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Nachlese zum Kirchentag Dresden 2011 I. Der verweigerte Dialog In einer der Veranstaltung zum diesjährigen Kirchentag in Dresden war dem Thema Hirntod und Organtransplantation an der Akademie für Palliativmedizin ein ganzer Fachtag gewidmet. Ziel war es dabei unter anderen, sich über die Argumente pro und contra von Organentnahmen bei „hirntoten“ Patienten auszutauschen; ganz im Sinne des von Karl Popper geforderten „kritischen Dialogs“. Leider hatten aber alle angefragten Transplantationsmediziner ihre Teilnahme abgesagt. Obwohl dort nun zwar alle zugänglichen Argumente würdigend und wertschätzend vertreten wurden, kam es dadurch nicht zu dem erwarteten „streitbaren“ Austausch. Ich möchte an dieser Stelle nur daran erinnern, dass nach Popper die kritische Infragestellung von Hypothesen („Falsifikation“) eine der unbedingten Vorraussetzung wissenschaftlichen Denkens und Argumentierens ist. 1 Genau das ist es allerdings, was aussteht. Was fehlt, ist der öffentlich-wirksamen Austausch von Gründen und Argumenten pro und contra Organspende. Mein Beitrag an diesem Tag stand unter dem Titel: „Hirntod und Organtransplantation - Im Spannungsfeld konkurrierender Bedürfnisse“. Folgende Szenarien hatte ich dabei vor Augen: 1. Manchmal erlebe ich ein „knallhartes“ Aufeinandertreffen von Befürwortern und Gegnern, z.B. auch auf (vergangenen) Kirchentagen. 2 1 „Alle vorwissenschaftliche Erkenntnis, ob tierisch oder menschlich, ist dogmatisch; und mit der Erfindung der nichtdogmatischen Methode, das heißt, der kritischen Methode, beginnt die Wissenschaft“ Popper in: Wissenschaftslehre in entwicklungstheoretischer und in logischer Sicht An anderer Stelle: „Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Forscher, dem es gelingt seine eigene Theorie zu falsfizieren, sich immer darüber freuen wird. (…) Wir brauchen in der Wissenschaft eine Art Parteibildung für und gegen jede Theorie“ a.a.O. 2 In seinem Referat, das im Vorfeld des Anhörungsverfahrens über den Entwurf eines Transplantationsgesetzes im rheinland-pfälzischen Landtag in Mainz im Rahmen der Mainzer Evangelischen Gespräche am 17. März 1993 vorgetragen wurde, erhob der Theologe Hans Grewel ? folgende Forderungen: ?

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Nachlese zum Kirchentag Dresden 2011I. Der verweigerte DialogIn einer der Veranstaltung zum diesjährigen Kirchentag in Dresden war dem Thema

Hirntod und Organtransplantationan der Akademie für Palliativmedizin ein ganzer Fachtag gewidmet. Ziel war es dabei unter anderen, sich über die Argumente pro und contra von Organentnahmen bei „hirntoten“ Patienten auszutauschen; ganz im Sinne des von Karl Popper geforderten „kritischen Dialogs“. Leider hatten aber alle angefragten Transplantationsmediziner ihre Teilnahme abgesagt. Obwohl dort nun zwar alle zugänglichen Argumente würdigend und wertschätzend vertreten wurden, kam es dadurch nicht zu dem erwarteten „streitbaren“ Austausch. Ich möchte an dieser Stelle nur daran erinnern, dass nach Popper die kritische Infragestellung von Hypothesen („Falsifikation“) eine der unbedingten Vorraussetzung wissenschaftlichen Denkens und Argumentierens ist.1

Genau das ist es allerdings, was aussteht. Was fehlt, ist der öffentlich-wirksamen Austausch von Gründen und Argumenten pro und contra Organspende.

Mein Beitrag an diesem Tag stand unter dem Titel:

„Hirntod und Organtransplantation - Im Spannungsfeld konkurrierender Bedürfnisse“.

Folgende Szenarien hatte ich dabei vor Augen:1. Manchmal erlebe ich ein „knallhartes“ Aufeinandertreffen von Befürwortern und

Gegnern, z.B. auch auf (vergangenen) Kirchentagen.2

2. Kaum erlebe ich einen Diskurs, der geprägt ist von Zuhören, gegenseitigen Verstehen und „gewaltfreien“ Austausch von Argumenten.

1 „Alle vorwissenschaftliche Erkenntnis, ob tierisch oder menschlich, ist dogmatisch; und mit der Erfindung der nichtdogmatischen Methode, das heißt, der kritischen Methode, beginnt die Wissenschaft“ Popper in: Wissenschaftslehre in entwicklungstheoretischer und in logischer SichtAn anderer Stelle: „Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Forscher, dem es gelingt seine eigene Theorie zu falsfizieren, sich immer darüber freuen wird. (…) Wir brauchen in der Wissenschaft eine Art Parteibildung für und gegen jede Theorie“ a.a.O.2 In seinem Referat, das im Vorfeld des Anhörungsverfahrens über den Entwurf eines Transplantationsgesetzes im rheinland-pfälzischen Landtag in Mainz im Rahmen der Mainzer Evangelischen Gespräche am 17. März 1993 vorgetragen wurde, erhob der Theologe Hans Grewel? folgende Forderungen:?

o An die Medizin „… insgesamt eine grundlegende Besinnung auf die Grenzen des ärztlichen Heilauftrages.“

o An die Ärztekammern „…die Beschränkung ihrer Hirntodrichtlinien auf die für die Feststellung der äußersten Behandlungsgrenze bei einem sterbenden Menschen erforderlichen Kriterien. Die Bewertung dieses Befundes als «Tod des Menschen» ist ein unverantwortlicher Übergriff, in dessen Folge am Ende hirntote Menschen zu allem werden herhalten müssen, was Medizintechnologie möglich macht: als Ersatzteillager für transplantierfähige Organe, als Gebär-Apparat für Kinder, als Testkörper für pharmazeutische Experimente, womöglich als Übungsfeld für den chirurgischen Nachwuchs.“

o An die Politiker „…eine klare Parteinahme für das elementare Menschenrecht auf Schutz des Lebens (auch im Sterben) und eine klare Absage an jede Form eines Transplantationsgesetzes, das Organentnahmen ohne oder gar gegen die erklärte schriftliche Zustimmung des «Spenders» ermöglichen soll.“

o An die christlichen Kirchen „…, dass sie die skandalös einseitige und die Problematik verharmlosende Parteinahme für Organspende als Christenpflicht in der Gemeinsamen Stellungnahme «Organtransplantationen» der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland widerrufen und eine gründlichere Stellungnahme erarbeiten lassen.“

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3. Deutlich höre ich die Klage über mangelnde Bereitschaft zur Organspende.4. Oft erlebe ich überforderte Angehörige und auch medizinisches Personal, und zwar dann,

wenn in kurzer Zeit in einer emotional aufgeladenen Situation Entscheidungen getroffen bzw. herbeigeführt werden sollen.

Ein Fazit der Veranstaltung:

Es gibt neben „guten“ Gründen einer Organentnahme zuzustimmen auch „gute“ Gründe dies nicht zu tun. Die Abwägung, welche überwiegen, sollte deshalb auch dem Einzelnen überlassen bleiben.

Die Vorraussetzung für solch eine rational abgewogene Entscheidung, wäre allerdings das Wissen um die verschiedenen Argumente. Dass diese („nicht-manipulativ“) in aller Öffentlichkeit dargestellt und auch öffentlich diskutiert werden, sollte eigentlich in einer sich demokratisch verstehenden Gesellschaft selbstverständlich sein. Auch sonst gilt ja in medizinische Belangen nur der aufgeklärte Patient als der zustimmungsfähige Patient („informed consent“).

Die allgemeine Werbung für die Organspende bietet nicht wirklich Information. Denn in der «Aufklärung» der Bevölkerung nimmt die Statistik des Organmangels größeren Raum ein als die verantwortliche Information über Bedingungen und Problematik der Explantation sowie des Lebens mit fremden Organen.

Wer informiert über die ungeklärte Problematik des Hirntodes, darüber, dass ein hirntoter Mensch noch lebt - im Unterschied zu einer Leiche, die zur Obduktion freigegeben wird -, dass er von Blut durchpulst wird, dass die Beatmungsmaschine erst nach den Explantationen abgestellt wird, dass in vielen Fällen sogar mehrere Operationsteams nacheinander die für sie interessanten Organe explantieren? Und auch darüber, wie das Leben der Empfänger mit den fremden Organen aussieht, gegen die sich ihr Körper ein Leben lang wehrt, wissen die Angehörigen eines Transplantationsopfers in der Regel nichts.

Eine meiner Aufgaben innerhalb der oben erwähnten Veranstaltung auf den Kirchentag war es, Argumente und Interessen, die vertreten werden zueinander in Beziehung zu setzen.

Dabei ist deutlich: Die Fragwürdigkeit von Organtransplantationen betrifft weniger die Menschen, deren Lebensrettung oder Lebensqualitätsverbesserung durch die Implantation von Organen eines anderen Menschen bewirkt werden sollen, als vielmehr die Menschen, von denen die Organe genommen werden.

Bei den Argumenten, die die derzeit geltende Hirntoddefinition und die Organentnahmepraxis infrage stellen, habe ich mich beispielhaft auf drei international bekannte und anerkannte Wissenschaftler beschränkt. Und zwar auf: Hans Jonas (Philosoph)3, Klaus- Peter Jörns (Theologe)4 und Linus S. Geisler (Mediziner)5

3 Der vor den Nazis nach England emigrierte Philosoph, der bis zu seinem Tod dann in den USA lehrte ist vor allen bekannt geworden durch seine „Philosophie der Verantwortung“.Im September 1968, das war schon ein Monat nach der Hirntoddefinition der Harvard Kommission, veröffentlicht er dazu seine erste Stellungnahme.

4 Klaus-Peter Jörns, geboren 1939 in Stettin. Nach dem Studium der evangelischen Theologie und der Soziologie Pfarrer (1969-1978) und Lehrbeauftragter. 1978 Professor am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, 1981 Professor für Praktische Theologie und Direktor des Instituts für Religionssoziologie der Kirchlichen Hochschule Berlin, seit 1993 der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Mitglied des Ethik-Komitees des Universitäts-Klinikums Rudolf Virchow der FU Berlin.

5 Emeritierter beratender Anästhesist am Addenbrooke Hospital un assoziierter Dozent, Cambridge University, England

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Hier die Hauptargumente in einer (sehr kurzen) Übersicht:

1. Ein hirntoter Mensch ist nicht tot – er befindet sich in einem (unumkehrbaren) Sterbeprozess

Die Behauptung, hier würden Verstorbenen Organe entnommen, ist falsch. Das Hirntodkriterium selber macht dies deutlich, indem es das irreversible Erloschensein der gesamten Gehirnfunktion mit der Bedingung verknüpft, dass der gesamte übrige Organismus des Menschen durch die Beatmungsmaschine am Leben erhalten wird. Gewiss wird ein hirntoter Mensch nie mehr selbständig leben können. Aber er ist noch nicht zu Ende gestorben, hat sein Sterben noch nicht vollendet. Insofern markiert der Gehirn«Tod» die Grenze, an der spätestens die Ärzte einen sterbenden Menschen seinem Sterben, in dem er durch den Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen aufgehalten worden ist, überlassen müssen, weil für weitere Eingriffe in dieses Sterben keine Indikation vorliegt.

„Die Grenzlinie zwischen Leben und Tod ist mit Sicherheit nicht bekannt, und eine Definition kann Wissen nicht ersetzen.“ (Hans Jonas)Der Hirntod als Todesdefinition ist eine Erfindung der Intensivmedizin. Er galt  ursprünglich als der Zeitpunkt von dem an ein Mensch dem Sterben überlassen werden  darf und muss. Problematik dieser Hirntodkonzeption: Der Tod des Menschen wird an den Anfang des  Sterbeprozesses gelegt, er wird manipulierbar. Der ganze Sterbeprozess ist bei der  Organentnahme nicht abgeschlossen. Organe werden Sterbenden nicht Toten entnommen.  Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Sterbende ein Bewusstsein haben. 2. Die seelischen Dimensionen des Sterbens werden außer acht gelassen.Es wird wenig Rücksicht auf das Erleben des Sterbenden genommen. Die Transplantationspraxis zerreißt die leiblich-seelische Einheit des Menschen, macht die Sterbebegleitung unmöglich und lässt den Sterbenden zu einem Objekt des Organbegehrens werden. Weil die Empfindungen der Angehörigen von Sterbenden, die zur Organentnahme ausersehen sind, hinderlich werden können, sollen, so eine Empfehlung, diese Empfindungen möglichst ganz umgangen werden. Dazu werden sie erst einmal als Ausdruck von Überforderung desavouiert: «Allerdings sind Angehörige i. d. R. psychisch und menschlich überfordert, wenn sie ausdrücklich die Einwilligung zur Organentnahme für einen plötzlich Verstorbenen (z B Unfallopfer) bei Erhalt der Todesnachricht geben sollen. Daher ist eine gesetzliche Regelung anzustreben, wonach unter Beachtung des Willens des Verstorbenen die Organentnahme nicht von der Einwilligung der Angehörigen abhängig ist.» Was das heißt, wenn ein Mensch psychisch und menschlich überfordert ist mit der Forderung nach den Organen sterbender Angehöriger, ob darin nicht vielleicht doch ein zu respektierendes Warnsignal zu sehen ist, wird gar nicht erst der Diskussion für würdig befunden.6

3. mögliche Erweiterung des „Organbegehrens“„Wenn der Komatöse gar kein Patient, sondern ein Leichnam ist, dann ist der Weg frei für andere Verwendungen der Definition … im Prinzip geöffnet und wird in praxi beschritten werden, … dann sprechen keine logischen Gründe dagegen und starke pragmatische dafür, die künstliche Durchblutung (Lebenssimulierung) fortzusetzen und den Leib des Verschiedenen zur Verfügung zu halten – als Bank für lebensfrische Organe, möglicherweise

6 Übrigens ist der Grundgedanke eines Widerspruchsmodells von dem utilitaristischen Philosophen Peter Singer für die Entsorgung der immer zahlreicher und immer älter werdenden alten Menschen vorgeschlagen worden, von denen er für den Fall wachsender Pflegeabhängigkeit Selbsttötung oder wenigstens die Einwilligung darein erwartet, von der Gesellschaft getötet zu werden - schmerzlos natürlich. Für den Fall, dass jemand dennoch zu Ende gepflegt werden wolle, möge er beizeiten eine Widerspruchserklärung verfügen und dokumentieren.

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auch als Fabrik für Hormone und andere biochemische Substanzen, nach denen Bedarf besteht.“ (Hans Jonas)II. Entscheidungen treffenDie rasante Entwicklung von Wissenschaft und Technik eröffnet uns in den verschiedensten Bereichen unseres Lebens (Medizin, Raumfahrt, Kommunikation, Handel ...) ständig neue Möglichkeiten. Gleichzeitig wirft sie damit aber auch eine Unmenge von neuen moralischen Problemen auf.

Zeitgleich mit dieser Entwicklung sind manche ältere moralische Ordnungen, aufgebaut auf allgemein anerkannten Glaubensregeln, ins Wanken geraten. Das erschwert es, moralische Entscheidungen zu treffen. Dazu kommt, dass in den entwickelten Gesellschaften alle Entscheidungen in einem pluralistischen Klima getroffen werden müssen Es scheint, dass im moralischen Klima von heute nie Einigkeit über Richtig und falsch erzielt werden kann.

Nicht selten entarten Auseinandersetzungen über die richtige Entscheidung in gegenseitigen Verletzungen und Vorwürfen. Statt Klärungen, hinterlassen solche Auseinandersetzungen dann nur noch größere Unsicherheiten. Wenn viele Diskussionen z.Z. in einem emotional aufgeheizten und intoleranten Klima geführt werden, so lässt das erkennen, wie erschwert die gegenwärtigen Umstände sind, unter denen moralische Entscheidungen getroffen werden müssen. Manche lässt diese Situation verzweifeln, andere suchen nach hilfreicher Unterstützung.

Am ehesten sind Denkanstöße und Unterstützung wohl von der Ethik zu erwarten. Versteht sie sich doch als Wissenschaft vom moralischen Handeln und fragt unter anderem danach, wie moralische Entscheidungen zustande kommen. Sie sagt nicht, was das Gute in concreto ist, sondern wie man dazu kommt, etwas als gut zu beurteilen.

Unser Alltag grundsätzlich lässt sich u.a. auch als eine dauernde Abfolge von Entscheidungen verstehen. Dabei sind Entscheidungen zielgerichtete Tätigkeiten, bei denen aus mehreren Handlungsmöglichkeiten eine Variante ausgewählt wird. Indem ich nun aber eine Handlungsalternative wähle und verwirkliche, schließe ich andere, die ich auch hätte wählen können, aus. Und damit enthält jede Entscheidung auch ein Moment des Verzichts. Ein Verzicht, der in manchen Fällen zu Unlust führen kann.

Dabei sind Entscheidungen unausweichlich. Auch wenn ich eine Handlung unterlasse habe ich eine Entscheidung gefällt: Die Entscheidung in dieser Sache nichts zu unternehmen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wer darum auf bewusstes Handeln (Leben) nicht verzichten will, steht unausweichlich vor der Frage nach dem richtigen Handeln.

(Beispiel: Restaurant MenüSituationen 1: Entscheidung zwischen genießbar und ungenießbar - einfachSituationen 2: Entscheidung zwischen wenig schmackhaft und grässlich Situationen 3: Entscheidung zwischen verlockend und verlockend - schwer)

Zwischen die Situation, die eine Entscheidung herausfordert und dem Entschluss wird in der Regel eine Phase der Überlegung, bzw. Besinnung eingeschoben. Es wird nach Kriterien gesucht, die eine Entscheidung erleichtern. In unseren Beispiel: Preis (Wert) / mein Gewicht, Gesundheit (Folgen) / Lust (Wohlbefinden) / Kellner (Autorität) / Zufall ...

Im vormenschlichen Leben werden Entscheidungen ebenso wie das übrige Verhalten im Wesentlichen durch Instinkte gesteuert. Die Verhaltensforschung (Eibl-Eibisfeld, Konrad

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Lorenz) macht darauf aufmerksam, dass auch die Instinktausstattung der heute lebenden Menschen äußerst beachtenswert ist. Allerdings erweist sich das Instinkterbe als einer urtümlichen Lebensweise angepasst, von der sich der Kulturmensch weit entfernt hat. Unsere biologische Entwicklung konnte mit der kulturellen Schritt halten.7 So können Handlungen, die aufgrund solcher Instinktreste erfolgen sich gigantisch übersteigen (Möglichkeiten eines Atomkrieges, Umweltzerstörung) oder sich als überfordert erweisen hochkomplexe Sozialsysteme zu regulieren.

Wenn es darum geht im Alltag Entscheidungen zu fällen, reicht es in der Regel aus, sich auf das zu beziehen, was wir mit Intuition oder auch Gefühl umschreiben. Schwieriger ist die Situation dort, wo es um schwerwiegendere Entscheidungen geht. Also um solche, deren Folgen einen großen Einfluss auf meine Lebensumstände haben. Beispiele: Beruf, Partner, Wohnort ...

Eine sittliche Dimension bekommen Entscheidungen dort, wo die Bedürfnisse und Lebensräume anderer Existenzen (Menschen, belebte und unbelebte Mitwelt) mit berührt werden.

Ein Mensch handelt dann sittlich verantwortlich, wenn er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten bemüht, die für eine Entscheidung relevanten Gesichtspunkte zu finden und wenn er imstande und bereit ist darzulegen, wie und aus welchen Gründen er im Rahmen der objektiven Vorraussetzungen wichtet.

In der Regel schalten wir in solchen Situationen eine „Bedenkzeit“ ein. Eine Zeit in der wir auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Methoden die Alternativen unseres Handelns abwägen.

Vielleicht beraten wir uns mit jemanden, den wir in diesen Fragestellungen für kompetent erachten. Das kann auch in der Form geschehen, dass wir nachlesen, was andere (für uns als kompetent erachtete) zu dieser Fragestellung geschrieben oder gesagt haben.

Möglicherweise fragen wir nach den möglichen Folgen. Oder wir rechnen durch, welche Entscheidung den größeren Nutzen verspricht. Eventuell gibt es auch einen Moralkodex, den wir als Handlungsorientierung heranziehen.

Den Koran etwa, die Bibel oder das BGB.

In jedem Fall ist die „Bedenkzeit“ vor einer schwerwiegenden Entscheidung eine Zeit dichter Kommunikation. Wenn nicht äußerer (in dem Sinne, dass ich mich mit anderen berate) dann doch innerer (in dem Sinne, dass ich denkend mit mir rede).

III. Argumente und ArgumentationsstrategienUm der Gefahr einer Manipulation oder Irreführung zu entgehen, sollten in dieser „Bedenkzeit“ alle (moralischen) Argumente einzeln unterschieden und klassifiziert, sowie auf ihre Stichhaltigkeit und Wahrhaftigkeit überprüft werden. Nach Hastad/Martens (1966, S.19) ist „der charakteristische Ort ethischer Argumentation ... das Gespräch (...) unter erwachsenen, handlungsfähigen, voll verantwortlichen Personen mittleren Alters (...), die die moralische Erziehung hinter sich haben (...).“ Um argumentieren zu können, sollte man zurechnungsfähig sein und die Fähigkeit besitzen, Verantwortung für seine Handlungen übernehmen zu können.

Ziele von Argumentationen können sein:

1. Die/den Gesprächspartner von getroffenen sittlichem Urteilen zu überzeugen,2. In einem Problem, Dilemma, Konflikt gemeinsam zu einem sittlichem Urteil zu finden.

7 Beispiel: Schreckreaktion (Klumbies, Psychotherapie s.15-16)

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3. Sich beraten zu lassen mit dem Ziel, " sich in im Geflecht der eigenen Motive, Einsichten, Rationalisierungen und Ängste so zurecht zu finden, dass man zu einer Handlung oder Unterlassung dergestalt schreiten kann, dass man mit ihr in der Zeit lässt möglichem Einklang steht, auch wenn sie einem partielle weh tut“ (Hasted/Martens 1966, S.21).

Das Ziel ethischer Argumentation ist die Verbesserung von Verantwortlichkeit. Einerseits bedarf es der persönlichen Betroffenheit, andererseits einer Distanz im rationalistischen Sinne. Je mehr es rational zu einer Aussperrung statt zu einer Integration von Argumenten kommt, desto mehr besteht die Gefahr der Selbsttäuschung oder Verschleierung der ursprünglicheren Triebkräfte der Argumentation.(Hasted/Martens 1966)

In ihrer Ausgabe vom 6. Juni auf Seite 2 im Artikel „Neuere Vorstoß zur Organspende“ heißt es in der LVZ: „Alle acht Stunden sterben nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation drei Menschen, weil sie kein Organ bekommen.“Zu fragen ist (wie bei aller Argumentation) wie stichhaltig und logisch sind die Verknüpfungen, die in dieser Aussage hergestellt werden?Sterben diese Menschen wirklich, weil sie nicht rechtzeitig ein Ersatzorgan bekommen? Sterben sie nicht vielleicht deshalb, weil ihr Körper ihnen den Dienst versagt oder weil eine vergiftete Umwelt sie so schwer geschädigt hat, dass sie nicht weiterleben können? Lässt sich denn einen Anspruch geltend machen auf die Organe anderer Menschen? IV. Im Spannungsfeld konkurrierender BedürfnisseSinnvoll und notwendig erscheint es, sich bewusst zu machen, welche unterschiedlichen Ansprüche und Bedürfnisse vorliegen und z.T. miteinander konkurrieren. Das soll im Folgenden geschehen.Dabei wird wichtig sein, nicht den einen Bedürfnissen gegenüber den anderen von vorn herein einen höheren Rang zuzuordnen, sondern das entstehende Spannungsfeld als ein Spannungsfeld wahrzunehmen. In einem nächsten Schritt sollte man dann danach fragen, welche Werte/ sittliche Güter oder ethische Prinzipien berührt werden um dann in einem dritten Schritt eine persönliche Entscheidung zu fällen.

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5.1. Leidender, der empfängt

In der Regel wird das Schicksal von Organ-Empfänger vorgestellt, deren Lebensqualität sich durch die Transplantation erheblich verbessert hat.

An dieser Stelle soll es nochmals wiederholt werden: Die Fragwürdigkeit von Organtransplantationen betrifft nicht die Menschen, deren Lebensrettung oder Lebensqualitätsverbesserung durch die Implantation von Organen eines anderen Menschen bewirkt werden soll.

Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass Transplantierte schwerkranke Patienten mit zum Teil drastischen Einschränkungen ihrer Lebensqualität (und auch Lebenszeit) bleiben. Wenn dies nicht kommuniziert wird, werden Erwartungen und Hoffnungen erweckt, die so nicht zu erfüllen sind.

Claudia Kotter, Empfänger

Isolde Zinkl,Wartelisten-Patientin

Joachim Breiter, Wartelisten-Patient

Fynn Gabriel ReutherEmpfänger

Angelika BreuerEmpfängerin

Tanja LutzEmpfängerin Hannes Camin

Empfänger

Karlheinz SchmidEmpfänger

„Die Entscheidung für eine Organspende ist eine Entscheidung für das Weiterleben eines Mitmenschen. Sagen Sie Ja zum Leben, sagen Sie Ja zur Organspende!“

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Jeder transplantierte Patient muss lebenslang Medikamente einnehmen, um das eigene Immunsystem zu unterdrücken (Immunsuppression). Dadurch wird das neue Organ vor der Abstoßung geschützt. Dabei greifen diese Medikamente auf sehr unterschiedliche Weise in das Immunsystem ein. Sie sind zwar sehr effizient,  haben aber auch häufig Nebenwirkungen, die sich auf die Lebensqualität des Einzelnen auswirken. Da diese Medikamente auch die Abwehr von Infektionen schwächen, sind die damit behandelten Transplantatempfänger besonders anfällig für bakterielle, virale (CMV, HSV, HHV 6) und fungale (Aspergillen, Candida) Erkrankungen. Gewisse Krebserkrankungen wie das Kaposi-Sarkom auf der Haut und die Lymphoproliferative Erkrankung nach Transplantation (PTLD) des lymphatischen Systems treten vermehrt auf.

Der britische Zoologe Sir Brian Medawar beschrieb in den 40er Jahren als erster die immunologischen Grundlagen der Abstoßung fremden Gewebes nach einer Transplantation. 1958 wurde das sogenannte HLA-System (Human Leukocyte Antigen-System) entdeckt. Mit seiner Hilfe unterscheidet das Immunsystem anhand spezifischer, ererbter Merkmale zwischen fremdem und eigenem Gewebe. 1962 wurde dann erstmals Gewebe von Spender und Empfänger typisiert. Um die Abstoßungsreaktion nach der Operation zu minimieren, werden Organe nur zwischen Personen transplantiert, die eine möglichst ähnliche Gewebetypisierung aufweisen. Zunächst versuchten Transplantationsmediziner, die Abstoßungsreaktion nach einer Transplantation mittels radioaktiver Bestrahlung zu verhindern. Bei den ersten Versuchen starben jedoch viele Patienten, weil die Strahlung den gesamten Körper schädigte.

Erst in den 1960er-Jahren entwickelten amerikanische Wissenschaftler Arzneimittel zur spezifischen Unterdrückung der Immunabwehr (Immunsuppressiva). Davor wurden bei transplantierten Patienten Kortison und Azathioprin eingesetzt.

Gut ein Jahrzehnt später gelang Forschern der Durchbruch, weil sie  die immunsuppressive Wirkung eines Pilzes in Bodenproben aus Norwegen entdeckten. Allerdings ist eine dauerhafte Immuntoleranz, d. h. die Abwesenheit einer transplantatspezifischen Immunreaktion ohne dauerhafte Unterdrückung des Immunsystems, bis heute durch Medikamente nicht erreichbar.

In einer kollektiven Studie (Collaborative Transplant Study) werden die Ergebnisse aus 400 Transplantationszentren in 45 Ländern zur Transplantation von Niere, Herz, Lunge, Leber und Bauchspeicheldrüse zusammengefasst und ständig aktualisiert.

Übrigens können Transplantationen, insbesondere allogene, können schwere psychische Belastungen nach sich ziehen. Infolge dessen entstand eine eigene Richtung der Psychiatrie - die Organ Transplantation Psychiatry (kurz OTP)8.

8 Anna Bergmann. Der entseelte Patient: Die moderne Medizin und der Tod, ISBN 978-3351025878

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5.2. Verteilendes Transplantationszentrum

Ein Transplantationszentrum ist eine interdisziplinäre Einrichtung zur Übertragung von Spenderorganen. Es ist entsprechend dem Transplantationsgesetz zugelassen und handelt nach dessen Vorschriften. Aufgaben der Transplantationszentren sind gemäß § 10 des deutschen Transplantationsgesetzes:

Führung von Wartelisten Organübertragung Dokumentation der Organübertragung Psychische Betreuung der Patienten im Krankenhaus vor und nach der

Organübertragung Nachbetreuung von Organspendern

Das Interesse, möglichst vielen Schwerkranken Organe zur Verfügung zu stellen und dies auch zu können, steht in Spannung zu den zur Verfügung stehenden Organen. Dabei haben die verteilenden Zentren allerdings den stärksten Zugang zu Öffentlichkeit und Gesetzgebung. Zu fragen ist nun aber auch, inwieweit es für sie eine Aufklärungspflicht gibt und sie dieser nachkommen.

Einwilligung setzt (und so wird es auch in allen anderen medizinischen Belangen gefordert) Wissen voraus. Deshalb, so ist es üblich, müssen Patienten über Reichweite und Bedeutung ärztliche Maßnahmen aufgeklärt werden. Fehlende Einwilligungen haben dabei z.T. weit reichende Konsequenzen.9 Bundesweit zuständig für die Organ-Akquisition und alle Koordinierungsaufgaben, für den gesamten Organspendeprozess einschließlich Transport ist seit 2000 die Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO, 1984 gegründet).

Organvermittlungszentrale ist die Stiftung Euro-Transplant (ET) in Leiden. Bei ihr wird jeder potenzielle Organempfänger mit allen seinen Daten für den Abgleich mit den Spenderorganen auf einer gemeinsamen Warteliste der ET-Mitgliedsländer geführt, also Deutschland, Beneluxländer, Österreich, Slowenien, Kroatien.10 Die Arbeit von DSO und ET wird von den Krankenkassen finanziert. Der Spitzenverband der deutschen Krankenkassen (GKV), die deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Bundesärztekammer (BÄK) handeln jedes Jahr die Rückvergütung an DSO11 aus. Im Jahr 2011 war das für jedes vermittelte Organ 8.765 Euro, inklusive der Kosten für die Hirntoddiagnostik.

Weiterhin erhält sie auch eine Registrierungspauschale von 625 Euro für jeden Spender, der auf die Liste kommt. Für die Berechnung der Pauschalen für 2011 wurden 4.275 transplantierte Organe

9 abgeleitet aus § 823 Abs.1 1 BGB

10 Euro-Transplant hat 1999 ein Programm aufgelegt für Senioren, nämlich: ,Old for Old', es heißt so, weil Spender und Empfänger über 65 sein müssen, um daran teilnehmen zu können.

11 ,Organisationspauschale'

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unterstellt. Das Gesamtbudget der DSO besteht aus den Komponenten Organisationspauschale, Aufwandserstattung für Spenderkrankenhäuser sowie der Finanzierung der Kosten für den Organtransport per Flugzeug. In der Summe ergibt sich ein Zahlbetrag von 8.765 Euro je transplantiertem Organ, für das kein eigenständiger Flugtransport durchgeführt wurde. Wenn ein eigenständiger Flug durchgeführt wurde, erhöht sich der Zahlbetrag auf 15.496 Euro je transplantiertem Organ.12

Die DSO hat in vielen Krankenhäusern Koordinatoren, die mit den Angehörigen von hirntoten Patienten zu sprechen, um sie zur Einwilligung in die Organentnahme zu bewegen.

Spenderkliniken, die mit der DSO kooperieren bekommen für ihre Dienstleistungen Anreize in Form von Vergütungen. Über ein Modulsystem ergeben sich folgende Pauschalen:

Für die Aufrechterhaltung des Kreislaufs etc.1.351 Euro.

Für eine Einorganentnahme: 2.226 Euro (beide Nieren gelten als 1 Organ).

Für Multiorganentnahme: 3.587 Euro.

Abbruch während der Intensivstationsphase wegen Ablehnung: 213 Euro.

Abbruch während der Intensivstationsphase nach Zustimmung: 1.351 Euro.

Der Abbruch im OP: 2.226 Euro.

Die Transplantationen werden, wie alle Krankenhausleistungen, über Fallpauschalen abgerechnet.13

Zu beachten ist weiterhin: Organempfänger benötigen ihr Leben lang (hochpreisige) immunsuppressive Medikamente, damit das fremde Organ nicht abgestoßen wird. Die Transplantationsärzte entscheiden in aller Regel ein für alle Mal, mit welchen Mitteln der Patient von ihnen entlassen wird, welche er sein ganzes Leben lang nehmen wird.

Es gibt eine Statistik, was der Konsum dieser Mittel kostet, und das liegt bei 1 Milliarde 600 Millionen im Jahr.

Das ist das eigentliche, das riesige Geschäft, das aus der Transplantationsmedizin gespeist wird. Und da die immunsuppressiven Mittel starke Nebenwirkungen haben, werden zusätzliche Medikamente notwendig, oft auch ein weiteres Organ.

12 Stand 201113 Pauschalen für 2011 am Beispiel NRW

o eine Transplantation von Leber, Herz, Lunge samt Knochenmark oder Stammzellinfusion und 999 Stunden Beatmung bis zu 215.000 Euro, aufgerundet.

o Eine Lungentransplantation mit Beatmung 140.000 Euro. o Eine Nierentransplantation mit Komplikationen - postoperatives Versagen - etwa 25.000 Euro.

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5.3. An- und Zugehörige

In der öffentlichen (überwiegend werbenden) Darstellung werden vor allem drei Argumente vorgebracht.

Was allerdings sehr oft vernachlässigt wird:

Während der Verstorbene er für ferner Stehende zum Leichnam geworden ist bleibt er über seinen (Hirn-) Tod hinaus für die An-Verwanten weiterhin Person.

Waltraud KasparAngehörige:

„Durch die Organspende hat der Tod meines Mannes wenigstens noch einen Sinn, insofern dass andere Menschen weiterleben können und das empfinden meine Kinder und ich als sehr tröstlich. Es ist fast wie ein Lebenszeichen meines Mannes."

„Die Tatsache, dass es der Organempfängerin gut geht und ein Teil meiner Schwester in ihr weiterlebt, empfinde ich als großen Trost.“

Rolf LohmannAngehöriger

Olaf WulfesAngehöriger

"Vier Tage nach dem Tod unseres Sohnes kam der Anruf, dass vier Empfänger fünf Organe erhielten. Das war für mich ein euphorischer Moment - in einer traumatischen Situation. … Organe sind das größte Geschenk, das man jemandem machen kann. "

Sinn Kontinuität Solidarität

… Während der Hausaufbahrung, die zumindest 24 Stunden dauern soll, darf der Verstorbene keine Sekunde allein gelassen werden. In Gegenwart des Toten darf weder gegessen noch getrunken werden. Männer und Frauen wechseln sich bei der Totenwache ab.

Die Trauerrituale der Roma zielen darauf ab, der Schmerzbewältigung keine Grenzen zu setzen. Auf den Verstorbenen abgestimmte musikalische Darbietungen sowie persönliche Gegenstände, die ins offenen Grab geworfen werden, schaffen eine zusätzliche emotionelle Nähe zum Verstorbenen.

Zwiesprache am Grab

In Teilen der (kirchlichen) Bestattungszeremonie wird der Verstobene als Person angespochen: „Von Erde bist DU genommen; zu Erde wirst DU wieder werden.“

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Neben den Angehörigen, die Organentnahmen eindeutig befürworten gibt es eine nicht unbedeutende Anzahl, die diese nachträglich doch sehr infrage stellen. Vor allem wird dabei die fehlende Möglichkeit, die Sterbenden in ihrem Sterbeprozess bis zuletzt zu begleiten bedauert.

Renate Greinert gab ihren 15jährigen Sohn als Organspender frei. Später veröffentlichte sie die Broschüre Organspender - nie wieder14. Frau Greinert schreibt u. a.: "Ich gab den Kampf um meinen Sohn auf. Eine ungeheuerliche Situation: Ich wende mich von meinem Kind ab, das warm ist, lebendig aussieht und behandelt wird wie ein Lebender, weil der Arzt sagt, mein Kind ist tot." Statt ihrem eigenen Empfinden hatte sie den Ärzten vertraut. Doch ihr Vertrauen wurde auf eine Probe gestellt: "Und dieses Vertrauen in die Aussagen der Mediziner in der Frage der Organspende besteht die Probe nicht."

Als sie ihren Sohn vor der Beerdigung noch einmal sieht, erinnert er sie "an ein ausgeschlachtetes Auto, dessen unbrauchbare Teile lieblos auf den Müll geworfen wurden". Die Mediziner hatten ihrem Sohn Herz, Leber, Nieren und die Augen entnommen, sogar die Beckenkammknochen hatte man aus dem Körper herausgesägt. "Zerlegt in Einzelteile war er dann über Europa verteilt worden. Er war zum Recyclinggut geworden." Sie spricht mit Eltern, deren Kinder ebenfalls zu Organspendern gemacht wurden. Und ihre innere Position wandelt sich: von ihrem Ja, "um noch mehr Tod" zu verhindern, zu einem radikalen Nein und zum Recht auf ein Sterben in Würde.

Ein Schuldgefühl, zu früh aufgegeben zu haben, macht sich breit, "denn was verlassen wurde, war ein Lebender, kein Toter". Andere Mütter erzählen ihr von nächtlichen Albträumen, in denen ihre Kinder schreien und ihnen vorwerfen, sie verlassen zu haben. Und genau das hat auch sie getan.

Nicht Angehörige waren damals Sterbebegleiter, sondern das Transplantationsteam, das anreist, um sich der Organe zu bemächtigen. Und sie fragt: "Haben unsere Kinder etwas empfunden, als man sie vom Kinn bis zum Schambein aufschnitt, ihre Körperhälften wie eine Wanne auseinander spreizte, um sie mit eiskalter Perfusionslösung zu füllen?" Die Gewissheit, dass ihr Sohn nicht tot war, sondern erst im Sterben lag, erfüllt sie mit Angst und Entsetzen: "Es ist nicht zum Aushalten. Wir finden keinen Weg aus der Schuld." Die Frau ahnt, dass die Seele die Schmerzen des furchtbaren Eingriffs empfunden hat.

"Was würde ich tun, wenn einem meiner Kinder mit einer Organspende geholfen werden könnte?" fragt Frau Greinert an anderer Stelle. "Würde ich dann wenigstens ein Organ von mir hergeben?" Ihre Antwort lautet immer wieder "nein". "Ich liebe meine Kinder, meine Familie, wie jede Mutter und Frau es tut." Würde eines ihrer Kinder ein Organ brauchen - ihr fielen sofort die vielen Organempfänger wieder ein, die sie im Laufe der Jahre kennen lernte. Erschreckend, ein Leben lang mit einem unsichtbaren Band an einen Transplantationsmediziner gekettet zu sein; die vielen Nebenwirkungen durch die Medikamente, die die Abstoßung verhindern sollen und die noch gesunden Organe schädigen. "Ich fühle mich auch nicht als Ersatzteillager für meine Kinder: ... Im Extremfall hätte ich eine Niere, ein Stück meiner Leber und vielleicht zwei Hornhäute abzugeben. So verstehe ich aber meine Aufgabe und Pflicht als Mutter nicht. Immer würde ich sie auf Krankheitswegen begleiten und sie unterstützen, bis zum Tode." Würde sie nicht wenigstens eine Niere abgeben, da hört man doch viel Positives? "Nein, auch das nicht, ich halte das Leben eines Dialysepatienten nicht für leicht, aber ich beneide auch keinen Nierentransplantierten, der voller Pilzinfektionen steckt." 15

14 erhältlich bei der emu-Verlags- und Vertriebs-GmbH, Taununsblick 1a, 56112 Lahnstein15 ausführlichere Bericht von Renate Greinert siehe unter http://www.kirchentag2005.de/presse/dokumente/dateien/P09_1_616.pdf)

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5.4. „Spender“Vergessen wird oft, dass die potentiellen „Spender“ zum großen Teil erst einmal „Opfer“ sind. So opfern wir unserer Flexibilität im Straßenverkehr jährlich eine Unmenge von Menschen. Diese „Opfer“ stellen den größten Teil derer dar, die für die Organspende infrage kommen. Die nächste Gruppe ist dann die der Suicidanten. Also derer, die oft an und in dieser Gesellschaft gescheitert sind für die sie jetzt spenden „sollen“.

Das Hauptargument gegen eine mögliche Organentnahme ist die, dass diese bei einem Sterbenden erfolgt. Also einem Menschen, der sich zwar in einem unumkehrbaren Prozess zum endgültigen Tod befindet aber trotzdem noch lebendig ist.

Für die Transplantation müssen die Organe noch durchblutet sein, damit die Chirurgen sie bei der Entnahme so präparieren können, dass sie den Weg zum Empfänger überstehen.

Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass „Hirntote“, denen Organe entnommen werden sollen noch Empfindungen haben können. Warum wohl werden denn sonst dem „Spender“ während der Organentnahme Schmerzmittel verabreicht?

Dabei ist der Hirntod im Krankenhaus alles andere als wahrscheinlich: Von 900.000 Todesfälle im Jahr sterben in Deutschland circa 400.000 im Krankenhaus. Davon werden nur 1 Prozent, also 4000 Menschen, überhaupt als hirntot diagnostiziert. Das heißt weniger als 0,5 Prozent aller Todesfälle kommen überhaupt als Spender in Frage, unabhängig davon, ob sie zu Lebzeiten dafür oder dagegen waren. Von diesen 4000 wurden 2008 nur knapp 1200 tatsächlich zu Spendern, weil nur bei diesen die Organe noch in gutem Zustand waren und die Angehörigen der Organentnahme zugestimmt haben.

Über die Bedingungen und Konsequenten, aber auch mögliche Gegenargumente für Eingriffe wie sie z.B. auch Organentnahmen darstellen, ist der Patient bzw. sind die Angehörigen aufzuklären. Wenig konkret fassten das einige Juristen und Ärzte kürzlich zusammen: „Dabei obliegt es einzig Arzt und Patienten, im Rahmen des Wollens und der Möglichkeiten vorzugeben, was, wie viel und auf welche Art etwas gesagt wird … solange die übliche Information, die Minimalstandards abdeckt, vermittelt wird.“16

Auf einen anderen Aspekt weist das Gegen-Hartz-Forum hin indem es sich auf ein Interview mit dem Professor für Volkswirtschafts an der Universität Bayreuth, Peter Oberender im “DeutschlandRadio Kultur bezieht. Prof. Oberender: „Wenn jemand existenziell bedroht ist, weil er nicht genug Geld hat, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu finanzieren, muss er meiner Meinung nach die Möglichkeit zu einem geregelten Verkauf von Organen haben.“

5.5. Handelndes Ärzte- und Pflegeteam

In erster Linie kann man davon ausgehen, das sich alle bei Organentnahme und Transplantation beteiligten dem Leben verpflichtet fühlen (in dubio pro vita).

Grundlage ihrer Entscheidungsfindungen und ihres medizinischen Tuns ist der ärztliche bzw. medizinische Heilungsauftrag.

Dieser kann folgendermaßen beschrieben

16 Gerald Giebel et al., Das Aufklärungsgespräch zwischen Wollen, Können und Müssen, NJW 2001, 386

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werden:

• „Beneficience“ (zum Wohl des Kranken handeln)• „Non-maleficience“ (keinen Schaden verursachen, • „Justice“ (Gerechtigkeit walten lassen)• „Autonomy“ (den Willen des Kranken respektieren).• „Dignitiy“ (die Würde des Kranken beachten)• „Care“ (Fürsorge dem Kranken gegenüber).

Wenn der Hirntod eines Menschen festgestellt wird, dann wird ein Mensch, der gerade noch Patient war, in einen Verstorbenen, verwandelt. Gerade noch hatte der Verstorbene seinen Namen, seine Angehörigen, seine Lebens- und Sterbegeschichte. Wenn dieser verstorbene Spender dann in eine Leiche verwandelt wird, geschieht dadurch, dass alles abgeblendet wird, was diesen Menschen zur Persönlichkeit gemacht hat.

Diese Verfahrensweise ist notwendig, um selbst gesund zu bleiben und ist so im Anatomiekurs bei der ersten Leichenöffnung den Medizinstudenten beigebracht worden.

In der Regel löst diese Arbeit keine Trauer aus, wohl aber bedeutet sie eine Begegnung mit Toten und mit dem Tod. Nach den immer noch geltenden Ausbildungsparadigmen der Medizin ist die Begegnung mit dem Tod und deren Verarbeitung reine Privatangelegenheit derer, die die Medizin erlernen wollen.

Bei allen „Abspalten“, so die Erfahrung17 bleibt der Eingriff in den „Spender“ ein hochemotionales Ereignis.

Exkurs: Die (mögliche) Überbewertung von menschlichen Organen und Körperteilen

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass mit der Verwendung von menschlichen Organen und Körperteilen immer schon große Hoffnungen und Erwartungen an Heilungsprozesse verbunden waren. Natürlich ist das historische Material fragmentarisch und lückenhaft. Wir können allerdings trotzdem mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass der

17 Untersuchungen aus den USA (Penney 1980, Penney 1987) zeigen, dass bei Studenten löst innerhalb des Anatomiekurses (erste Leichenöffnung) eine Fülle von psychischen und physischen Reaktionen ausgelöst werden: - Angst (bei 75%) bis Horrorvorstellungen (bei 11%), - Ekel bis Abscheu,- Übelkeit, Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, Albträume,- bei 40% tieferes Nachdenken über das menschliche Leben, - bei 80% wurden Gedanken über Tod, Trauer und Sterben ausgelöst,

67% haben ihre Einstellung während des Kurses verändert: Sie würden sich z.B. selbst nicht als Spender zur Verfügung stellen,

- 64% der Studenten fanden, dass sie emotional nicht genügend auf diese Erfahrung vorbereitet worden seien.

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menschliche Körper und seine Teile immer schon bis weit in unsere Vorgeschichte hinein als „Rohstoff“ genutzt wurde.

Die ausführlichsten Nachweise bestehen für die Gewinnung und die Verwendung von Menschenfett zu medizinischen Zwecken. Ganz selbstverständlich wurde zwischen dem 15. und frühen 18. Jahrhundert durch Auskochen von Leichen gewonnenes Fett als Mittel zur Wundversorgung genutzt.18

Dieses Fett wurde in den Apotheken damals auch als „Armsünderschmalz“ bezeichnet, weil es von Hingerichteten stammte.19

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts belieferte der Münchner Scharfrichter die städtischen Hebammen mit „claine Stuckl Menschenheuttl“. Solch ein Stück Menschenhaut auf den Körper von Schwangeren gelegt, wurde als Geburtshilfsmittel benutzt.

Bekannt ist auch, dass europäische Apotheken ab dem 15. Jahrhundert ihren Kunden „mumia“, das Fleisch ägyptischer Mumien als hochgeschätzten und seht teuren Bestandteil von Medikamenten an boten.

In medizinischen Standardwerken des 16. und 17. Jahrhunderts erscheint menschliches Fett ebenso wie Haut, Hirn, Herz und Knochenmark.20

Ab dem 18. Jahrhundert waren es dann nicht mehr nur Leichen von Hingerichteten, die verwertet wurden, sondern auch die der mittellosen

Armen, die in den Hospitalen starben.

Eine lange Tradition hat auch die Verwendung von Reliquien nicht nur zur Verehrung sondern auch zu medizinischen Zwecken. Vor allem im Mittelalter wurden ihnen viele Wunder (miracula) zugesprochen. Die großen Erwartungen, die den heilenden Wirkungen zugeschrieben wurden lösten damals eine allgemeine Suche nach Reliquien von Heiligen, insbesondere solchen von Märtyrern, aus. Dabei schreckte man auch vor Entwendungen der heiligen Leichname (corpora sanctorum) nicht zurück.21

Was auffällt ist, dass über Kultur- und Zeitgrenzen hinweg menschlichen Organen und Körperteilen Wirkungen zugesprochen worden sind, die weit über alles Erfahr- und Nachweisbare hinaus gegangen sind. Könnte sich dieser Mythos vielleicht auch in anderem Gewand erhalten haben? Transplantationsversuche

Schon im Mittelalter versuchten Ärzte, bei Menschen mit Verunstaltungen Haut zu transplantieren. Erfolgreich war das damals aber nicht. Im Jahr 1883 verpflanzten Mediziner Schilddrüsengewebe, um Menschen mit einer Schilddrüsenmangelerkrankung zu therapieren. Im frühen 20. Jahrhundert war die Organtransplantation schließlich als Therapiemöglichkeit anerkannt. Mediziner begannen mit der Erforschung der Nierentransplantation.

Tierorgane im Test

Ein erster Schritt war, Organe von Tieren auf Menschen zu übertragen. Dies glückte allerdings nicht, die Gründe dafür lagen damals noch im Dunkeln. Vorreiter bei der Aufklärung der Ursachen war der

18 Andreas Vesalius: „De humani coporis fabrica“ 154319 Der Nürnberger Rat erlaubte etwa 1580 dem Scharfrichter Franz Schmidt, „den enthaupteten cörper zu schneiden, und ime zu seiner arznei dienstlich zu nehmen“20 Jütte, „Menschliche Gewebe und Organe“21 Beschrieben z. B. in dem von Einhard verfassten Translationsbericht über die Überführung der Heiligen Marcellinus und Petrus von Rom nach Michelstadt-Steinbach

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amerikanische Chirurg Alexis Carrel. Eine Gewebeverpflanzung innerhalb eines Individuums funktionierte, so stellte er bei seinen Versuchen fest. Der Transfer eines Organs zwischen zwei Individuen scheiterte dagegen - das Organ wurde abgestoßen. Diese Reaktion ließ sich zunächst nicht in den Griff kriegen, und die Organtransplantation wurde auf Eis gelegt.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erforschten Wissenschaftler die Transplantation weiter. In den USA wurden Anfang der 50er Jahre eine Reihe menschlicher Nieren verpflanzt. Mensch und Transplantat überlebten die Transplantation aber nur wenige Tage.

Erste Erfolge

Im Jahr 1954 wurde in den USA die erste Niere bei eineiigen Zwillingen erfolgreich transplantiert. Die Gewebeeigenschaften haben hier die größtmögliche Ähnlichkeit. Der Mann mit der neuen Niere lebte noch achte Jahre nach der Transplantation und erlag dann einem Herzinfarkt.

1963 wurden die erste Leber und die erste Lunge erfolgreich transplantiert. Zwei Jahre später verpflanzen Mediziner die erste Bauchspeicheldrüse.

Weltweit Furore machte die erste Herztransplantation 1967, die der Herzchirurg Christiaan Barnard in Südafrika durchführte - der Patient überlebt 18 Tage.

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Religiöse Positionen zur OrganentnahmeChristentum

Die christlichen Kirchen haben zur Organspende positiv Stellung genommen und sagen: Organspende ist ein Akt der Nächstenliebe, der jedem Christen gut zu Gesicht steht. Sich zu Lebzeiten für die Organspende bereit zu erklären und als Angehöriger der Organentnahme zuzustimmen, bewerten die christlichen Kirchen als moralisch verantwortliches Handeln. Es gibt allerdings auch eine Reihe renommierter Theologen22, die die Organentnahme bei Sterbenden kritisch sehen und eine Überarbeitung der Stellungnahme der Kirchen fordern. 23

Islam

Da es im Islam verschiedene Glaubensrichtungen gibt, herrscht kein einheitliches Meinungsbild zum Thema. Traditionell geprägte islamische Würdenträger sind noch heute gegen die postmortale Organspende, da der Körper Allah gehöre und ihrer Auffassung nach nicht verletzt werden dürfe. Der moderne Islam dagegen erlaubt die Organspende und sieht sie als Zeichen der Nächstenliebe, sofern die Organspende die einzig lebensrettende Maßnahme für den Empfänger bedeutet. Die religiösen Gesetzestexte von verschiedenen islamischen Ländern verlangen wie im deutschen Transplantationsgesetz den festgestellten Tod und die Zustimmung des Spenders oder der Angehörigen. Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat 1997 zur Organspende Stellung genommen. Demnach ist die Organspende für in Deutschland lebende Muslime mit dem islamischen Prinzip vereinbar. Allerdings gilt dabei einschränkend:

22 Z.B. die evanglischen Theologen Klaus-Peter Jörns und Hans Grewe sowie katholische Ärzte, Philosophen und Theologen wie J. A. Armour, Arzt, University of Montreal – Hospital of the Sacred Heart, Montreal, Quebec, Fabian Bruskewitz, Bischof von Lincoln, Nebraska, Paul A. Byrne, ehemaliger Präsident der „Catholic Medical Association", USA, Pilar Mercado Calva, Professor, Medizinische Fakultät, Anahuac University, Mexiko, Cicero G. Coimbra, Professor für Klinische Neurologie, Federal University, Sao Paolo, Brasilien, William F. Colliton, emerit. Professor für Geburtshilfe u. Gynäkologie, George Washington University, Medizin. Fakultät, Virginia, Joseph C. Evers, assoziierter Professor für Kinderheilkunde, Georgetown University, Medizinische Fakultät, Washington, DC, David Hill, emeritierter beratender Anästhesist am Addenbrooke Hospital, und assoziierter Dozent, Cambridge University, England, Ruth Oliver, Psychiaterin, Kingston, Ontario, Michael Potts, Direktor der Abteilung Religion und Philosophie, Methodist Colleg, Fayetteville, North Carolina, Josef Seifert, Professor für Philosophie an der Internationalen Akademie für Philosophie in Vaduz, Liechtenstein; Ehrenmitglied der Medizinischen Fakultät der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago, Chile, Robert Spaemann, emeritierter Professor der Philosophie an der Universität München, Deutschland, Robert F. Vasa, Bischof der Diözese Baker, Oregon, Yoshio Watanabe, beratender Kardiologe, Nagoya Tokushukai General Hospital, Japan, Mercedes Arzú Wilson, Präsidentin der „Family of the Americas Foundation" und der „Weltorganisation für die Familie"

23 So forderte z.B. Hans Grewe schon vor Jahren:o von der Medizin insgesamt eine grundlegende Besinnung auf die Grenzen des ärztlichen Heilauftrages ; o von den Ärztekammern die Beschränkung ihrer Hirntodrichtlinien auf die für die Feststellung der äußersten

Behandlungsgrenze bei einem sterbenden Menschen erforderlichen Kriterien. Die Bewertung dieses Befundes als «Tod des Menschen» ist ein unverantwortlicher Übergriff, in dessen Folge am Ende hirntote Menschen zu allem werden herhalten müssen, was Medizintechnologie möglich macht: als Ersatzteillager für transplantierfähige Organe, als Gebär-Apparat für Kinder, als Testkörper für pharmazeutische Experimente, womöglich als Übungsfeld für den chirurgischen Nachwuchs;

o von den Politikern eine klare Parteinahme für das elementare Menschenrecht auf Schutz des Lebens (auch im Sterben) und eine klare Absage an jede Form eines Transplantationsgesetzes, das Organentnahmen ohne oder gar gegen die erklärte schriftliche Zustimmung des «Spenders» ermöglichen soll;

o von den christlichen Kirchen, dass sie die skandalös einseitige und die Problematik verharmlosende Parteinahme für Organspende als Christenpflicht in der Gemeinsamen Stellungnahme «Organtransplantationen» der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland widerrufen und eine gründlichere Stellungnahme erarbeiten lassen.

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Organe dürfen Muslimen sowohl von Muslimen wie auch von Nichtmuslimen eingepflanzt werden. Nicht jedoch dürfen Muslime Nichtmuslimen Organe spenden.

Judentum

Hier kommt es drauf an, ob es sich um liberale oder orthodoxe Juden handelt. Liberale Juden bewerten das Leben höher als die Unversehrtheit des Leichnams. Die Orthodoxen legen dagegen Wert auf einen heilen Leichnam. Ende der 80er Jahre gab es eine Änderung in der Lehrmeinung in Bezug auf das Hirntodkriterium. Gemäß der Halacha war bis dahin das Hirntodkriterium zur Feststellung des Todes nicht ausreichend, denn ein Mensch gilt demnach erst als tot, wenn Atmung und Herzschlag ausgesetzt haben. Zwar ist eines der wichtigsten Gebote des Judentums, Leben zu retten, doch nicht auf Kosten eines anderen. Seit Israels Chefrabbinat die postmortale Organspende Ende der 80er Jahre akzeptiert hat, sind Juden sogar durch ein religiöses Gebot dazu aufgerufen, ihre Organe zu spenden. Selbst einige ultraorthodoxe Juden tolerieren seitdem die Organtransplantation. Auch die Lebendspende, die Blut-, Haut- oder Knochenmarksspende, ist akzeptiert, da dadurch Leben gerettet werden kann.

Buddhismus

Der Buddhismus betrachtet den menschlichen Körper als unzertrennbare Einheit aus Körper und Seele. Diese Einheit wird durch den Todesprozess aufgehoben. Gemäß dem buddhistischen Glauben dauert der Todesprozess allerdings länger als äußerlich sichtbar. Vor allem die tibetisch-buddhistischen Anhänger stehen deshalb der Organspende kritisch gegenüber. Der Tod als prozesshafter Vorgang steht im Widerspruch zu einem festgestellten Todeszeitpunkt bei der Hirntoddiagnostik. Dennoch ist Lebendspende und postmortale Spende von Organen erlaubt. Denn zu den Grundsätzen des Buddhismus und zu den Voraussetzungen zur Erlangung des Nirwana gehören Mitgefühl, Geben, Teilen und Solidarität. Betont wird dabei, dass der Mensch sich nicht mit seinem Körper identifizieren und sich nicht an ihn klammern soll.

Hinduismus

Die Seele des Verstorbenen wird in einem anderen Lebewesen wiedergeboren. Obwohl im Hinduismus Körper und Seele klar getrennt wahrgenommen werden, herrscht die Meinung vor, dass der Leichnam unversehrt bleiben muss. Andererseits gibt es eine große Tradition, Leidenden zu helfen. Es gibt aber keine religiösen Bestimmungen zur Organspende. Generell ist dies eine individuelle Entscheidung.

Schintoismus

Der Schintoismus und sein zentraler Wert, die Reinheit, prägen die ethische Identität der Japaner. Organentnahmen bei Verstorbenen werden abgelehnt, da sie als Schändung des Leichnams gelten. Nur ein unversehrter Leichnam ermöglicht die Wiedergeburt der Seele. Darüber hinaus glauben die Japaner, würde die Zustimmung zur Organentnahme der Familie Unglück bringen. Obwohl ein toter Körper Inbegriff der Unreinheit ist und schnell „entsorgt“ werden muss, wird der Geist des Toten durch die Ahnenverehrung vergöttlicht. Bezweifelt wird außerdem, dass der Hirntod der tatsächliche Tod des Menschen sei, da nur der Ausfall der Gehirnfunktionen gemessen werde.

Konfuzianismus

Im Konfuzianismus, der chinesischen Staatsreligion, steht die gesellschaftliche Bedeutung eines Menschen im Vordergrund. Wenn das Leben eines Menschen seine jeweilige existenzielle Bedeutung für die Gesellschaft verliert, verliert auch der Mensch an Bedeutung. Der Nutzen einer medizinischen Behandlung für den Einzelnen wird mit dem Nutzen für die Gemeinschaft abgewogen. Die Bereitschaft zur Organspende ist jedoch gering. Denn nach dem Tod ist die Unversehrtheit des Leichnams anzustreben, damit er als „Ganzes“ in der Verbrennung dem Himmel übergeben werden kann. Nur bei demjenigen, dessen Verbrechen auch durch den Tod nicht gesühnt werden können, werden Organe entnommen.

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