12
www.kirchensite.de/?myElement-90001. 1 H.U. von Balthasar, Theodramatik. Prolegomena, Einsiedeln 1973, 588. Eine ähnliche Feststellung bei M. Buber, Nachwort zu den 2 Schriften über das dialogische Prinzip, in: Das dialogische Prinzip. Heidelberg 1965, 309. 1 Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. In seiner Ansprache am Beginn des letzten Konklaves, also unmittelbar vor seiner Wahl zum Bischof von Rom, beantwortet Joseph Ratzinger die gegenwärtige »Diktatur des Relativismus« mit dem christlichen Glaubensbekenntnis: »Wir aber haben ein anderes Maß: den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus.« Er 1 entfaltet mit seinem theologischen Ansatz ein personales Menschenbild, welches Grundla- ge jedes christlichen Humanismus ist. Aber Joseph Ratzinger dürfte eher nur indirekt vom dialogischen Ansatz der Philosophie im letzten Jahrhundert geprägt worden sein, obwohl er sich von ihm gewiß in vielem als Antwort auf die Zeit anregen ließ: »Es ist nicht von ungefähr«, schreibt Hans Urs von Balthasar , »daß im Todesjahr Simmels, 1918, und im folgenden eines der seltsamsten 2 Phänomene ‘akausaler Kontemporalität’ in der Geistesgeschichte sich ereignete: der gleichzeitige Aufbruch des ‘dialogischen Prinzips’ auf getrenntesten Feldern.« Der Ansatz dialogischen Denkens ist als eine Antwort auf jene Entwicklung in der abendländischen Philosophie zu verstehen, die das Denken seit Descartes immer mehr von der Seinsfrage entfernte, so daß es sich in einem Subjektivismus verlor, darum bemüht, sich selbst zu er- und begründen, während das Sein allem Denken verschlossen zu sein schien; die Dinge galten nur noch als Erscheinungen, die in ihrem »An-sich« unerkennbar blieben. Der Historismus hingegen suchte die geschichtliche Bedingheit aller Vernunfterkenntnis auf- zuweisen. Am Ende dieser Entwicklung standen die Identitätsphilosophie des Idealismus und der Materialismus. Das relationale Prinzip Der Personalismus, wie er sich in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entfaltete, wurde angeregt von Martin Buber, Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner, Max Müller, Romano Guardini, Bernhard Welte u.a. Doch Joseph Ratzinger fand über seinen Lehrer Theodor Steinbüchel den Weg zur »Dialogischen Philosophie«. Schon früh entwik- kelte er seinen personalen Ansatz, und zwar besonders in seinem Werk »Einführung in das Christentum«, wo er für das Kirchenverständnis wie auch für die Trinitäts- und Eucharistie- lehre von grundlegender Bedeutung wurde. Menschsein heißt Bezogensein. Erst in der Begegnung mit den anderen gelangt der einzelne zu sich selbst. Ohne Gemeinschaft mit den anderen gibt es aber auch keine Beziehung zu

Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. · PDF file3 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32. 4

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Page 1: Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. · PDF file3 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32. 4

www.kirchensite.de/?myElement-90001.1

H.U. von Balthasar, Theodramatik. Prolegomena, Einsiedeln 1973, 588. Eine ähnliche Feststellung bei M. Buber, Nachwort zu den2

Schriften über das dialogische Prinzip, in: Das dialogische Prinzip. Heidelberg 1965, 309.

1

Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI.

In seiner Ansprache am Beginn des letzten Konklaves, also unmittelbar vor seiner Wahl

zum Bischof von Rom, beantwortet Joseph Ratzinger die gegenwärtige »Diktatur des

Relativismus« mit dem christlichen Glaubensbekenntnis: »Wir aber haben ein anderes Maß:

den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus.« Er1

entfaltet mit seinem theologischen Ansatz ein personales Menschenbild, welches Grundla-

ge jedes christlichen Humanismus ist.

Aber Joseph Ratzinger dürfte eher nur indirekt vom dialogischen Ansatz der Philosophie im

letzten Jahrhundert geprägt worden sein, obwohl er sich von ihm gewiß in vielem als

Antwort auf die Zeit anregen ließ: »Es ist nicht von ungefähr«, schreibt Hans Urs von

Balthasar , »daß im Todesjahr Simmels, 1918, und im folgenden eines der seltsamsten2

Phänomene ‘akausaler Kontemporalität’ in der Geistesgeschichte sich ereignete: der

gleichzeitige Aufbruch des ‘dialogischen Prinzips’ auf getrenntesten Feldern.« Der Ansatz

dialogischen Denkens ist als eine Antwort auf jene Entwicklung in der abendländischen

Philosophie zu verstehen, die das Denken seit Descartes immer mehr von der Seinsfrage

entfernte, so daß es sich in einem Subjektivismus verlor, darum bemüht, sich selbst zu er-

und begründen, während das Sein allem Denken verschlossen zu sein schien; die Dinge

galten nur noch als Erscheinungen, die in ihrem »An-sich« unerkennbar blieben. Der

Historismus hingegen suchte die geschichtliche Bedingheit aller Vernunfterkenntnis auf-

zuweisen. Am Ende dieser Entwicklung standen die Identitätsphilosophie des Idealismus

und der Materialismus.

Das relationale Prinzip

Der Personalismus, wie er sich in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts

entfaltete, wurde angeregt von Martin Buber, Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner, Max

Müller, Romano Guardini, Bernhard Welte u.a. Doch Joseph Ratzinger fand über seinen

Lehrer Theodor Steinbüchel den Weg zur »Dialogischen Philosophie«. Schon früh entwik-

kelte er seinen personalen Ansatz, und zwar besonders in seinem Werk »Einführung in das

Christentum«, wo er für das Kirchenverständnis wie auch für die Trinitäts- und Eucharistie-

lehre von grundlegender Bedeutung wurde.

Menschsein heißt Bezogensein. Erst in der Begegnung mit den anderen gelangt der einzelne

zu sich selbst. Ohne Gemeinschaft mit den anderen gibt es aber auch keine Beziehung zu

Page 2: Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. · PDF file3 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32. 4

J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32.3

J. Ratzinger, Pfingstpredigt, in: ders., Bilder der Hoffnung. Wanderungen im Kirchenjahr, Freiburg-Basel-Wien 1997, 76-86, hier4

79f.

J. Ratzinger, Dogma und Verkündigung. München 1973, 210.5

2

Gott, denn nur durch Ansprache von anderen findet der einzelne zum christlichen Glauben:

Gottes Wort wird in menschlichen Worten verkündigt. Durch Teilhabe an der Gottesbezie-

hung der anderen erhält der einzelne die tiefste Möglichkeit menschlicher Gemeinschaft:

»Auch die Gottesbeziehung ist zugleich und zuerst Menschenbeziehung; sie beruht auf

einer Kommunion der Menschen, ja, das Kommunizieren der Gottesbeziehung vermittelt

überhaupt die tiefste Möglichkeit menschlichen Kommunizierens, das über die Nützlichkeit

hinaus bis auf den Grund der Person reicht.« 3

Joseph Ratzinger wählt nicht bloß aus methodischen Gründen einen personalen Ansatz, ist

dieser doch aufs engste mit dem Wesen des christlichen Glaubens verbunden: »Die

christliche Alternative zum Nirwana ist die Trinität, jene letzte Einheit, in der das Gegen-

über von Ich und Du nicht zurückgenommen ist, sondern im Heiligen Geist sich inein-

anderfügt. In Gott gibt es Personen und gerade so ist er Verwirklichung letzter Einheit«;

von daher wird einsichtig, »was Kirche in ihrem tiefsten Wesen ist: die Überwindung der

Grenze von Ich und Du, die Vereinigung der Menschen untereinander durch die Selbstüber-

schreitung in ihren Grund hinein, in die ewige Liebe. Kirche ist das Einbezogenwerden der

Menschheit in die Lebensweise des trinitarischen Gottes.«4

Immer schon ist der Mensch gerufen in den Dialog mit der ewigen Wahrheit und Liebe:

»Der Personbegriff drückt von seinem Ursprung her also die Idee des Dialogs aus und

Gottes als des dialogischen Wesens. Er meint Gott als das Wesen, das im Worte lebt und

im Wort als Ich und Du und Wir besteht. Von dieser Erkenntnis Gottes her ist dem Men-

schen auf eine neue Weise sein eigenes Wesen deutlich geworden.« Durch die Offen-5

barung in Christus gelangt das Geschöpf in die größte Nähe und Intimität zu Gott.

Daß Theologie und Anthropologie, Trinitätslehre und Christologie aufs engste zusammen-

gehören, bestätigt ein Blick in die Glaubensgeschichte. Gerade Fragen der Trinitätstheolo-

gie waren es, die in der frühen Christenheit wesentlich dazu beitrugen, den Begriff der

»Person« auszuprägen, mit dem sich die Gotteslehre in Christologie und Anthropologie

weiter entfalten ließ. Dieser Ansatz wurde in unserer Zeit, besonders seit dem II. Va-

tikanum, endgültig bestimmend für theologisches Denken und Fragen. So stellt Joseph

Ratzinger in seinem Kommentar zu »Gaudium et Spes« (22) fest: »Man wird wohl sagen

dürfen, daß hier erstmals in einem lehramtlichen Text ein neuer Typus einer ganz christo-

zentrischen Theologie auftritt, die von Christus her Theologie als Anthropologie wagt und

dadurch gerade erst radikal theologisch wird, indem sie über Christus auch den Menschen

Page 3: Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. · PDF file3 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32. 4

J. Ratzinger, LThK E III 350.6

J. Ratzinger, Dogma und Verkündigung, 220.7

R. Berlinger, Augustins dialogische Metaphysik. Frankfurt 1962.8

Ebd., 12.9

J. Ratzinger, LThK E III 318f.10

3

in die Rede von Gott einbezieht, die tiefste Einheit der Theologie aufdeckend.« Christus ist6

der eigentliche Mensch, das Exemplum wahren Menschseins: »Wenn der Mensch um so

mehr bei sich selbst ist und um so mehr er selbst ist, je mehr er über sich hinauszugreifen

fähig ist, je mehr er beim anderen ist, dann ist der Mensch um so mehr er selbst, je mehr

er beim ganz Anderen, bei Gott ist.«7

Der personale Ansatz in der Theologie läßt sich, wie gesagt, bis in die Frühzeit der Kirche

verfolgen. Berlinger zeigte in einer Studie , daß sich spätestens mit Augustinus die Wende8

von einem kosmologischen Weltverständnis zu einer ontologischen Anthropologie vollzog,

fernab aber noch von einer Psychologisierung des Weltverständnisses: »Denn das Fun-

dament dieser Anthropologie ist keineswegs die Subjektivität des denkenden, fragenden,

verstehenden Subjektes, sondern die Personalität des Menschen. Ist jedoch die Personalität

des Menschen das Fundament dieser Anthropologie, so ist die Person trotz ihrer Zeitlich-

keit, ihrer Weltlichkeit, ihrer Geschichtlichkeit aufgrund der Reflexivität, der Freiheit und

der Dialogizität als Substanz zu begreifen. Damit wird die Person, weil sie die endliche und

zeitliche Mitte von Welt ist, ontologisch bedeutsam.« Bei Augustinus findet sich kein9

Subjektivismus im modernen Sinn. Der Mensch wird noch nicht cartesianisch als »res

cogitans« gedacht, vielmehr weiß er sich zuvor gedacht durch ein ihn aus der Transzen-

denz ergreifendes Du.

Der personale Ansatz, wie er sich seit Augustinus entfaltete, gründet in der Schöpfungs-

lehre. Über die theologische Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen heißt es bei

Joseph Ratzinger in seinem Kommentar zu »Gaudium et Spes« (12), daß das Konzil mit10

Augustinus die Gottebenbildlichkeit des Menschen ansehe als jene Befähigung, die ihn Gott

erkennen und lieben lasse. Bei dem Versuch, die moderne Philosophie der Person, etwa das

dialogische Prinzip von Ebner und Buber, einzubeziehen, heißt es bei der Verhältnisbestim-

mung des Menschen als Mann und Frau, daß die »Verwiesenheit des Menschen auf das Du

[...] für sein Wesen als Mensch konstitutiv ist«; doch korrigierend fügt Joseph Ratzinger

hinzu, man hätte besser bei der Gottebenbildlichkeit des Menschen angesetzt; denn

»Person« sei letztlich nicht vom mitmenschlichen Du her zu begründen, sondern nur von

Gott her.

Seinen personal-dialogischen Denkansatz führt Joseph Ratzinger besonders in der »Ein-

führung in das Christentum« durch. Er ersetzt den Ansatz eines statischen und verfestigten

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J. Ratzinger, Einführung in das Christentum. München 1968, 297.11

4

Wirklichkeitskonzeptes durch ein Verständnis des Seins als Sein-Für, als beziehungshaftes

Sein, als relationales Sein. Denn der letzte Grund allen Seins ist ja die Liebe. Deshalb

kommt die dialogische Ontologie erst voll zur Entfaltung in der Gotteslehre: Gott, das

höchste Sein und der Grund allen Seins, ist personaler Austausch, Dialog in Liebe. Ein

solches Seinsverständnis bestätigt sich wiederum in der Christologie, denn der Men-

schensohn ist der »Sohn«, der vom Vater ausgegangen ist und sein ganzes Dasein in

unmittelbarer Relation zum Vater lebt.

Der exemplarische Mensch

Damit zeigt sich, daß der Denkansatz eines dialogischen Menschenbildes christologisch

begründet ist. Schöpfung und Mensch werden von Christus aus gesehen. Erst die Humani-

tät des zweiten Adam, der durch das Kreuz gegangen ist, bringt die wahre Humanität ans

Licht: »Der Grunddialog, der den Menschen allererst als Menschen konstituiert, geht

bruchlos über in den Gnadendialog, der Jesus Christus heißt.« 11

Joseph Ratzinger sieht »Natur« von der Gnade her, aber er übersieht sie nicht: Unter dem

Gesetz der Gnade realisiert sich die Natur als sie selbst. Natur und Gnade kann man nicht

gegeneinander ausspielen, weil sie in Christus, der »analogia caritatis« in Person, mitein-

ander verbunden sind. Nicht anders verhält es sich beim Menschen, der in den Lebens-

bereich Christi einbezogen ist. Er wird nicht erst in zwischenmenschlicher Kommunikation

und Partnerschaft zu einer Person, sondern ist es immer schon von Gott her: Die Gottes-

ebenbildlichkeit macht seine Gottfähigkeit, aber eben auch seine Personfähigkeit aus. Vor

Gott ist er eine unendlich geliebte Person. So gründet im Personbegriff das Menschenbild

des Christentums, und es wird wohl kaum jemals möglich sein, den Personbegriff durch

einen anderen zu ersetzen.

Man könnte sagen, daß Joseph Ratzinger eigentlich nicht so sehr einen »dialogischen«,

sondern einen »relationalen« Ansatz vertritt. Als Grundgesetz seiner relationalen Ontologie

gilt: Wie in Gott die Personen als Relationen zu verstehen sind, so verhält es sich auch

beim Menschen: Als Bild und Gleichnis Gottes lebt er in den Relationen von Ich, Du und

Wir. Es gibt - bei aller notwendigen Differenz - eine »analogia caritatis«, die es erlaubt, al-

les Sein in Gott, aber auch in der Schöpfung als Liebe und somit als Relation zu denken.

Aus diesen Überlegungen klärt sich eine andere Auseinandersetzung Ratzingers, nämlich

die mit Karl Rahner, für den Christsein authentische Annahme des eigenen Selbst bedeutet:

»Wer sein Dasein annimmt, der sagt zu Christus ja«. Das hat zur Konsequenz, wie Joseph

Ratzinger bemerkt, daß »Rahners Verschmelzung von Geschichte und Wesen im Begriff

des ‘absoluten Heilbringers’ zu einer Spiritualität der Selbstannahme und der Identifikation

Page 5: Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. · PDF file3 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32. 4

J. Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, München 1982, 176.12

Ebd., 55.13

J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, 190.14

5

von Menschen überhaupt mit Christsein« führt und das Besondere ins Allgemeine aufge-12

löst wird. Die unüberbietbare und einzigartige Neuheit des Christusereignisses wird erst ge-

wahrt, wenn gilt: Das Besondere ist das Allgemeine.

Joseph Ratzinger wurde selbst der Vorwurf gemacht, daß er das Sein Jesu mit dem Sein

der Christen identifiziere. Aber die von ihm gesetzte Identifikation sieht anders aus: »Der

Mensch kann sich nicht mit Gott identifizieren, aber Gott hat sich mit dem Menschen

identifiziert.« Keiner kann das Besondere im Gottesverhältnis Jesu nachahmen, aber jeder13

ist in das Gottesverhältnis Jesu hineingenommen. Christus ist keine ontologische Ausnah-

me, wohl aber der ontologische Grund allen Menschseins. Was für Christus gilt, darf als

anthropologische Aussage generalisierbar werden. Denn die verwirklichte Einheit mit Gott

in Christus ist die höchste Vollendung allen Menschseins. In der Christologie liegt das wah-

re Modell jeder menschlichen Existenz, doch »als der exemplarische, als der maßgebende

Mensch überschreitet er die Grenze des Menschseins; nur so und nur dadurch ist er der

wahrhaft exemplarische Mensch« . Christus, der »exemplarische Mensch«, gilt in der14

Konkretheit seiner Person als Exemplar für all das, was Menschsein ist.

Joseph Ratzinger geht es hier um keinen philosophischen Ansatz, wie ihn Max Scheler

durchführt, sondern um das biblische Theologumenon vom »eschatos Adam«. In Christus,

dem auferstandenen und am Ende der Zeiten wiederkehrenden Herrn, gründet die Einheit

von Hominisation und Christologie. Während wir mit dem ersten Adam leiblich verbunden

sind, hat sich Christus, der letzte Adam, durch die Taufe mit uns auf pneumatische Weise

vereint.

In Christus, dem menschgewordenen und erhöhten Gottessohn, zeigt sich, wie der Mensch

eigentlich gemeint ist. Insofern ist er nicht die »Ausnahme« menschlichen Daseins, in ihm

wird vielmehr deutlich, woraufhin das ganze Menschsein ausgerichtet ist, denn »indem

Christus Mensch wurde, geschah etwas mit dem Menschsein überhaupt, mit der mensch-

lichen Natur als solcher. Das Menschsein ist ja nach ihnen [= den Vätern] in allen Men-

schen ein einziges [...] Was also an einer Stelle der menschlichen Natur widerfährt, wirkt

sich irgendwie auf die ganze Natur aus, kann nicht gleichgültig bleiben für die anderen

Inhaber dieser Natur. [...] Wenn nun Gott Mensch wurde, einen Menschen an sich zog in

die Einheit mit Gott hinein, dann hat er damit das Menschsein aller Menschen angerührt,

dann ist dieser ganze Organismus in Bewegung geraten auf Gott hin. Das Menschsein Jesu

Christi ist gleichsam die göttliche Angelrute, die das eine Menschsein aller Menschen

getroffen hat und es nun zieht, so daß dies ganze Menschsein aller Menschen hineinge-

führt wird in die Einheit des Leibes Christi, des Gottmenschen, heraus aus der tödlichen

Page 6: Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. · PDF file3 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32. 4

J. Ratzinger, Die Einheit der Nationen. Eine Vision der Kirchenväter, Salzburg/München 1971, 32f.15

J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, 144.16

J. Ratzinger, Dogma und Verkündigung, 222.17

W. Kasper, Theorie und Praxis innerhalb einer theologia crucis. Antwort auf J. Ratzingers »Glaube, Geschichte und Philosophie«,18

in: Hochland 62 (1970) 152-159.

Ebd., 152.19

Ebd., 156.20

6

Zerrissenheit jener Absonderung, die ‘Sünde’ heißt.«15

In solchen Ausführungen zeigt sich, welche Schlüsselstellung das relationale Prinzip im

Denken Ratzingers einnimmt. Es handelt sich wirklich um eine »Revolution des Weltbildes:

Die Alleinherrschaft des Substanzdenkens wird gebrochen, Relation als gleichrangige

Urweise des Wirklichen entdeckt« .16

Gewiß läßt sich sagen, daß das dialogische Prinzip das Denken Ratzingers beeinflußt hat;

er dachte, was zu seiner Zeit im Aufbruch war. Aber Grundgedanken dialogischen Denkens

fehlen bei ihm. So läßt sich zusammenfassend sagen, daß der theologische Ansatz

Ratzingers eher einer relationalen Ontologie entspricht, wie sie in der biblischen Botschaft

von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, in der Theologie Augustins und in den

Konzilsaussagen des II. Vatikanum vorliegt.

Vor allem die Trinitätstheologie führt Joseph Ratzinger zu einem relationalen Grundver-

ständnis des Glaubens. Begriffe wie »relatio« und »communio« sind trinitarische, christolo-

gische und ekklesiologische, also theologische Grundkategorien. Deshalb formuliert er die

Grenze eines dialogischen Ansatzes wie folgt: »Es gibt im Christlichen nicht einfach ein

dialogisches Prinzip im Sinn der reinen Ich-Du-Beziehung, und zwar weder vom Menschen

her, der in der geschichtlichen Kontinuität des Gottesvolkes, in dem umfassenden ge-

schichtlichen Wir, das ihn trägt, seinen Standort hat; noch gibt es dieses reine dialogische

Prinzip von Gott her, der seinerseits kein einfaches Ich, sondern wiederum das Wir von

Vater, Sohn und Geist ist.«17

Der personale bzw. relationale Ansatz Ratzingers löste von Anfang an Diskussionen aus.

Im Jahr 1970 reagiert Walter Kasper sehr heftig auf die »Einführung in das Christentum18

(1968); er wirft Joseph Ratzinger vor, daß er in seinem Buch »die Vorordnung des Glau-

bens vor der Liebe (vgl. DS 1578) nicht mehr gewahrt« habe, ja, man müsse sogar von ei-

nem latenten »Idealismus und von der Gefahr eines Säkularismus sprechen« ; bei einem19

solchen Denkansatz werde schließlich »Gott zum Korrelat des Menschen« gemacht . Da20

Joseph Ratzinger nun selbst zugibt, vom Denken Max Schelers beeinflußt worden zu sein,

wurde der Vorwurf laut, seine Theologie tendiere »ohne eine historisch begründete Dar-

stellung Jesu dahin, das Reden von Jesus mit dem Reden vom Menschen im allgemeinen

Page 7: Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. · PDF file3 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32. 4

R.A. Krieg, Kardinal Ratzinger, Max Scheler und eine Grundfrage der Christologie, in: ThQ 160 (1980) 106-122.21

J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, 171.22

R.A. Krieg, Kardinal Ratzinger, 112.23

7

zu vermengen« ; Jesus bleibe nur ein Beispiel, das den anderen zur Nachahmung gegeben21

sei, so daß er lediglich ein »Sohn« unter vielen wäre. Der anthropologische Ansatz Ratzin-

gers, so lautet der Vorwurf, stelle die Christologie in den Schatten, da er sich mehr auf die

Tugenden konzentriere, die alle Menschen mit Jesus teilen, als auf seine Besonderheit.

Kurzum, Jesus bleibe nur »der exemplarische Mensch [...], in dem die wahre Gestalt des

Menschen, die Idee Gottes mit ihm vollends ans Licht tritt« . Es heißt sogar: »Seine22

Betrachtung über den Sinn der Inkarnation ist daher keine Darstellung Jesu. Sie ist eine

Schilderung des christlichen Lebens im allgemeinen.« 23

Auf diese und ähnliche Einwände kann hier nicht weiter eingegangen werden; eine kon-

krete Arbeit am Text wäre vonnöten. Doch die bisherigen Ausführungen können eine

vorläufige Antwort sein, machen sie doch schon deutlich, daß solche Vorwürfe an dem

christologischen Anliegen Ratzingers vorbeigehen. Ihm zufolge ist der Glaube ein Sich-Stüt-

zen auf Jesus, den Gottessohn. Glaube bedeutet »Aufbrechen der Tür meiner Subjektivi-

tät« in die »communio« bzw. Kommunion zwischen Gott und den Menschen und der

Menschen untereinander, die ihren letzten Grund in Christus hat, der selbst die Kommunion

von Gottsein und Menschsein ist. Im folgenden soll es um die weitere Entfaltung dieses

relationalen Ansatzes gehen, die Joseph Ratzinger im Vergleich zu anderen Religionen

durchführt.

Hörig dem Anruf

Das Neue des christlichen Glaubensverständnisses hebt Joseph Ratzinger mit einem Blick

auf die Religionsgeschichte hervor. Diese führte in einem ersten großen Übergang von den

Erfahrungen der Primitiven zum Mythos, während sich der Ausbruch aus dem Mythos auf

dreierlei Weise vollzog, zunächst in der Form der Mystik, sodann in der monotheistischen

Revolution (Israel), durch die an die Stelle des Mythos, einem Gebilde rein menschlicher

Eigenmacht, die Präferenz des göttlichen Anrufs (Propheten) trat; und schließlich nach Art

einer »Aufklärung«, die den Mythos als vorwissenschaftliche Erkenntnisform überwand

und neue Wege streng rationaler Erkenntnis eröffnete: »Der dritte Weg ist erst in der

Neuzeit, ja eigentlich erst in der Gegenwart zu seiner vollen Kraft gekommen und scheint

noch immer seine eigentliche Zukunft erst vor sich zu haben. Sein Besonderes ist, daß er

nicht einen Weg im Innern der Religionsgeschichte darstellt, sondern vielmehr deren

Beendigung will und aus ihr als aus einer überholten Sache herausführen möchte [..., und]

man wird sagen müssen, daß es für die Zukunft der Religion und ihre Chancen in der

Menschheit von entscheidender Bedeutung sein wird, wie sie ihr Verhältnis zu diesem

Page 8: Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. · PDF file3 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32. 4

J. Ratzinger, Glaube - Wahrheit - Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg-Basel-Wien 2003, 24f.24

Ebd., 36f.25

J. Ratzinger, Glaube - Wahrheit - Toleranz, 73.- Vgl. auch R. Guardini, Religion und Offenbarung I. Würzburg 1958, 227f.26

8

‘dritten Weg’ einzurichten vermag. Es ist bekannt, daß es in der Zeit der alten Kirche dem

Christentum [...] gelungen war, sich verhältnismäßig eng mit den Kräften der Aufklärung

zu verbinden.«24

Während sich die mystische Erfahrung in überzeitlichen Symbolen ausdrückte, ist der

göttliche Anruf datierbar in einem Hier und Jetzt; so wird alles im Rahmen der Geschichte

gedacht und gedeutet. Der Mensch sieht sich nicht mehr in einen Kreislauf des immer

Gleichen gestellt, sondern in eine Geschichte, die für Neues offen ist, da Gott selbst in ihr

handelt. Um ihn weiß der Mensch nicht nach Art einer mystischen Erfahrung, er erfährt ihn

konkret als einen, der unmittelbar in die Geschichte eingreift und in ihr handelt, selbst

jedoch im »Dunkel« bleibt: »Wenn aber das Entscheidende nicht die eigene geistliche

Erfahrung, sondern der göttliche Anruf ist, dann sind letzten Endes alle in der gleichen

Lage, die diesem Anruf glauben: Ein jeder ist in gleicher Weise gerufen. Während in den

mystischen Religionen der Mystiker ‘erster Hand’ und der Gläubige ‘zweiter Hand’ ist, ist

hier ‘erster Hand’ überhaupt nur Gott selbst. Die Menschen sind samt und sonders zweiter

Hand: Hörige des göttlichen Rufs.«25

Mit diesen Ausführungen kommt Joseph Ratzinger zu seiner zusammenfassenden These:

Der christliche Glaube ist nicht das Produkt einer (mystischen) inneren Erfahrung, sondern

bezieht sich auf ein Ereignis, das von außen auf den Menschen zu tritt: »Trinität ist nicht

Gegenstand unserer Erfahrung, sondern etwas, was von außen gesagt werden muß, als

‘Offenbarung’ von außen her an mich herantritt. Das gleiche gilt von der Menschwerdung

des Wortes, die eben ein Ereignis ist und nicht in innerer Erfahrung gefunden werden kann.

Dieses Zukommen von außen ist für den Menschen skandalös, der nach Autarkie und

Autonomie strebt.«26

Das Mysterium des Glaubens ist nach Joseph Ratzinger nichts Irrationales, nichts Absur-

des oder bestenfalls Widerspruchsfreies, das jedes Bemühen um Einsicht scheitern läßt; es

ist auch nicht etwas, das sich der Durchdringung entzöge, wie eine senkrechte, glatte

Mauer, an die man nur stoßen kann, ohne sie je übersteigen zu können. Ebensowenig

handelt es sich im Christentum um eine Wahrheit, die dem menschlichen Verstand versagt

bliebe, die er aber, wenn er weiter heranreift, allmählich einzukreisen oder sich anzueignen

hoffen darf, wie es Leibniz und mehr noch Lessing oder Herder darlegen wollten.

Page 9: Der personale Ansatz in der Theologie von Papst Benedikt XVI. · PDF file3 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg-Basel-Wien 1989, 32. 4

Athanasius, Brief an Serapion (PG 26,576A).27

Basilius, De Spiritu Sancto XIX, 49 (PG 32,157B).28

Maximus Confessor, Amb. (PG 91,1148C).29

In der byzantinischen Liturgie wird der Schutzengel als Wächter und Behüter von Seele und Leib bezeichnet, denn in ihrer gegensei-30

tigen Transparenz erweist er sich als Wächter der Schönheit.

9

5. Der pneumatische Christus

Die größte und schönste Gabe des Heiligen Geistes ist die volle Erkenntnis Jesu Christi.

»Vom Geist betaut, trinken wir Christus«, sagt der heilige Athanasius . Der Geist läßt uns27

den tiefen Sinn der Offenbarung des Menschensohnes begreifen, indem er durch sein heili-

gendes Wirken, die Voraussetzung für jedes Werk, alles zu einer Christophanie, zur Er-

scheinung Christi, werden läßt. Schon am Anfang der Zeiten »brütete« der Geist über dem

Abgrund, um daraus die Erde erstehen zu lassen, den Ort der Inkarnation. Das ganze Alte

Testament ist eine Vor-Pentekoste, es weist auf den verheißenen Messias hin. Der Geist

steigt auf Maria herab, bildet aus ihr die Theotokos und offenbart Jesus als den Christus,

den Gesalbten. Aus den Feuerzungen des Heiligen Geistes wird die Kirche geboren, der

Leib Christi, und durch das Geschenk des Heiligen Geistes wird der Getaufte zu einem

Glied Christi. Alles wird im Heiligen Geist vollendet: »Der Ankunft Christi geht der Heilige

Geist voraus. Bei der Menschwerdung ist er da. Die Wundertaten Christi, seine Gnaden

und Krankenheilungen geschehen durch den Heiligen Geist. Die bösen Geister werden

durch den Geist Gottes ausgetrieben. Wenn der Teufel angekettet wird, ist der Heilige

Geist zugegen. Die Vergebung der Sünden geschieht durch die Gnade des Heiligen Geistes.

Die Vereinigung mit Gott wird durch den Heiligen Geist bewirkt. Die Auferstehung von den

Toten geschieht durch die Kraft des Heiligen Geistes.«28

Der Heilige Geist, der göttliche Ikonograph, erneuert das Angesicht der Erde, indem er allen

Dingen einwohnt. »Das unsagbare und wunderbare Feuer, das im Wesen der Dinge wie in

einem Dornbusch verborgen ist«, sagt Maximus Confessor, »ist das Feuer der göttlichen

Liebe und der strahlende Glanz seiner Schönheit im Innern aller Dinge« . Der Heilige Geist29

baut die Schöpfung zu einem »Tempel« auf, der von der Schönheit Gottes Zeugnis

ablegt. Alle Werke Gottes enden in der Präsenz des Heiligen Geistes, in ihm kommt das30

Werk des dreieinen Gottes zum Ziel. Aber wie ist die Person des Heiligen Geistes auf dem

Hintergrund der Christologie, wie sie Joseph Ratzinger entfaltet, genauer zu verstehen?

Ratzingers Ausführungen über den Heiligen Geist beginnen mit der Frage nach der Unter-

schiedenheit von Sohn und Geist. Eine Antwort wird in Anlehnung an Augustinus und sein

Werk »De Trinitate« gegeben: »Wieso ist der Geist, der doch auch ‘Gott von Gott’ ist, nun

nicht auch ‘Sohn’? Was ist hier anders? Augustins Antwort: ‘Er kommt von Gott nicht als

Geborener, sondern als Geschenkter (non quomodo natus, sed quomodo datus). Deshalb

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J. Ratzinger, Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio. Festgabe zum 75. Geburtstag, Augsburg 2002, 43.31

Ebd., 36.32

Ebd., 37.33

10

heißt er nicht Sohn, weil er weder ‘geboren’ ist wie der Eingeborene, noch ‘gemacht’ [...]

wie wir (neque natus [...] neque factus).’ Drei Weisen des Herkommens von Gott werden

also unterschieden: geboren - geschenkt - gemacht (natus - datus - factus). Wenn man das

Wesen des Sohnes, sein besonderes Stehen zum Vater, am ehesten mit dem Begriff

‘zeugen’ beschreiben kann, so das des Geistes mit ‘schenken’. Die Bewegung des Schen-

kens ist die spezifisch heilig-geistliche Bewegung. Obwohl dieses ‘Geschenkt’ - datus -

keine Zwischenstufe zwischen Geboren und Geschaffen (natus und factus) sein will,

keineswegs die Grenze zwischen Kreatur und Gott verwischt, sondern im Innergöttlichen

verbleibt, stellt es doch eine Öffnung auf die Geschichte, auf den Menschen hin dar.« 31

Der Heilige Geist ist Gottes Geschenk, Gott als der sich Verschenkende und Mitteilende. In

dieser Wesensweise des Heiligen Geistes, »donum« und »datum« zu sein, liegt der innere

Grund für Schöpfung und Heilsgeschichte. Damit ist klar, daß alle Aussagen über die

Trinität letztlich (heils-)ökonomisch sind.

Danach formuliert Joseph Ratzinger eine Aporie, die sich aus dem Gesagten ergibt:

»Während in den Namen ‘Vater’ und ‘Sohn’ wirklich das je Eigene der ersten und zweiten

trinitarischen Person zum Vorschein tritt, das Geben und Empfangen, Sein als Gabe und

Sein als Empfangen, als Wort und Antwort, aber so völlig eins, daß nicht Unterordnung,

sondern Einheit darin entsteht, leistet die Bezeichnung ‘Heiliger Geist’ diese Präsentation

des Besonderen der dritten Person gerade nicht. Im Gegenteil: So könnte jede der beiden

anderen trinitarischen Personen auch heißen, so könnte vor allem Gott selbst und als

solcher heißen, wie denn auch in Joh 4,24 steht: Gott ist Geist. Geistsein und Heiligsein

ist die Wesensbeschreibung Gottes selbst, das, was ihn als Gott kennzeichnet.«32

Das Wesen des Heiligen Geistes ist »communio«, also Einheit von Vater und Sohn zu sein:

»Ich glaube, daß in dieser Analyse sich etwas sehr Wichtiges zuträgt: Die Vermittlung von

Vater und Sohn zu völliger Einheit wird nicht in einer allgemeinen ontischen consub-

stantialitas gesehen, sondern als communio, also sozusagen nicht von einem allgemein

metaphysischen Wesensstoff her, sondern von den Personen her - sie ist gemäß dem

Wesen Gottes selbst personal. Die Dyas kehrt in der Trinitas in die Einheit zurück, ohne

den Dialog aufzulösen; er wird so gerade bestätigt.« Der Heilige Geist ist also die -33

personale - Einheit in der Trinität.

Augustinus läßt die antike Geist-Metaphysik hinter sich, »eben weil er Geist nicht

allgemein-metaphysisch, sondern von der Dynamik Vater-Sohn her erklären muß. Damit

wird communio zum Konstitutiv des Geistbegriffs und so nun eben doch inhaltlich aufge-

füllt und von Grund auf personalisiert: Nur wer weiß, was ‘Heiliger Geist’ ist, weiß, was

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Ebd., 38.34

Ebd., 44.35

J. Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, 174.36

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Geist überhaupt bedeutet. Und nur wer anfängt, zu wissen, was Gott ist, kann wissen,

was Heiliger Geist ist; aber auch nur wer anfängt, zu ahnen, was Heiliger Geist ist, kann

anfangen, zu wissen, wer Gott ist.«34

Es gehört zum Sepzifikum der Pneumatologie Ratzingers, daß sie Heilsgeschichte ganz auf

Theo-Logie zurückbezogen sieht: »Die Gabe Gottes ist Gott selbst. Er ist der Inhalt des

christlichen Gebets. Er ist die allein gottgemäße Gabe: Gott schenkt als Gott nichts

anderes als Gott, sich selbst und darin alles. Rechtes christliches Gebet fleht daher wieder-

um nicht um irgend etwas, sondern um die Gabe Gottes, die Gott ist, um Ihn. Bei Augu-

stinus kommt dieser Zusammenhang schön zum Ausdruck, indem er an dieser Stelle mit

großer Selbstverständlichkeit die Vater-unser-Bitte ‘Unser tägliches Brot gib uns heute’ auf

den Heiligen Geist auslegt: Er ist ‘unser Brot’ - unser als das Nicht-unsrige, als das ganz

und gar Geschenkte. ‘Unser’ Geist ist nicht unser Geist.« Gott als Geschenk ist wirklich35

Gott. Der Heilige Geist ist die Einheit, die Gott sich selber schenkt, indem Vater und Sohn

sich einander schenken. Die praktische Konsequenz ist eine geistliche, denn »spirituell« ist

nur der Mensch, welcher Einheit schenkt und kommunizierend ist. Wo der Heilige Geist

wirkt, ist Vereinigung, nicht aber Häresie und Schisma. Wo der Heilige Geist wirkt, ent-

steht fortwährend Kirche als »communio«.

Das Leben unter der Führung des Heiligen Geistes ist der Ernstfall aller Theologie. Das

Leben im Glauben ist der Theologie vorgeordnet, die Erfahrung der Erkenntnis. So kann die

Praxis auf diese Weise zu einem Wahrheits- und Bewährungskriterium für die Richtigkeit

der Theologie werden: »Das eigentliche Problem scheint mir in der spirituellen Formel zu

liegen, denn erst in der spirituellen Formel, die aus dem begrifflichen Konzept folgt, liegt

der Ernstfall theologischer Spekulation« ; wir dürfen hinzufügen: auch der Ernstfall36

kirchlichen Lebens.

Als Ergebnis des zweiten Teils unserer Überlegungen läßt sich festhalten: Joseph Ratzinger

stellt seine »Spirituelle Christologie« zunächst unter die Forderung der Vernünftigkeit. Die

ethische Vision des Christentums sollte aus dem Innern des Glaubens, nicht aber bloß als

Katalog von Pflichten und Verboten entfaltet werden. Es gibt nämlich im Christentum einen

Primat des Logos vor dem Ethos. Gott ist ein Freund der Wahrheit und der Vernunft. Alles

im christlichen Glauben und Leben ist unter dieses Prinzip zu stellen, denn alles folgt aus

dem Sein: Wer in Christus eine Neuschöpfung geworden ist, hat nicht nur freien Zugang

zu Gott, sondern kann selbst ein »geistliches«, d.h. »göttliches Leben« führen. Denn der

menschgewordene Gottessohn eröffnet dem Menschen mehr als eine neue Verhaltens-

weise, er schenkt ihm eine neue Begegnung mit dem Sein Gottes. Die Lehre Christi ist er

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selbst, aber in ganzer Hinordnung auf den Vater. So tritt neben das Prinzip des Logos, der

Vernunft bzw. Vernünftigkeit, ein zweites, nämlich das der Relation. Wollen und Denken

Jesu stehen in Einheit (koinonia) mit dem Vater, wie sich besonders im Beten des Sohnes

zeigt. Wer in die »communio« mit ihm tritt, findet zu einer neuen »communio« mit den

anderen, zu denen er sich gesendet weiß. Sie hat ihren Grund in der Gemeinschaft aller

Glaubenden in der Kirche, die der Leib Christi ist.