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Der Vierte Inquisitor

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Nr. 2194

Der Vierte Inquisitor

Entscheidung im Kaaf-System - esgeht um die Zukunft der Galaxis

von Leo Lukas

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Die Hautpersonen des Romans:Reca Baretus - Die Chefin der Landungstruppen erhält einen Spezialauftrag.Anguela Kulalin - Der Guyar aus der Vergangenheit wird zur Schlüsselfigur für die Zukunft.Hutkin - Der Inquisitor kocht sein eigenes, ganz spezielles Süppchen.Jallon Hypt - Der ertrusische Draufgänger will mehr als eine Festung erobern.Perry Rhodan - Der Terraner setzt derzeit auf militärische Aktionen.

Und eins, zwei, drei, vier:Weine nicht, wenn das Reich zerfällt,Tam-tam, tam-tam.Es gibt etwas, das ewig hält,Tam-tam, tam-tam.Thatrix und Inquisition, VAIA, Tradom

und Thoregon –Alles, alles geht kaputt,Doch ich bleib dir gut.Schönste Frau aller Galaxien,Ham-ham, ham-ham.Magisch zieht es mich zu dir hin,Mnjam-njam, njam-njam.Intervallschirm und Paratron,Tencanol oder Panzertroplon,Alles, alles geht perdu,Doch ich verlass' dich nie.Höre doch, wie mein Herze schlägt:Bamm-bamm, bamm-bamm.Wie dein Sichelkamm mich erregt,Kamm-kamm, kamm-kamm.Howalgonium und Yddith, Ynkelonium-Ter-

konit,Alles bröckelt und zerbricht,Nur meine Liebe nicht.Und jetzt alle:»Howalgonium und Yddith, Ynkelonium-Ter-

konit,Alles bröckelt und zerbricht,nur …«

Au! Au! Achtung, bitte nicht aufs -Au! –Akkordeon, das gehört nämlich nicht mir,das habe ich nur – Au! – ausgeborgt …

1. Gang:Ein Gruß aus der Küche

»Du bist ein Idiot, Jallon Hypt! Nein, ich

korrigiere: ein Vollidiot!«Reca Baretus, Stellvertretende Komman-

dantin der Kreuzerflottillen, Leiterin der Ab-teilung Außenoperationen und Chefin derLandungstruppen der LEIF ERIKSSON,wirkte definitiv nicht amüsiert. Ihre wasser-braunen Augen sprühten Gift und Galle.

In der rechten Hand hielt sie, zum Wurferhoben, eine Drei-Kilo-Dose »ScharfeSchoten mit Fleisch«. Vier von dieser Sortehatte sie Jallon bereits an den Kopf gepfef-fert, mit bewunderungswürdiger Treffsicher-heit. Viel mehr indessen als die Beulenschmerzte ihn, dass sie sein Ständchen über-haupt nicht sehr schätzte.

»Aber Reca, mein Leben, ich wollte dochnur …«

»Halt die Klappe, Soldat!« Zu ihrer vollenGröße und Schönheit aufgerichtet, maß RecaBaretus fast genau zwei Meter siebzig –wenn man den eben so wunderbar besunge-nen, leuchtend grün gefärbten Sichelkammmitrechnete. Mit rund zwei Metern Schulter-breite erschien sie schlank gebaut, geradezuzierlich, aber sehr muskulös und durchtrai-niert. Das steigerte ihre Attraktivität für Jal-lon schier ins Unermessliche.

Fraglos war sie die begehrenswerteste Er-truserin der gesamten Besatzung. Dass es anBord von Perry Rhodans Flaggschiff außerihr und Jallon nur sieben weitere Ertrusergab – allesamt männlich –, tat dem keinenAbbruch.

Fünfzehn Zentner pure Freude, dachteJallon schwärmerisch. Wann werde ich sieendlich über die Schwelle meiner Kabinehieven dürfen?

»In weniger als einer halben Stunde be-ginnt unsere Dienstbereitschaft«, knurrteseine Vorgesetzte. »Und wie du vielleichtmitbekommen hast, Einsatzgruppenleiter

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Hypt, steht den Raumlandetruppen allerWahrscheinlichkeit nach ein überaus riskan-tes Kommandounternehmen bevor.«

»Weiß ich. Rudo hat mich bereits infor-miert.«

»Und da hast du nichts Besseres zu tun,als mit diesen komischen Vögeln in der Ca-feteria den Trottel zu spielen?«

Jallon blickte sich zu den Jankaron um,die ihn bei seiner Arie begleitet hatten.

Roxo Quatron und seine drei Getreuenhatten ihre Musikinstrumente abgesetzt undfiepten, die Augen zur Decke gedreht, betontunauffällig vor sich hin.

»Das ist es ja gerade«, sagte Jallon ein-dringlich, wieder an Reca gerichtet. »Wannsonst soll ich dir meinen Heiratsantrag ma-chen? Wenn einer von uns im Endkampf umTradom fällt, ist es zu spät. Bedenke doch,welche Verschwendung zweier begnadeterKörper das wäre. So aber hätten wir, falls dumich umgehend erhörst, noch fast fünfund-zwanzig Minuten … Hm?«

Längst waren alle anderen Gespräche inder kleinen, im Hangarbereich gelegenenCafeteria erstorben. Ähnlich wie die Janka-ron täuschten auch die übrigen Besatzungs-mitglieder vor, sie bekämen von der ganzenSzene rein gar nichts mit. Sehr glaubhaft ge-lang ihnen das nicht.

Manche Köpfe hatten sich hochrot ver-färbt; ab und an erklang ein ersticktesGlucksen. Laut zu lachen wagte freilich nie-mand. Denn Reca Baretus galt zwar als kühlund besonnen; dennoch hatten alle hölli-schen Respekt vor der ehemaligen Front-kämpferin einer TLD-Eliteeinheit.

Recas Schweigen dröhnte geradezu. Auszusammengekniffenen Augen starrte sie Jal-lon an. Der spürte, wie seine Knie weichwurden.

Dann schüttelte sie langsam den Kopf. Siewog die Dose in ihrer Hand, holte aus – undknallte sie auf die Tischplatte, dass der gan-ze Raum erzitterte.

Ein Techniker am Nebentisch fiel vorSchreck vom Stuhl. Jemand kicherte hyste-risch los, nur um sofort wieder zu verstum-

men.»Schieb ab, Jallon Hypt!«, sagte Reca Ba-

retus. »Und merk dir zwei Dinge! Erstens,du kannst nicht singen. Und zweitens, selbstwenn du trällertest wie ein ganzer Chor vonEngeln, hättest du keine Chance bei mir. Ichstehe nämlich nicht auf senile Zwerge. Undjetzt – weggetreten!«

Jallon salutierte, dann drehte er sich umund verließ mit hängenden Schultern die Ca-feteria. Das hatte gesessen.

Zwerg nennt sie mich, dachte er beleidigt,und senil noch dazu. Bloß weil ich ein paarZentimeter kleiner und fünf Jahre älter binals sie!

Aber sobald das Schott sich hinter ihmund den Jankaron geschlossen hatte, gewannsein angeborener, hoffnungsloser Optimis-mus schon wieder die Oberhand.

»Na, wie war ich?«, fragte er. »Nur zu!Nehmt kein Blatt vor den Mund. Ich kannKritik vertragen.«

»Äh … ziemlich gut. Du hast um dreihun-dert Prozent mehr Töne getroffen als bei denProben«, tröstete ihn Vett Burmer.

»Nämlich drei«, sagte Kiv Aaterstamtrocken. »Beachtlich.«

»Findet ihr wirklich?«»Oh ja!«, keckerte Itchi Cultega. »Ich

würde sagen, du hast unzweifelhaft einenbleibenden Eindruck hinterlassen. Und nichtnur auf den Tasten des Akkordeons.«

»Wenn du beim nächsten Mal«, ergänzteRoxo Quatron, »auch noch dasselbe Liedspielst wie wir, kann eigentlich nicht mehrviel schief gehen.«

Jallon strahlte.Allein deswegen werde ich von diesem

Einsatz heil wieder zurückkehren, schwor ersich. Und sollte sich mir der Teufel persön-lich in den Weg stellen!

*

Reca Baretus dampfte noch minutenlangvor sich hin.

»Nun hab dich nicht so! Ist es denn nichtschön, wenn man derart heiß angebetet

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wird?«, spöttelte Esra Cronswan, die ihr ge-genübersaß. Sie spielten Reverso, ein dreidi-mensionales Strategiespiel.

»Gigantisch. Allerdings fühle ich michweniger verehrt als verfolgt. Und zwar seitJahren – nicht bloß von einem Deppen, son-dern gleich von deren sechs.«

Nur Rock Mozun, der Emotionaut, hieltsich vornehm zurück. Als Einziger der Er-truser hatte er Reca noch keinerlei Avancengemacht.

Fast störte sie das ein wenig …»Du bist dran«, erinnerte Esra. Die rot-

blonde Plophoserin war die Kommandantinder LE-KR-30 und eine der wenigen, dieReca beim Reverso Paroli bieten konnten.

Die Ertruserin versuchte, sich wieder aufdas Spiel zu konzentrieren.

Scheinbar stand es sehr gut für sie. Dieüberwiegende Mehrzahl der acht mal achtmal acht würfelförmigen Sektoren, die derServo der Cafeteria zwischen ihnen proji-zierte, leuchtete orange. Das war Recas Far-be. Die etwa zwei Dutzend der 512 Würfel,die in Esras Blau erstrahlten, gingen dage-gen beinahe unter, so erdrückend schien Re-cas Übermacht.

Doch deshalb bestand noch lange keinGrund, vorschnell zu triumphieren oder garleichtsinnig zu werden.

Reverso war ein tückisches Spiel. DieMachtverhältnisse änderten sich ständig.Wie der Name schon sagte, konnte sich dasBlatt blitzschnell wenden. Schon oft hatte,wer sich als sicherer Sieger gewähnt hatte,nach dem allerletzten Zug plötzlich als Ver-lierer dagestanden.

Reca setzte ihre nächste Einheit mit Be-dacht. Sie gewann kaum etwas dazu, würdemit Esras nächstem Gegenzug sogar emp-findliche Einbußen hinnehmen müssen. Je-doch sicherte sie so ihre wichtigsten Gebie-te.

Ein anderer Sektor wäre viel verlockendergewesen, weil er auf einen Schlag gewalti-gen Raumgewinn eingebracht hätte. Aberdamit wäre sie Esra in die Falle gegangen.Drei Züge später hätten sich mit einem

Schlag zwei Drittel des Spielfeldes blau ge-färbt …

»Gut gesehen«, lobte die Plophoserin säu-erlich. »Leider.«

»Tu nicht so. Du hast sicher noch eineGemeinheit in petto.«

Reca öffnete die Dose, deren Inhalt sichbinnen weniger Sekunden erwärmte. Siesteckte einen fingerdicken Trinkhalm in diescharfe Brühe und schlürfte genüsslich. Esblieb bei dem einen Schluck. Auch die Par-tie konnten sie nicht mehr fertig spielen. IhrArmband piepte.

»Hier Perry Rhodan«, hörte sie, nachdemsie den Anruf entgegengenommen hatte.»Könntest du bitte ausnahmsweise schon ei-ne Viertelstunde vor deinem Dienstantritt zumir kommen, Reca?«

»Klar, Resident.«»Sehr gut. Hauptebene, Besprechungs-

raum zwölf. Ich danke dir.«Das Gespräch war beendet. Sie sah auf

die Zeitanzeige. »Das ist in genau einer Mi-nute«, sagte sie. »Wie stellt er sich das vor,quer durchs halbe Schiff?«

Doch sie schaffte es. Sie geriet nicht malaußer Atem dabei.

*

Perry Rhodan war allein. Er begrüßte sieknapp und bot ihr einen Stuhl an, der für ih-re Körpermaße geeignet war.

Besser: Körpermasse, dachte Reca selbst-kritisch. Sie trainierte täglich und hart; den-noch gab es da einige Stellen an ihren Ober-schenkeln, mit denen sie immer noch unzu-frieden war.

Und dabei hatte sie ihren Mikrogravitatorschon auf 3,6 gestellt, also um 0,2 Gravoshöher als daheim auf Ertrus …

»Du bist über die aktuelle Lage infor-miert?«, fragte der unsterbliche Terraner.

Was sonst?, dachte sie. Seit dem neuntenMai sind wir aus der Vergangenheit zurückund haben es mit der Gegenwart des Rei-ches Tradom zu tun. Und seitdem haben wirden Inquisitoren eine Niederlage nach der

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anderen beigebracht. Am heutigen 17. Maischeint der Sturz ihres Regimes nur noch ei-ne Frage von Stunden zu sein.

»Rudo hat uns kurz Bescheid gegeben.Die Festung der Inquisition ist bei Kaaf auf-getaucht«, antwortete sie. »Wo sich auch derGroßteil der dem Reich Tradom verbliebe-nen Raumstreitkräfte gesammelt hat. UnsereFlotte ist dorthin unterwegs.«

Rhodan nickte. »Vom Rand der Glutzonebis ins Kaaf-System sind es rund 84.000Lichtjahre, bei einem Überlichtfaktor von 75Millionen also grob zehn Stunden Flug.Acht davon haben wir hinter uns gebracht.Mit anderen Worten, wir werden bald dasein. Und dann wird …«

Er tat einen langen, tiefen Atemzug.»Vieles spricht dafür, dass sich der Gegnerüber Kaaf zur letzten Schlacht stellen will.Unzweifelhaft wird er für diese Ortswahlseine Gründe haben. Wir sollten uns also aufböse Überraschungen gefasst machen.«

Aber auch sie, so sprach Perry weiter,verfügten über einen Trumpf, von dem dieInquisition der Vernunft nichts ahnen konn-te.

»Anguela?«»Genau dieser«, bestätigte der Terrani-

sche Resident. »Er besitzt jene Befehlsko-des, mit denen die Festung einst gesteuertwurde – als diese Galaxis sie noch als dieCalditischen Paläste kannte.«

»Das ist 160.000 Jahre her. Auch wenn esuns nur wie acht Tage anmutet«, gab Recazu bedenken.

Das Hirn weigert sich beinahe, dies zuakzeptieren: Vor wenig mehr als einer Wo-che haben wir uns noch 160.000 Jahre inder Vergangenheit aufgehalten. Wo wir, oh-ne entscheidend eingreifen zu können, denZusammenbruch der Thatrix-Zivilisation er-lebt haben. Des nahezu paradiesischen»Reiches der Güte«.

Am neunten Mai waren sie in die grauen-volle Gegenwart des Reiches Tradom zu-rückgekehrt. Seither hatten sie den Inquisito-ren eine Niederlage nach der anderen beige-bracht. Heute, am 17. Mai NGZ, schien der

Sturz dieses Terrorregimes nur noch eineFrage von Stunden.

Und doch … Wie beim Reverso, kannauch hier der letzte Zug alles wieder umdre-hen.

»Dass Anguela Kulalins Kodes nach wievor gültig sind, hat er bei Auge-B bewie-sen«, sagte Rhodan. »Die KARRIBO konntemit seiner Hilfe die Station SAHINSSTERN erreichen. In der Folge wurde derJetstrahl korrekt gepulst – und erfüllt nun of-fenbar endlich seine Aufgabe.«

»Du meinst, VAIA beginnt zu erwachen?Ist das fix?«

Perry schmunzelte. »Es gibt gewisse An-zeichen dafür.«

Den aus verschiedensten Sektoren der Ga-laxis eintreffenden Nachrichten, so berichte-te er, war zu entnehmen, dass seit Aktivie-rung des Jetstrahls an zahlreichen Orten ei-genartige Phänomene auftraten.

»Tradom ist nach wie vor eine Galaxisder Wirren. Kämpfe toben allerorten. Immerwieder werden Schmerzwechten von Raum-schiffen als letzte Rückzugsmöglichkeit ge-nutzt. Die Besatzungen der Schiffe berich-ten, sie seien durch Wechten gegangen undhätten keine Stimmen mehr gehört …«

Darüber hinaus begannen immer mehrSchmerzwechten zu verbrennen. Sie gabendie in ihnen gespeicherten Energien frei, ineinem sonnenartigen Gluteffekt, bis buch-stäblich nichts mehr von den Wechten übrigwar.

Nicht zuletzt hatten, verteilt über den gan-zen Umkreis der Glutzone von »AnguelasAuge«, sensible Lebewesen übereinstim-mend dieselben Gefühle verspürt.

»Etwas erwacht im PULS«, sagte PerryRhodan leise, fast flüsternd. »Auch Guckyund Benjameen waren sich da vollkommeneinig. Aber es wird wohl noch dauern. VAI-AS Erwachen ist ein langsamer Prozess. Soetwas passiert nicht von heute auf morgen.«

Reca fuhr sich mit der Hand durch den Si-chelkamm. »Ich fühle mich geehrt, dass ichdiese guten Nachrichten von dir persönlicherfahren darf. Doch ich nehme an, das ist

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nicht der Grund, weshalb du mich hergeru-fen hast.«

»Nein, natürlich nicht. Gleich nachdemunsere Erkundungskreuzer die Festung imKaaf-System geortet hatten, habe ich mitAnguela und Ascari da Vivo die Grundzügeunseres weiteren Vorgehens festgelegt.«

Im Anschluss daran hatten sie sich undden anderen am Gefecht in der Glutzone –das in der Vernichtung des KATAPULT-Horts gegipfelt hatte – sowie am Erfolg inSAHINS STERN Beteiligten eine Ruhepau-se verordnet. Nicht alle kamen mit so wenigSchlaf aus wie Rhodan als Zellaktivatorträ-ger.

In Kürze, beim nächsten Orientierungs-stopp, würden Ascari und Anguela von derKARRIBO in die LEIF ERIKSSON über-wechseln. Dann sollten die Details für denhoffentlich letzten Angriff auf die Festungder Inquisition besprochen werden.

»Und hier kommst nun du ins Spiel, Reca.Deinen Raumlandetruppen haben wir einenwesentlichen Part dabei zugedacht.«

»Rudo K'renzer hat Ähnliches bereits an-gedeutet.«

»Gut so. Genaueres dazu später. Was ichmit dir vorab unter vier Augen beredenwollte, ist Folgendes.«

*

Wenn Anguela sein Wissen um die Caldi-tischen Paläste – also die jetzige Festung derInquisition – und seine Kodes zu ihrem Vor-teil einsetzen sollte, erläuterte Rhodan, mus-ste der ehemalige VAIA-Dhasaren sehr nahean die feindliche Bastion herangebracht wer-den.

Und in sie hinein …»Verstehe. Das ist deutlich leichter gesagt

als getan«, konstatierte Reca. Obwohl sienichts anderes erwartet hatte – wozu sonstwurden die Raumlandetruppen gebraucht?

»Du sagst es. Ihr werdet natürlich überKampfroboter in Massen verfügen. Terrani-sche TARA-V-UH und arkonidische Katsu-gos. Für die, wie ihr das meines Wissens

nennt, Drecksarbeit.«Sie grinste. Immer ein Ohr an der Basis,

der alte Risikopilot, dachte sie. »Und wiesollen wir, nur so zum Beispiel, die Schutz-schirme überwinden?«

»Es gibt Ideen, die du demnächst hörenwirst. Momentan geht es mir um etwas an-deres.«

Rhodan strich über die Narbe an seinerNase.

Er mache sich, wie er gestand, Sorgen umAnguela. Er glaube zu erahnen, wie sehr dievon der Inquisition über Ewigkeiten began-genen Gräueltaten auf Anguela Kulalin la-steten. Wie sehr der Gedanke an den Unter-gang der Thatrix-Zivilisation den ehemali-gen Verkünder der VAIA quälte.

Perry fürchtete, dass Anguela beabsichtig-te, Rache zu nehmen. Und dass diese Racheletztlich in der Auslöschung der Völker derValenter, der Dhyraba'Katabe und der Gene-tiker von Kaaf bestehen würde.

Aber wie auch immer die Verbrechen derVergangenheit aussahen, wie viele Myria-den von Lebewesen gelitten hatten undschreckliche Tode gestorben waren – PerryRhodan würde den Geist der Vergeltungnicht tolerieren.

»Wir sind Terraner«, sagte er ernst. »Wirkönnen an einem Völkermord nicht teilneh-men, so ›gerecht‹ er in der Rückschau schei-nen mag.«

»Du meinst, ich soll ein Auge auf ihn ha-ben?«

»Ja, Reca. Genau darauf will ich hinaus.Du und eine von dir selbst zusammenzustel-lende Elitetruppe, ihr werdet quasi seineLeibwache bilden. Du sollst jedoch auch inanderer Hinsicht über ihn wachen.«

Reca war nicht sicher, ob ihr das behagte.Sie wiegte den Kopf, sah auf Rhodan hinab… doch innerlich zu ihm auf.

»Du bist eine kluge Frau, Reca. Kulturellinteressiert, wie ich höre. Beileibe keinKampfschwein, das seinen Lebensinhaltausschließlich darin sieht, mit überschwerenStrahlern möglichst viele Gegner wegzupu-sten.«

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»Aber schon auch.«Rhodan lächelte, breitete die Arme aus.

»Wenn das ein Auftrag für einen zartfühlen-den Existenzialphilosophen wäre, würde ichmich an Schobo Drillard wenden.«

»Schon klar. Was genau erwartest du vonmir?«

»Versuche, soweit das Kampfgeschehendas gestattet, auf Anguela einzuwirken, fallser entsprechende Tendenzen erkennen lässt.Ein richtiges Wort in einer derartigen Ex-tremsituation vermag manchmal mehr aus-zurichten als eine stundenlange akademischeDiskussion.«

»Und wenn er sich stur zeigt – soll ich esdir dann hinterher genauestens berichten?«

Perry grinste zu ihr hoch. »Wir verstehenuns, Reca Baretus.«

*

Bald darauf trafen Anguela Kulalin undAscari da Vivo ein.

Rhodan und die arkonidische Mascantinbegrüßten einander derart steif, dass Recasich nicht gewundert hätte, wenn die Luftzwischen den beiden kristallisiert und klir-rend zu Boden gesunken wäre.

Ujujui, dachte sie. Sieht ganz so aus, alswäre tatsächlich was dran an den Gerüch-ten, die seit einigen Tagen zirkulieren.

Irgendetwas war mit Rhodan und da Vivopassiert. Vor kurzem. Oder vor 160.000 Jah-ren – je nachdem, welche Zeitrechnung manzugrunde legte.

Entweder haben sie sich mächtig in dieHaare gekriegt, oder … sie haben sichmächtig in die Haare gekriegt.

Wie auch immer. Das ging Reca nichtsan.

Sie verneigte sich vor dem zweiten An-kömmling und blickte ihm in die blauviolettglühenden Augen.

Anguela stützte sich auf einen Gehstock,einen kunstvoll verzierten Stab aus Kunst-stoff. Soviel Reca wusste, benötigte derDhasaren ihn nicht als Krücke. Das Ge-schenk seines Vorgängers Ijotha Hyndalin

entsprach eher einem terranischen Multi-funktionsarmband. Es enthielt unter ande-rem ein miniaturisiertes Ortersystem und einFunkgerät.

Kulalin maß laut Datenblatt voll aufge-richtet 1,85 Meter.

Sie war es gewohnt, dass die meisten an-deren Humanoiden im Vergleich zu ihres-gleichen dürr, ausgezehrt und zerbrechlichdaherkamen. Bei Anguela jedoch drängtesich das Bild, er sei dem Tod haarscharf vonder Schaufel gesprungen, geradezu auf.

Der definitiv letzte Überlebende einesVolkes, das über Jahrtausende hinweg, inacht Galaxien den Ton angegeben hat. Und,ergänzte sie, plötzlich schaudernd vor Ehr-furcht, das Licht – bis weit in Spektren hin-ein, die mir auf immer und ewig verborgenbleiben werden.

Guyaam bedeutete »Lichtvolk«. Jetzt al-lerdings konnte der Begriff nur mehr in derEinzahl als »Guyar« für »Leuchter« verwen-det werden. Denn das Lichtvolk war binnenweniger Tage ausgelöscht worden.

Restlos.Beinahe – denn er, er allein, war übrig ge-

blieben.Dass seine Kleidung aus Stoffstreifen be-

stand, die den schmächtigen Körper fastvollständig bedeckten und bloß die spinnen-fingrigen Hände, die Mundpartie und dieAugen frei ließen, verstärkte den morbidenEindruck noch. Angugoles hießen diese Bin-den, hatte Reca per Hypnoschulung gelernt.

Sie wurden von rotgolden schimmerndenFäden durchzogen. Gleichwohl assoziiertenTerraner unweigerlich »Mumie«.

Anguelas Zähne in der breiten Mundpar-tie schimmerten grünlich. Er sprach mitüberraschend kräftigem Bass: »Ich freuemich, dich kennen zu lernen, Kämpferin.Perry Rhodan hat deine Fähigkeiten in hell-sten Farben gelobt.«

»Hat er das? Dann sollte ich vielleichtwieder einmal wegen einer Gehaltserhöhungnachfragen.«

»Früher hätte ich dir unermesslicheReichtümer versprechen können«, griff der

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Leuchter ihren Scherz auf. »Jetzt aber besit-ze ich nicht mehr, als ich auf dem Leib tra-ge.«

»Lasst uns darangehen, das zu ändern«,sagte Perry und klatschte in die Hände.»Und die Machtverhältnisse in dieser Gala-xis dazu!«

*

Sie setzten sich an den Tisch. Währendder Besprechung behandelten Rhodan undda Vivo einander ausgesucht höflich und di-stanziert.

Wenn es einen Schutzschirm gab, der kei-nerlei Gefühle nach außen ließ, so hatten ihnsowohl der Resident als auch die Mascantineingeschaltet …

In der kommenden Schlacht um die Fe-stung der Inquisition, das Kaaf-System undletztlich die Kontrolle über Tradom sollteneinerseits Anguela, andererseits die MobileFlotte Tradom den Ausschlag geben.

Reca schmunzelte in sich hinein. Ihrescharfzüngige Kommandantin Esra Crons-wan hatte, gleich nachdem diese Bezeich-nung bekannt geworden war, geätzt: »Da binich aber froh, dass unsere Flotte nicht immo-bil ist.«

Reca hatte nur mit den Achseln gezuckt.Ihr war egal, wie die Vereinigung ihrerStreitkräfte genannt wurde. Hauptsache, As-cari akzeptierte Perry als Oberbefehlshaber.

Und das, obwohl neben hunderttausendPosbi-Fragmentraumern ebenso viele arko-nidische Schlachtschiffe das Gros der MFTausmachten. Die Terraner stellten »nur«zwanzigtausend Einheiten. Aber Rhodansweit überlegene Erfahrung erkannte sogardie ehrgeizige, selbstverliebte Mascantin an.

Bei den raumstrategischen Fachsimpelei-en hörte Reca nur mit halbem Ohr hin. Daswar nicht ihr Revier. Ob es der Flotte ge-lang, die Voraussetzungen für ihr Komman-dounternehmen zu schaffen, konnte sie so-wieso nicht beeinflussen.

Ihre Stunde schlug, wenn es daranging,die Festung zu entern.

»Was die Zusammenstellung deinesTrupps betrifft, hast du völlig freie Hand«,sagte Perry, als sie endlich bei diesem Punktangelangt waren. »Allerdings muss klarsein, dass Anguelas Sicherheit absolutenVorrang genießt. Ohne ihn ist an eineRückeroberung der Calditischen Palästenicht zu denken.«

»Selbstverständlich. – Verfügen wir ei-gentlich über Gebäudepläne?«

»In äußerst unzureichendem Maße, fürch-te ich«, antwortete der Guyar. »Grobe Über-sichtsskizzen der wichtigsten Sektoren habeich nach dem Gedächtnis für euch angefer-tigt. Wie viel davon noch stimmt, kann ichleider nicht sagen. In all den Jahrtausendenwird vieles verändert und den Bedürfnissender Inquisitoren angepasst worden sein.«

Na bravo, dachte Reca. Ein gigantischesSchiff, eine fliegende Megastadt, ein mon-ströser künstlicher Gebirgsstock, im Zen-trum mehr als 21 Kilometer hoch, an derBasis 24 Kilometer durchmessend – und wirhaben eine nach der Erinnerung von Handgezeichnete Karte, die 160.000 Jahre alt ist.

»Wissen wir wenigstens schon, wo wireindringen werden?«

Anguelas sichtbare, von innen herausleuchtende Hautpartien verfärbten sich insGelbliche. »Auch da muss ich dich enttäu-schen«, sagte er. »Das kann ich erst im letz-ten Moment vor Ort entscheiden.«

»Anders ausgedrückt, wir nehmen jedesTürchen, das sich uns öffnet.«

»Richtig. Es tut mir Leid, ich weiß selbst,dass ich wahrscheinlich eine größere Bela-stung für euch darstelle, als ich zu helfenimstande bin.«

»Untertreib bitte nicht. Du bist das Umund Auf dieses wichtigen Unternehmens.«

»Genau. Alles hängt davon ab«, unter-strich Rhodan, »dass Anguela möglichstrasch Zugriff zu den Rechnern der Festungerhält. Wie schnell und wie weit ihr ins In-nere vordringt, ist relativ zweitrangig.«

Dass auch in den Außenbereichen mitheftiger Gegenwehr zu rechnen sein würde,verstand sich von selbst. Ein rigoroses Regi-

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me wie die Inquisition der Vernunft würdesein Machtzentrum zu sichern wissen.

»War's das?«, fragte Reca, der die Zeitunter den Nägeln zu brennen begann. »Dannwürde ich gern meine Leute vergattern.«

»Einen Moment noch.«

*

Perry Rhodans Blick glitt von Reca, anAscari knapp vorbei, zu Anguela.

Der Leuchter konnte sich denken, waskommen würde. Und er täuschte sich nicht.

»Ein Punkt sollte jetzt schon angespro-chen werden.« Der Terraner räusperte sich.»Was wird geschehen, wenn die Schlachtum Tradom geschlagen und, wie wir hoffen,gewonnen ist?«

Anguela zögerte. Er wollte sich nicht fest-legen, selbst wenn er es vermocht hätte.

»Das kann ich … zu diesem Zeitpunktnicht sagen. Sobald die Inquisition besiegtist, stehe auch ich vor dem Nichts. MeinVolk existiert nicht mehr. Die einzigen We-sen, die ich von früher kenne, seid parado-xerweise ihr – du, Perry Rhodan, und du,Ascari da Vivo.«

»Nicht zu vergessen«, warf die Arkonidinein, »VAIA, deren letzter Verkünder duwarst.«

»Wenn sie endlich wieder erwacht ist undsich vollständig regeneriert hat, ja.«

Dass der Galaxis ein radikaler Neubeginnbevorstand, war allen klar. Ein politischesVakuum musste aufgefüllt werden.

Aber von wem?Nach Anguelas Ansicht war die vor allem

in der galaktischen Südseite erstarkte Minul-lu-Allianz dazu nicht einmal ansatzweise inder Lage.

Eine Mischung aus Rebellen, Revolutio-nären und durchaus zwielichtigen Gestalten,die die Gunst der Stunde nutzen wollten, zueinem Gutteil aus Piraten und sonstigenGruppierungen ohne moralischen oder poli-tischen Anspruch bestehend … Anguela gabdieser Konstellation wenig längerfristigeÜberlebenschancen.

Momentan schien es geraten, die Allianzzu dulden. Der Feind meines Feindes und soweiter. Auf Dauer jedoch würde man einestabilere Lösung finden müssen.

Habe ich überhaupt eine andere Wahl,als persönlich in die Bresche zu springen?Oder sollte ich mich nicht besser ins Privat-leben zurückziehen und mein Leben zu Endeleben? In Ruhe und Einsamkeit … Sinnent-leert, zugleich voller Selbstvorwürfe …

»Es liegt an dir, Anguela«, sagte Rhodanleise. Der Terraner vermochte die Ausstrah-lungen des Tymcal-Geflechts wohl kaum zuverspüren, geschweige denn zu interpretie-ren. Doch er war offensichtlich sehr gut dar-in, sich in andere hineinzuversetzen.

»Ich weiß nicht recht, mein Freund. Ichhabe schon einmal versagt, mit entsetzlichenFolgen. Soll ich tatsächlich nochmals diesegewaltige Verantwortung auf mich nehmen?Bin ich ihr überhaupt gewachsen?«

»Nur du«, antwortete Rhodan bestimmt,»kannst diese Galaxis einen, kannst ihr wie-der Frieden und Wohlstand bringen. Dassdein Name von der Inquisition missbrauchtwurde, mag dich schmerzen. Nun aber soll-test du dir genau das zunutze machen.«

Nein … Ich kann nicht davonlaufen.Nicht nach allem, was war. Ich werde michstellen. Fragt sich nur, auf welche Weise.

»Ich habe den Fehler begangen, den Va-lentern die Hand zu reichen, vor 160.000Jahren. Dies wird mir kein zweites Mal pas-sieren.«

Der Leuchter merkte, dass Rhodan dieseAussage missfiel.

Aber sollte er den Unsterblichen belügen?Das würde einen noch weit größeren Spaltzwischen sie treiben, als er sich ohnehin be-reits auf getan hatte.

Alles in ihm drängte tatsächlich danach,als Bote der Rache die Valenter-Flotten aus-zulöschen, ihre Wohnwelten zu vernichten,in öde Kugeln zu verwandeln. Mit gnadenlo-ser Härte auch die Genetiker von Kaaf zubestrafen, die Dhyraba'Katabe und alle ande-ren Schergen, Handlanger und Mitläufer derInquisition …

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»War es denn nicht gerade meine Schwä-che und Weichheit, die der Verschwörungder Inquisition den Weg geebnet hat?«, frag-te er den Terraner, die Ertruserin und die Ar-konidin. Von Letzterer fühlte er sich amehesten verstanden.

Doch auch sie gab keine Antwort, genau-so wenig wie die anderen.

Mit dieser Fehlfarbe endete die Bespre-chung.

Ungeträumte Träume (I)

»Scottish Breakfast! Dachte mir schon,dass diese Bestellung nur von dir kommenkonnte, Resident!«, rufst du, während du dasTablett zu Rhodans Tisch balancierst.

»Ich hab's auf dem Menü stehen, seit ichauf die JOURNEE berufen wurde, aber nochnie wollte es jemand haben, nicht einmalVorua, obwohl die sonst mit Vorliebe Defti-ges einschneidet. Bitte schön, Herr Expediti-onsleiter – alles da: Haferbrei, kross ange-bratener Blutpudding, Schinkenspeck aus ei-gener Klonung, Austerntrüffeln, gebackeneBohninsen, zwei Rüboffelscheibchen mitSchale, darüber ein halb weiches Spiegelei,alles mit Liebe gemacht. Nur den Räucher-fisch musst du entschuldigen, der schwimmtnoch ein paar Millionen Lichtjahre von hier,hahaha!«

Wer redet hier? Was bedeutet dieses Ge-plapper?

Das bist nicht du. Das warst nicht du.Oder?Nein. Du kennst keine Vorua, keine

JOURNEE, kein »schottisches Frühstück«.Rhodan, ja, der Name sagt dir etwas. In

zahlreichen Funksprüchen der Gegenseiteist er vorgekommen. Er steht für den Feind,der das viele Jahrtausende währende, per-fekt ausgewogene Gefüge der Inquisition insWanken gebracht hat.

Dieser Feind muss vernichtet werden.Und wenn es dazu eines totalen Krieges be-dürfte.

Absurd der Gedanke, du könntest diesemRhodan schon begegnet sein. Früher.

In einem anderen Leben.Aber es gibt nur dieses eine. Und in dem

ist kein Platz für … Erinnerungen.»Ah! Schmeckt hervorragend. Wie auf

den Hebriden! Nur eins, Jeremiah – könn-test du mir vielleicht noch ein wenig Haggisdazu fabrizieren? Ich weiß, das ist ein Son-derwunsch, aber …«

Diensteifrig springst du auf. »Leicht istdas nicht, weil wir keinen Schafmagen mit-führen. Aber mal sehen, wenn ich stattdes-sen … Ja, das könnte gehen. Du wirst nichtenttäuscht sein!«

Du eilst in deine Küche.Deine Küche?Irgendwo weit, weit hinten, ganz am Ran-

de deines Bewusstseins, existiert eine Ah-nung. Eine Art Traum. Ein Rest von Hoff-nung, du könntest einmal … ein anderer ge-wesen sein.

Du wischst die Irritation beiseite. Woherimmer sie kommt, sie ist unvernünftig unddaher nicht relevant.

Du bist nicht Jeremiah Hutkin; warst esniemals. Dein Name klingt nur so ähnlich.

Und du kannst auch gar nicht träumen –weil ein Inquisitor niemals schläft.

2. Gang:Kalte Vorspeise

Hutkin, Vierter Inquisitor des ReichesTradom, wandelte über den Planeten Kaaf.Wohin er kam, schlug ihm nackte, kreatürli-che Angst entgegen. Todesangst.

So war es richtig. Denn er, als Inquisitor,nahm Leben nach Belieben.

Ein Gedanke genügte, und die Mental-energie des ausgewählten Wesens ging aufihn über. Vollständig. Restlos.

Andere, Unbedeutende, starben, damit erlebte. So war es richtig und zum Wohle desReiches.

Und immer gewesen, seit er denken konn-te. Die Unsterblichkeit hatte ihren Preis. Op-fer mussten gebracht werden.

Schwache vergingen, widerwillig, un-dankbar. Dennoch brachte ihr kleiner, rasch

Der Vierte Inquisitor 11

Page 12: Der Vierte Inquisitor

aufgezehrter Beitrag Nutzen.Wer sonst sollte ein Reich dieser Größe

regieren, wenn nicht Unsterbliche? Nur siekonnten in entsprechenden Dimensionenplanen.

So war es vernünftig. So war es richtig.Alles eine Frage der Ernährung und der

Organisation. In beiden Disziplinen warHutkin gut, immer schon gut gewesen.

Andere Inquisitoren hatten andere Bega-bungen gehabt.

Corona, die Erste, hatte eine Unzahl vonMethoden ersonnen, wie sich die Leistungs-fähigkeit der Sklavenvölker mittels medika-mentöser Stimulation und chirurgischer Mo-difikation bis zur Selbstaufgabe steigernließ.

Sebastian, die Zweite, hatte wieder undwieder ihre Führungskraft unter Beweis ge-stellt, indem sie die Jugendlichen verschie-denster Völker zur Aufopferung für dasReich motivierte.

Thomkin, der Dritte, hatte aus TradomsIngenieuren das Letzte herausgeholt, uner-bittlich und gnadenlos. Unter anderem gin-gen die Fliegenden Horte auf sein techni-sches Genie zurück.

Sariocc, der Fünfte Inquisitor, hatte dieFundamente der Religion, die Tradom imInnersten zusammenhielt, verstärkt und aus-gebaut. Er hatte aus einem diffusen Glaubenan das Leben eine konkrete Todessehnsuchtgemacht. Viele Gläubige wünschten sichdank dessen geradezu, recht bald zu sterben,um endlich »in Anguela aufgehen« zu kön-nen.

Snider, die Sechste Inquisitorin, hatte dieVermehrungsrate zahlreicher Völker ange-kurbelt, indem sie die Mutterschaft zu einerbesonderen Leistung stilisierte. Die völligwertlosen Abzeichen, die sie den Weibli-chen verleihen ließ, welche doppelt unddreifach so viele Kinder wie der Durch-schnitt warfen, erfreuten sich in manchenSektoren geradezu kultischer Verehrung.

Serleach schließlich, der Siebte Inquisitor,hatte in ähnlicher Weise Körperertüchtigungund Gesundheitsvorsorge gefördert. Worun-

ter selbstverständlich Erhaltung der Arbeits-kraft zu verstehen war. Umgekehrt hatte erperfekt funktionierende Straflager für Mies-macher, Nestbeschmutzer und andereReichsschädlinge entworfen und installiert.Bis heute zehrte das Kaafix vom aus diesenAnstalten gelieferten Genmüll.

November, ihr Führer, der Souverän derVernunft, vereinte alle diese Fähigkeitenund mehr in sich. Nicht zufällig waren nurnoch sie beide, er und Hutkin, übrig geblie-ben.

Schwache vergehen, damit Starke leben.So war es immer. So wird es immer sein.

So ist es, und so ist es richtig.

*

Hutkin, Vierter Inquisitor der ReichesTradom, wandelte über den Planeten Kaaf.

Er betrachtete sein Werk, und er sah, dasses gut war.

Die Genfabriken liefen auf Hochtouren.Im Kaafix wuchsen Rudimentsoldaten undKonquestoren in unbegrenzter Anzahl heran.Diejenigen, die weit genug gereift waren,wurden in ausgedehnten Anlagen an der Pe-ripherie trainiert.

So schnell es ging.In Friedenszeiten wären noch einige Jahre

an ihre Ausbildung verwendet worden. Dochjetzt herrschte Krieg.

Verfeinerte koordinative Fähigkeiten wa-ren nun Luxus, unnötig in Stahlgewitternund Strahlenschauern. Die geklonten Gehir-ne und Konquestoren gingen an die Front,erfüllten ihren Zweck, fielen aus und wur-den ersetzt.

Nachschub war vorhanden. Wuchs heran,hochgezüchtet, spezialisiert auf exakt das,was das Reich jetzt, in dieser kritischen Zeit,benötigte; und nichts sonst.

Fünf Fliegende Horte mussten beliefertwerden, dazu 120.000 nicht viel weniger ge-waltige AGLAZAR-Schlachtschiffe. Die80.000 schweren Valenter-Einheiten bilde-ten das Sahnehäubchen auf der Sachertorte.

Sahne? Sacher? Woher …?

12 Leo Lukas

Page 13: Der Vierte Inquisitor

Egal.Die genetische Maschinerie schnurrte. Sie

spuckte Material aus am laufenden Band.Unaufhörlich, immerfort, ewiglich.

Kanonenfutter, ausreichend für viele wei-tere Gefechte. Deren es jedoch gar nicht be-dürfen würde.

Denn November, der Souverän, hatterasch auf die lästigen Rückschläge reagiert.Und er, Hutkin, hatte längst für einen sol-chen Fall vorgesorgt gehabt.

Mochten sie kommen, dieser Rhodan undseine Flotte. Sie würden kaum Zeit haben,sich zu wundern.

Der Vierte Inquisitor unterbrach den ste-ten Fluss seiner Gedanken. Einer der Hilfs-kräfte, an denen er vorbeikam, ein Quintane,hatte in seiner Arbeit innegehalten.

Ein Schwächling. Ein Störenfried.Hutkin sah in an, trank ihn aus.Organisation und Ernährung, darin war er

immer schon gut gewesen.

*

»Alle ausgeschlafen? Gegessen? Am Klogewesen?«

»Aye, Sir, Madam!«Reca Baretus musste lachen, während sie

die Reihe abschritt.Keine Ahnung, wer mit diesem altertümli-

chen Unsinn angefangen hatte. Solche mar-tialischen Bräuche wurden vielleicht in derNeuen USO gehegt und gepflegt, aber nichtan Bord der LEIF ERIKSSON.

Wenn sie sich recht erinnerte, hatte dasGebelle und Gebrülle angefangen, nachdemder Spürkreuzer JOURNEE aus Andromedazurückgekehrt war. Als Witz natürlich, alsParodie auf die Militarismen vergangenerEpochen.

Vielleicht ging die ganze Blödelei sogarauf Zim November zurück, den jungenEmotionauten, dem bald darauf in Anerken-nung seiner Verdienste um die Andromeda-Expedition von Rhodan das Kommandoüber besagten Spürkreuzer übertragen wor-den war.

Die JOURNEE, die in der VergangenheitTradoms verschollen und zurückgebliebenwar …

Zim hatte immer schon ein Faible für hi-storische Heldenfiguren und deren seltsameSprechweise gehabt: Ratber Tostan, CliftonCallamon, Carl »Handgranate« Herbert …

Wie auch immer. Recas Truppe liebtemittlerweile das Herumgeschreie, die über-trieben pedantische Kontrolle der Anzugver-schlüsse und Spinde, den ganzen sinnlosenZinnober. Sie lachten sich krumm und schiefdabei.

Reca machte sich nichts vor. Auch wennihre Leute so taten, als stünden sie Lichtjah-re weit darüber: In Zeiten wie diesen be-stand offenbar ein Bedürfnis nach derleiBrimborium.

Wir müssen verdammt aufpassen, schosses ihr durch den Kopf. Je länger Kriegedauern, desto ähnlicher werden sich dieKombattanten. Wir erfreuen uns an unserenFreunden; aber wir orientieren uns an unse-ren Feinden. Und am Ende des Tagesblicken wir in den Spiegel und sehen … die,vor denen wir gewarnt haben.

Sie gab sich einen Ruck, musterte ihreStreitmacht. Hundert Mann, ein Drittel derLandungstruppen, die zur Stammbesatzungder LEIF zählten.

Nach reiflicher Überlegung hatte sie dieEinsatzgruppe von Jallon Hypt ausgewählt.Auch Merkan Hawkun, der besonnene Ox-torner, und der bekannt verwegene FerroneThartoon hatten ihre handverlesene Mann-schaft perfekt im Griff. Doch Hypt und seineLeute waren um eine Spur schärfer drauf,alerter, flexibler; wenn man so wollte: ver-rückter als die anderen, die vorerst als Ein-greifreserve in der Hinterhand bleiben soll-ten.

Jallon Hypt stand, bereits voll adjustiert,am Ende der Reihe. Er würde den Vorstoßleiten und die Kampfroboter befehligen.

Ausgerechnet Jallon, der romantische Idi-ot, der ihr in der Cafeteria seine Verliebtheitvorgewinselt hatte. Nicht viel mehr als zweiStunden war das erst her …

Der Vierte Inquisitor 13

Page 14: Der Vierte Inquisitor

Reca war sich bewusst, dass sie Jallon dengefährlichsten Posten von allen zugewiesenhatte. Wenn der Befehlshaber der feindli-chen Fußtruppen sein Handwerk nur einiger-maßen beherrschte, würde er zuerst danachtrachten, die Katsugos und TARA-V-UHsihrer taktischen Führung zu berauben.

Anders gesagt: Er würde Jallon mit allemattackieren, was ihm zur Verfügung stand.

»Du weißt schon, dass du dich damit sehrweit hinauslehnst?«, hatte Esra Cronswan zubedenken gegeben. »Falls dein sangesfreudi-ger ertrusischer Verehrer auf der Streckebleiben sollte, wird man sich alsbald an dieSzene in der Cafeteria erinnern. Man wirddir unterstellen, du hättest ihn auf die Ab-schussliste gesetzt, weil er dich belästigt hat…«

Verdammte Gefühle, fluchte Reca in Ge-danken. Machen alles so kompliziert!

Aber was wäre die Alternative?Kalte Logik? Die Inquisition der Vernunft

…?Nein, sie würde Jallon Hypt ins Feuer

schicken und schlimmstenfalls die Konse-quenzen tragen.

Er war der Beste dafür, Punktum!

*

Für den innersten Kern, der AnguelasLeibwache bilden sollte, bestimmte RecaBaretus außer sich selbst drei Personen.

Kraus Freedman, vom unbedeutenden Li-ga-Planeten Au-Bing. Eigentlich zu kleinund zierlich wegen der dortigen geringenSchwerkraft von nur knapp 0,8 Gravos. An-dererseits unglaublich reaktionsschnell. DieSaga wollte es, dass er schneller schoss alssein Syntron.

Das war natürlich Unsinn, aber Kraus hat-te in mehr als einer Ernstfall-Simulationfeindliche Aktionen zunichte gemacht, be-vor die anderen sie auch nur im Ansatz be-merkt hatten.

Wenn ihnen jemand den Rücken deckenkonnte, dann er.

Links von Anguela würde Jattuja Jattu ge-

hen. Eine weitere Entscheidung, die im Falleines Desasters gegen Reca verwendet wer-den konnte. Denn Jattuja – woher siestammte, schien nicht einmal in den sonst sounfehlbaren Datenblättern zu stehen – warfür eine Infanteristin nachgerade obszönübergewichtig. Ein Schwabbelkloß, in denBewegungen durch die Trägheit ihrer Fett-schichten dramatisch beeinträchtigt.

Allerdings besaß sie Nerven aus Ynkonit.Auf Jattuja konnte man sich bedingungslosverlassen.

»Geschwindigkeit ist eine Hexerei«, lau-tete ihr Wahlspruch: »Ruhe ist die andere,die zielführendere.«

Zu Anguelas rechter Hand stellte Recasich selbst auf. An die Spitze der Raute umden Verkünder berief sie einen waschechtenTerraner.

Gangolf W. Kerzen, an sich ein hervorra-gender Raumsoldat, hatte zuletzt, in Erman-gelung von Herausforderungen für die Lan-dungstruppen, durch sein Engagement im»Bordpsychologischen Hilfsdienst« von sichreden gemacht. Seine ebenso gut gemeintenwie spektakulär missglückten Christkindl-märkte, Silvesterveranstaltungen und österli-chen Eiersuchspiele hatten inzwischen Kult-status erlangt. Sein jüngstes Projekt, die Er-richtung eines Maibaums in einem derHaupt-Antigravschächte, war immer nochGesprächsthema in sämtlichen Kantinen.

Aber gerade diese überschäumende Krea-tivität und Gestaltungswut qualifiziertenKerzen für die Position als Vorderster in derkleinen Formation. Er musste bei jederGangbiegung aufs Neue in Sekundenbruch-teilen die Lage beurteilen und seine Ein-schätzung möglichst zeitverlustfrei an dieanderen übermitteln.

Dabei waren sein chronischer Sprech-durchfall und seine hart an Paranoia gren-zende, rasche Auffassungsgabe durchausvon Vorteil. Sosehr er privat allen auf dieNerven ging – einen besseren Nahaufklärerfand man in der ganzen Flotte nicht.

Drei Irre, dachte Reca. Vier, wenn siesich selbst dazuzählte. Habe ich die richtige

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Page 15: Der Vierte Inquisitor

Wahl getroffen? Bald würde sie es wissen.

*

Ein Raunen ging durch den Hangar: »DerResident!«

»Achtung!«Einhundert Mann, allesamt in schweren

SERUNS, salutierten simultan, stampftendonnernd mit den Füßen auf.

»Die Raumlandetruppe ist marschbereit«,meldete Reca.

Perry Rhodan lächelte. »Ich habe nichtsanderes erwartet. – Bitte steht bequem«,wandte er sich mit erhobener Stimme an dieSoldaten:

»Männer und Frauen!«, sagte er dann.»Ihr geht in einen schweren Einsatz, und essteht zu befürchten, dass manche von euchnicht mehr zurückkehren werden. Ich wollteeuch sagen, wie sehr ich euren Mut und eureOpferbereitschaft schätze. Was ihr tut, istnicht vergebens. Ihr kämpft für eine gute Sa-che. Für Terra, für die Liga Freier Terraner,für die Milchstraße und acht weitere Galaxi-en. Die Hoffnung unzähliger Intelligenzwe-sen ruht auf euch. Ich bin sicher, ihr werdeteuch dessen würdig erweisen, und wünscheeuch – und mir – Glück. Hals- und Bein-bruch, Leute!«

Jubel brandete auf. Reca ließ Jallon Hyptund seine Truppe wegtreten. Sie verteiltensich auf zehn der elf bereitstehenden Shifts,denen die normalerweise hier geparktenSpace-Jets Platz gemacht hatten.

Nur Kraus, Jattuja und Gangolf bliebenbei Reca und Perry.

»Solche Worte klingen immer schrecklichschal«, sagte der Resident leise. »Und dochmüssen sie ausgesprochen werden.« Erseufzte.

»Also, mir wäre nichts Negatives daranaufgefallen«, schwatzte Gangolf los. »ImGegenteil, du warst nicht nur glaubwürdig,sondern auch gut verständlich und volksnah.Einfache, klare Sprache, kurze Sätze, unmit-telbar motivierende Reizwörter und Schlüs-selbegriffe …«

»Wo steckt eigentlich Anguela?«, unter-brach Reca den Wortschwall ihres Aufklä-rers.

»Sollte jeden Moment auftauchen«, ant-wortete Perry. »Es gab Probleme mit demfür ihn adaptierten SERUN. Dessen Pikosynkonnte seine Lebensfunktionen nicht mes-sen, wegen des Tymcal-Staubs in den Angu-goles. Aber Anguela weigert sich, sie abzu-legen. Na ja. Szam-Soon wird das schonrechtzeitig hinkriegen. Einige Minuten blei-ben euch ja noch.«

Rhodan wollte sich gerade verabschieden,als plötzlich zwei Gestalten zwischen ihnenmaterialisierten: Gucky und Roxo Quatron.Beide trugen Kampfmonturen.

»Mir schwant Übles«, sagte Perrytrocken.

»Der Telepath hier bin ich«, rief Gucky.»Und der Telekinet sowie Teleporter, fallsdir das entfallen sein sollte. Überhaupt ver-gisst du in letzter Zeit so manches. Darunterso manche, die dir früher einmal nicht oftgenug in der Gegend herumhopsen konn-ten.«

»Man muss nicht Gedanken lesen können,um herauszufinden, was ihr beiden vorhabt.Aber schlagt euch das aus dem Kopf.«

»Wir Jankaron wollen unseren Teil zumEndkampf um Tradom beisteuern«, sagteQuatron fest. »Immerhin handelt es sich umunsere Heimatgalaxis.«

»Seid mir nicht böse, Freunde, aber dieserEinsatz ist nichts für euch. Da sind Recasschwere Einsatzkräfte gefragt, zusammenmit den Robotern.«

Im Übrigen, meinte Rhodan, hätten dieJankaron bereits zahlreiche wertvolle Beiträ-ge geleistet. Zuletzt, als sie Anguela aufSharamandie 2 gefunden und wiedererweckthatten.

Und was Gucky betraf … »Ich möchte,dass du dich für alle Fälle in Bereitschafthältst, Kleiner, aber ich will dich vorerstnicht an vorderster Front sehen: Ich habe dasvage Gefühl, dass ich dich später umso nöti-ger brauche – falls es gegen die Inquisitorenpersönlich geht. Und da solltest du ausge-

Der Vierte Inquisitor 15

Page 16: Der Vierte Inquisitor

ruht sein. Klar?«Der Mausbiber schmollte, aber schließlich

zeigte er Einsicht.Inzwischen war Anguela eingetroffen.

Rhodan wünschte auch ihm Glück, dann ließer sich von Gucky in die Zentrale teleportie-ren.

Reca und ihr Team bestiegen den Shift.Wenig später erklang Esra Cronswans Stim-me in ihren Kopfhörern. »Wir haben dasKaaf-System erreicht, meine Lieben. Es gehtlos.«

Ungeträumte Träume (II)

»Was wirst du einmal machen, wenn duim Ruhestand bist, Jeremiah?«

Da brauchst du nicht lang zu überlegen.»Ein Restaurant werde ich eröffnen, Bruno.Irgendwo am Ende des Universums.«

Ihr lacht.»Nein, schon im Gebiet der Liga. Aber

nicht auf Terra, das ist mir zu hektisch. Aufeinem unbedeutenden, abgelegenen Plane-ten, wo die Grundstücke billig sind. Und wodie Gäste nicht nur kurz mal auf einen hasti-gen Snack vorbeischauen. Sondern wohinsie ganz bewusst fliegen, um bei mir zu ta-feln. Denn selbstverständlich wird manüberall in der Milchstraße das Loblied mei-ner Küche singen.«

»Selbstverständlich.« Bruno Thomkinnimmt einen Schluck vom Bier. WeißerSchaum bleibt in seinem Schnauzbart hän-gen.

Du hast dir alles bereits bis ins Detailausgemalt. Ein kleines Landgut soll es sein,wo du eigenhändig Obst, Gemüse und Kräu-ter anbaust. Ein geräumiger Hasenstall,Freilandhühner und -schweine, ein paarSchafe, Strauße und Kühe.

Nur die allerbesten Zutaten verwendet er,werden deine Gäste schwärmen, und dasschmeckt man auch. Kunststück, er soll jaschon zu seiner aktiven Zeit ein Gourmet ge-wesen sein, damals, als er mit Rhodan flog,als dessen Chefkoch und Bordlogistiker.Klar doch, der Resident isst häufig hier und

viele andere Berühmtheiten. Erst kürzlichsaßen gleich fünf Zellaktivatorträger aufeinmal an Jeremiahs Tisch …

»Und du, wirst du wohl auch zu mir kom-men, Bruno?«

»Wenn ich es mir leisten kann?«Du klopfst deinem Kameraden auf die

Schulter. »Nie wirst du bei mir auch nureinen Galax bezahlen müssen, Alter. Jeremi-ah Hutkin vergisst seine Freunde nicht.«

3. Gang:Warme Vorspeise

Die Schlacht begann.Das Oberkommando hatte wie immer No-

vember von der Festung aus übernommen.Hutkin verfolgte die Entwicklungen imgroßen Planungssaal seines Münsters.

Schon bald wurde klar, dass die Taktikdes Souveräns auf Hinhalten und Zeitge-winn ausgerichtet war.

Hutkin machte sich keine Illusionen:Letztlich würden sie der feindlichen Über-macht erliegen. Militärisch ließ sich dasBlatt nicht mehr wenden.

Nicht auf diese Weise …Trotzdem schickte November Welle auf

Welle von Valentern, jungen, kaum ausge-bildeten Konquestoren und unreifen Rudi-mentsoldaten in den Tod. Dafür waren sieschließlich da.

Es galt, die Stellung zu halten. So lange,bis jene Nachricht von Trah Katree eintraf,die schlagartig alles ändern würde.

Hutkin verspürte Hunger. Er überzeugtesich davon, dass in nächster Zeit keine ent-scheidenden Ereignisse zu erwarten waren.Die Schlacht würde sich noch über Stundenhinziehen.

So war es richtig.Der Vierte Inquisitor verließ den Pla-

nungssaal und begab sich in die Stallungen,die dem Münster angeschlossen waren.

Er hatte sie selbst entworfen, ebenso wiedas Münster und sein genetisches Privatla-bor. Aber am liebsten hielt er sich in denStallungen auf.

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Er schlenderte langsam durch die Gänge.Fast zweitausend verschiedene Lebensfor-men hatte er hier gesammelt, sowohl ausTradom als auch aus den Fernen Provinzen.Die Haltung war nicht artgerecht. Viele Ex-emplare kränkelten oder waren über die Jah-re verkrüppelt. Aber das kümmerte ihnnicht.

Schmerzenslaute drangen von allen Seitenan sein Ohr, Wehklagen in unzähligen ver-schiedenen Muttersprachen. Ungerührt be-trachtete Hutkin seine Sammelstücke.

Ihr Befinden war irrelevant. Ob sie krankwaren oder gesund, glücklich oder unglück-lich, änderte nichts am Geschmack.

Die anderen Inquisitoren hatten sich diebenötigte Lebensenergie immer mehr oderminder wahllos von denjenigen Intelligenz-wesen geholt, die gerade verfügbar waren.Nicht so Hutkin.

Er bezeichnete sich als Feinschmecker.Schon in den ersten Jahrtausenden hatte er

es bemerkt. Der Mentalenergie, die er seinenNutztieren aussaugte, hafteten je nach Rassegewisse Charakteristika an. In kleinstenSpuren, nur für den Kundigen registrierbar.

Der Vierte Inquisitor hatte die Fähigkeit,Lebensformen am Geschmack zu unterschei-den, zur Perfektion entwickelt. Ohne hinzu-sehen, hätte er sagen können, ob er sich ge-rade an einem Prymbo oder einem Medilen,einer Rishkanischen Kara oder einer Pomba-rin gelabt hatte. Quintanen vermochte er so-gar bestimmten Raumsektoren oder Sonnen-systemen zuzuordnen!

Langsam schlenderte Hutkin durch seineStallungen. Ihn hungerte, aber noch hielt ersich zurück.

*

»Gangolf, tu mir einen Gefallen.«»Jeden, verehrte Jattuja. Soll ich dir den

Rücken kraulen, die Hand halten, ein Liedvorsingen oder einen Schwank aus meinerJugend erzählen? Falls dir die Entscheidungschwer fällt, darfst du auch gern einenFreund anrufen.«

»Nichts davon. Halt einfach nur die Klap-pe, ja?«

Reca seufzte. Das Warten zerrte an denNerven.

Immer noch saßen sie im Shift, im Hangarihres Kreuzers, der nach wie vor in der LEIFERIKSSON eingeschleust war.

Sie verfolgte den Verlauf der Schlacht imHelmdisplay. Viel ließ sich nicht erkennen.Ohne die strategischen Darstellungs-Algo-rithmen, wie sie den Flottenkommandantenzur Verfügung standen, glich das Gewimmelder Tausende von Pulks und Formationen ei-nem chaotischen, stürmischen Schneetrei-ben.

Wenn sie umschaltete, konnte Reca einenmakabren Countdown mitlesen: 1508 Ein-heiten der Valenter vernichtet, 47 Katamare,elf BOXEN der Posbis, zwei arkonidischeGWALON-Raumer … Wenigstens hieltensich die Verluste der MFT vorläufig inGrenzen.

Dennoch. Jeder einzelne Tote ist einer zuviel …

Auch die anderen hingen wohl ähnlichenGedanken nach. Nur Gangolf W. Kerzenquasselte unaufhörlich. Vorhin hatte er An-guela schamlos über das Intimleben der Gu-yaam ausgequetscht. Dem Leuchter war dassichtlich unangenehm, obwohl er aus Höf-lichkeit Antwort gegeben hatte.

Bis es Jattuja zu bunt geworden war.Nun schwieg Gangolf. Es würde nicht für

lange sein, dessen war sich Reca gewiss.Jeder ging auf seine Weise mit dem

Stress, der Anspannung und der Furcht um.Deshalb hatte sie ihren Nahaufklärer gewäh-ren lassen und mischte sich auch jetzt nichtein.

Kraus Freedman begann leise vor sich hinzu summen. Offenbar hörte er Musik.

Esra meldete sich im Helmfunk.»Nachricht vom Oberkommando. Die LEIFarbeitet sich langsam an die Festung heran.Es kann aber noch einige Minuten dauern,bis wir nahe genug sind.«

»Danke, Esra.«»Nein, warte, Kommandantin! Ich hätte

Der Vierte Inquisitor 17

Page 18: Der Vierte Inquisitor

noch eine Frage. Was sagt ein Siganese,wenn …«

»Schluck's runter, Gangolf!«

*

Als Hutkin gesättigt aus den Stallungenzurückkehrte, hatte sich die Lage im Kaaf-System tendenziell nicht wesentlich geän-dert.

Die Ausfälle der Inquisition überstiegendie der Gegner bei weitem. Es war nur eineFrage der Zeit, bis Tradoms Flotten vernich-tet waren.

Aber diese Zeit würde reichen.Noch war keine Nachricht von Trah Ka-

tree eingegangen. Doch der alte Konquestorwürde seinen Auftrag ausführen, mit Erfolgund schleunigst.

Todesangst motiviert …Trah Katree leitete eine Suchaktion. Er

fahndete nach einem Raumschiff, nach derSETA WAE.

Corona, die Erste Inquisitorin, hatte die-ses Thoregon-Botenschiff in der Galaxis AulEimanx aufgefunden und geborgen. Sie hat-te es an einem vorläufig noch unbekanntenOrt in Tradom versteckt.

Deswegen war es zum Zerwürfnis zwi-schen ihr und dem Souverän der Vernunftgekommen. Schlussendlich hatte Novemberdie Intrigantin eliminiert, ohne den Aufent-haltsort des Botenschiffs zu erfahren.

Hutkin speichelte. Um diese Erfahrungbeneidete er November. Wie wohl eine In-quisitorin schmeckte?

Die SETA WAE war höchstwahrschein-lich das mächtigste Raumschiff in der Gala-xiengruppe. Und in der Lage, an allenPULS-Forts vorbei und durch die Glutzoneselbst den eigentlichen PULS zu erreichen.

November wollte mit der SETA WAEdort eindringen. Um die erwachende Super-intelligenz VAIA auszulöschen. Und um diegigantischen Forts in Fernsteuerung zu neh-men.

Wenn das gelang, kontrollierte der Souve-rän die gewaltigste militärische Macht, die

Tradom je gesehen hatte.Trah Katree hatte sich in seiner letzten

Meldung zuversichtlich gezeigt, demnächstdie Position der SETA WAE übermitteln zukönnen.

Es war nur eine Frage der Zeit …

*

»Cronswan an Einsatzgruppe Hypt/Ba-retus: Sieht aus, als würde es ernst. Ihr kriegtjetzt Infos direkt aus der Zentrale.«

»Einsatzgruppe Hypt/Baretus: Hierspricht Monique O'Schnerfel von der Abtei-lung Funk und Ortung. Ich bin für den Kon-takt mit euch abgestellt.«

»Hallo, Monique. Wie ist die Lage?«»Die LEIF unternimmt in diesem Moment

einen Ausfall Richtung Festung. Zehn weite-re ENTDECKER geben Flankenschutz, da-zu fünfzig arkonidische GWALON-Ultraschlachtschiffe und tausend Posbi-Fragmentraumer, alle mit PDP-Distanznadlern und superstarken Intervall-Geschützen Marke ›Affengift‹ sowie …«

»Schon gut, Monique. Wie stehen dieChancen, dass wir nahe genug rankom-men?«

»Unter fünfzig Prozent. Wie du weißt,muss die LEIF ERIKSSON den entschei-denden Vorstoß alleine wagen, wegen derSchutzschirmleistung.«

Davon hing alles ab. So nahe an den mör-derischen Geschützen der Festung waren al-le bekannten Schutzschirm-Systeme über-fordert.

Perry Rhodans Flaggschiff jedoch verfüg-te über eine ganz besondere Geheimwaffe.

In der Zentrale der LEIF, wusste Reca,befanden sich dreißig Mutanten aus demVolk der Antis. Diese schmächtigen, kahlgeschorenen Humanoiden besaßen eine pa-ranormale Begabung, die es ihnen erlaubte,Schutzschirme mit ihren geistigen Kräftenzu verstärken.

Wenn sich die dreißig Antis, geleitet vonihrem Koordinator A-Lókym, zu einem Kol-lektiv zusammenschlossen, potenzierte sich

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ihre auch »Individualaufladung« genannteFähigkeit. So vermochten sie die Schirmeder LEIF ERIKSSON weit über das normalphysikalisch mögliche Maß hinaus zu stabi-lisieren.

Und das war notwendig, wollten sie sichso lange in unmittelbarer Nähe der Festunghalten, bis Anguelas Befehlskodes ihre Wir-kung entfalten konnten.

In diesem Moment sah Reca auf dem Dis-play, dass die LEIF ausbrach und Kurs di-rekt auf die Festung nahm. Allein. Sofort lagsie unter heftigem Kreuzfeuer aus den Ge-schützbatterien der gigantischen Raumstati-on.

»Schutzschirmbelastung rapide steigend«,meldete Monique. »Kritische Distanz er-reicht. Wir beginnen mit der Abstrahlungder Kodes. Anguela?«

»Ich bin bereit.«Der letzte Guyar hatte mit Hilfe seines

Gehstockes einen holografischen Datenku-bus um sich errichtet. Seine Spinnenfingerflogen über die winzigen Leuchtfelder.

Sekunden verstrichen, zehn, zwanzig, ei-ne halbe Minute, eine ganze. Zwei. Drei.

»Monique an Anguela. Unsere Schirmebeginnen zu flackern, die Antis zeigen ersteSymptome der Erschöpfung. Perry gibt dirnoch maximal dreißig Sekunden, dann musser den Versuch abbrechen.«

»Ich benötige nur mehr die Hälfte dieserZeitspanne.«

»Begrüße das, wie Roxo sagen würde.«Tick … tick … tick …»Geschafft!«, rief Anguela. »Eine der

Strukturlücken, die sich im Paradimpanzerder Paläste kurzzeitig für Funkverkehr öff-nen, ist auf permanent geschaltet. Ich habeZugang zu einem peripheren Knotenrechner…«

»Noch zehn Sekunden, Anguela!«»… und zur Zielerfassung der umliegen-

den Geschützbatterien. Blinder Fleck steht!Die Koordinaten werden soeben überspielt.«

»Sind eingetroffen«, meldete Esra Crons-wan aus der LE-KR-30. Der Kreuzer trugden Eigennamen BARETUS – benannt na-

türlich nicht nach Reca, sondern nach derHauptstadt ihres Heimatplaneten Ertrus.

»Monique an LEIF ERIKSSON-KreuzerNummer dreißig, BARETUS: Ihr habt Start-befehl.«

Von jetzt an gab es kein Zurück.

*

Hutkin schreckte auf, als ein gegnerischerVerband vergleichsweise nahe an die Fe-stung herankam.

Eine der größten und schlagkräftigstenFeindeinheiten wagte sich sogar noch weitervor. Unglaublich lange hielt sie sich imTrommelfeuer der Festungsgeschütze.

Ihrerseits feuerte sie nicht, legte offenbaralle verfügbare Energie auf die Schutzschir-me. Schließlich drehte sie ab, vereinte sichwieder mit ihrem Verband und zog sich zu-rück, nur knapp dem Gegenangriff tausenderAGLAZARE entronnen.

Was sollte das gewesen sein? Eine Macht-demonstration, ein Signal an den Befehlsha-ber der Festung? »Sieh her, wir können dirungestraft vor der Nase herumtanzen!«

Erwarteten sie etwa, der Souverän würdesich davon beeindrucken lassen?

Auch sonst fiel dem Vierten Inquisitorauf, dass die Flottenführer der Gegenseite esnicht ernsthaft auf die Vernichtung der Fe-stung abgesehen hatten. Sie dezimierten dieübrigen Streitkräfte, doch die Festung ließensie unbehelligt.

Glaubten sie etwa, die Inquisition derVernunft würde sich ergeben?

Welch Aberwitz! Welch Unverstand!Nun, Hutkin sollte es recht sein. Das

spielte ihnen in die Hände. Solange sie dieFestung hatten, konnten sie sich jederzeitmit ihr zurückziehen und absetzen. Und daswürde November auch tun. Sobald er vonTrah Katree erfahren hatte, wohin …

Hutkin musste nur Acht geben, dass ihnder Souverän nicht »versehentlich« auf Kaafvergaß. Zuzutrauen war es ihm.

Die Inquisitoren gingen sich schon seitlanger Zeit aus dem Weg. Persönliche Be-

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gegnungen fanden nur äußerst selten statt.Sie misstrauten einander – zu Recht, wie dieEreignisse der jüngeren Vergangenheit ge-zeigt hatten.

Auch Hutkin hatte seine eigenen Pläne zuverfolgen begonnen. Nicht einmal der Sou-verän wusste darüber in vollem Umfang Be-scheid. Hutkin hatte sich nach Kräften be-müht, seine genetischen Projekte als eineähnliche Liebhaberei zu verharmlosen wiedie Stallungen.

Er widmete sich wieder den Holoschir-men. Die Raumschlacht verlief weiter wiegehabt. Zu Tausenden starben die Konque-storen und Rudimentsoldaten, zu Hundert-tausenden die Valenter.

So war es richtig – zum Wohle des Rei-ches.

Nichts deutete auf einen unmittelbar dro-henden neuerlichen Vorstoß der Gegenseitehin. Aber er würde unweigerlich kommen.Er oder Trah Katrees erlösende Nachricht.

So oder so war die Zeit reif dafür, besagteProjekte zum Abschluss zu bringen.

Der Vierte Inquisitor verließ das Münsterund begab sich schnellstens in sein Labor.

Ungeträumte Träume (III)

»Warum ich Koch geworden bin? Wiekommst du denn darauf, mein blauer Engel,ausgerechnet jetzt?«

Ihr liegt im Bett, aneinander gekuschelt,verschwitzt und immer noch glühend.

Millian lacht glockenhell. Du nennst siedeinen blauen Engel wegen ihrer Hautfarbe,denn sie ist Ferronin.

»Ist dir noch nie aufgefallen, dass dumich … nachher … jedes Mal fragst, wasich heute gerne essen würde?«

»Tu ich das?«»Oh ja. Das scheint bei dir irgendwie ge-

koppelt zu sein. Wenn der eine Hunger ge-stillt ist, denkst du sofort an den anderen.«

»Hm.«Also erzählst du ihr von deiner Kindheit.

Von deiner Mutter, die euch ohne Vater er-zog und kaum Zeit fand, irgendwelche Fer-

tiggerichte aufzutauen, so dass vieles nuraus der Robotküche kam. Dass später gutes,gesundes Essen für dich zum Inbegriff desWohlstandes wurde.

Und Kochen zur größten, na ja zweit-größten Freude in deinem Leben.

Das Tolle daran ist, erklärst du begei-stert, dass dabei nie ganz genau dasselbeentsteht, selbst wenn man sich exakt ans Re-zept hält.

Aber das machst du ohnehin fast nie.Du liebst es zu improvisieren. Aus dem,

was gerade da ist, das Optimum herauszu-holen. Je ungewöhnlicher die dabei entste-henden Kombinationen, desto besser.

Andere mögen ihre Kreativität im Ma-latelier ausleben, im Tonstudio, auf der Büh-ne oder – die Ärmsten – hinter der altmodi-schen Tastatur einer Schreibsyntronik.

Du bevorzugst die Küche. »Teufels Kü-che«, wie Millian zu scherzen pflegt.

Dann fühlst du dich geschmeichelt undwiegelst bescheiden ab.

»Ich bin nur ein einfacher Koch«, sagstdu. »Kein Hexer, kein Magier, kein Zaube-rer – und schon gar nicht der Teufel.«

4. Gang:Hauptgericht vom Geflügel

Anguela hatte nicht zu viel versprochen.Esra Cronswan hielt sich exakt an die Ko-

ordinaten, die ihr der Leuchter gegeben hat-te. Die BARETUS raste mit allem, was dieTriebwerke hergaben, auf das grob kegelför-mige, 21 Kilometer hohe Ungetüm zu.

Anscheinend blieben sie tatsächlich unbe-merkt. Anguela hatte den lokal begrenzten»blinden Fleck«, den er dem Peripherierech-ner der Festung suggeriert hatte, zu einemengen Korridor für den Hypertakt-Kreuzerausweiten können.

Esra rief die Einsatzgruppe an. »Weißt duschon, wo wir landen werden, Verkünder?«,fragte sie.

»Ja. Auf einem der Ausleger ungefähr inhalber Höhe. Unweit dieser Plattform befan-den sich früher die Luxus-Quartiere für hoch

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gestellte Gäste. Wie es jetzt dort aussieht,kann ich freilich nicht wissen. Doch denkeich, dass die prächtigen Wandelhallen im-mer noch breit genug für eure … unsereKampfpanzer sein sollten. Bis zur nächstenSubzentrale sind es meiner Erinnerung nachrund neunhundert Meter.«

»Jallon, Reca, habt ihr mitgehört?«»Ja, jedes Wort.«Wie aus einem Mund, dachte die Kom-

mandantin. Wenn die zwei auch sonst nichtgerade ein Herz und eine Seele darstellen –im Einsatz harmonieren sie perfekt.

Kaum hatten sie die BARETUS auf derLandeplattform abgesetzt, ergoss sich einStrom von Katsugos und Tara-V-UHs in denTunnel, der ins Innere der Festung führte.Dann folgten die Shifts, als Erster der mitJallon Hypt, als Letzter derjenige, in demEsra ihre Freundin Reca und den Verkünderwusste. Ein weiterer Trupp Kampfroboterbildete den Abschluss.

Ab sofort galt für die BARETUS Funk-stille, die nur im äußersten Notfall durchbro-chen werden durfte.

Das Enterkommando würde mit Sicher-heit in Kürze entdeckt werden. Doch jedeSekunde war wertvoll.

Niemand bildete sich ein, Recas kleineStreitmacht könnte aus eigener Kraft bis indie Zentrale der Festung vordringen. Dieehemaligen Calditischen Paläste waren sogewaltig groß, dass der Stoßtrupp ohne Zu-gang zumindest zum regionalen Computer-system keine Chance hatte.

Die Landetruppen mussten Anguela indiese Subzentrale bringen. Und zwar leben-dig, und handlungsfähig. Er musste durch-kommen, wer oder was auch immer sich ih-nen in den Weg stellte.

Esra drückte Reca und Jallon beide Dau-men.

*

Die Genetiker begrüßten ihn unterwürfigwie immer.

Keiner wagte es, den Blick zu ihm zu he-

ben. So war es richtig. Wer einen Inquisitorschaute, hatte sein Leben verwirkt.

»Wie weit?«, fragte er barsch.Einer der Insektoiden kroch auf ihn zu,

buchstäblich im Staub. »Wir brauchten mehrZeit, Herr«, flehte er. »Bedeutend mehr.«

»Die habt ihr aber nicht. Zeig mir eureFortschritte! Oder kannst du keine vorwei-sen?«

»Doch, doch«, beeilte sich der Genetikerzu versichern. »Was willst du zuerst sehen,Herr?«

»Die Integralkrieger.«Hutkin ging hinter dem Kaafyar her. Er

mochte die Genetiker nicht; sie schmecktenso uninteressant.

Andererseits waren sie hoch qualifiziert.Was Biotechnologie betraf, konnte es keinanderes Volk im Reich mit ihnen aufneh-men.

In gewisser Weise waren sie auch dieZiehväter der Inquisitoren gewesen. Dochderen ehemalige Mündel hatten sich alsbaldzu ihren Beherrschern aufgeschwungen.

Schwache vergingen, damit Starke lebten.So war es, und so war es richtig.

Sie gelangten in die erste der großen Hal-len. Hier wurden die Integralkrieger gezüch-tet, nach den Vorgaben des Vierten Inquisi-tors.

Eine der Spezialitäten des Hauses …Im Unterschied zu den Konquestoren und

den Rudimentsoldaten entstanden die Inte-gralkrieger aus dem Genmaterial verschiede-ner Völker. Sie sollten die parapsychischenFähigkeiten der Rudimentsoldaten mit denSuggestivkräften der Anbarthi und Tonkihnkombinieren.

Im Ansatz war das bereits gelungen. Dochhatten sich die überdimensionierten Gehirneals instabil erwiesen – vor allem, wenn siezur Erzielung eines höheren Wirkungsgradesin Großgruppen zusammengeschaltet wur-den.

»Wie lange halten sie inzwischendurch?«, fragte er den Genetiker.

»Länger, Herr, schon viel länger. Dochleider immer noch nicht sehr lange …«

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»Schwafle nicht herum! Wie lange, imbesten bisher gemessenen Fall?«

Der Insektoide nannte eine Zahl, die un-gefähr Hutkins Erwartungen entsprach.Doch er zeigte seine Zufriedenheit nicht.

»Ihr elenden Nichtskönner! Ich sollteeuch …«

»Gnade, Herr, Gnade! Wenn wir nur einwenig mehr Zeit hätten, ein Jahr oder zwei…«

»Schweig! Macht sie marschbereit! So-bald ich den Befehl dazu gebe, sollen dieNachschubtransporter sie an Stelle der Rudi-mentsoldaten an Bord nehmen.«

»Aber Herr, das, das … Das Risiko istviel zu hoch. Wenn die Integralkriegerwahnsinnig werden, können sie pararealeStürme entfachen, welche auf herkömmlicheRudimentsoldaten in den anderen Schiffenüberschlagen könnten. Eine Kettenreaktionwäre unausweichlich, mit nicht abschätzba-ren Folgen.«

»Willst du mir widersprechen?«»Nein, Herr, natürlich nicht. Keineswegs.

In gar keinem Fall. Du hast Recht, Herr. Ichbin voll und ganz deiner Meinung. Genaudas wollte ich sagen.«

»Dann veranlasse, was ich dir aufgetragenhabe!«

Danach ließ sich Hutkin in die nächsteHalle führen.

*

Sie kamen nicht weit, dann wurden sieentdeckt. Jedenfalls deutlich weniger weit,als sie erhofft hatten.

Es rächte sich, dass Anguelas Informatio-nen 160.000 Jahre alt waren. Zwar gab esdie Wandelhallen immer noch. Doch wosich zu seiner Zeit luxuriöse, märchenhaftprunkvolle Suiten für Diplomaten aus achtGalaxien erstreckt hatten, befand sich nun…

»Eine Kaserne!«, schrie Jallon Hypt, so-bald die ersten Bilder seiner robotischenVorhut bei ihm einlangten. »Wir marschie-ren geradewegs in eine verdammte Kaserne

hinein!«Überall waren Valenter, Tausende und

Abertausende.Rückzug kam dennoch nicht in Frage. Ei-

ne zweite Chance würde ihnen der Gegnernicht geben. Sie konnten nur versuchen, denÜberraschungseffekt so gut wie möglichauszunutzen.

Jallon ließ die Kampfroboter auf alles feu-ern, was ihnen vor die Mündungen kam.

Vorerst mit Paralysatorstrahlern. Nichtnur widerstrebte es ihm, großteils Unbewaff-nete abzuschießen. Er versprach sich davoneine gewisse zusätzliche Irritation der geg-nerischen Kräfte. Wenn überall Bewusstloseherumlagen, würden die Valenter vielleichtverhaltener vorgehen, um nicht die eigenenLeute zu gefährden.

Doch Jallon wurde enttäuscht. Zuerst for-mierten sich die gegnerischen Soldaten be-eindruckend schnell. Und dann nahmen siekeinerlei Rücksicht auf ihre betäubten Art-genossen. Sie gingen im wahrsten Sinn desWortes über Leichen.

Schließlich musste Jallon die TARA-V-UHs und Katsugos ebenfalls auf Desinte-grator- und Thermostrahler umschalten las-sen, wenn ihr Vormarsch nicht völlig zumErliegen kommen sollte.

Dann fuhr die Gegenseite ebenfallsKampfroboter auf.

Es handelte sich um die bereits bekanntenStandardausführungen des Reiches: schwar-ze, kompakte, tonnenförmige Boliden vondreieinhalb Metern Höhe und zweieinhalbMetern Durchmesser. Sie bewegten sich aufPrallfeldkufen. An den leicht nach außen ge-wölbten Seiten waren insgesamt vierschwenkbare, überschwere Strahlkanonenangebracht. Hinzu kam ein Zwillingsge-schütz in einer Kuppel auf dem »Dach«.

Drei blaue Sensorbänder zogen sich imoberen Drittel rings um den Tonnenkörper.Bei Bedarf konnten zwischen den Flanken-geschützen insgesamt vier bis zu fünf Meterlange Tentakelarme für den Nahkampf aus-gefahren werden.

Ihre Defensiveinrichtung war im Ver-

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gleich zur Angriffskapazität gering: Sie ent-sprach etwa der eines terranischen HÜ-Schirms eines gleich großen Roboters.

Das half Jallon wenig. Auch wenn seineKatsugos die Schirme der schwarzen Ton-nen relativ leicht knackten – wo die herka-men, steckten mit Sicherheit noch mehr da-von.

Viel mehr. Zu viele.Er wies seine Kampfmaschinen an, nach

Möglichkeit mit den Wracks der Tonnen dieZugänge für die Nachrückenden zu blockie-ren. Das verschaffte ihnen vielleicht wiederein paar Sekunden Vorsprung.

Die würden sie auch dringend benötigen.Immer noch waren es gut fünfhundert

Meter bis zur Subzentrale …

*

»Herr, es gibt Nachrichten aus der Fe-stung.«

»Welcher Art?«Er dachte sofort an Trah Katree. War es

so weit? Hatte der alte Konquestor die SE-TA WAE lokalisiert?

»Ein feindlicher Stoßtrupp ist in eine derValenter-Kasernen eingedrungen. Wie, ent-zieht sich vorläufig noch der Kenntnis desfür die Innenverteidigung zuständigen Kon-questors Trah Dinetum.«

Das war, wie der einer fortlaufendenNummer entsprechende Nachname aussagte,einer der erst vor kurzem aus der Klonbankauf die Festung überstellten »Jungen«.

Ein Stoßtrupp, scheinbar aus dem Nichtsaufgetaucht?

Hutkin fiel das seltsame Manöver desfeindlichen Schlachtschiffs ein. Waren Tele-porter im Spiel? Ihm vorliegende Dossiersbesagten, dass die Gegenseite über minde-stens einen solchen Mutanten verfügte.

Und wenn auch. Er würde rasch durch ei-ne der zahlreichen Parafallen neutralisiertwerden.

Das Selbstmordkommando – um nichtsanderes konnte es sich handeln – stellte kei-ne ernsthafte Gefahr dar. Gegen die schier

unerschöpflichen Reserven der Festung wares so machtlos wie ein Tropfen Wasser ge-gen eine heiße Herdplatte.

Herdplatte?Egal. Dieser Verzweiflungsangriff würde

sich in Kürze totlaufen. Selbst der unreifeTrah Dinetum würde damit umzugehen wis-sen. Und November sowieso.

Hutkin wandte sich wieder wichtigerenDingen zu.

*

Etwa hundertfünfzig Meter weiter war fürdie Shifts Endstation.

Der Wandelgang vor ihnen wurde vonden schwarzen Tonnen vollständig blockiert.Für jede der Kampfmaschinen, die sie elimi-nierten, kamen von hinten drei neue dazu.

»Wir steigen aus«, ordnete Reca an.»Phase drei wie besprochen. Zwei Mann proShift bleiben zurück und halten zusammenmit den Katsugos diese Frontlinie. Bindet soviele der feindlichen Truppen wie möglich,achtet aber darauf, dass die Verbindungs-strecke zur BARETUS offen bleibt. Esra?«

»Ich höre.«»Fünfzig Prozent Alpha Beta ab sofort.«»Ohne Omega?«»Ohne Omega.«»Verstanden.«Das bedeutete, dass die Hälfte der als Re-

serve in der LEIF ERIKSSON verbliebenenTARAS und Katsugos via Transmitter in dieBARETUS überwechseln sollte, um JallonsGruppe zusätzliche Rückendeckung zu bie-ten.

Omega stand für die zweite Hundertschaftder Landungstruppen, die von Merkan Haw-kun befehligt wurde. Reca hoffte, vorerstohne sie auskommen zu können. Transmit-terdurchgänge stellten im hyperenergeti-schen Durcheinander einer solchen Raum-schlacht ein hohes Risiko für die Mitgliederder Einsatzgruppe dar. Das wollte sie nur inäußerster Bedrängnis eingehen.

Komm schon, Rock, rief Reca in Gedan-ken dem ertrusischen Emotionauten der

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LEIF zu: Zeig mir, was du draufhast, aberzeig es mir schnell!

Sie verließen den Shift und nahmen dievereinbarte Formation ein: Anguela in derMitte, Jattuja und Reca links und rechts vonihm, Kraus hinten, Gangolf an der Spitze.

»Hast du deinen Zauberstab, Verkün-der?«, fragte Reca sicherheitshalber nach.Bei Zivilisten wusste man nie.

»Ja, Reca.« Der Leuchter wirkte gefasst.»Dann los!«Phase eins bezeichnete Anflug und Lan-

dung der BARETUS im Schutz des von An-guela geschaffenen »blinden Flecks«. Phasezwei stand für den Vorstoß in den Kampf-gleitern. Beides war ihnen planmäßig gelun-gen. Bis jetzt beschränkten sich ihre Ausfäl-le auf Roboter.

Nun aber kam die dritte Phase, dieschwierigste und gefährlichste.

Sie wollten versuchen, die von denschweren Einheiten gebildete, wenige Dut-zend Meter vor ihnen verlaufende Haupt-kampflinie zu umgehen. In weitem Bogen,außen rum, durch niedrigere, engere Gänge,die für die schwarzen Tonnen unzugänglichwaren.

Aber auch für die Shifts und Katsugos …Ohne dass Reca weitere Anweisungen ge-

ben musste, teilte sich ihre Hundertschaft inzwanzig Fünfergruppen auf. Die ersten setz-ten sich in Marsch. Nacheinander ver-schwanden sie in den rechter Hand abzwei-genden Wartungsgängen.

Kurz bevor die Reihe an ihrer eigenenGruppe war, tat Reca spontan etwas, das sieselbst überraschte.

»Jallon!«, funkte sie den Einsatzleiter an,der bei den Shifts zurückbleiben und weiter-hin die robotischen Streitkräfte koordinierenwürde.

»Ja, Reca?«»Ich bleibe dabei: Du bist ein Idiot. Ein

Vollidiot. Dennoch wünsche ich ausdrück-lich, dich hinterher wiederzusehen. Undzwar gesund und munter, klar? Das ist einBefehl.«

»Aye, Sir, Madam!«

*

Mit Wohlgefallen ruhte Hutkins Blick aufseinen Lieblingen, den X'Valentern.

Auch ihnen war das Genmaterial andererVölker aufgepfropft worden, um parapsy-chisch begabte Mutationen zu erzeugen.Zum Unterschied von den Integralkriegernwirkten die X'Valenter jedoch deutlich we-niger fremdartig, gewissermaßen bodenstän-diger. Immerhin konnten sie aus eigenerKraft gehen, wenngleich nicht besondersgut.

Einige hundert hatten in der Halle Auf-stellung genommen. Sie waren sehr kleinund standen verkrümmt. Auf den gesenktenKöpfen trugen sie verspiegelte Brillen, ähn-lich wie jene Züchtungen, aus denen dieSänftenträger der Inquisitoren rekrutiertwurden. Gleich diesen waren sie gegen diementale Ausstrahlung ihrer Herren immun.

»Du da!« Hutkin stieß einen derX'Valenter in der ersten Reihe an. »Hast dueinen Namen, und wenn, wie lautet er?«

»Serok, Herr.«»Warum stehst du so schief, Serok?

Willst du deinem Schöpfer etwa nicht dienötige Ehre erweisen?«

»Doch, Herr. Aber ich leide großeSchmerzen.«

»Dieser kleine Fehler«, mischte sich derGenetiker diensteifrig ein, »konnte leidernoch nicht vollständig ausgemerzt werden.Dafür sind Kapazität und Belastbarkeit mar-kant erhöht worden.«

»Soso. Ich möchte, dass mir Serok zeigt,was er kann.«

»Gerne, Herr.«Mit ruckartigen, nur mühevoll koordiniert

wirkenden Bewegungen trat der X'Valentervor. Am anderen Ende der Halle öffnete sichein Tor. Ein mittelschwerer Kampfgleiterschwebte herein, unbemannt, doch in einestarke Schutzschirmsphäre gehüllt.

»Los, Serok!«, befahl Hutkin.Der Valenter-Mutant verbog seinen Kör-

per noch stärker. Ein heiseres Krächzen ent-

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rang sich seiner zahnlosen Mundhöhle.Dann flackerte der Schutzschirm des ge-

panzerten Gleiters – und erlosch.»Ist das alles?«, fragte Hutkin. »Zerstören

kannst du ihn nicht?«Serok zitterte am ganzen Leib. Er ver-

mochte sich kaum mehr auf den Beinen zuhalten. Seine Stimme war fast nicht zu ver-nehmen, ein gequältes, kraftloses Flüstern.

»Herr, wenn ich den Gleiter zerstöre,kann ich dir nicht weiter dienen, weil ich da-bei auch selbst terminiert werde. Die Bünde-lung der Energien …«

»Na und? Tu es!«Serok verkrampfte sich. Er stieß ein lei-

ses, lang gezogenes Wimmern aus.Der Gleiter verging in einer Explosion,

deren Auswirkungen von automatisch er-richteten Prallfeldern räumlich begrenztwurden.

»Bravo!« Der Vierte Inquisitor stießSeroks verdorrten Leichnam mit dem Fußan, dann wandte er sich an den Genetiker.»So ist es richtig. War dieses Exemplar re-präsentativ für die ganze Serie?«

»Ja, Herr. Einige wenige fallen eventuellschon mit Zerstörung des Schutzschirm aus,doch dürften andere dafür bis zu zwei weite-re Zündungen überstehen.«

»Müssen sie das Zielobjekt sehen, um esattackieren und vernichten zu können?«

»Nein, Herr. Sie nehmen es auf parapsy-chischem Weg wahr. Wenn sie im Kollektivagieren, sogar in einem Umkreis von etwavierhundert Metern.«

»Ich spreche dir eingeschränktes Lob aus,Genetiker. Stellt mir dreihundert von diesenzu einer Eskorte zusammen. Rasch! Es magsein, dass ich sie sehr bald brauchen werde.«

5. Gang:Bunter Salatteller

Sie will mich wiedersehen, dachte JallonHypt verzückt. Gesund und munter! Na bit-te. Es geht doch nichts über die Kraft derMusik …

Esra teilte per Rafferfunkspruch mit, dass

Verstärkung aus der LEIF ERIKSSON inder BARETUS eingetroffen war und sichsoeben in Richtung von Jallons Stellung inMarsch setzte. Allerdings handelte es sichnur um einen Teil der angeforderten Robo-ter, genauer um nicht ganz zwei Drittel.

Ob die Transmitterverbindung instabil ge-worden war oder die LEIF vorzeitig hatteabdrehen müssen, sagte die Kommandantinnicht dazu. Das spielte für Jallon ohnehinkeine Rolle.

Zwei Drittel waren weniger als erhofft,aber immer noch deutlich besser als garnichts. Die Situation im Rücken ihrer Haupt-streitmacht hatte schon brenzlig zu werdengedroht.

Die ersten TARAS und Katsugos melde-ten sich bei Jallon an. Er dirigierte sie umge-hend zu den Stellen, wo der Feind einemDurchbruch am nächsten war. Zumindest füreinige Minuten würden ihre Reserven dieFrontlinie wieder festigen.

Dann aber, liebste Reca, solltest du dei-nen Schützling schon langsam ans Ziel ge-bracht haben, sonst …

Er verfolgte den Vormarsch der Fußtrup-pen auf seinem Display. Die Fünferteamshatten um die Gruppe mit Reca und Anguelaeine größere, ebenfalls grob rautenförmigeFormation eingenommen, soweit das Laby-rinth der Gänge dies zuließ. Je sechs dergrünen Lichtpunkte bildeten Vor- und Nach-hut, je vier deckten die Flanken.

Die Qualität der Darstellung war schlecht,immer wieder riss die Verbindung für Se-kundenbruchteile ab. Der Gegner versuchte,ihren Funkverkehr zu stören, doch damithatten sie ohnehin gerechnet. Notfalls mus-ste eben jede Einheit autark operieren. Situa-tionen wie diese waren hundertfach geübtworden.

Go, Reca, go!Als ob sie ihn gehört hätte, drückte die

schönste Ertruserin von allen aufs Tempo.Sie kamen gut voran. Da begann der Punktlinks vorne gelb zu blinken.

Feindberührung!Jallon ging auf Vergrößerung. Nun wur-

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den die fünf Kämpfer einzeln dargestellt.Zwei von ihnen standen unter schweremFeuer. Noch hielten ihre Schutzschirme …

Er schaltete zurück. Wie er erwartet hatte,reagierte Reca blitzschnell. Zwei andereEinheiten eilten zu Hilfe. Die Formationschob sich enger zusammen. Nun blinktenbereits vier der Punkte gelb.

Und plötzlich, rechts hinten, einer rot.Auch in der Vergrößerung: drei, vier …

und jetzt der fünfte.Rot.Tot.Jallon hätte die Namen der ersten Opfer

dieses Unternehmens aufrufen können. Ertat es nicht. Auch so wusste er nur zu genau,dass jeder dieser Punkte für einen Menschengestanden hatte. Für einen Kameraden, dernicht mehr heimkehren würde.

Gefallen in Tradom für Terra …Die nächste Gruppe blinkte gelb, dann die

übernächste.»Hypt an Shift 07 bis 09. Reca steht unter

Druck aus Südsüdost. Versucht, in ihre Nähezu gelangen. Ich gebe euch dreißig TARASmit, mehr kann ich nicht erübrigen. Hypt,Ende.«

Die Kampfgleiter begannen, mit ihrenDesintegratoren Zwischenwände abzutra-gen. Das gelang recht flott.

Aber nicht flott genug.

*

»Das kann so nicht gut gehen«, rief Gan-golf schrill. »Nicht mit diesem Tempo!«

Recas Gedanken überschlugen sich.Sie hatten den Tod ihrer Kameraden mit-

verfolgt und wussten, was diesen zum Ver-hängnis geworden war. Irgendwoher hattendie Valenter eine Intervall-Kanone aufge-trieben, wie sie in kleineren Beibooten Ver-wendung fand, und das Geschütz auf einerprovisorischen Lafette montiert.

Vielleicht eine Übungswaffe. Das istschließlich eine Kaserne!

Jedenfalls arbeiteten sie sich damit beäng-stigend schnell an ihre Gruppe heran.

Zu schnell.Umgekehrt bewegten sich die Terraner zu

langsam vorwärts. Die Valenter würden sichden Weg frei geschossen haben, lange bevorReca mit Anguela die Subzentrale erreichthatte.

Also was? Einbunkern oder …»Wir müssen die Geschwindigkeit dra-

stisch erhöhen«, gab sie Gangolf Recht.»Phase vier, Variation C. Tut es. Jetzt!«

*

Anguela wurde nach vorn gerissen, als dieErtruserin seinen SERUN in Fernsteuerungnahm. Er fühlte sich entsetzlich hilflos, wiein einem Albtraum, den er nicht beeinflus-sen konnte.

Die Pünktchen in seinem Display stobenruckartig auseinander. Etwa die Hälfte fielzurück und bildete eine neue Formation,wohl um sich den Valentern mit derschrecklichen Kanone entgegenzustemmen.Die Übrigen sprangen auseinander wie Feu-erflöhe, schossen vorwärts …

Und verfärbten sich gelb.Plötzlich schien es Anguela, als existiere

er doppelt, als wäre er auf einen Schlag ent-zweigespalten worden.

Der eine Anguela wollte die Augenschließen, sich verkriechen, tief in seinenKörper, wollte nichts mitbekommen vondem Tohuwabohu, dem Irrsal und Wirrsal,das rings um ihn herum tobte.

Der andere Anguela beobachtete nüchternund distanziert, versuchte das Geschehen zuanalysieren, so kühl und teilnahmslos, alsginge ihn das alles nichts an. Als handle essich bloß um ein Spiel, aus dem er jederzeitaussteigen konnte.

Dieser Anguela begriff, was Reca Baretusund ihre Gefährten vorhatten und wie sie ihrZiel erreichen wollten.

Immer wenn eine der Fünfergruppen, dievor ihnen durch die Gänge rasten, auf Va-lenter stieß, verwickelte sie jene in ein Ge-fecht. Feindliche Truppen, die sie nicht so-fort ausschalten konnten, zogen sie auf sich.

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Sie lockten sie hinter sich her und schufenauf diese Weise Lücken, durch die RecasGruppe weiter vorstieß.

Das funktionierte über eine gewisseStrecke erstaunlich gut. Bis sich niemandvon ihren Leuten mehr vor ihnen befand …

Und immer noch trennten sie rund hun-dert Meter von der Subzentrale.

Der »kühle« Anguela verstand, dass sienun auf sich allein gestellt waren. KeinKampfgleiter, kein Roboter konnte ihnenmehr zu Hilfe kommen.

Es gab nur noch sie fünf. Vier Kämpferund ihn, ein Stück nutzlosen Ballast.

Aber was für Kämpfer! Sie waren bewun-dernswert aufeinander eingespielt. Ihre Ak-tionen wirkten auf Anguela wie ein exoti-scher Tanz.

In atemberaubendem Tempo flogen siedurch die Gänge. Wenn deren Durchmesseres erlaubte, bildeten sie einen Pulk und ver-einten ihre Schutzschirme, um deren Ab-wehrleistung zu potenzieren. Rückten Wän-de und Decke hingegen so eng zusammen,dass dies unmöglich wurde, so fädelten siesich hintereinander auf.

Dann preschte Gangolf vor. Unaufhörlicherklang sein sonorer Singsang in AnguelasHelm. Die meisten der Buchstabenkombina-tionen sagten ihm nichts; doch verstand er,dass Gangolf die anderen darüber informier-te, was seine Orter und Spionsonden anzeig-ten. Fast immer folgte Reca seinen Empfeh-lungen.

Sie und Jattuja Jattu blieben stets so nahebei Anguela wie möglich. Kraus Freedmanbildete den Abschluss. Manchmal feuerte er,ohne dass Anguela im Qualm hätte erkennenkönnen, worauf. Manchmal schleuderte erSprengkörper. Der Lärm der Detonationenwar ohrenbetäubend; dazu kam das grässli-che Zischen der Strahlschüsse.

Schließlich, als Anguela bereits glaubte,für immer und ewig in dieser Hölle gefan-gen zu sein, erreichten sie die Subzentrale.Sie befand sich tatsächlich dort, wo sie inseinen Plänen verzeichnet war.

Doch die Zentrale war besetzt.

*

Reca hatte furchtbare Angst, der sichtlichüberforderte Verkünder könne das Bewusst-sein verlieren. Schlaff wie ein nasser Fetzenhing er in seinem SERUN, stierte mit glasi-gen Augen durch die Helmscheibe, schein-bar völlig weggetreten.

Das wäre eine tolle Pointe: Wir kommenwider Erwarten durch, und dann fällt unsereGeheimwaffe in Ohnmacht!

Mit den Valentern in der Subzentralemachten sie kurzen Prozess. Es handeltesich überwiegend um Techniker, die Gan-golf und Kraus schneller paralysierten, alssie sich von ihren Sitzen erheben konnten.Die wenigen Soldaten erledigten Jattuja undReca selbst.

»Anguela! Verkünder!«, brüllte sie, wäh-rend sie seinen SERUN aus der Fernsteue-rung entließ. »Jetzt bist du dran. Aber machschnell, hörst du? Wir haben höchstens einpaar Sekunden, nicht mehr!«

Zuerst glaubte sie, der Guyar verstündesie nicht. Er schwankte, kippte vornüber. Siefing ihn auf, hob ihn hoch, rüttelte ihn.»Anguela! Verdammt, Anguela, wir sindda!«

Er glotzte sie an, als sähe er ein Gespenst.Dann gab er sich einen Ruck, bedeutete ihr,ihn abzusetzen, und taumelte zu einer derKonsolen.

Er stocherte mit seinem seltsam aussehen-den Gehstock an einer Buchse herum. Erstbeim dritten Versuch gelang es ihm, eineVerbindung herzustellen. Der bereits be-kannte Holokubus baute sich auf.

Anguelas Spinnenfinger huschten über dieEingabefelder, zögernd, dann sicherer undrasanter.

»Die Kampfroboter!«, rief Reca für denFall, der Guyar könnte das Nächstliegendeübersehen. »Die schwarzen Tonnen. Kriegstdu sie unter Kontrolle?«

»Ja. Ja, ich glaube schon.«Er glaubt es!Wut stieg in ihr auf. Sie hätte die dürre

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Mumie am liebsten geohrfeigt.Jattuja Jattu, die zu spüren schien, was in

Reca vorging, boxte ihr beruhigend an denOberschenkel.

Reca atmete tief durch, zwang sich, vomAdrenalin-Hoch des Kampfes herunterzu-kommen, obwohl das Blut immer noch in ih-ren Ohren rauschte.

Ruhig, Reca, ganz ruhig. Mach ihn nichtverrückt, schärfte sie sich ein. Er ist so et-was nicht gewohnt und schon gestresst ge-nug.

»Valenter aus West und Nordnordost«,meldete Gangolf. »Jetzt auch aus Südwest… Ach was, sie kommen von allen Seiten.Sieben Sekunden bis Feindkontakt, maximalacht.«

»Anguela! Hast du das gehört?«Der Guyar gab keine Antwort.»Anguela …«Langsam drehte er den Kopf, sah zu ihr

hoch. »Es tut mir Leid«, sagte er. »Für dieKampfroboter benötige ich noch etwa eineMinute.«

Das war's also. Knapp vorbei ist auchdaneben. Eine Minute lang können wir unshier zu viert unmöglich halten. Ade, duschnöde Welt. Vielleicht hätte ich JallonsAntrag ja doch annehmen sollen und …

»Daher habe ich der Absicherung unsererPosition vorerst höhere Priorität einge-räumt.«

Sie hörte gar nicht mehr hin. Die Valenterwaren heran und eröffneten das Feuer.

Ihre Schüsse verpufften wirkungslos indem Paradimpanzer, der sich um die Sub-zentrale aufgebaut hatte.

*

Jallon Hypt dachte schon, alles sei verge-bens gewesen, als der grüne Lichtpunkt, derRecas Position markierte, plötzlich erlosch,wie wenn es ihn nie gegeben hätte. Auch inder Vergrößerung zeigte sich keine Spur vonihrer Fünfergruppe.

Doch dann sagte er sich, dass gar kein Si-gnal besser war als ein gelbes oder gar rotes.

Von einer Sekunde auf die andere gab einSERUN nicht den Geist auf und eine RecaBaretus schon gar nicht.

An diesen Gedanken klammerte sich Jal-lon – eher aus Verzweiflung denn aus Ver-nunft.

Die Lage konnte in der Tat als ernst be-zeichnet werden. Zwar waren die Shifts in-zwischen mit der Intervallkanone auf derLafette fertig geworden. Aber dabei hatte esweitere Verluste gegeben.

An vielen Stellen der Front stand derübermächtige Gegner unmittelbar vor demDurchbruch. Die TARAS waren fast voll-ständig aufgerieben, auch die Katsugos starkdezimiert. Und von Verstärkung keine Spur.

Schon wollte Jallon den Befehl zumRückzug geben, da wandten sich – etwa eineMinute mochte seit Recas Verschwindenvergangen sein – mit einem Mal die feindli-chen Roboter gegen die Reichstruppen.

Erbarmungslos wüteten die schwarzenTonnen unter den Valentern. So lange, bisdiese die Flucht ergriffen.

Und dann war auch Recas Signal wiederda.

»He, Jallon, schläfst du? Sammel deineLeute ein, und komm mit ihnen zur Subzen-trale. Wir haben einen Brückenkopf zu befe-stigen.«

*

Hutkin, Vierter Inquisitor des ReichesTradom, wandelte über den Planeten Kaaf.Zum letzten Mal für lange Zeit, wenn nichtfür immer.

Empfand er Bedauern?Nein.Biotechnische Anlagen, Planeten, ganze

Sonnensysteme waren ersetzbar. Wenn siedie Macht mittels der PULS-Forts wieder ansich gerissen hatten, würde er einen neuenZuchtplaneten errichten. Mit einem neuenMünster und neuen Stallungen.

Die Stallungen …Um seine Sammlung tat es ihm noch am

ehesten Leid. Andererseits – war es nicht

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auch reizvoll, wieder einmal ganz von vornezu beginnen? Gerade für jemand, der seinLebensalter in Jahrzehntausenden zählte?

So oder so würde er Kaaf bald verlassen.Kurz erwog er, sämtliche Exponate derSammlung auf einmal zu konsumieren, aufdiese Weise seinen Hunger auf längere Zeitzu stillen.

Doch er widerstand diesem Verlangen.Erstens war mit einer gewissen Wahrschein-lichkeit zu erwarten, dass er persönlich inden Endkampf eingreifen musste. Da durfteer nicht allzu satt sein.

Zweitens – und dies wog schwerer – er-schien ihm ein solcher Akt barbarisch. Erverstand sich als Feinschmecker, nicht alsVielfraß.

Daher erlaubte er sich nur eine leichteMahlzeit, einen kleinen, frugalen Imbiss.

Tagesempfehlung: Dialog von jugendli-chem Pombar und älterem Psrengil, an ei-ner Familie fast schon überreifer Foschgild-li, garniert mit einer Hand voll knackigerLotites, Insirsgi und Selbrazzeln … Ja, dasnenne ich Nouvelle Cuisine!

Er stutzte. Woher stammten diese Aus-drücke?

Egal. Er nahm das Leben der ausgewähl-ten Sammelstücke, leckte ihre Mentalener-gie in sich auf, genoss die originell kombi-nierten und dennoch elegant harmonieren-den Geschmäcker …

Zurück im Münster, erreichten ihn Neuig-keiten aus der Festung. Konquestor Trah Di-netum und die von ihm befehligten Valentersteckten in ernsthaften Schwierigkeiten.

Es war ihnen noch immer nicht gelungen,den feindlichen Stoßtrupp zu eliminieren.Dieser hatte sich überdies in einer Neben-zentrale festgesetzt und schleuste von dortfremdartige, gänzlich unbekannte Befehls-kodes in die Computersysteme der Festungein.

Kodes, die von der Festung tatsächlich alsüberrangig akzeptiert wurden!

Langsam, aber stetig entglitt den Reichs-truppen die Kontrolle über die Festung.Wenn Hutkin seinem Gewährsmann traute,

wurde bereits ein Teil der Offensiv- und De-fensivwaffen blockiert.

Sollte das schmächtige Häuflein der Ein-dringlinge tatsächlich eine ernsthafte Bedro-hung darstellen?

Oder stand der Vorgang vielleicht mitVAIAS Erwachen in Zusammenhang?

Letztere Theorie verwarf Hutkin sogleichwieder. Die Indizien sprachen eindeutig da-für, dass die Ursache des Übels die Terranerdarstellten.

Deshalb war die Festung nicht ernsthaftattackiert worden! Deshalb war die feindli-che Flotte jenes seltsame, scheinbar miss-glückte Manöver geflogen!

November, der Souverän der Vernunft,musste zum selben Schluss gekommen sein,genialer Taktiker, der er unzweifelhaft war.Dennoch reagierte er offenbar nach wie vornicht, sondern wartete bloß.

Worauf, war Hutkin vollkommen klar: aufdie entscheidende Nachricht von Trah Ka-tree.

Die in diesem Moment eintraf.

6. Gang:Hauptgericht vom Wild

Der lang ersehnte Funkspruch kam hoch-kodiert, direkt an den Souverän der Vernunftadressiert.

Hutkins Gewährsleute konnten ihn eben-falls empfangen, doch nicht entschlüsseln,nicht sofort. Als er das hörte, empfand derVierte Inquisitor beinahe so etwas wie eineGefühlsregung: Ärger, gemischt mit der Sor-ge, November könnte sich ohne ihn abset-zen.

Wenn er die SETA WAE hatte und inFolge die PULS-Forts, benötigte der Souve-rän keinen anderen Inquisitor mehr …

»Herr, soeben erging Befehl, die Festungder Inquisition solle die Flucht ergreifen. Al-lein …«

»Was?«»Allein, es gelang unseren Galaktonauten

nicht, die Überlichttriebwerke zu starten.Auch die Normaltriebwerke sprechen nicht

Der Vierte Inquisitor 29

Page 30: Der Vierte Inquisitor

mehr an, Herr. Vermutlich werden sie vonden fremden Befehlskodes sabotiert.«

Hutkin handelte prompt. Ursprünglichhatte er vorgehabt, sich zusammen mit sei-ner Eskorte via Transmitter an Bord der Fe-stung zu begeben. Doch im Licht der jüng-sten Entwicklungen erschien ihm dies zu un-sicher. Wenn die Terraner bereits die Trieb-werke lahm legen konnten, kontrollierten siedemnächst auch die Transmitter.

Die Terraner!Jene Kommandoeinheit, die sich in der

Nebenzentrale verschanzt hatte – sie mussteHutkin ausschalten, wenn ihnen der Ab-sprung zur SETA WAE gelingen sollte.

Und er wusste auch schon, wie.Ohne Hast, kalt und beherrscht, durch und

durch vernünftig, gab der Vierte Inquisitorseine Befehle.

*

Esra Cronswan verfolgte den Fortgangder Operation mit gemischten Gefühlen.

Einerseits war sie sehr erleichtert darüber,dass das waghalsige Unternehmen gelungenwar. Recas kurzen, gerafften Statusmeldun-gen zufolge gewann Anguela Schritt fürSchritt, Rechner für Rechner, die Herrschaftüber die Calditischen Paläste zurück.

Nach 160.000 Jahren …Auch die Überlebenden des Stoßtrupps

befanden sich derzeit in relativer Sicherheit.Zwar stürmten unablässig Infanteristen desReiches gegen den terranischen Brücken-kopf an, doch gegen ihre eigenen Kampfro-boter und Paradimschirme waren die Valen-ter chancenlos.

Gleichwohl schickte der gegnerischeKommandant sie immer wieder ins Feuerund somit in den sicheren Tod.

Was für ein sinnloses Gemetzel! Welchstupide, den Wert des Lebens verachtendeGrausamkeit! Aber genau darauf war dasReich Tradom erbaut.

Esra verspürte Genugtuung darüber, zumSturz dieser Tyrannei beitragen zu können.Andererseits trauerte sie um ihre Toten. Für

sechzehn von Jallon Hypts Raumsoldatenwar jede Hilfe zu spät gekommen.

Gefallen in Tradom für Terra …Dreißig hatten zum Teil schwere Verlet-

zungen erlitten, nachdem ihre Schutzschir-me zusammengebrochen waren. Doch ge-nauso, wie sich ihre SERUNS in Kürze wie-der regeneriert haben würden, würden auchihre Wunden heilen. Nur benötigten sie da-für deutlich länger als die autoreparaturfähi-gen Anzüge.

Immer noch war der Mensch komplexeraufgebaut als selbst die höchst entwickelteHypertechnik.

Die Situation im Großen entsprach unge-fähr der im Kleinen.

Eindeutig sah es für die Terraner, Arkoni-den und Posbis besser aus als für TradomsFlotten, welche bereits ein Viertel ihrerStreitkräfte eingebüßt hatten. Doch gingenauch die Verluste der Mobilen Flotte mittler-weile in die Hunderte.

Hunderte Schiffe. Mit HunderttausendenBesatzungsmitgliedern … Stand es dafür?

Ohne Zögern beantwortete Esra diese Fra-ge mit Ja. Die Inquisition der Vernunft hattemehrere Galaxien unter ihr unbarmherzigesJoch gezwungen. Und ohne den beherztenEinsatz der Jankaron, Perry Rhodans, Ascarida Vivos und ihrer Mitstreiter wäre es dengeheimnisvollen Inquisitoren gelungen, Tra-doms Schreckensherrschaft auf die Milch-straße auszudehnen.

Esra Cronswan hütete sich, vorschnell zutriumphieren. Auch wenn die Niederlage nurmehr eine Frage der Zeit schien – noch wardas Reich, waren die Inquisitoren nicht be-siegt.

Wie beim Reverso kann man auch hiererst nach dem letzten Zug wirklich sagen,wer die Partie gewonnen hat!

*

Hutkin ließ ab sofort die verbrauchten Ru-dimentsoldaten der AGLAZARE durch Inte-gralkrieger ersetzen. Keiner der Genetikervon Kaaf wagte es, dagegen aufzubegehren

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Page 31: Der Vierte Inquisitor

oder auch nur ein weiteres warnendes Wortauszusprechen.

So war es richtig.Der Vierte Inquisitor selbst und seine

dreihundertköpfige Eskorte von X'Valenterngingen an Bord des nächsten FliegendenHortes, der Nachschub aus dem Kaafix auf-nahm. Das gewaltige, an Größe und Kampf-kraft jeder einzelnen feindlichen Einheitüberlegene Schiff griff sofort wieder in dieSchlacht ein.

Hutkin verzichtete vorerst darauf, sich indie Schiffsführung einzumischen. Trah Ti-wabal, der junge, körperlich noch nicht ein-mal ganz ausgewachsene Konquestor, mach-te seine Sache sehr ordentlich. Und letztlichfolgte er ohnehin den Anweisungen Novem-bers, des Souveräns und Oberbefehlshabers.

Zumindest den Funkverkehr der Festunghatten die lästigen Terraner also noch nichtblockieren können. Mit der Zeit würde ihnenwohl auch das gelingen.

Doch Hutkin hatte nicht vor, ihnen dieseZeit zu gönnen.

*

»Soll ich euch was sagen?«»Nein, Gangolf.«»Mich schmerzt der Tonfall deiner sonst

so süßen Stimme, Jattuja, doch will ichgroßmütig darüber hinwegsehen. Also: Ichbin müde, hungrig, gelangweilt, es leid, Va-lenter abzuknallen, und daher stark an einerAntwort auf die Frage interessiert, ob sichein Ende der vorgenannten Zustände abse-hen lässt. Ist jemand hier in der Lage, mirdarüber Auskunft zu geben?«

Reca seufzte. »Alles läuft nach Plan.Wenn sich etwas Entscheidendes tun sollte,gibt uns Esra Bescheid. Unsere Aufgabe istklar definiert: Wir halten die Stellung undzudem nach Möglichkeit die Klappe. Habeich mich verständlich ausgedrückt?«

»Aber gewiss doch, erhabene Einsatzlei-terin!«

Reca schaute Gangolf an und tippte sichgegen die Stirn.

Obwohl sie ihn insgeheim verstand. DerVorstoß war überaus riskant gewesen, dochdie Kampfhandlungen hatten sie viel zu sehrbeschäftigt, als dass sie auf dumme Gedan-ken gekommen wären.

Es klang paradox, aber ihre jetzige Lageging allen viel mehr an die Nieren.

Nur Jattuja Jattu gab sich stoisch wie im-mer. Kraus Freedman summte in seinerEcke leise vor sich hin, als befände er sich inirgendeinem Ferienklub und nicht innerhalbeiner gigantischen Raumstation, umgebenvon unaufhörlich gegen ihre Stellung anren-nenden feindlichen Truppen.

Beneidenswert.Was er wohl hörte? Wahrscheinlich die-

sen Lasky Baty, dessen Musik Zim Novem-ber und Raye Corona aus Andromeda mitge-bracht hatten. Das Gedudel hatte sich in derganzen Flotte verbreitet wie eine Epidemie.

Die Ertruserin blickte zu Anguela, der un-verdrossen hochkonzentriert an seinen Holo-Kontrollen hantierte.

Ihn dazu zu bringen, dass er die Steuerungder schwarzen, tonnenförmigen Kampfrobo-ter an Jallon Hypt abgab, war gar nicht ein-fach gewesen. Unter den Valentern auf-zuräumen hatte dem Leuchter verdächtigviel Spaß bereitet.

Rhodan wird nicht erfreut sein, wenn ichihm davon erzähle …

»Soll ich euch noch was sagen?«Jattuja holte Luft, kam jedoch nicht mehr

zu einer Antwort. Esra Cronswan meldetesich aus der BARETUS.

Reca war dankbar für die Unterbrechung.Aber nur, bis sie hörte, was die Komman-dantin ihres Schiffs zu berichten hatte.

*

Ungewöhnliche Phänomene wurden anzahlreichen Orten im Kaaf-System beobach-tet.

Sie gingen mit hoher Wahrscheinlichkeitvon den Katamar-Schlachtschiffen aus, diezuletzt auf dem Planeten Kaaf gelandet wa-ren. Man vermutete, dass sie wie schon viele

Der Vierte Inquisitor 31

Page 32: Der Vierte Inquisitor

vor ihnen frische Rudimentsoldaten abgeholthatten, die im dortigen so genannten Geneti-schen Kaafix geklont worden waren.

Wie Esra aus der LEIF ERIKSSON erfah-ren hatte, handelte es sich offenbar um dasletzte Aufgebot. Unfertig und, sofern mandas über lebendige, denkende Wesen sagendurfte, schadhaft.

Anstatt die Besatzungen der Katamare vorder Ausstrahlung der AGLAZAR-Aggregatezu schützen, wie es ihre eigentliche Aufgabewar, verursachten sie hyperenergetischeStörfronten.

Erst hatte man im terranischen Oberkom-mando geargwöhnt, die Tradom-Truppenbrächten eine noch unbekannte Waffe zumEinsatz. Doch die ultrahochfrequenten Erup-tionen wirkten keineswegs zielgerichtet, undsie bedrohten weniger die Schiffe der Terra-ner, Arkoniden und Posbis als die Katamaredes Reiches. Immer mehr von ihnen schie-nen Probleme mit der Navigation zu bekom-men …

Und dann setzte ein Art Kettenreaktionein.

»Die Orter spielen verrückt«, schilderteMonique O'Schnerfel aufgeregt, die denKontakt zwischen LEIF und BARETUShielt, so gut es ging. »So was habe ich nochnie erlebt. Als ob sich die Rudis in den Kata-maren gegenseitig ständig weiter aufschau-keln würden. Warte, da kommt etwas ausder Wissenschafts-Sektion … ›Lokal be-grenzte, instabile Pararealitäten‹. Na super.Damit erklären sie immer alles …«

Die Störgeräusche wurden stärker undhäufiger.

»Orientierung erschwert … Kriege eineHochrechnung herein. Die Wellenfront be-wegt sich von Kaaf in Richtung der Festung… Soll heißen, sie zielt auf uns und natür-lich auf euch … Tut mir Leid, Esra, wirmüssen ausweichen … Psi-Sturm … Schutz-schirme flackern … Báalols bluten aus denOhren … Müssen weg …«

Dann riss die Verbindung ab.Jetzt meldete auch die Orterzentrale der

BARETUS, dass sich das ungefähr keilför-

mige Feld auf sie zubewegte. Mittendrin,immun, unbeeinträchtigt, von unerklärlichenKräften abgeschirmt, ein elf Kilometer lan-ger Fliegender Hort der Inquisition.

Toll, dachte Esra. Und wir stehen hier wieauf dem Präsentierteller. Eine kleine, kugel-runde Schießbudenfigur. Die Festung kannuns nichts anhaben, dank Anguelas Kodes.

Aber der Hort …… eröffnete das Feuer.

*

Viel zu früh, wie Hutkin fand. Dennochkritisierte er Trah Tiwabal nicht.

Der terranische Kreuzer, dem es irgend-wie gelungen war, unbemerkt auf einer derzahlreichen Ausleger-Plattformen der Fe-stung zu landen, hatte sowieso keine Chan-ce.

Der Vierte Inquisitor überließ das lächer-liche Feindschiffchen dem Konquestor. Inseiner Sänfte ließ er sich zu einer der Raum-yachten tragen, die der Hort mitführte. SeineEskorte erwartete ihn bereits.

»Wir dringen genau an derselben Stelleein wie die Terraner«, ordnete er an.

Er leckte sich über die Lippen.Terraner …Wie die wohl schmeckten?

*

»Anguela! Schnell! Kannst du der BARE-TUS gegen den Fliegenden Hort irgendwiehelfen? Mit den Geschützen der Festung?«

»Kaum. Blockieren ist deutlich einfacherals Bedienen. Und wenn der Hort zurück-schlägt, müssten wir wohl schwerwiegendeZerstörungen an den Calditischen Palästenin Kauf nehmen. Soll ich es trotzdem wa-gen?«

Reca überlegte fieberhaft. Was war wich-tiger? Die BARETUS mitsamt ihrer Besat-zung?

Oder die Festung, die nicht nur ein gewal-tiges Machtinstrument darstellte, sondern –eben als Calditische Paläste – auch ein Sym-

32 Leo Lukas

Page 33: Der Vierte Inquisitor

bol für die ganze Galaxis?Alles in Reca wehrte sich dagegen, ihr

Schiff und ihre Leute zu opfern. Die Ver-nunft jedoch gebot …

»Vielleicht ein zusätzlicher Schutz-schirm?«, fragte Kraus Freedman.

»Den ›blinden Fleck‹ wieder zu desinstal-lieren, damit der Paradimpanzer lückenlosgeschlossen werden kann, würde zu viel Zeitin Anspruch nehmen«, sagte Anguela. »Undeine lokal begrenzte Sphäre … Ich fürchte,die zerschießt ein Fliegender Hort ebensoschnell wie eure Paratrons.«

»Und was ist«, meldete sich Gangolf,»wenn die BARETUS in einen Hangar derFestung einschleust? So etwas müsste esdoch hier ganz in der Nähe geben, oder?«

»Möglich«, antwortete Anguela. »DerSchutz wäre freilich ein rein psychologi-scher …«.

»Wir versuchen es«, entschied Reca.

*

Der kleine kugelförmige Raumer erhobsich von der Plattform, glitt entlang der Au-ßenhaut der Festung tiefer und verschwandschließlich in einer eben erst entstandenenÖffnung. Hutkin verfolgte den kurzen Flugan Bord der Yacht.

Hörbar irritiert fragte Konquestor TrahTiwabal über Funk an, wie er weiter vorge-hen solle.

»Feuer einstellen!«, befahl der Vierte In-quisitor. »Schleust uns aus und dann zurückan die Front!«

Diese Front war zwar derzeit in Auflö-sung begriffen, auf beiden Seiten, wegen desvon den Integralkriegern entfachten Psi-Sturms. Hutkin rechnete damit, längst mitder Festung über alle Berge zu sein, bis dieIntegralkrieger verbraucht waren und sichdie Verwirrung auf beiden Seiten wieder ge-legt hatte.

Trotzdem, der Konquestor und seineMannschaft waren Soldaten. Sie existierten,um zu kämpfen und zu sterben.

So und nur so war es richtig.

Die Raumyacht landete auf derselbenPlattform, wo vor kurzem noch der terrani-sche Kreuzer gestanden hatte.

Sie gingen von Bord. Die Eskorte for-mierte sich. Zweihundert X'Valenter nah-men vor der Sänfte Aufstellung, die restli-chen hundert der verwachsenen Zünder-Mutanten dahinter.

Hutkin, Vierter Inquisitor des ReichesTradom, schickte sich an, die Festung vonSchädlingen zu befreien.

*

»Da tut sich was im Tunnel«, sagte Jallon.»Wäre es dir vielleicht möglich, dich et-

was genauer auszudrücken, Kamerad Hypt?Deine Botschaft entbehrt gewisser Details.Zur Vermeidung ähnlich unklarer Situatio-nen in der Zukunft empfehle ich dir einender vom Bordpsychologischen Hilfsdienstder LEIF ERIKSSON offerierten Weiterbil-dungs-Kurse, beispielsweise ›Rhetorik I –Was sage ich wann wem wo wie und wiesobesser doch nicht‹. Ebenfalls sehr nützlich… Oh!«

Gangolf W. Kerzen verstummte abrupt,ganz von selbst, ohne dass ihn jemand dazuaufgefordert hätte – etwas, das, soweit sichReca erinnern konnte, überhaupt noch nievorgekommen war.

Unter anderen Umständen hätte sie jetzteine Runde Vurguzz ausgegeben. Stattdes-sen hielt sie nur ebenso entsetzt den Atem anwie die anderen auch.

Jallon hatte das Bild, das ihm einer derletzten, am Zugang der Kaserne postiertenKatsugos übermittelte, auf den Holoschirmder Subzentrale gelegt.

Im gleichen Moment, in dem sie die gro-teske Prozession erblickten, spürten sie esalle.

Es begann mit einem Zerren im Kopf.Nicht direkt schmerzhaft; ziehend, aber fastsanft. Als würden sie von einem Netz be-rührt, gestreift nur, von einem hauchdünnenNetz aus Spinnweben, das jemand mit leich-ter Hand ausgeworfen hatte, beiläufig, heiter

Der Vierte Inquisitor 33

Page 34: Der Vierte Inquisitor

und ungezielt.Noch …Denn schon in diesem ersten, kurzen Ta-

sten lag, wie ein verhaltenes Versprechen,das Vorgefühl einer ungeheuren Gier. Einzarter, kaum merklicher Sog, ein Ziehen, dassich jedoch, erkannte Reca augenblicklich,in ein ungezügeltes, gnadenloses Reißenverwandeln konnte. In ein Saugen undSchlemmen, Verschlingen und Verzehren,das nichts von ihrer Seele übrig lassen wür-de, wenn es sie erst einmal gepackt hatte.

Und zugleich war es … schmutzig. Ob-szön. Uralt, ungewaschen, nach Tod undVerwesung stinkend.

»He!«, rief Jallon. »Was …?«Das Bild fiel aus. Das Gefühl, mental be-

tatscht und besudelt zu werden, blieb.»Ein Inquisitor«, sagte Reca leise.Roxo Quatron hatte berichtet, einem sol-

chen Monstrum auf Sharamandie nur knappentgangen zu sein.

»Paratrons an, sofort!«, rief sie.

*

Hutkin, Vierter Inquisitor des ReichesTradom, wandelte durch die Randbezirkeder Festung. Im Triumphzug.

Gut, seine Eskorte mochte nach außen hingebrechlich wirken. Die X'Valenter schlepp-ten sich mehr voran, als sie gingen. Nur mitMühe und unter Schmerzen setzten sie Fußvor verkrüppelten Fuß.

Aber das schadete nichts. Im Gegenteil,das war richtig so.

Macht entstand aus Qual. So war es im-mer gewesen.

Immer?Natürlich. Seit Hutkin denken konnte, litt

er Hunger. Seine Gier nach Leben ließ sichfür kürzere Zeitspannen zurückdrängen, be-sänftigen, minimieren, doch letztlich war sieunstillbar.

Seine Macht, die Macht der Inquisitoren,ja der Inquisition an sich, beruhte auf Qua-len, auf Schmerz und Pein.

Mit den X'Valentern, seinen Geschöpfen,

verhielt es sich ganz ähnlich.So hinfällig und gemartert sie erschienen,

so mächtig waren die Mutanten, einzeln underst recht im Verbund. Die Schutzschirmeder feindlichen Vorposten knackten sie, lan-ge bevor deren Zielsysteme sie erfassenkonnten, so zuverlässig und problemlos wieeine Austernzange die Schalen einer …

Auster?Was soll das sein? Egal.Handelte es sich bei der feindlichen Ein-

heit um einen Roboter, zündeten ihn dieX'Valenter praktisch zeitgleich wie denSchirm. Mit den Kampfgleitern der Terranerverfuhren sie genauso.

Wenn sich unter der energetischen Sphäreaber ein Lebewesen befand …

*

Der Druck auf Anguelas Kopf verstärktesich, je näher die abscheuliche Prozessionder Valenter kam. Es fiel ihm zunehmendschwerer, einen klaren Gedanken zu fassen,trotz der Schutzschirme.

Wie war das möglich? Sollten Paratronsund Paradimpanzer nicht eigentlich jeglicheAngriffe neutralisieren, auch ultrahochfre-quent hyperenergetische?

Aber diese dunkle, so entsetzlich hungrigeGeistesmacht will gar nicht ins Innere derSchirme eindringen, versuchte er sich dasUnbegreifliche begreiflich zu machen. Siesaugt im Gegenteil etwas heraus! Durchwinzige Strukturlücken und entsprechendlangsam.

Solange die Schirme hielten, hatten siedennoch nicht viel zu befürchten. Der bleier-ne Schmerz, so unangenehm er war, ließsich einigermaßen ertragen.

Einige der bemitleidenswert missgestalte-ten Geschöpfe hingegen, die vor der Sänfteeinherwackelten, waren den Strapazen of-fensichtlich nicht mehr gewachsen. Sie fie-len um und blieben liegen, ohne dass sichein Einziger ihrer Artgenossen um sie ge-kümmert hätte.

Recas Aufschrei ließ Anguela zusammen-

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zucken. »Verdammt, was ist mit den Tra-dom-Robotern los? Jallon! Warum lässt dusie nicht angreifen?«

»Das will ich ja. Ich kann sie auch in Po-sition bringen. Aber sie feuern nicht. Offen-bar sind diese Gnomen und die schwarzeSänfte für sie tabu.«

»Verstehe. Anguela?«»Ich kann … nichts dagegen unterneh-

men. Die entsprechende Programmierungbefindet sich in … jeder einzelnen Maschi-ne«, antwortete er stockend. »Sie ist nachmeiner Zeit eingegeben worden. Deshalb be-sitze ich dafür leider keine Kodes.«

»Soll das heißen, wir haben nichts mehraußer zwei Dutzend Katsugos, ein paar ha-varierten TARAS und uns selbst?«

Niemand antwortete, nicht einmal Gan-golf.

Gerade eben war es Anguela gelungen,auch die auf den Auslegern verbliebenendrei kleineren Paläste – die Terraner be-zeichneten sie als »Satelliten« – von derKommandogewalt der Zentraltürme abzu-koppeln und auf ihren Startvorrichtungen zuarretieren. Aber was nützte das?

Die größte Gefahr ging momentan nichtvon den Satelliten aus, sondern von derSänfte. Und diese näherte sich ihnen lang-sam, doch unerbittlich.

*

Hutkin hatte Jahrtausende damit zuge-bracht, nach dem Ultimaten Geschmack zuforschen. Im Grunde waren die Stallungennur zu diesem Zweck errichtet und bestücktworden.

Nun musste er einsehen, dass er die ganzeZeit über am falschen Ort gesucht hatte. InTradom und den benachbarten Galaxien wardiese eine unvergleichliche mentale Notenicht zu finden gewesen. Auch nicht in denFernen Provinzen.

Doch es gab sie.Sein erster Terraner, ein Raumsoldat, des-

sen Schirm die X'Valenter annulliert hatten,schmeckte so intensiv abstoßend und ver-

traut zugleich, dass Hutkin beinahe kehrtge-macht hätte.

Aber beim zweiten und dritten wandeltesich bitter in süß. Den vierten schlürfte ermit einer Lust, wie er sie nie zuvor empfun-den hatte.

Er trieb seine Eskorte zu höherem Tempoan. Er musste alle haben, alle, die sich in derNebenzentrale verbarrikadierten.

Die Mutanten schwanden unterwegs da-hin. Nur fünfzig X'Valenter befanden sichnoch bei ihm, als die letzten feindlichen Ro-boter und Kampfgleiter aus dem Weg ge-räumt waren. Aber sie genügten, um die ver-bliebenen Schutzschirme zu beseitigen.

Hutkin, Vierter Inquisitor des ReichesTradom, rüstete sich zum Festmahl.

Der Tisch war reich gedeckt.

Ungeträumte Träume (IV)

»Warum«, fragt Grek-665 ½ zum wieder-holten Mal, »beschäftigt ihr Terraner euchdermaßen aufwändig und rituell mit der Zu-bereitung und Einnahme von Nahrung? Esspottet jeder Logistik, wie viel Zeit ihr damitvergeudet.«

»Mein lieber Freund«, antwortest du demMaahk, »ich fürchte stark, das wirst du niebegreifen. Klar, wir könnten die benötigtenProteine, Fette und Kohlehydrate gleicher-maßen unspektakulär einnehmen, wie ihrMethanatmer euch Stickstoffverbindungenund Silizium zuführt. Aber darum geht esnicht.«

»Worum denn?«Also erzählst du ihm, wiewohl du dir der

Sinnlosigkeit dieses Unterfangens bewusstbist, von Beluga-Kaviar und Langusten-schwänzen, von Rotwein und Malt-Whisky,von Kräutern und Gewürzen, die in denschönsten Liedern der Menschheit besungenwerden: Petersilie, Salbei, Rosmarin undThymian …

»Ein Hühnerei, gerade richtig weich ge-kocht«, schwärmst du, während dir dasWasser im Mund zusammenläuft, »ein Erd-beersorbet, ein winzig kleines Stück echter

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Schokolade, das auf der Zunge zergeht …Alles das sind Botschaften, die wir über dieGeschmacksnerven aufnehmen. Jeder schar-fe Pfefferone, jede milde Möhre, jedes biede-re Bier erzählt uns eine Geschichte. Und oh-ne Geschichten, musst du wissen, könnenwir Menschen nicht leben.«

»Es wäre also eine so genannte Tragödiefür euch, wenn ihr des Geschmackssinnsverlustig gingt?«

Du denkst nur kurz über diese Fragenach. »Ja, genau das wäre es. Ich weißnicht, was aus uns würde, wenn wir niemehr Freude am Essen empfinden könnten.«

7. Gang:Dessert

Im gleichen Augenblick, in dem dieSchutzschirme erloschen, legte sich einemodrige, feuchtschwere Finsternis überKraus Freedmans Gedanken.

Mit einem Mal erschien ihm alles sinnlos.Das Kämpfen und Streiten, die Mühsal undPlage von frühester Jugend an … wozu? Fürjeden besiegten Feind kam ein neuer nach.

Er blickte auf den Kombistrahler in seinerHand. Die Mündung zielte auf die nur weni-ge Meter entfernte schwarze Sänfte, die in-mitten Dutzender verkrümmter, wie ausge-dörrt wirkender Leichen schwebte. Von ihrkam die Finsternis, die dunkle, saugende, soattraktive Verlockung.

Wenn er sich nicht länger dagegen wehr-te, war alles vorüber. Aus und vorbei.

Endlich Ruhe. Nie wieder Ärger mit dum-men Untergebenen. Nie wieder Schreiduellemit der Exfrau, weil er monatelang im Kos-mos unterwegs war und sich nicht um dieKinder kümmern konnte.

Seine Kinder, die längst einen anderenMann »Papa« nannten …

Er wusste, er sollte schießen. Das warsein Beruf. Er war ein guter Schütze, immergewesen, schneller als die meisten anderen.

Und was hatte ihm das gebracht? Werbrauchte ihn wirklich? Wer würde sich anihn erinnern?

Kraus nahm den Finger vom Auslöser. Erließ die Waffe sinken.

Schwärze hüllte ihn ein, stülpte sein In-nerstes nach außen und riss es mit sich.

*

Auch Jattuja Jattu hielt den Strahler aufdie Sänfte gerichtet. Und auch sie drücktenicht ab.

Die dunkle Wolke hüllte sie ein, kitzeltesie, vibrierend, lockend. NeuroelektrischeEntladungen rasten vom Rücken durch alleNervenfasern ihres Körpers.

Dieses Körpers, den sie nicht mochte. Mitdem sie seit der Pubertät nicht zurechtkam.Das unnütze Fleisch, hinter dem sie sicheinstmals versteckt hatte und in dem sie nungefangen war.

Was hätte sie denn werden sollen mit die-sem Körper? Vielleicht ein Fotomodell?

Selbst als Kindergärtnerin war sie schiefangeschaut worden, und die Dreijährigenhatten über sie gespottet, wenn sie sich un-beobachtet glaubten.

Übergewichtig, unwuchtig, die personifi-zierte Unform.

Schließlich hatte sie sich für die Raum-flotte beworben. In der Schwerelosigkeit, sohatte sie gehofft, würde all das Fett nicht soins Gewicht fallen.

Erstaunlicherweise wurde sie genommen.Wegen der guten Testergebnisse, der hohenBelastbarkeit in Extremsituationen. In einemSERUN zählte das Hirn, nicht der Hintern,sagten sie.

Nur dass die Raumfahrer genauso schnellhin- und wieder wegsahen, wenn sie ihreLeibesfülle in die Cafeteria schob, wie dieMänner auf den Planeten.

Als guter Kumpel, ja, als das ging siedurch. Als Ersatz für die große Schwester.Die für jedes Wehwehchen Verständniszeigte. Die man bedenkenlos fragen konnte,ob man der angebeteten, schlanken Blondineeinen Blumenstrauß mitbringen sollte oderdoch lieber gleich transparente Unterwä-sche.

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Jattuja, die sich all das und mehr geduldiganhörte. Die Stütze, der Prellbock, der ru-hende Pol. Die Mutter der Kompanie.

Und dabei verkannten sie alle. Sie warnicht zufrieden und ausgeglichen. Sie warnur träge; und verschlossen, eingesperrt indiesen Körper, aus dem sie nie und nimmer-mehr herauskonnte.

Außer, wenn sie die Einladung annahm,die von der Sänfte ausging.

Die dunkle Wolke redete nicht zu ihr. DasWesen, das sie aussandte, war kein Tele-path. Aber es kannte das Leid, und es ver-sprach Erlösung. Erleichterung, im wahrstenWortsinn.

Jattuja verließ ihren Körper und gab sichder Wolke hin.

*

Gangolf W. Kerzen verschlug es die Spra-che, als sich die kühlen, nachtschwarzenSchleier um ihn legten.

Jählings fehlten ihm die Worte, die sonstimmer seine Verkleidung gebildet hatten,seine Tarnung. Auch vor sich selbst – dochjetzt erkannte er, wer er wirklich war.

Ein Nichts. Schlimmer: eine Peinlichkeit.Hatte er wirklich ernsthaft geglaubt, ir-

gendjemand mit seiner Eloquenz beein-drucken zu können? Mit seiner so genanntenKreativität, die sich in einer endlosen Abfol-ge dummer Ideen und kindischer Witzchenerschöpfte?

Sein angeblich selbstloser Dienst an derGemeinschaft, sein ehrenamtliches Engage-ment beim Bordpsychologischen Hilfsdienstfußte auf nichts als Eitelkeit.

»Ehrenamtlich«, o ja – weil er insgeheimum Ruhm und Ehre buhlte, um Ämter undWürden, die er auf anderem Wege nicht er-reichen konnte.

Und dabei lachten sie ihn aus. Wie sie im-mer gelacht hatten. Er hatte sie sogar nochbestärkt darin, hatte ihnen von klein auf denClown gemacht, den Klassenkasper, denTrottel vom Dienst.

Wer nicht das Zeug zum Helden hat,

muss eben Komiker werden.Applaus bekam er durchaus für seine Spe-

renzchen, manchmal wenigstens; Anerken-nung: nie. Und hinterher, allein im stillenKämmerchen, schämte er sich für den Un-sinn, den er verzapft hatte.

Die schwarzen Schleier, die ihm die Spra-che geraubt hatten, gaben sich damit nichtzufrieden. Gangolf spürte, dass er nur nochein kleines bisschen nachzugeben brauchte,und die Schleier nahmen ihn ganz. Brachtenihn dorthin, wo es weder Zeit noch Raumgab und vor allem weder Scham noch Pein-lichkeit.

Denn das Paradies oder besser Nirwanawar der Ort, an dem keine Witze erzähltwurden.

*

Mutlosigkeit und Pessimismus überwäl-tigten Reca angesichts der Sänfte, in der sieden Inquisitor wusste.

Sogleich sah sie ein, welche Vermessen-heit, welch frevelhafte Selbstüberhebung ihrVorstoß in die Festung darstellte. Wer warensie, sich anzumaßen, der Raumgigant stündeeher ihnen zu als den Inquisitoren der Ver-nunft?

Gegenüber Wesen mit solcher Geistes-macht konnte sie sich trotz ihrer Größe undKörperkraft unmöglich behaupten.

Sie wollte auf die Knie sinken, doch sievermochte sich nicht zu bewegen. Eine nas-skalte, schwarze Lähmung hatte ihre Gliederergriffen.

Widerstand war zwecklos. Sie hatte verlo-ren, ohne jemals eine Chance besessen zuhaben. Sie erhielt die verdiente Strafe für ih-re Hybris, und sie war bereit, diese Strafe zuakzeptieren.

Auf Versagen stand der Tod; der Siegernahm alles, auch das Leben.

Aus den Augenwinkeln sah sie, wieschräg hinter ihr Kraus Freedman zusam-mensackte. Unmittelbar darauf fiel auch Jat-tuja.

Gangolf schwankte, den Mund zu einem

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stummen Schrei aufgerissen. Anguela Kula-lin klammerte sich an der Konsole fest. Diesichtbaren Stellen seiner Hautoberflächeglühten in düsterem Rot. Jallon Hypt, dasGesicht zu einer Grimasse verzerrt, droschsich mit beiden Fäusten gegen den Helm,wieder und wieder.

Aber was kümmerte es Reca, wie es die-sen Leuten erging. Wer waren sie schon?

Ein kurzer, heißer Schmerz durchzuckteRecas Glieder, kämpfte gegen die schwarzeLähmung an.

Vergeblich. Ihre Seelennot, ihre Ver-zweiflung wegen der Niederlage war viel zugroß, als dass sie noch Aufmerksamkeit fürdie anderen erübrigen konnte. Sollten siedoch selber zusehen, wo sie blieben.

Jeder für sich und gegen jeden, so war esrichtig.

Nein. Eben nicht.Falsch war das, falsch wie die Verheißun-

gen aus der schwarzen Sänfte. So falsch, wiesich in ihrem Selbstmitleid zu suhlen.

Kraus, Jattuja, Gangolf und Jallon gingensie sehr wohl etwas an. Sie bildeten einTeam, und sie, Reca Baretus, war ihre Kom-mandantin. Und für sie verantwortlich!

Der heiße, helle, wütende Schmerz wurdestärker, drängte die Lähmung zurück.

Was bildete sie sich ein? Was erlaubte siesich? War sie noch bei Trost?

Sich selbst konnte sie aufgeben, fallenlassen, dem Mentalvampir ausliefern. Dochnicht ihre Leute.

Niemals!, schmetterte sie der schmutziggrauen Sänfte entgegen. Niemals!

Die Lähmung fiel von ihr ab. Sie begriff,was in den letzten Sekunden geschehen war,was den anderen immer noch geschah.

Um ihnen das Leben nehmen zu können,zerbrach der Inquisitor ihren Lebenswillen.Mit ungeheurer Wucht. Fast wäre ihm dasauch bei Reca gelungen.

Sie musste die anderen ebenfalls aufrüt-teln, musste sie aus der Lethargie und derTodessehnsucht zurückholen, bevor es zuspät war. Musste ihnen augenblicklich wie-der Lebensmut und Lebensfreude einimpfen.

Aber wie? Verdammt noch mal, wie?

*

Die letzten Leckerbissen wehrten sich.Hutkin mochte das.

Er ließ sie noch ein wenig zappeln. Daserhöhte den Genuss. Nur minderwertige Le-bensformen fraßen. Der Vierte Inquisitor ta-felte.

Obwohl er mit Leichtigkeit allen fünf aufeinmal die Mentalenergie hätte aussaugenkönnen, widmete er sich jedem von ihneneinzeln, schön der Reihe nach. Zumal zweidavon offensichtlich keine gewöhnlichenTerraner waren, wiewohl mit diesen ver-wandt; einer gehörte überhaupt einem gänz-lich anderen Volk an.

Diese exquisiten Geschmäcker zu vermi-schen wäre geradezu Barbarei gewesen. Ei-ne Sünde gegen die Esskultur, ärger noch alsWiener Schnitzel ohne Tunke.

Als – was?Da er kurz abgelenkt war, entglitt ihm ei-

nes der Häppchen für einen Moment. Eshandelte sich um die körperlich größte dersechs Gestalten.

»Jallon!«, schrie sie. »Jallon Hypt! Ver-stehst du mich? Ich bin es, Reca. Hör mir zu,du Schande von Ertrus: Wenn du mich lie-bst, wenn du mich wirklich liebst – dannsing!«

»Wa … was?«»Verdammt, nun sing schon, Jallon! Sing,

wie du in der Cafeteria … ach was, sing, wiedu noch nie in deinem Leben gesungenhast!«

Und Jallon sang.

*

Weine nicht, wenn das Reich zerfällt,Tam-tam, tam-tam.Es gibt etwas, das ewig hält,Tam-tam, tam-tam.Thatrix und Inquisition,VAIA, Tradom und Thoregon –Alles, alles geht kaputt,

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Doch ich bleib dir gut.

Es klang so erbärmlich falsch, so inbrün-stig daneben, dass Gangolf erschrak undhellauf lachen musste. Und verwundert fest-stellte, dass es noch viel größere Narren, viellächerlichere Figuren gab als ihn.

Kurz war er in Versuchung, den beidenzweifellos unmusikalischsten aller Ertrusereinen Fortbildungskurs des Bordpsychologi-schen Hilfsdienstes anzuraten. Doch statt-dessen sang er einfach mit.

Er kannte weder Text noch Melodie, aberschlimmer konnte es ohnehin nicht mehrwerden.

Schönste Frau aller Galaxien,Ham-ham, ham-ham.Magisch zieht es mich zu dir hin,Mnjam-njam, njam-njam.Intervallschirm und Paratron,Tencanol oder Panzertroplon –Alles, alles geht perdu,Doch ich verlass dich nie.

*

Anguela Kulalin war der letzte Überle-bende seines Volkes. Die Guyaam hatteneinstmals, zusammen mit VAIA und als de-ren engste Vertraute, für Frieden und Wohl-stand in Tradom und den anderen sieben Ga-laxien der Thatrix gesorgt. Bis sie von derInquisition der Vernunft ausgerottet wordenwaren.

Somit war auch sein, Anguelas, Lebensinnlos. Das hatte ihm das schwarze Lichtaus der Sänfte klar gemacht.

Er war im Begriff gewesen, sich dieserEinsicht zu beugen, als der Ertruser grässli-che Töne auszustoßen begann, in die kurzdarauf auch Reca und einer der Terraner ein-stimmten.

Die Musik, wenn man denn dies Gegröleso nennen durfte, erinnerte Anguela an seineersten Schritte in der Kunst- und Intellektu-ellenszene von Caldera. Nein, früher noch:an die Darbietungen der Zowel-Schwestern

im Ratsgebäude, unter den Goldenen Kup-peln von Sivkadam.

Obgleich er diese Zwangsbeglückungendamals gehasst hatte, empfand er nun, wenner daran zurückdachte, tiefe Wehmut.

Und zugleich Wut.Anguela hatte nur wenig Konkretes von

dem Terrorregime gesehen, das die Inquisiti-on der Vernunft in seiner Heimat errichtethatte. Er befand sich erst fünf Tage bei vol-lem Bewusstsein in dieser Zeit, die für seinGefühl immer noch in ferner Zukunft lag.

Doch was er gesehen hatte, genügte vol-lauf. Alles in seiner Macht Stehende zu un-ternehmen, um dieses schreckliche ReichTradom zu stürzen – das war er dem Anden-ken an sein Volk und an die glücklichen Ta-ge seiner Jugend schuldig.

Dafür lohnte es sich zu kämpfen.Anguela schüttelte das Licht der Düster-

nis ab. Während er sich wieder den Kontrol-len der Subzentrale zuwandte, ertappte ersich dabei, dass er mitsummte.

Höre doch, wie mein Herze schlägt:Bamm-bamm, bamm-bamm.Wie dein Sichelkamm mich erregt,Kamm-kamm, kamm-kamm.Howalgonium und Yddith,Ynkelonium-Terkonit –Alles bröckelt und zerbricht,Nur meine Liebe nicht.

*

Jattuja Jattu trieb in der schwarzen Wol-ke; schwerelos. Doch zerrten zwei einanderentgegengesetzte Kräfte an ihr.

Die eine war der Sog des Todes. Viel, vielstärker als zuvor: Der sie zu sich in die Sänf-te holen wollte, spielte nun nicht mehr mitihr, sondern machte Ernst.

Von der anderen Seite aber kamen Töne.Und wenig später Wörter.

»Es gibt zahllose Argumente dafür, deinewunderhübschen Augen wieder aufzuschla-gen, höchlichst verehrte Jattuja. Ich nenne inaller gebotenen Eile nur die Lücke, die deinAbleben in die ruhmreiche Sumoringer-

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Mannschaft der LEIF ERIKSSON reißenwürde, womit ich gestehe, dich mehrfach beiWettkämpfen heimlich beobachtet zu haben,da ich mich an deinen durchaus herausra-genden Rundungen nicht satt sehen kann,schon gar nicht, wenn sie in schwingenderBewegung sanft erzittern. Nenne mich einenEsel, Filou, Gaukler oder Hohlkopf, aber ich…«

»Klappe, Gangolf!«Kaum spürte Jattuja ihren Körper wieder,

richtete sie sich auf, schnappte den Strahlerund eröffnete das Feuer.

*

Hutkin war nicht mehr amüsiert. Bis aufeinen hatten sich ihm alle Leckerbissen imletzten Moment entzogen. Und nun erdrei-steten sie sich sogar, auf die Sänfte zu schie-ßen.

Wobei sie weiterhin sangen!Natürlich errichtete die Sänfte blitzschnell

einen Paradimpanzer, dem auch der konzen-trierte Punktbeschuss aus vier Waffen nichtsanhaben konnte. Doch dann entstand unmit-telbar hinter der Sänfte eine weitere Para-dimsphäre und noch eine und noch eine …

Die wenigen überlebenden X'Valenterzerstörten diese sofort wieder. Doch dannwaren die letzten Zünder-Mutanten ver-braucht, und unaufhörlich bildeten sich neueParadimblasen.

Verantwortlich dafür war offenbar dieGestalt am Steuerpult der Nebenzentrale.Hutkin konnte kein Gesicht erkennen, da derKopf mit Binden verhüllt war. Wieder warfer sein mentales Netz nach dieser minder-wertigen, widerwärtigen Lebensform aus.

Vergeblich. Auch die vier Sänger konnteer nicht mehr erfassen.

Die Paradimblasen kollidierten mit demPanzer der Sänfte und brachten ihn zum Zu-sammenbruch.

Ein unendlich lange nicht mehr gekanntesGefühl überschwemmte Hutkin.

Panik!Wie damals, als die Mayonnaise gerann.

Als der Spinangold anbrannte. Als die Pav-lova in sich zusammenfiel.

Unsinn! Es gab kein Damals. Es gab nurjetzt und hier. Nur die Vernunft. Die Inquisi-tion.

Ihn.Während die Wände der Sänfte im Feuer

vergingen, bäumte sich Hutkin noch einmalauf. Er schleuderte all seine Geistesmacht soweit wie nur möglich hinaus. Jedes Leben inweitem Umkreis ergriff er, und die Geisterder unzähligen Valenter, die sich ihm nichtwidersetzen konnten, riss er an sich.

Hutkin, Vierter Inquisitor des ReichesTradom, saugte Lebensenergie in einer Men-ge auf wie nie zuvor. Auch als er längstschon übersättigt war, hielt er nicht inne. Ertrank und trank, er aß und aß, doch seineGier ließ sich nicht stillen.

Und dann …

8. Gang:Nur noch ein Minzblättchen

Esra Cronswan bekam wieder Kontakt zurLEIF ERIKSSON.

Das hyperenergetische Chaos im Kaaf-System ebbte langsam ab, wie MoniqueO'Schnerfel berichtete.

Keiner der Fliegenden Horte existiertemehr. Einer war auf den Planeten Kaaf ab-gestürzt und hatte dabei beträchtliche Teileder Oberfläche verwüstet, darunter das Ge-netische Kaafix.

Die Schlacht neigte sich dem Ende zu.Mehr und mehr Flotten der Valenter ergrif-fen die Flucht.

»Aber was ist das? Die Festung der Inqui-sition schleust Beiboote aus«, rief Moniqueaufgeregt. »Tausende und Abertausende! Ichdachte, Anguela hat bereits alles unter Kon-trolle?«

»Die Verbindung zum Stoßtrupp ist seitlängerem unterbrochen. Ich weiß auch nicht…«

»Entschuldige, Esra. Ich höre gerade …Einen Moment bitte. – Wie? Oh!«

»Was ist passiert? Hallo! Monique, hörst

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du mich?«Erst nach einiger Zeit meldete sich die

junge Funkerin wieder.»In der Deckung der offenbar robotisch

gesteuerten Beiboote hat sich ein Schiff vomTyp AGLAMAD abgesetzt. Weder wir nochandere Einheiten konnten es stellen, bevores im Hyperraum verschwand.«

»Oh-oh! Wer mag sich wohl darin befun-den haben?«

*

Danach ging es schnell.Über dem höchsten Turm der Festung er-

schien ein Symbol, zwei mal zwei Kilometergroß und in der Ortung jedweden Raumerszweifelsfrei erkennbar.

Es war nicht das stilisierte Schwert desReiches Tradom, sondern es zeigte die Gala-xis vor einem vielzackigen Strahlenkranz,am oberen Rand überstrahlt vom gelboran-gefarbenen »Auge Anguelas«. Unten befandsich eine Art Schriftzug in durchscheinen-dem Gold mit dunklem Schattenwurf: Zwi-schen kleeblattähnlichen Schlaufen flankier-ten zwei Dreiergruppen von Balken eineRaute.

Das Wappen des Trümmerimperiums …Die verbliebenen Truppen der Inquisition

verstanden die Botschaft: Die Festung wargefallen. Sie stellten das Feuer ein.

42.000 zum Teil schwer beschädigteAGLAZARE und Schiffe der Valenterflüchteten ungeordnet aus dem Kaaf-Sy-stem.

Perry Rhodan wies die Mobile Flotte Tra-dom an, von einer Verfolgung abzusehen.Die hoffentlich letzte Schlacht in der Gala-xis war vorbei. Terraner, Arkoniden undPosbis hatten mehrere hundert Raumer ein-gebüßt. Rhodan war nicht bereit, noch mehrOpfer in Kauf zu nehmen.

Der Terranische Resident atmete auf, alssich endlich jemand von Reca Baretus' Ein-satzgruppe meldete.

»Calditische Paläste an LEIF ERIKS-SON. Die gute Nachricht: Hier sind Anguela

Kulalin, Jattuja Jattu, Jallon Hypt, Reca Ba-retus und euer sehr ergebener Gangolf W.Kerzen, allesamt etwas mitgenommen, dochwohlauf. Die schlechte Nachricht: Wir sinddie Einzigen. Alle anderen, inklusive der ge-samten Besatzung, hat der Inquisitor sicheinverleibt oder besser: vergeistigt, bevor esihn buchstäblich zerrissen hat. Rückstands-los.«

Rhodan widerstand dem Impuls, denRaumsoldaten wegen seines flapsigen Ton-falls in die Schranken zu weisen. Der Mannhatte unzweifelhaft Schlimmes durchge-macht. Seine überdrehte Sprechweise halfihm zumindest vorläufig über das erlebteGrauen und den Tod so vieler seiner Kame-raden hinweg.

Der Terraner wartete noch die Klarmel-dungen der verschiedenen Verbände ab,dann bat er Gucky, mit ihm und Ascari daVivo in die Festung, genauer: in die wiederzurückgewonnenen Calditischen Paläste, zuteleportieren.

*

Anguela bestand darauf, dass ihn RecaBaretus auch weiterhin begleiten solle.

Er verdanke ihr sein Leben, sagte er; ihrund diesem merkwürdigen Lied, welchessich zwar als Hymne nicht sonderlich eigne,das aber dennoch, wenn es nach ihm ging,einen Ehrenplatz in der zukünftigen Ge-schichtsschreibung Tradoms erhalten würde.

Reca war viel zu müde und ausgebrannt,um zu widersprechen. Lieber hätte sie sichzusammen mit Jattuja, Gangolf und Jallonzurück auf die BARETUS und mit dieserzur LEIF begeben.

Zwei, drei Eimer Vurguzz in der Cafete-ria, dazu einen halben Ochsen und dann abin die Federn …

Stattdessen stopfte sie die restlichen Kon-zentratriegel in sich hinein, während Angue-la und sie auf Rhodan und die arkonidischeMascantin warteten.

Immerhin erfahre ich so aus erster Hand,wie es weitergeht.

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Schließlich materialisierte der Mausbiberzusammen mit Perry und Ascari.

Nachdem sie sich begrüßt hatten, sagteRhodan: »Ich gratuliere und danke dir, Reca.Zugleich spreche ich dir mein Beileid für dieerlittenen Verluste aus. Ich bedaure, dass wireuch keine weitere Verstärkung schickenkonnten. Doch das hyperenergetische Chaos,das vom letzten Aufgebot der Gegenseiteausgelöst worden ist, hat alle Notfallplänezunichte gemacht. Sowohl Transmitter-durchgänge als auch Teleportationen wareneinfach nicht mehr möglich.«

Reca winkte ab. Das hatte sie sich schonselbst zusammengereimt.

»Außerdem waren die Paläste mit einemSystem von Parafallen bestückt«, ergänzteAnguela. »Die ich inzwischen selbstver-ständlich desaktiviert habe.«

»Ich wollte es trotzdem versuchen«,maulte Gucky, gespielt beleidigt, »aber manließ mich ja nicht.«

»Wir brauchen dich noch, Kleiner«, sagteRhodan. Und zu Anguela: »Bist du sicher,dass die Fes … die Paläste keine bösenÜberraschungen mehr für uns bereithalten?«

»Ziemlich sicher. Mittlerweile überblickeich das gesamte Rechnernetzwerk, also alleAnlagen, inklusive der Intern-Orter. Außeruns befinden sich keine weiteren Lebewesenan Bord. Die Paläste sind ein Leichenhaus.«

Unmittelbar bevor dieser sich mit demAGLAMAD-Schiff davongemacht hatte, soberichtete Anguela, hatte der feindlicheOberbefehlshaber die Hauptleitzentrale zer-stören lassen.

»Bis sie restauriert ist, werden die Palästevon hier und anderen Ausweichzentralen ausgesteuert werden müssen.«

»Ein Team von erstklassigen arkonidi-schen Spezialisten steht abrufbereit«, sagteAscari da Vivo steif.

Rhodan hob die Augenbrauen und verzogden Mund zu einem dünnen Lächeln. »Siewerden sich gewiss prächtig mit den terrani-schen Fachleuten verstehen.«

*

Endlich wieder in der LEIF, war für Recanoch immer nicht Feierabend. LauterBroch't, der Leiter der Abteilung Funk undOrtung, teilte ihnen die beunruhigende Neu-igkeit persönlich mit.

Die Schiffe der Mobilen Flotte Tradomhatten während der Schlacht den Funkver-kehr im Kaaf-System aufgezeichnet; auchund ganz besonders den der Gegenseite.

Der Einsatz eines jener Entschlüsselungs-Ko-des, die ihnen während der kriegerischenAuseinandersetzungen der vergangenen Ta-ge in die Hände gefallen waren, hatte zu ei-nem höchst überraschenden Ergebnis ge-führt.

»Es sieht aus, als hätten wir eine Nach-richt von weit außerhalb des Kaaf-Systemsaufgefangen«, erläuterte Lauter Broch't, ner-vös wie immer. »Eine Botschaft, die an denSouverän der Vernunft persönlich gerichtetwar.«

Darin war die Rede von einem Raum-schiff namens SETA WAE, das nun gefun-den sei – und zwar im System einer Sonnemit Namen Latross.

»Das ist nicht gut«, sagte Anguela er-schrocken. »Das ist leider gar nicht gut.«

Der Guyar erinnerte sie daran, dass essich bei der SETA WAE um ein Thoregon-Botenschiff handelte. Das tropfenförmige,strahlend weiße, nur hundertacht Meter lan-ge, doch überaus mächtige Raumfahrzeughatte seit Urzeiten den Verkündern VAIASzur Verfügung gestanden; also zuletzt auchihm.

»Es muss irgendwann in der Galaxis AulEimanx aufgefunden und nach Tradom ge-schafft worden sein.«

»Offensichtlich kannte auch der Souveränder Vernunft den Lagerort der SETA WAEbis vor kurzem nicht«, sagte Rhodan nach-denklich. »Eigenartig. Jedenfalls wird da-durch seine betont hinhaltende Taktik ver-ständlich.«

Anguelas Mundpartie verfärbte sich in ra-scher Folge. Seine tiefe Stimme klang drän-gend. »Aber jetzt weiß der Souverän Be-scheid. Ich plädiere dafür, unverzüglich ins

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Latross-System aufzubrechen.«»Wäre das nicht ein wenig überstürzt?«,

fragte Lauter Broch't. »Ich meine, was willer mit dem uralten Botenschiff schon großanfangen?«

Reca verstand den Orterchef nur zu gut.An Stelle einer ausgiebigen Verschnaufpau-se schon wieder in den Einsatz zu gehen, dasbehagte wohl niemandem von der Mann-schaft.

»Der Souverän der Vernunft«, sagte An-guela eindringlich, »besitzt mit der SETAWAE eine realistische Chance, in den PULSvorzudringen, bis zu VAIAS Heimstatt. Eswurde zwar niemals versucht, aber dasSchiff eines Thoregon-Boten müsste durch-aus imstande sein, die so genannte unüber-windbare Grenze zu durchdringen. Wennder Souverän den PULS erreicht, könnte erVAIAS eben erwachenden Leib doch nochtöten.«

Ascari da Vivo sprang auf. »Und diePULS-Forts vermögen die SETA WAEnicht aufzuhalten. Sie würden sie ja nichteinmal als feindlich einstufen, oder?«

»Du sagst es. Schlimmer noch, der Souve-rän könnte die PULS-Forts für seine Zweckeumfunktionieren. Dann sind wir alle verlo-ren.«

Die Mascantin drehte sich zu Rhodan. Ih-re Augen blitzten. »Worauf wartest du noch,Terraner?«

*

Während des Fluges konnte Reca endlichdie Kleidung wechseln, sich reinigen undein wenig hinlegen.

Wenn auch nicht für lange: Das Latross-System lag 15.317 Lichtjahre von Kaaf ent-fernt. Bei einem Überlichtfaktor von siebzigMillionen – was einer Geschwindigkeit vonknapp 2,22 Lichtjahren pro Sekunde ent-sprach – würden sie für diese Strecke 115Minuten benötigen.

Dass sich Reca, statt zu schlafen oder we-nigstens zu dösen, mit kosmonautischen Be-rechnungen beschäftigte, war typisch für die

Nachwehen eines derartigen Kampfeinsat-zes.

Obwohl körperlich ausgepumpt und tod-müde, war sie geistig vollkommen über-dreht. Immer noch blinkten und wirbeltendie Lichtpunkte des Displays vor ihren Au-gen. Die Stimmen der Teamgefährten hall-ten in ihren Ohren wider, und im Geist for-mulierte sie Befehle und Statusmeldungenan die BARETUS.

Hallo, Esra. Danke der Nachfrage, esgeht mir recht gut. Du weißt ja, Schocks set-zen bei mir mit einer gewissen Verzögerungein. Der wahre Hammer trifft mich immererst zwei Tage später.

Da werde ich dann voll und ganz verar-beiten, wie teuer die Eroberung der Festungerkauft wurde. Von meinem ganzen Kom-mando habe ich nur fünf Leute wieder heim-gebracht.

Nein, niemand macht mir Vorwürfe. Bes-ser ging's nun mal nicht. Rhodan hat michsogar ausdrücklich belobigt, und Anguelawill mich weiterhin als seine persönlicheLeibwache.

Wie gesagt, heute trage ich das alles mitFassung. Aber übermorgen werde ich, glau-be ich, sehr dankbar für eine Schulter sein,an der ich mich ausweinen kann.

Und unsere Partie müssen wir ja auchnoch zu Ende spielen …

Reverso.Reca lachte bitter. Der Souverän der Ver-

nunft, wer immer sich hinter diesem Titelverbarg, hatte ebenfalls noch mindestenseinen Zug.

Es sei denn, es gelang ihnen, diese SETAWAE noch abzufangen. Was Reca bezwei-felte. Ihr Gegner besaß einen beträchtlichenVorsprung.

Und falls sie diesen doch noch aufholten,stellte sich die Frage, was dann geschehenwürde.

Wenn nicht einmal die PULS-Forts im-stande waren, die SETA WAE zu stoppen –wie sollten sie es schaffen?

*

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Perry Rhodan, Ascari da Vivo und diePosbis hatten zwei Drittel der Mobilen Flot-te aufgeboten; der Rest war im Kaaf-Systemzurückgeblieben, zum Schutz der Calditi-schen Paläste.

Nur um ein weniges zu spät erreichteRhodans Streitmacht das Latross-System.Sie konnten noch orten, wie ein hundertachtMeter langes, tropfenförmiges Gebilde inBegleitung eines AGLAMAD-Beibootes mitunbekanntem Ziel im Hyperraum ver-schwand.

Die beiden Schiffe waren vom fünftenPlaneten des Systems gekommen. Dort ent-deckten die Feinorter eine kleine, gut ver-borgene Werftanlage. Ohne die beim Startder beiden Schiffe entstandene Streustrah-lung wäre sie unmöglich zu finden gewesen,da sämtliche Aggregate desaktiviert waren.

Gucky ließ es sich nicht nehmen, Anguelaund Reca per Teleportation hinzubringen.

Die drei unterschiedlichen Wesen mate-rialisierten in einer drei- mal zweihundertMeter großen, überwiegend leeren Halle.Am Boden lagen mehrere Dutzend Körper,aus denen alles Leben entwichen war.

»Großteils Quintanen, in unterschiedli-chen Ausformungen«, konstatierte Anguela,während sie zwischen den Leichen hin-durchschritten. »Ein paar Valenter. Und …«

»Ein Konquestor!«, rief Gucky. »Dasmuss dieser Trah Katree sein.«

Er ähnelte einem großen Menschenaffenin einer Admiralsuniform. Offenbar war ersehr alt gewesen; sein graues Fell wies vielekahle Stellen auf. Er lag auf dem Rücken.Seine weit aufgerissenen Augen schienen ingrenzenloser Verzweiflung erstarrt.

»Ich kann mir ungefähr vorstellen, was erim Augenblick des Todes gefühlt habenmuss«, sagte Reca leise.

Die Sinnlosigkeit seiner Existenz. Wienutzlos er war, jetzt, da er seine Aufgabe er-füllt hatte und das vernichtend geschlageneReich keine Konquestoren mehr brauchte.

Die Schwärze …Reca schauderte. Sie ging in die Knie und

schloss dem ehemaligen Gegner behutsam

die Augenlider.Gucky ließ seinen einzigen Nagezahn auf-

blitzen.»Nichts für ungut, Anguela«, rief er be-

tont forsch. »Aber unter uns: War es beieuch üblich, ein Thoregon-Botenschiff voll-kommen ungesichert in der Gegend herum-stehen zu lassen? Sodass jeder damit einfachmir nichts, dir nichts davonfliegen kann?«

»Durchaus nicht«, antwortete Anguela;wie Reca fand, mit etwas beleidigtem Unter-ton. »Normalsterblichen hätte sich die SETAWAE mit Sicherheit verweigert. Doch ichgehe davon aus, dass der Souverän über einPassantum verfügt. Ich musste damals meh-rere davon zurücklassen.«

»Das Schiff hält ihn also für autorisiert?«»Für einen Hochrang-Bevollmächtigten,

ja. Für den hiesigen Thoregon-Boten.«»Verstehe. Dumm gelaufen.«»Ja«, sagte Anguela. »Der Souverän hat

nun die besten Chancen, zu VAIA vorzu-dringen.« Bräunliche Schatten jagten überseine Kinnpartie. »Das ist nicht gut. Das istleider gar nicht gut.«

*

Sie flogen zurück ins Kaaf-System.Reca hatte sich gerade auf der drei Meter

langen Liege in ihrer Kabine ausgestrecktund die Augen geschlossen, als der Servopiepte.

Sie seufzte. »Baretus.«»Reca, hier ist Perry. Ich bedaure, dich

schon wieder stören zu müssen. Anguelaund ich sitzen im Besprechungsraum zwölf.Wir haben eine kleine Meinungsverschie-denheit. Du kannst dir denken, worum esgeht.«

»Ehrlich gesagt, bin ich nicht sicher, obich überhaupt noch denken kann.«

Rhodan lachte matt. »Könntest du bittetrotzdem zu uns stoßen? Anguela hält dasfür zweckdienlich, und ich schließe michseiner Meinung an.«

Ȁchz. Wollt ihr nicht lieber wen vomBordpsychologischen Hilfsdienst zuziehen?

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Ich wüsste da jemand …«»Genug gescherzt. Mach dich auf die

Socken, Reca.«»Sir, aye, Sir! Bin schon unterwegs.«

*

Anguela war nicht sicher, ob er PerryRhodan gekränkt hatte mit dem Wunsch, dieDiskussion erst im Beisein der Ertruserinweiterzuführen. Der biologisch unsterblicheTerraner ließ sich nichts anmerken, doch daskonnte Verstellung sein.

Nachdem Reca Baretus eingetroffen warund bei ihnen Platz genommen hatte, fassteRhodan den bisherigen Stand des Gesprächszusammen.

»Der Verkünder und ich sind uns darübereinig, dass wir rasch agieren müssen, damitdas Machtvakuum in der Galaxis Tradomnicht zu noch mehr Leid und Verbrechenführt. Darüber hinaus stimmen wir darinüberein, dass er selbst die wichtigste, wenn-gleich einzige Integrationsfigur darstellt.«

Anguela bewegte seinen Kopf mit mittler-er Geschwindigkeit entlang der Vertikalenauf und ab, eine Geste, die von den Terra-nern als bejahend verstanden wurde.

»Obgleich mir nicht ganz wohl dabei ist –denn schließlich wurden viele Untaten derInquisition quasi in meinem Namen began-gen.«

Er hatte die Bilder der goldenen Säulengesehen, die auf vielen Planeten vor den Tri-butkastellen in den Himmel ragten, mit ei-nem stilisierten Auge an der Spitze: Angue-las Auge, Symbol der Macht, die über Tra-doms Bewohner wachte.

»Aber Anguela wurde immer als zwar al-les sehende, doch definitiv gütige Gottheitdargestellt«, erinnerte Rhodan.

»Schöne Gottheit. Die jahrzehntausende-lang auf die Tributkastelle geblickt undnichts gegen all die Gräuel unternommenhat.«

»Das haben wir doch bereits ausführlichdiskutiert. – Jedenfalls, Anguela wird, so-bald wir wieder im Kaaf-System sind, eine

erste Rede an die Völker Tradoms halten.Das System der Funksatelliten existiert nochgalaxisweit und kann von der Festung, Par-don: den Calditischen Palästen, aus pro-blemlos angesprochen und gesteuert wer-den.«

Reca Baretus fuhr sich mit den Fingerndurch den grün gefärbten Haarstreifen, derihren ansonsten kahlen Schädel zierte, wasein eigentümlich knisterndes Geräusch er-gab. »Und jetzt geht es darum, was Anguelain dieser Rede sagen soll.«

»Richtig. Seinem ersten öffentlichen Auf-treten kommt immense Bedeutung zu. DieseRede stellt die Weichen für die Zukunft derGalaxis.«

»Ich nehme an, der Knackpunkt sind die-jenigen Völker, die sich freiwillig in denDienst der Inquisition gestellt haben. DieDhyraba'Katabe, die Genetiker von Kaaf …und ganz besonders die Valenter.«

»So ist es«, bekräftigte Anguela. »Schoneinmal hat es sich als fataler Fehler erwiesenzu glauben, die Valenter würden langfristigihre kriegerische Natur ablegen.«

Ich hätte auf Rintacha Sahin hören sollen,fügte er in Gedanken hinzu, auf den Baumei-ster, der diesem Volk immer mit größtemMisstrauen gegenüberstand.

Rhodans Gesicht hatte eine rötliche Kolo-rierung angenommen. Interessant; offenbarkommunizierten auch die Terraner in Son-derfällen mittels Farbsignalen. »Aber was istdie Alternative?«, fragte er. »Willst du sieausrotten? Ein Genozid kommt auf gar kei-nen Fall in Frage. Auch nicht ein verdeckter,indem du sie für vogelfrei erklärst und je-den, der sich an ihnen rächen will, Jagd aufsie machen lässt. Schlag dir das aus demKopf, mein Freund!«

»Reca.« Anguela blickte zu der Riesinhoch, die seitlich zum Tisch saß, weil ihreBeine darunter keinen Platz gefunden hätten.»Was sagst du dazu?«

Sie hob ihre überbreiten Schultern. »Wassoll ich groß sagen? Ich bin nur eine einfa-che Soldatin.«

»Gerade deine Meinung ist mir wichtig.

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Du hast gegen die Valenter gekämpft unddabei zahlreiche Kameraden verloren.«

Und du bist eine Frau. Wie Panige, mei-ne Mutter und Lehrmeisterin, die ebenso er-mordet wurde wie Meloce, die Staubreiterin,meine Geliebte. Und Enguarti, mein liebesVäterchen.

Und das gesamte Lichtvolk – bis aufmich.

Rhodan erhob sich und ging, auf seinerUnterlippe kauend, im Zimmer auf und ab.

Reca überlegte lange. »Es wäre sichernicht richtig«, begann sie dann, jedes Wortabwägend, »die Taten der Valenter – wieauch die der Genetiker und der EhrwürdigenWissenschaftler – damit zu entschuldigen,dass sie keine andere Wahl hatten. Dass sienur Befehlsempfänger waren, nur ihrePflicht erfüllt haben und so weiter. Das istQuatsch! Ich unterstelle vielen von ihnen,was sie getan haben, gern getan zu haben.Ja, es teilweise geradezu genossen zu ha-ben.«

Perry Rhodan blieb stehen, öffnete seinenMund, schloss ihn aber sogleich wieder.

»Ein Krieg«, fuhr die Ertruserin fort,»bringt nun einmal nicht unbedingt die be-sten Charakterzüge zum Vorschein. Unddann kommt es auf jeden Einzelnen an, wieweit er sich beherrscht oder aber mitreißenlässt.«

Sie blickte Anguela in die Augen. Er wus-ste, worauf sie anspielte. Bevor er die Kon-trolle über die schwarzen Roboter an JallonHypt abgegeben hatte, hatte er die Kampf-maschinen minutenlang unter den Valenternwüten lassen. Wie ein Rausch war das gewe-sen, ein Rausch der Macht und der Vergel-tung.

Er schämte sich für sein Verhalten. Ichkönnte zu meiner Entschuldigung anführen,dachte er, dass ich nie ein Krieger war, son-dern Verkünder, Verwalter, Schlichter; undeigentlich, im Innersten meines Tymcal-Geflechtes, immer noch Ingenieur. Die un-gewohnte, extreme Situation hat mich über-wältigt. All das Kämpfen und Sterben …

»Niemand ist von Grund auf böse«, sagte

Reca Baretus. »Oder, umgekehrt, durch unddurch gut. Jeder lädt zeit seines LebensSchuld auf sich. Versteh mich nicht falsch,das soll keine Ausrede sein. Ich bin keines-wegs für eine Generalamnestie. Schuld mussgesühnt werden. Aber gerecht, im richtigenMaß. Und Pauschalurteile entsprechen mitSicherheit nicht dem, was ich mir unter Ge-rechtigkeit vorstelle.«

Sie wischte sich müde über die Augen.»Das ist alles. Mehr habe ich nicht zu sagen.Kann ich jetzt gehen?«

Anguela blickte zu Rhodan. Der breitetedie Arme aus. Meine Argumente kennst duja bereits, hieß das.

Anguela verneigte sich vor der Ertruserin.»Ich danke dir, Reca Baretus. Ich teile deineAnsichten nicht, aber ich werde deine Wortebedenken.«

Letzter Gang

An Bord der terranischen Raumschiffeschrieb man den 18. Mai 1312 NGZ, elf UhrBordzeit, als Anguela Kulalin, ehemaligerDhasaren und Letzter der Guyaam, zu denVölkern von Tradom zu sprechen begann.

Seine tiefe Bass-Stimme war auf sämtli-chen besiedelten Welten in der Galaxis zuvernehmen. Und schon die ersten Wörterseiner Rede sorgten dafür, dass ganz Tra-dom aufhorchte, ja buchstäblich den Atemanhielt. »Ich bin Anguela. Und ich bin keinGott.«

Auch keine Superintelligenz sei er, fügteer hinzu. Wohl aber sei er der Verkünder ei-ner solchen gewesen und somit das geistli-che Oberhaupt des Reiches der Güte, der le-gendären Thatrix-Zivilisation.

»Darum kennt ihr immer noch meinenNamen«, sagte er. »Darum ist unsere ge-meinsame Sprache, das Anguela-Idiom,nach mir benannt.«

Gangolf W. Kerzen stupste Jattuja Jattuan, ungefähr dort, wo bei dürreren Frauendie Hüfte gewesen wäre. Sie verfolgten An-guelas Ansprache an der Bar der Cafeteria.

»Das macht er äußerst gewitzt«, flüsterte

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Gangolf. »Er spielt bewusst mit den Fehl-deutungen, die seinem Namen nach dem En-de der Thatrix angehängt wurden. Auf dieseWeise kommt er nicht aus dem Nichts, alsein gesichtsloser Befreier, sondern er ist inder Mythologie einer ganzen Galaxie bereitsfest verankert! Und bleibt so ein Idol für al-le, egal auf welcher Seite sie auch gestanden…«

»Klappe, Gangolf!« Sie rammte ihm denEllbogen in die Seite, dass ihm ganzschwummerig wurde.

Welche Energie! Welcher Liebreiz!Wie hatte er diese tolle Frau nur so lange

übersehen können?

*

»Ich habe sehr, sehr lange Zeit geschla-fen«, sagte Anguela weiter, »doch dann, inder Stunde der höchsten Not, bin ich er-wacht. Und ich konnte, dank der Unterstüt-zung unserer Freunde aus der Milchstraße,das Terrorregime der Inquisition besiegen.«

Na ja. So herum kann man's auch inter-pretieren, dachte Esra Cronswan. Sie hattebis jetzt am Kommandopult der BARETUSgedöst, für alle Fälle.

Als ausgebildete Neurolinguistin wussteEsra natürlich, warum Anguela genau dieseSatzstellung gewählt hatte. Für die desorien-tierten Bewohnerinnen und Bewohner derGalaxis musste er der Bezugspunkt bleiben.Also hatte er die Inquisition hinweggefegt.Zugleich jedoch stellte er eine Verbindungzwischen sich, den Völkern Tradoms undder Flotte aus der Milchstraße her.

Dank der Unterstützung unserer Freunde…

Das war schon in Ordnung so.Mach weiter, Anguela, dachte Esra Crons-

wan. Du hast noch lange nicht gewonnen,doch du bist auf einem guten Kurs.

*

»Nun sind das Reich und seine Schergenentmachtet, die Tributkastelle geschleift, die

Sternenfenster zerstört oder in unserer Hand.Das Genetische Kaafix wurde vernichtet,desgleichen sämtliche Fliegenden Horte. DieReste der AGLAZAR- und Valenterflottenspielen keine Rolle mehr.«

Er hob seine Stimme. »Höret meine Wor-te, Bewohner der Galaxis«, rief Anguela Ku-lalin, »auch wenn ihr sie vielleicht, nach allden Jahrtausenden der Knechtschaft, nochnicht recht glauben könnt: Tradom, unsereHeimat, ist endlich wieder frei!«

*

Tradom ist frei!Auf Hunderten, Tausenden, Millionen

von Planeten, die von den Steuereinnehmerndes Reiches unbarmherzig geschröpft wor-den waren, wurde dieser Ruf aufgenommen.

Zögernd erst, dann lauter stimmten Intelli-genzwesen unterschiedlichsten Körperbausin die Freudenbotschaft ein. Schließlich, alsdie Polizeischiffe ausblieben, die ehedemjegliche derartige Kundgebung im Keim er-stickt hätten, jubelten die Massen, in Hun-derten, Tausenden, Millionen von verschie-denen Stimmlagen und Dialekten: »Tradomist frei! Tradom ist frei!«

*

Begrüße das, dachte Roxo Quatron in derZentrale der LEIF ERIKSSON. Fast hätte ersich selbst eine Flaumfeder ausgerupft, umsicherzugehen, dass er nicht träumte. Werhätte das noch vor kurzem für möglich ge-halten?

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet sieeine derartige Lawine auslösen würden?

Damals, als sie mit der KELTAMMERaufbrachen, ihrem winzigen Eiraumer …Als sie auf die geheimnisvollen Eltanen tra-fen … Als diese den Jankaron den CoJito-Jä-ger übergaben und den Auftrag, Hilfe ausder Milchstraße zu holen …

Wahnsinn! Rund sieben Monate ist daserst her, und doch kommt es mir mindestensdreimal so lange vor.

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Er drückte Itchi Cultega an sich. »Kannstdu dir vorstellen, mein Wunderküken, wasjetzt auf Jankar los ist?«, fragte er.

»Und ob«, keckerte die Pilotin.»Heldenballaden bis zum Abwinken! Undwir, die ›Unschlagbaren Vier‹, sind schonwieder nicht dabei! Was meinst du: Solltenwir nicht wenigstens eine ganz, ganz kurzeBallade anstimmen? Gerade einmal vierund-sechzig Strophen?«

Sie griff nach ihrem Harphon. Sofortstand Kiv Aaterstam mit der Porran-Trommel bereit, und auch Vett Burmer warfsich in Positur – sowie einige Stapel Daten-träger von dem Pult, an dem er gelehnt hatte.

Roxo zwinkerte seinem Freund, dem toll-patschigen Technikgenie, zu. Sie holten tiefLuft und öffneten die Schnäbel.

Doch Perry Rhodan drehte sich, als besä-ße er einen sechsten Sinn, just in diesemMoment zu ihnen um und hob abwehrenddie Hand.

»Bitte jetzt noch nicht!«, sagte er. »Diewirklich entscheidenden Punkte kommenerst.«

*

Währenddessen hatte Anguela seinen Zu-hörern einen kurzen Abriss über die Ge-schichte der Thatrix-Zivilisation gegebenund dargelegt, wie es zu deren Zerschla-gung, zum Putsch der Inquisition und zurAusschaltung VAIAS gekommen war.

Für die meisten wird das abstrus klingen,fantastisch und unendlich weit hergeholt,dachte Perry bei sich. Aber vielleicht ist derletzte Leuchter gerade dadurch glaubwür-dig.

Und er strahlte einen tiefen Ernst aus.Man nahm ihm ab, dass er persönlich bis insMark – oder eben ins Tymcal-Geflecht – er-schüttert worden war; und dass er sich selbernicht von einer gewissen Mitschuld an denEntwicklungen freisprach.

Doch wie wird er mit den anderen Schul-digen verfahren?

Rhodan ertappte sich dabei, dass er den

Finger wieder einmal an der Narbe auf sei-ner Nase liegen hatte. Was für eine dummeAngewohnheit! Er steckte die Hände in dieHosentaschen, ballte sie dort zu Fäusten.

Tradom ist frei, dachte er. Ja, im Prinzipstimmt das. Einigermaßen. Doch für wielange?

Würde es dem mysteriösen Souverän derVernunft gelingen, in den PULS vorzusto-ßen?

Der flüchtige Machthaber würde sichereine gewisse Zeit benötigen, sich mit denEinrichtungen der SETA WAE vertraut zumachen.

Aber dann?Sie verfügten über kein Raumfahrzeug,

das dem Thoregon-Botenschiff Paroli bietenkonnte. Es war vollständig unmöglich, mitden Calditischen Palästen, der LEIF ERIKS-SON oder einem anderen unter seinemKommando stehenden Raumfahrzeug dieGlutzone zu durchqueren und in den PULSeinzufliegen.

Doch die Terraner konnten nicht einfachnur abwarten! Ihm musste etwas einfallen,und zwar schnell.

Weit hinten, am Horizont seines Bewusst-seins, wo die Gedanken in Ahnungen undInstinkte übergingen, begann eine überausgewagte Idee Gestalt anzunehmen …

Da kam Anguela zur Sache.

*

»Was«, fragte der Leuchter, der sich an-lässlich des Rückblicks hörbar in Rage gere-det hatte, sein eine ganze Galaxis umfassen-des Publikum, »was, Völker von Tradom,soll mit denen geschehen, die sich zu Büt-teln der Inquisitoren gemacht haben – ob-wohl sie nicht dazu gezwungen wurden,sondern im Gegenteil zahlreiche Möglich-keiten gehabt hätten, dagegen aufzubegeh-ren?«

Reca Baretus stand nur zwei Meter hinterder Gestalt des Verkünders. In ihrer derzeiti-gen Rolle als seine Leibwächterin hatte sieihn in dieselbe Subzentrale begleitet, die sie

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unter so vielen Opfern eingenommen undsogar gegen einen Inquisitor verteidigt hat-ten.

Jetzt, das fühlte sie, ging es ans Einge-machte. Sogar Rhodan, der biologisch Un-sterbliche, dem sie trotz seiner Schmächtig-keit und geringen Körpergröße gewaltigenRespekt zollte, hatte fast ängstlich gewirkt,als er sie verabschiedet hatte.

»Beschütze ihn gut, Reca«, hatte er ge-sagt. »Und beschütze, falls es nötig werdensollte, uns und Tradom vor ihm.«

Reca Baretus betastete ihren Kombistrah-ler. Ihre Augen fixierten Anguela Kulalin.Er, niemand sonst, hielt das Schicksal derGalaxis in seinen leuchtenden, dünnen Hän-den. Farbschimmer jagten darüber hin, fürReca undeutbar.

Der Verkünder, der sich abermals zurStimme der Galaxis aufgeschwungen hatte,konnte Mord und Brand über die Sonnensy-steme Tradoms bringen: Er konnte dem jahr-zehntausendelang aufgestauten Hass Bahnbrechen.

Wenn ihr einen der Dhyraba'Katabe seht– tötet ihn!

Wenn ihr einen der Genetiker von Kaafseht – tötet ihn!

Wenn ihr einen Valenter seht – tötet ihn!Wen immer ihr seht von denen, die für

die Inquisition der Vernunft tätig waren –tötet sie!

Falls Anguela solche Gedanken aus-sprach; falls er dazu kam, sie nur anzudeu-ten, zwischen den Zeilen: Niemand ver-mochte dann mehr einzugreifen.

Die Mobile Flotte Tradom konnte unmög-lich in jedem einzelnen von Hunderten, Tau-senden, Millionen Sonnensystemen, auf je-dem einzelnen der unzähligen Planeten fürOrdnung sorgen.

Tradom würde sich in einen Sternenseeaus Blut verwandeln. Aus Rache. Aus Hass.

Anguela starrte auf das Akustikfeld, dasjeden seiner Atemzüge in die gesamte Gala-xis übertrug, als ob er dort eine Antwort aufseine Frage finden könnte. Dann wandte erden Kopf.

Seine Augen brannten violette Löcher inRecas Gehirn. Sie konnte ihn verstehen. Erwar der Letzte des Lichtvolks. Alle, die ihmetwas bedeutet hatten, alles, was ihm etwasbedeutet hatte – ausgelöscht, innerhalb we-niger Tage.

Dann die Zeit der Verwirrung, als erkaum er selbst gewesen war. Als Rhodanihm von der schrecklichen Zukunft berichtethatte, gegen die anzukämpfen paradox ge-wesen wäre.

Als die hyperenergetische Schockwelleihn nahezu paralysiert hatte. Sodass er zunicht viel mehr fähig gewesen war, als seineKodes in das Rechnersystem der Calditi-schen Paläste einzugeben und sich hernachselbst in Tiefschlaf zu versetzen.

Und dann das Erwachen, nach unvorstell-bar langem Schlaf. 160.000 Jahre in der Zu-kunft. In der grausamen Gegenwart des Rei-ches Tradom. Wo alles, für das er gelebt hat-te, in grässlichster Weise pervertiert war.

Wo aus Sivkadam, seinem Heimatplane-ten, einem der Zentren der Thatrix, einemSynonym für Völkerverständigung, fürfriedlichen Handel, für den freien Austauschvon Waren und Gedanken, eine Folterweltgeworden war.

Wo es die goldenen Kuppeln, unter denener geboren worden war, nicht mehr gab. Nurnoch Ruinen und ein paar letzte Krümel vonPara-Staub im Sand.

Konnte sie es ihm verdenken, wenn er Ra-che nahm?

Nein.

*

»Nein«, sprach Anguela Kulalin in dasAkustikfeld. »Wir dürfen diese Missetäternicht verurteilen, nicht ohne ein faires Ge-richtsverfahren. Glaubt mir, ich würde michgerne selbst zum obersten Rächer ernennen.Ich bin überzeugt, dass ich fast alles am ei-genen Leib erlitten habe, was die Inquisitionder so genannten Vernunft ihren Gegnernnur antun konnte. Sie haben mein ganzesVolk ausgetilgt. Meine Eltern, meine Lieb-

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ste, meine Freunde. Nichts haben sie mir üb-rig gelassen, nichts, nichts, nichts.«

Seine Kinnpartie flammte hell auf. »Unddoch darf selbst ich mir nicht anmaßen, denGehstock über sie zu brechen. Das wärenicht richtig.«

Reca Baretus atmete tief durch. Sie warsicher nicht die Einzige, der in diesem Mo-ment ein Stein vom Herzen gefallen war.

»Wir werden daher eine große Anzahlvon Gerichtshöfen einsetzen«, verkündeteAnguela. »Für jeden Angeklagten wird esdrei sorgfältig ausgewählte Schöffenräte vonseiner Art geben und drei von der des Klä-gers. Dazu drei Rechtsgelehrte aus dem je-weiligen Viertel der Galaxis und drei ausden übrigen. Falls diese zwölf zu keinerMehrheit kommen, wird der oder die Ange-klagte freigelassen. Ein ausgeklügeltes Sy-stem von Berufungsinstanzen wird gewähr-leisten, dass diese Idee nicht missbrauchtwird. Dem Obersten Gerichtshof werde ichselbst vorstehen. Und ich schwöre euch: Ichwerde nicht vergessen – jedoch vergeben,wo ich kann.«

Der Leuchter räusperte sich, ließ das Ge-sagte einwirken. Dann beantwortete er dieFrage, die in diesem Moment wohl billio-nenfach in der Galaxis gestellt wurde.

»Mir ist vollkommen bewusst, dass man-che von euch eine kollektive Bestrafung der-jenigen Völker fordern, die sich sowohl inder Verschwörung gegen VAIA als auchspäter im Schreckensreich der Inquisitionbesonders hervorgetan haben: also insbeson-dere die Dhyraba'Katabe, die Genetiker vonKaaf und die Valenter. Ich gestehe, selbstvor nicht langer Zeit mit diesem Gedankengespielt zu haben. Aber nochmals: Das wärenicht richtig.«

Es gab, argumentierte Anguela eindring-lich, keine Kollektivschuld, nur individuel-les Versagen. Viele waren Verführte, kaumjemand konnte sich wirklich von Schuldfreisprechen.

Aber niemals, niemals durfte eine Personausschließlich danach beurteilt werden, un-ter welcher Sonne sie geboren worden war

oder von welchem Volk sie abstammte. Werso dachte, stellte sich auf dieselbe Stufe mitder Inquisition und dem gerade – endlich –gestürzten Reich Tradom.

»Unser Tradom jedoch, die freie GalaxisTradom, die neue Thatrix«, rief Anguela,»gesteht jedem seiner Bürger dieselbenRechte und Pflichten zu, ungeachtet seinerHerkunft!«

Die Zeiten der Sklaverei waren vorbei.Das neue Tradom sollte nicht für Ausbeu-tung und Unterdrückung stehen, sondern fürFreiheit und Eigenverantwortung.

»Denn ich glaube«, sprach Anguela Kula-lin, »trotz alledem an das Gute in jedem Ein-zelnen jedweder Rasse. Bedenkt: Auch diegenannten Völker haben unzählige Opfer zubeklagen, am allermeisten die Valenter. Siewurden von den Inquisitoren weiterhin andie Front geschickt, als der Krieg schonlängst entschieden war. Jeder Gefallene,egal von welchem Planeten er stammte, hin-terlässt Eltern, Lebenspartner, Verwandte,Freunde. Ihnen ganz besonders gebe ich dasVersprechen, alles in meiner Macht Stehen-de zu tun, damit Tradom in Zukunft von der-gleichen verschont wird. Ich bitte euch, mirdabei zu helfen. Damit unsere Heimat neuerblüht und bald wieder zu einer Insel desFriedens, der Freiheit und des Wohlstandswird.«

*

»Jetzt«, sagte Perry Rhodan in der Zentra-le der LEIF ERIKSSON zu den vier Janka-ron, »jetzt dürft ihr singen.«

Und das taten sie. Ausgiebig.Schon wenig später trafen die ersten Re-

aktionen aus der Galaxis auf Anguelas Redeein, fast alle positiv, manche geradezu en-thusiastisch. Es war dem Letzten der Gu-yaam gelungen, nicht nur mit der Kraft sei-ner Argumente zu überzeugen, sondern auchals Person.

Dann kündigten sich zwei hochrangigeBesuche an.

Das erste Schiff kam aus der Letzten

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Stadt der Eltanen. Sie wollten es Anguelaoffiziell zur Verfügung stellen, um damitauszudrücken, dass das Trümmerimperiumvoll und ganz auf seiner Seite stand.

Das zweite Schiff brachte eine Abord-nung der Minullu-Allianz. Und eine nichtgeringe Überraschung für Roxo Quatron unddie anderen drei Jankaron.

Zur Minullu-Allianz hatten sich diverse»Revolutionsplaneten« in der Südseite derGalaxis zusammengeschlossen. Finanziellbegünstigt durch den Zusammenbruch derTributschmiede, waren sie in der Lage ge-wesen, innerhalb kürzester Zeit auf demgrauen bis tiefschwarzen Markt Waffen undRaumer zu erwerben.

Die »Unschlagbaren Vier« standen nebender Ehrenkompanie, als Anguela, flankiertvon Perry Rhodan und Ascari da Vivo, denAbgesandten der Allianz empfing.

Es handelte sich um einen Medilen. Aucher hatte eine Art Eskorte mit. Und diese bil-deten …

»Ich werd verrückt!«, entfuhr es Roxo.»Bei Yabaal!«, stieß Itchi Cultega hervor.

»Das sind doch …«Kiv Aaterstam griff sich entgeistert ans

schüttere Kopfgefieder.Und Vett Burmer stammelte fassungslos:

»Die Pi … die Pipi …«Die Piraten!Es waren die gleich ihnen aus Virginox

stammenden Red Chy, jene vier rauen Ge-sellen, die ihnen nicht ganz freiwillig dabeigeholfen hatten, den Konquestor Trah Ze-buck auszutricksen und die LEIF ERIKS-SON unbemerkt aus dem Kugelsternhaufenzu bringen.

Gucky war damals ebenfalls mit von derPartie gewesen sowie Zim November, derjunge, überaus talentierte Emotionaut. JenerTerraner, der zusammen mit seinem Schiff,dem Spürkreuzer JOURNEE, in der Vergan-genheit Tradoms verblieben war …

Nur noch am Rand bekamen die Jankaronmit, dass der Abgesandte der Minullu-Alli-anz ohne große Umschweife Anguela bat,ihr Anführer zu werden. Der Verkünder ak-

zeptierte dieses Angebot gerne. Somit standder wichtigste Block im befreiten Tradomhinter ihm.

Während die Feinheiten ausgehandelt undPläne für die nächste Zukunft geschmiedetwurden, saßen Roxo und seine Leute längstmit den Red-Chy-Piraten in der Kantine. Diesaurierhaften Freibeuter hatten den Jankaronfrüher mehr als einmal ans Gefieder gewollt,doch das war angesichts der galaktischen Er-eignisse vergeben und vergessen.

»Verflixt abenteuerlich gewesen, der ver-flixte Durchgang durch die verflixteSchmerzwechte«, erzählte Moolkwetz, derAlte mit dem Holzbein.

»Wir sind in der Südseite Tradoms raus-gekommen«, ergänzte Zustzscha zischelnd.»Der Schrottkahn war total hinüber. Wir ha-ben es gerade noch zu einem bewohnten Sy-stem geschafft.«

Dort hatten sie sich bei erster Gelegenheitvon den Shuftarr abgesetzt. Und schließlichKarriere bei den Rebellen der Minullu-Alli-anz gemacht. Ausgebuffte Raumfahrer wieLlurck und Konsorten, die auch Kampfer-fahrung besaßen, waren plötzlich sehr ge-fragt gewesen.

Erstmals seit langem sah die Zukunft alsowieder rosig für sie aus.

»Wäre doch ge'acht«, schloss der kleineGavvum optimistisch, »wenn wir a"e zu-sammen diese Ga'axis nicht wieder or-dent'ich in Schuss brächten! An uns so"s je-denfa"s nicht 'iegen.«

»Begrüße das«, sagte Roxo.

*

Zur gleichen Zeit gedachten die Lan-dungstruppen in einer schlichten Trauerfeierihrer gefallenen Kameraden.

Reca Baretus war alles andere als ängst-lich. Doch vor den Blicken ihrer Raumsol-daten hatte sie sich gefürchtet.

Zu Unrecht, wie sich herausstellte. Verbalwie nonverbal versicherten ihr alle, ihr kom-me keinerlei Schuld am hohen Blutzoll zu,den das Kommandounternehmen gefordert

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hatte. Im Gegenteil, sie war es schließlichgewesen, die Jallon, Gangolf, Jattuja undnicht zuletzt Anguela vor dem Inquisitor ge-rettet hatte.

Mit einem Lied, das inzwischen jeder-mann auswendig konnte. Über die Sanges-künste der Ertruserin kursierten bereits dieunglaublichsten Gerüchte.

Sie grinste schief. Natürlich, Gangolf W.Kerzen hatte wieder einmal seine Klappenicht halten können!

Sie trauerte um die zahlreichen Todesop-fer. Ganz besonders fehlte ihr Kraus Freed-man.

Reca war nicht religiös. Dennoch hofftesie, Kraus befände sich nun an einem schö-neren Ort. An einem großen, alten Wirtshau-stisch vielleicht, umgeben von Freunden,vor sich ein helles Weizenbier …

Im Himmel der Heroen. Wo jeden Tagein Fußballspiel stattfindet und die Gutenimmer gewinnen …

Die Trauerfeier löste sich auf, als Nach-richt kam, die LEIF ERIKSSON habe wie-der Fahrt aufgenommen. Mit welchem Ziel,war von der Schiffsführung noch nicht be-kannt gegeben worden.

Beim Hinausgehen pirschte sich JallonHypt an Reca heran. »Hast du das mit Gan-

golf und Jattuja mitgekriegt?«, fragte er.»Bitte?«»Sie wollen eine Lebensgemeinschaft ein-

gehen. Und sie haben sich gewünscht, dasswir beide ihnen bei der Zeremonie das Liedsingen. Du weißt schon, welches.«

Sie verdrehte die Augen. »Mir bleibt auchnichts erspart.«

»Gute Idee, finde ich.«»Na ja.«»Ich meine das mit der Lebensgemein-

schaft. Solche Erlebnisse verbinden immens.In den Trividsendungen kriegen sich derHeld und die Heldin am Schluss auch im-mer. Und, äh … die Helden, das waren dies-mal doch wir, oder nicht? Wenn du ver-stehst, was ich damit sagen will …«

Reca blieb so abrupt stehen, dass zweinachfolgende Plophoser gegen sie knallten.Nachdem sie sich entschuldigt und ihnenwieder auf die Beine geholfen hatte, brachtesie ihr Gesicht ganz nahe an das ihresLandsmannes.

»Du bist ein Idiot, Jallon Hypt! Nein, ichkorrigiere: ein Vollidiot!«

E N D E

Wenn der Souverän der Vernunft in Besitz des Raumschiffes SETA WAE ist, verfügt er übereinen Ausrüstungsgegenstand, mit dem er tatsächlich noch einmal das Blatt in Tradom wen-den kann. Und es gibt nur einen einzigen Menschen, der sich ihm in den Weg stellen kann –allen anderen ist der Zugang zu VAIA verwehrt …

Wie es weitergeht in der Galaxis Tradom, das ist Thema des nächsten PERRY RHODAN-Ro-mans, der von Uwe Anton geschrieben wurde. Der Roman erscheint in der nächsten Wocheunter folgendem Titel:

VAIA ERWACHT

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Kommentar: Trerok, Hayok und die »Oldtimer« (II)

Das Erste, was Trerok nach der Wiederverstoffli-chung im Gegengerät des Geheimtransmitters in1221 Metern Tiefe wahrnahm, war ein leises, abereindringliches Summen. Ab hier vermischte sich le-murische mit querionischer Bauweise: einerseits derSicherheitssektor, andererseits die sich in der Ferneverlierende Maschinenhalle.

Im Saalhintergrund des Sicherheitssektors drehtesich die Oldtimer-Statue als hochgradig stilisierte Fi-gur auf einem nicht den Boden berührenden Sockel.Die Rückwand mit dem unscheinbaren Symbol einesBrunnens in einer Stahlwüste bestand aus einemgrauschwarzen, an polierten Schiefer erinnerndesMaterial: Hier beobachtete der Zaliter das kurzfristigeAufflackern eines Phänomens, das er als Zeitbrunnenerkannte.

Mittelpunkt der dreißig mal dreißig Meter großenund 8,2 Meter hohen Halle war eine grauschwarze,zylindrische Säule von sieben Metern Durchmesserund Raumhöhe. An der Decke einer metertiefen Ni-sche schwebte die Abtasthaube der eigentlichen Prü-fungsglocke. Als Maranothar anerkannt, erhielt Trerokhier die »goldene Tätowierung« aufgeprägt.

Der Maranothar-Status war seinerzeit nur einerHand voll Lemurern verliehen worden. Trerok erhieltihn deshalb, weil er die Tiefetagen erreichte, ohnevorab auf vielfältige Weise seine Berechtigung nach-weisen zu müssen. Als die Anlagen noch komplett ge-wesen waren, hatten allein Hohe Tamräte, ausgewie-sen durch Alphabefehls-Armband und den lebendenKrish'un-Umhang von Darak, die Sicherheitssektionbetreten können. Wer es also bis dorthin schaffte, warberechtigt …

Der Oldtimer-Saal der Maschinenhalle entsprach inAusmaß und Ausstattung exakt der des SingendenBergs beim Impos-Observatorium. In langen Reihenangeordnet, beanspruchten die 8350 grau aufragen-den Maschinenquader – jeder hundert Meter lang,dreißig breit und ebenso hoch – rund fünfzig Prozentder kreisrunden, achttausend Meter durchmessendenHallengrundfläche. Von den verkapselten Aggregatenmit weitgehend unbekannter Funktion ging ein gleich-förmiges Summen aus. Das verbaute Material warstrukturverdichtete, feldstabilisierte Hyperenergie – ei-ne dem Strukturon der Hathor vergleichbare Materie-projektion.

Am 17. April 1312 NGZ hatte sich Trerok auf Hayokmit Ka'Marentis Aktakul getroffen und das Querionen-Transportmittel in Gestalt der Silberkugel erhalten.Dabei handelte es sich um ein im Ruhezustand ebenmal faustgroßes, an einen Quecksilbertropfen erin-nerndes Gebilde, das in seiner Aktivgröße auf mehre-re Meter Durchmesser anschwoll und ein eigenständi-ges Miniaturuniversum formte.

Den Trerok vorliegenden Berichten zufolge war inden Äona-Ruinen von Impos ebenfalls eine solche Sil-berkugel gefunden worden; sonderbar matt und offen-bar beschädigt. Das fremdartige Material hatte seiner-zeit weder durchleuchtet noch geöffnet werden kön-nen. Vergleichbare Objekte hatte Atlan in seiner Ju-

gendzeit bereits im »Ring des Schreckens« des Drei-ßigplanetenwalls beobachtet. Auch die Erranten in derKosmischen Fabrik MATERIA hatten sie verwendet.

Der von den beiden Wissenschaftlern untersuchteHohlraum unterhalb des ersten Oldtimer-Saals wieseine quadratische Grundfläche von rund 12.000 Me-tern Kantenlänge und eine lichte Höhe von annähernd1800 auf. Abwechselnd chromblitzende und matt-schwarze Kugeln von exakt 1624,77 Metern Durch-messer schwebten in Siebenerreihen angeordnet. Ins-gesamt waren es 49 dieser Gebilde, jeweils 87,5 Me-ter voneinander, vom Boden sowie der Decke ent-fernt, die als Ganzes einen blendfreien Beleuchtungs-körper darstellte.

Genau wie in der Maschinenhalle war auch hier dasgleichförmige Summen zu hören gewesen. Leiderkonnten Trerok und Aktakul bei ihrer Inspektion »anBord« der Silberkugel nicht herausfinden, was es mitden Kugeln auf sich hatte, ja nicht einmal sagen, obsie »nur« Aggregate oder Raumschiffe oder was auchimmer waren. Fest stand am Ende, dass sie offen-sichtlich stabile Materieprojektionen waren – in sichgeschlossen, von fugenlos-perfekter geometrischerForm, nicht zu durchleuchten oder zu öffnen und nichteinmal von der Silberkugel passierbar.

Damit nicht genug: Als Trerok am 10. Mai 1312NGZ abermals nach Hayok flog, um auf Anweisungder Mascantin Aktakul Bericht zu erstatten, hatte erdie Gelegenheit nutzen wollen, die Silberkugel»aufzuladen« Er musste allerdings feststellen, dasssich die Situation grundlegend verändert hatte. Der le-murische Teil der Station hatte den Kontakt zum que-rionischen verloren und reagierte weder auf seinenMaranothar-Status noch auf die Impulse der Mikromo-dule. Mehr noch: Die aufgestellten Messgeräte liefer-ten eindeutig die Bestätigung, dass die querionischenAggregate zu einer rätselhaften Aktivität heraufgefah-ren wurden!

Ein weiteres Rätsel, da die Querionen seinerzeitschon mit Hayok einen Planeten künstlich platziertund hier ihre Station eingerichtet hatten. Hinzu kam,dass die »Herkunft« der insgesamt 128 Sonnen desSternenarchipels, die isoliert rund 2140 Lichtjahreoberhalb der Milchstraßenhauptebene in einem Qua-der von vierzehn mal zwölf mal zehn Lichtjahren an-geordnet waren, astrophysikalisch nie befriedigendgeklärt werden konnte. Fest stand nur, dass die Ster-ne ein Alter von etwa acht Milliarden Jahren besaßen,während normalerweise offene Sternhaufen dieser Artselten mehr als vier bis fünf Milliarden Jahre alt warenoder gar deutlich jünger.

Querionen, dann Lemurer und die Öffnung desSternenfensters nach Tradom: Die Einzelereignissemögen voneinander unabhängig sein, aber irgendwiescheinen sie doch mit den »besonderen Bedingun-gen« des Sternenarchipels zusammenzuhängen. Esist davon auszugehen, dass wir nicht zum letzten Malvon den querionischen Anlagen gehört haben, auchwenn Trerok, nun seine Mikromodule und die Silber-kugel verloren und nur knapp überlebt hat …

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Rainer Castor

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