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Peter-Alexis Albrecht Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG

Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft€¦ · zungen und empirischer Psychologie, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 1983, S. 193 ff. (Beitrag 17) 409 ... rechts auf die Kriminologie,

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Peter-Alexis Albrecht

Der Weg in die SicherheitsgesellschaftDer Weg in die Sicherheitsgesellschaft

Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln

BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG

Page 2: Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft€¦ · zungen und empirischer Psychologie, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 1983, S. 193 ff. (Beitrag 17) 409 ... rechts auf die Kriminologie,

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Inhaltsübersicht

Prolegomena Zu den Intentionen dieses Buches 1

Erster Teil Das herrschende Präventionsparadigma im Strafrecht und in der universitären Lehre 5

Zweiter Teil Das sozial-integrative Strafrecht des Wohlfahrtsstaates 39– Das Aufscheinen von Menschenrechten in den späten 60er und 70er Jahren –

Dritter Teil Die Wende zum Präventionsstaat 149– Von der sozialen zur inneren Sicherheit in den 80er und 90er Jahren –

Vierter Teil Ansätze einer Gegenreform: 527Normative Entkriminalisierung und soziale Sicherheit im Strafvollzug – Vom vergeblichen Versuch, das Strafrecht und das Kriminal-justizsystem in den 90er Jahren real zu entlasten –

Fünfter Teil Vom Präventionsstaat zur Sicherheitsgesellschaft 667– Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts nach der Jahrtausendwende –

Sechster Teil Hoffnung Europa? 819– Von den Bemühungen, den Rechtsstaat auf europäischer Ebene zu sichern –

Siebter Teil Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln 927– Von der Hoffnung auf einen Menschenrechtsschutz, der absolute Politiksperren errichtet –

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Inhaltsverzeichnis

Prolegomena Zu den Intentionen dieses Buches 1Traditionales � Intentionales � Biogra� sches � Bilanzielles � Erlebtes � Weiteres � Grundsätzliches � Zuführung zum Buch

1. TEIL: DAS HERRSCHENDE PRÄVENTIONSPARADIGMA IM STRAFRECHT UND IN DER UNIVERSITÄREN LEHRE

Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung 5

A. Erlebte Ambivalenz in 40 Jahren: Wissenschaftliche Herausforderungen und das Vermittlungsversagen in der Universitätslehre 5

B. Die Fülle wissenschaftlicher Lehr-Herausforderungen für das Strafrecht 6Wissenschaftliche Erkenntnispro� le � Wissenschaftliches Fundament des strafenden Staates � Wissenschaftlicher Theoriebedarf � Unter-schiedliche Verwertung kriminologischer Theorien � Wissenschaftliche Blickschärfung für systemische Ziele des Strafrechts

C. Vom Versagen der Vermittlung von Wissenschaft in der universitären Juristenausbildung 9Die traditionelle juristische Universitätsausbildung � Fremdgesteuerte Formalität und wissenschaftliche Ärmlichkeit � Die aufgegebene erfolg-reiche interdisziplinäre Einstu� ge Juristenausbildung � Exzellente Re-formerfahrungen � Politisch gefürchtete Verfremdungseffekte � Fehlver-ständnis des Gesetzgebers über re� exive Lehre im Praxisverbund

Zweiter Abschnitt: Kriminalitäts- und Kriminalisierungstheorien 15Leere Lehre: Der interdisziplinäre präventive Kontext von Kriminali-

tät und Kriminalisierung, Kriminologie – Eine Grundlegung zum Strafrecht, 1.–3. Au� age, 1999–2005, §§ 3 und 4, S. 22–45 (Auszug) (Beitrag 1)

A. Kriminalitätstheorien und Prävention 15

I. Ätiologisch-individualisierende Ansätze 16Kriminalpräventiver Anknüpfungspunkt: De� zitäre Persönlichkeit � Ziele von Prävention aus der Sicht ätiologisch-individueller Theorie: Reduktion devianter Verhaltensweisen und Stabilisierung des gesell-schaftlichen status quo

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II. Ätiologisch-sozialstrukturelle Ansätze 17Verstehende Kriminologie � Ziele von Prävention aus der Sicht ätiolo-gisch-sozialstruktureller Ansätze: Veränderungen von Gruppennormen und Lebensbedingungen

III. Individualisierende De� nitions-Ansätze 18Kriminalität als zugeschriebene soziale Bedeutung � Handlung als Ei-genschaft oder als soziale Bedeutung � Erkenntnisinteressen des Labe-ling Approach � Prämissen des Labeling Approach � Ziele von Präven-tion aus der Sicht personenbezogener Etikettierungstheorien: Vermei-dung stigmatisierender Handlungen und Reorganisation von Interaktion und Kommunikation im Kriminaljustizsystem

IV. Gesellschaftstheoretisch orientierte De� nitions-Ansätze 21Kriminalitätszuschreibung als Mittel sozialer Machtdurchsetzung � Ge-sellschaftstheoretische Fundierung des Labeling Approach � Kriminali-tät als institutionell gelenkte Zuschreibung � Zuschreibung als Prozess gesellschaftlicher Machtabsicherung � Ziele von Prävention aus der Sicht gesellschaftstheoretisch orientierter Etikettierungs-Theorien: Gesellschaftspolitik und Bewusstsein für alternative Gesellschaftsmo-delle

B. Kriminalisierungstheorien und Prävention 24

I. Theorien strafrechtlicher Kriminalitätskontrolle als Legitimationsbeschaffer des Strafrechts 24

II. Schuldausgleich und Vergeltung 25Schwächen des Schuldkonzepts: Keine empirische Nachweisbarkeit und Vergeltungs-Metaphysik � Schuld als normatives Konstrukt der Begren-zung des Strafrechts

III. Spezialprävention 27Nützlichkeit als ‚modernes‘ gesellschaftliches Prinzip � Individuelle Zielrichtung

IV. Generalprävention 28Abschreckung � Generalprävention im Dienst der Normstabilisierung: Anspruch auf globalen Gesellschaftsschutz und tiefenpsychologische Ergänzungen

V. Vereinigungs-„Theorie“ und Integrationsprävention 30Die Position des Bundesverfassungsgerichts � Generalprävention als Vertrauensschutz � Integrationsprävention und Justizförmigkeit � Vom Schutz individueller Interessen zum Schutz funktionaler Komplexe

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XIInhaltsverzeichnis

Dritter Abschnitt: Conclusionen zu Kriminalitäts- und Kriminalisierungs-theorien und zu ihrer (Nicht-)Vermittlung in der wissenschaftlichen Lehre 33

I. Der Zugriff der Kriminologie auf Prävention 33Ursachenansätze � Der individualisierende De� nitions-Ansatz � Gesell-schaftstheoretische De� nitions-Ansätze � Strafrechtssoziologie � Frei-heitliches Strafrechtsverständnis

II. Der Zugriff des Strafrechts auf Prävention 34Keine empirischen Belege für Strafbegründungen � Negative General-prävention � Integrationsprävention � Straftheorien: Mehr Glaubens- als Wissenssätze � Vom politischen Nutzen der Prävention

III. Vom Nachteil des Rückzugs und der Notwendigkeit des Fortbestehens der wissenschaftlichen universitären Juristenausbildung 35Wissenschaft als Verständnisvoraussetzung � Notwendigkeit umfassen-der Juristenausbildung � Interdisziplinäre Ausrichtung der Juristenaus-bildung � Internationale Ausrichtung der Juristenausbildung im re� exi-ven Praxisverbund � Gesellschaftstheoretische Grundlegung der Juris-tenausbildung

2. TEIL: DAS SOZIAL-INTEGRATIVE STRAFRECHT DES WOHLFAHRTSSTAATES

– Das Aufscheinen von Menschenrechten in den späten 60er und 70er Jahren –

Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung 39Empörung als Motor � Zeitenwende im Strafvollzug � Gnadenrecht für Lebenslange � Menschenbilder im Strafvollzug � Deformierende Zu-schreibungen verstecken den Menschen � Negative Prägewelt des Si-cherheitsvollzuges � Menschenrechte und ihr Gewährleistungsrahmen � Erfahrung auf einen Nenner gebracht � Berichtsauftrag für das Gna-denverfahren � Forschung in fremden Lebenswelten � Eine Begegnung besonderer Art � Fundamentale Einsichten � Der Lebenswille als Über-lebensmotor � Soziale Aufwärtsmobilität � Eindrucksvolle Begegnun-gen: juristische Stereotypen versus soziale Empathie � Prognostische Ir-relevanz des Haftverhaltens � Weiteres Forschungsinteresse: Input und Output des Kriminaljustizsystems

Zweiter Abschnitt: Beiträge über totale Institutionen und die Konstruktion von Kriminalität 51Lebenslang im Strafvollzug: Kriterien zur Sozialprognose nach langer

Strafhaft – Kritik und Erwiderung –, in: Psychiatrische Praxis 1981, S. 1 ff. (Beitrag 2) 53

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Maßregelvollzug: Aspekte des Maßregelvollzugs im psychiatrischen Krankenhaus, in: Monatsschrift für Kriminologie und Straf-rechtsreform 1978, S. 104 ff. (Beitrag 3) 69

Sozialtherapie: Scheinbar freundlichere Mauern – Zur Kritik an der Sozialtherapie im Strafvollzug –, in: Lutherische Monatshefte 1982, S. 121 ff. (Beitrag 4) 97

Jugendstrafvollzug: Jugendstrafvollzug und Kriminalprävention – Strukturen und Probleme der Jugendstrafe an 14-/15jährigen –, in: Jugend und Kriminalität (edition suhrkamp), 1983, S. 156 ff. (Beitrag 5) 107

Jugendkriminalität: Zur Legitimationsfunktion von Jugendkriminal-statistiken – Ein Traktat wider den Mythos von der kriminellen Jugend –, in: Jugend und Kriminalität (edition suhrkamp), 1983, S. 18 ff. (Beitrag 6) 117

Migranten: Junge Ausländer vor den Kontrollinstanzen der Bundesre-publik – Kriminalstatistischer und instanzieller Umgang mit Problemen –, in: Jugend und Kriminalität (edition suhrkamp), 1983, S. 62 ff. (Beitrag 7) 129

Dritter Abschnitt: Conclusionen zum Strafrecht des Wohlfahrtsstaates 141

I. Zur Verfügbarkeit kriminologischen Wissens für eine freiheitsorientierte Kriminalpolitik der Vernunft und der Menschenwürde im Wohlfahrtsstaat 142Bedeutung sozialer Aufwärtsmobilität für Wiedereingliederung � Pros-perität der Nachkriegszeit als natürliches Experiment � Bedeutung der Schutzzone familiärer Geborgenheit � Soziale Hilfestellungen unab-dingbar für jeden Verurteilten � Desaströse Bedingungen im Maßregel-vollzug � Hospitalisierung als Schicksal sozialer Schichtung � Men-schenrechtswidrige Unterlassung sozialer Behandlung � Politische Ver-marktung des Bedrohungsszenariums ‚Jugendkriminalität‘ � Die Sozialstruktur deklassiert und kriminalisiert, nicht die Nationalität � Gesellschaftliche Ignoranz sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse � Der Aufzug der Kriminalitätsfurcht beim Abbau des Wohlfahrtsstaates

II. Das Integrationsmodell im Kontext des Wohlfahrtsstaates 144Leitbilder � Zentrales Ziel � Anforderungen � Gefahren

III. Das Ende des Wohlfahrtsstaates zu Anfang der 80er Jahre 145Bedingungen der Au� ösungen � Abbau des Idealbildes � Umfassende Transformationsprozesse � Ein neuer Schwerpunkt sozialer Kontrolle: Verwaltung von Kriminalität � Der Weg zum Verwaltungsstaat � Die Ge-genreformation � Der Verlust staatlicher Gewährleistung und das Auf-leben des Verwahrvollzugs

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IV. Staatlicher Gewährleistungsraum als Achtung von Menschenwürde und Menschenrechten 147Menschenrechte gelten um ihrer selbst willen � Menschenrechte sind vorrechtlich gegeben � Menschenwürde in der Konkretisierung � Das Bundesverfassungsgericht als Hüter � Menschenrechte als Autonomie-schutz � Menschenrechte als Grenzen der Interpretation von Haftverhal-ten � Der Gewährleistungsstaat in der P� icht der Menschenrechte

3. TEIL: DIE WENDE ZUM PRÄVENTIONSSTAAT– Von der sozialen zur inneren Sicherheit in den 80er und 90er Jahren –

Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung 149Meine frühen Erfahrungen in den USA mit dem präventiven Paradigma � Prävention: Zauberwort und argumentativer Alleskleber � An den so-zialen Fronten der USA � Soziale Realität versus präventive Ideologie

Zweiter Abschnitt: Beiträge zum Präventionsparadigma 153

I. Das Präventionsparadigma und Skepsis aus empirischer und theoretischer Sicht 153

1. Zuführungen 153US-Prävention: Nur Scherben zusammenkehren � Die Konstruktion von Bedrohungsszenarien � Die Wende vom repressiv-limitierenden zum präventiv-gestaltenden Steuerungsmodell � Gesellschaftstheoretische Abstinenz des dogmatischen Strafrechts

2. Beiträge zur empirischen und theoretischen Sicht des Präventionsparadigmas 157Erfahrungen mit Prävention: Der Weg in die Sackgasse? – Zur Ein-

schätzung von Präventions-Programmen der amerikanischen Polizei –, in: „Mehrfach auffällig“, Untersuchungen zur Ju-gendkriminalität, 1982, S. 215 ff. (Beitrag 8) 159

Forderungen an Prävention: Spezialprävention angesichts neuer Tä-tergruppen, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissen-schaft 1985, S. 831 ff. (Beitrag 9) 197

Analytische Ebenen der Prävention: Prävention als problematische Zielbestimmung im Kriminaljustizsystem, in: Kritische Viertel-jahresschrift für Gesetzgebung und Rechtwissenschaft 1986, S. 55 ff. (Beitrag 10) 229

Interventionsstaat: Das Strafrecht auf dem Weg vom liberalen Rechts-staat zum sozialen Interventionsstaat – Entwicklungstendenzen des materiellen Strafrechts –, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1988, S. 182 ff. (Beitrag 11) 259

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XIV Inhaltsverzeichnis

II. Das Präventionsparadigma im Jugendstrafrecht auf dem Prüfstand der kritischen Theorie und Empirie 287

1. Zuführungen 287Das Jugendstrafrecht als präventiver Vorreiter � ‚Erziehung‘ als prä-ventiver Türöffner und Pädagogicum zweifelhaften Ranges � Diversion als administrative Strategie der Verfahrensökonomie � Täter-Opfer-Ausgleich als informelles Zwischen-Strafrecht � Der Staatsanwalt als Richter vor dem Richter � Diversion als selbstregulatorischer Prozess der Exekutive (= Exekutivisches Recht) � Sonderforschungsbereich Phase I (1986–1988): Exekutivisches Recht der Staatsanwaltschaft � Ein (vergeblicher) Notnagel: Normative Formalisierung der Diversion � Sonderforschungsbereich Phase II (1989–1991): Gerichtliche Misser-folge � Keine prozedurale Rationalitätssteigerung durch Diversion � Keine Steigerung der Ergebnisrationalität durch Diversion � Präventi-on: Stellschraube für administrative Verfahrensökonomie � Die Irrele-vanz aufgedeckter Realitäten für die Kriminalpolitik

2. Beiträge zum jugendstrafrechtlichen Präventions-paradigma 293Erziehung als Ausrichtung: Erziehung als Spezialprävention – Das

fragwürdige Leitprinzip –, in: Jugendstrafrecht, 1.-3. Au� age, 1987–2000, §§ 8 und 9, S. 65–85 (Beitrag 12) 295

Diversion als Alternative: Diversion als Spezialprävention – Straf-rechtlicher Umgang mit Bagatelltätern –, in: Jugendstrafrecht, 1.–3. Au� age, 1987–2000, § 5, S. 23–36 (Beitrag 13) 317

Täter und Opfer: Ziviler Ausgleich: Strafrechtsverfremdende Schat-tenjustiz – Zehn Thesen zum Täter-Opfer-Ausgleich –, in: Festschrift für Horst Schüler-Springorum, 1993, S. 81 ff. (Beitrag 14) 333

Informeller Zugriff der Exekutive: Exekutivisches Recht – Eine Ein-führung in empirische Analysen zur staatsanwaltschaftlichen Diversion in Nordrhein-Westfalen –, in: Informalisierung des Rechts, 1990, S. 1 ff. (Beitrag 15) 343

Systemnutzen: Der politische Gebrauchswert des Jugendstrafrechts, in: Strafverteidiger 2008, S. 154 ff. (Beitrag 16) 383

III. Das Präventionsparadigma und die Pathologisierung individueller Kon� ikte 399

1. Zuführungen 399Individualisierende Justiz und pathologisierende Psychiatrie � Der fo-rensische Sachverständige als Händler: „Benzin nach Metern“ (Rasch) � Kriminalpolitische Renaissance der Maßregel � Pathologisierung statt Recht � „Wegschließen – und zwar für immer!“ (Gerhard Schröder) � Empörter Protest einer Wissenschaftlergruppe: Ein (abgedruckter) Le-serbrief

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XVInhaltsverzeichnis

2. Beiträge zur Pathologisierung individueller Kon� ikte 407Gnostik als Methode: Unsicherheitszonen des Schuldstrafrechts – ‚Be-

wusstseinsstörung‘ und ‚Abartigkeit‘ zwischen normativen Set-zungen und empirischer Psychologie, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 1983, S. 193 ff. (Beitrag 17) 409

Agnostik als Methode: Die Pathologisierung des strafrechtlichen Not-standes – Zur Legitimationsfunktion psychiatrisch-psychologi-scher Gutachten in der Rechtsanwendung –, in: Die Sprache des Verbrechens, Festschrift für Wilfried Rasch, 1993, S. 59 ff. (Beitrag 18) 433

In dubio pro securitate: Lockerung im Maßregelvollzug (§ 63 StGB) – ein „kalkuliertes Risiko“?, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 1991, S. 64 ff. (Beitrag 19) 445

IV. Das Präventionsparadigma und die Pathologisierung sozialer Kon� ikte 463

1. Zuführungen 463„Verdeckte Gewalt“ außerhalb präventiver Perspektiven � Verkürzte In-dividualisierung von Gewalt � Der kriminelle ‚Ausländer‘ – eine sozia-le Pathologisierung � Das pathologisierte ‚Opfer‘ als Prozess-Subjekt � Die Privatisierung des Opfers als staatliche Deregulierung � Scheinbar wertfreie Wahrheits� ndung im Präventionsparadigma

2. Beiträge zur Pathologisierung sozialer Kon� ikte im Präventionsparadigma 467Gesellschaftlicher Stillstand: Zurück zum Obrigkeitsstaat – Über das

Demokratieverständnis der Gewaltkommission der Bundesre-gierung –, in: Neue Praxis 1990, S. 90 ff. (Beitrag 20) 469

Auf der Suche nach Sündenböcken: Die strafrechtliche Auffälligkeit des ‚Ausländers‘: Kriminologische Verarbeitung und kriminal-politische Verwendung, in: Strafverteidiger 1990, S. 272 ff. (Beitrag 21) 475

Privatisierung der Opfer: Die Funktionalisierung des Opfers im Kri-minaljustizsystem, in: Die Stellung des Opfers im Strafrechts-system, 2000, S. 39 ff. (Beitrag 22) 495

Erkenntnisinteresse: traditionell vs. re� exiv: Der Zugriff des Straf-rechts auf die Kriminologie, in: Festschrift für E. A. Wolff, 1998, S. 1 ff. (Beitrag 23) 507

Dritter Abschnitt: Conclusionen zum Präventionsstaat 523

I. Massive Transformationsprozesse im rechtsstaatlichen Strafrecht durch Prävention 523Übersteigerte Systemschutzanforderungen zerbrechen das rechtsstaat-liche Strafrecht � Symbolische Steuerungsanforderungen missbrauchen das rechtsstaatliche Strafrecht

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XVI Inhaltsverzeichnis

II. Formenwandel sozialer Kontrolle im Präventionsstaat 524Von der Integration zur Verwaltung von Abweichung � Vom Schaden zum Risiko � Von der Erprobungs- zur Erwartungsklausel � Operative Prävention im Vorfeld einer Rechtsverletzung � Die Informalisierung des Rechts als Stunde der Exekutive

III. Folgen für ein rechtsstaatliches Strafrecht und Kriminaljustizsystem 525Gesellschaftliche Reparaturanstalt versus Freiheitsschutz � Symbolik versus materiale Gerechtigkeit � Selektivität versus Gleichheit � Feind versus Bürger � Problemverwaltung versus Problemlösung � Pathologi-sierung versus Individualisierung � Individuelle Hilfe versus Bekämp-fung von Problemlagen � Präventive Grenzau� ösung versus Menschen-rechte � Prävention versus materialer Rechtsstaat

4. TEIL ANSÄTZE EINER GEGENREFORM: NORMATIVE ENTKRIMINALISIERUNG UND SOZIALE SICHERHEIT IM STRAFVOLLZUG

– Vom vergeblichen Versuch, das Strafrecht und das Krimi-naljustizsystem in den 90er Jahren real zu entlasten –

Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung 527Reformkommission zum Strafrecht in Niedersachsen � Grundrechte ver-sus präventiver Zugriff � Justizökonomie � Reformkommission zum Strafrecht in Hessen � Materielle Entkriminalisierung � Verbesserter Rechtsgüterschutz durch Entkriminalisierung � Öffentliche Gegenreak-tion � Hoffnungen im Keller � Die Sicherheit im Strafvollzug als politi-sches Versprechen � Keine Revision der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung und der Strafvollzug in der Sackgasse

Zweiter Abschnitt: Beiträge zur materiellen Entkriminalisierung des Strafrechts und zur sozialen Sicherheit im Strafvollzug 533Kriminalpolitik der Entkriminalisierung: Formalisierung versus Fle-

xibilisierung: Strafrecht quo vadis?, in: Vom Guten, das stets noch das Böse schafft: kriminalwissenschaftliche Essays zu Ehren von Herbert Jäger, 1993, S. 255 ff. (Beitrag 24) 535

Entlastung des Strafgesetzes: Reformvorschläge für das Eigentums- und Wirtschaftsstrafrecht, Straßenverkehrs- und Betäubungs-mittelstrafrecht, in: Kriminologie – Eine Grundlegung zum Strafrecht, 1.–3. Au� age, 1999-2005, §§ 32–34, S. 297–315 und § 38, S. 32 –329 (Beitrag 25) 545

Reform des Strafprozesses: Reformvorschläge der Hessischen Kom-mission „Kriminalpolitik“ zum Strafverfahrensrecht, in: Rechtsgüterschutz durch Entkriminalisierung, 1992, S. 83 ff. (Beitrag 26) 577

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XVIIInhaltsverzeichnis

Terrorismus und irrationale Reaktion: Revision der Anti-Terroris-mus-Gesetzgebung und Vorschläge zur Fortentwicklung des Strafverfahrensrechts, in: Strafrecht – ultima ratio, 1992, S. 79 ff. (Beitrag 27) 599

Terrorismus und rationale Reaktion: Kriminologisch-sozialwissen-schaftliches Gutachten für die Justizvollzugsanstalt Celle I zur Frage der Legalprognose für Herrn Karl-Heinz Dellwo (Bei-trag 28) 621

Strafvollzug und soziale Sicherheit: Abschlussbericht der Experten-kommission Hessischer Justizvollzug, in: Strafverteidiger 1994, S. 215 ff. (Beitrag 29) 641

Dritter Abschnitt: Conclusionen zur normativen Entkriminalisierung und sozialen Sicherheit im Strafvollzug 661

I. Normative Entkriminalisierung 661Ziel: Schutz von Menschen- und Grundrechten � Ziel: Kernstrafrecht � Ziel: Stärkung der Freiheitsrechte der Bürger � Ziel: Schutz des rechts-staatlichen Strafprozesses � Ziel: Rücknahme entliberalisierender Ge-setze

II. Soziale Sicherheit im Strafvollzug 662Basis für Sicherheit � Bedingungen für Wiedereingliederung � Gefahr durch Instrumentalisierungen � Realistische Ernüchterung zum Behand-lungsvollzug � Offener Vollzug als Regelvollzug � Vollzugsentscheidun-gen als Aufgabe der Dritten Gewalt � Sicherheit versus Sicherungsver-wahrung

III. Der falsche Weg aktueller Kriminalpolitik 663Ef� zienz versus Gerechtigkeit � Informalisierung versus Gerechtigkeit � Symbolisches Strafrecht versus Gerechtigkeit � Flexibilisierung versus Gerechtigkeit � Konsensualisierung versus Gerechtigkeit � Inadäquates Steuerungsmedium versus Gerechtigkeit � Symbolische Politik aus der Distanz versus Gerechtigkeit

5. TEIL VOM PRÄVENTIONSSTAAT ZUR SICHERHEITSGESELLSCHAFT– Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts nach der Jahrtausendwende –

Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung 667Transformationsprozesse zur Sicherheitsgesellschaft � Dominanz der ökonomischen Logik � Rückzug des Staates � Entstehung des Prekariats � Recht des Stärkeren versus Stärke des Rechts � Präventiv-Folter: Der Weg in den Staatsterrorismus � Juristische Argumentationslinien „Pro Folter“: Umsetzung noch offen � Weimarer Analogie: Vernichtung „le-bensunwerten“ Lebens � Tribut der Sicherheitsgesellschaft � Empirisch unredlicher ‚Mythos Angst‘ als Grundlage politischer Gestaltung �

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XVIII Inhaltsverzeichnis

Konsequenz einer Fixierung auf Sicherheit: Rechtsabbau � Offene Fra-ge: Ursachen globaler Rechtsau� ösung � Stunde der Exekutive � Tod kritischer Wissenschaft � Exekutivisches Selbstverständnis: Das Prinzip des ‚Geheimen‘ � Folge des ‚Geheimen‘: Zwang zum Konsens (Konsen-sualisierung) � Richter und Strafverteidiger: Manager des Konsenses � Preis für Gewissheitsverluste: „Geschmeidige Prinzipien“ � Das Pro� l der Zerstörung des rechtsstaatlichen Strafprozesses � Vergessen: Die Lehre aus Weimar

Zweiter Abschnitt: Beiträge zum Weg vom Präventionsstaat zur Sicherheitsgesellschaft 684Steuerungsanspruch des Strafrechts: Der Steuerungsanspruch des

Strafrechts im zeitlichen Wandel, in: Kriminologie – Eine Grundlegung zum Strafrecht, 1.–3. Au� age, 1999–2005, § 10, S. 131–134 und § 6, S. 60–76 (Beitrag 30) 687

Bedrohungsszenarien und Rechtsverzehr: Zwei Bedrohungsszenari-en: Organisierte Kriminalität und Terrorismus, in: Krimino-logie – Eine Grundlegung zum Strafrecht, 1.–3. Au� age, 1999-2005, § 43, S. 343–352 und § 44, S. 352–360 (Beitrag 31) 715

Unilateralismus und Gewalt: Ursachen globaler Rechtsau� ösung – Wege kontinuierlicher Erosion des Rechts –, in: Festschrift für Winfried Hassemer, 2010, S. 3 ff. (Beitrag 32) 737

Verschwundene Kritik: Anmerkungen zum Verfall der Wissenschaft an deutschen Universitäten, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 2009, S. 266 ff. (Beitrag 33) 753

Prinzip des Geheimen: Die neu verfasste Polizei: Grenzverwischung und Geheimverfahren, in: Kritische Vierteljahresschrift für Ge-setzgebung und Rechtswissenschaft – Sonderheft für Winfried Hassemer zum sechzigsten Geburtstag 2000, S. 17 ff. (Beitrag 34) 761

Grenzen des Geheimen: Grenzen „geheimer Verbrechensbekämp-fung“? Die G 10-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 100, 313 ff.), in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 2000, S. 273 ff. (Bei-trag 35) 771

Strafrechtspolitik: Verfehlte Reformen: Reformbemühungen und Versäumnisse aktueller Strafrechtspolitik, in: Neue Justiz 2000, S. 449 ff. (Beitrag 36) 783

Irrwege: Konsens und Kronzeuge: Der Kronzeuge im Rechts-ausschuss des Bundestages – Ein Armutszeichen des Gesetzge-bers und der Sieg professioneller Interessen gegenüber dem Recht –, 2009 (Beitrag 37) 797

Dritter Abschnitt: Conclusionen zur Sicherheitsgesellschaft 809

I. Ursachen der Entwicklung zur Sicherheitsgesellschaft 8099/11 nicht Grund, sondern Anlass für die Sicherheitsgesellschaft � US-Unilateralismus � Protagonisten des Wandels � Au� ösung traditioneller

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XIXInhaltsverzeichnis

Institutionen � Globale Unsicherheit als Prinzip � Privatisierung als Verzehr der Freiheit

II. Formen und Methoden der Sicherheitsgesellschaft 810Risikobekämpfung � Der Diskurs der Unsicherheit � Die Dominanz wahlkampftaktischer Alltagstheorien � Das Prinzip der geheimen Poli-zei und ihrer Überwachungstechnologien � Au� ösung des Gefahrenbe-griffs in „Präpression“ � Rückzug von öffentlichem Recht und Of� zial-prinzip � Exklusion statt Integration � Rechtsabbau

III. Folgen der Sicherheitsgesellschaft 811Dominanz existenzieller Angst � Regulation versus Abwehr � Kein wir-kungsvoller Rechtsschutz � Folgen der Privatisierung: Deregulierung und Konsensualisierung

IV. Das prinzipiell Neue der Sicherheitsgesellschaft 812Novum: Teufelskreis von Sicherheit und Unsicherheit � Novum: Existen-zielle Angst vor Bedrohungen und Risiken � Novum: Tendenzen totaler Durchdringung der Gesellschaft � Novum: Zustimmung der Mehrheits-gesellschaft � Novum: Kons ensualisierung als Preis für Gewissheitsver-luste � Novum: Ziel ist ‚Sicherheit‘ � Novum: Die gefährliche Totalität der normativen Sicherheitsproduktion

6. TEIL HOFFNUNG EUROPA?– Von den Bemühungen, den Rechtsstaat auf europäischer Ebene zu sichern –

Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung 819

I. Europäische Menschenrechtskonvention und die Verträge der EU: Menschenrechte versus ökonomische Integration 821EMRK: Reaktion auf massive Unrechtserfahrungen � Die Integrations-bewegung der EU: Erosion strafrechtlicher Prinzipien � Kontingenz und Verklammerung im intranationalen Recht � Dominanz der Exeku-tive

II. Vier Gründe, warum ein prinzipiengeleitetes rechtsstaatliches Strafrecht nicht ‚vergemeinschaftet‘ werden darf 824Erstes Argument – Strafrecht: Machtvoller und zerstörerischer Rechts-zwang � Zweites Argument – Systemschutz durch Strafrecht: Eine selbst-zerstörerische Aufgabe � Beispiel: Diffusität der Tatbestände � Straf-recht keine gesellschaftliche Reparaturanstalt � Drittes Argument – Strafwürdigkeit als ‚Kultur der Freiheit‘: Fehlender europäischer Konsens � Das Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG): Eine ver-gessene Vorschrift � Viertes Argument – Voraussetzung für rechtsstaat-liches Strafrecht: Basisreform der nationalen Demokratie

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XX Inhaltsverzeichnis

III. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag – ein europäischer Paukenschlag 829

IV. Nach der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 831Stärkung der Mitwirkungsrechte des nationalen Parlaments � Wegwei-ser europäischer Strafrechtsentwicklung: Der Vorrang der Menschen-rechte

Zweiter Abschnitt: Beiträge zur „Hoffnung Europa?“ 835De� zite europäischen Rechts: De� zite Europäischer Strafrechtsent-

wicklung, gemeinsam mit S. Braum, in: Kritische Vierteljah-resschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1998, S. 460 ff. (Beitrag 38) 837

Europäische Informalisierung im Recht: Europäische Informalisie-rung des Strafrechts, in: Strafverteidiger 2001 (Beilage Europä-isches Strafrecht 2000), S. 69 ff. (Beitrag 39) 859

Appell für einen europäischen Rechtsstaat: 11 Propositions toward the Development of Legal Foundations for European Criminal Law, gemeinsam mit S. Braum, G. Frankenberg, K. Günther, W. Naucke, S. Simitis, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 2001, S. 269 ff. (Bei-trag 40) 869

Europäische Albträume: Europäischer Strafrechtsraum – ein Albtraum?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 2004, S. 1 ff. (Beitrag 41) 881

Europäischer Haftbefehl ohne Schranken: Die Normgenese des Eu-ropäischen Haftbefehlsgesetzes: Eine demokratietheoretische Depression, in: Mit Recht für Menschenwürde und Verfassungs-staat – Festgabe für Dr. Burkhard Hirsch –, 2006, S. 115 ff. (Bei-trag 42) 889

Europäische Hoffnung: Autonomie der Dritten Gewalt: Could an in-dependent Judiciary be a Counterbalance to the Erosion of Euro-pean Principles of Criminal Law?, in: Strengthen the Judiciary´s Independence in Europe!, 2009, S. 19 ff. (Beitrag 43) 905

Dritter Abschnitt: Conclusionen zum Europäischen Strafrecht einer prinzipiengeleiteten Strafgesetzlichkeit – eine Hoffnung 923

I. Erwartungen an europäische Integration: Verfasste Strafgesetzlichkeit 923Unverzichtbare, abwägungsfeste Strafrechtsprinzipien � Europäisches Strafrecht der Strafgesetzlichkeit versus administratives Sanktionen-recht

II. Erwartungen an ein Europäisches Strafrecht der Strafgesetzlichkeit: Freiheitliches Kernstrafrecht 923Die Forderung: Europäisches Kernstrafrecht der Strafgesetzlichkeit

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XXIInhaltsverzeichnis

III. Erwartungen an ein Kriminaljustizsystem der Strafgesetzlichkeit: Faires Verfahren und rechtsstaatliche Vorbildlichkeit 924Europaweite Reformen der nationalen Kriminaljustizsysteme: Europä-ische Polizei, Europäische Staatsanwaltschaft, Europäische Strafvertei-digung und Europäische autonome und unabhängige Dritte Gewalt � Absolutheitsgrenzen für Legislative und Exekutive in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts � Die Lissabon-Entscheidung als wichtiger Meilenstein europäischer Verfassungstraditionen

7. TEIL AUF DER SUCHE NACH STAATSKRITISCHEN ABSOLUTHEITSREGELN

– Von der Hoffnung auf einen Menschenrechtsschutz, der absolute Politiksperren errichtet –

Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung 927

I. Die Entwicklung 927Das sozial-integrative Strafrecht � Der Weg in den Präventionsstaat � Die das Recht verzehrende Sicherheitsgesellschaft

II. Vier Hoffnungen 929Erstens – Postulat einer gerechten Sozialordnung � Zweitens – Postulat individueller Freiheit � Drittens – Postulat freiheitssichernder Prinzipi-en eines Kernstrafrechts � Viertens – Postulat einer Stärkung der Auto-nomie und Unabhängigkeit der Judikative

Zweiter Abschnitt: Beiträge zu Strafgesetzlichkeit, strafrechtlichen Prinzipien und richterlicher Autonomie 937Freiheit als Ziel: Freiheitsschutz: Aufgabe europäischer Strafrechts-

wissenschaften, in: Festschrift für Ioannis Manoledakis, Band II, 2007, S. 3 ff. (Beitrag 44) 939

Stabilisatoren der Freiheit: Strafrechtsprinzipien: Schützende Formen des rechtsstaatlichen Strafrechts, in: Kriminologie – Eine Grundlegung zum Strafrecht, 1.-3. Au� age, 1999–2005, § 9, S. 103–132 (Beitrag 45) 953

Bedrohung der Dritten Gewalt durch Gesetz: Die Bedrohung der Dritten Gewalt durch irrationale Sicherheitspolitik, in: Deut-sche Richterzeitung 1998, S. 326 ff. (Beitrag 46) 989

Eliminierung der Dritten Gewalt durch Delegitimierung: Die Kri-minalisierung der Dritten Gewalt – Ein verfehlter Beitrag der Exekutive zur Steigerung der Funktionstüchtigkeit des Krimi-naljustizsystems –, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 2004, S. 259 ff. (Beitrag 47) 1003

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XXII Inhaltsverzeichnis

Mut für die Dritte Gewalt: Der schwierige Weg der Dritten Gewalt zwischen Freiheit und Sicherheit – Lockerungen und unbefris-teter Freiheitsentzug –, gemeinsam mit U. Baltzer und C. Krehl, in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 2010, Heft 2 (Beitrag 48) 1009

Die Hoffnung: Autonomie für die Dritte Gewalt: Hoffnungen für eine Stärkung der Dritten Gewalt – Erwartungen aus den Grundla-genwissenschaften des Rechts –, in: Kritische Vierteljahres-schrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 2008, S. 340 ff. (Beitrag 49) 1027

Dritter Abschnitt: Conclusionen zur Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln 1035

I. Das Recht löst sich auf: Kaum Hoffnung auf Umkehr 1035Die starken Protagonisten der Rechtsau� ösung � Strafrecht immer Herrschaftsinstrument � Das ökonomische System entzieht sich dem Zu-griff des juristischen Systems – gerade international � Das Strafrecht als Spiegel gesellschaftlicher Realitäten � Permanente wissenschaftliche Kritik am strafrechtlichen Zugriff als dauerhafte Aufgabe

II. Der Versuch von Freiheitsschutz durch Recht und seine Prinzipien 1036Die Kritik am begrenzten Freiheitsbegriff � Die Kritik am formalen Rechtsstaatsbegriff � Die Abwehrfunktion von Menschen- und Grund-rechten

III. Staatskritische Absolutheitsgrenzen 1037Strafrechtliche Grenzziehungen � Der forensische Kampf für abwä-gungsfeste Menschenrechte � Strafrecht als öffentliches Programm der Freiheitssicherung � Der Justizgewährungsanspruch als Bastion des öf-fentlichen Strafrechts � Die richterliche Unabhängigkeit als Garant öf-fentlicher Gewährleistungsp� ichten � Programm für einen europäischen Rechtsstaat mit strafrechtlicher Gesetzgebungskompetenz � Verfas-sungsrechtlich gesichertes Widerstandsrecht

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1.TeilDas herrschende Präventionsparadigma

im Strafrecht und in der universitären Lehre

Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung

A. Erlebte Ambivalenz in 40 Jahren: Wissenschaftliche Herausfor-derungen und das Vermittlungsversagen in der Universitätslehre

Dieses Buch will wissenschafts-biogra� sch die These der kontinuierlichen Erosion des Rechts aufbereiten und unterlegen. Gleich zu Anfang das herrschende Präventionspara-digma im Kontext von Kriminalität und Kriminalisierung aufzurufen, verlangt vom Le-ser guten Willen und Vertrauen in das didaktische Geschick des Autors, des Hochschul-lehrers. Die Leser sollten – so mein Wunsch – einmal die Rolle der Studierenden im An-fangssemester der Jurisprudenz einnehmen. Das hilft, den folgenden Text im Zweiten Abschnitt des 1. Teils besser zu verstehen, weil es das Vermittlungsproblem des Hoch-schullehrers deutlicher macht.Die jungen Leute haben in der Regel guten Willen und freuen sich auf das Unbekannte zu Anfang einer mit Spannung erwarteten Lebensphase. Wir, die Lehrer an den Universitä-ten, enttäuschen diese Erwartungen in aller Regel bitterlich. Nicht das Eintauchen in un-bekannte Erfahrungs- und Wissenswelten wird geboten, sondern Anpassung an formale Verfahrensabläufe und langweilig erscheinende Faktengebirge führen zu der baldigen Schockstarre, die spätestens im zweiten Semester einsetzt. Dann hat die Universität schon verloren, und die Gesellschaft verliert das ungeheure Potential an Wissbegierde und Ein-satzbereitschaft der Jugend. Kopfschüttelnd wenden sich gerade die Aktiven und Kreati-ven von der Jurisprudenz ab. Würden wir den Mut zu umfassender und notwendiger Strukturveränderung der Juristen-ausbildung haben, könnten diese immensen Verluste an menschlicher und gesellschaftli-cher Einsatzfreude sinnvoll und sozial nutzbringend in allgemeinen Fortschritt umgewan-delt werden. Aber diesen Willen haben die Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft nicht. Dabei ist es ungeheuer herausfordernd, sich mit den wissenschaftlichen Einblicken in die Entstehungsbedingungen von Kriminalität und Kriminalisierung, also mit dem Ur-sachen- und Bestrafungswissen, intensiv zu beschäftigen. Aber Fehlanzeige. Das bietet die Juristenausbildung in der Universität und anderswo nicht. Anwendungswissen, also Paragraphenkenntnis und deren Überstülpen auf bizarre ‚Fälle‘, wird � ächendeckend ge-boten, schlicht die formale Subsumtion von künstlichen ‚Lebenssachverhalten‘ unter die 358 Normen des Strafgesetzbuches.An dieser Ambivalenz von reicher, packender Erkenntnisfülle und ärmlichen Vermitt-lungsressourcen im Universitätsalltag habe ich 40 Jahre als Universitätsmitarbeiter gelit-

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6 1. Teil: Das herrschende Präventionsparadigma im Strafrecht und in der universitären Lehre

ten – von Ausnahmen in Reformversuchen und einigen Sternstunden der Einheit von For-schung und Lehre abgesehen. Auch dieses Leiden ist Gegenstand im Folgenden. Aber erst einmal soll die unglaubliche Diskrepanz zwischen der Erkenntnisfülle der Grundlagen-wissenschaften und der Ärmlichkeit ihrer Vermittlung im Rahmen der Juristenausbildung deutlicher gemacht werden. Erst im Anschluss wende ich mich im Zweiten Abschnitt den wissenschaftlichen Gegenständen der Kriminalitätsursachen und der Kriminalisierungs-bedingungen zu.

B. Die Fülle wissenschaftlicher Lehr-Herausforderungen für das Strafrecht

Das Strafrecht hat sich im 20. Jahrhundert von einer ursprünglich normativen Wissen-schaft, also von einer Art Rechtskunde, zu einer komplexen Gesellschaftswissenschaft so-zialer Kontrolle entwickelt. An das Kriminaljustizsystem werden heute von der Politik, der Öffentlichkeit und den Medien eine Fülle von Anforderungen gerichtet. Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Strafvollzug werden als umfassendes gesellschaftssa-nitäres Projekt angesehen, auf das hohe Steuerungsanforderungen projiziert werden.

Wissenschaftliche Erkenntnispro� le

Wie werden Studierende des Rechts in der wissenschaftlichen Universitätsausbildung mit diesen Anforderungen vertraut gemacht? Sind diese Steuerungsanforderungen überhaupt realistisch, vom Strafrecht zu leisten? Sind sie Schwerpunkt des Universitätsstudiums? Man merkt schnell, dass Erklärungen für gesellschaftswissenschaftliche Funktionen des Strafrechts nicht leicht zu geben sind. Keinesfalls liegen sie auf der Hand. Ich habe mir die Beantwortung dieser Fragen hart erarbeiten müssen. Gegenstand meiner juristischen Ausbildung waren sie nicht. Ein sozialwissenschaftliches Studium habe ich nach dem ju-ristischen abschließen müssen, aber auch dort nur Handwerkszeug mitgenommen. Ohne-hin ist ein Zweitstudium nicht empfehlenswert, der Aufwand ist unvertretbar. Aber: Die Strafjuristin und der Strafjurist in der Praxis müssen wissen, ob ihre Tätigkeit gesellschaftssteuernde Wirkungen hat, was die Rechtsanwendung bezweckt und – vor al-lem – was sie erreicht. Was bewirken Sanktionen der Geld- und Freiheitsstrafe? Helfen sie den Geschädigten? Helfen sie den Sanktionierten? Helfen sie der Gesellschaft? Wie weit darf der Staat mit seinen strafrechtlichen Anforderungen an seine Bürger gehen? Gibt es Grenzen? Ist der gesellschaftliche Nutzen die Grenzlinie oder begrenzt die Menschen-würde staatliche Aktivitäten der Normsetzung und der Normdurchsetzung?

Wissenschaftliches Fundament des strafenden Staates

Fragen über Fragen türmen sich auf, wenn Studierende ihr rechtswissenschaftliches Stu-dium beginnen. Aber die gleichen Fragen türmen sich auch auf, wenn der Weg des Straf-rechts im 20. Jahrhundert und darüber hinaus nachgezeichnet und – wie in diesem Buch

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7Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung

– streckenweise aufbereitet werden soll. Studierende und Leser haben gleichermaßen ei-nen Anspruch darauf, den gesellschaftlichen und juristischen Kontext von jenen skizziert zu bekommen, die an sie die Zumutung des Zuhörens oder Lesens richten. Also werde ich in diesem 1.Teil des Buches den Begriff der Prävention, die zentrale Kategorie auf dem Weg in die Sicherheitsgesellschaft, erst einmal kriminalitätstheoretisch und straftheore-tisch (= kriminalisierungstheoretisch) aufrollen und präsentieren. Erst dann kann man se-hen, wo die Leistungsgrenzen des Strafrechts und die der sozialen Kontrolle liegen und wie brüchig dieses gesamte theoretische Fundament des strafenden Staates ist. Hat man das erkannt, erfahren und belegt, werden die Ansprüche an die gesellschaftssteuernde Funktion des Strafrechts bescheidener und Vorsicht beim Ruf nach und bei der Anwen-dung von Strafrecht ist die Folge. Die Mahnung zur Vorsicht ist oft schon das Einzige, was man als Strafrechtslehrer überzeugend vermitteln kann. Angesichts des Alltags im Krimi-naljustizsystem ist das sogar schon sehr viel. Indes wird diese Empfehlung zur Zurück-haltung bei der Rechtsanwendung im Zuge der Vereinnahmung durch die Rechtspraxis schnell vergessen.

Wissenschaftlicher Theoriebedarf

Die Nachfrage des Strafrechts nach kriminologischer Ursachenanalyse setzt wissenschaft-liche Theorien voraus, die individuelles oder soziales Verhalten erklären. Die traditio nelle Kriminologie hat hierzu keine eigenständigen Theorien entwickelt, sondern bei anderen Bezugswissenschaften Anleihen genommen: Medizin, Psychiatrie, Biologie, Psychologie, Soziologie. „Kriminologische Theorien“ traditioneller Art sind dadurch ge-kennzeichnet, dass sie in anderen Disziplinen ausgearbeitete verhaltenserklärende Theo-rien auf den Gegenstandsbereich des abweichenden Verhaltens beziehen. Der erkenntnis-fördernde Gewinn einer wissenschaftlichen Theorie zur Erklärung von Verhalten, welcher Art auch immer, liegt in dem Zwang, sich von alltagsweltlicher Betrachtung lösen zu müssen. So sieht sich der Strafjurist, der – vom Strafgesetz angeleitet – vom Axiom der Willensfreiheit auszugehen hat, beispielsweise durch eine sozialwissenschaftliche Lern-theorie gezwungen, kriminelles Verhalten als folgerichtiges Handeln erlernter Regeln zu begreifen.

Unterschiedliche Verwertung kriminologischer Theorien

Die Interessen des Strafrechts nach Erklärung von Kriminalität lassen sich nach zwei Sei-ten hin ordnen: instrumentell und symbolisch. Zum einen gibt es die Nachfrage nach instrumentell verwertbaren, d. h. für die Krimina-litätsbekämpfung verfügbaren empirischen Erkenntnissen über Ursachen der Kriminalität und über die Wirksamkeit der strafrechtlichen Kriminalitätskontrolle. Hier geht es um die Ef� zienz von Strafverfolgungsmaßnahmen. Das geht primär die Rechtsanwender an. Auf der instrumentellen Ebene der strafrechtlichen Nutzung kriminologischer Ergebnisse wird Kriminalität traditionell als ein individuelles Phänomen betrachtet, das exakt zurechenbar sein muss. In diesem Sinne sind zuallererst auf die Person bezogene ursächliche Erklä-rungsansätze (ätiologisch-individualisierend) gefragt. Diese lassen sich in die dogmati-

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8 1. Teil: Das herrschende Präventionsparadigma im Strafrecht und in der universitären Lehre

schen Ordnungsmuster des Strafrechts (Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld etc.) am besten einfügen. Da das Strafrecht nach Entscheidungen verlangt und insoweit kein offe-nes Aushandlungssystem ist, ergibt sich aber auch für diese Erklärungsmodelle ein rela-tiv enger Spielraum.Zum anderen lässt sich ein Bedarf an symbolisch verwertbarem – d. h. für den politischen Begründungsbedarf verfügbarem – kriminologischen Wissen ausmachen. Dieser Bedarf bezieht sich ebenfalls auf die Erklärung und Kontrolle von Kriminalität. Hierbei geht es um den politischen Gewinn von Strafverfolgung für den Staat: So kann eine ausschließ-lich individuelle Kriminalitätserklärung teure sozialpolitische Maßnahmen erübrigen. Das geht primär die Kriminalpolitik an.Die ohnehin schon begrenzte strafrechtliche Aufnahmekapazität verschärft sich noch mit der zunehmenden „Soziologisierung“ zahlreicher theoretischer Erklärungsansätze. Denn durch das Eindringen von strukturell-gesellschaftlichen Begründungszusammenhängen in die theoretische Analyse werden die auf persönliche Zurechenbarkeit ausgerichteten Zu-schreibungsmuster des Strafrechts gesprengt. Die Plausibilität des strafrechtlichen Prüf- und Begründungsrasters aus objektiver wie subjektiver Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswid-rigkeit und Schuld, das Jurastudenten zum Zwecke der gutachterlichen Prüfung der Straf-barkeit im Grundstudium erlernen, wird durch die wachsende gesellschaftstheoretische Durchdringung kriminologischer Erklärungsansätze mehr und mehr geschmälert.

Wissenschaftliche Blickschärfung für systemische Ziele des Strafrechts

Sozialwissenschaftliche Erklärungsmuster abweichenden Verhaltens haben auch das Strafrecht insoweit sensibilisiert, als es entgegen seiner individuell ausgerichteten Ziel-setzung an strukturellen Kriminalitätsbedingungen nicht mehr vorbeikommt: • ökonomisch bedingte Umweltzerstörung, • durch übersteigertes Pro� tdenken bewirkte Wirtschaftsschädigung, • durch ökonomische Not bedingte Wanderungsströme und damit zusammenhängende

Devianz. Der Strafgesetzgeber und die Kontrollinstitutionen erkennen, dass derartigen Problem- und Risikolagen der „postmodernen“ Gesellschaft mit den Mitteln des herkömmlichen Schuldstrafrechts nicht begegnet werden kann. Entsprechend der theoretischen Erklärung von Devianz als nicht mehr ohne weiteres auf schuldhaftes Handeln zurückzuführendes Strukturproblem beobachten wir• in der Strafgesetzgebung eine Umstellung von Erfolgsdelikten zu Gefährdungsdelikten

(insbesondere im Umwelt- und Wirtschaftsstrafrecht), d. h. es kommt nicht mehr auf den Nachweis eines konkreten Schadens an, es genügt für den strafrechtlichen Zugriff schon die Gefährdung der Rechte anderer;

• in der Rechtsprechung eine Lockerung der Zurechnungsebenen, d. h. nicht mehr natur-wissenschaftlich nachweisbare Kausalität, sondern lediglich Vermutungen sind hinrei-chend für strafrechtliche Reaktionen

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9Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung

• sowie gesteigerte P� ichtanforderungen an den Bürger, wobei die Entwicklung bei den Unterlassungs- und Fahrlässigkeitsdelikten die Erfolgsdelikte auf den Rückzug schickt und stillschweigend ein Risikostrafrecht das Erfolgsstrafrecht ablöst.

Insgesamt wird damit der strafrechtliche Zugriff zu Lasten der Strafgesetzlichkeit und ih-rer freiheitlichen Prinzipien erheblich ausgedehnt. Die Inanspruchnahme struktureller kriminologischer Erkenntnisse, die ursprünglich aus-schließlich strafrechtskritisch vermittelt waren, führte alsbald zu der paradoxen Folge ei-ner Modernisierung und Rationalisierung strafrechtlicher Sozialkontrolle.1 Die sozialwis-senschaftlich-kriminologische Informiertheit der Kriminalpolitik führte zu einer Steige-rung der präventiven Eingriffsmöglichkeiten des Strafrechts.2 Erst die Krise des Wohlfahrtsstaates hat das Ziel allumfassender sozialer Kontrolle des Individuums fallen lassen müssen, um in der späteren Präventionsperspektive sogar im Vorfeld strafrechtli-cher Auffälligkeit wieder aufzuscheinen. Generell kann gesagt werden, dass schon heute die Nachfrage des Strafrechts und vor al-lem der Kriminalpolitik nach symbolisch verwertbarem wissenschaftlichen Wissen erheb-lich höher einzuschätzen ist als der (weniger bedeutsame) Bedarf an verwertbaren empi-rischen Erkenntnissen für die Strafverfolgung. Das hängt mit der Absicht der Rechtspoli-tik zusammen, das Strafrecht als Ersatz für anderweitige politische Lösungswege in der Gesellschaftspolitik zum Einsatz zu bringen. Damit zusammenhängend eignet sich dieses kriminologische Wissen in nicht zu unterschätzender Weise zur politischen Legitimation (neuartiger) staatlicher Interventions- und Kontrollstrategien.

C. Vom Versagen der Vermittlung von Wissenschaft in der universitären Juristenausbildung

Die Schaffung und die Anwendung von Recht ohne gesellschaftstheoretische Durchdrin-gung sollten im 21. Jahrhundert eigentlich auf Dauer überwunden worden sein. Recht ohne Bezug zu Grundlagenwissenschaften sollte es nicht geben. Gesetze ohne wissen-schaftliche Grundlegung gibt es allerdings genug. Allein es fehlen die intersubjektiven, qualitativen Prüfkriterien, ob Mehrheitsrecht auch richtiges Recht ist, wenn es ohne wis-senschaftliche Grundlegung entsteht und angewendet wird.

Die traditionelle juristische Universitätsausbildung

Was haben nun die Universitäten von diesem komplexen Anforderungspro� l der wissen-schaftlichen Grundlegung von Recht erreicht? Was hat sich in der universitären Juristen-ausbildung davon niedergeschlagen? Würde man den Wissenschaftsgehalt der Lehre im

1 Vgl. Kreissl, Staatsforschung und staatstaugliche Forschung in der Kriminologie, KrimJ 1983, S. 110 ff. und ders., Soziologie und soziale Kontrolle, 1986.

2 Vgl. Schwind u. a. (Hrsg.), Präventive Kriminalpolitik. Beiträge zur ressortübergreifenden Kriminal-prävention aus Forschung, Praxis und Politik, 1980.

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Strafrecht auf den der Lehre in der Medizin übertragen und öffentlich machen, würde nie-mand mehr zum Arzt gehen. Zum Strafjuristen geht man im Allgemeinen nicht freiwillig. Entweder wird man mit Rechtszwang dorthin befördert oder – wenn nicht – es wird eher aus Hil� osigkeit anwaltlicher Rat eingeholt. Auf breite wissenschaftliche, insbesondere sozialwissenschaftliche, Ausbildung des Rechtsanwenders muss das Rechtspublikum wei-testgehend verzichten. Im Strafrecht gilt nach wie vor der Lehrstandard des 19. Jahrhunderts, allerdings mit dem gewaltigen Unterschied, dass in früheren Zeiten wesentlich weniger Studierende dem Frontalunterricht der ‚Vorleser‘ lauschten und Freiheit für ein selbstbestimmtes Studium gegeben war. Im Massenstudium unserer Zeit bevölkern hingegen stets mehrere Hundert Studierende – dem engen Studienplan folgend – die riesigen Hörsäle in den großen Uni-versitäten. Wenn überhaupt in der ständigen Geräuschkulisse des Drehtürhörsaales etwas aufgenommen wird, dann vielleicht die Terminangabe irgendeiner Klausur, die im credit-point-System weiteren formalen Studienfortgang ermöglicht. Der Regelstudierende ‚hört‘ drei Semester lang ein bescheidenes dogmatisches Strafrechtsangebot. Im ersten Semes-ter wird der Allgemeine Teil des Strafrechts vorgetragen – Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuldkriterien werden erläutert. Im zweiten und dritten Semester werden Tatbestän-de des Besonderen Teils referiert, die man in jedem Gesetzeskommentar und jeder Repe-titorschrift nachlesen kann. Gewiss gibt es qualitative Unterschiede in der Vortragstech-nik des Lehrpersonals, aber wissenschaftlicher Unterricht zum und über Strafrecht ange-sichts von 300 bis 400 Studierenden kann beim besten Willen nicht statt� nden. Es � ndet zumeist nur Rechtskunde statt und nach 14 dreistündigen Semesterwochen (mal 3 Semes-ter) ist die „Ausbildung“ zum Strafrecht im Wesentlichen beendet.

Fremdgesteuerte Formalität und wissenschaftliche Ärmlichkeit

Die Landesgesetzgeber haben bundesweit noch Zwischenprüfungen eingeführt, d. h. je-der Studierende muss nach drei, spätestens vier Semestern in den drei Grundfächern Zi-vil-, Öffentliches Recht und Strafrecht je einen Nachweis über eine bestandene Klausur vorweisen, ansonsten entfällt die Möglichkeit, das Rechtsstudium fortzusetzen. Allein da-durch – ergänzt durch die Disziplinierungsfunktion des Studienplans – gibt es heutzutage keinen Freiraum für ein freiwillig zusammengestelltes, anspruchsvolles wissenschaftli-ches Studium, das diese Bezeichnung verdient. Das, was vom Lehrpersonal angeboten und vom ersten Semester an vom kommerziellen Repetitor eingeschliffen wird, ist die An-einanderreihung von Faktenwissen, das je nach Auffassungsgabe besser oder schlechter verstanden und behalten wird. Zum staatlichen Examenstermin ist dieses Faktenwissen geschlossen und auswendig zu präsentieren – so die Auffassung der meisten Studieren-den. Sicher: Es gibt auch Seminare und Kolloquien für Fortgeschrittene, aber kaum kann bei dieser Art von Frontalunterricht eine wissenschaftliche Kommunikations- oder Dis-kussionssituation erzeugt werden. Die Regelform des juristischen Arbeitens ist Rechtsan-wendung nach logischen (?) – besser formalen – Abläufen und Systematisierungen. Norm-genese, also die Analyse von Entstehungsbedingungen von Gesetzen, rechtspraktische Übungen und Re� exionen zu gerichtlichen Verfahren, Aushandlungsprozessen und Wir-kungen von Rechtsfolgen sind – bis auf Ausnahmen – kein tragendes Element juristischer

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11Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung

Universitätsausbildung. Nach acht Semestern wird für die Strebsamen ein ‚Freischuss‘-Examen angeboten, d. h. das Durchfallen bei der Prüfung zählt nicht, noch zwei weitere Versuche können sich anschließen. Alles verläuft nach den externen Vorgaben staatlicher Justizprüfungsämter. Universitätsangehörige spielen bei der Organisation der staatlichen Prüfung nur eine untergeordnete Rolle.Das alles bedrückt das Lehrpersonal erheblich, das diesen Strukturen und der außeruni-versitären Fremdsteuerung durch Gesetzgeber und Landesjustizprüfungsämter strikt un-terworfen ist. Das Ergebnis ist eine ungeheure Vergeudung des zweifellos gegebenen wis-senschaftlichen und pädagogischen Potentials der Lehrenden an deutschen Universitäten. Die deutsche Wissenschaft ist ausdifferenziert in ein System geschlossener Subsysteme, was durch getrennte Gebäude, getrennte Bibliotheken und getrennte wissenschaftliche Kommunikationsstrukturen tref� ich symbolisiert wird. Dass so ein Bündel wissenschaft-licher Subsysteme die gesamtgesellschaftliche Analyse für wichtige Anwendungsberei-che von Wissenschaft nicht bereithält und vermittelt, ist das eigentlich Tragische an der Leistung des einzelnen Wissenschaftlers.

Die aufgegebene erfolgreiche interdisziplinäre Einstu� ge Juristenausbildung

Die Kritik an der herkömmlichen Universitätsausbildung ist so alt wie das Rechtsstudium selbst. Dabei gab es hervorragende Reformversuche, wie die Einstu� ge Juristenausbil-dung, die ich sieben Jahre an der Universität Bielefeld begleiten und erfahren konnte.3 In weniger als 6 ½ Jahren wurden in diesen inter- und intradisziplinären Reformstudiengän-gen Juristen zu ‚Volljuristen‘ ausgebildet. Ein Grundstudium vermittelte 26 Monate wich-tige Basisinformationen, und dann begannen Lehr- und Praxisintervalle, die in gemeinsa-men Lehrveranstaltungen von Rechtspraktikanten (so hießen die fortgeschrittenen Stu-denten), Rechtspraktikern (Richter und Staatsanwälte) und Hochschullehrern durchgeführt und gemeinsam analysiert wurden. Nach dem Grundstudium schloss sich eine zweijähri-ge Spezialisierung entweder in zivilrechtlichen, öffentlich-rechtlichen oder strafrechtli-chen Berufsfeldern an, die wiederum in Kooperation von Praktikern und Hochschulleh-rern begleitet wurden. Dieses Ausbildungsprogramm war didaktisch intelligent durch-strukturiert, von Praxiserfahrungen getragen, ließ Befähigungen und Wahlentscheidungen für die Studierenden zu und das Ergebnis waren motivierte und in wissenschaftlich an-spruchsvollen Theorie- und Praxisverbünden bereits erprobte und unterwiesene Juristen, die von der Rechtspraxis anerkennend aufgenommen wurden.Die in diesem Verbund von Wissenschaft und Praxis ermöglichten Re� exionen führten alle Beteiligten zu neuen Dimensionen ihres Selbstverständnisses und machten gegensei-tige Grenzen deutlich. Vor allem aus Streitständen zwischen Praxis und Theorie konnten die Studierenden wichtige Schlüsse ableiten. Nicht jedes Problem ist lösbar, schon gar nicht lässt sich soziale Deklassierung mit einfachen sozialen Empfehlungen oder infor-

3 Das Bielefelder Modell einer einstu� gen Juristenausbildung – Bilanz und Ausblick –, Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Referat für Öffentlichkeitsarbeit, Düsseldorf 1982; Das Bielefelder Modell der einstu� gen Juristenausbildung, Studienreform an der Fakultät für Rechtswissenschaft, Kurzfassung, Stand: April 1978.

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12 1. Teil: Das herrschende Präventionsparadigma im Strafrecht und in der universitären Lehre

meller Normanwendung regulieren. Der eindeutige Wert dieser Ausbildungsform liegt je-denfalls in der gemeinsamen kommunikativen Austestung der Grenzen der jeweils ande-ren Berufsrolle.

Exzellente Reformerfahrungen

Opposition und Regierungsparteien in Nordrhein-Westfalen waren mit der zehnjährigen Erprobung gleichermaßen hoch zufrieden. Gleichwohl wurde die juristische Ausbildungs-reform von der Regierung Kohl Mitte der 80er Jahre für beendet erklärt. Die Experimen-tierklausel wurde aus dem deutschen Richtergesetz entfernt. Das 19. Jahrhundert erfuhr in der Juristenausbildung seine verschlechterte Fortsetzung. Als ein Grund für die Been-digung des Reformmodells wurde die hohe Kostenlast angeführt. Aber diese Betrachtung war mehr als kurzsichtig, auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Gewiss: Kleingruppenun-terricht mit inter- und intradisziplinärem Ansatz ist aufwändig, vor allem für die Lehren-den höchst vorbereitungsintensiv. Auch gab es von Land zu Land unterschiedliche Struk-turerfahrungen und negative Entwicklungen, die indes durch Erfahrungsaustausch kons-truktiv hätten verarbeitet und aufgefangen werden können – wenn man gewollt hätte. Aber die damalige Bundesregierung wollte nicht. Möglicherweise war ihr die neue Juristenge-neration aus der interdisziplinären Reformausbildung nicht schneidig genug für den un-re� ektierten Rechtsgehorsam, der die deutschen Juristen seit jeher mehrheitlich auszeich-net.

Politisch gefürchtete Verfremdungseffekte

Und in der Tat führt wissenschaftlich angeleitete und theoretische Blickschärfung zu mehr Zurückhaltung bei der Rechtsanwendung. Der Nachteil dieser Sensibilisierung durch Wis-senschaft liegt in dem damit einhergehenden Verfremdungseffekt. Gerade für den juristi-schen Praktiker folgt daraus eine hohe Irritation, weil er diese Erkenntnisse in seinem be-ru� ichen Handeln nicht oder nur unter großen Mühen umsetzen kann. Das ist systema-tisch angelegt, weil die strafjuristische Rechtsanwendung kaum Öffnungen für konkurrierende wissenschaftliche Erklärungsmodelle zulässt. Das Strafrechtssystem ent-hält einen normativen Ausschließlichkeitsanspruch, weil es auf rasch herstellbare Ent-scheidungen angelegt ist, die nicht dem wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch verp� ich-tet sind. Letzterer ist vom strafjuristischen (forensischen) Wahrheitsbegriff zu unterschei-den, da dieser nicht erklären, sondern dem Richter die Grundlage für eine subjektive Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) ermöglichen will. Irritationen folgen für den Juristen aber gerade daraus, weil in der traditionellen juristischen Ausbildung Erklärungsmodelle aus anderen Wissenschaften nicht hinreichend vermittelt werden. Heute ist es jedenfalls so, dass sozialwissenschaftliche Erkenntnisdimensionen aus der strafjuristischen Ausbil-dung seit Ende der 80er Jahre mehr und mehr eliminiert werden. Zu viel differenziertes Wissen führt zu höherer Entscheidungssensibilität, die in der Rechtspraxis als kontrapro-duktiv angesehen wird. Der Strafjurist soll primär entscheiden, nicht zögern.

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13Erster Abschnitt: Biogra� sche Zuführung

Fehlverständnis des Gesetzgebers über re� exive Lehre im Praxisverbund

Welch anachronistisches Fehlverständnis liegt einer solchen Praxisanforderung zugrun-de! Jurisprudenz ohne re� exives Potential ist nichts anderes als unre� ektierter Vollzug ei-nes beliebigen Mehrheitswillens. Dabei schreibt schon das Grundgesetz vor, dass der Rechtsstaat an das Spannungsverhältnis von Recht und Gesetz gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Nur eine wissenschaftlich re� ektierte Rechtsentstehung und Rechtsanwendung vermag den Rechtszwang zu legitimieren, dem Bürgerinnen und Bürger im Strafrecht am striktesten und härtesten unterworfen sind. Das bereits skizzierte wissenschaftliche An-forderungspro� l, die wissenschaftlich abzuleitende Rechtsgeltung, der wissenschaftliche Theoriebedarf für das Verständnis von Abweichung, die unterschiedlichen Verwertungs-interessen von Recht und die erforderliche wissenschaftliche Blickschärfung für systemi-sche Ziele des Strafrechts lassen ohne breite wissenschaftliche Ausbildung in den Grund-lagenfächern des Rechts (Rechtstheorie, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie etc.) des-sen Entstehung und Anwendung nur als juristischen Blind� ug kennzeichnen. In der traditionellen zweistu� gen Juristenausbildung kann man den Studierenden wissenschaft-liche Erkenntnisse und Methoden nur gelegentlich und unter Nutzung des Prüfungsdrucks zuführen. Zu schnell wird von ihnen alles, was nicht für das staatliche Staatsexamen als „prüfungsrelevant“ angesehen wird, radikal durch Nichtbeachtung abgewählt. Also muss sozialwissenschaftlich abgeleitete Erkenntnis mittelbar – als Grundlegung für das Straf-recht – fast subkutan vermittelt werden. In der Grundvorlesung Strafrecht wurde und wird von mir in wenigen Stunden das angesprochen und eingebracht, was als Minimum-, aber auch als Basiswissen das herrschende Präventionsparadigma analytisch und re� exiv kenn-zeichnet. Dabei bin ich mir bewusst, dass diese für die Juristenausbildung methodischen und inhaltlichen Fremdbezüge die Studierenden eher verunsichern, jedenfalls irritieren, denn ihnen fehlt auch darin die wissenschaftliche Methodenausbildung. Das Handwerk des Strafjuristen ist die Rechtszwang produzierende Rechtsanwendung. Letztere macht den ganz überwiegenden Teil der Rechtsausbildung aus. Wissenschaftliche Kriminologie und wissenschaftliche Kriminalpolitik sind Beiwerk, höchstens einfaches Wahlfach. Die meisten Studierenden bleiben von diesen Bereichen der Sozialwissenschaften unberührt. Sie urteilen, strafverfolgen oder verteidigen trotzdem. Ohne besseres Wissen. Aber ohne den präventionstheoretischen Kontext von Kriminalität und Kriminalisierung ist der Weg in die Sicherheitsgesellschaft kaum nachzuzeichnen. Man sehe es mir nach, wenn ich diesen Grundlagenschritt den weiteren Teilen dieses Buches voranstelle und vor-ab skizziere. Dabei wird nicht Wissen vermittelt, sondern es werden Zugänge zu eigen-ständiger Wissensgewinnung eröffnet; Zugänge, die in der derzeitigen Juristenausbildung an deutschen Universitäten den Studierenden leider nicht hinreichend eröffnet werden.

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Dritter Abschnitt: Conclusionen zur Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln

I. Das Recht löst sich auf: Kaum Hoffnung auf Umkehr

• Die starken Protagonisten der Rechtsau� ösungGlobale Rechtsau� ösung ist Folge ökonomisch angetriebener Globalisierung und Priva-tisierung. Zeichen des Wandels sind die schwindende Akzeptanz herkömmlicher Sozial-systeme, neoliberale Ideologien, das Hervorbringen moralisch-religiöser Systeme und weltweite ökonomische Dominanzmuster.

• Strafrecht immer HerrschaftsinstrumentDas Strafrecht war stets ein Instrument der Kontrolle und Repression zu Gunsten der je-weils Herrschenden, über Jahrhunderte hinweg. Es war immer Herrschaftsinstrument der Macht. Das System von der körperlichen Vergeltung über die Disziplinierung (Foucault) hin zur Verwaltung des empirisch Normalen durch Kontrolle und Ausschluss hat sich nur verschoben. Das wissenschaftliche Strafrecht hatte dabei oft ideologische Verschleie-rungsfunktionen. Zum einen deckte es Ausweitung und Effektivierung der Techniken des Zugriffs sozialer Kontrolle, zum anderen förderte es Erosion von Rechtsprinzipien und Erosion der verfassungsrechtlich gesicherten Schutzgarantien eines materialen rechts-staatlichen Strafrechts.

• Das ökonomische System entzieht sich dem Zugriff des juristischen Systems – gerade international

Gegen diese Prozesse und Entwicklungen vermag allein ein rebellischer oder gar ein rechtsstaatlicher Geist wenig auszurichten. Das Teilsystem Recht unterliegt dem Teilsys-tem Ökonomie – zumal im Rahmen der Globalisierung. Die rechtlichen Durchsetzungs-muster versagen, und zwar nicht aus theoretischen, sondern nur aus faktischen Gründen. Die Wirtschaft entzieht sich aufgrund globalisierter Fliehkräfte der jeweiligen nationalen Rechtsordnung und internationalisiert sich. Dadurch entschwindet sie juristischen Zugrif-fen sozialer, zivilrechtlicher und auch strafrechtlicher Art.

• Das Strafrecht als Spiegel gesellschaftlicher RealitätenReformen der Entkriminalisierung, Reformen eines auf Fairness basierenden Strafprozes-ses sowie Reformen eines Strafvollzuges sozialer Sicherheit sind in den vergangenen Jahrzehnten vertan worden. Die freiheitsverzehrende informalisierende und exekutivische Entwicklung der Sicherheitsgesellschaft ist nicht nur normative Realität. Der Revision dieser rechtsstaatswidrigen Entwicklungen stehen die Erkenntnisse über die strukturellen Antagonisten der globalisierten Gesellschaften und ihrer selbsttragenden Subsysteme ent-gegen. Das Recht droht in der Gesellschaft der Zukunft von der Ökonomie endgültig ver-

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drängt zu werden. Das Prekariat scheint dauerhaft etabliert und nimmt beständig zu. We-nige Reiche werden immer reicher, immer mehr Menschen fallen unter die Armutsgren-zen. Je krasser die sozialen Differenzen und Brüche der Gesellschaften, desto krasser sind die kriminellen und kriminalisierenden Verwerfungen. Anschauungsbeispiele bilden die Metropolen der globalisierten Welt genug.

• Permanente wissenschaftliche Kritik am strafrechtlichen Zugriff als dauerhafte Aufgabe

Es wäre naiv, wollte man vor diesem Hintergrund in kritischer Intention alternative straf-rechtliche Konzepte entwickeln, die nicht auf Machtförmigkeit und Ungleichheit aufbau-en. Insofern bleibt kritischer Rechtswissenschaft nur die negative Kritik des Prozesses na-tionaler Rechtsau� ösung, also eine „Kritik als Haltung, die stetig hinterfragt statt univer-selle Regeln aufzustellen“1. Die Rolle des wissenschaftlichen Strafrechts ist es, permanent den Nachweis über die Grenzen strafrechtlichen Zugriffs zu führen. Denn: Rechtsstaatli-ches Strafrecht ist ‚Verbrechensbekämpfungsbegrenzungsrecht‘ (Naucke).

II. Der Versuch von Freiheitsschutz durch Recht und seine Prinzipien

• Die Kritik am begrenzten FreiheitsbegriffNiemand – kein Staat, kein System – hat das Recht, dort, wo der Gebrauch der Freiheit gemeinsam ausgeübt wird und niemandem schadet, Grenzen zu setzen oder den Freiheits-gebrauch gewaltsam zu unterdrücken: „Freiheit […] ist Unabhängigkeit von eines ande-ren nötigender Willkür“ (Kant). Soweit das rechtsphilosophische Postulat. Aber Freiheit braucht auch eine materielle Basis. Sie ist für die Bürgerinnen und Bürger nur wahrnehm-bar und real, wenn es einen gerechten, gleichberechtigen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen gibt. Denn kollektive und individuelle Entfaltung sowie soziale Sicherheit setzen eine materielle Absicherung voraus. Die reine „Marktfreiheit“ als neoliberale Ka-tegorie ist mit dem menschenrechtlich orientierten Freiheitsbegriff nicht gemeint.

• Die Kritik am formalen RechtsstaatsbegriffRecht und Gerechtigkeit sind zentrale Richtwerte der Verfassung und des Rechtsstaats-prinzips. Der Staat hat von Verfassungs wegen Einrichtungen vorzuhalten, die den forma-len und materialen Rechtsstaat garantieren. Gleichwohl wird das Rechtsstaatsprinzip in der politischen Debatte häu� g nur als formales Argument gesetzt und dient selten inhalt-licher Positionierung. Zudem wird kritisch eingewandt, das Rechtsstaatsprinzip stelle pri-mär auf defensives Vorgehen ab, wobei die Beein� ussung grundlegender gesellschaftli-cher Prozesse und Entwicklungen einer aktiven Perspektive bedürfe. Auch sei der forma-le Rechtsstaatsbegriff Aspekten von Macht und Herrschaft im Rahmen sozialer Kontrolle verschlossen. Der Staat geriere sich nur als neutraler Sachwalter divergierender Interes-

1 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, 2. Au� age, 2008, S. 153.

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sen. Es werde verkannt, dass der Staat die Verdichtung gesellschaftlicher Machtverhält-nisse repräsentiere. Das ist eine beachtliche Kritik am Rechtsstaatsprinzip.

• Die Abwehrfunktion von Menschen- und GrundrechtenTrotz alledem: Auch wenn das Rechtsstaatsprinzip einem „schleichenden Bedeutungs-wandel“, der in diesem Buch als Erosion bezeichnet wird, unterliegt, steht es in einem ma-teriellen Sinn gleichwohl für Förmlichkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns und gegen Willkür und unbegrenzte Eingriffsbefugnisse. Insofern gilt es, die Abwehrfunktion der Grund- und Menschenrechte zu aktivieren – und sei es bis zum Bundesverfassungs-gericht oder dem Europäischen Menschengerichtshof. Eine andere Art des Vorgehens bie-tet das Rechtsstaatsprinzip nicht. Aber diese immerhin. Die Protagonisten des Grund-rechtsschutzes, die in Karlsruhe eindrucksvoll die normativen Produkte der Innenpolitik auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand bringen, können von der Wirksamkeit dieser In-strumente jedenfalls positiv Zeugnis ablegen. Insofern richtet sich der Blick erwartungs-voll auf eine Karlsruher Republik, die es verfassungsrechtlich – z. B. im Hinblick auf die Richterwahlen – noch zu festigen gilt.

III. Staatskritische Absolutheitsgrenzen

• Strafrechtliche GrenzziehungenDer praktizierende Jurist – gerade der Strafjurist – ist nicht gehalten, gesellschaftliche Diskurse über die sozialen Bedingungen von Freiheitsentfaltungen zu führen. Der Straf-jurist steht unter Entscheidungsdruck. Er oder sie argumentiert weder formal noch inhalt-lich über Freiheit, er muss sie rechtlich durchsetzen und behaupten. Freiheit im Rechtsalltag ist stets ein Aushandlungsprodukt. Es entsteht durch Abwägung und Verhältnismäßig-keitsprüfung. Das öffentliche Recht ist gänzlich aufgelöst in diesen Techniken. Aber der Strafrechtler ist angewiesen auf das Abstecken und Aufweisen absoluter Grenzen gegen-über Gewalthabern jedweder Art. Der Strafjurist muss bemüht sein, diese Grenzen in der Menschenwürde und in den Menschenrechten zu verankern. Das ist oft nicht viel, meist wenig erfolgversprechend. Aber das Setzen derartiger Grenzen durch das Bundesverfas-sungsgericht und den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ist – viel zu selten – eine Annäherung an Gerechtigkeit.

• Der forensische Kampf für abwägungsfeste MenschenrechteWas bleibt als konkrete juristische Handlungsanleitung hieraus abzuleiten? Es bleibt der dauerhafte und starke Rekurs auf die forensische Durchsetzung von Menschenwürde und fundamentalen rechtsstaatlichen Prinzipien. Der forensisch tätige Jurist muss handeln, das ist sein Beruf. Der forensisch tätige Jurist ist dabei nicht nur an die Positivität des Geset-zes gebunden. Die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind neben dem Gesetz auch an das Recht gebunden. Das ermöglicht zugleich die Berufung auf Schranken vor dem und für das Gesetz. Damit stehen prinzipielle Abwehrmittel im Sinne absoluter Po-litiksperren für den Menschenrechtsschutz bereit, die es forensisch zu aktivieren gilt. Ei-ner Relativierung der Menschenwürde muss stets mit scharfer begrif� icher Abwehr im-

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mer wieder von neuem entgegengetreten werden. Hier gilt Abwägungsfestigkeit – zuge-geben, zurzeit eine juristische Seltenheit, aber das Bundesverfassungsgericht setzt diese Forderung von Zeit zu Zeit eindrucksvoll um. Diese materiale Seite des Rechtsstaatsprin-zips ist keine positivistische Gewährleistung des Verfassungsgebers. Bürgerinnen und Bürger können sich auf das lebende Recht der Menschenrechte berufen, das aus erkämpf-ten Kon� ikten im Laufe einiger Jahrhunderte stets aktuell ist.

• Strafrecht als öffentliches Programm der Freiheitssicherung

Das Strafrecht des materialen Rechtsstaats ist ein Kernstrafrecht, das auf übersteigerte Steuerungsansprüche in der Welt der Ökonomie verzichtet, weil es sonst außer falscher Symbolik nichts auszurichten vermag. Es kann lediglich die Autonomie der Rechtssub-jekte bekräftigen. Zum Ausgleich privater Interessen oder gar gesellschaftlicher und trans-nationaler Risikolagen ist das Strafrecht nicht geschaffen. Interessenausgleich und Bewäl-tigung von staatlichen bzw. transstaatlichen und gesellschaftlichen Risikolagen vollzie-hen sich primär im Privatrecht, Sozialrecht, Verwaltungsrecht oder in anderen Teilsystemen der Gesellschaft. Öffentliches Strafrecht ist Freiheitssicherung und kann nur – aber es muss auch – Unrecht öffentlich kenntlich machen. Es geht diesem Strafrecht um den Re-spekt vor der Autonomie des Menschen auch in generalisierter und repräsentativer Form. Strafrecht ist nicht materielle Sühne und personale Vergeltung, sondern öffentliches Pro-gramm der Freiheitssicherung. Das ist bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen und in der dringend grundsätzlich zu reformierenden Juristenausbildung umzusetzen.

• Der Justizgewährungsanspruch als Bastion des öffentlichen StrafrechtsDie Entscheidungsgewalt zwischen Bürger und öffentlicher Gewalt, aber auch zwischen den Bürgern, ist im allgemeinen Justizgewährungsanspruch monopolisiert. Effektiver Rechtsschutz ist öffentlicher Justizgewährungsanspruch. Die Durchsetzung von Faust-recht und Selbsthilferecht ist durch den gesellschaftsvertraglichen Rechtszustand aus dem Naturzustand herausgelöst. Der Rechtszustand ist zu verstehen als ein Ansprüche verlei-hendes Leistungsgrundrecht als Teil des subjektiv-rechtlichen Grundrechtsschutzes. Das gilt als eine große Errungenschaft der Neuzeit. Insofern vermittelt der öffentliche Justiz-gewährungsanspruch zugleich das Strafrecht als öffentliches Programm der Freiheitssi-cherung. Dieses hat den Respekt vor der Autonomie des Menschen in generalisierter und repräsentativer Form aufrecht zu erhalten. Der Privatisierung der Strafrechtsp� ege als Öffnung für politische Zugriffsbeliebigkeit ist strikt entgegenzutreten. Die informelle Pri-vatisierung gefährdet die Durchsetzung der Menschenrechte. So verstanden sind staatli-che Deregulierung und Privatisierung Synonyme für staatliches Steuerungsversagen.

• Die richterliche Unabhängigkeit als Garant öffentlicher Gewährleistungsp� ichten

Die Gewährleistungsp� icht des Staates für effektiven Rechtsschutz korreliert mit der ver-fassungsrechtlich gesicherten richterlichen Unabhängigkeit. Das Rechtsschutzelement, das Kontrollelement und das Begrenzungselement bilden das verfassungsrechtliche Fun-dament richterlicher Unabhängigkeit. Diesen Autonomieanspruch der Dritten Gewalt gilt es auszubauen und neu zu konturieren. Nur der Richter, der frei von Furcht, aber auch frei von Hoffnung ist, vermag dem an gesellschaftlicher Bedeutung zunehmenden Kontroll-

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element im Sinne von checks and balances gerecht zu werden. Auf dem Boden selbstbe-wusster, selbstverantwortlicher und souveräner Motivation für eine äußere und innere richterliche Unabhängigkeit kann eine Dritte Gewalt wachsen, um die Entfesselungen ei-ner globalisierten Gesellschaft, denen wir entgegensehen, in den Griff zu bekommen – je-denfalls außerhalb des Strafrechts, das prinzipiell für Steuerungsfunktionen ungeeignet ist. Nur über eine umfassende Unabhängigkeit der Dritten Gewalt lässt sich das Vertrau-en der Rechtssuchenden in die Justiz legitimieren und stärken. Das ist nicht nur eine ver-fassungsrechtliche conditio sine qua non, sondern ein wesentliches Element europäischer Aufklärung, eines über Jahrhunderte erkämpften Erbes, das es zu wahren und zu fördern gilt. Eine Hoffnung bietet der Blick auf die Unabhängigkeitsbewegung in der Dritten Ge-walt. Durch eine Stärkung der Autonomie der Gewaltenkontrolle kann man auf Partizipa-tion, Demokratisierung, soziale Gleichberechtigung, individuelle Freiheit und Selbstbe-stimmung hoffen – alles Konzepte, die als alternative Grundprinzipien zum derzeitigen gesellschaftlichen status quo gehandelt werden.

• Programm für einen europäischen Rechtsstaat mit strafrechtlicher GesetzgebungskompetenzTrotz aller Ambivalenzen ist die europäische Rechtspolitik öffentlich aufklärend zu akti-vieren: Sie muss sich gründen auf das Fundament einer verfassten Freiheit – auf das

� Prinzip der Strafgesetzlichkeit.Sie muss sich gründen auf die Begrenzung staatlicher Strafmacht mit Hilfe des � Schuldprinzips.

Sie muss sich gründen auf rechtliche Schranken staatlicher Gewaltanwendung, auf das � Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Sie muss sich gründen auf eine Beschränkung staatlicher Willkür durch das � Legalitätsprinzip.

Sie muss sich gründen auf die Garantie eines öffentlichen Strafrechts, das � Of� zialprinzip.

Und sie muss sich gründen auf das Fundament eines freiheitlichen Strafprozesses, das � Prinzip des fairen Verfahrens.

Das ist das Erbe europäischer Aufklärung, auf das Europa stolz sein kann.

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• Verfassungsrechtlich gesichertes WiderstandsrechtDie „Frage aller Fragen“ (Joachim Fest)2, nämlich wie die Vorkehrungen beschaffen sein müssten, die eine Art Sicherung gegen den Verlust aller menschenrechtlichen Maßstäbe – wie z. B. im NS-Regime erlebt – gewährleisten könnten, ist sicher nicht leicht, aber aus juristischer Perspektive konsequent wie folgt zu beantworten. Den Rahmen bildet ein prinzipiengeleitetes rechtsstaatliches Strafrechtssystem der in diesem Buch mehrfach be-schriebenen Art. Es gibt die Vorkehrung aktiven Menschenrechtsschutzes. Dieser hat Re-alisierungschancen, wenn der Gesetzgeber das Verfassungsprinzip der strikten Strafge-setzlichkeit ernster nähme und keine Schneisen der Verhältnismäßigkeit im Sinne präven-tiver Sicherheitsorientierungen fortwährend eröffnen würde. Darüber hinaus gilt: Erst eine von außen kommende rechtliche und moralische Kontrolle, die staatskritische Abso-lutheitsregeln erst möglich macht, kann Schranken vor und für das Gesetz sein – mag man sie nun als „vor-säkulare Kontrollmechanismen“ oder als „absolut verbindliche Mensch-lichkeit“ (Naucke) bezeichnen. Das sind dann prinzipielle Abwehrmittel im Sinne ab-soluter Politiksperren für den Menschenrechtsschutz. Das lebende Recht der Menschen-rechte, das aus kommunikativen Kon� ikten in Staat und Gesellschaft und ihren dort erkämpften Ergebnissen entsteht, kann als Barriere gegen die Relativierungen der Men-schenrechte in Stellung gebracht werden. Wenn das nicht hilft, hilft das Recht zum Widerstand.3 Dieses hat nach den Erfahrungen mit dem NS-Terror Verfassungsrang erhalten (Art. 20 Abs. 4 GG). Das ist die letzte „Vor-kehrung“, die sich Joachim Fest – trotz intensiver Gespräche und Beschäftigung mit Al-bert Speer – nicht erschlossen hat.

2 Joachim Fest, Die unbeantwortbaren Fragen – Gespräche mit Albert Speer, 2005, S. 17: Fest stellt die Frage aller Fragen, „die von den zahlreichen Gewalthabern der Epoche der Welt vermacht worden und die bislang ohne auch nur annähernd zureichende Antwort geblieben ist: wie die Vorkehrungen beschaffen sein müssten, die eine Art Sicherung gegen solchen Verlust aller Maßstäbe gewährleisten könnten – und, vielleicht noch besorgniserregender, ob es solche Vorkehrungen überhaupt gibt.“

3 Vgl. hierzu die Debatte bei Steinbach/Tuchel, Georg Elser, Berlin, 2008; Fritze, Legitimer Wider-stand? – Der Fall Elser –, 2009; Renz, Georg Elser – Ein Meister der Tat –, 2009.

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Der „Weg in die Sicherheitsgesellschaft“ rekonstruiert einen Paradigmen-wechsel anhand des Strafrechts und des Kriminaljustizsystems. Über einen Zeitraum von 40 Jahren wird die Entwicklung vom sozial-integrativen Straf-recht des Wohlfahrtsstaates über den Präventionsstaat zur Sicherheitsgesell-schaft aus dem Blickwinkel des Strafrechtslehrers und Kriminologen verfolgt. Der Reiz liegt in der Perspektive des teilnehmenden Beobachters, der das Kriminaljustizsystem nicht vom Katheder aus kommentiert, sondern sich mit-ten hinein begibt und aus der Erfahrung bewertet. Sei es ganz am Ende des Strafverfolgungsprozesses im Gespräch mit ‚Lebenslänglichen‘, sei es an des-sen Anfang beim Aufspüren polizeilicher Präventionsstrategien, sei es im kri-minalpolitischen Raum durch die Beteiligung an parlamentarischen Sachver-ständigenkommissionen oder Gesetzgebungsprozessen.

In der Rückschau gerinnt die beobachtete Rechtsentwicklung zu einer Erosion des Rechtsstaates. Der Wandel vom präventiven Staat zur Sicherheitsgesell-schaft ist eingebettet in globale, Freiheit und Würde der Individuen gefähr-dende Transformationsprozesse, die die Weltgesellschaft und die nationalen Gesellschaften gleichermaßen treffen. Die dadurch entstehende allgemeine Unsicherheit und Orientierungslosigkeit breitester Bevölkerungsschichten ist nicht mehr mit den Mitteln der individualisierenden Sozialkontrolle traditio-neller Art, dem Strafrecht, einzuhegen. Diese Unsicherheit bringt rechtsstaats-verzehrende Kontrollformen einer Sicherheitsgesellschaft hervor, die zu ihrem scheinbaren Schutz bereit ist, die Grundlagen des Rechtsstaats aufzugeben zugunsten einer Sicherheit, die keine ist.

Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft

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