Propheten ab; sie

werden das im Jenseits bereuen müssen (Sure 3, Verse 81-85). Wer zunächst

gläubig wird, dann aber vom Glauben abfällt, dem wird Allah das nicht

verzeihen (Sure 4, Verse 136-137). Allah verwandelte Leute, die seine Botschaft

verwarfen in Affen (Sure 7, Vers 166). Daran erinnert Mohammed die

„Schriftbesitzer“ in Sure 5, Vers 59-60. Sie empfingen einst von Allah die wahre

Botschaft, beherzigten sie aber nicht, und nun nehmen sie den Anhängern

Mohammeds übel, dass diese sich gemäß der Rede Allahs verhalten: Frevler

aber verwandelte Allah in Affen, Schweine und Götzendiener.

Während im Koran der Austritt aus dem Islam vor allem mit Jenseitsstrafen

bedroht wird und eine Ahndung im Diesseits allein durch Allah

vorgenommen wird, und zwar zu einem unbekannten Zeitpunkt, ist im

„gesunden“ Hadith eine durch die Muslime selber zu vollstreckende

diesseitige Bestrafung , nämlich die Tötung, vorgesehen. Hier setzten sich

die Schariagelehrten, wenn es ihnen opportun erscheint, über den Koran

hinweg und dies bereits kurz nach Mohammeds Tod.

Aufsehen erregte insbesondere auch die am 6. Februar 2005 von dem

Fernsehsender al-Dschazira im Rahmen der regelmäßig ausgestrahlten

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Sendereihe „Die Scharia und das Leben“ mit muslimischen Ansichten zur

Religionsfreiheit gehaltene Rede von Jusuf al-Qaradawi, u.a. Vorsitzender

des „Europäischen Fetwarats. “Unter Berufung auf die Überlieferungen

verlangte er die Tötung von Muslimen, die ihren Glauben aufgeben. Wegen

der Gefährdung der muslimischen Gemeinschaft sei in den meisten Fällen

eine Hinrichtung nicht zu umgehen; vereinzelt, räumt al-Qaradawi ein, mag

eine „moralische Hinrichtung“ ausreichen, etwa die Zwangsscheidung von

der Ehefrau und der Verlust des Rechts des Umgangs mit den Kindern.

Eine Kommentierung dieser Auffassungen unter dem Blickwinkel des

Grundgesetzes erübrigt sich, gehört doch die Glaubens- und

Bekenntnisfreiheit zu den Kern-Grundrechten (Art.4 GG).

Gleiches gilt auch für die Gewalt gegen Andersgläubige.

Demgegenüber ist im Koran die Gewaltanwendung gegen Andersgläubige

etwas Selbstverständliches. „Tötet sie, wo immer ihr sie trefft! Und vertreibt sie,

von wo sie euch vertrieben haben!“.Diese Passage , kurz nach der Hedschra

entstanden, nimmt einen künftigen Kampf um den Besitz Mekkas ins Visier,

dessen Ergebnis die Vertreibung der Heiden aus Mekka sein soll, derjenigen,

die zuvor Mohammed vertrieben haben (vgl. Sure 47. Vers 13). – „Wenn ihr mit

den Ungläubigen zusammentrefft, dann schlagt ihnen den Nacken (ab)!“ –

Gemäß den Korankommentaren ist das Töten der Ungläubigen gemeint.

Davon unterscheidet sich die Gewaltanwendung gegen die „Schriftbesitzer

(Christen, Juden, Zarathustra-Anhänger)“, deren Ziel nicht , wie im Falle der

Heiden, deren Tötung bzw. deren unter Zwang erfolgter Übertritt zum

Islam ist, sondern „nur“ die Unterwerfung unter islamischer Herrschaft und

die Entrichtung der Kopfsteuer: „Bekämpft unter den Schriftbesitzern

diejenigen, die nicht an Allah und den Jüngsten Tag glauben, nicht verbieten,

was Allah und sein Gesandter verboten haben und nicht der wahren

Glaubenspraxis folgen , bis sie demütig, ein jeder eigenhändig, die

Kopfsteuer entrichten!“ (Sure 9, Vers 29).

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Nirgends werden Andersgläubige auch nur andeutungsweise als

gleichberechtigte Partner der Gemeinschaft der „Gläubigen“ aufgefasst.

Der Begriff des „Glaubens“ wird nach der Schlacht bei Badr im Jahre 624

unmittelbar mit dem der Kampfbereitschaft verknüpft. In der kurz vor Badr

entstandenen Sure 2 stößt man noch auf eine andere Definition von „Glauben“.

In Sure 2, Vers 285 schreibt Mohammed seinen Anhängern den Glauben an

Allah, die Engel, die offenbarten Schriften und alle Propheten vor.

In Sure 1 - 4 wird Glaube auch als eine Verhaltensweise verstanden,; die Schrift

(dh der Koran) enthält rechte Anweisungen für die Gottesfürchtigen, „die an

den verborgenen Seinsbereich glauben, das rituelle Gebet vollziehen und von

dem, was wir (d.h. Allah) ihnen als Lebensunterhalt geben, Spenden leisten ; die

an das glauben , was dir herab gesandt wurde, und an das , was vor dir herab

gesandt wurde, und die Gewissheit über das Jenseits haben.“

Eine vergleichbare Formulierung begegnet man schon in der mekkanischen

Sure 35, Vers 29, wie denn überhaupt das rituelle Gebet und das Spenden,

meist mit dem Wort zakat bezeichnet, viele Male als die charakteristischen

Bräuche der Anhängerschaft Mohammeds genannt werden.

Sobald Mohammed nach dem Überfall bei Badr die Rache der ihm

überlegenen Mekkaner fürchten musste, änderte sich in den von ihm

verkündeten Offenbarungen der Inhalt des Wortes „Glaube“ einschneidend.

Den Ritualpflichten nachzukommen, zu denen zakat zählt genügt nun nicht

mehr, und das Geschäft mit Allah erstreckt sich nicht mehr nur auf

materielle Werte, die man Mohammed übergibt.

Vielmehr unterscheidet der Koran von nun an genau zwischen Muslimen

und „Gläubigen“. Muslime sind alle diejenigen, die die Riten des Islams

vollziehen. „Gläubigkeit „ setzt darüber hinaus die Teilnahme am

bewaffneten Kampf voraus. Klar ausgesprochen wird dieser Gedanke in Sure

49, Vers 14-15:“Die Beduinen sagen: Wir sind gläubig geworden.(Du,

Prophet) sprich: Ihr seid nicht gläubig geworden! Sagt vielmehr: Wir sind

Muslime geworden! Denn der Glaube ist euch noch nicht ins Herz

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gedrungen. Erst wenn ihr Allah und seinem Gesandten gehorcht, wird Allah

euch eure Taten voll anrechnen. Allah ist verzeihend und barmherzig. Die

Gläubigen sind nämlich nur die, die an Allah und seinen Gesandten glauben

und danach nicht wieder zweifeln.; die mit ihrem Vermögen und ihrem Leben

auf dem Pfade Allahs den Dschihad führen – sie sind die Aufrichtigen.“

Die Beduinen , die mir ihrem Vieh von Weide zu Weide ziehen, haben nicht

die Möglichkeit, sich dem Propheten Mohammed für seine Kriegszüge zur

Verfügung zu halten, erst wenn sie dies könnten, wären sie

wahre„Gläubige“.

Was hier mit Bezug auf die Beduinen gesagt wurde, finden wir in

allgemeiner Form in Sure 22, Vers 78 wieder. Die Anhänger der neuen

Religion sollen sich dem Dschihad widmen: denn die islamische

Glaubenspraxis an sich enthält nichts Bedrückendes, Beschwerliches, da es

sich um die die schon von Abraham für richtig erkannte Urreligion handelt,

die völlig der Natur des Menschen entspricht.

Vielfach wird behauptet, der koranische Begriff D s c h i h a d meine ein

Ringen des Muslims gegen seine eigene Trägheit und Unvollkommenheit,

zumindest der im Koran erwähnte „große Dschihad“ (Sure 25, Vers 42) sei

so aufzufassen.

In der im Westen geführten Islampropaganda ist diese angeblich durch

Mohammed angeordnete Zweiteilung des Dschihad in einen kleinen, mit

Waffengewalt ausgetragenen und den großen, der die Selbstislamisierung

des Individuums meine, ein beliebter Topos geworden. Er passt schließlich

so schön zu der Behauptung, Islam bedeute Friede (Anm.:arab.richtig

übersetzt: Ergebung), und taugt als immer wieder nutzbarer Scheinbeleg

für die von der politisch-medialen Klasse so zäh festgehaltene

Unterscheidung zwischen einem friedfertigen Islam und einem nur von einer

Minderheit verfochtenen militanten Islamismus. Bedauerlich ist freilich, dass

es jenen Satz in den für innerislamischen Diskurs einschlägigen autoritativen

Texten überhaupt nicht gibt . Er fehlt im Koran, dessen medinensische Suren

durchweg die kriegerische Gläubigkeit rühmen.

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In den sechs kanonischen Hadithsammlungen sucht man ihn vergebens und

ebenso in verwandtem Schrifttum. Auch in der historiographischen

Überlieferung ist er nicht zu entdecken, und ebenso wenig in der neueren

muslimischen Geschichtsschreibung über Mohammed, die den Propheten

des Islams vielfach als einen Militärführer zeichnet, von dessen Vorbild sich

die heutigen Muslime leiten lassen sollten, um die einstige Macht des Islams

zu restaurieren.

Auch die klassische Schariawissenschaft kennt die Zweiteilung nicht: dies

lehrt beispielsweise ein Blick in das Inhaltsverzeichnis der von Ibn abi Zaid

al-Qairawani (gest. 996) dem Dschihad gewidmeten Abhandlung (Vgl. die

Inhaltsübersicht bei Mathias von Bredow: „ Der heilige Krieg aus der Sicht

der malikitischen Rechsschule“).

Hingegen findet sich jener Ausspruch lediglich in einer allgemeinen, nicht

auf die Schlacht bei Badr bezogenen Fassung der Kurzbiographie eines Sufis,

der ihn im Jahre 1058 in Bagdad verbreitete, nachdem er ihn angeblich in

Buchara gehört hatte. Etwa zur gleichen Zeit wird dieser Satz in ein dem

sufischen Ideal der Askese gewidmetem Werk erwähnt. Die damals im

Entstehen begriffenen Sufi-Gemeinschaften verschrieben sich einer

Vertiefung der schariatischen Frömmigkeitspraxis, die die Ausübung von

Waffengewalt gegen Andersgläubige einschloss, da sie ja durchaus dem

Vorbild Mohammeds entsprach. In Belegen aus frühislamischer Zeit ist

übrigens von strenger Askese als einem probaten Mittel zur Schärfung der

Kampfesleidenschaft, zur Förderung des Dschihads die Rede.

Kaum ein Passus des Korans wird heute so gern zitiert wie das Bruchstück von

Sure 2, Vers 256: „Im Glauben gibt es keinen Zwang.“ Man legt diese Worte als

ein Zeugnis für die umfassende Toleranz Mohammeds und seiner Botschaft

aus.

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So hatte Jusuf al-Qaradawi in seiner bereits erwähnten der Religionsfreiheit

gewidmeten Sendung vom 6. Februar 2005 aus diesen Worten etwas ganz

anderes herausgelesen. Indem er auch den zweiten Teil des Verses zitierte –

„Der rechte (religiöse) Weg ist nunmehr deutlich vom Irrtum unterschieden.

Wer daher an den Götzen nicht mehr glaubt, wohl aber an Allah, der klammert

sich an die festeste Schlinge, die sich nicht auflösen wird“.- hob er hervor: Der

rettende Griff nach dieser Schlinge dürfe nicht in einer Zwangslage erfolgen,

die keinen anderen Ausweg mehr erkennen lasse, sondern müsse freiwillig

geschehen.

Von einer freien Wahl unter mehreren gleichberechtigten Religionen ist in

Sure 2, Vers 256 nicht die Rede, vielmehr wird der Schritt zum Islam hin als die

unumgängliche Folge der laut Mohammed durch die Verkündigung der

koranischen Botschaft jedermann erkennbar gewordenen Wahrheit aufgefasst.

Die Heiden und die Schriftbesitzer verweigern diesen Schritt, weil sie töricht

wie das Vieh sind.

4. Stellung der Frau im orthodoxen Islam und im GG

Dass die Vorschriften des Korans den Frauen zwar die (religiöse)

Gleichwertigkeit zubilligt, aber gleichzeitig die Gleichberechtigung mit den

Männern absprechen , ist eine weithin bekannte Tatsache und bedarf keiner

ausführlichen Dokumentation.

Demgegenüber gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Art. 3

Abs.2 GG als unabdingbares Kern-Grundrecht zum Menschenbild unserer

gesellschaftlichen Verfasstheit.

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II. Das Problem des schariatischen Islam mit dem säkularen Denken

Der willkürliche Gebrauch bestimmter Argumentationsverfahren –

metamorphorischer Sinn, Leugnung der Maxime „Religion und Politik sind

eins“, Wahl eines „schonenden“ Begriffs, Diesseits-Jenseits-Rabulistik,

„Kontextbezogenheit“ – dient dem Zweck, zum einen von Fall zu Fall die

Behauptung zu verteidigen, die ewig wahren Aussagen der autoritativen Texte

entsprächen den freiheitlich-demokratischen Grundsätzen unseres

Gemeinwesens. Zum anderen soll er alle Personen ins Unrecht setzen, die dies

unter Hinweis auf zahlreiche einschlägige Belege in Abrede stellen und darüber

Aufklärung verlangen, wie die Verbandsvertreter des Islams sich zu diesem

eklatanten Widerspruch zu verhalten gedenken. Es geht also um die

Vorbereitung des die intellektuelle Not zum Schein behebenden argumentum

ad hominem. Disputation, ja jegliche Form von Dialog bedeutet in dieser Sicht

nichts anderes, als dass die Wahrheit der – angeblich auf Allah zurückgehenden

– Aussagen des Islams stets stillschweigend vorausgesetzt ist. Am Beginn des

Dialogs mag sie dem Gesprächspartner noch nicht bewusst sein; implizit ist sie

bereits gegeben, wie immer die erörterte Frage auch lauten mag. Das

Streitgespräch findet seinen Abschluss, indem sie durch den Kenner der Scharia

in einem der geschilderten Verfahren oder in einer Kombination aus mehreren

dieser Verfahren seinem Partner explizit gemacht wird. Ein ergebnisoffener

Diskurs, bei dem alle Teilnehmer von der Wahrheit gleich weit entfernt sind,

alle wissen, dass sie sie niemals ganz erreichen werden, und alle im gleichen

Ernst um eine Annäherung an sie ringen, ist den Schariakennern nicht nur ein

Gräuel, sie sind in der Regel zu solch einer Gesprächsführung nicht bereit und

wegen der Ausrichtung ihrer Ausbildung auch nicht in der Lage.

Allerdings ist sie ihnen bislang auch noch nie ernsthaft abverlangt worden. Die

Dialogpartner der Vertreter des Islams haben sich aus falsch verstandener

Nachsicht mit ihrem eingangs erwähnten Unbehagen abgefunden. Vielfach

fehlen ihnen die Hintergrundkenntnisse, um die Behauptungen, mit denen sie

sich konfrontiert sehen , ins rechte Licht zu rücken. Bisweilen lassen sie sich

durch die Forschheit des Auftretens beeindrucken und beruhigen sich bei dem

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Gedanken, die Tugend der Toleranz gebiete es, dem anderen nicht mit Fragen

zu nahe zu treten, die ihm unangenehm sein könnten.

Solchermaßen nie zur Rechtfertigung ihrer Positionen gegenüber

Andersdenkenden in einem Dialog von gleich zu gleich genötigt, müssen die

Vertreter der Scharia freundlichen KRM-Verbände an die Unanfechtbarkeit

dieser Positionen zu glauben beginnen. Es kommt hinzu, dass sie sich als die

Avantgarde der Islamisierung des Westens betrachten, auf die man in der

islamischen Welt große Hoffnungen setzt.

Dies gilt insbesondere für die Ditib. Ihre türkische Mutterinstitution Diyanet

Isleri Baskanligi erklärt in ihrem türkischsprachigen Internetauftritt offen, dass

es zu ihren Zielen gehöre, im Ausland die in der Türkei auf dem Gebiet der

Religion gesammelten Erfahrungen bekanntzumachen, auf diese Weise das

„richtige“ Verständnis des Islams durchzusetzen und der öffentlichen Meinung

im Westen das „richtige“ Wissen vom Islam zu vermitteln; überdies lasse sie es

sich angelegen sein, die im türkisch interpretierten Islam wurzelnde Identität

der im Ausland lebenden Landsleute zu festigen. In diesem Zusammenhang

verdient die Tatsache Erwähnung , dass für die weltweite Förderung des

Scharia-Islams gigantische Mittel aufgewendet werden, so wurden alleine in

den beiden letzten Dekaden von Saudi-Arabien nach offiziellen Angaben jeweils

100 Milliarden US-Dollar für die weltweite Missionierung zur Verfügung

gestellt. Daneben sind vielfältige Bemühungen zu registrieren, eine ins

Grundsätzliche gehende Kritik am Scharia-Islam als „ I s l a m o p h o b i e“ zu

kriminalisieren, mithin zugunsten eines bestimmten politisch-religiösen

Systems die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der wissenschaftlichen

Forschung einzuschränken.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die mit 21 zu 10 Stimmen bei 14

Enthaltungen angenommene Resolution des UN-Menschenrats vom 27. März

2008 hingewiesen, die „Islamophobie“ mit Rassendiskriminierung auf gleicher

Ebene abhandelt, mithin erstmalig ein Gedankengebäude unter eben den

Schutz stellt, der bislang allein dem Menschen und seinen Rechten galt;

immerhin gehört Deutschland zu den Staaten, die diese Resolution ablehnten.

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Aus der Sicht der KRM-Verbände gab es also bisher keinen Anlass , sich einer

Grundsatzdiskussion zu stellen .

Eine besondere Rolle war bzw. ist der erstmals 2006 einberufenen Deutschen

Islamkonferenz (DIK) zugedacht, um die Integration der Muslime, auch der

schariagebundenen, in die freiheitliche Wertegemeinschaft Deutschlands

voranzubringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die religiös-

ideologischen Hemmnisse, die der Integration entgegenstehen, auch

tatsächlich zur Sprache gebracht werden. Dies ist eine der wichtigsten

Aufgaben. Außerdem müssen eine Reihe wesentlicher Fragen, die bis jetzt noch

völlig offen sind, behandelt werden, u.a.:

- Wie kann sichergestellt werden, dass die Muslime, die dem Scharia-Islam

ablehnend gegenüberstehen und sich unserer freiheitlich-

demokratischen Werteordnung und dem in ihr wurzelnden

Gemeinwesen verpflichtet fühlen, in der den Islam betreffenden

öffentlichen Diskussion und vor allem in den staatlicherseits zur

Erörterung islamischer Angelegenheiten einberufenen Gremien

entsprechend ihrer Bedeutung vertreten sind, stellen sie doch mehr als

die Hälfte der Zuwanderer aus islamischen Herkunftsstaaten.

- Wie kann sichergestellt werden, dass die muslimischen Schüler mit der

freiheitlichen, ergebnisoffenen Streitkultur vertraut gemacht werden?

- Wie haben sich die in diesen Fragen enthaltenen Prinzipien im

Curriculum der Ausbildung islamischer Religionslehrer und im Curriculum

der Ausbildung deutscher Imame niederzuschlagen?

- Was bedeuten diese Prinzipien für die Integrationsarbeit?

Wie wichtig eine zufriedenstellende Lösung auf diesem Gebiet ist, dürfte

sich auch jedem in Anbetracht des noch zu erwartenden weiteren

Zustroms mehrerer Millionenen Flüchtlinge mit islamischem Hintergrund

in diesem und den nächsten Jahren aufdrängen.

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Denn zieht man eine vor wenigen Jahren erhobene Umfrage unter den

an österreichischen Schulen tätigen Lehrern für dem islamischen

Religionsunterricht zugrunde – zum damaligen Zeitpunkt war das

Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Islam noch wesentlich

entspannter - so sahen damals bereits 28,4% einen Widerspruch darin,

Muslim und Europäer zu sein; 21,9% hielten Islam und Demokratie für

unvereinbar; 14,7% lehnten die österreichische Verfassung ab (Quelle:

Die Presse, 28.1.2009).

Ansonsten kann nur Ernst-Wolfgang Bockenförde zugestimmt werden,

wenn er in seiner ausführlichen Buch-Besprechung der unter dem Titel

„Islam und Verfassungsstaat“ veröffentlichten Dissertation von Lukas

Wick (in FAZ, 23.4.2009, S.35) feststellt:

…“dass der säkulare Staat, solange die scharia-islamischen Vorbehalte

gegen ihn nicht ausgeräumt werden, dafür Sorge zu tragen habe, dass

die Angehörigen des Islams durch geeignete Maßnahmen im Bereich von

Freizügigkeit und Migration – nicht zuletzt im Hinblick auf die Türkei – in

ihrer Minderheitenposition verbleiben, ihnen mithin der Weg verlegt ist,

über die Ausnutzung demokratischer politischer Möglichkeiten seine auf

Offenheit angelegte Ordnung von innen her aufzurollen. Darin liegt nicht

mehr als eine Selbstverteidigung, die der freiheitliche Verfassungsstaat

sich schuldig ist.“

III. Der „Organisierte Islam“ im Spannungsfeld zwischen Scharia

(Islamismus) und Demokratie (säkulare Rechtsordnung) in

Deutschland

1. Allgemeine Kriterien zur Einschätzung von Vereinen und

Gesprächspartnern aus dem Bereich des „Organisierten Islam“

Eine kontextuale Analyse kann sich z.B. auf die öffentlichen

Bekundungen muslimischer Vereine und Verbände, auf ihre

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Führungspersonen, ihre Funktionäre und ihre Versammlungsorte,

auf ihre organisatorischen Vernetzungen mit europäischen bzw.

internationalen islamischen Institutionen und auf die Inhalte von

Bildungsangeboten (Druckerzeugnisse, Websites) richten. Daraus

entsteht ein zwar immer noch fragmentarisches , aber doch in der

Grundtendenz aussagekräftiges Bild: Auch wenn man davon

ausgeht, dass der „organisierte“ Islam mehrheitlich nicht

islamistisch orientiert ist, muss doch festgehalten werden, dass

ein ausgeprägter pragmatischer Konservatismus mit zunehmend

breiteren sich radikalisierenden Rändern dominiert.

2. Islam und Islamismus – Grundmerkmale des Islamismus

Es gibt keine geschichtliche Notwendigkeit, dass aus dem Islam Islamismus

wird, aber es besteht die Möglichkeit. Es kann also einen Islam ohne

Islamismus, aber keinen Islamismus ohne Islam geben. Für den Zusammenhang

von Islam und Islamismus ist es wichtig zu wissen, dass der „Islam“ (arab.

„Hingabe“, „Ergebung“) nicht nur eine Religion ist, sondern immer auch ein

politisches Projekt der Gesellschaftsveränderung.

Die geistigen Ursprünge, Grundorientierungen und Ziele des Islamismus lassen

sich im Wesentlichen auf drei Grundmerkmale zuspitzen. Der Islamismus ist

eine

-politisch-extremistische Herrschaftsideologie, deren Kern eine

Ideologie der Ungleichheit bildet: Andere Religionen, Weltanschauungen

und Lebensorientierungen werden abgewertet, und ihnen wird eine

gleichberechtigte Existenz neben dem Islam, der als die einzig „wahre“

Religion verstanden wird, verweigert. Politische Herrschaft wird aus der

Religion (Scharia) begründet. Universale Menschenrechte, so wie sie in

der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 formuliert

sind, werden als „unislamisch“ zurückgewiesen und das Prinzip der

Säkularität, dh. der Trennung von Staat und Religion , verworfen;

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-politische Protest- und Oppositionsbewegung gegen muslimische

diktatorische Regime, die als „unislamisch“ verurteilt werden („der nahe

Feind“) und gegen „den Westen“ als die Verkörperung der

„islamfeindlichen“, „ungläubigen“ Mächte („der ferne Feind“);

-soziale Bewegung, die soziale Dienstleistungen (z.B. Arbeit, Bildung,

Kultur, Freizeit) anbietet, nicht zuletzt um Sympathisanten für die

Bewegung und Rekruten für den „dschihad“ zu gewinnen.

3.Die Anfälligkeit des „organisierten Islam“ und seiner Mitglieder für

den Islamismus

Der organisierte Islam bietet für islamistische Einfluss-Strategien Andockpunkte

und offene Flanken:

Der Islam, wie er von den Verbänden präsentiert wird, zeigt sich ganz

konservativ: als ein „ganzheitliches“ System, geschlossen, vermeintlich rational

erfassbar, alle Sinnfragen und praktischen Probleme des Lebens beantwortend.

Sichtbar wird vielfach auch eine apologetische Grundhaltung, die wenig Raum

für (selbst-)kritische Diskurse lässt.

Die eigentümliche Abstinenz, wichtige Themen zu diskutieren, ist nicht nur

beklagenswert, sondern auch gefährlich. Wenn z.B. im Blick auf das Verhältnis

des Islam zur Trennung von Staat und Religion, zum Gewaltproblem oder zur

Frage der Geschlechtergerechtigkeit und der Religionsfreiheit statt einer

offenen , kritischen Debatte eine Abwehrhaltung, plakative Selbstgerechtigkeit,

Opferposen und aggressive Gegenangriffe auf Kritiker dominieren, ohne dass

der Versuch gemacht würde, sich tatsächlich tiefgehend mit diesen Fragen zu

befassen, dann wird es den Islamisten leicht gemacht.

Es ist z.B. völlig unverständlich, warum es im Rahmen der „Deutschen

Islamkonferenz“ (2006 – 2009) erst nach Jahren möglich war, das Thema

„Islamismus“ auf die Tagesordnung zu setzen, wobei die dann endlich erreichte

Diskussion deutlich von Abwehr und apologetischen Positionen geprägt war.

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Nicht streitiger Dialog, sondern die Sicherung der eigenen „islamischen

Identität steht ganz im Vordergrund, und insofern ist der verbandlich verfasste

Islam eher „Identitätswächter“ eines überwiegend konservativen Islam denn

„Integrationslotse“ für die demokratische Gesellschaft.

Das Bild, das viele der „Organisierten“ von der „westlichen“ demokratischen

Gesellschaft haben, in der sie leben, weist zudem eine beunruhigende Tendenz

zu Distanz und (mitunter abwertender) Abgrenzung auf. Dies liegt keineswegs

nur an tatsächlichen persönlichen Diskriminierungserfahrungen und/oder

vermuteten Erscheinungen von gesellschaftlicher Exklusion, Ausgrenzung und

Verweigerung von „Anerkennung“. Es gibt auch eine hausgemachte

Abschottung (Parallelgesellschaft) in die versiegelte Geisteswelt muslimischer

Identitäten. Außenstehende, d.h. Nichtmuslime, werden letztlich keinen

Zugang finden, allen „Dialogaktivitäten“ und Bereitschaftserklärungen zu

Offenheit und Transparenz zum Trotz. Wenn die Trennlinie zu den

„Ungläubigen“ scharf gezogen wird und ein massives

Überlegenheitsbewusstsein zur Abwertung anderer Religionen führt, wenn

bewusst oder unbewusst der Scharia gelenkte islamische Staat als islamisches

Staatsideal in den Köpfen spukt, wenn ferner unter dem Druck islamistischer

Gruppen eine dogmatische Orthopraxis als allgemeingültig „islamisch“

durchgesetzt werden soll (der „Kopftuchstreit“ 2003 war ein beredtes Beispiel

dafür) , dann haben die Islamisten Oberwasser. Sie können an einen solchen,

von einem buchstäblichen Verständnis des Koran und einer traditionalistischen

religiösen Praxis geprägten sowie zur gesellschaftlichen Abgrenzung

tendierenden Islam problemlos anknüpfen.

Wenn muslimische Verbände im Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat

deutliche U n k l a r h e i t e n zeigen, so ist hier ein weiteres Einfallstor für

islamistische Ideologien geöffnet. Ein bedeutendes Beispiel ist die vom

„Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD) am 20. Februar 2002

veröffentlichte „Islamische Charta“. Adressaten der Charta sind Nichtmuslime

und Muslime gleichermaßen, sie ist sowohl Selbstdarstellung des ZMD nach

außen als auch Dokumentation des internen muslimischen

Selbstverständnisdiskurses, der auch zwischenzeitlich von allen KRM-

Verbänden stillschweigend übernommen wurde.

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Sie will Aufschluss über die Grundhaltung des ZMD und der übrigen KRM-

Verbänden zur Demokratie geben und fordert die „Anerkennung“ des Islam in

Deutschland. Obwohl die Diskussion über die Charta (anscheinend ganz im

Sinne des ZMD) inzwischen weitgehend eingeschlafen ist, muss hier darauf

eingegangen .

Demokratietheoretisch ist die Charta ein höchst ambivalentes Dokument.

Einerseits wird eine grundsätzliche Bejahung der Demokratie des

Grundgesetzes formuliert, andererseits wird dieses positive Votum durch eine

Reihe von Unklarheiten verdunkelt und durch die Formulierung von

Bedingungen wieder eingeschränkt:

In § 11 der Charta wird die „vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige,

rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik

Deutschland, einschließlich des Parteienpluralismus, des aktiven und passiven

Wahlrechts der Frau sowie der Religionsfreiheit“ bejaht. Die auffällige

Betonung des „aktiven und passiven Wahlrechts der Frau“ lässt allerdings

vermuten, dass der Artikel 3 des Grundgesetzes („Männer und Frauen sind

gleichberechtigt“) im ZMD nicht konsensfähig war. Das deckt sich mit Aussagen

in Verlautbarungen und Publikationen muslimischer Verbände, in denen auf die

„Gleichwertigkeit“ der Frau vor Gott und die von Gott gegebenen

unterschiedlichen Pflichten verwiesen wird. Die Rede von der „Gleichwertigkeit

vor Gott“ bedeutet jedoch keineswegs die Gleichheit vor dem Gesetz und die

Akzeptanz gesellschaftlicher Gleichberechtigung in Familie und Gesellschaft,

sondern geht von der schariarechtlich festgeschriebenen Ungleichbehandlung

der Frau aufgrund gottgegebener biologischer Anlagen und dadurch

begründeten unterschiedlichen Rechten und Pflichten aus.

Weiter heißt es in § 11: „Daher akzeptieren sie auch das Recht, die Religion zu

wechseln, eine andere oder gar keine Religion zu haben. Der Koran untersagt

jede Gewaltausübung und jeden Zwang in Angelegenheiten des Glaubens.“ Das

Bekenntnis zum Religionswechsel ist ein durchaus mutiger Schritt, gilt doch der

„Abfall“ (Apostasie) vom Islam als Sünde gegen Gott und „Verrat“ an der

muslimischen Gemeinschaft und wird in einigen islamischen Staaten

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strafrechtlich mit der Todesstrafe verfolgt. Gleichwohl scheint die Akzeptanz

von Rechtsstaat und Demokratie in erster Linie von der Bedingung abhängig

gemacht zu werden, dass den Muslimen eine Religionsfreiheit nach ihren

Vorstellungen gesichert wird, was mit dem Wort „daher“ angedeutet wird.

Weil das Grundgesetz in Art. 4 den Muslimen Religionsfreiheit garantiert,

sodass sie „ihren religiösen Hauptpflichten nachkommen können“, deshalb

akzeptiert der ZMD das Grundgesetz. Nur deshalb ? Nur der ihnen gewährten

Religionsfreiheit ?

Der religionsgeschichtliche Hintergrund dieser Argumentation ist die in der

islamischen Tradition diskutierte Problematik, ob Muslime dauerhaft auch in

einem nichtmuslimischen Land leben können. Die Debatte der Rechtsgelehrten

dazu ist bis heute kontrovers. Der ZMD signalisiert mit dieser Formulierung

also, dass er die Akzeptanz von Rechtsstaat und Demokratie offenbar auf

kollektive vertragliche Beziehungen zwischen dem Staat und der muslimischen

Minderheit gegründet sieht.

So heißt es in These 10: „Muslime dürfen sich in jedem beliebigen Land

aufhalten, solange sie ihren religiösen Hauptpflichten nachkommen können.

Das islamische Recht verpflichtet Muslime in der Diaspora, sich grundsätzlich

an die lokale Rechtsordnung zu halten. In diesem Sinne gelten Visumerteilung,

Aufenthaltsgenehmigung und Einbürgerung als Verträge, die von der

muslimischen Minderheit einzuhalten sind.“

Hier wird nicht von einzelnen Muslimen als Staatsbürgern im Rechtsstaat

gesprochen, sondern von „der muslimischen Minderheit“ als Kollektiv. Die

Bezeichnung der genannten staatlichen Rechtsakte (Visumerteilung,

Aufenthaltsgenehmigung und Einbürgerung) als „Verträge“ zur Bestimmung

des Verhältnisses von Staatsbürgern und Staat ist unserer Rechtsauffassung

fremd und außerdem für als Deutsche geborene Muslime ohne Bedeutung. Die

Bundesrepublik Deutschland schließt in diesen Rechtsangelegenheiten keine

Verträge mit Individuen und/oder Kollektiven („den Muslimen“), sondern

erwartet selbstverständlich die Akzeptanz der Rechtsordnung und

Gesetzesgehorsam. Visumserteilung, Aufenthaltsgenehmigung und

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Einbürgerung beruhen auf gesetzlichen Regelungen und Verordnungen, die für

alle, die diese hoheitlichen Rechtsakte begehren, in gleicher Weise gelten.

Davon zu unterscheiden sind vertraglich vereinbarte Kooperationen zwischen

dem Staat und nicht-staatlichen Akteuren – z.B. wenn der deutsche Staat im

Rahmen seines staatskirchenrechtlichen Regelwerkes vertragliche

Vereinbarungen mit Religionsgemeinschaften trifft, etwa im Blick auf soziale

Dienstleistungen (z.B. Diakonie und Caritas), die Bildung (Religionsunterricht,

theologische Fakultäten) oder die Militärseelsorge. Dieses Regelwerk steht –

bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen – auch muslimischen

Religionsgemeinschaften offen. An diesem Punkt wird besonders deutlich

sichtbar, dass der ZMD bemüht ist, der eigenen Klientel in der Sprache

islamischen Rechts, d.h. mit den Kategorien islamischer Rechtstheorien, die

Akzeptanz der deutschen Rechtsordnung nahezubringen. Doch geht dieser –

durchaus wohlmeinende und im Blick auf den innerislamischen

Klärungsprozess verständliche – Kompromissversuch an den grundlegenden

Legitimationsgrundlagen des demokratischen Staates vorbei. Er erzeugt den

fatalen Eindruck, der ZMD betrachte staatliche Rechtsakte unter einem

kollektiven Vertragsvorbehalt, d.h. auch als kündbar, und somit die deutsche

Rechtsordnung nur als Provisorium auf dem Weg zu einem islamischen Staat

und Gemeinwesen.

Dieser Kritik begegnet der ZMD mit dem Hinweis, dass das islamische Recht

unbedingt zur Einhaltung von Verträgen verpflichte. Er zeigte damit , dass er

tatsächlich die islamrechtliche Vertragskonstruktion als Legitimationsgrundlage

muslimischer Existenz im nichtmuslimischen Staat betrachtete. Doch eine

solche Rechtsauffassung ist nicht akzeptabel. Es wäre ja nicht auszuschließen,

dass die „im Zentralrat vertretenen Muslime (so die Charta) zu der Meinung

gelangen könnten, dass die Vertragsbedingungen von dem „Vertragspartner“

(der Bundesrepublik Deutschland) verletzt worden seien, etwa durch

Versagung einer Baugenehmigung für den Bau einer Moschee oder ein

Kopftuchverbot. Eine solche vermeintliche Behinderung der Religionsfreiheit

könnte als „Vertragsverletzung“ interpretiert werden, ja wäre gemäß Sure 8

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,Verse 56 -58 „Verrat“ und zöge die Vertragsaufkündigung seitens der Muslime

zwingend nach sich.

Hier zeigt sich eine befremdliche Demokratieauffassung. Es kann ja nicht sein,

dass eine religiöse Minderheit die Bedingungen diktiert, unter denen sie bereit

ist, fundamentale Verfassungsprinzipien anzuerkennen, und sich vorbehält,

diese Anerkennung auch wieder zurückzunehmen, wenn der „Vertragspartner“

angeblich die „Geschäftsgrundlage“ verlässt. Diese liefe darauf hinaus, den

Muslimen eine islamrechtliche Deutungshoheit über die Beziehungen

zwischen dem Staat und dem Islam in Deutschland zuzugestehen. Völlig

ungeklärt bliebe auch die Frage, wer denn legitimiert sei, im Namen „der“

Muslime mit dem nichtmuslimischen demokratischen Rechtsstaat „Verträge“

zu schließen und auch wieder zu lösen. Die „lokale Rechtsordnung“ (das

Grundgesetz) wird vom ZMD somit nur deshalb akzeptiert, weil das islamische

Recht sie dazu vertraglich verpflichtet und man offensichtlich darauf hofft,

ggf. durch vertragliche Vereinbarungen weitere Spielräume für die

Anwendung islamrechtlicher Bestimmungen (z.B. im Ehe-, Familien- und

Erbrecht) zu gewinnen. Das wird durch die Formulierung, dass das islamische

Recht die Muslime verpflichte, die „lokale Rechtsordnung grundsätzlich“

anzuerkennen, noch bekräftigt.

Die einschränkende Formulierung „grundsätzlich“ ist erklärungsbedürftig.

Welche Bestimmungen der Rechtsordnung können Muslime ggf. nicht

anerkennen? Welche „Sonderregelungen“ soll es für „die im ZMD vertretenen

Muslime“ geben ? Der ZMD bleibt eine konkrete Antwort schuldig.

„Grundsätzlich“ scheint zu gelten: Das „islamische Recht“ bildet, wie es in

These 3 heißt, zusammen mit der „islamischen Lebensweise“ die „Grundlage

des islamischen Glaubens“. Ist dieser Bezug auf das islamische Recht, die

Scharia, eine islamistische Position? Sicherlich nicht, denn dann wären alle

Muslime Islamisten . Aus der Sicht des ZMD ist die S c h a r i a aber die

maßgebliche und verbindliche Grundregel muslimischen Lebens in

Deutschland . obwohl in der Charta die Reizvokabel „Scharia“ bewusst

vermieden wird. Die Rede von dem „islamischen Recht“ und der „islamischen

Lebensweise“ als Basis des „islamischen Glaubens“ deutet darauf hin, dass der

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ZMD die Scharia als ein ganzheitliches Korpus von Glaubensprinzipien,

moralisch-ethischen Orientierungen und rechtlichen Bestimmungen versteht,

der von den Anweisungen für den Gottesdienst über Speise- und

Bekleidungsvorschriften bis zur Regelung von Rechtsmaterien wie Straf-,

Vertrags-, Ehe-, Familien- und Erbrecht reicht. Wie ist eine solche Position , in

der auch ein politischer Geltungs- und Gestaltungsanspruch steckt, mit den

fundamentalen Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes in Einklang zu

bringen ? Ist die Scharia t e i l b a r, und zwar in einen hier im säkularen Staat

frei praktizierten „rituellen Pflichtteil“ (Glaubensbekenntnis, tägliches

fünfmaliges Gebet, Fasten, Almosengeben und die Pilgerfahrt nach Mekka) und

einen zurzeit suspendierten Teil (Ehe-, Familien-, Erb- und Strafrecht), der aber

im Falle einer muslimischen Mehrheit zur Anwendung käme? Eine höchst

ungemütliche Vorstellung!

Das Spannungsfeld zwischen Scharia und säkularer Rechtsordnung wird durch

die Formulierungen in der These 13 noch einmal unterstrichen: „Zwischen den

im Koran verankerten, von Gott gewährten Individualrechten und dem

Kernbestand der westlichen Menschenrechtserklärung besteht kein

Widerspruch. Der beabsichtigte Schutz des Individuums vor dem Missbrauch

staatlicher Gewalt wird auch von uns unterstützt. Das islamische Recht

gebietet, Gleiches gleich zu behandeln und erlaubt , Ungleiches ungleich zu

behandeln. Das Gebot des islamischen Rechts, die jeweilige lokale

Rechtsordnung anzuerkennen, schließt die Anerkennung des deutschen Ehe-,

Erb- und Prozessrechts ein.“

Der ZMD sieht Individualrechte im Koran verankert und „von Gott gewährt“. Es

ist zu fragen, ob die Formulierung „von Gott gewährt“ auf eine theologische

Letztbegründung der unverlierbaren Würde des Menschen abzielt. Bekanntlich

lässt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 die Begründung

der „Würde“ des Menschen offen, ja musste sie offenlassen, weil die Erklärung

ein Kompromiss von Staaten war, deren Vertreter aus sehr verschiedenen

religiösen und philosophischen Traditionen kamen. Die einen begründeten die

Menschenrechte religiös, die anderen philosophisch (z.B. Naturrecht,

Aufklärung). Muslime Rechtsgelehrte haben auch eine Begründung der

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Menschenwürde vorgelegt und dabei auf den Gnadenakt Gottes gegenüber

dem Menschen abgehoben. Der Mensch sei von Gott mit einer Vorzugsstellung

gegenüber allen anderen Geschöpfen ausgestattet und als „Stellvertreter

Gottes“ („khalifa“) „geehrt“ worden. Daraus könnte die „gleiche Würde“ der

Menschen ungeachtet der Differenzen von Geschlecht, Rasse und ethnischer

Herkunft abgeleitet werden. Doch an diese bedeutsame Überlegung schließt

die Charta nicht an und konkretisiert sie nicht, sondern formuliert zwei

grundlegende Einschränkungen, die in den Formulierungen „Kernbestand“ und

„westlich“ sichtbar werden. Was versteht der ZMD unter „Kernbestand“?

Welche Teile der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gehören nicht

dazu?

Ferner verweist die Einschränkung „westlich“ darauf, dass die Autoren der

Charta den Universalismus der Menschenrechte, der nicht kulturalistisch auf

„christlich-abendländische“ Werte reduziert werden darf, unberücksichtigt

lassen. Sie verkennen, dass der Universalismus der Menschenrechte nicht allein

das Ergebnis „westlichen“ Menschenrechtsdenkens ist, so sehr auch

„westliche“ Prägungen in der historischen Genese der Menschenrechtsidee

aufscheinen mögen. Der Universalismus der Allgemeinen Erklärung der

Menschenrechte ist ein politisch-pragmatischer Konsens zwischen Partnern, die

aus verschiedenen religiösen und philosophischen Strömungen und Traditionen

kommen. Sie haben sich auf den Begriff der „Menschwürde“ als ein

anthropologisches Minimum verständigt:“ Alle Menschen sind frei und gleich

an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt

und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“ (Art.1). Im Konsens

ist ferner ein Katalog von unverlierbaren und unveräußerlichen

Menschenrechten definiert worden, wobei die Menschenwürde sowie

Ursprung und Herkunft der Menschenrechte unterschiedlich (religiös und/oder

philosophisch) begründet werden.

Der ZMD steht mit seiner Charta ganz offensichtlich in der Tradition der

Islamischen Menschenrechtserklärungen von 1981 und 1990, welche die

Geltung der Menschenrechte unter einen Scharia-Vorbehalt stellen. Es ist sehr

aufschlussreich, wenn Axel Ayyub Köhler, der frühere Vorsitzende des ZMD, der

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auch an der Charta beteiligt war, zur Begründung von Menschenwürde

schreibt: „Die Würde ist dem Menschen unter erheblichen Auflagen von Gott

verliehen worden. Alle Rechte des Menschen – auch die Menschenrechte (!) –

sind damit an Pflichten gebunden. Die Vermittlung und Verinnerlichung der

Regel, dass islamische Rechte immer an Pflichten gebunden sind, gehört zu den

wesentlichen Erziehungszielen“. Dass Köhler die Würde des Menschen als von

Gott, dem Schöpfer menschlichen Lebens, „unter erheblichen Auflagen“

(welchen?) verliehen betrachtet, ist eine noch legitime Letztbegründung.

Problematisch wird es aber, wenn der Eindruck erzeugt wird, dass die Erfüllung

von „Pflichten“ gegenüber Gott zur Bedingung der Berufung auf die und der

tatsächlichen Wahrnehmung von universal geltenden Menschenrechten erklärt

wird. Dieser Argumentation zufolge können dann areligiöse Menschen,

zumindest in einem islamischen Staat, nicht in den Genuss von

Menschenrechten kommen, denn sie akzeptieren ja weder die religiöse

Letztbegründung noch die sich aus dieser ergebenen Verpflichtungen. Auch

Andersgläubige kämen nicht in den vollen Genuss der Menschenrechte, da sie

zwar eine „religiöse Letztbegründung“ anerkennen, aber in der Frage der

Pflichterfüllung den islamischen Geboten und Verboten natürlich nicht folgen

können. Einer der Mitautoren der Islamischen Charta, der Konvertit Murat

Wilfried Hofmann, in dessen Schriften der Ausdruck „Kernbestand“ der

Menschenrechte vorkommt, stellt fest, „dass die Menschenrechte im Islam

nicht voll mit den Menschenrechtspakten übereinstimmen.“ Der Islam ist für

ihn ein „komplementäres Menschenrechtssystem“. Er behauptet gar, dass der

Islam nicht nur „alle klassischen Menschenrechte schon seit 1400 Jahren

kenne, sondern diese „besser verankert „ habe „als der Okzident mit allen

seinen Pakten.“ Auch er formuliert die Bedingung des Glaubens an Gott als

Voraussetzung für die Respektierung und die Gewährleistung von

Menschenrechten: Die „Respektierung der Menschenrechte steht und fällt

damit letztlich mit dem Glauben an Gott“. Wenn somit die Scharia, die nach

Hofmann „als göttliches Recht letztlich nicht zur Disposition steht und die

Berufung auf und die Inanspruchnahme von Menschenrechten an die Erfüllung

von religiösen Pflichten gebunden wird, so gelten diese nur für religiöse

Menschen. Insofern bleibt ein grundlegender Widerspruch zwischen der

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Scharia, dem göttlichen „Grundgesetz“ für die Muslime, und den universalen

Menschenrechten bestehen.

Weder der ZMD noch der „Koordinationsrat der Muslime in Deutschland“

haben es bis heute für notwendig befunden, die hier aufgezeigten Schwächen

vertrauensbildend zu korrigieren. Auch die Diskussionen in der „Deutschen

Islamkonferenz“ seit 2006 haben an der Charta nichts verändert.

F a z i t

Abschließend ist mit großer Dringlichkeit noch einmal zu fragen, wie sich die

KRM-Verbände den Umgang mit den angesprochenen Themen denn nun

denken. Die gemeinsame Plattform der KRM-Verbände, die Islam- Charta (des

ZMD) von 2002, die sich vorgeblich mit der Lebensgestaltung gläubiger

Muslime in einer säkularen Gesellschaft befasst, lässt mehr Fragen offen, als

sie Antworten gibt, wie oben näher darzustellen war. Wollen sie mit den von

ihnen vorgetragenen taktischen Argumenten künftig in der Öffentlichkeit gegen

Glaubensbrüder auftreten, die sich nicht nehmen lassen, die betreffenden

Aussagen der autoritativen Texte wörtlich zu verstehen? Der freiheitliche

Verfassungsstaat hat das Recht und die Pflicht, auf einer klaren Antwort zu

beharren, denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Abwehr

demokratiefeindlicher Strömungen in unserer Gesellschaft, die geeignet sind,

unsere freiheitlich demokratische Grundordnung wirkungsvoll zu

unterwandern und letztlich zu zerstören.

Dieter Kellermann

Kommission Freiheit und Ethik

Bundesfachausschuss Kirche, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften