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den. Beispielhaft lässt sich das am Quantenpferch diskutie- ren, einer mit dem STM hergestellten kreisförmigen Anord- nung von Eisenatomen auf einer Kupferoberfläche. Das Bild findet sich in zahlreichen Lehrbüchern und gilt bereits als eine Ikone der Nanowissenschaft (Abbildung 1). Es de- monstriert die Möglichkeiten des Designs von Nanosyste- men Atom für Atom [2]. Aber welche Vorstellungen von Atomen ruft die Darstellung in den Köpfen von Betrachtern hervor, die keine STM-Experten sind? Das Bild vermittelt den Eindruck des Reliefs einer Na- nolandschaft. Atome sind topographisch als Erhöhungen dargestellt. Sie ähneln Materieklumpen, die wie Punkte der Blindenschrift von der STM-Sonde ertastet werden. Das Gra- fikdesign verstärkt die Illusion von Form, Oberflächenkon- tur und Festigkeit mittels Farben, Schatten und Lichtrefle- xen. Diese emergenten makroskopischen Eigenschaften existieren jedoch nicht auf der Ebene einzelner Atome. Die fotorealistischen Grafikelemente verwirren eher den uner- fahrenen Betrachter und verstärken die irrige Vorstellung, das STM bilde die Form materieller Teilchen ab. Als verbildlichte Quantentheorie visualisieren STM-Dar- stellungen Messdaten. Eine adäquate Interpretation der er- kennbaren Strukturen erfordert Modellannahmen über das Messobjekt und die Messmethode. Im Fall des Quanten- pferchs erschließt sich eine seltsam hybride Nanowelt, die wir mit einem Gemisch von Teilchen- und Wellenmodellen alltagssprachlich beschreiben. Die ringförmig arrangierten Fe-Atome sind als lokalisierte Objekte erkennbar. Das Kreis- wellenmuster resultiert aus den Welleneigenschaften der Leitungselektronen der Oberfläche, deren De-Broglie-Wel- lenlänge erheblich größer als die Gitterkonstante des Cu- Substrats ist. Streuprozesse an den Fe-Atomen grenzen die Oberflächenelektronen auf das Innere des atomaren Pferchs ein. Ihre Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte bildet ste- hende Wellen, die den frequenzabhängigen Eigenschwin- gungen eines Trommelfells gleichen. Das STM „sieht“ allerdings weder Teilchen noch Wellen, sondern der Tunnelstrom zwischen seiner Sondenspitze und der Probe wird von den orts- und energieabhängigen Veränderungen der lokalen elektronischen Zustandsdichte moduliert [3]. Wegen der beteiligten Quanteneffekte er- scheint es kaum möglich, das Abbildungsprinzip anhand klassischer makroskopischer Modelle begreifbar zu machen. Ich will hier zeigen, dass dies dennoch gelingt. Analogien zu klassischen Wellen erlauben es, die Funktion des STM mit akustischer Nahfeldabbildung nachzubilden [4]. Rastertunnelmikroskopie im akustischen Modell Der Sound der Nanowelt MANFRED E ULER Die Rastertunnelmikroskopie liefert faszinie- rende Einblicke in die Welt der Atome und Moleküle. Bunte Bilder davon finden sich bereits in vielen Schulbüchern, doch was genau stellen die computergenerierten Visua- lisierungen dar? Experimente mit Schallwellen machen das Abbildungsprinzip auch für Schüler und Laien transparent. 80 Phys. Unserer Zeit 2/2013 (44) © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI: 10.1002/piuz.201301325 D ie Erfindung des Rastertunnelmikroskops (Scanning Tunneling Microscope, STM) vor mehr als dreißig Jah- ren eröffnete einen neuen visuellen Zugang zur Nanowelt. Eine in einem Einzelatom endende Sonde tastet die zu un- tersuchende Oberfläche zeilenweise ab und nutzt lokale Veränderungen im Tunnelstrom zur Darstellung der Ober- flächenstrukturen mit atomarer Auflösung [1]. Atome, die als rein theoretische Objekte lange Zeit Gegenstand philo- sophischer Kontroversen waren, werden im STM sichtbar und individuell positionierbar. Damit ergeben sich neue Möglichkeiten, Materie und ihre Wandlungsprozesse auf ato- marer und molekularer Ebene zu untersuchen und zu kon- trollieren. Mit der Visualisierung stellt sich die Frage, welche As- pekte der Nanowirklichkeit in STM-Bildern dargestellt wer- Online-Ausgabe unter: wileyonlinelibrary.com Abb. 1 Welche Strukturen sind im STM-Bild eines Quanten- pferchs erkennbar?

Der Sound der Nanowelt

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den. Beispielhaft lässt sich das am Quantenpferch diskutie-ren, einer mit dem STM hergestellten kreisförmigen Anord-nung von Eisenatomen auf einer Kupferoberfläche. Das Bildfindet sich in zahlreichen Lehrbüchern und gilt bereits alseine Ikone der Nanowissenschaft (Abbildung 1). Es de-monstriert die Möglichkeiten des Designs von Nanosyste-men Atom für Atom [2]. Aber welche Vorstellungen vonAtomen ruft die Darstellung in den Köpfen von Betrachternhervor, die keine STM-Experten sind?

Das Bild vermittelt den Eindruck des Reliefs einer Na-nolandschaft. Atome sind topographisch als Erhöhungendargestellt. Sie ähneln Materieklumpen, die wie Punkte derBlindenschrift von der STM-Sonde ertastet werden. Das Gra-fikdesign verstärkt die Illusion von Form, Oberflächenkon-tur und Festigkeit mittels Farben, Schatten und Lichtrefle-xen. Diese emergenten makroskopischen Eigenschaftenexistieren jedoch nicht auf der Ebene einzelner Atome. Diefotorealistischen Grafikelemente verwirren eher den uner-fahrenen Betrachter und verstärken die irrige Vorstellung,das STM bilde die Form materieller Teilchen ab.

Als verbildlichte Quantentheorie visualisieren STM-Dar-stellungen Messdaten. Eine adäquate Interpretation der er-kennbaren Strukturen erfordert Modellannahmen über dasMessobjekt und die Messmethode. Im Fall des Quanten-pferchs erschließt sich eine seltsam hybride Nanowelt, diewir mit einem Gemisch von Teilchen- und Wellenmodellenalltagssprachlich beschreiben. Die ringförmig arrangiertenFe-Atome sind als lokalisierte Objekte erkennbar. Das Kreis-wellenmuster resultiert aus den Welleneigenschaften derLeitungselektronen der Oberfläche, deren De-Broglie-Wel-lenlänge erheblich größer als die Gitterkonstante des Cu-Substrats ist. Streuprozesse an den Fe-Atomen grenzen dieOberflächenelektronen auf das Innere des atomaren Pferchsein. Ihre Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte bildet ste-hende Wellen, die den frequenzabhängigen Eigenschwin-gungen eines Trommelfells gleichen.

Das STM „sieht“ allerdings weder Teilchen noch Wellen,sondern der Tunnelstrom zwischen seiner Sondenspitzeund der Probe wird von den orts- und energieabhängigenVeränderungen der lokalen elektronischen Zustandsdichtemoduliert [3]. Wegen der beteiligten Quanteneffekte er-scheint es kaum möglich, das Abbildungsprinzip anhandklassischer makroskopischer Modelle begreifbar zu machen.Ich will hier zeigen, dass dies dennoch gelingt. Analogienzu klassischen Wellen erlauben es, die Funktion des STM mitakustischer Nahfeldabbildung nachzubilden [4].

Rastertunnelmikroskopie im akustischen Modell

Der Sound der NanoweltMANFRED EULER

Die Rastertunnelmikroskopie liefert faszinie-rende Einblicke in die Welt der Atome undMoleküle. Bunte Bilder davon finden sichbereits in vielen Schulbüchern, doch wasgenau stellen die computergenerierten Visua-lisierungen dar? Experimente mit Schallwellenmachen das Abbildungsprinzip auch fürSchüler und Laien transparent.

80 Phys. Unserer Zeit 2/2013 (44) © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

DOI: 10.1002/ piuz.201301325

Die Erfindung des Rastertunnelmikroskops (ScanningTunneling Microscope, STM) vor mehr als dreißig Jah-

ren eröffnete einen neuen visuellen Zugang zur Nanowelt.Eine in einem Einzelatom endende Sonde tastet die zu un-tersuchende Oberfläche zeilenweise ab und nutzt lokaleVeränderungen im Tunnelstrom zur Darstellung der Ober-flächenstrukturen mit atomarer Auflösung [1]. Atome, dieals rein theoretische Objekte lange Zeit Gegenstand philo-sophischer Kontroversen waren, werden im STM sichtbarund individuell positionierbar. Damit ergeben sich neueMöglichkeiten, Materie und ihre Wandlungsprozesse auf ato-marer und molekularer Ebene zu untersuchen und zu kon-trollieren.

Mit der Visualisierung stellt sich die Frage, welche As-pekte der Nanowirklichkeit in STM-Bildern dargestellt wer-

Online-Ausgabe unter:wileyonlinelibrary.com

Abb. 1 Welche Strukturen sind im STM-Bild eines Quanten-pferchs erkennbar?

wo sich das Zentrum der Flaschenöffnung befindet. Diesentspricht dem Lokalisieren einzelner Atome mit der STM-Spitze.

Zum Nachweis der spektralen Selektivität füllt man ei-nen der Becher mit etwas Wasser. Der so verstimmte Re-sonator wird nicht mehr von der Sonde detektiert (Abbil-dung 2b). Dem Abstimmen der Schallfrequenz entspricht inder STM-Spektroskopie die Wahl einer geeigneten Tunnel-spannung, die energieselektiv elektronische Zustände erfasst. Die elektronischen Resonanzen ermöglichen es, be-stimmte Atomsorten nachzuweisen, während andere ver-borgen bleiben. Ähnlich geschieht dies bei der STM-Auf-nahme des Quantenpferchs, in der die Atome des Cu-Sub-strats daher unsichtbar bleiben.

Jenseits der BeugungsgrenzeEine weitere Tatsache ist bemerkenswert: Das Abscannenmit der Schallsonde löst Strukturen im Zentimeterbereichauf, die wesentlich kleiner als die verwendete Wellenlängesind (λ ≈ 15 cm). Bei konventionellen optischen Abbildun-gen mit Linsensystemen ist das wegen Beugungseffektennicht möglich. Es gilt das Abbé-Kriterium, das den minima-len Abstand zweier unterscheidbarer Punktquellen aufΔx ≈ λ/2 beschränkt [5]. Das Modell demonstriert also dieBesonderheit der Nahfeld-Abbildung, denn das Feld der Son-denspitze grenzt räumlich die Wechselwirkung auf einenBruchteil der Wellenlänge ein. Der Bildaufbau über zeilen-weises Abtasten gestattet die Darstellung von Details weitunterhalb der Beugungsgrenze.

Das eindimensionale akustische Modell aus Abbildung 2lässt sich mit einem Grafiktablett leicht in ein zweidimen-sionales computergestütztes Abbildungssystem verwandeln.Dieses benötigt einen Rahmen für die X-Y-Verschiebung ei-nes Stifts, dessen Position vom Grafiktablett erfasst wird.Der Stift ist dabei starr mit der Schallsonde gekoppelt. DasAbrastern erfolgt manuell durch Verschieben des Stifts, und

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Einfaches akustisches STM-Modell Der Tunneleffekt lässt sich anschaulich im Wellenbild be-schreiben. Die Wellenfunktionen der Sondenspitze und Pro-benatome überlappen zunehmend bei Annäherung. Daherkann abhängig vom Grad der Überlappung ein Strom flie-ßen, dessen Stärke mit Verringerung des Abstandes expo-nentiell zunimmt. Im Spektroskopie-Modus des STM, aufdessen Betrachtung wir uns hier beschränken, wird der Ab-stand zwischen Sonde und Oberfläche konstant gehalten.Veränderungen des Tunnelstroms in Abhängigkeit von derangelegten Spannung geben Aufschluss über die energie-abhängige Dichte der elektronischen Zustände. Das Über-lappen der Zustandsdichten entspricht in der klassischenWelt einer Resonanz. Diese Entsprechung führt unmittelbarzur Idee der akustischen Nahfeldabbildung als Analogon zurSTM-Spektroskopie.

Das akustische Abtasten einer Reihe von Joghurt -bechern in Abbildung 2 demonstriert das Prinzip. Die akus-tische Sonde besteht aus einer Ohrhörerkapsel, die mit ei-nem dünnen Metallrohr verlängert und für manuelle Scansan Lego-Rädern befestigt ist. Das Rohr führt den Schall derKapsel an die abzutastende Struktur und ermöglicht eine lo-kal eng begrenzte akustische Anregung an der unteren Rohr-öffnung. Nach Abstimmung der Anregungsfrequenz der Son-de auf die Resonanzfrequenz der Becher (f0 ≈ 2,4 kHz) istes möglich, die einzelnen Resonatoren beim Abscannen mitdem Gehör zu orten: Steht die Sonde direkt über der offe-nen Flasche, dann ist ihre Resonanzantwort am lautestenhörbar. Für Messzwecke kann man eine einfache Impe-danzsonde herstellen, indem man ein kleines Mikrofon indie Röhrenwand nahe der Öffnung einbaut. Das mit demSondenmikrofon gemessene Resonanzmaximum zeigt an,

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Abb. 2 Eindimensionales akustisches Modell eines Raster -tunnelmikroskops (STM) mit Joghurtbechern und einer selbstgebauten akustischen Sonde für die STM-Spitze. a) Schall -resonanzen bei leeren Bechern; bei b) ist der mittlere Bechermit Wasser gefüllt.

A B B . 3 Z W E I D I M E N S I O N A L E S A KU S T I S C H E S M O D E L L

Das zweidimensionale akustische Abtastverfahren funktioniert mit einem Grafikta-blett, dessen Stift starr an die Sonde gekoppelt ist. Die vom Computer aufgezeich-neten Messdaten sind grafisch in verschiedener Weise darstellbar: a) Konturbild, b)Gitterbild, c) räumliche Visualisierung.

der Computer speichert die erfassten Daten Punkt für Punktund Linie für Linie. Abbildung 3 zeigt die Anordnung sowiedie Wandlung der Datenmatrix in verschiedene visuelle Dar-stellungen. Dazu eignet sich die Grafikausgabe von Pro-grammen wie Excel oder SigmaPlot.

Die akustische Abbildung einer hexagonalen Anordnungvon Joghurtbechern in Abbildung 4 bestätigt die nahezuperfekte Übereinstimmung mit STM-Bildern. Ein unvorein-genommener Beobachter kann nicht entscheiden, ob Be-cher oder Atome gezeigt werden. Im Gegensatz zur Nano-welt ist es möglich, das Bild mit dem realen System zu ver-gleichen. Die sichtbaren Hügel stehen nicht für dietopografische Kontur materieller Objekte, sondern stellendie Antworten resonanter dynamischer Systeme dar. DieMaxima befinden sich in den Zentren der Becheröffnun-gen, wo die Sonde am besten an die Resonanz ankoppelt.Das akustische Modell demonstriert, wie unzulänglich einenaiv-realistische Interpretation der atomaren Strukturen inSTM-Bildern in Form statischer Materieklumpen ist.

Akustischer Pferch Die Ähnlichkeiten in der Funktion von Schall- und Tunnel-sonde beruhen auf der Analogie zwischen zeitunabhängigerSchrödinger-Gleichung und akustischer Wellengleichung[6]. Wie der Spektroskopiemodus des STM arbeiten dieakustischen Scans ebenfalls mit festem Sondenabstand. Derwählbaren akustischen Frequenz entspricht die Energie derElektronen, die durch die Tunnelspannung vorgegebenwird. Der differentielle Tunnelstrom (dI/dV) bei fester Tun-nelspannung ist ein Maß für die lokale Zustandsdichte. Die-se Technik stellt eine Impedanzmessung für Elektronen-wellen dar [7]. Entsprechend erfasst die Schallsonde die lo-kale akustische Impedanz. Sie speist einen konstantenSchallfluss ein und registriert die lokalen Veränderungenim Schalldruck. Analog zur Elektrik ist die gemessene Schall-leistung bei konstantem akustischem Strom (Schallfluss)proportional zum Widerstand (Betrag der akustischen Im-pedanz).

Es gelingt sogar, den Quantenpferch akustisch nachzu-bilden. Dazu muss das Resonatormodell so erweitert wer-den, dass es die Streuung von Elektronen in Oberflächen-zuständen simuliert. Um die Abmessungen klein zu halten,erfolgt die Abbildung mit Ultraschall. Ein Schallgeber (f =40 kHz) scannt die Struktur ab. Diese besteht aus einer Alu-miniumplatte mit 16 kreisförmig angeordneten Bohrungen.Dahinter befindet sich im Abstand von 2 cm eine weiterePlatte (Abbildung 5). Sie begrenzt die Schallausbreitung undführt die Schallwellen so, dass sie die Welleneigenschaftendes zweidimensionalen Elektronengases an der Oberflächemodellieren. Im Zentrum der Platte ist ein Mikrofon einge-baut, das den beim Scanvorgang übertragenen Schall regis-triert. Anders als zuvor wird eine Transmissionsmessungvorgenommen.

Man erkennt im akustischen Scan der Abbildung 6 ne-ben den ringförmig angeordneten Bohrungen ein Muster

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Abb. 4 Das Abtastbild einer hexagonalen Anordnung vonJoghurt bechern unterscheidet sich nicht von STM-Aufnahmenvergleichbarer atomarer Strukturen.

Abb. 5 Aluminiumplatte mit Bohrungen zur Erzeugung einesakustischen Pferchs. Der Ultraschall geber befindet sich obenund tastet die Struktur ab. Das nicht sichtbare Mikrofon istim Zentrum der darunter liegenden Platte eingelassen.

Abb. 6 Akustisches Modell des Quantenpferchs.

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stehender, teils konzentrischer Wellen. Die Bohrungen ste-hen für die Atome des Quantenpferchs, die Leitungselek-tronen der Oberfläche streuen. Das Interferenzmuster im In-neren der akustischen Version des Pferchs kommt dadurchzustande, dass die Schallwellen auf verschiedenen Wegendurch die einzelnen Bohrungen zum Mikrofon gelangen.Die jeweiligen Einzelbeiträge überlagern sich, und es kommtje nach Phasenlage zur Verstärkung oder Auslöschung. Dieakustische Transmissionsmessung bildet so die Mehrfach-streuprozesse der Elektronen nach, die zu dem Interfe-renzbild im Inneren des Pferchs führen [8]. In dieser akus-tischen Analogie verlieren die STM-Bilder vollends ihre Selt-samkeit, denn die dargestellte Nanowirklichkeit mit ihremhybriden Gemenge aus teilchen- und wellenartigen Mus-tern lässt sich in einem völlig transparenten makroskopi-schen System nachbilden.

Atome sehen oder hören?Die Präsentation von Aspekten der Quantenwirklichkeit inSTM-Bildern hat zu zahlreichen Diskussionen über derenWesen geführt, das über visuelle Erfahrungen und ge-wöhnliche Wahrnehmungsprozesse hinauszugehen scheint.Die Darstellungen werden daher gerne mit Werken abs-trakter Kunst verglichen [9]. Dieser Artikel zeigt, dass dieSTM-Bildgebung durchaus im Einklang mit Wahrneh-mungsprozessen steht, allerdings nicht mit Seh-, sondernHörerfahrungen.

Die Funktionsweise des STM, Atome im Nahfeld der Son-de über Wellenphänomene aufzuspüren und per Spektro-skopie deren innere Dynamik zu analysieren, besitzt einPendant in der akustischen Wahrnehmung. Unser Gehörkann nämlich ebenfalls im Nahfeld Objekte orten, wie dasfolgende Experiment mit einer Schallquelle zeigt. Man rei-be Daumen und Zeigefinger und bewege sie am Kopf vor-bei. Mit geschlossenen Augen sind wir in der Lage, die Ge-räuschquelle mit nur einem Ohr akustisch im Raum zu ver-folgen. Diese monaurale Analyseleistung wird ermöglichtdurch die frequenz- und richtungsabhängige Übertra-gungsfunktion der Ohrmuschel.

Fasst man Hören als ein inneres Sehen von raumzeit -lichen Mustern auf, dann erschließt sich, dass visuelle Prä-sentationen von STM-Daten mehr mit Hörbildern als mit ge-wöhnlichen Abbildungen gemeinsam haben. Anstatt vomSehen der Atome im STM zu sprechen, erscheint es daherangemessener, an eine akustische Lokalisierung der Mate-rieteilchen und an das Hineinhorchen in deren innere Dy-namik zu denken. Die Vorstellung, dass STM-Bilder unhör-bare elektronische Klänge der Nanowelt visualisieren, magungewöhnlich erscheinen, doch sie trifft den Kern. Viel-leicht kann dieser Artikel dazu anregen, STM-Bilder neu zusehen und zu interpretieren.

ZusammenfassungDer Beitrag stellt akustische Modelle der Rastertunnelmikro-skopie vor. Diese nutzen Schallwellen und computergenerier-te Visualisierungen zur Abbildung akustischer Systeme. Quan-tenanalogien veranschaulichen abstrakte Konzepte wie denTunneleffekt und die Zustandsdichten von Elektronen. Die Ex-perimente vermitteln einen praktischen, an Alltagserfahrun-gen orientierten Zugang zu Konzepten sowie Mess- und Vi-sualisierungsmethoden der Nanowissenschaft. Sie demon-strieren auch, wie Nahfeldabbildungen die Beugungsgrenzeder konventionellen Mikroskopie überwinden können.

StichworteRastertunnelmikroskopie, akustisches Modell, Nahfeld, Ato-me, Quantenpferch.

Danksagung Die Arbeit entstand im Rahmen des Teilprojekts Öffentlichkeits -arbeit des SFB 677 der DFG. Dank gilt auch für die technische Un-terstützung durch M. Lass, K. Boguschewski und D. Sieh-Böhrnsen.

Literatur[1] G. Binnig G et al., Appl. Phys. Lett. 1982, 40, 178.[2] M. F. Crommie et al., Science 1993, 262, 218.[3] J. Tersoff und R. Hamann, Phys. Rev. B 1985, 31, 805.[4] M. Euler, Phys. Teacher 2012, 50, 349.[5] L. Novotny, In: Wolf E. (Ed.) Progress in Optics, 50, Elsevier, Amster-

dam 2007, S. 137. [6] D. Dragoman, M. Dragoman, Quantum-classical analogies, Springer,

Berlin 2004.[7] M. Barr et al., Nano Lett. 2010, 10, 3253.[8] G. Fiete & J. Heller, Rev. Modern Phys. 2003 75, 933.[9] C. Tumey, Nature Nanotech. 2007, 2, 587.

Der AutorManfred Euler studierte Physik an der UniversitätGießen bis zur Promotion, habilitierte 1981 an derUniversität GH Duisburg. 1991 übernahm er denLehrstuhl für Didaktik der Physik an der UniversitätGH Paderborn. Seit 1997 ist er Direktor am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaftenund Mathematik (IPN) an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und zugleich dort Professor fürDidaktik der Physik.

AnschriftProf. Dr. Manfred Euler, Leibniz-Institut für diePädagogik der Naturwissenschaften und Mathema-tik (IPN), Olshausenstraße 62, D-24098 [email protected]

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