10
A. 1V[asztMerz,I)er Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens 447 Aus der Abteilung ffir Kieferortholoadie (Leiter: Doz. Dr. reed. h~bil. A. Masztalerz) des Instituts fiir S~oma~ologie (Direktor: Prof. Dr. reed. hgbil. S. Potoczek)der 5icdizinischen Ak~demie in Wroct~w (VI% Polen) Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens Yon A. Masztalerz, Wroc~aw (Breslau) 3~it 9 Abbildungen Den Zahnbogen des Unterkiefers kann man beim tIomo sapiens als Parabole bezeiehnen, im Gegensatz zu den zwei eharakteristischen I~ogenformen der Pri- matell~ -wie 1. die primitive Bogenform der Lemm'en, die eine V-Bogenform aufweist und namensgem~B demnach bei den ttalbaffen (Prosimiae) auftritt, und 2. die typisehe Pitheeus U-Bogenform, doeh schon weiter stark evolutions- nr~Big herausspezialisiert. Der Bogen ent~wickelte sieh aus der Lemurenform durch starken Ausbau der Eckzahngegend, als wichtiges Merkmal, wghrend der Er- nahrungsweise (auch im bezug der Existenzbehauptung usw.) bei allesfressenden Affen. Der Parabolbogen der Itominiden vereinigt die lVierkmale der beiden oben gen~nnten Formen, d.h. veto Lemurbogen haben sieh die naeh hinten ausein- andergehenden Seitenabschnitte erhalten, yon der Pitheeusform dagegen der ab- geflachte Vorderabsehnitt als Ergebnis einer Auswei~ung der Eekzahngegend. ZahlenmgSig kann man den Zahnbogen mit ttilfe des Zahnbogenindexes ex- akt erfassen, d. h. dessen t~reite als Prozent der L'&nge. Diese Prozentgr6ge fiber- steigt beim Homo sapiens 100 --so ist also unser Zahnbogen wesentlieh breiter als lgnger. Der Verlauf der Seitenabsehnitte bildet einen gu~ mel~baren Winkel, den sogenannten Zahnbogenwinkel (Konvergenzwinkel), der etwa 40 o his 50 o oder 0,7 bis 0,8 lIadianten betrggt. Wenngleieh auch der Bogenh~dex bei den etappenweise auftretenden ~Ienschen- formen sich ~ficht wesentlich '&nderte, so weist der Konvergenzwinkel eine er- kennbare, deutliehe Zuwachstendenz auf, und zwar angefangen vom Austral- opitheeus, bei dem clieser 0 ~ oder etwas daritber betrug, da ja bei diesem die Seitenabschnitte des Bogens fast parallel verlaufen. Die Rednktion des Kauapparates verlief in samtliehen Entwieklungsstufen ohne St6rungen. Erst in letzter Zeit maehte sich ein wesentliches Steigern der Gebfl3- anomalien bemerkbar, darunter gleiehzeitig ein Engstand der Frontzahne. Ge- nauere Untersnchungen der beiden oben erwghnten mef3baren 1VIerkmale des 30*

Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

A. 1V[asztMerz, I)er Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens 447

Aus der Abteilung ffir Kieferortholoadie (Leiter: Doz. Dr. reed. h~bil. A. Masztalerz) des Instituts fiir S~oma~ologie (Direktor: Prof. Dr. reed. hgbil. S. Potoczek)der 5icdizinischen

Ak~demie in Wroct~w (VI% Polen)

Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

Yon A. Masztalerz, Wroc~aw (Breslau)

3~it 9 Abbildungen

Den Zahnbogen des Unterkiefers kann man beim tIomo sapiens als Parabole bezeiehnen, im Gegensatz zu den zwei eharakteristischen I~ogenformen der Pri- matell~ -wie

1. die primitive Bogenform der Lemm'en, die eine V-Bogenform aufweist und namensgem~B demnach bei den ttalbaffen (Prosimiae) auftritt, und

2. die typisehe Pitheeus U-Bogenform, doeh schon weiter stark evolutions- nr~Big herausspezialisiert. Der Bogen ent~wickelte sieh aus der Lemurenform durch starken Ausbau der Eckzahngegend, als wichtiges Merkmal, wghrend der Er- nahrungsweise (auch im bezug der Existenzbehauptung usw.) bei allesfressenden Affen.

Der Parabolbogen der Itominiden vereinigt die lVierkmale der beiden oben gen~nnten Formen, d .h . veto Lemurbogen haben sieh die naeh hinten ausein- andergehenden Seitenabschnitte erhalten, yon der Pitheeusform dagegen der ab- geflachte Vorderabsehnitt als Ergebnis einer Auswei~ung der Eekzahngegend.

ZahlenmgSig kann man den Zahnbogen mit ttilfe des Zahnbogenindexes ex- akt erfassen, d. h. dessen t~reite als Prozent der L'&nge. Diese Prozentgr6ge fiber- steigt beim Homo sapiens 100 - - s o ist also unser Zahnbogen wesentlieh breiter als lgnger. Der Verlauf der Seitenabsehnitte bildet einen gu~ mel~baren Winkel, den sogenannten Zahnbogenwinkel (Konvergenzwinkel), der etwa 40 o his 50 o oder 0,7 bis 0,8 lIadianten betrggt.

Wenngleieh auch der Bogenh~dex bei den etappenweise auftretenden ~Ienschen- formen sich ~ficht wesentlich '&nderte, so weist der Konvergenzwinkel eine er- kennbare, deutliehe Zuwachstendenz auf, und zwar angefangen vom Austral- opitheeus, bei dem clieser 0 ~ oder etwas daritber betrug, da ja bei diesem die Seitenabschnitte des Bogens fast parallel verlaufen.

Die Rednktion des Kauapparates verlief in samtliehen Entwieklungsstufen ohne St6rungen. Erst in letzter Zeit maehte sich ein wesentliches Steigern der Gebfl3- anomalien bemerkbar, darunter gleiehzeitig ein Engstand der Frontzahne. Ge- nauere Untersnchungen der beiden oben erwghnten mef3baren 1VIerkmale d e s

30*

Page 2: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

448 Fortscls'itte der Kieferorthop/~die Bd. 33 (1972) Heft 4

Kauapparates, wie Zahnbogenwinkel nnd Zahnbogenindex, k5nnten demnach m6glicherweise beim heutigen M.ensehen den Meehanismus in der Entstehung des Zahnengstandes aufhellen. Dieses Problem diirfte sowohl den Anthropologen wie aueh Kieferorthop~den interessieren, nnd zwar im Bereieh d er Erkenntnis der Pathogenese dieser AnomMien, sowie ihrer t~ehandlnng, besonders bei der Extrak- tionstherapie. Dies ist aueh der Grand und das Ziel dieser Arbeit.

Meine Beobaehtungen umfassen die Periode der le~zten 5000 Jahre, d. h., vom Neolithikum bis zur Nenzeit. Leider stand mir kein ehronologiseh ~lteres MateriM (z. 1~. Pal/~olithikum) zur Verftigung. Ich untersuehte zwar eine Unterkieferserie yon Aust.rMiern, die in zahlreiehen Merkmalen den Palgolithikern /ihnlich sind. Das yon mix' in dieser Arbeit berfieksietltigte ~'aniologisehe Material stammt aus der Kollektion des Anthropologisehen Instituts der Polnisehen Akademie der Wissenschaft in Wroetaw und nmfaBt insgesam.t 116 Unterkiefer. Sie stammen ans 4 Serien: neolithiseher Friedhof aus Zlota .... 22 Unterkiefer; frfihmittelalter- lieher Friedhof (12. bis 13. Jahrhnndert ) aus Miliez - - 38 Unterkiefer; neuzeitliehe FriedhSfe (17. bis 19. Jahrhnndert) ans Warsza, wa nnd Ziemieeiee - - 36; m~d 26 Unterkiefer yon Australiern. ZusKtzlieh untersuehte ieh 15 Unterkiefermodelle yon Studenten. Da das Material teilweise beschgdigt war, eigneten sich zur Ana- lyse und statistisehen Auswertung sehlieglieh 99 Unterkiefer und 15 Modelle (Tab. I).

Tabelle I. Materi~l

Serie 3 ~ c~, ? Zu- sammen

Austsali~ 16 9 -- 25 N'eolithikum 9 3 3 15 t~riihmit, telMter (13. Jgh1'hundert) 20 10 3 33 Neuzeit (17. bis 19. Jahrhundert) 17 9 -- 26 :Ncuzeit (1971) 15 -- -- 15

Zusammen 77 31 6 114

Znr Erfassung des gahnbogens berticksiehtigte ioh die allgemein angewandten mel~baren Merkmale des Unterkiefers, wie

die Kondylenbreite bzw. Unterkieferbreite, die Zahnbogenbreite - - geradlinige Entfbrnnng der Mitten der Kypokoniden

(der distobnkkalen KSeker) der zweiten Molaren (Ms), den Unterkieferindex, d.h. das Verh~ltnis der K6rperl/inge znr Kondylen-

breite, den. Index des Zahnbogens und den Zahnbogenwinkel (diesen Winkel bereehnete

a - - b ieh nach der Formel: -, wobei a = Bogenbreite im Niveau der zweiten 1Ko-

c

laren (Ms), b = Bogenbreite im Niveau der ersten Pr/imolaren (P~), c = Abstand der Geraden, die die MeBpunkte an M 2 nnd P~ in Sagittalrichtnng verbindet).

Die GrSBe des Zahnbogenw.inkels wird jeweils in/~adianten, angegeben. Den Kieferorthopgden interessiert besonders der Vorderabsehnitt des Bogens,

Page 3: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

A, ~[asztalerz, Der ZMmbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens 449

der leider in den angefiihrten MaBen v611ig unberiieksiehtigt bleibt. Zur Erfassung der vorderen Bogeifform wandte ich nun zus'~tzlieh folgende Messungen an: einen Winkel, gebildet zwisehen den Linien, die den Kontaktpunkt der unteren mi~tleren Sehneidez~hne und einen Punkt an der Aul~enfl~ehe der zweiten Molaren ver- binden (d. h. Punkte anf den Zahnhalsen, bzw. in der Mitre auf den Alveolar-

Abb. la

Abb. 1 b

I a und b. OffnungswinkelmeBger~ Abb.

Page 4: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

~50 Fortsehritte der Kiefororthop/idie Bd. 33 (1972) tIef~ 4

rgndern der Frontzahnwurzeln). Dieser Winkel wird yon mir als ,,0ffnungswinkeI des Zahnbogens" bezeichnet. Zur Ert~ssung dieses Winkels konstruiert, e ieh ein einfaches Mel3gergt, kombiniert aus einem Tasterzh'kel und einem Winkelmesser (Abb. 1). Die angewand~en Megpunkte sind in Abb. 2 dargestellt.

Es sei erwghng, dab bei der Analyse erhebliehe und wesentliehe Differenzen zwisehen den Merkmalen beim m~nnlichen wie aueh beim weibliehen Geschleeht

Abb. 2. Die angewandten 5IeBpunkte

auftraten (nieht bei allen MerkmMen, wie auch Serien), so dab yon einer Gesamt- analyse und ihren Merkmalsakkumulationen samtlieher Serien abgesehen werden mul3ge. Unterstriehen sei bier das Fehlen einer wesentliehen Differenz in der GrSl3e des Zahnbogenwinkels; der Offnungswinkel differierte nut minimal zwisehen den Mgnnern und Frauen in der Serie Warszawa, indem die Sieherheitssehwelle 0,05 betrug.

Die grSl3ere Individuenanzahl des mgnnliehen Geschleehts erm6gliehte eine eingehendere Analyse eben dieser Gruppe, wobei graphisehe Darstellungen der MJttelwerte mit dem Vertrauensintervall der untersuehten Merkmale angegeben wurden. An 15 Unterkiefergipsmodellen yon Studenten wurden nur die Zahnb6gen, besonders die Bogenbreite wie aueh die Zahnbogen- und 0ffnungswinkel berfiek- sichtigt.

E r g e b n i s s e

Der Bogenindex erwies sieh naeh meiner AnMyse nieh~ als maggebend. Auf die Bogenl~nge (damit aueh auf die Indexgr6Be) hat das Wegbleiben odes Vorkommen der drit~en Molaren (Ms) einen erheblichen Einflu$. Somit k6nnen wh" nun die sta.rken Nit~elwer~abweichungen wie auch S~reuungen dieses MerkmMs erklaren

Page 5: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

A. Masztalerz, Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens 451

(Abb. 3). Die Unterkieferbreite hat sich ab dem Neoli~lfikum kattm vergnderg,. obwohl sgmtliehe Serien nnter sieh stark dift'erieren. Die engs~en Unterkiefer sind bei den Austral iem - - die brei~esten eharakteris~iseh ffir die friihmitgel- Mterliehe Serie (Abb. 4). Der Unterkieferindex erwies sich als stabil, doeh der verlgngerte Unterldefer der Australier sonderte sieh vort sgmtlichen Serien stark ab (Abb. 5). Aueh die Zahnbogenbreite ist sehr bestgndig und stabil (Abb. 6) : die

*@

M4~ tt2 M0

N

f ~

ta

�9 / Z~hnbogenbreite Abb. 3. Zahnbogemndex \ g|-~1~nb~ �9 100)

: " 2 " '(: : / : q : ;

Abb. 4. Unterkieferbreite (Kdl -- Kdl)

Page 6: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

452 FortsehrRte der Kieferorthopgdie Bd. 33 (1972) tteft 4

Differenzen zwisehen sgmtlichen Serien (auBer den Studenten) fibersehreiten n ieht 1/10 und gar ~/lo0 Millimeter. Von besonderer Bedeut, ung dfirften die Beobaeh- tungen der zwei analysierten ~u sein, notabene sehr stark unter sieh korreliert (der Korrelationskoeffizient, fibers~eigt wesen~lich die FehlergrSBe). Der Zahnbogenwinkel wfiehs~ leieht stufen~rtig an, wird aber unerwartet dureh

/Pgo -- Go ) Abb. 5. Unterkieferindex [ ~ - =Kdl" 100

58

.a N XlltJht XYl

Abb. 6. Zahnbogenbreite (7-- bis --7)

den ,,neolithischen Gipfel" unterbrochen. Sgmtliche Serien weisen hohe Wesent- lichkeitsdiffcrenzen auf (bei einer Sicherheitsschwelle yon 0,001). Dieser Winkel wgchst dabei yon 0,686 Radianten im Palgolithikum (Abb. 7) bis zu 0,803 Radian- ten in der Neuzei~ an (d. h. yon etwa 39 0 bis 46 0). Diese festgestellte Xnderung pa i r mit dem allgemeinen Entwicklungstrend dieses Merkmals gut iiberein. Auch hier weisen die neolithischen Unterkiefer im erwghnten Merkmal unerwartet FortschrRt, stendenzen auf, ~hnlich wie beim Zahnbogenindex und 0ffhungswinkel.

Den 0ffhungswinkel (Abb. 8) ch~rakterisiert hohe StabilR~t. Die Unterkiefer

Page 7: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

A. Masztglerz, Der Z~habogen des Unterkiefers beim Komo sa, piens d~53

,9.b2

0;/6. QN

,!.;'2

Abb. 7. Zahnbogenwinkel

Abb. 8.0ffnungswinkel des Z~hnbogens

der Australier sind eher spitzwinklig, die ~qeolithiker geradewinklig, die fftihmittel- alterlichen und 1XTeuzeitserien nehmen eine Zwisohenstellung ein. Sgmtliche Diffe- renzen sind statistisch signifikan~, auBer der Differenz (Gr56e 0,5 ~ zwischen dem 18. Jahrhunder~ und der Serie ~us ~Tarszawa (17. his 19. Jahrhundert), die erst bei einer Sicherheitsschwelle yon 0,05 signifikant ist. Genauere Zusammen- stellung der Ergebnisse sind in Tabelle I I angefiihr~.

Die Stabilitgt des 0ffmmgswinkels des Zahnbogens, wie aueh die Bogenbreite in der Mol~rengegend beweisen, dab die Ursaehe des Engstandes der Schneidez~hne

Page 8: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

454 Fortschritte der Kieferorthopgdie :Bd. 33 (1972) tteft. 4

Tabelle II. Mittehverte (X) und

Serie Unterkiei~rbreite Vnterkieferindex Zahnbogenbreite

Australia :~ 114,31 109,55 71,53 70,47 55,62 55,22 6,84 7,25 5,17 3,48 2,98 2,40

Neolithikum ~: 117,00 112,66 66,03 67,80 55,89 52,33 4,76 2,06 1,98 3,72 2,13 1,25

Frtihmittelalter ~ 118,85 118,10 65,835 63,74 55,90 55,30 (13. Jahrhundert) a 8,45 6,64 3,56 4,57 2,88 4,32

Neuzeit :~ 117,35 111,00 65,92 63,93 55,88 52,44 (17. bis 19. Jahrhundert) a 5,66 6,43 4,04 3,755 3,31 3,86

Neuzeit (1971) 2 . . . . 55,13 -- 6,65

nieht die Bogenverktirzung ist. (Der Bogenindex, wie sehon erw/ihnt, ist night mag- gebend.) Die Winkelwert~ndernngen im Zahnbogen weisen darauf kin, dal3 der Zahnengstand als Folge einer Kompression des Eckzahnabsehnittes angesehen werden mug. Xhnliche Verhaltnisse komlten yon B i e l i c k i und M i s z k i e w i e z 1 nachgewiesen werden. Aueh bier wurde die Konvergenz der hinteren Zahnbogen-

W1 abschnitte naeh der Formel (Index) ~ . 100 bei einigen kraniologisehen Vet-

gleichsserien bereehnet (wobei: W1 = Innenbreite des Zahnbogens, gemessen an den Punkten zwischen P2 und M~; Wa = auf den Punkten zwisehen M s nnd M a - Abb. 9). Die neolithisehen Unterkiefer weisen einen mit~leren (40,0) und die friih- mittelalterliche Serie einen geringen (36,5) Index auf. Es beweist, dab bei den Neolitkikern die Seitenabsehnitte ann/~hernd parallel verlaufen, dagegen ist der Winkel, gebildet dnreh dig Seitenabschnitte, bei der i~iihmittelalterliehen Be- u erheblich grSBer.

Der yon mir angewandte Zahnbogen5ffnungswinkel umfaB~ den Vorderab- schnitt, einschlieBlich der Pr/~molaren und der beiden Molaren (M I und M2). Ge- fade diese Abschnitte standen beim neolithischen Bogen konvergenter zueinander (in einem gr613eren Winkel)als in den anderen Serien. Demnaeh n immt der Zahn- bogen in dieser Serie, i m Gegensatz zu samtlichen anderen, entschieden eine 0valform an. Man kaml somit annehmen, dab sieh die Seitenabsehnitte des Z~hn- bogens in der Zwisehenperiode Neolithiknm-Friihmittelalter geradlinig ausge- gliehen haben, und zwar durch Verengung der Pr~molaren- nnd der ersten Molaren- region. Dadureh entwiekelte sieh die parabolisehe, deutlich naeh yore einengende Zahnbogentbrm, also eine gewisse }Viederhohmg der Lemurenform. Somit ist es notwendig und angebraeht, den Engs~and der Sehneidez/~hne dureh Extrakt ionen dieser zu beseitigen. Jedoeh klinisehe Erfahrungen sprechen eher yon Ausnahme- fallen in der Anwendung dieser Eingriffe. Allerdings beziehen sigh diese Erws auf den Unterkieferbogen, dagegen ist der Oberkiefer m6glicherweise anderen

1 Bielicki, Tadeusz, und Brunon 3/[iszkiewicz: Variability of the Internal Mandi- bular Contour, ~nShropologie und }tumangenetik, S. 11 -- 17. Gustav Fischer Yerlag, Stuttgart 1968.

Page 9: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

A. Masz~Merz, Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

St,andardabweiehungen (a) der )~IaBe

455

Zahnbogenindex Winkel des ~ffnnngswinkel des Anzahl Un{erkieferbogens Unterkiefers

125,49 125,72 0,686 0,683 84,94 84,44 16 9 14,75 9,25 0,096 0,0696 3,11 2,87

141,24 147,27 0,923 0,858 90,78 90,33 9 3 9,68 17,64 0,151 0,077 4,49 3,30

135,64 144,35 0,799 0,812 88,90 88,50 20 10 12,07 14,98 0,09 0,174 3,18 3,59

147,29 145,70 0,803 0,772 88,35 87,44 17 9 15,57 ]8,47 0,198 0,145 3,56 2,59

-- -- 0,803 -- 88,00 -- 15 -- 0,128 1,01

biologischen Regeln unterworfcn. Die Beh~ndlung des Gebisses sollte den ganzen Kauapparat beriicksichtigen, aber nicht nur eine lokalisierte Anomalie in einem Zahnbogen. Die hiermit erwogenen biologischen Prgmissen der Schneidezahnex- traktionen mtissen sich somit den Allgemeinregeln unterordnen, woraufklinische Erfahrungen hinweisen, indem ein Frontengs~and im Unterkiefer sich nicht un- bedingt gleichfMls im Oberldefer m~nifestieren muG. Eine angewandte Extrak- tionsbehandlung sollte sch]ieNich dicHarmonie beider ZahnbSgenwiederherstellen. Extraktionen ansschliel~lich im Unterkiefer k6nnen starke Kieferdisproportionen bedingen, wie DistMbig, oder sekundgren Engstand der oberen Frontzghne her- vorrufen. Die einzige M6glichkeit, zufriedenstellende GebiBharmonie zu erzielen, ist eine gleichzeitige Ausgleichsextr~ktion beim antagonistischen Zahnbogen.

(

Abb. 9. Messungen nach Bielicki und ]V[iszkiewicz

Page 10: Der Zahnbogen des Unterkiefers beim Homo sapiens

456 /~ortschritte der Kieferorthop~die Bd. 33 (1972) Heft 4

ZusammenIassung

Fiir die Untersuchung der Ver/inderungen in der ZahnbogengestMt des 1VIenschen, die sieh seit etwa 5000 Jahren vollzogen haben, wurde das kraniologisehe 5faterial (aus den Samm- lungen des Lehrstuhls ffir Antl~'opologie PAN zu Wroctaw) benutzt. Es bestand aus 11.6 Unterkiefern, aus neolitischen, mittelalterliehen, gegenwgrtigen und australischen (in Riiek- sicht auf die darin vorkommenden Charakterziige des pal/iolitisehen Mensehen). In jeder dieser Serie bezeic!mete der Autor die Unterkiefer- und Zahnbogenbreite sowie aueh den Unterkiefer- und ZMmbogenindex, Zahnbogenwinkel und den yon ibm eingeff~hrten 0ffmmgs- winkel (I)ivergenzwinkel) des Zahnbogens.

Vom Igeolithikum an bis zur Gegenwart sind keine wesentliehen Vergnderungen in der Kieferbreite und vor allem im Zahnbogenindex sowie aueh im Unterkieferindex zu be- obaehten, weleher nur bet Australiern wesentlieh kleiner ist. I)er Zahnbogenwinkel weist jedoeh auf ein stufenweises Waehstum yon etwa 390 bet Australiern bis etwa 46(~hin. I)er 0ffhungswinkel des Zahnbogens is$ dureh Stoibilitgt gekennzeielmet. Die Unver~inderlieh- keit dieses Winkels sowie aueh der Zahnbogenbreite (auf der tt6he der zweiten Mahl- zghne) weist darauf hin, dab die Ursache des meistens auftretenden Engstandes der Schneide- zi~hne nict~ die Verkiirzung des Zahnbogens ist, sondern seine Verengung in der Eckzahn- gegend, woffir der sich vergrSgernde Zahnbogenwinkel sprieht.

Die oben erwahnten Beobaehtungen rechtfertigen -- dem Autor naeh -- die Behebung des Engstandes der unteren Sehneidezalme mittels Extraktion dieser Zatme, wobei das Ganze des Gebisses freilieh beriieksiehtigt wird.

Summary

For the study of the dental arch changes in. a human being during tile last 5000 years th e au~!lor used eraniologie material (from the collection of the Anthropologie Insti tute in Wroelaw) consisting of the following 116 mandibles: neolithic, medieval, modern and austra2 lian aboriginals (account of the oecuranee of paleolithic man tgatures). In each of these series he determined the widttl, the mandibular and dental arch indices, the convergence angle of the dental arch and the opening angle of the dental arch introduced by himself.

Since the neolithic period no significant changes have been noticed in the width of the mandible, especially in its dental arch and in the mandibular index which is substantially smaller in the Australians only. The convergence angle of the adveolar arch indicates the gra- dual increase ti'om about 390 in the australian aboriginals to about 460 in the modern times. The opening angle of the dent~l arch is characterized,by stability. The unchangeability of this angle and of the width of the dental arch on the level of second molars points out that oeeurance of incisor crowding is not due to the shortening of dental arch but, to its narrowing in the region of canine teeth -- and the increasing in the convergence angle of the alveolar arch may be the evidence of it. According to the author, the above mentioned observations justify the correction of the crowding of the lower incisors by extracting just these teeth with obvious regard to the whole occlusion.

~msehr. d. Verf.: Doz. Dr. habil. Adam ~{asztalerz , Wroetaw (Polen), ul. Kotlarska 35/36m. 8