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MAINZ 4|13 103 MAINZ 4|13 WEINGUT NEUS STADTGESCHICHTE 102 V ON M ICHAEL B ONEWITZ | Schummrig schimmert das Licht durch den gewölbten Keller. Eine dicke Staubschicht hat sich auf einen größeren Flaschenstapel gelegt. An Decken und Wänden klebt der berühmte Kellerpilz, ein natürlicher Indikator für ein stabiles Raumklima. Endlos lang erscheint einem das labyrinth-artige Weingewölbe, das sich unter der Bahnhofstraße 96 erstreckt und einmal im Karree das Grundstück des Weingut Neus buchstäblich unterwandert. Hier lagern sie, die ältesten Zeugnisse des re- nommierten Ingelheimer Weinguts. E in uraltes Fass feiert ganz still für sich 120-jähriges Jubiläum, auf dem Fassboden steht 1893. Es könnte eines der ersten Fässer sein, die hier im Keller gelagert wurden, um die legendären, aber auch sensiblen Ingelheimer Rot- weine reifen zu lassen. Alleine ist es nicht geblieben, das Fass. Unzählige Holzkol- legen haben sich dazugesellt. Heute ste- hen hier rund 120 Holz-, darunter 30 Barrique-Fässer und zahlreiche Gitter- boxen mit geheimnisvollen Zahlen und Buchstaben. Nicht minder geheimnis- voll ist der Inhalt der Flaschen, die sich in den Boxen stapeln. Das älteste Etikett weist auf den Jahrgang 1921 hin. Ob der noch schmeckt? Auf rund 70.000 Fla- schen wird der Altbestand geschätzt. Eine kleine Schatzkammer. Alles zusammen, Keller samt Fla- schen, Weingut und Weinberge, Name und Know-how, haben nun den Besitzer gewechselt. Ulrich Burchards war der letzte weinbautätige Nachfahre, der mit 58 Jahren erkennen musste, „ dass in der Nachfolgegeneration kein Interesse mehr am Weinbau besteht.“ Sein Vater Rüdiger Burchards hatte in die Familie Neus ein- geheiratet und lenkte ab 1951 die Geschicke des Winzerbetriebs. Ulrich Burchards war die vierte Generation nach dem Gründer Josef Neus, der sich der Tradition verpflichtet sah und auch wei- terhin auf den Spätburgunder in seiner traditionellen Ausbauweise setzte. So ganz zurückziehen wird er sich nicht, der letzte Neus-Winzer-Erbe, er steht als Be- triebsleiter noch mit Rat und Tat zu Seite. Neuer Besitzer ist die G.L. Kayser Immobilien GmbH, die sich aus einem nicht minder traditionsreichen Unter- nehmen entwickelt hat, das seit 1787 in Mainz ansässig ist und vorwiegend in der Speditionsbranche aktiv war. Gesell- schafter Christian Schmitz verbindet schon seit Jahren eine besondere Leiden- schaft mit dem Weinbau, er ist im Vor- stand des Mainzer Weinsenats und lässt sich gerade zum Weinakademiker aus- bilden. Gemeinsam mit seinen Gesell- schaftern Stefan, Karl Eugen, Edmund und Matthias Schmitz will er das hoch- dekorierte Weingut Neus im hartum- kämpften Markt behaupten und seinen Ruf weiter ausbauen. Die Weinlagen an der sanften Osthängen Ingelheims mit ihren legendären Muschelkalkböden und besonderen klimatischen Bedingun- gen machen außergewöhnliche Erzeug- nisse möglich. | Mainzer Unternehmerfamilie Schmitz übernimmt renommiertes Weingut Neus Der Rotweinkönig von Ingelheim Treffen mit dem ehemaligen Weinguts-Besitzer Ulrich Burchards (vorne links), Kellermeister Paul Shefford und Mitgliedern der Unternehmer- familie Schmitz. © ALEXANDER SELL Weingut Neus verfügt über ein gewaltiges Kellerareal © ALEXANDER SELL

Der Rotweinkönig © ALExANDER SELL von Ingelheimweingut-neus.de/downloads/presse/Weingut-Neus_Mainz-Heft-4-2013.… · 104 MAINZ 4|13 STADTGESCHICHTE WEINGUT NEUS MAINZ 4|13 105

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V o n M i c h a e l B o n e w i t z | Schummrig schimmert das Licht durch den gewölbten Keller. Eine dicke Staubschicht hat sich auf einen größeren Flaschenstapel gelegt. An Decken und Wänden klebt der berühmte Kellerpilz, ein natürlicher Indikator für ein stabiles Raumklima. Endlos lang erscheint einem das labyrinth-artige Weingewölbe, das sich unter der Bahnhofstraße 96 erstreckt und einmal im Karree das Grundstück des Weingut Neus buchstäblich unterwandert. Hier lagern sie, die ältesten Zeugnisse des re-nommierten Ingelheimer Weinguts.

Ein uraltes Fass feiert ganz still für sich 120-jähriges Jubiläum, auf dem

Fassboden steht 1893. Es könnte eines der ersten Fässer sein, die hier im Keller gelagert wurden, um die legendären, aber auch sensiblen Ingelheimer Rot-weine reifen zu lassen. Alleine ist es nicht geblieben, das Fass. Unzählige Holzkol-legen haben sich dazugesellt. Heute ste-hen hier rund 120 Holz-, darunter 30 Barrique-Fässer und zahlreiche Gitter-boxen mit geheimnisvollen Zahlen und Buchstaben. Nicht minder geheimnis-voll ist der Inhalt der Flaschen, die sich in den Boxen stapeln. Das älteste Etikett weist auf den Jahrgang 1921 hin. Ob der noch schmeckt? Auf rund 70.000 Fla-schen wird der Altbestand geschätzt. Eine kleine Schatzkammer.

Alles zusammen, Keller samt Fla-schen, Weingut und Weinberge, Name und Know-how, haben nun den Besitzer gewechselt. Ulrich Burchards war der letzte weinbautätige Nachfahre, der mit 58 Jahren erkennen musste, „ dass in der Nachfolgegeneration kein Interesse mehr am Weinbau besteht.“ Sein Vater Rüdiger Burchards hatte in die Familie Neus ein-geheiratet und lenkte ab 1951 die Geschicke des Winzerbetriebs. Ulrich

Burchards war die vierte Generation nach dem Gründer Josef Neus, der sich der Tradition verpflichtet sah und auch wei-terhin auf den Spätburgunder in seiner traditionellen Ausbauweise setzte. So ganz zurückziehen wird er sich nicht, der letzte Neus-Winzer-Erbe, er steht als Be-triebsleiter noch mit Rat und Tat zu Seite.

Neuer Besitzer ist die G.L. Kayser Immobilien GmbH, die sich aus einem nicht minder traditionsreichen Unter-nehmen entwickelt hat, das seit 1787 in Mainz ansässig ist und vorwiegend in der Speditionsbranche aktiv war. Gesell-schafter Christian Schmitz verbindet schon seit Jahren eine besondere Leiden-schaft mit dem Weinbau, er ist im Vor-stand des Mainzer Weinsenats und lässt sich gerade zum Weinakademiker aus-bilden. Gemeinsam mit seinen Gesell-schaftern Stefan, Karl Eugen, Edmund und Matthias Schmitz will er das hoch-dekorierte Weingut Neus im hartum-kämpften Markt behaupten und seinen Ruf weiter ausbauen. Die Weinlagen an der sanften Osthängen Ingelheims mit ihren legendären Muschelkalkböden und besonderen klimatischen Bedingun-gen machen außergewöhnliche Erzeug-nisse möglich.

„ | Mainzer Unternehmerfamilie Schmitz übernimmt renommiertes Weingut Neus

Der Rotweinkönig von Ingelheim

Treffen mit dem ehemaligen

Weinguts-Besitzer Ulrich Burchards

(vorne links), Kellermeister

Paul Shefford und Mitgliedern der

Unternehmer-familie Schmitz.

© ALExANDER SELL

Weingut Neus verfügt über ein gewaltiges Kellerareal

© ALExANDER SELL

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Die Geschichte des Weinguts spricht für sich. Unzählige Auszeichnungen hän-gen in der historischen Weinprobierstube: bundes- und landesweite Ehrenpreise, goldene, silberne und bronzene Kammer-preismünzen. Für den einstigen Wein-schriftsteller Hermann Jung war Neus sogar der „Rotweinkönig von Ingelheim“ und der legendäre Amerikaner Frank Schoonmaker schrieb in seinem Bestseller „Encyclopedia of Wine“ unter der Orts-bezeichnung Ingelheim: „Als führender Produzent gilt das Weingut Neus“. Ein Weingut mit jeder Menge Tradition. Josef Neus jr. gehörte in den 1950er Jahren sogar zu den Mitgründern des Deutschen Weinsiegels. In der Zeitschrift „Alles über Wein“ wurde das Weingut vor einigen Jahren zu den besten 100 Weingütern Deutschlands gekürt und zählt zu den besten 1000 der Welt. Ein stolzes Erbe.

Heute verfügt das Weingut Neus über acht Hektar Anbaufläche, hochgeschätzt sind die Lagen Horn und Pares. Das VDP-Weingut bewirtschaftet seine Reb-flächen nach den Richtlinien des kontrol-liert umweltschonenden Weinbaus und setzt konsequent auf Qualität und damit auf einen gering gehaltenen Ertrag. Rund 45.000 Flaschen werden pro Jahr abge-füllt, zu 80 Prozent sind es Rotweintrau-

ben, die hier angebaut werden, davon allein 70 Prozent Spätburgunder. Alle Trauben werden per Hand gelesen. Kel-lermeister ist Paul Shefford (43), der in Geisenheim studiert hat, und seit 15 Jah-ren im Weinbau tätig ist.

Bis zu 24 Monate lagern die Rotweine im Fass, die traditionell auf der Maische vergoren werden. Neben dem Flaggschiff Spätburgunder vervollständigen unter anderem Portugieser, St. Laurent, Früh-burgunder, Merlot und Cabernet Sauvi-gnon das Sortiment. Beim Weißwein werden Riesling, Weißer Burgunder, Silvaner und Chardonnay angebaut, so-wie eine große Auswahl Sekte nach tradi-tioneller Flaschengärung produziert.

Familie Schmitz hat nicht nur das Weingut erworben, sondern auch die da-zugehörige benachbarte Villa gekauft, die zu speziellen Veranstaltungen, in den mit mediterranem Flair erhaltenen Gutshof locken soll. An zwei Wochenenden im Jahr – jeweils im Mai und November – ziehen besondere Präsentationen Kunden und Interessenten an. Eine gute Gelegen-heit, um die großen und kleinen Ge-wächse zu probieren und dabei den beeindruckenden Gewölbekeller zu be-sichtigen – nicht die einzige Attraktion im Weingut Neus in Ingelheim.

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Blick in den Innenhof vom Weingut Neus

© ALExANDER SELL

„ | Michael Bonewitz: Christian Schmitz, für einen Außenstehenden ist es sicherlich ungewöhnlich, dass eine Nicht-winzer-Familie ein Weingut erwirbt. Wie kam es denn dazu?Es war reiner Zufall. Wir waren in einer ganz anderen Angelegenheit mit der Sparkasse Rhein-Nahe im Gespräch, die uns eher am Rande vom Weingut Neus erzählte, immerhin ein renom-miertes VDP-Weingut. Nun bin ich durch meine langjährige Vorstandstä-tigkeit im Mainzer Weinsenat ein abso-lut weinaffiner Mensch. Und ich weiß, wie unwahrscheinlich es ist, dass ein VDP-Weingut überhaupt zum Verkauf angeboten wird. Nachdem wir uns im Gesellschafterkreis intensiv beraten ha-ben, war die Entscheidung nicht schwer. Es gibt in Rheinhessen nur 15 VDP-Weingüter, die alle absolute Spit-zenweine produzieren, da erschien es mir eine reizvolle Aufgabe dieses tradi-tionsreiche Weingut mit diesem vielver-sprechenden Potential zu alter Stärke zurückzuführen.

„ | Michael Bonewitz: Sie haben klare Ziele vor Augen…Natürlich, wir wollen unsere regionale Position stärken, aber auch bundesweit deutlich präsenter werden. Gerade beim Spätburgunder haben wir durch-aus das Ziel, unter die Top ten in Deutschland zu kommen, das geht nur durch absolute Topqualität und gute Produkte. Das Weingut Neus ist eines der wenigen Weingüter hierzulande, das eine spezielle Spätburgunderzüch-

tung anbaut, wie sie von ihrer Struktur her auch im Burgund zu finden ist.

„ | Michael Bonewitz: Allerdings stellt der Verband deutscher Prädikats-weingüter (VDP) auch hohe Anforderun-gen an die Weinbaubetriebe. Konnten Sie denn so ohne weiteres im VDP bleiben?Der VDP hat höchste Qualitätsansprü-che und ist ein starker Verbund. Selbst-verständlich wurden wir zunächst einer strengen Prüfung zur Wiederaufnahme unterzogen, ob wir tatsächlich den An-forderungen entsprechen. Mit einstim-migem Votum haben wir diese Prüfung bestanden. Immerhin ist das Weingut Neus seit 1971 Mitglied im VDP, das zeigt mir, dass das Potential für die erste Weinbundesliga vorhanden ist.

Potential für die oberste WeinbundesligaInterview mit Christian Schmitz