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W er die Macht von Vattenfall in der Lausitz erahnen will, muss die Autobahnausfahrt Cottbus- Süd nehmen. An der Straße steht ein großes Firmenschild, am Horizont speien die Kühltürme des Kraftwerks Schwarze Pumpe ihren Dampf in den Himmel. Der Weg ins Stadtzentrum führt am Hochhaus des Energieversorgers mit 13 Geschossen vorbei. Wer aber dort über die Macht sprechen will, die ein Konzern in einer Region haben kann, wird abgewiesen: Ein Gespräch kommt trotz mehrerer Anfra- gen nicht zustande. Also trifft man sich mit dem Ober- bürgermeister von Cottbus, Frank Szy- manski, SPD-Mitglied, Schnauzbartträger, Braunkohleanhänger. Letzteres vielleicht aus Überzeugung, jedenfalls aus Kalkül. Szymanskis Rechnung ist einfach: In sei- ner Stadt leben heute 30 000 Menschen weniger als zu DDR-Zeiten. Vattenfall ist der letzte große Arbeitgeber, der verläss- liche Jobs bietet. „Ich möchte mir nicht vorstellen, was es für die Zukunft bedeutet, wenn auch noch die Kohle verschwindet“, sagt der Oberbürgermeister. „Wo sind denn die alternativen Arbeitsplätze? Es gibt keinen Plan B.“ Nun will Vattenfall seine Tagebaue in der Lausitz an mehreren Stellen erwei- tern (siehe Karte). Erneut könnten Tau- sende Menschen ihre Häuser verlieren, die Braunkohle würde noch über Jahr- zehnte gefördert. Die Pläne sind umstrit- ten. Kritiker sammelten bundesweit mehr als 100000 Unterschriften gegen den Aus- bau des Tagebaus Welzow-Süd. Auch in der Brandenburger Landespolitik gab es vorsichtige Zweifel. Das Umweltministe- rium erarbeitete vor zwei Jahren einen Fahrplan, wie der Ausstieg aus der um- weltschädlichen Braunkohleverstromung bis 2050 gelingen könnte. Doch Klimaschützer und Betroffene haben es mit einem mächtigen Gegner zu tun. Vattenfall ist überall in der Lau- sitz. Rund 25 000 Arbeitsplätze hängen im Revier an der Braunkohleindustrie, der Konzern ist einer der größten Aus- bildungsbetriebe in Ostdeutschland. Und auch in der Freizeit läuft ohne Vattenfall nicht viel. Der Fußball-Zweitligist Energie Cottbus, die Eishockeymannschaft Lau- sitzer Füchse, das Filmfestival und das Orchester – alle werden von dem Kon- zern gesponsert. Das wissen auch die Politiker, die Vattenfall unterstützen. Oberbürgermeister Szymanski gehörte im Dezember 2011 zu den Gründern des Vereins „Pro Lausitzer Braunkohle“, ei- ner Lobbygruppe, die für die Erweiterung der Tagebaue kämpft. „Wir wollten der schweigenden Mehrheit eine Stimme ge- ben“, sagt Szymanski. In den letzten Jah- ren hätten nur die Gegner der Braunkoh- le ihre Ansichten verbreitet. Der Verein sei eine Initiative von Privatleuten gewe- DER SPIEGEL 44/2013 40 Greenpeace-Luftschiff über dem Braunkohletagebau Welzow-Süd JOHANNES KOZIOL / DAPD ENERGIE Vattenfall ist überall Der Konzern beherrscht das Leben in der Lausitz. Begleitet von einer großen PR-Kampagne, will er seine Braunkohletagebaue erweitern.

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Wer die Macht von Vattenfall inder Lausitz erahnen will, mussdie Autobahnausfahrt Cottbus-

Süd nehmen. An der Straße steht ein großes Firmenschild, am Horizont speiendie Kühltürme des Kraftwerks SchwarzePumpe ihren Dampf in den Himmel. DerWeg ins Stadtzentrum führt am Hochhausdes Energieversorgers mit 13 Geschossenvorbei. Wer aber dort über die Machtsprechen will, die ein Konzern in einerRegion haben kann, wird abgewiesen: EinGespräch kommt trotz mehrerer Anfra-gen nicht zustande.

Also trifft man sich mit dem Ober -bürgermeister von Cottbus, Frank Szy-manski, SPD-Mitglied, Schnauzbartträger,Braunkohleanhänger. Letzteres vielleichtaus Überzeugung, jedenfalls aus Kalkül.Szymanskis Rechnung ist einfach: In sei-ner Stadt leben heute 30000 Menschenweniger als zu DDR-Zeiten. Vatten fall istder letzte große Arbeitgeber, der verläss-liche Jobs bietet.

„Ich möchte mir nicht vorstellen, wases für die Zukunft bedeutet, wenn auchnoch die Kohle verschwindet“, sagt derOberbürgermeister. „Wo sind denn die alternativen Arbeitsplätze? Es gibt keinenPlan B.“

Nun will Vattenfall seine Tagebaue inder Lausitz an mehreren Stellen erwei-tern (siehe Karte). Erneut könnten Tau-sende Menschen ihre Häuser verlieren,die Braunkohle würde noch über Jahr-zehnte gefördert. Die Pläne sind umstrit-ten. Kritiker sammelten bundesweit mehrals 100000 Unterschriften gegen den Aus-bau des Tagebaus Welzow-Süd. Auch inder Brandenburger Landespolitik gab esvorsichtige Zweifel. Das Umweltministe-rium erarbeitete vor zwei Jahren einenFahrplan, wie der Ausstieg aus der um-weltschädlichen Braunkohleverstromungbis 2050 gelingen könnte.

Doch Klimaschützer und Betroffenehaben es mit einem mächtigen Gegnerzu tun. Vattenfall ist überall in der Lau-sitz. Rund 25000 Arbeitsplätze hängenim Revier an der Braunkohleindustrie,der Konzern ist einer der größten Aus-bildungsbetriebe in Ostdeutschland. Undauch in der Freizeit läuft ohne Vattenfallnicht viel. Der Fußball-Zweitligist EnergieCottbus, die Eishockeymannschaft Lau-sitzer Füchse, das Filmfestival und dasOrchester – alle werden von dem Kon-zern gesponsert. Das wissen auch die Politiker, die Vattenfall unterstützen.

Oberbürgermeister Szymanski gehörteim Dezember 2011 zu den Gründern desVereins „Pro Lausitzer Braunkohle“, ei-ner Lobbygruppe, die für die Erweiterungder Tagebaue kämpft. „Wir wollten derschweigenden Mehrheit eine Stimme ge-ben“, sagt Szymanski. In den letzten Jah-ren hätten nur die Gegner der Braunkoh-le ihre Ansichten verbreitet. Der Vereinsei eine Initiative von Privatleuten gewe-

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Greenpeace-Luftschiff über dem Braunkohletagebau Welzow-Süd

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Vattenfall ist überallDer Konzern beherrscht das Leben in der Lausitz.

Begleitet von einer großen PR-Kampagne, will er seine Braunkohletagebaue erweitern.

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sen, nicht des Konzerns, sagt Szymanski.Auch Vattenfall legt Wert darauf, an derGründung nicht beteiligt gewesen zu sein.

„Pro Lausitzer Braunkohle“ soll denAnschein einer Graswurzelbewegung er-wecken. Doch finanziert wird der Vereinauch von Vattenfall, der Konzern gehörtzu den Förderern. Die Höhe der Unter-stützung bleibt geheim; weder der Vereinnoch Vattenfall wollen sich dazu äußern.An Geld mangelt es der Pro-Truppe je-denfalls nicht. Sie verfügt über eine eige-ne Geschäftsstelle im Cottbusser „Hausder Wirtschaft“, die täglich mehrere Stun-den lang besetzt ist. Zuletzt organisiertesie eine Unterschriftenkampagne mit demMotto „Meine Stimme fürs Revier“.

Der Verein schaltete große Anzeigenin Lokalzeitungen und erhielt eine eigeneSendung im Radio, um sich vorzustellen.Die Kohlefreunde sammelten Unter-schriften beim Zweitligaspiel zwi-schen Energie Cottbus und dem 1. FCKöln und gewannen den Ministerprä-sidenten von Brandenburg, DietmarWoidke (SPD), als Unterstützer.

Das städtische Krankenhaus inCottbus war ebenfalls behilflich. „ProLausitzer Braunkohle“ durfte seineUnterschriftenlisten im Klinikum aus-legen. Auch in Behörden standenSammelboxen bereit. Als sich die Um-weltschutzorganisation Greenpeacebeschwerte, wurde das Brandenbur-ger Innenministerium aktiv. Es wiesdarauf hin, dass die Verwaltung neu-tral bleiben muss – daraufhin ver-schwanden die Unterschriftenlistenaus den Amtsstuben.

Am Ende sammelte der Vereinmehr als 60000 Unterschriften. Zu-dem gab die Bergbau-GewerkschaftIG BCE eine Meinungsumfrage inAuftrag, die zu dem Ergebnis kam,dass sich die Mehrheit der Lausitzerfür neue Tagebaue ausspricht. Um dieGegner zu überzeugen, lässt Vatten-fall nicht nur neue Siedlungen für jeneMenschen bauen, die ihre Häuser ver -lassen müssen. Der Konzern versuchtauch, mit einer Informationskampagnedie Stimmung zu beeinflussen.

In den Dörfern rund um den TagebauNochten vertreibt Vattenfall seit einigenJahren das Gratismagazin „Struga“, be-nannt nach einem lokalen Bach. Es wirdvon dem Journalisten Gerhard Fugmannverantwortet, einem früheren Redakteurder „Lausitzer Rundschau“. Zu DDR- Zeiten bespitzelte er als Stasi-IM „ErichFuchs“ seine Kollegen.

Der 73-Jährige schreibt Geschichtenüber Bürger, deren Häuser dem Tagebauweichen müssen. Unter der Überschrift„Der schwere Weg“ etwa berichtet erüber das Schicksal des Dorfes Rohne, dasabgerissen werden soll. Statt zu resignie-ren, suchten die „aufrechten“ Bewohnermit Vattenfall „Kompromisslösungen“.

Auf dem Gebiet der Klimaforschunggibt sich Fugmann sachkundig. Der Kli-mawandel vollziehe sich zwar, schreibtFugmann, „doch nach Regeln der Natur“.Und in Deutschland könnten wir daranschon gar nichts ändern. Es erscheine ihm„etwas kurz gegriffen“, durch die Ener-giewende „abgeholzte Urwälder in Süd-amerika“ oder „Klimaexperimente imWeltall“ ausgleichen zu wollen.

Bei einem Treffen an seiner Woh-nungstür will sich Fugmann nicht zu sei-ner Rolle äußern. Angesprochen auf seineStasi-Vergangenheit, bricht er das Ge-spräch ab. Vattenfall erklärt auf Anfrage,nichts von der IM-Tätigkeit des Autorsgewusst zu haben. Fugmann habe nun„angeboten“, seine Zusammenarbeit mitdem Konzern zu beenden. Ausschlagge-bend für die bisherige Zusammenarbeit

sei Fugmanns „nachgewiesene journalis-tische Qualität“ gewesen.

Es ist legitim, wenn ein Konzern fürseine Interessen kämpft. Aber ist Vatten-fall in der Lausitz zu mächtig? Wagt nie-mand mehr Kritik, nur weil fast jeder Ver-wandte oder Freunde hat, die bei Vatten-fall arbeiten? Haben manche Skeptikerschon resigniert, weil sie glauben, gegendie Allianz von Wirtschaft und Politik so-wieso nichts ausrichten zu können?

„Der Konzern ist wie eine Krake, diesich über die ganze Region ausgestreckthat“, sagt der Soziologe WolfgangSchluchter, der jahrelang an der Cottbu-ser Universität gelehrt hat. Auch der ehe-malige Bundesrichter Wolfgang Nešković,der zuletzt als fraktionsloser Abgeord -neter im Bundestag saß, sorgt sich: „DieDemokratie wird entwertet, weil es keineWaffengleichheit zwischen Gegnern undBefürwortern gibt.“

Zurzeit sieht es so aus, als setze sichVattenfall mit seinen Plänen durch. Dersächsische Braunkohlenausschuss gabMitte Oktober seine Zustimmung zu denAusbauplänen in Nochten. Anfang 2014wird sich die sächsische Landesregierungendgültig damit befassen. Auf Branden-burger Seite bekannte sich Ministerprä-sident Woidke kürzlich in einer Ver -einbarung mit Vattenfall ausdrücklich zur„Energieregion Lausitz“. Von einem Aus-stieg aus der Braunkohle, den die Lan-desregierung noch vor ein paar Jahrendiskutierte, war nichts mehr zu hören.

Den Braunkohlegegnern bleibt wohlnur, auf Berlin und Stockholm zu hoffen.Die Berliner Bürger stimmen in einemVolksentscheid am 3. November darüberab, ob das Stromnetz zurückgekauft wer-den soll; das könnte dazu beitragen, Vat-

tenfall das Engagement in Deutsch-land zu verleiden. Seit Monaten kur-sieren Gerüchte über einen möglichenVerkauf des Braunkohlegeschäfts, dieVattenfall eher halbherzig dementiert.In Stockholm kritisieren die Grünen,dass der Staatskonzern, der in seinerHeimat auf umwelt freund liche Ener-gien setzt, im Ausland weiterhinBraunkohle fördern will. Die schwe-dische Regierung stellte allerdings amFreitag klar: Sie wolle Vattenfall nicht daran hindern, neue Tagebaue in derLausitz zu erschließen.

Diese Nachricht bedeutet eine weitere Enttäuschung für die Kritiker.Hagen Rösch, 34, wohnt mit seiner Familie in Proschim, einem Ort amRande des Tagebaus Welzow-Süd, derden Baggern zum Opfer fallen soll.Rösch vertreibt Solarzellen, auf sei-nem Hof produziert eine Biogasanlagenach seinen Angaben Strom für 5000Menschen. Dazu kommt Landwirt-schaft, eine Metzgerei und ein Party-Service. Die Familie gibt etwa 85 Men-schen Arbeit. Bei früheren Erweite-

rungen des Tagebaus Welzow seien seinerFamilie mehrere tausend Hektar Land ver-lorengegangen, nun gehe es um die Exis-tenz: „Das Büro, in dem wir jetzt sitzen,soll es in ein paar Jahren nicht mehr ge-ben.“ Rösch hat sich entschlossen, gegendie Erweiterung des Tagebaus zu kämp-fen. Immer wieder kritisiert er Vattenfallöffentlich, seine Mutter stellt sich als Orts-vorsteherin gegen die Ausbaupläne.

Das gefällt nicht jedem in der Lausitz.Im Internet werden Rösch und seine Mit-streiter als „Dorfdeppen“ bezeichnet, de-ren „Gejammer“ man nicht mehr hörenkönne. Rösch erzählt, wie vor kurzemKunden in seiner Metzgerei gesagt hät-ten: „Ihr zerstört unsere Arbeitsplätze,in Zukunft kaufen wir nicht mehr hier.“Er solle aufhören, Widerstand gegen denTagebau zu leisten, sagten die Leute, ge-gen Vattenfall habe man doch ohnehinkeine Chance. SVEN BECKER

D E R S P I E G E L 4 4 / 2 0 1 3 41

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