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DER LOGOS DES HERAKLIT

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Heraklits Gedanken und im Besonderen seine Ausdrucksweise erscheinen bei erster Betrachtung äußerst eigenwillig und uneindeutig. In gewisser Weiseabsurd klingt es, wenn er „dem einen Weisen” zuschreibt, dass dieser Zeus genannt werden wolle und wiederum nicht. Oder, dass derselbe „Krieg-Frieden” oder „Tag-Nacht” sei. Deutungsoffenes Glanzstück seiner Philosophie sind die sogenannten „Fluss-Fragmente”. Auch heute noch wird der Name Heraklit im Allgemeinen mit den Schlagworten „pantha rei - alles fließt” verknüpft. Ob Heraklit selbst sich gegendiese Reduktion seiner Lehre auf einen eher einseitigen Aphorismus gesträubt hätte, ist natürlich nicht mehr zu klären, dennoch legen seine anderenAufzeichnungen eine solche Reaktion sehr nahe. Betrachtet man eben diese Fragmente, so zeigt sich, dass der obige Aphorismus bereits eine Interpretationseiner Philosophie darstellt, die alles andere als klar fundiert aus seinen Schriften hervorgeht. Eine wirklich eindeutige Interpretation scheint kaum möglich, dennhierfür ist zu wenig überliefert. Dennoch können wir gewisse Eckpunkte seines Denkens festmachen, die uns Ausschnitte einer zugleich tiefgreifenden aber auchumfassenden Philosophie erkennen lassen.Heraklits Konzeption des Logos soll in dieser Arbeit nachvollzogen werden. Desweiteren wird - um hier Heraklits Intention zu folgen, dass Praxis an derTheorie orientiert werden soll - auch die Auswirkung eben dieser Konzeption auf die soziale Ordnung der Menschen betrachtet.

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Page 1: DER LOGOS DES HERAKLIT

LV-Nr. 541.086 , WS 09/10PS: Geschichte der Philosophie (Vorsokratiker)Leiter: Dr.phil. Stephan LandoltFachbereich für Philosophie an der KGW-FakultätUNIVERSITÄT SALZBURG

DER LOGOS DES HERAKLIT

Philipp DollwetzelMatrikelnr.:0820518

26.01.2009

Page 2: DER LOGOS DES HERAKLIT

Inhalt

1 Einleitung 3

2 Zur Person Heraklit 3

3 Der Logos 5

3.1 Heraklits Beispiele für das Wirken des Logos 8

3.2 Identität der Dinge im Fluss ihrer Bestimmungen 10

3.3 Die soziale Ordnung gemäß dem Logos 11

4 Fazit 13

5 Literaturverzeichnis 14

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1 Einleitung

Heraklits Gedanken und im Besonderen seine Ausdrucksweise erscheinen bei

erster Betrachtung äußerst eigenwillig und uneindeutig. In gewisser Weise

absurd klingt es, wenn er „dem einen Weisen” zuschreibt, dass dieser Zeus

genannt werden wolle und wiederum nicht.1 Oder, dass derselbe „Krieg-Frieden”

oder „Tag-Nacht” sei.2

Deutungsoffenes Glanzstück seiner Philosophie sind die sogenannten „Fluss-

Fragmente”. Auch heute noch wird der Name Heraklit im Allgemeinen mit den

Schlagworten „pantha rei - alles fließt” verknüpft. Ob Heraklit selbst sich gegen

diese Reduktion seiner Lehre auf einen eher einseitigen Aphorismus gesträubt

hätte, ist natürlich nicht mehr zu klären, dennoch legen seine anderen

Aufzeichnungen eine solche Reaktion sehr nahe. Betrachtet man eben diese

Fragmente, so zeigt sich, dass der obige Aphorismus bereits eine Interpretation

seiner Philosophie darstellt, die alles andere als klar fundiert aus seinen Schriften

hervorgeht. Eine wirklich eindeutige Interpretation scheint kaum möglich, denn

hierfür ist zu wenig überliefert.3 Dennoch können wir gewisse Eckpunkte seines

Denkens festmachen, die uns Ausschnitte einer zugleich tiefgreifenden aber auch

umfassenden Philosophie erkennen lassen.

Im folgenden soll Heraklits Konzeption des Logos nachvollzogen werden.

Desweiteren wird - um hier Heraklits Intention zu folgen, dass Praxis an der

Theorie orientiert werden soll - auch die Auswirkung eben dieser Konzeption auf

die soziale Ordnung der Menschen betrachtet.

2 Zur Person Heraklit

Selbst die chronologische Einordnung der Person Heraklit ist strittig.4 Es wird

davon ausgegangen, dass er nach Xenophanes und vor Parmenides wirkte.5 Er soll

laut Röd kurz nach dem Zusammenbruch des Lyderreiches (546 v. Chr.) in

Ephesus geboren worden sein und somit im persischen Ionien gelebt haben. Als

1 Vgl. B32 M44.- Zu der üblichen Nummerierung, wie man sie auch bei Röd findet, kommt eineweitere hinzu. Die Zahl nach M ist die Nummer, unter der man das entsprechende Fragmentbei Mansfeld, 1999 findet.

2 Vgl. B67 M45.3 Vgl. Röd, 1976, 83.4 Vgl. Röd, 1976, 83-84.5 Vgl. Röd, 1976, 83.

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die Griechen sich gegen die Perser zur Wehr setzten, soll er etwa vierzig Jahre alt

gewesen sein. Es folgten Aufstände gegen die Perser, die zur Zerstörung von

vielen wichtigen ionischen Städten führten (u.a Milet). Im Zuge des

Wiederaufbaus gewährten die Perser den Städten einige politische Freiheiten, so

durften die Stadtstaaten ihre Verfassung selbst wählen, d.h. sich für eine

aristokratische, timokratische oder demokratische Staatsform entscheiden.

Ephesus wurde zu einer Demokratie. Aristokraten wie Heraklit standen dieser

Veränderung ablehnend gegenüber.6

Heraklit gehörte zu einer adligen Familie in der das Königtum (Opferkönigtum)

erblich war. Er selbst verzichtete auf dieses Erbe zugunsten eines jüngeren

Bruders. Röd vermutet, dass die Familientradition, obwohl er ihr durchaus

kritisch gegenüber stand, Heraklit in seinem religiösen und politischen Denken

stark geprägt habe.7 Dies habe sich auch stark auf die Gewichtung der Teilaspekte

in seiner Philosophie ausgewirkt, so sei „der politische der wesentliche, der

kosmologische dagegen sekundär gewesen“.8

Heraklit hat keine eigene philosophische Schule gegründet, dennoch wurden

seine Ansichten von sogenannten Herakliteern, von denen namentlich nur

Cratylus durch einen Dialog von Platon bekannt ist, weiterentwickelt und

radikalisiert.9 Seine Philosophie soll er um 480 v. Chr. in einem Buch

veröffentlicht haben.10

„Sein Denken ist nicht mehr primär auf das Ziel der Naturbeherrschung

gerichtet, sondern auf ethisch-politische Ziele, für deren Verwirklichung

naturwissenschaftliche Erklärungen höchstens von untergeordneter Bedeutung

sind.“11 Damit bildet er in gewisser Weise einen Gegenpol zur bisherigen

ionischen Naturphilosophie nach Thales, die explizit nach einer Erklärung der

natürlichen Ordnung suchte.

6 Vgl. Röd, 1976, 84.7 Vgl. Röd, 1976, 85-86.8 Röd, 1976, 85.9 Vgl. Röd, 1976, 86.10 Vgl. Mansfeld, 1999, 231-232; vgl. Röd, 1976, 83.11 Röd, 1976, 86.

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3 Der Logos

„Quintessenz des heraklitischen Logos ist die Überzeugung, daß alles eins ist.

Diese Einheit wird näher expliziert als eine Einheit von Gegensätzen.”12 Alle

existierenden Dinge sind der Dynamik eines Widerstreits der Gegensätze

unterworfen. Dieser Streit geschieht geordnet und besitzt eine gewisse

Harmonie. Erkennt man diese Harmonie, so wird die Wirksamkeit des Logos

ersichtlich.13

Röd weist darauf hin, dass Heraklits Begriff des Logos nur vollständig erfasst

werden könne, wenn man „neben der normativen Komponente auch die

'metaphysische' Komponente der Einheit in der Gegensätzlichkeit, die religiöse

Komponente des Einen und weisen Göttlichen und die kosmologische

Komponente des Naturgrundes” berücksichtige.14

Der Logos ist ununterbrochen und überall wirksam, sowohl in der Natur als auch

im Menschen, auch wenn er dies als solches nicht erkennt.15 Das, was geschieht,

ist also nicht unbestimmt, sondern passiert in ewiger, gesetzesartiger

Wiederholung - dies ist die kosmologische Komponente.16 Entgegen der

milesischen Tradition verwirft Heraklit somit die Annahme eines Urzustands, aus

dem die Welt entstanden sein soll.17 Und damit ist er in der abendländischen

Philosophie der erste Vertreter einer Theorie von der Ewigkeit der Welt.18

Der Logos im religiösen Kontext steht aber auch für „das Eine Weise, das göttlich

ist und alles lenkt. Das Eine ist das allein Weise.”19 Wie und ob der Mensch am

göttlichen Gedanken teilhaben kann, dazu gibt es von Heraklit widersprüchliche

Überlieferungen.20 Heraklit äußert sich grundsätzlich negativ über seine

Artgenossen, so sagt er: „Gegenüber der hier gegebenen, unabänderlich gültigen

Auslegung [Logos] erweisen sich die Menschen als verständnislos, sowohl bevor

sie als auch wenn sie sie einmal gehört haben. Denn obwohl alles in

12 Mansfeld, 1999, 232-233; vgl. Röd, 1976, 90.13 Vgl. Röd, 1976, 90.14 Röd, 1976, 91.15 Vgl. Mansfeld, 1999, 234.16 Vgl. Röd, 1976, 92; vgl. Mansfeld, 1999, 233.17 Vgl. Mansfeld, 1999, 235.18 Vgl. Mansfeld, 1999, 236; vgl. Röd, 1976, 99.19 Röd, 1976, 92.20 Vgl. Röd, 1976, 92.

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Übereinstimmung mit der hier gegebenen Auslegung geschieht, gleichen sie

Unerfahrenen, sobald sie sich überhaupt an solchen Aussagen und Tatsachen

versuchen, wie ich sie darlege, indem ich jedes Einzelne seiner Natur gemäß

zerlege und erkläre, wie es sich damit verhält. Den anderen Menschen aber

entgeht, was sie im Wachen tun, genau wie das, was sie im Schlaf vergessen.”21

Die Menschen würden so leben „als ob sie über eine private Einsicht verfügen”22,

und von dem, „mit dem sie am meisten ununterbrochen verkehren - dem Logos,

der das All verwaltet -, (...) sondern sie sich ab, und was ihnen jeden Tag

begegnet, kommt ihnen fremd vor.”23 Aber dennoch besäße der Mensch die

Fähigkeit, „sich selbst zu erkennen und vernünftig zu sein.”24 Und vernünftig zu

sein, heißt sich dem Logos, wenn er einmal erkannt ist, zu unterwerfen. Dies sei

die einzige existierende Weisheit unter den Menschen.25 Vielwisserei und

Gelehrsamkeit seien aber keine hinreichende Voraussetzung dafür.26 Vielmehr

müsse man die Natur beobachten, um die verborgenen Prinzipien zu ergründen.

Dies funktioniere aber nur mit der richtigen, vernünftigen seelischen

Verfassung.27 Dabei stehe das Sehen über dem Hören.28

Heraklit beschreibt den Logos mehrmals als „Feuer”. Dies erinnert an die Urstoffe

bei Thales, Anaximander oder Anaximenes. Mansfeld vergleicht es mit der

„vitalen Wärme der Lebewesen”.29 Obwohl sich physikalische Modelle des

Gegensätzlichen auch bei Anaximander und Anaximenes finden, ist Heraklits

Feuer nicht streng stofflich.30 Das Feuer ist identisch mit dem Logos, mit Gott,

dem einen Weisen. Das Feuer ist vernünftig.31 Es steuert alles.32 Es ist ewig und

ihm bleibt nichts verborgen. Und auch hier findet sich die für Heraklit typische

widersprüchliche Ausdrucksweise. Das Weise sei „etwas von allem Getrenntes”33,

21 B1 (Hervorhebungen durch den Verfasser)22 B223 B72 Analog dazu: B17 M5, B34 M6.24 B116 M33; vgl. B113 M32.25 Vgl. B41 M42.26 Vgl. B35 M15; vgl. B40 M16; vgl. Mansfeld, 1999, 234.27 Vgl. B107 M37; vgl. Röd, 1976, 103.28 Vgl. B123 M27; vgl. B101a M36; vgl. Röd, 1976, 102.29 Mansfeld, 1999, 237.30 Vgl. Mansfeld, 1999, 240; vgl. Röd, 1976, 92.31 Vgl. B64 M6932 Vgl. B64 M7533 B108 M43

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aber zugleich sei „alles eins”34. Die Worte sind wohl so zu deuten, dass der Logos

zwar alles umfasst, aber selbst nicht Teil von allem ist, d.h. nicht seinem eigenen

Gesetz unterworfen ist. Alles, was der Logos umfasst, ist veränderlich und

gegensätzlich, er selbst ist unveränderlich und eins. Wie beschreibt Heraklit

diesen vom Logos gelenkten Prozess?

Er schreibt: „Wendungen des Feuers: an erster Stelle Meer, vom Meere aber die

eine Hälfte Erde, die andere Hälfte Gluthauch. (...) Meer ergießt sich nach zwei

Seiten und wird zugemessen nach demselben Verhältnis, das galt bevor Erde

entstand.”35

Der Kosmos ist einem doppelten Kreislauf unterworfen. Aus Feuer entsteht

Wasser. Das Wasser wird zur einen Hälfte Erde, die andere wird Gluthauch.

Dann wird dies wiederum zu Wasser, was schließlich wieder ins Gegenteil

umschlägt, Feuer.36 So ist wohl auch folgendes Fragment einzuordnen:

„Verbindungen: Ganzheiten und keine Ganzheiten, Zusammentretendes -

Sichabsonderndes, Zusammenklingendes - Auseinanderklingendes; somit aus

allem eins wie aus einem alles.”37 Aus dem einen, ganzen Feuer sondert sich eine

konkrete Menge anderer Elemente ab, die nach einer bestimmten Periode wieder

zum Feuer zusammentreten, in einem ewigen Kreislauf geprägt durch „schönste

Harmonie”.38

Denselben Prozess beschreibt auch dieses Fragment: „Die gegebene schöne

Ordnung [Kosmos] aller Dinge, dieselbe in allem, ist weder von einem der Götter

noch von einem der Menschen geschaffen worden, sondern sie war immer, ist

und wird sein: Feuer, ewig lebendig, nach Maßen entflammend und nach

[denselben] Maßen erlöschend.”39 Die Umwandlungen passieren in einem

bestimmten Verhältnis zueinander.40 So wird Kaltes warm, „Warmes kühlt sich

ab, Feuchtes trocknet, Trocknes wird feucht.”41 In diesem Zusammenhang spricht

34 B50 M4135 B31 M6436 Vgl.B90 M63; vgl. Mansfeld, 1999, 236.37 B10 M4638 B8 M47; B51 M4939 B30 M6240 Vgl. Röd, 1976, 100.41 B126 M65

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er auch von Tod: Für Wasser bedeute es beispielsweise Tod, dass Erde entstehe.42

So steht der Tod nicht für eine Vernichtung im strengen Sinne, sondern für

Veränderung, d.h. Umschlagen in einen anderen Zustand.43 Zu dem

beschriebenen Prozess gibt es verschiedene Interpretationen. Zum einen kann er

periodisch gedeutet werden, d.h. nach einer bestimmten Zeit (dem „großen

Jahr”) wird alles zu Feuer in einer Art Weltenbrand.44 Oder man sieht darin einen

ewigen, aktuellen Austauschprozess, in dem ständig ein Teil Feuer verwandelt

wird, während gleichzeitig ein äquivalenter Teil Wasser zu Feuer wird.45

Obwohl die Dinge verschieden sind und Gegensätzlichkeiten aufweisen, sind sie

doch alle dem Logos unterworfen bzw. aus dem Feuer entstanden und werden

wieder zu Feuer. Die Dinge befinden sich untereinander in einem harmonischen

Spannungsverhältnis. Hierin birgt sich ihre Einheit.46 Aufgrund dieser

Festlegungen kann Heraklit auch sinnvoll behaupten, dass Gott „Tag-Nacht,

Winter-Sommer, Krieg-Frieden, Sättigung-Hunger - alle Gegensätze” sei.47

3.1 Heraklits Beispiele für das Wirken des Logos

Heraklit führt eine nicht geringe Anzahl an Beispielen für die Existenz dieser

Polaritäten an. Ein interessantes Fragment lautet wie folgt: „Auf der Peripherie

des Kreises fallen Anfang und Ende zusammen.”48 Anfang und Ende stellen

gegensätzliche Positionen dar. Nimmt man nun eine bestimmte Stelle des Kreises

als Anfangspunkt, so ist dies zugleich auch der Endpunkt, zu dem man gelangt,

wenn man die Kreisbahn abgelaufen hat. Ein sehr anschauliches Beispiel für das

„Umschlagen” von gegensätzlichen Bestimmungen. Der Kreis erweist sich in dem

Zusammenhang auch als geeignetes Bild, da Kreis und Kugel in der Antike

allgemein als vollkommene Formen betrachtet wurden.

Ein weiteres Beispiel, das sich sehr gut zur Erläuterung der Einheit und

Beständigkeit des Logos bei immanenter Vielheit und Dynamik eignet, ist

42 Vgl. B36 M87.43 Vgl. B88 M67.44 Hinweise hierfür finden sich in den Fragmenten A13 M68 und B66 M74.45 Vgl. Röd, 1976, 98, 100-101.- Hinweise zu diesem Standpunkten finden sich in den Fragmenten

B84a M70, B65 M72, B30 M62, B90 M63 und B126 M65.46 Vgl. Röd, 1976, 93.47 Vgl. B67 M45.48 B103 M56

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folgendes Fragment: „Auch der Kykeon [gerührter Mischtrank] spaltet sich [in

seine Bestandteile], wenn er nicht umgerührt wird.”49 Hier kann man zwischen

Becher und Inhalt unterscheiden. Der Inhalt besteht aus Zutaten, die sich

gegenseitig abstoßen, wenn sie nicht verrührt werden. So steht dies für die

gegensätzlichen Dinge der Wirklichkeit, die in Bewegung sein müssen. Der Inhalt

befindet sich in einem Becher, der stets derselbe bleibt, egal wie oft man

umrührt. Hierin kann der konstante, ewige Logos gesehen werden, der seinem

Inhalt ein festes Gefüge gibt, in dem die Bahnen laufen.

Eine Schraube erhält ihre Funktion erst, wenn sie gleichzeitig „gerade” und

„krumm” ist.50 Das Meerwasser ist für Menschen „ungenießbar”, für gewisse

Fische „lebenswichtig”.51 Der Mensch, der aus Körper und Seele besteht, ist

sowohl „sterblich” als auch „unsterblich”.52 Sowie die Prädikate „gut” und „böse”.

Handlungen und Zustände, die wir als gegensätzlich empfinden, können sich

gegenseitig bedingen. So mache Krankheit die Gesundheit erst angenehm, der

Hunger die Sättigung oder die Ermüdung das Ruhen.53 Die Behandlung der Ärzte

sei „schneidend, brennend, in jeder vorstellbaren üblen Weise quälend”, aber

dennoch folge daraus Schmerzlinderung und Gesundheit.54

Die Bestimmungen der Dinge sind also entweder simultan entgegengesetzt

(Meerwasser, Schraube, Mensch,...) oder eine Bestimmung schlägt sukzessiv in

eine entgegengesetzte Bestimmung um (Arzt, Kreis, Hunger, Krankheit,

Ermüdung,...).55 Röd merkt hier sehr richtig an, dass es sich bei einigen Beispielen

nicht um echte Gegensätze, sondern um unterschiedliche Gesichtspunkte

handelt.56

49 B125 M7350 Vgl. B59 M57.51 Vgl. B61 M55.52 Vgl. B88 M67.- Heraklits Lehre von der Seelenwanderung kann hier nicht erläutert werden,

siehe hierzu Röd, 1976, 101-102.53 Vgl. B111 M52.54 Vgl. B58 M54.55 Vgl. Röd, 1976, 94; vgl. Mansfeld, 1999, 233.56 Vgl. Röd, 1976, 93.- Auch Heraklit scheint darauf Bezug zu nehmen, wenn er schreibt, dass

dem Gott „alles schön und gut und gerecht” sei und nur die Menschen „das eine als ungerecht,

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3.2 Identität der Dinge im Fluss ihrer Bestimmungen

Betrachtet man nun das Beispiel mit dem Mischgetränk, dann ist der Schritt zu

den „Fluss-Fragmenten” nicht groß. Egal, ob man den Wechsel der Dinge im

periodischen Sinne oder als ständigen, aktuellen Austauschprozess deutet, klar

ist, dass ein Wechsel stattfindet. So lautet eines der Fluss-Fragmente wie folgt:

„In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind und wir sind

nicht.”57

Hierin klingt bereits das Problem der Identität der Dinge an. Wir sprechen von

demselben Fluss, da wir innerhalb einer bestimmten Zeitspanne keine

Veränderungen an ihm erkennen, die wir für wesentlich halten. Dagegen ändert

sich der Fluss von der materiellen Konstellation her ständig.58 Wie können wir

also annehmen, dass ein Ding in der Zeit mit sich selbst identisch, d.h.

unverändert bleibt, wenn doch die materiellen Eigenschaften - und einzig nur

durch diese können wir ein Ding bestimmen und beschreiben - unaufhörlich

wechseln?59

Röd diskutiert dieses Problem, merkt aber an, dass Heraklit die Frage, wie ein

Gegenstand als Einheit in der Vielheit seiner Bestimmungen möglich sei, wohl

noch nicht gestellt habe.60 Extreme Herakliteer vertraten die Ansicht, dass es

aufgrund dieses unaufhörlichen, ständigen Flusses keine in der Zeit identischen

Dinge gäbe. Es liegt aber ein wesentlicher Unterschied darin, ob man sagt, es sei

für Menschen kaum ergründbar, ob etwas in der Zeit identisches existiert, oder,

ob man von vorne herein behauptet, dass es solches nicht gäbe. Laut Röd werde

letztere Ansicht Heraklit heute kaum mehr zugeschrieben, da sie nicht eindeutig

aus den Fragmenten hervorgehe und allgemein angenommen werde, dass Platon,

das andere als gerecht gesetzt” hätten. (Vgl. B102 M103)57 B49a M95.- Weitere Fluss-Fragmente lauten: „Denen, die in dieselben Flüsse hineinsteigen,

strömen immer neue Gewässer zu; so auch die Seelen; sie dünsten ja aus dem Feuchtenhervor.” (B12 M93) „Es ist unmöglich, zweimal in denselben Fluß hineinzusteigen, so Heraklit.[Der Fluß] zerstreut und bringt wieder zusammen [...] und geht heran und geht fort.” (B91M96)

58 Eine Verletzung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten liegt nicht vor, da hier zweiverschiedene Sichtweisen gegenübergestellt werden. (Vgl. Röd, 1976, 98)

59 „Wenn angenommen wird, daß die Bestimmungen eines Dings bzw. die es konstituierendenElemente wechseln können, und wenn der Grund der Identität des Dings nicht in etwas vonden Bestimmungen bzw. den Elementen Verschiedenem liegt, dann gibt es nichts denWechsel der Bestimmungen in der Zeit überdauerndes Identisches.” (Röd, 1976, 96)

60 Vgl. Röd, 1976, 94.

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Aristoteles und Plotin durch Einfluss einiger extremer Herakliteer dazu verleitet

worden wären, diese Sichtweise Heraklit selbst zuzuschreiben.61 Mansfeld legt

dagegen Heraklit klassisch aus.62

Das Problem der Identität eines Dings im Umschlagen seiner Bestimmungen ist

aber auch gegeben, wenn man die schwächere Version der Fluss-Theorie

annimmt, die Heraklit wohl im Mindesten vertreten hat. Demnach muss nur

mindestens eine Veränderung stattfinden und schon ist das besagte Problem

aufgeworfen. Hierzu gibt es zwei verschiedene Antworten, die selbst wieder

Schwierigkeiten bereiten. Entweder führt man die besagte Identität „auf das

denkende Subjekt zurück, das die wechselnden Bestimmungen zusammenfasst;

oder man bezieht die wechselnden Bestimmungen auf etwas, das in objektiver

Weise als Identisches in der Zeit beharrt.”63

Die zweite Position findet sich in dem selbst wieder sehr problematischen Begriff

der „Substanz” bei Aristoteles wieder. Einen Ansatz hierzu könnte man in

Heraklits Feuer sehen, dass alles umfasst und trotz aller Umwandlung in seiner

Menge konstant bleibt.64 Eine Antwort bleibt uns Heraklit schuldig. Röd fasst

hier treffend zusammen: „Der in allem Wandel identische Logos ist konstantes

Verhältnis der Komponenten der Wirklichkeit, unveränderliches Gesetz ihrer

Umwandlung ineinander und beharrliche Substanz (nämlich Feuer).”65

3.3 Die soziale Ordnung gemäß dem Logos

Die universale Ordnung ist also, wie oben erläutert, eine Einheit von

Gegensätzen, die miteinander im Widerstreit stehen. Dies ist überall und

ununterbrochen der Fall. Der Logos ist nicht für alle erkennbar, aber in seiner

Harmonie wirksamer als jede andere Harmonie der Welt.66 Einige Menschen

besitzen die Fähigkeit, den Logos oder Teile davon zu erkennen und ihr Leben

61 Vgl. Röd, 1976, 96.- Eine weitere radikale Interpretation, auf die hier nicht eingegangenwerden kann, wird bei Röd diskutiert, siehe Röd, 1976, 97-98.

62 Vgl. Mansfeld, 1999, 233.- Nach der extremen Auffassung gäbe es dann auch keineMöglichkeit, Dinge zu identifizieren und sinnvoll über diese zu sprechen. (Vgl. Röd, 1976, 96)

63 Röd, 1976, 95.64 Vgl. Röd, 1976, 98.65 Röd, 1976, 99.66 Vgl. B123 M27 und B54 M48.

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danach auszurichten.67 Diese Personen stehen über den Menschen, denen diese

Einsicht fehlt.68 Die wenigen Einsichtigen „haben die Aufgabe, der großen Menge

jene Prinzipien zu vermitteln bzw. sie für die Menge durch Konkretisierung und

Positivierung verbindlich zu machen.“69 Hierfür begründet sich also legitime

Herrschaft. Heraklits Ansicht nach war die Gesellschaft seiner Heimat Ephesus

entartet und dekadent. Er verglich die Menschen mit Vieh, das durch Habgier,

Engstirnigkeit und letztendlich durch die Hybris bestimmt sei.70 Die Führung

durch einsichtige Personen solle dieser Verrohung entgegenwirken.71

Die antithetische Konzeption des Logos dient aber nicht zur Rechtfertigung

bestimmter Gesetze oder sozialer Normen, sondern versucht den Streit von

Gegensätzen als oberstes Prinzip zu etablieren. Damit ist alles legitim, was aus

diesem Prinzip folgt.72 Der „Krieg”, der „Streit”, der „Zwiespalt”, der zwischen den

Dingen herrscht, ist das Allgemeine und deshalb rechtens. Und alles, was „in

Übereinstimmung mit Zwiespalt” ist somit auch rechtens.73 So versteht sich auch

diese Äußerung: „Krieg ist von allem der Vater, von allem der König, denn die

einen hat er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die

anderen zu Freien gemacht.“

Weiterhin postuliert Heraklit: „Gesetz ist es auch, dem Willen eines einzelnen zu

gehorchen.”74 Dahinter scheint wohl der der Gedanke zu stehen, dass der Logos

auch als „der eine Weise” charakterisiert wird, dem alles gehorcht. Und da die

menschlichen Gesetze Annäherungen an das göttliches Gesetz sein sollen75, ist es

Gesetz dem Willen einer einsichtigen Person zu gehorchen.76 Die soziale

Ordnung ist demnach analog zum Kosmos eine concordia discors, d.h. die

Gesellschaftsordnung schafft einen Ausgleich von Interessenskonflikten. In der

67 Vgl. auch B86 M30 bzw. B112 M109.68„Einer gilt mir Unzählige, so er der Ausgezeichnetste ist.” (B49 M113)69 Röd, 1976, 89.70 Vgl. Röd, 1976, 87.- „Übermut (Hybris) ist zu bekämpfen, denn er bedeutet ein Zuviel an

Feuerhaftem in der Seele und verstößt deshalb gegen den göttlichen Gesamthaushalt.”(Mansfeld, 1999, 239)

71 Vgl. B85 M98 und B43 M100.72 Vgl. Röd, 1976, 90.73 B80 M5174 B33 M11275 Vgl. B114 M110.- Der Mensch ist im Vergleich zu Gott ein primitiver Affe, so wie der Affe im

Vergleich zum Menschen primitiv wirkt. (Vgl. B79 M59, B83 M60, B82 M61)76 Vgl. B114 M110; vgl. Röd, 1976, 88-89.- Die allumfassende Ordnung der Welt ist weder vom

Menschen noch von Gott geschaffen. (Vgl. Röd, 1976, 89)

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Polis sind die gegensätzlichen Stände vereint und stehen sich in einem

Widerstreit gegenüber (coincidentia oppositorum).77 Die strenge Trennung von

Ständen ist hierfür essentielle Voraussetzung. Gemäß dieser Konzeption steht

zumindest die direkte Demokratie, wie es sie beispielsweise damals in Ephesus

gab, im Widerspruch zur göttlichen Ordnung des Universums. Heraklit forderte

dagegen wohl eine Herrschaft von Optimaten in einer Art „Geistesaristokratie“.78

4 Fazit

Heraklits Äußerungen polemisieren und wirken nach heutigem Verständnis an

etlichen Stellen stark verwerflich. Hinter seinem Logos steht ein Prinzip, dass

üblicherweise in der Naturrechtslehre angewendet wird. So entdeckt er, dass die

Dinge in der Welt in einem bestimmten Verhältnis zueinander agieren, eine

gewisse Systematik besitzen, die zuerst alles andere als normativ ist. Dieses

Prinzip, das er in den Dingen sieht, projiziert er dann auf eine höhere,

metaphysische Ebene. Von dieser Ebene herab versucht er dann wiederum

bestimmte Verhältnisse in der Welt zu erklären und zu legitimieren.79

Wenn man hiervon absieht, so entdeckt man in den wenigen Fragmenten viele

Gedankengänge der abendländischen Philosophie in ihrer Urform. Den

Einsichtigen, der in einer Art vernunftgeprägten Wesensschau Weisheit erlangt,

finden wir später bei Platon wieder. Die vernünftige Weltordnung, der man sich

unterwerfen muss, um gemäß der Natur zu leben, wird bei den Stoikern wieder

aufgegriffen. Obwohl Heraklits Gottesbegriff rational ist, scheint einiges davon

im Christentum aufgegangen zu sein, wo Feudalismus oder Absolutismus durch

Verweis auf die göttliche Ordnung gerechtfertigt wurde. Der Gedanke der

„ewigen Wiederkunft” bei Friedrich Nietzsche zeigt deutliche Analogien zu

Heraklits ewigen Logos. Zudem führt uns Heraklit unzweifelhaft zur Frage nach

der Substanz, zur Frage nach dem konstanten, letzten Element unserer

Wirklichkeit, die heute noch immer ungeklärt ist und die Wissenschaft zu immer

weiteren experimentellen Schritten herausfordert.

77 Die Ablehnung der Demokratie soll bei Heraklit zu einer starken Misanthropie geführt haben,durch die er schließlich Einsiedler geworden sei, so eine Anekdote. (Vgl. Röd, 1976, 86)

78 Vgl. Röd, 1976, 87-88.79 Vgl. Röd, 1976, 89.

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5 Literaturverzeichnis

Mansfeld, 1999

Mansfeld, Jaap (Hg./Übers.): Die Vorsokratiker I. Bibliogr. erg. Ausg.

Stuttgart 1999.

Röd, 1976

Röd, Wolfgang: Geschichte der Philosophie Band I. Die Philosophie

der Antike 1. Von Thales bis Demokrit. München 1976.

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