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Der kleine Erziehungshelfer - · PDF fileDer kleine Erziehungshelfer ... hungsratgeber guckst, wo Besserwisser für jedes Problem eine Lösung haben», er macht eine wegwerfende Hand-10

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Page 1: Der kleine Erziehungshelfer - · PDF fileDer kleine Erziehungshelfer ... hungsratgeber guckst, wo Besserwisser für jedes Problem eine Lösung haben», er macht eine wegwerfende Hand-10

Leseprobe aus:

Jan-Uwe Rogge

Der kleine Erziehungshelfer

Mehr Informationen zum Buch finden Sie hier.

Copyright © 2007 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek

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Einführung:Erziehung ist Beziehung

I ch habe Fragen über Fragen zur Erziehung», so stöhnteine Mutter auf einem Familienseminar. «Erziehung ist

so etwas Kompliziertes! Ich blicke da manchmal einfachnicht mehr durch!»

«Ach was», entgegnet eine andere, «die ist überhauptnicht kompliziert, wir machen sie nur kompliziert, weilwir alles richtig machen, super perfekt machen wollen!Man sollte manchmal fünf gerade sein lassen! Nicht stän-dig sich bejammern und sich Vorwürfe machen!»

«Das ist nun auch zu pauschal», wirft eine Dritte ein.«Es gibt auch Situationen, da rasselt man einfach mit denKindern zusammen, wenn man es ihnen schon zigmal ge-sagt hat und es passiert dann nichts, rein gar nichts!»

«Und dann gibt es einfach diese Tage», unterbrichteine vierte Mutter, «da flippt man schneller aus, weil duohnehin genervt bist! Und dann kommt dein pädagogi-scher Oberguru abends von der Arbeit nach Hause undsagt ernsthaft, aber mit süffisantem Unterton, man solleeinfach nur konsequenter sein, dann bräuchte man auchnicht zu schreien.»

«Sieh an», ruft ein Vater dazwischen. «Jetzt haben wirdoch die Sündenböcke: die Väter, die alles besser wis-sen!» Er macht eine Pause. «Aber denen geht’s doch auchnicht besser. Die wissen auch nicht weiter, haben Fragen,wollen Antworten. Und wenn du dann in einen Erzie-hungsratgeber guckst, wo Besserwisser für jedes Problemeine Lösung haben», er macht eine wegwerfende Hand-

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bewegung, «die kannst du doch alle auf den Mond schie-ßen, diese Oberklugscheißer!»

In diesem kurzen Gesprächsausschnitt aus einem Eltern-seminar kommen Aspekte zur Sprache, die durchaus zurRatlosigkeit von Eltern in Erziehungsfragen beitragen:

• Da ist das Streben, auf jedes Problem in der Erziehungsofort und auf der Stelle eine Lösung zu erhalten, dieimmer und ewig funktioniert. Aber solche Lösungenexistieren nicht. Man mag Speisen nach einem Rezeptaus dem Kochbuch zubereiten, allgemeingültige Erzie-hungsrezepte gibt es nicht. Wer dies nahelegt, der istein pädagogischer Scharlatan.

• Eltern wollen nicht nur erziehen, sie wollen es «rich-tig» machen, keine Fehler zulassen. Eltern möchtenperfekt sein, jeden Tag den pädagogischen «Oskar amBande» verliehen bekommen, und wenn das keinertut, sich selber damit auszeichnen. Gerade weil Erzie-hungssituationen so komplex-kompliziert sind,braucht es einfache, nicht: vereinfachte(!) Zugänge,braucht es Gelassenheit, den Mut zum Fehler, zur Un-vollkommenheit.

• Schließlich ist da noch eine Masse an Erziehungsrat-gebern mit ihren simplen Ratschlägen, die Eltern sug-gerieren, Erziehung wäre ganz kinderleicht, befolgeman nur die aufgezeigten Vorschläge. Aber solche Vor-und Ratschläge sind häufig Schläge der besonderenArt, deren blaue Flecken man erst nach der Lektürebemerkt – dann nämlich, wenn trotz wiederholten Le-sens sich nichts, aber gar nichts im Erziehungsalltagverändert, man in seinem Gefühl, es sowieso nicht zukönnen, noch bestärkt wird.

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Man fragt mich in Interviews immer wieder, warum meineRatgeber so viel und gerne gelesen werden. Für diese Ak-zeptanz gibt es ebenfalls kein Patentrezept. Aber ichdenke, die Leser und Leserinnen – und damit Mütter, Vä-ter wie professionelle Pädagogen – haben ein Gespür, obman sie ernst nimmt oder von oben herab belehrt. Elternhaben Kompetenzen – und an die gilt es anzuknüpfen. El-tern wollen, dass man sie in ihren pädagogischen Kompe-tenzen bestätigt, sie wollen begleitet, stark gemacht wer-den. Nur wer sich als Vater oder Mutter angenommenfühlt, kann seine Kinder annehmen, nur wer seine Stär-ken spürt, kann Kinder stark, selbstbewusst und lebens-tüchtig machen.

Elternratgeber sind nicht für jene geschrieben, die sichohnehin als kompetent betrachten, Kinder selbstbewusstins Leben zu führen, die mit einer Mischung aus erziehe-rischem Wissen und dem Gefühl, auch mal spontan undintuitiv aus dem Bauch zu entscheiden, die Kunst des«Durchwurschtelns» praktizieren.

Und auch nicht für jene, denen Erziehung – welcheGründe man auch immer dafür benennen mag – gleich-gültig, nebensächlich ist, die der Auffassung sind, Kinderwürden auch ohne feste Rahmenbedingungen ins Lebenkommen.

Elternratgeber sind für jene formuliert, die nicht seltenan ihre Grenzen kommen, die deshalb Bestätigung fürjene alltäglichen Situationen brauchen, in denen sie sichdermaßen verrannt haben, dass am Ende Ohnmacht undHilflosigkeit stehen. Bestätigung stellt dabei ein Schlüssel-wort dar: Es meint, dass man – wie mir viele LeserInnenschreiben – «nicht alles falsch macht oder falsch gemachthat», also positiv formuliert: richtig gehandelt hat, sich in

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seinen Meinungen und Auffassungen bestätigt fühlendarf. Eltern – so meine Erfahrung – denken viel nach, undsie machen dabei einen verdammt «guten Erziehungs-job»! Eltern nur darauf hinzuweisen, was sie nicht kön-nen, ihnen ständig vor Augen zu führen, was sie allesnicht beherrschen, das stärkt nicht unbedingt das Selbst-bewusstsein, legt vielmehr ein Minderwertigkeitsgefühlnahe, man könne ohnehin nicht erziehen, vor allem dann,wenn man noch meint, nur einem selber gehe es so, beianderen «klappe es halt immer».

Der Pädagoge Pestalozzi hat vor mehr als zweihundertJahren Eltern einen Rat mitgegeben: «Lache dreimal amTage mit deinem Kind, dann geht es dir gut!» Ernsthaftig-keit in der Beziehung darf nicht die Abwesenheit von Hu-mor bedeuten. Humor entkrampft, trägt dazu bei, übersich selber zu lachen – über seine Kompetenzen, vor al-lem über seine menschlichen, allzu menschlichen Unzu-länglichkeiten. Als man Lessing anlässlich der Premiereseiner «Mina von Barnhelm» vorwarf, wie man über einernstes Thema ein so lustiges Stück schreiben könne, überdas man sogar lachen könne, antwortete er den Kritikern:«Was haben Sie gegen das Lachen?»

Lachen hat nichts zu tun damit, sich oder andere lä-cherlich zu machen, kindisch oder gar albern zu sein, viel-mehr, wie ein Kind aus vollem Herzen zu lachen. Lachenund Humor vermitteln sich am anschaulichsten in Ge-schichten. Deshalb erzähle ich so gerne Geschichten.Man findet sich in ihnen wieder, assoziiert seine eigeneGeschichte, sein Gelingen ebenso wie sein Scheitern, Ge-schichten vermitteln das Gefühl «das ist mir heute gelun-gen» ebenso das Versagen, die Freude ebenso wie dieTraurigkeit. In Geschichten sind Bilder enthalten, die län-

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ger präsent bleiben als ein nummerierter Anforderungska-talog, der auflistet, was zu tun ist, um ein Problem zu lö-sen.

In meinen Vorträgen bitte ich häufiger, nichts mitzu-schreiben. Das für einen Wesentliche behält man ohne-hin – und das könne man hinterher für sich immer nochformulieren. Und Ähnliches gilt für Geschichten. Manmuss sie «immer und immer wieder lesen» – oder wiees eine Leserin einmal schrieb: «Ich nehme Ihr Buchzur Hand, und von Zeit zu Zeit lese ich darin. Und dannentdecke ich immer neue Stellen, die ich bisher über-lesen habe. Aber vielleicht waren sie bis dahin auch nichtwichtig!»

Erziehung ist Begleitung der Kinder ins Leben, Erzie-hung ist nicht Vorbereitung auf das Leben: und dieses istmit Frust und Trost verbunden. Trost, weil man sich unddem Kind Zeit lassen kann. Im Trost zeigt sich Gelassen-heit, nicht: Gleichgültigkeit (!), und Gelassenheit meintweiterhin: Ich lasse zu! Ich lasse los! Ich lasse zu, dass ichso bin, wie ich bin! Ich lasse zu, dass ich ein Kind habe,das so ist, wie es ist! Es ist eine einzigartige, eine unver-gleichliche Persönlichkeit! Und ich lasse meinen Perfek-tionismus los, den Gedanken, es jederzeit richtig zu ma-chen, nur das Beste für das Kind zu wollen!

Mit dem Trost ist aber auch Frust verbunden, dieseEinsicht, dass Erziehung niemals am Ende ist, man stän-dig in Beziehung zum Kind bleiben muss. Erziehung istnichts Abgeschlossenes, sie ist in Bewegung, Erziehung istetwas Bewegendes. Und wenn man meint, man habeeinen Entwicklungsabschnitt geschafft, es wäre Licht amEnde des Tunnels, dann tut man gut daran, genauer hin-zuschauen. Denn meist ist das Licht ein entgegenkom-

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mender Zug, und dann «fängt man wieder von vorne an»,wie es eine Mutter einmal ausdrückte.

Gandhi hat einst sinngemäß formuliert, Kinder seiendie wirklichen Weisheitslehrer auf der Welt. Und Weisheithat er definiert als Geduld, Geduld als etwas, was du im-mer und immer wieder tun musst, so lange eben, bis duweise bist. So sind Kinder: Sie handeln manchmal solange, bis sie das Gefühl haben, ihre Eltern auf dem Wegzur Weisheit zu begleiten.

Und auch davon handeln die Geschichten in diesemBuch: Sie geben keine konkreten Handlungsanleitungen– nach dem Motto: «Jedes Kind kann aufräumen!», oder«Jedes Kind kann richtig essen!» Wer dies erwartet, derwird bei der Lektüre enttäuscht sein! Die Geschichtenenthalten zunächst eine Perspektive des Kindes, versu-chen, ein Problem aus Kindersicht zu verstehen. DennVerständnis ist Grundvoraussetzung für pädagogisch an-gemessenes Handeln. Aber ein Standpunkt des reinenVerstehens, ohne die elterliche Erziehungsverantwortungzu berücksichtigen, mündet in Tyrannei. Deshalb darfVerstehen nicht mit Akzeptanz verwechselt werden. Sosehr ein Verständnis, das sich an den Entwicklungs- undAltersbesonderheiten des Kindes orientiert, vonnöten ist,so sehr ist ein eigener elterlicher Standpunkt unabding-bar: Man kann ein Kind in seiner egoistischen oder ego-zentrischen Haltung zwar verstehen, trotzdem muss mansein Handeln nicht akzeptieren, muss man Werte undNormen einfordern!

Von dieser Balance erzählen die Geschichten. Sie wol-len ermutigen, Kinder in der Vielfältigkeit ihres Handelnszu verstehen, eines Handelns, das häufig nicht gegen die

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Eltern gerichtet ist, vielmehr eines Handelns, mit dem sieauf sich aufmerksam machen wollen, das den Eltern zeigt,dass sie zu ihnen in Beziehung treten möchten. Aber Kin-der wollen Eltern auch ermutigen, ihrer Erziehungsver-antwortung gerecht zu werden, ihr nachzukommen. Er-ziehung hat nichts mit Machtausübung zu tun – weder inder populistischen Zeile «Kinder an die Macht!» nochin einer unreflektierten elterlichen Machtausübung, dienach dem Motto agiert: «Wir wollen doch mal sehen, werhier recht hat!» Erziehung ist Beziehung, und Eltern kön-nen nur erziehen, wenn sie in Beziehung zum Kind sind.Grenzen zu formulieren ist immer eine Zumutung – fürEltern wie für Kinder. Und diese Zumutungen sind nurauszuhalten, wenn es eine tragfähige Beziehung zwischenEltern und Kindern gibt. Wie die gelingen kann, auch da-von erzählen die Geschichten.