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eBook Rolltreppe des Lebens Armut und Reichtum in der Region

des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

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Page 1: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

eBookeBook

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Armut und Reichtum in der Region

Page 2: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

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RolltreppedesLebens

präsentiert

Jeder von uns hat ziemlich klare Vorstel-lungen davon, wie ein „Armer“ oder ein„Reicher“ leben. Doch wenn man das inharten Zahlen fassen will, zerbröseln ei-nem die Begriffe zwischen den Fingern.Wir versuchen es trotzdem. In neun Be-rechnungen nähern wir uns einer Ant-wort auf die Frage, wie reich oder wiearm unsere Region eigentlich ist. Zu je-dem Punkt des Textes finden Sie rechtseine passende Grafik.

1 Armutsgefährdungsquote: Diese Zahlerfasst, wie viele Personen weniger

als 60 Prozent des durchschnittlichenEinkommens zur Verfügung haben unddeshalb von Armut bedroht sind. Nunkommt es aber darauf an, was man wo-mit vergleicht: ➤ Im Verhältnis zum Durchschnitts-einkommen in ganz Deutschland stehtder Südwesten super da. Die Region Bo-densee-Oberschwaben etwa belegthier bundesweit Platz drei, die RegionHochrhein-Bodensee Platz sieben voninsgesamt 95 Regionen. In diesem Ver-gleich sind in unserer Region wenigerals zehn Prozent der Menschen von Ar-mut bedroht. Bei den Schlusslichterndieses Rankings liegt die Quote bei biszu 27 Prozent.➤ Das Bild verschiebt sich schon, wennman unsere Region mit dem Land Ba-den-Württemberg vergleicht. Hier rut-schen Hochrhein-Bodensee und Bo-densee-Oberschwaben auf die Plätze 15und 16, Schwarzwald-Baar-Heuberglandet sogar auf Platz 67. Die Armuts-quoten erhöhen sich im Landesver-gleich auf zwölf bis 16 Prozent.➤ Wenn man nun die Einkommen vonPersonen in unserer Region mit demDurchschnittseinkommen in genau der-selben Region vergleicht, zeigt sich, wierelativ Armut ist. In Bremerhaven(Schlusslicht dieser Liste) wäre ein Be-wohner unserer Region ein Einkom-menskönig – hier bei uns jedoch könnteer als „armutsgefährdet“ gelten. Die Re-gion Bodensee-Oberschwaben landetauf Platz 22, die Region Schwarzwald-

VON

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V O N S E B A S T I A N PA N T E L................................................

Rolltreppe des Lebens: Sind wir reich,oder sind wir arm? Die Antwort auf dieseeinfache Frage fällt erstaunlich schwer.Ein Blick auf unsere Region zeigt das.Auftakt zur großen SÜDKURIER-Serie

Baar-Heuberg verbessert sich auf Platz31, die Region Hochrhein-Bodenseerutscht auf Platz 35. Das heißt: Vergli-chen mit dem Reichtum ihrer direktenNachbarn sind bei uns doch viele Men-schen relativ arm.

2 Verfügbares Einkommen: Hier wirdgemessen, wie viel Einkommen je-

der einzelne Bürger eines Landkreisesdurchschnittlich zur Verfügung hat.Über die Verteilung der Einkommensagt das aber gar nichts. Außerdem gehtes bei dieser Zahl nur um Einkommen,nicht um Vermögen.

3 Einkommensreichtumsquote: Eineeher abstrakte Zahl. Sie misst, wie

viele Personen mehr als 200 Prozentdes Durchschnittseinkommens verdie-nen. Gemessen am Landesschnitt sindalso 7,5 Prozent aller Baden-Württem-berger „reich“, gemessen am Bundes-schnitt sogar zehn Prozent.

4 Ungebundene Kaufkraft: Mit dieserBerechnung versuchen Statistiker,

den sehr unterschiedlichen Lebenshal-tungskosten in Deutschlands RegionenRechnung zu tragen. Ermittelt wird dieGeldsumme, die jeder Einwohnerdurchschnittlich für Konsumzwecke„übrig“ hat. Steuern, Sozialbeiträge,Versicherungen, Wohnkosten und Er-sparnisse („gebundenes“ Geld) sind be-reits abgezogen.

5 Millionäre: Statistiken über „diereichsten Deutschen“ sind mit Vor-

sicht zu genießen. So werden etwa Ein-kommensmillionäre pro Landkreis er-fasst – Vermögen sind dabei nicht ein-gerechnet. Denn die Zahl der Vermö-gensmillionäre ist erstaunlich unklar.Schätzungen der Valluga AG gehen vonrund 130 000 Baden-Württembergernmit einem Vermögen von jeweils mehrals einer Million Euro aus. Das wäre gutein Prozent der Bevölkerung.

Überraschung! M A N DZ E L

Seit sieben Monaten ist Sigmar Gab-riel Superminister. Das Amt steht

nicht in der Verfassung, es ist mehr einpolitischer Aggregatzustand. Supermi-nister besagt, dass der Inhaber beson-ders viel Macht in seiner Person ver-eint. Macht schafft Konflikte. Einen da-von hat sich Gabriel selbst ausgesucht:Er will die deutschen Rüstungsexportesenken und die Bundesrepublik ausder wenig imposanten Rangliste dergroßen Ausfuhrländer nehmen.

Gabriels Ziel ist moralisch richtig. Esliegt in der Tradition der SPD, die sichin ihrer Geschichte häufig für militäri-sche Zurückhaltung eingesetzt hat.Das Thema ist brisant, weil der Rüs-tungsbereich einer der schärfsten undbeweglichsten Märkte ist. Deutschlandhat sich in den vergangenen Jahrzehn-ten auf den dritten Platz unter denweltweiten Lieferanten von Schiffenund Gewehren vorgeschoben. Nachden USA und Russland verkauft keineandere Industrienation so viel heißeWare wie Deutschland. Wer sich sonstüber die Leistungen der Marke „Madein Germany“ freut, wird hier stocken.Es macht einen Unterschied, ob amHamburger Hafen Neuwagen ausWolfsburg oder Kisten mit Präzisions-waffen verladen werden.

Die Rüstung und ihre Kontrolle bil-den schon deshalb ein sensibles Gefü-ge. Viele mischen mit: die Firmen, dieGeneräle, Wahlkreisabgeordnete. Undein Ex-Minister wie Dirk Niebel, derseine Interpretation „liberaler“ Politikkünftig bei Rheinmetall fortschreibt.Unternehmen wie Airbus oder Krauss-Maffei sind in Berlin überproportionalvertreten. Sie nennen sich Schlüsselin-dustrie, was nicht zutrifft. Vielmehrsind die Waffenschmieden nur Schein-riesen. Der Anteil der Branche amdeutschen Bruttosozialprodukt beträgt0,64 Prozent. Gerade einmal 0,28 Pro-zent der Arbeitnehmer befassen sich

mit Wehrtechnik. Diese Zahl muss mansich vor Augen halten, wenn das Argu-ment lautet, man müsse weiter Geweh-re herstellen, weil Menschen damit ihrBrot verdienen. Rechtfertigt das die ge-lockerten Vorschriften, um noch mehrMaterial weltwärts zu liefern?

Fest steht: So lange reguläre Armeenstehen, will man sie ordentlich ausrüs-ten. Die Bundeswehr setzt gerne aufnationale Lieferanten und kann damitWünsche besser durchsetzen. Hecklerund Koch verdiente viele Jahre gutesGeld als Hoflieferant der Bundeswehr.Jeder Wehrdienstleistende nahm dasG3 (heute G36) zur Hand. Auch die Ver-bündeten werden ohne Zögern belie-fert. Das ist nachvollziehbar.

Im vergangenen Jahrzehnt habendeutsche Firmen die Nato-StaatenTürkei (Panzer) und Griechenland (U-Boote) aufgerüstet. Beim zweiten Kun-den fragt man, wo der Generalstab inAthen den Feind wittert. Die alten Per-ser können es nicht mehr sein. Sehen-den Auges bestellte das kleine Grie-chenland Wehrtechnik für eine großeArmee. Der Bankrott des Landes hatauch darin seine Ursache. DeutscheFirmen wussten es – und lieferten.

Im Zweifel wird geliefertDie Belieferung arabischer Länder istproblematisch. Saudi-Arabien und Ka-tar sind Altkunden, Absatz steigend.Vermehrt fragen die Vereinigten Arabi-schen Emirate (VAE) nach Sturmge-wehren. Schon die oberflächliche Be-trachtung der Lage im Nahen und Mitt-leren Osten zeigt, dass diese Länder la-bil sind. Für gefährdete Monarchien er-teilt der Bundessicherheitsrat eineAusfuhrgenehmigung, da sie sich alsBollwerk gegen den zündelnden Iranempfehlen. „Sicher“ sind diese Emp-fänger aber nicht, aber zahlungsfähig.

Diese Praxis ist kein Ruhmesblatt fürDeutschland. Während es sich militä-risch zurückhält, gibt es anderen Län-dern explosives Material an die Handnach dem alt-österreichischen Motto:„Lass andere Krieg führen.“ Langfristiggeht das schief. Es ist eine Frage derZeit, wann deutsche Soldaten vondeutschen Waffen bedroht werden.

R ÜST U N G S E X P O RT

Made in Germany SPD-Chef Sigmar Gabriel will diedeutschen Rüstungsexportedrastisch beschränken. Mitdiesem Ziel wird er sich auchFeinde machen.

V O N U L I F R I C K E R ................................................

[email protected]

Chefredakteur:Stefan LutzStellvertretende Chefredakteure: Günter Ackermann, Torsten GeilingLeitende Redakteure: Dieter Löffl er, Margit Hufnagel, Sebastian PantelPolitik und Hintergrund: Dieter Löffl er; Wirtschaft: Peter Ludäscher; Kultur: Wolfgang Bager; Sport: Ralf MittmannVerlag und Herausgeber: SÜDKURIER GmbH, KonstanzGeschäftsführer: Rainer WiesnerVerlagsleitung: Michel Bieler-LoopAnzeigen: Michael SchmiererVertrieb: Svenja GramppZustellung: Thomas KluzikSÜDKURIER GmbH, MedienhausMax-Stromeyer-Straße 178, 78467 KonstanzPostfach 102 001, 78420 KonstanzTelefon 0 75 31/999-0, Telefax 0 75 31/ 999-1485Abo-Service und Kleinanzeigen: Kostenlose Servicenummer 0800/880 8000

Internet: http://www.suedkurier.dehttp://www.suedkurier-medienhaus.deE-Mail-Adressen:[email protected]@[email protected]@[email protected] AG, KonstanzIBAN DE35 6904 0045 0270 1811 00BIC COBADEFFXXXDruck: Druckerei Konstanz GmbH78467 Konstanz, Max-Stromeyer-Straße 180Zurzeit ist Anzeigenpreisliste Nr. 82 vom 01. 01. 2014 mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Anzei-gen und Beilagen und den Zusätzlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Verlages gültig. Bei Ausfall der Lieferung infolge höherer Gewalt, Arbeitskampf, Verbot oder bei Störungen in der Druckerei bzw. auf dem Versandweg kein Entschädigungsanspruch. KeineGewähr für unverlangte Manuskripte. Erfüllungsort und Gerichtsstand für alle Verlagsgeschäfte ist Konstanz, soweit nicht zwingend gesetzlich anderes vorgeschrieben.

Deutscher Lokaljournalistenpreis 2010 • 2012 European Newspaper Award 2011 • 2012 • 2013 • 2014

2 Themen des TagesS Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 42 Themen des Tages S Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 4

Page 3: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

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6 Wohnkosten: Wohnen ist in Baden-Württemberg teurer als im

Deutschland-Schnitt. Rund ein Drittelder Ausgaben eines Haushalts gehenfür Miete und Energiekosten drauf. Ar-me Haushalte trifft das besonders. Um-gekehrt werden in der Region rund dieHälfte der Wohneinheiten von Eigentü-mern selbst bewohnt. Bei Einfamilien-häusern liegt die Quote sogar bei fast90 Prozent. Erfasst werden also vor al-lem die Kosten für kleine und mittlereWohnungen. Die Preise dürften sichseit dem letzten offiziellen Stand von2010 noch mal erhöht haben.

7 Arbeitslose: In Baden-Württembergist mehr als die Hälfte der Arbeitslo-

sen von Armut bedroht – das Armutsri-siko dieser Gruppe ist also mehr alsdreimal so hoch wie beim Durch-schnittseinwohner. Deshalb sagt dieArbeitslosenquote einer Region be-dingt auch etwas über die Armut aus.

8 Alleinerziehende: Es ist eines dergrößten Armutsrisiken überhaupt,

als Erwachsener mit einem oder garmehreren Kindern den Alltag meisternzu müssen. Die Gefahr, in die Armut ab-zurutschen, ist dann dreimal so hochwie im Durchschnitt. Deshalb ist dieZahl der Alleinerziehenden in einer Re-gion ebenfalls ein Armuts-Indikator.

9 Bildung: Menschen mit niedrigemBildungsstand sind zweieinhalb-

mal so oft von Armut bedroht wie derDurchschnitt – auch das Bildungsni-veau einer Region ist deshalb ein Indi-kator für Armut. Selbst im „Bildungs-land“ Baden-Württemberg habenStand 2011 rund fünf Prozent der Men-schen keinen Schulabschluss, Schülernicht mitgezählt. 50 000 Menschensind das allein in unserer Region. ZumVergleich: So viele Einwohner haben dieStädte Donaueschingen und Radolfzellzusammen.

Wie reich oder armist unsere Region?Für wen führt dieRolltreppe desLebens nach oben,für wen nach unten– und warum? Undist unten schlimmerals oben? DieseFragen greift derSÜDKURIER in denkommenden 13Wochen auf. B I L D : B LUST

Stan

d: 2

011

Verfügbares Einkommenje Einwohner in Tausend Euro

Armutsgefährdungsquote im Vergleich mit

1

2

Bodensee-Oberschwaben

Hochrhein-Bodensee

Schwarzwald-Baar-Heuberg

Einkommensreichtumsquoteim Vergleich auf

3

Bundesebene

Anteil der Personen

Landesebene

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Lörrach

Konstanz

Waldshut

Sigmaringen

DeutschlandBaden-Württembergeigener Region

Stand: 2012

Stand: 2011

8,812,213,8

23,323,0

21,920,820,020,019,9

Ungebundene Kaufkraftje Einwohner in Tausend Euro

4

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Sigmaringen

Konstanz

Lörrach

Waldshut

Stand: 2009

Stand: 2012

17,716,515,814,614,113,913,2

7,25

7,62

6,63

Einkommensmillionäre5

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Sigmaringen

Konstanz

Lörrach

Waldshut

Stand: 2011

8 und mehr

4 bis 64 bis 6

unter 4unter 4unter 4unter 4

10,3

7,5

8,912,213,112,516,113,6

Durchschnittliche Warmmieteje Quadratmeter in Euro

6

Hochrhein-Bodensee

Bodensee-Oberschwaben

Schwarzwald-Baar-Heuberg

Stand: 2010

15,4

ArbeitsloseJahresschnitt 2013

7

Konstanz

Sigmaringen

Schwarzwald-Baar

Lörrach

Tuttlingen

Waldshut

Bodenseekreis

4,33,93,93,73,13,12,8

4,1

7,4

Alleinerziehende8

Sigmaringen

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Waldshut

Lörrach

Konstanz

Bodenseekreis

8,67,97,77,67,57,36,7

4600

4437

7191

5466

7417

9275

6317

in ProzentAnzahlPersonen

6253

2692

4380

4596

2344

2825

3193

Quotenin Prozent

AnzahlPersonen

Stan

d: 2

011

4,7

Ohne Schulabschluss9

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Lörrach

Waldshut

Sigmaringen

Konstanz

Bodenseekreis

6,55,44,44,34,24,03,4

7140

9370

8110

5970

4550

9200

5960

Anteil in ProzentAnzahlPersonen

Arm oder reich?

QUELLEN: STATISTISCHES BUNDESAMT, STATISTISCHES LANDESAMT, ZENSUS 2011 / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Die Region in Zahlen

Wir befassen uns 13 Wochen mit dem Thema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reichist unsere Region? ................11. Juli

• Armut und Reichtum in der Kindheit............................19. Juli

• Armut und Reichtum im Alter .......26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen

einem Obdachlosem und einem Millionär ...................2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg ...............................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit ............................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ............................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens.........30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat..............6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen ..................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen ...........27. September• Essay: Ein neuer Reichtum .......................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Innerhalb der Serie begegnen wir vielen Menschen aus der Region –mit sehr unterschiedlichen Schicksalen. Vom Millionär bis hin zumObdachlosen, vom Karrieremenschen bis zum Aussteiger – fünfBeispiele zeigen, welche Geschichten die „Rolltreppe des Lebens“ inden kommenden Wochen erzählt.

➤ Armut und Reichtum im Alter: DieLeben von Marlies Bujak aus Singenund Martin Herzog aus Friedrichshafenkönnten unterschiedlicher nicht sein:Die Rentnerin lebt von wenigen hun-dert Euro im Monat, der frühere Ober-bürgermeister, Landrat und Landes-wirtschaftsminister verbringt viel Zeitauf seiner Farm in Namibia. Doch danntaucht eine oft gehörte Frage auf:Macht Geld glücklich? Was brauchtman wirklich zum Leben? Und: Was hatLuxus mit Religion zu tun? Zwei Lebenund viele Antworten.

➤ Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg:Norbert Müller wuchs auf einem Bau-ernhof bei Donaueschingen auf. Erwirkt heute als Toto-Lotto-Direktor inder Landeshauptstadt. Erhard Bürk ausVillingen-Schwenningen stammt auseiner Unternehmerfamilie. Er warschon in jungen Jahren Chef, bis seineFirma plötzlich pleite war. Über Jahremusste er von Hartz IV-Bezügen leben.Was wirklich zählt im Leben, was dirniemand nehmen kann, dazu berichtendie beiden Männer Erlebnisse miterstaunlichen Parallelitäten.

➤ Gespräch zwischen einem Millionär undeinem Obdachlosen: Horst Czeskleba hateine kleine Wohnung in Friedrichshafen– das war aber nicht immer so. Er lebteviele Jahre auf der Straße. ThomasVosseler aus Villingen-Schwennigen isterfolgreicher Geschäftsmann und ver-dient das große Geld – seinen erstenPorsche besaß er, da war er noch keine20. Wir haben die beiden an einenTisch gesetzt – zu einem sehr spannen-den Gespräch. Zufriedenheit hat nichtimmer mit Geld zu tun, da sind sichbeide einig.

➤ Start-up und Ende eines Familienunter-nehmens: Zwischen großer Karriere undPrivatinsolvenz: Suse Kröner hat ihreBuchhandlung in Albstadt nach 26Jahren schweren Herzens aufgegeben.Sie musste Privatinsolvenz anmelden.App-Entwickler Andre Thum (Bild) undsein Partner Thomas Kekeisen gründe-ten 2010 in Markdorf die Firma „social-bit“. Die Branchen, in denen sich dieDrei bewegen, stehen in vielerlei Hin-sicht für Aufstieg und Niedergang.Allerdings spielen noch viele weitereFaktoren in die Geschichten mit hinein.

➤ Ein Karrierist und ein Aussteiger er-zählen: Der Überlinger Michael Stehleführt ein Leben auf der Überholspur –erfolgreiche Karriere, Firmen, schnelleAutos, immer neue Ideen. Sepp Bögleaus Radolfzell stieg aus der erfolg-reichen Karriere aus – den Herzinfarktwollte er nicht abwarten. Heute stapelter Steine am Bodenseeufer und ver-bringt die Hälfte des Jahres auf Lanza-rote. Doch auch Karrieremensch Stehlestieg schon aus einer Firma aus. Beidebereuen ihre Schritte keineswegs undhaben gefunden, was sie suchten.

Alles rund um die Serie finden Sie bei uns im Internet: www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

Rolltreppe des Lebens: Diese Geschichten erzählen wir

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 4

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6 Wohnkosten: Wohnen ist in Baden-Württemberg teurer als im

Deutschland-Schnitt. Rund ein Drittelder Ausgaben eines Haushalts gehenfür Miete und Energiekosten drauf. Ar-me Haushalte trifft das besonders. Um-gekehrt werden in der Region rund dieHälfte der Wohneinheiten von Eigentü-mern selbst bewohnt. Bei Einfamilien-häusern liegt die Quote sogar bei fast90 Prozent. Erfasst werden also vor al-lem die Kosten für kleine und mittlereWohnungen. Die Preise dürften sichseit dem letzten offiziellen Stand von2010 noch mal erhöht haben.

7 Arbeitslose: In Baden-Württembergist mehr als die Hälfte der Arbeitslo-

sen von Armut bedroht – das Armutsri-siko dieser Gruppe ist also mehr alsdreimal so hoch wie beim Durch-schnittseinwohner. Deshalb sagt dieArbeitslosenquote einer Region be-dingt auch etwas über die Armut aus.

8 Alleinerziehende: Es ist eines dergrößten Armutsrisiken überhaupt,

als Erwachsener mit einem oder garmehreren Kindern den Alltag meisternzu müssen. Die Gefahr, in die Armut ab-zurutschen, ist dann dreimal so hochwie im Durchschnitt. Deshalb ist dieZahl der Alleinerziehenden in einer Re-gion ebenfalls ein Armuts-Indikator.

9 Bildung: Menschen mit niedrigemBildungsstand sind zweieinhalb-

mal so oft von Armut bedroht wie derDurchschnitt – auch das Bildungsni-veau einer Region ist deshalb ein Indi-kator für Armut. Selbst im „Bildungs-land“ Baden-Württemberg habenStand 2011 rund fünf Prozent der Men-schen keinen Schulabschluss, Schülernicht mitgezählt. 50 000 Menschensind das allein in unserer Region. ZumVergleich: So viele Einwohner haben dieStädte Donaueschingen und Radolfzellzusammen.

Wie reich oder armist unsere Region?Für wen führt dieRolltreppe desLebens nach oben,für wen nach unten– und warum? Undist unten schlimmerals oben? DieseFragen greift derSÜDKURIER in denkommenden 13Wochen auf. B I L D : B LUST

Stan

d: 2

011

Verfügbares Einkommenje Einwohner in Tausend Euro

Armutsgefährdungsquote im Vergleich mit

1

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Bodensee-Oberschwaben

Hochrhein-Bodensee

Schwarzwald-Baar-Heuberg

Einkommensreichtumsquoteim Vergleich auf

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Bundesebene

Anteil der Personen

Landesebene

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Lörrach

Konstanz

Waldshut

Sigmaringen

DeutschlandBaden-Württembergeigener Region

Stand: 2012

Stand: 2011

8,812,213,8

23,323,0

21,920,820,020,019,9

Ungebundene Kaufkraftje Einwohner in Tausend Euro

4

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Sigmaringen

Konstanz

Lörrach

Waldshut

Stand: 2009

Stand: 2012

17,716,515,814,614,113,913,2

7,25

7,62

6,63

Einkommensmillionäre5

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Sigmaringen

Konstanz

Lörrach

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Stand: 2011

8 und mehr

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unter 4unter 4unter 4unter 4

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Durchschnittliche Warmmieteje Quadratmeter in Euro

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Hochrhein-Bodensee

Bodensee-Oberschwaben

Schwarzwald-Baar-Heuberg

Stand: 2010

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ArbeitsloseJahresschnitt 2013

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Sigmaringen

Schwarzwald-Baar

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Alleinerziehende8

Sigmaringen

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Schwarzwald-Baar

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Konstanz

Bodenseekreis

8,67,97,77,67,57,36,7

4600

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in ProzentAnzahlPersonen

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3193

Quotenin Prozent

AnzahlPersonen

Stan

d: 2

011

4,7

Ohne Schulabschluss9

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Lörrach

Waldshut

Sigmaringen

Konstanz

Bodenseekreis

6,55,44,44,34,24,03,4

7140

9370

8110

5970

4550

9200

5960

Anteil in ProzentAnzahlPersonen

Arm oder reich?

QUELLEN: STATISTISCHES BUNDESAMT, STATISTISCHES LANDESAMT, ZENSUS 2011 / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Die Region in Zahlen

Wir befassen uns 13 Wochen mit dem Thema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reichist unsere Region? ................11. Juli

• Armut und Reichtum in der Kindheit............................19. Juli

• Armut und Reichtum im Alter .......26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen

einem Obdachlosem und einem Millionär ...................2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg ...............................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit ............................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ............................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens.........30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat..............6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen ..................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen ...........27. September• Essay: Ein neuer Reichtum .......................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Innerhalb der Serie begegnen wir vielen Menschen aus der Region –mit sehr unterschiedlichen Schicksalen. Vom Millionär bis hin zumObdachlosen, vom Karrieremenschen bis zum Aussteiger – fünfBeispiele zeigen, welche Geschichten die „Rolltreppe des Lebens“ inden kommenden Wochen erzählt.

➤ Armut und Reichtum im Alter: DieLeben von Marlies Bujak aus Singenund Martin Herzog aus Friedrichshafenkönnten unterschiedlicher nicht sein:Die Rentnerin lebt von wenigen hun-dert Euro im Monat, der frühere Ober-bürgermeister, Landrat und Landes-wirtschaftsminister verbringt viel Zeitauf seiner Farm in Namibia. Doch danntaucht eine oft gehörte Frage auf:Macht Geld glücklich? Was brauchtman wirklich zum Leben? Und: Was hatLuxus mit Religion zu tun? Zwei Lebenund viele Antworten.

➤ Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg:Norbert Müller wuchs auf einem Bau-ernhof bei Donaueschingen auf. Erwirkt heute als Toto-Lotto-Direktor inder Landeshauptstadt. Erhard Bürk ausVillingen-Schwenningen stammt auseiner Unternehmerfamilie. Er warschon in jungen Jahren Chef, bis seineFirma plötzlich pleite war. Über Jahremusste er von Hartz IV-Bezügen leben.Was wirklich zählt im Leben, was dirniemand nehmen kann, dazu berichtendie beiden Männer Erlebnisse miterstaunlichen Parallelitäten.

➤ Gespräch zwischen einem Millionär undeinem Obdachlosen: Horst Czeskleba hateine kleine Wohnung in Friedrichshafen– das war aber nicht immer so. Er lebteviele Jahre auf der Straße. ThomasVosseler aus Villingen-Schwennigen isterfolgreicher Geschäftsmann und ver-dient das große Geld – seinen erstenPorsche besaß er, da war er noch keine20. Wir haben die beiden an einenTisch gesetzt – zu einem sehr spannen-den Gespräch. Zufriedenheit hat nichtimmer mit Geld zu tun, da sind sichbeide einig.

➤ Start-up und Ende eines Familienunter-nehmens: Zwischen großer Karriere undPrivatinsolvenz: Suse Kröner hat ihreBuchhandlung in Albstadt nach 26Jahren schweren Herzens aufgegeben.Sie musste Privatinsolvenz anmelden.App-Entwickler Andre Thum (Bild) undsein Partner Thomas Kekeisen gründe-ten 2010 in Markdorf die Firma „social-bit“. Die Branchen, in denen sich dieDrei bewegen, stehen in vielerlei Hin-sicht für Aufstieg und Niedergang.Allerdings spielen noch viele weitereFaktoren in die Geschichten mit hinein.

➤ Ein Karrierist und ein Aussteiger er-zählen: Der Überlinger Michael Stehleführt ein Leben auf der Überholspur –erfolgreiche Karriere, Firmen, schnelleAutos, immer neue Ideen. Sepp Bögleaus Radolfzell stieg aus der erfolg-reichen Karriere aus – den Herzinfarktwollte er nicht abwarten. Heute stapelter Steine am Bodenseeufer und ver-bringt die Hälfte des Jahres auf Lanza-rote. Doch auch Karrieremensch Stehlestieg schon aus einer Firma aus. Beidebereuen ihre Schritte keineswegs undhaben gefunden, was sie suchten.

Alles rund um die Serie finden Sie bei uns im Internet: www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

Rolltreppe des Lebens: Diese Geschichten erzählen wir

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 4

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6 Wohnkosten: Wohnen ist in Baden-Württemberg teurer als im

Deutschland-Schnitt. Rund ein Drittelder Ausgaben eines Haushalts gehenfür Miete und Energiekosten drauf. Ar-me Haushalte trifft das besonders. Um-gekehrt werden in der Region rund dieHälfte der Wohneinheiten von Eigentü-mern selbst bewohnt. Bei Einfamilien-häusern liegt die Quote sogar bei fast90 Prozent. Erfasst werden also vor al-lem die Kosten für kleine und mittlereWohnungen. Die Preise dürften sichseit dem letzten offiziellen Stand von2010 noch mal erhöht haben.

7 Arbeitslose: In Baden-Württembergist mehr als die Hälfte der Arbeitslo-

sen von Armut bedroht – das Armutsri-siko dieser Gruppe ist also mehr alsdreimal so hoch wie beim Durch-schnittseinwohner. Deshalb sagt dieArbeitslosenquote einer Region be-dingt auch etwas über die Armut aus.

8 Alleinerziehende: Es ist eines dergrößten Armutsrisiken überhaupt,

als Erwachsener mit einem oder garmehreren Kindern den Alltag meisternzu müssen. Die Gefahr, in die Armut ab-zurutschen, ist dann dreimal so hochwie im Durchschnitt. Deshalb ist dieZahl der Alleinerziehenden in einer Re-gion ebenfalls ein Armuts-Indikator.

9 Bildung: Menschen mit niedrigemBildungsstand sind zweieinhalb-

mal so oft von Armut bedroht wie derDurchschnitt – auch das Bildungsni-veau einer Region ist deshalb ein Indi-kator für Armut. Selbst im „Bildungs-land“ Baden-Württemberg habenStand 2011 rund fünf Prozent der Men-schen keinen Schulabschluss, Schülernicht mitgezählt. 50 000 Menschensind das allein in unserer Region. ZumVergleich: So viele Einwohner haben dieStädte Donaueschingen und Radolfzellzusammen.

Wie reich oder armist unsere Region?Für wen führt dieRolltreppe desLebens nach oben,für wen nach unten– und warum? Undist unten schlimmerals oben? DieseFragen greift derSÜDKURIER in denkommenden 13Wochen auf. B I L D : B LUST

Stan

d: 2

011

Verfügbares Einkommenje Einwohner in Tausend Euro

Armutsgefährdungsquote im Vergleich mit

1

2

Bodensee-Oberschwaben

Hochrhein-Bodensee

Schwarzwald-Baar-Heuberg

Einkommensreichtumsquoteim Vergleich auf

3

Bundesebene

Anteil der Personen

Landesebene

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Lörrach

Konstanz

Waldshut

Sigmaringen

DeutschlandBaden-Württembergeigener Region

Stand: 2012

Stand: 2011

8,812,213,8

23,323,0

21,920,820,020,019,9

Ungebundene Kaufkraftje Einwohner in Tausend Euro

4

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Sigmaringen

Konstanz

Lörrach

Waldshut

Stand: 2009

Stand: 2012

17,716,515,814,614,113,913,2

7,25

7,62

6,63

Einkommensmillionäre5

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Sigmaringen

Konstanz

Lörrach

Waldshut

Stand: 2011

8 und mehr

4 bis 64 bis 6

unter 4unter 4unter 4unter 4

10,3

7,5

8,912,213,112,516,113,6

Durchschnittliche Warmmieteje Quadratmeter in Euro

6

Hochrhein-Bodensee

Bodensee-Oberschwaben

Schwarzwald-Baar-Heuberg

Stand: 2010

15,4

ArbeitsloseJahresschnitt 2013

7

Konstanz

Sigmaringen

Schwarzwald-Baar

Lörrach

Tuttlingen

Waldshut

Bodenseekreis

4,33,93,93,73,13,12,8

4,1

7,4

Alleinerziehende8

Sigmaringen

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

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Bodenseekreis

8,67,97,77,67,57,36,7

4600

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7191

5466

7417

9275

6317

in ProzentAnzahlPersonen

6253

2692

4380

4596

2344

2825

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Quotenin Prozent

AnzahlPersonen

Stan

d: 2

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4,7

Ohne Schulabschluss9

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Lörrach

Waldshut

Sigmaringen

Konstanz

Bodenseekreis

6,55,44,44,34,24,03,4

7140

9370

8110

5970

4550

9200

5960

Anteil in ProzentAnzahlPersonen

Arm oder reich?

QUELLEN: STATISTISCHES BUNDESAMT, STATISTISCHES LANDESAMT, ZENSUS 2011 / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Die Region in Zahlen

Wir befassen uns 13 Wochen mit dem Thema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reichist unsere Region? ................11. Juli

• Armut und Reichtum in der Kindheit............................19. Juli

• Armut und Reichtum im Alter .......26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen

einem Obdachlosem und einem Millionär ...................2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg ...............................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit ............................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ............................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens.........30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat..............6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen ..................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen ...........27. September• Essay: Ein neuer Reichtum .......................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Innerhalb der Serie begegnen wir vielen Menschen aus der Region –mit sehr unterschiedlichen Schicksalen. Vom Millionär bis hin zumObdachlosen, vom Karrieremenschen bis zum Aussteiger – fünfBeispiele zeigen, welche Geschichten die „Rolltreppe des Lebens“ inden kommenden Wochen erzählt.

➤ Armut und Reichtum im Alter: DieLeben von Marlies Bujak aus Singenund Martin Herzog aus Friedrichshafenkönnten unterschiedlicher nicht sein:Die Rentnerin lebt von wenigen hun-dert Euro im Monat, der frühere Ober-bürgermeister, Landrat und Landes-wirtschaftsminister verbringt viel Zeitauf seiner Farm in Namibia. Doch danntaucht eine oft gehörte Frage auf:Macht Geld glücklich? Was brauchtman wirklich zum Leben? Und: Was hatLuxus mit Religion zu tun? Zwei Lebenund viele Antworten.

➤ Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg:Norbert Müller wuchs auf einem Bau-ernhof bei Donaueschingen auf. Erwirkt heute als Toto-Lotto-Direktor inder Landeshauptstadt. Erhard Bürk ausVillingen-Schwenningen stammt auseiner Unternehmerfamilie. Er warschon in jungen Jahren Chef, bis seineFirma plötzlich pleite war. Über Jahremusste er von Hartz IV-Bezügen leben.Was wirklich zählt im Leben, was dirniemand nehmen kann, dazu berichtendie beiden Männer Erlebnisse miterstaunlichen Parallelitäten.

➤ Gespräch zwischen einem Millionär undeinem Obdachlosen: Horst Czeskleba hateine kleine Wohnung in Friedrichshafen– das war aber nicht immer so. Er lebteviele Jahre auf der Straße. ThomasVosseler aus Villingen-Schwennigen isterfolgreicher Geschäftsmann und ver-dient das große Geld – seinen erstenPorsche besaß er, da war er noch keine20. Wir haben die beiden an einenTisch gesetzt – zu einem sehr spannen-den Gespräch. Zufriedenheit hat nichtimmer mit Geld zu tun, da sind sichbeide einig.

➤ Start-up und Ende eines Familienunter-nehmens: Zwischen großer Karriere undPrivatinsolvenz: Suse Kröner hat ihreBuchhandlung in Albstadt nach 26Jahren schweren Herzens aufgegeben.Sie musste Privatinsolvenz anmelden.App-Entwickler Andre Thum (Bild) undsein Partner Thomas Kekeisen gründe-ten 2010 in Markdorf die Firma „social-bit“. Die Branchen, in denen sich dieDrei bewegen, stehen in vielerlei Hin-sicht für Aufstieg und Niedergang.Allerdings spielen noch viele weitereFaktoren in die Geschichten mit hinein.

➤ Ein Karrierist und ein Aussteiger er-zählen: Der Überlinger Michael Stehleführt ein Leben auf der Überholspur –erfolgreiche Karriere, Firmen, schnelleAutos, immer neue Ideen. Sepp Bögleaus Radolfzell stieg aus der erfolg-reichen Karriere aus – den Herzinfarktwollte er nicht abwarten. Heute stapelter Steine am Bodenseeufer und ver-bringt die Hälfte des Jahres auf Lanza-rote. Doch auch Karrieremensch Stehlestieg schon aus einer Firma aus. Beidebereuen ihre Schritte keineswegs undhaben gefunden, was sie suchten.

Alles rund um die Serie finden Sie bei uns im Internet: www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

Rolltreppe des Lebens: Diese Geschichten erzählen wir

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 4

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6 Wohnkosten: Wohnen ist in Baden-Württemberg teurer als im

Deutschland-Schnitt. Rund ein Drittelder Ausgaben eines Haushalts gehenfür Miete und Energiekosten drauf. Ar-me Haushalte trifft das besonders. Um-gekehrt werden in der Region rund dieHälfte der Wohneinheiten von Eigentü-mern selbst bewohnt. Bei Einfamilien-häusern liegt die Quote sogar bei fast90 Prozent. Erfasst werden also vor al-lem die Kosten für kleine und mittlereWohnungen. Die Preise dürften sichseit dem letzten offiziellen Stand von2010 noch mal erhöht haben.

7 Arbeitslose: In Baden-Württembergist mehr als die Hälfte der Arbeitslo-

sen von Armut bedroht – das Armutsri-siko dieser Gruppe ist also mehr alsdreimal so hoch wie beim Durch-schnittseinwohner. Deshalb sagt dieArbeitslosenquote einer Region be-dingt auch etwas über die Armut aus.

8 Alleinerziehende: Es ist eines dergrößten Armutsrisiken überhaupt,

als Erwachsener mit einem oder garmehreren Kindern den Alltag meisternzu müssen. Die Gefahr, in die Armut ab-zurutschen, ist dann dreimal so hochwie im Durchschnitt. Deshalb ist dieZahl der Alleinerziehenden in einer Re-gion ebenfalls ein Armuts-Indikator.

9 Bildung: Menschen mit niedrigemBildungsstand sind zweieinhalb-

mal so oft von Armut bedroht wie derDurchschnitt – auch das Bildungsni-veau einer Region ist deshalb ein Indi-kator für Armut. Selbst im „Bildungs-land“ Baden-Württemberg habenStand 2011 rund fünf Prozent der Men-schen keinen Schulabschluss, Schülernicht mitgezählt. 50 000 Menschensind das allein in unserer Region. ZumVergleich: So viele Einwohner haben dieStädte Donaueschingen und Radolfzellzusammen.

Wie reich oder armist unsere Region?Für wen führt dieRolltreppe desLebens nach oben,für wen nach unten– und warum? Undist unten schlimmerals oben? DieseFragen greift derSÜDKURIER in denkommenden 13Wochen auf. B I L D : B LUST

Stan

d: 2

011

Verfügbares Einkommenje Einwohner in Tausend Euro

Armutsgefährdungsquote im Vergleich mit

1

2

Bodensee-Oberschwaben

Hochrhein-Bodensee

Schwarzwald-Baar-Heuberg

Einkommensreichtumsquoteim Vergleich auf

3

Bundesebene

Anteil der Personen

Landesebene

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Lörrach

Konstanz

Waldshut

Sigmaringen

DeutschlandBaden-Württembergeigener Region

Stand: 2012

Stand: 2011

8,812,213,8

23,323,0

21,920,820,020,019,9

Ungebundene Kaufkraftje Einwohner in Tausend Euro

4

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Sigmaringen

Konstanz

Lörrach

Waldshut

Stand: 2009

Stand: 2012

17,716,515,814,614,113,913,2

7,25

7,62

6,63

Einkommensmillionäre5

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Bodenseekreis

Sigmaringen

Konstanz

Lörrach

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Stand: 2011

8 und mehr

4 bis 64 bis 6

unter 4unter 4unter 4unter 4

10,3

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8,912,213,112,516,113,6

Durchschnittliche Warmmieteje Quadratmeter in Euro

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Hochrhein-Bodensee

Bodensee-Oberschwaben

Schwarzwald-Baar-Heuberg

Stand: 2010

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ArbeitsloseJahresschnitt 2013

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Konstanz

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Alleinerziehende8

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8,67,97,77,67,57,36,7

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in ProzentAnzahlPersonen

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Quotenin Prozent

AnzahlPersonen

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4,7

Ohne Schulabschluss9

Tuttlingen

Schwarzwald-Baar

Lörrach

Waldshut

Sigmaringen

Konstanz

Bodenseekreis

6,55,44,44,34,24,03,4

7140

9370

8110

5970

4550

9200

5960

Anteil in ProzentAnzahlPersonen

Arm oder reich?

QUELLEN: STATISTISCHES BUNDESAMT, STATISTISCHES LANDESAMT, ZENSUS 2011 / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Die Region in Zahlen

Wir befassen uns 13 Wochen mit dem Thema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reichist unsere Region? ................11. Juli

• Armut und Reichtum in der Kindheit............................19. Juli

• Armut und Reichtum im Alter .......26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen

einem Obdachlosem und einem Millionär ...................2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg ...............................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit ............................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ............................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens.........30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat..............6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen ..................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen ...........27. September• Essay: Ein neuer Reichtum .......................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Innerhalb der Serie begegnen wir vielen Menschen aus der Region –mit sehr unterschiedlichen Schicksalen. Vom Millionär bis hin zumObdachlosen, vom Karrieremenschen bis zum Aussteiger – fünfBeispiele zeigen, welche Geschichten die „Rolltreppe des Lebens“ inden kommenden Wochen erzählt.

➤ Armut und Reichtum im Alter: DieLeben von Marlies Bujak aus Singenund Martin Herzog aus Friedrichshafenkönnten unterschiedlicher nicht sein:Die Rentnerin lebt von wenigen hun-dert Euro im Monat, der frühere Ober-bürgermeister, Landrat und Landes-wirtschaftsminister verbringt viel Zeitauf seiner Farm in Namibia. Doch danntaucht eine oft gehörte Frage auf:Macht Geld glücklich? Was brauchtman wirklich zum Leben? Und: Was hatLuxus mit Religion zu tun? Zwei Lebenund viele Antworten.

➤ Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg:Norbert Müller wuchs auf einem Bau-ernhof bei Donaueschingen auf. Erwirkt heute als Toto-Lotto-Direktor inder Landeshauptstadt. Erhard Bürk ausVillingen-Schwenningen stammt auseiner Unternehmerfamilie. Er warschon in jungen Jahren Chef, bis seineFirma plötzlich pleite war. Über Jahremusste er von Hartz IV-Bezügen leben.Was wirklich zählt im Leben, was dirniemand nehmen kann, dazu berichtendie beiden Männer Erlebnisse miterstaunlichen Parallelitäten.

➤ Gespräch zwischen einem Millionär undeinem Obdachlosen: Horst Czeskleba hateine kleine Wohnung in Friedrichshafen– das war aber nicht immer so. Er lebteviele Jahre auf der Straße. ThomasVosseler aus Villingen-Schwennigen isterfolgreicher Geschäftsmann und ver-dient das große Geld – seinen erstenPorsche besaß er, da war er noch keine20. Wir haben die beiden an einenTisch gesetzt – zu einem sehr spannen-den Gespräch. Zufriedenheit hat nichtimmer mit Geld zu tun, da sind sichbeide einig.

➤ Start-up und Ende eines Familienunter-nehmens: Zwischen großer Karriere undPrivatinsolvenz: Suse Kröner hat ihreBuchhandlung in Albstadt nach 26Jahren schweren Herzens aufgegeben.Sie musste Privatinsolvenz anmelden.App-Entwickler Andre Thum (Bild) undsein Partner Thomas Kekeisen gründe-ten 2010 in Markdorf die Firma „social-bit“. Die Branchen, in denen sich dieDrei bewegen, stehen in vielerlei Hin-sicht für Aufstieg und Niedergang.Allerdings spielen noch viele weitereFaktoren in die Geschichten mit hinein.

➤ Ein Karrierist und ein Aussteiger er-zählen: Der Überlinger Michael Stehleführt ein Leben auf der Überholspur –erfolgreiche Karriere, Firmen, schnelleAutos, immer neue Ideen. Sepp Bögleaus Radolfzell stieg aus der erfolg-reichen Karriere aus – den Herzinfarktwollte er nicht abwarten. Heute stapelter Steine am Bodenseeufer und ver-bringt die Hälfte des Jahres auf Lanza-rote. Doch auch Karrieremensch Stehlestieg schon aus einer Firma aus. Beidebereuen ihre Schritte keineswegs undhaben gefunden, was sie suchten.

Alles rund um die Serie finden Sie bei uns im Internet: www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

Rolltreppe des Lebens: Diese Geschichten erzählen wir

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 5 7 | M PF R E I T A G , 1 1 . J U L I 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Page 4: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

4

RolltreppedesLebens

präsentiert

haben und auf die Unterstützung ande-rer Menschen angewiesen zu sein. Erwurde1951im kleinen Hegau-DörfchenWatterdingen geboren, als viertes Kindeiner Flüchtlingsfamilie. Der Vater einPilot der deutschen Wehrmacht ausChemnitz, die Mutter aus Polen, ge-flüchtet am Kriegsende vor den Russen.„Bitterarm hat es meine Eltern in denHegau verschlagen. Wir hatten einesehr, sehr karge Kindheit“, erinnert sichBabeck. Auf dem Dorf, als Zugezogene,hatten es Rudolfs Eltern schwer. Bezahl-te Arbeit? Auf dem Dorf Fehlanzeige.„Wir Kinder versuchten, bei den Bauernauf den Feldern mitzuhelfen und so et-was Lebensmittel zu bekommen. Malfiel ein Brot ab, an besonderen Tagenauch mal ein Stück Speck oder ein KrugMost. Und an richtigen Glückstagen gabes bei uns auch Fleisch. Dann, wenn je-mandimDorfeinHuhnüberfahrenhat-te. Das wurde dann den armen Babecksgebracht“, schildert Babeck. Gar nichtlustig sind die Episoden, die der 63-Jäh-rige aus jenen Tagen seines Lebens er-zählt, in denen es keine Arbeit und kei-nen Lohn in Naturalien gab. Als nur Bet-teln blieb, um Überleben zu können.„WirsindzudenBauernimDorfundha-ben Igmax-Brot erbettelt“, erinnert sichBabeck. Igmax, so heißt im HegauerDialekt Eingemachtes, Marmelade. Sosüß diese Brote im Hunger damals auchwaren, so bitter hat sie der Singenerheute noch im Kopf. Betteln zu müssen,ganz unten zu stehen auf der sozialenLeiter, diese Schmach hat sich bei ihmtief ins Innerste eingebrannt.

Auf diesen untersten Stufen der so-zialen Leiter musste Dieter Schmid ausWaldhaus im Landkreis Waldshut niestehen. Echten Hunger kennt er nicht.Der 46-Jährige wuchs in einer klassi-schen Unternehmerfamilie auf. „Trotz-dem habe ich mich nie als reiches Kindgefühlt“, sagt der Inhaber der Privat-brauerei Waldhaus am Hochrhein undbetont: „Ich bin eigentlich so aufge-wachsen, wie alle meine Freunde ummich herum. Natürlich mussten wiruns keine Sorgen machen, was es amnächsten Tag zu essen gab“, erläutertSchmid. Dafür gab es andere Problem-felder: Früh verstarb seine Mutter, da

Essen. Nahrung. Und Hunger. Vor allemum diese Eindrücke kreisen die Gedan-ken bei Rudolf Babeck, wenn er sich aufseine Kindheit zurückbesinnt. Der heute63-Jährige aus Singen am Hohentwiel,ein erfolgreicher Geschäftsmann undHandwerker, sitzt auf einer Werkbankseiner 75-Mann-Sanitärfirma. Seine Au-gen leuchten: „Bei uns zu Hause gab esdamals vor allem Milchmocken“, erzählter. Milchmocken? Das meint eine Mi-schung aus Milch, eingetunktem Brotund etwas Zucker. Man könnte auch sa-gen, eine Milchsuppe mit Broteinlage.Milchmocken konnte es bei Familie Ba-beck in diesen frühen 50er-Jahren desvorigen Jahrhunderts auch schon mal inder Light-Variante geben: „Ohne Milch,wenn keine da war. Dann gab es das Broteben eingeweicht in Wasser“, schildertRudolf Babeck. „Diese Milchmocken gabes morgens zum Frühstück. Zum Abend-essen meist auch“, sagt Babeck und war-

tet auf die naheliegende Frage des Besu-chers. Und was gab es zum Mittagessen?Babeck schmunzelt. „Tja, da gab es meistgar nichts“, weiß er noch bestens.

Auch sechs Jahrzehnte später, in einerZeit mit prall gefüllten Supermarktrega-len, inderMilchmockensuppedenaller-meisten Menschen völlig unbekannt ist,auch 2014 haben mehr Kinder als mandenkt Hunger und wenig zu essen. Kin-derarmut betrifft etwa jedes zwanzigsteKind in Baden-Württemberg, jedeszehnte ist „armutsgefährdet“, sagt dieStatistik. Im Armutsbericht der Bundes-regierung sind die Gründe aufgelistet,die meist zusammenkommen, wennKindern heute der Magen knurrt undnicht genügend da ist, ihren Hunger zustillen. Armut ereilt vor allem Kinder ausFamilien mit Migrationshintergrund,Kinder von alleinerziehenden und ar-beitslosen Eltern und aus Familien mitsehr vielen Kindern. Es ist häufig eineungute Mischung aus diesen Faktoren,die Kinder im reichen deutschen Südenarm und hungrig bleiben lässt.

Rudolf Babeck weiß aus bitterer Er-fahrung, wie es ist, wenig bis nichts zu

VON

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Rolltreppe des Lebens: Die Kindheitvon Rudolf Babeck aus Singen war ge-prägt von großer Armut. Der WaldhauserDieter Schmid profitierte während seinerAusbildung vom Wohlstand der Unterneh-merfamilie

V O N J Ö R G B R A U NU N D M O N I K A O L H E I D E................................................

Für ihn lief seineKindheit allesandere als rund. Ingroßer Armut istRudolf Babeckaufgewachsen, oftfehlte es am Nötigs-ten. Heute ist erGeschäftsführer derSingener Handwerk-erfirma Widmann.Die Sorgen derÄrmsten hat er nichtvergessen.B I L D : GE R A L D JA R AUS C H

Das einzigeFoto von RudolfBabeck ausKindertagen.B I L D : P RI VAT

................................................

„Meine Kameraden bekamen allePäckchen, in denen Leckereien derEltern steckten. Ich bekam keine. Mirblieb nur wieder, bei den Kameradenum Kakao zu betteln.“

Rudolf Babeck, Singen................................................

..........................................................................................

DER BIBELSPRUCH

Jesus spricht: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!,wird in das Himmelreich kommen, sondern nur,wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.“

Matthäus 7,21

DER KALENDERSPRUCH

„Alles ist entbehrlich, wenn man es lange besitzt.“

Rainer Malkowski, deutscher Lyriker, 1939–2003...........................................................................................

MODE

Fetzen-Look bei Jeans wird radikalerJeans mit Rissen und Löchern sind eigentlich schon lange beliebt. Aberjetzt steigert sich das noch einmal: Die angesagten Jeansmodelle sehenrichtig zerfetzt aus. Lange Risse sowie vor allem große Löcher an denKnien sind im Trend, erläutert die Stilberaterin Silke Gerloff aus Of-fenbach. „Im extremsten Fall ist das Knie ganz frei.“ Häufig haben dieModelle auch weiße Flecken, die wie ausgewaschen aussehen. Der„destroyed“-Look (deutsch: zerstört) ist aber nichts für alle: Die Modellestehen eher Jüngeren, „im mittleren Alter sieht das nur noch albernaus“, findet Gerloff. (dpa)

RENTE

Auch Selbstständige können gesetzlich versichert seinBäcker, Tennislehrer, Optiker und Hebammen haben etwas gemeinsam:Sie sind Pflichtversicherte im gesetzlichen Rentensystem. Andere Selbst-ständige können freiwillig über die gesetzliche Rentenkasse vorsorgen.Darauf weist die Stiftung Warentest hin. Der Vorteil: Die gesetzlicheRente bietet – anders als viele private Rentenversicherungen – Hinter-bliebenenschutz und Rehaleistungen. Der Beitrag für eine freiwilligeMitgliedschaft ist frei wählbar und liegt derzeit zwischen 85 Euro und1125 Euro monatlich. Dabei gilt: Je mehr eingezahlt wird, desto höherfällt später die Rente aus. (dpa)

URLAUB

Wichtige Dokumente vor Reise-Start kopierenVor Reisen ins Ausland empfiehlt es sich, wichtige Dokumente zu kopie-ren. Die Kopien sollten getrennt von den Dokumenten aufbewahrtwerden, rät die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Zu den wich-tigen Dokumenten zählen Ausweispapiere, Geld- und Krankenkassen-karten sowie Fahrkarten oder Flugtickets. Bei einem Verlust am Reiseortmuss eine Anzeige bei der Polizei erstattet werden. Dazu empfiehlt sich,die Kopien der Dokumente bereitzuhalten. Konten sollten sofort ge-sperrt werden. Bei Verlust von Ausweispapieren stellen die Konsular-abteilungen der Botschaften, die Generalkonsulate und einige Honorar-konsulate Reiseausweise zur Rückkehr nach Deutschland aus. (dpa)

FAMILIE

Spielplatz nach Sturm gründlich prüfenEltern sollten Kinderspielplätze bei jedem Besuch auf Sicherheit über-prüfen. Wichtig ist das nach einem Sturm oder Gewitter: Dann könnenin den Bäume abgebrochene Äste festhängen, die später herunterfallenund Kinder verletzen können. Auch der Boden des Spielplatzes solltefrei von Ästen und Steinen sein. Darauf weist der TÜV Rheinland hin.Außerdem müssen Spielgeräte aus Holz genau angeschaut werden:Pilzbefall, Moose und Flechten auf Schaukel oder Balancierbalken wei-sen auf eine zerstörte Holzstruktur hin. Kinder sollten sich davon fern-halten, da die Geräte unter Umständen nicht mehr so stabil sind. (dpa)

Das Erste stellt nachfast 20 Jahren dieDaily Soap „VerboteneLiebe“ ein. Die letzteFolge wird voraus-sichtlich Anfang 2015

ausgestrahlt. Nachfolger auf demSendeplatz am Vorabend um 18Uhr wird das „Quizduell“ mit JörgPilawa. „Verbotene Liebe“ habeeinen langen Atem gehabt, sagteARD-Programmdirektor VolkerHerres. „Aber irgendwann sindalle Schattierungen des Verbote-nen und Glamourösen erzählt.“Nun sei der richtige Zeitpunkt, umaufzuhören. (epd)

ARD

„Verbotene Liebe“ geht,„Quizduell“ kommt

Eine einzige Frau hatdie freie Auswahlunter 20 Männern –das Fernsehpublikummochte sich in dieserWoche noch nicht so

recht mit dem Thema anfreunden:2,57 Millionen Zuschauer ver-folgten am Mitttwoch den Startder neuen RTL-Show „Die Bache-lorette“, in der Anna-ChristianaHofbauer (26) auf der Suche nachdem idealen Partner ist. DerMarktanteil betrug 10,3 Prozent.Beim anschließenden Magazin„Stern TV“ stieg die Sehbetei-ligung auf 2,63 Millionen. (dpa)

RTL

Mäßiger Auftakt fürdie „Bachelorette“

Menschen und medien

NAMENSTAGESamstag: Rufina, Bernold, Theodor, Theodoros, Bernulf, Marina, JustaSonntag: Margit, Annegret, Elias, Margareta, Margot, Volkmar, Wilmar, Bernhard...........................................................................................

Tipps und Trends

Eurojackpot 5 aus 50:6, 11, 15, 18, 45Eurojackpot 2 aus 8:5, 8Eurojackpot:Gewinnklasse 1: Unbesetzt(Jackpot: 5 )Gewinnklasse 2: 411 696,00 5

Gewinnklasse 3: 53 520,40 5

Gewinnklasse 4: 2 906,00 5

Gewinnklasse 5: 228,70 5

Gewinnklasse 6: 116,50 5

Gewinnklasse 7: 50,30 5

Gewinnklasse 8: 19,90 5

Gewinnklasse 9: 14,10 5

Gewinnklasse 10: 14,10 5

Gewinnklasse 11: 9,70 5

Gewinnklasse 12: 7,70 5

Keno: Ziehung vom 18.07.2014: 1,2, 4, 5, 7, 19, 22, 23, 30, 32, 33, 41,42, 48, 51, 54, 57, 58, 60, 67

Plus 5: 6 4 3 1 3

(Alle Angaben ohne Gewähr)

Gewinnzahlen

14 Leben und WissenS Ü D K U R I E R N R . 1 6 4 | M PS A M S T A G , 1 9 . J U L I 2 0 1 414 Leben und Wissen S Ü D K U R I E R N R . 1 6 4 | M PS A M S T A G , 1 9 . J U L I 2 0 1 4

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In unserer Region setzen sich viele Menschen für Kinder ein. Diesevier Beispiele zeigen, was vor Ort alles möglich ist:

➤ Schwarzwald: Die Prokids-Initiative in Villingen-Schwen-ningen begann eigentlich mit einem Fernsehabend beiJoachim Spitz. Der 44-Jährige Geschäftsführer und Gesell-schafter einer Druckerei sah einen Bericht über Kinder inBerlin, die ohne Frühstück und ohne Vesper zur Schulegehen müssen und dort auch noch aus finanziellen Grün-den vom Mittagessen ausgeschlossen werden. Der verhei-ratete Familienvater war empört und stellte sich eineFrage: Gibt es das bei uns auch? Die erschütternde Ant-wort lautete Ja und Spitz handelte: Er druckte Kalenderund Weihnachtskarten, verkaufte diese und spendete dieEinnahmen. In der Folge institutionalisierte er seine Be-mühungen und gründete die Prokids-Stiftung. Hier sam-melt Spitz bis heute Spenden und erfährt dabei starkeUnterstützung, weil viele potente Geldgeber es schätzen,dass ihre Zuwendungen in der Region wirken. Spaghettifür Kinder, die das Schulessen nicht bezahlen können undkleine Weihnachtsgeschenke werden seither so organisiert.Spitz initierte auch eine Babyklappe in Schwenningen. Erist Vorstandsmitglied im Gewerbeverein GVO und alsfrüherer SERC-Eishockeyspieler eng mit vielen gesell-schaftlichen Schichten in der Doppelstadt vernetzt. (tri)www.prokids-mentoring.de➤ Hochrhein: Kiwanis ist eine weltweite Organisation vonFreiwilligen, die sich aktiv für das Wohl von Kindern undder Gemeinschaft einsetzen. Der Kiwanis-Club Waldshut-Tiengen wurde 1989 organisiert und hilft mit gezieltenMaßnahmen vornehmlich auf regionaler Ebene. Derzeithat der Waldshuter Club unter Präsidentschaft von PeterKönig 36 Mitglieder. Zu den Projekten gehört unter ande-rem die Schulranzenaktion. Mit dem durch die Teilnahmeam Stadtfest Tiengener Sommer eingenommenen Betragwerden Schulranzen für Kinder aus finanziell schlechtgestellten Familien besorgt. Bei der Kinderweihnachts-wunschaktion werden in Zusammenarbeit mit dem Sozial-amt bedürftige Adressaten ermittelt und Weihnachts-wünsche bis 20 Euro erfragt. Diese Wunschzettel werdenan Spender verkauft. Die Geschenke besorgen und ver-teilen alljährlich die Kiwanis-Mitglieder. Alle zwei Jahrewird zudem ein großer Charity-Ball gemeinsam von Kiwa-nis, Rotary und Lions aus Waldshut-Tiengen ausgerichtet.Der Erlös geht an ein Projekt in der Region. (tan)www.waldshut-tiengen.kiwanis.de➤ Bodenseekreis: Der Kinderschutzbund Überlingen istein gutes Beispiel für ehrenamtliche Hilfe, die ankommt.Der Verein hat viele Aufgaben und kümmert sich umviele Menschen und Familien. Dabei geht es nicht nurum diejenigen, die wirklich schwere Schicksale haben,sondern auch um Hilfe für ganz normale Familien mitganz normalen Problemen. Die Aktiven helfen im Hinter-grund und tun dies mit der nötigen Diskretion. Bargeldgibt es nicht. So werden die Familien gar nicht erst inVersuchung gebracht, die gewährte Unterstützung falscheinzusetzen. Künftig will der Kinderschutzbund seinAngebot noch niederschwelliger etablieren. Dazu ge-hören beispielsweise auch Hausaufgabenhilfe, Projektemit Trennungskindern und die Begleitung von Allein-erziehenden. (emb)www.kinderschutzbund-ueberlingen.de➤ Kreis Konstanz: „Widmann hilft Kindern in der Region“ist ein gemeinnütziger Verein, den Rudolf Babeck ausSingen gemeinsam mit Mitstreitern und Freunden ge-gründet hat. Bis zu 50 000 Euro schüttet der Verein proJahr an Kinder im Landkreis Konstanz aus. Kinder, dieMangel, Unterversorgung und auch richtigen Hungererleben. Der Verein unterstützt Schulfrühstücke in vielenSchulen, damit die Kinder wenigstens einmal am Tagetwas Vernünftiges zu essen bekommen. Er verteilt ge-brauchte Kinderkleidung und Schuhe, die bei einer jähr-lichen Weihnachtsaktion gesammelt und dann an Bedürf-tige ausgegeben werden. Jährlich spendiert der Vereinbergeweise Schulranzen für Kinder minderbemittelterEltern. Und auch sonst bekommt fast jeder Unterstützungund Hilfe, der für seine Kinder in irgendeiner Form För-derung für die Ausbildung braucht. Außerdem finanziertder Verein auch die Singener Babyklappe, die privat einge-richtet wurde und in die schon von mehreren verzweifel-ten Müttern Babys anonym abgelegt wurden. (jöb)www.widmann-kids.de

Alles rund um die Seriefinden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

Unterstützung für Kinderund Familien in der Region

war Dieter Schmid gerade drei Jahre alt.Das führte zu einer sehr engen Bindungvon Vater und Sohn.

In einem Punkt unterscheiden sichKindheit und Jugend von DieterSchmid jedoch deutlich von so man-chen Altersgenossen: „Das Thema Aus-bildung wurde immer gefördert.“ Sowar es ihm möglich, nach der Berufs-ausbildung zum Brauer und Mälzer zu-nächst ein Jahr mit seiner heutigen Fraumit dem Rucksack um die Welt zu rei-sen, ehe er im Anschluss Betriebswirt-schaft und Brauwesen studierte. „Dasist natürlich schon etwas Besonderes.“Insgesamt zehn Jahre kehrte Schmiddem Hochrhein den Rücken, verbrach-te auch einige Zeit im Ausland, ehe er1997 als Geschäftsführer in das heute180 Jahre alte Familienunternehmeneinstieg. „Ich habe seit jeher ein sehrenges Verhältnis zu meinem Vater. Daswar natürlich klasse, als wir vor 17 Jah-ren erstmals die Brauerei gemeinsamführten: Er brachte mir ein Riesenver-trauen entgegen und ließ mich meineneigenen Weg gehen.“ Doch Unterneh-mer Helmar Schmid hielt nichts davon,seinen Sohn über Gebühr zu verwöh-nen – zu sehr ging es um den Auf- undAusbau des Familienbetriebs. Und zu-dem: Luxusgegenstände gab es damalskaum, kein Vergleich zu den heutigenVerhältnissen. „Ein Parka und ein PaarTurnschuhe, das war es“, erinnert sichDieter Schmid und lacht.

Turnschuhe! Die trägt Rudolf Babeckheute auch gerne. In seiner Kindheitwar das allerdings ein unerfüllterTraum: „Ich war das vierte Kind undmusste natürlich die Schuhe meinerGeschwister auftragen. Doch vieleSchuhe waren mir zu klein. Ich bekamschnell verkrüppelte Zehen“, berichtetBabeck.SchmerzendeFüßeplagtenihnjahrelang. Noch heute leidet er an Fehl-stellungen seiner Füße. Ein weiteresHandicap plagte den Hegauer: seineSprachstörung. Auch sechs Jahrzehntespäter gerät Babeck manchmal leichtins Stottern, muss seine Worte langsamwählen. Früher war es jedoch massivschlimmer, sagt er. So schlimm, dass erins Internat geschickt wurde. Und auchdort tauchte er wieder auf, der böseSchatten der Armut, der Mittellosigkeit:„Meine Kameraden bekamen alle Päck-chen, in denen Leckereien der Elternsteckten. Ich bekam keine. Mir bliebnur wieder, bei den Kameraden um Ka-kao zu betteln“, weiß Babeck sich nochgut zu erinnern. Oft gab es statt einemAlmosen aber nur hämischen Spott we-gen seines Stotterns. Diese Häme, die-ser Spott ließen Rudolf Babeck aber

nicht verbittern. Im Gegenteil. Zielstre-big und fleißig arbeitete er sich aus derArmut heraus. Die Hauptschule schlosser als einer der Besten ab. Durchschnitt1,1.BeiderFirmaFXRuchinSingenstieger als Groß- und Außenhandelskauf-mann-Azubi ein. Babeck betreute denKunden Widmann in Singen und wech-selte dorthin. Jahrelang rackerte er hart,schuftete sich zum Prokuristen nachoben und wurde später damit belohnt,die Firma als Chef übernehmen zu dür-fen. Eine persönliche Erfolgsstory. Heu-

te zählt das Familienunternehmen 75Mitarbeiter für Heizungsbau, Sanitär-und Lüftungstechnik. Babeck übergibtdie Verantwortung für sein Lebenswerkderzeit Stück für Stück an seine Kinder.

In Waldhaus unterdessen führt DieterSchmid heute alleine die Familientradi-tion der Brauerei fort. „Zum Glück habeich großen Spaß daran“, sagt er. Die Fra-ge, ob er die Verantwortung für ein Un-ternehmen mit 30 Beschäftigten denntatsächlich wollte, habe sich nie gestellt.Bei seinen Kindern Yannik und Janinamöchte er diesen Punkt anders ange-hen. „Sie sollen Zeit bekommen, ihrenWeg zu gehen, sich dann aber auch ir-gendwann klar entscheiden, ob sie dasUnternehmen fortführen wollen oder

nicht.“Seine Familie ist Dieter Schmid be-

sonders wichtig. Er sagt: „Ich bin Unter-nehmer, bin gerne erfolgreich, liebe denErfolg aber vor allem meine Familie.“Die Wünsche von Kindern in der heuti-gen Zeit sind groß und kostspielig. Dasneuste Handy, schicke Klamotten: VieleEltern können und wollen sich das nichtleisten. Auch Dieter Schmid möchte sei-ne Kinder keinesfalls mit Luxusgüternüberschütten. Eher im Gegenteil: „Er-folg bedeutet für mich vor allem, viel Zeitmit meiner Frau und meinen beidenKindern zu verbringen, das empfindeich als viel wertvoller als alles andere.“Dementsprechend setzt Schmid Priori-täten. Dass ein erfolgreicher Unterneh-mer auch mit Missgunst umgehen kön-nen muss, ist Schmid durchaus bewusst,aber er betont: „Man sollte immer sei-nen eigenen Weg gehen, auch wenn mandadurch Gefahr läuft, es nicht jedemrecht machen zu können.“ Die Sorgender Gesellschaft hat Schmid dabei nichtaus den Augen verloren. Regelmäßigspendet seine Brauerei an Bildungsein-richtungen in der Region. Denn Schmidweiß, wo Prioritäten gesetzt werdenmüssen: „In der Jugend wird die Grund-lage dafür geschaffen, was der Einzelnespäter erreichen kann. Und eine guteAusbildung ist ohne Frage die Basis.“

Das beherzigt auch der Singener Ru-dolf Babeck. Er gründete zusammenmit Freunden einen Verein, der jungenMenschen die Grundlage dafür legenhilft, sich selbst zu helfen, der Armut zuentkommen. Es zu schaffen, im Leben.Trotz einer Kindheit mit Hunger undEntbehrungen.

Ein Unternehmerdurch und durch:Dieter Schmid leitetdie PrivatbrauereiWaldhaus naheWaldshut-Tiengen.Bereits in seinerKindheit spielte dasUnternehmen imFamilienleben einegroße Rolle undschon damals gab esdie beiden großenKupferbraukessel.B I L D : JA S C H - R A M ST EC K

Sorgenfreie Kindheit inWaldhaus: Dieter Schmid

1981 mit seinem Hund.B I L D : P RI VAT

................................................

„In der Jugend wird die Grundlagedafür geschaffen, was der Einzelnespäter erreichen kann. Und eine guteAusbildung ist ohne Frage die Basis.“

Dieter Schmid, Unternehmer am Hochrhein................................................

Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften mit Kindern

QUELLE: STATISTISCHES LANDESAMT BAWÜ / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Landkreis Konstanz

Landkreis Lörrach

Schwarzwald-Baar-Kreis

Landkreis Waldshut

Bodenseekreis

Landkreis Tuttlingen

Landkreis Sigmaringen

1402 2194

1761

1485

976

916

844

773

-24

-24

-25

-28

-30

+244

-31

7921127

634959

526619

357648

268592

252492

281

Alleinerziehende Partner mit Kindern Veränderung inProzent zu 2006Gesamt

Wir befassen uns 13 Wochen mit demThema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? .11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit...19. Juli• Armut und Reichtum im Alter .........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär .2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg..................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit...............................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..............................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens ...........30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat ................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen.....................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen .............27. September• Essay: Ein neuer Reichtum..........................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Leben und Wissen 15S Ü D K U R I E R N R . 1 6 4 | M PS A M S T A G , 1 9 . J U L I 2 0 1 4 Leben und Wissen 15S Ü D K U R I E R N R . 1 6 4 | M PS A M S T A G , 1 9 . J U L I 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

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RolltreppedesLebens

präsentiert

Die Rentnerin Marlies Bujak sitzt in ih-rer kleinen Einzimmerwohnung in Sin-gen und schaut auf den Heinrich-We-ber-Platz. Von hier aus hat die 65-Jähri-ge alles im Blick. Das Leben da draußenist in Bewegung. In ihrem lichtdurch-fluteten Raum herrscht hingegen Stille.Nur die kleine, weiße Hündin Vlala wu-selt um die Ecken. Die freundlich einge-richtete Wohnung mit ihren hellen Mö-beln ist Marlies Bujaks Ankerpunkt:Bett, Schrankwand, Sofa, Fernsehgerätund CD-Player. Die Einbauküche hatsie mitgemietet. Von der AWO. Seit fünfJahren spielt sich Marlies Bujaks Lebenhauptsächlich auf diesen 42 Quadrat-metern ab, wenn sie nicht gerade eh-renamtlich in der Singener Tafel hilft.„Ich lass’ mich nicht runterziehen.“Diesen Satz wird sie an diesem Tag nochmehrmals wiederholen. So als wäre dasihr persönliches Mantra.

Die Zahl der Rentner, die in Deutsch-land in Armut leben, hat sich in den ver-gangenen zehn Jahren nahezu verdop-pelt. Nach Angaben des StatistischenBundesamtes verfügten 2012 fast einehalbe Million Menschen älter als 65 le-diglich über den Betrag der staatlichenGrundsicherung. In Baden-Württem-

berg mussten 12 Prozent aller Über-65-Jährigen im Jahr 2011 unterhalb der de-finierten Armutsschwelle leben, dassind60Prozentdesbedarfsgewichtetenmittleren Einkommens. 2011waren das843 Euro. Bundesweit waren zu diesemZeitpunkt 13,3 Prozent arm. Dabei gilt,dass viel mehr Frauen als Männer vonAltersarmut bedroht sind, weil sie einedeutlichgeringereRenteerhalten.Sozi-alwissenschaftler prognostizieren fürdie kommenden Jahre einen raschenAnstieg dieser Zahl. Bis 2030 soll dem-nach fast jeder zweite Bundesbürgerüber 65 eine Rente beziehen, die unteroder nur wenig über dem Sozialhilfe-satz liegt. Andererseits: Mehr als dieHälfte der Rentenbezieher in Deutsch-land werden 2030 über dieser Armuts-grenze leben. Mancher von ihnen indeutlich besseren bis sehr guten mate-riellen Verhältnissen.

Beispielsweise Professor Martin Her-zog.Derheute77-jährigePensionärwarerster Landrat des Bodenseekreises,Oberbürgermeister von Friedrichsha-

VON

LUXU

Sun

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dürfn

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V O N M I C H A E L S C H N U R RU N D G U D R U N T R A U T M A N N................................................

Rolltreppe des Lebens: Die SingenerRentnerin Marlies Bujak lebt von Sozial-hilfe, Ex-Wirtschaftsminister MartinHerzog pendelt zwischen seiner Farmin Namibia und Friedrichshafen

fen, Aufsichtsratsvorsitzender der ZFund von1984 bis1991Wirtschaftsminis-ter des Landes Baden-Württemberg.Nachdem er einige Jahre Geschäftsfüh-rer der Filztuchfabrik D. Geschmay inGöppingen war, gehörte er bis zu seinerPensionierung der Geschäftsführungdes Verbandes der Automobilindustriean.EinLebeninBewegungundeines, indem der Jurist ein Vermögen ansam-meln konnte. So war es ihm in den 90er-Jahren möglich, eine Farm in Namibiazu kaufen. „Ich habe es als ein riesigesGeschenk empfunden, dass ich das hiermachen durfte“, erklärt Herzog undblickt dabei von der Terrasse seines na-mibischen Farmhauses auf die endloseWeite der Namibwüste. Das geräumigeFarmhaus steht auf dem Boden einer8000HektargroßenFarmundhatdamitmehr Grundfläche als seine Heimat-stadt Friedrichshafen mit rund 7200Hektar.HierherziehtHerzogsichindenkalten deutschen Wintermonaten zu-rück und genießt die afrikanische Son-ne am Pool. Er geht auf die Jagd oderhilft seinem Farmverwalter bei den all-täglichen Arbeiten auf einer Rinder-und Ziegenfarm. Lediglich zur Weih-nachtszeit und wenn in Deutschlandder Frühling Einzug hält, kehren MartinHerzog und seine Frau Cornelia an denBodensee zurück. Dort bewohnt derPensionär in Friedrichshafen ein soli-des Einfamilienhaus. „Wenn ich auf derTerrasse in Deutschland sitze, träumeich von Namibia. Aber wenn ich dortuntenamPoolmeinenSundownertrin-ke, zieht es mich zurück nach Deutsch-land.“

Da ist der Lebensrahmen der Singe-ner Rentnerin Marlies Bujak deutlichkleiner gezogen. Sie ist froh und dank-bar, dass ihr der Coup mit der Wohnunggelungen ist. Sie schickt einen Blickzum Himmel, wenn sie erzählt, wie siedamals die leere Wohnung entdeckteund dann gebangt hat, ob sie unter allden Anwärtern wohl zum Zuge kom-men würde. Noch heute empfindet siedas als Glück, denn hier ist sie mit sichim Reinen. „Ich bin ein Stubenhocker“,sagt sie schmunzelnd und verweist aufihre vier Wände. In ihrer Nachbar-schaft fühle sie sich wohl. Viel mehrbrauche sie nicht. „Höchstens viel-leicht mal eine Freikarte für eine Veran-staltung in der Stadthalle“, entfährt esihr dann doch. Denn die kann sie sich

................................................

„Solange ich meine Miete zahlenkann, ist alles in Ordnung. Das Essenist mir nicht so wichtig.“

Marlies Bujak................................................

Die Singener Rent-nerin Marlies Bujakin ihrer Einzimmer-wohnung am Hein-rich-Weber-Platz.Die 65-Jährige lebthier zwischen Bett,Schrankwand, Sofa,Fernsehgerät undCD-Player.B I L D : JA R AUS C H

..........................................................................................

DER BIBELSPRUCH

Jesus spricht: „Was macht ihr euch darüber Gedanken,dass ihr kein Brot habt? Begreift und versteht ihrimmer noch nicht? Ist denn euer Herz verstockt?“

Markus 8,17

DER KALENDERSPRUCH

„Ohne die Armut durchlebt zu haben,weiß man den Luxus kaum zu schätzen.“

Charlie Chaplin, britischer Schauspieler und Regisseur, 1889–1977...........................................................................................

PARTNERSCHAFT

Ältere Singles kosten lieber ihre Freiheit ausIm Alter genießen einer Umfrage zufolge immer mehr alleinstehendeSenioren ihre Freiheit. So erklärten über die Hälfte der 70-jährigenSingles, eine dauerhafte Bindung komme für sie nicht mehr infrage. AlsGrund dafür gaben sie an, ihre jetzigen Freiheiten nicht mehr aufgebenzu wollen, wie eine Erhebung der GfK Marktforschung Nürnberg ergab.Dieser Meinung ist im Durchschnitt aller Alleinstehenden in Deutsch-land nur jeder Dritte. Ähnlich groß sei der Anteil der Männer und Frau-en, die die Ansicht vertreten, dass sie als Single mittlerweile Marottenentwickelt hätten, die sie einem Partner kaum zumuten könnten. (KNA)

VERKEHR

Entnahme der Blutprobe geht auch ohne RichterWenn nachts kein Richter greifbar ist, darf die Polizei angetrunkenenAutofahrern auch ohne richterliche Genehmigung Blut abnehmenlassen. Das hat das Düsseldorfer Landgericht jetzt entschieden undeinen Anwalt wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr zu1750 Euro Geldstrafe (25 Tagessätze à 70 Euro) verurteilt. Außerdem darfer mindestens sechs Monate lang kein Auto fahren. (dpa)

UMFRAGE

Viele Deutsche stören sich am NacktbadenSteigen die Temperaturen, fallen die Hüllen: Doch viele Deutsche störensich an zu großer Freizügigkeit. Insgesamt 63 Prozent der Bürger haltenNacktbaden nur in eigens dafür ausgewiesenen Bereichen für akzepta-bel, wie aus einer Emnid-Umfrage hervorgeht. Frauen (67 Prozent) sindhierbei kritischer eingestellt als Männer (58 Prozent). An Badeseen undam Meer hält nur rund ein Viertel das Nacktbaden an öffentlich zugäng-lichen Stellen für hinnehmbar. Nur etwa jeder zehnte Deutsche würdeLiebhaber der Freikörperkultur auch im Freibad dulden. (dpa)

NAMENSTAGESamstag: Antje, Annette, Anita, Anna, Joachim, Christiane, Anja, Luise, Titus, GloriaSonntag: Bertold, Natalie, Magnerich, Rudolf, Natalia, Berthold, Konrad, Christian...........................................................................................

Tipps und Trends

Eurojackpot 5 aus 50:3, 10, 36, 43, 47Eurojackpot 2 aus 8:2, 5Eurojackpot:Gewinnklasse 1: unbesetztGewinnklasse 2: 143 579,30 5

Gewinnklasse 3: 111 991,90 5

Gewinnklasse 4: 4 922,79 5

Gewinnklasse 5: 310,00 5

Gewinnklasse 6: 141,60 5

Gewinnklasse 7: 50,30 5

Gewinnklasse 8: 23,10 5

Gewinnklasse 9: 14,70 5

Gewinnklasse 10: 14,70 5

Gewinnklasse 11: 8,40 5

Gewinnklasse 12: 8,40 5

Keno: Ziehung vom 25.07.2014:1, 7, 8, 13, 15, 16, 18, 20, 24, 25,28, 32, 35, 41, 44, 46, 51, 53, 58, 69Plus 5: 07767

(Alle Angaben ohne Gewähr)

Gewinnzahlen

Zeit Ortsgespräch Zeit Deutschland

0-9 01097 · 01097telecom · 1,19 · 6001052 · 01052 · 1,79 · 60

0-10 010033 · 010033 · 1,1 · 6001012 · 01012telecom · 1,48 · 60

9-10 01097 · 01097telecom · 1,19 · 6001052 · 01052 · 1,79 · 60

10-12 01011 · 01011 · 0,98 · 6001012 · 01012telecom · 1,48 · 60

10-12 01097 · 01097telecom · 1,27 · 6001052 · 01052 · 1,79 · 60

12-19 01011 · 01011 · 0,98 · 60010033 · 010033 · 1,1 · 60

12-19 01097 · 01097telecom · 1,27 · 6001052 · 01052 · 1,79 · 60

19-21 01013 · Tele2 · 0,43 · 6001070 · Arcor · 0,46 · 60

19-24 01013 · Tele2 · 0,49 · 6001052 · 01052 · 0,55 · 60

21-24 01013 · Tele2 · 0,43 · 6001070 · Arcor · 0,46 · 60

Wochenende und Feiertage0-19 01088 · 01088telecom · 0,9 · 60

01079 · star79 · 1,49 · 600-19 01088 · 01088telecom · 0,79 · 60

010033 · 010033 · 0,99 · 60

19-21 01013 · Tele2 · 0,49 · 6001070 · Arcor · 0,52 · 60

19-21 01013 · Tele2 · 0,43 · 6001070 · Arcor · 0,45 · 60

21-24 01013 · Tele2 · 0,49 · 6001070 · Arcor · 0,52 · 60

21-24 01013 · Tele2 · 0,43 · 6001070 · Arcor · 0,45 · 60

Die günstigsten Inlandstelefontarife(Anbieter mit Netzkennzahl · Minutenpreis in Ct. · Taktlänge in Sek.)

Allgemeine Hinweise: Alle Anbieter sind gesetzlich zur Tarifansage verpflichtet. Wir listen nur Anbieter,die über mehrere Stunden hinweg denselben Preis und minutengenau abrechnen. Ortsgespräche sindnur Telefonate zwischen Anschlüssen mit der gleichen Ortsvorwahl. Das so genannte Call-by-Call-Verfahren funktioniert nur mit einem Anschluss der Deutschen Telekom. Mehr Informationen undTarife unter www.teltarif.de. Nächste Tarifübersicht voraussichtlich am 9. August 2014

Mobilfunk: 01011 (1,99 Cent); 01060 (2,49 Cent); Österreich: 010018 (0,98 Cent); 01069 (1,61Cent); Schweiz: 01069 (1,31 Cent); 010088 (1,68 Cent); Italien: 010088 (1,04 Cent); 01069 (1,17Cent); Türkei: 01052 (2,62 Cent); 010088 (2,74 Cent); USA: 010088 (0,88 Cent); 01069 (0,96 Cent);Frankreich: 01069 (0,84 Cent); 010088 (1,24 Cent); Großbritannien: 010088 (0,77 Cent); 01069(0,96 Cent); Spanien: 010018 (0,88 Cent); 01069 (1,17 Cent); Griechenland: 010088 (0,94 Cent);01069 (1,33 Cent); Polen: 01040 (0,99 Cent); 01069 (1,27 Cent); Rumänien: 01040 (1,57 Cent);01069 (1,58 Cent); Australien: 01097 (1,43 Cent); 010052 (1,46 Cent); Kroatien: 010088 (1,38Cent); 01069 (1,49 Cent); Portugal: 010018 (0,96 Cent); 01069 (1,46 Cent)

14 Leben und WissenS Ü D K U R I E R N R . 1 7 0 | M PS A M S T A G , 2 6 . J U L I 2 0 1 414 Leben und Wissen S Ü D K U R I E R N R . 1 7 0 | M PS A M S T A G , 2 6 . J U L I 2 0 1 4

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Peter Neher ist Präsident des DeutschenCaritasverbandes, der sich mit den Folgen einersozial auseinanderdriftenden Gesellschaftbefasst

Herr Neher, Parteien und SozialverbändeDeutschlands warnen vor Altersarmut inDeutschland. Andererseits ist die Kauf-kraft der Rentnergeneration hoch. EinWiderspruch?Viele der heutigen Rentner können sich über ein höheresEinkommen freuen, als es für künftige Rentnergenerationenprognostiziert wird. Die Zahl der Rentner nimmt aufgrunddes demografischen Wandels zu. Da viele Rentner heute rela-tiv gut situiert sind, erklärt dies die verhältnismäßig starkeKaufkraft. Parallel dazu zeichnet sich aber ab, dass durch dieAbsenkung des Rentenniveaus und die zunehmend brüchi-gen Erwerbsbiographien das Risiko der Altersarmut steigt.Auch heute schon gibt es Altersarmut. Ende 2012 waren465 000 Personen, davon fast zwei Drittel Frauen, auf Grund-sicherung im Alter angewiesen, einer Art Sozialhilfe. Die Ten-denz ist steigend. Besorgniserregend ist, dass die Zahl ver-deckt armer Menschen sehr hoch ist: Knapp jeder dritteMensch über 65 Jahren hätte Anspruch auf ergänzendeGrundsicherung, beantragt diese aber nicht, meist aus Un-wissenheit oder Scham.

Armut macht einsam. Wie drückt sich dies im Alltag aus?Viele Menschen sind im Alter nicht mehr so mobil oder durchKrankheiten eingeschränkt. Das soziale Umfeld verändertsich, vor allem bei sehr alten Menschen. Häufig sind der Part-ner, Geschwister und Freunde verstorben, neue Kontaktekönnen kaum mehr geknüpft werden. Die Kinder wohnen oftHunderte von Kilometern entfernt. Für alte Menschen wer-den eine gute Infrastruktur vor Ort und eine soziale Gestal-tung des Wohnumfeldes zum Beispiel durch die Pfarrge-meinde oder Nachbarschaftshilfen wichtiger.

Es heißt, Armut ist weiblich. Wieso?In der Tat sind Frauen von Armut im Alter stärker betroffenals Männer. Denn bei ihnen sind Teilzeitbeschäftigung undlängere Pausen in der Erwerbsarbeit, etwa nach der Geburtvon Kindern, in viel höherem Maße verbreitet. Diese Zeitfehlt für die Rentenbeiträge, gleichzeitig lässt das geringereEinkommen kaum private Altersvorsorge zu.

Welche Lebensbedingungen sollte die deutsche Gesellschaftihren Bürgern als Grundversorgung garantieren?Im Sozialgesetzbuch steht, dass es die Aufgabe der Sozialhil-fe ist, „… die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das derWürde des Menschen entspricht.“ Dazu gehört, dass die Din-ge des täglichen Bedarfs finanziert werden können, aberauch ein Mindestmaß an kultureller und sozialer Teilhabe.Hier gibt es deutlichen Nachholbedarf, denn die Regelsätzesind eindeutig zu niedrig. Nach unseren Berechnungenmüsste ein alleinstehender Erwachsener monatlich 56 Euromehr bekommen. Die Situation armer Menschen hängt abernicht nur vom Geld ab sondern auch davon, welchen Stellen-wert der Mensch unabhängig von seinem Vermögen in derGesellschaft hat.

Welche Schritte müssen Ihrer Meinung nach die Sozialpoliti-ker unternehmen, damit der Altersarmut begegnet werdenkann. Was ist unabdingbar, was wünschenswert?Wichtig ist eine Grundsicherung im Alter, welche die Bedürf-nisse der Menschen wirklich deckt. Die Regelsätze sind zuknapp berechnet. Hier brauchen wir dringend Verbesserun-gen. Um Altersarmut zu vermeiden, ist eine zentrale Voraus-setzung, dass die Menschen in der Lage sind, auskömmlichzu verdienen und damit ausreichend Rentenansprüche zuerwerben. Wichtig sind auch Maßnahmen, die es ermögli-chen, dass Menschen Kinder erziehen oder Angehörige pfle-gen und gleichzeitig arbeiten können. Ältere brauchen einepositive Wertschätzung auf dem Arbeitsmarkt. SpezifischeFördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose oder Menschenmit Migrationshintergrund sind nötig, damit sie den Weg inden Arbeitsmarkt schaffen. Die nachhaltigste Lösung, um Al-tersarmut zu verhindern, ist aber nach wie vor die Investitionin Bildung. Was wir bei Kindern und Jugendlichen versäu-men, können wir später kaum nachholen.

F R A G E N : M I C H A E L S C H N U R R / B I L D D C V/A N K E J A C O B

Alles rund um die Seriefinden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

„Die Regelsätze sind zuknapp berechnet“

Empfänger von Grundsicherung im Alter

QUELLE: STATISTISCHES LANDESAMT BAWÜ, QUELLE: DEUTSCHE BUNDESBANK / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Landkreis Konstanz

Schwarzwald-Baar-Kreis

Bodenseekreis

Landkreis Lörrach

Landkreis Waldshut

Landkreis Tuttlingen

Landkreis Sigmaringen

16-24

25-34

35-44

45-54

55-64

65-74

75+

55366

44073

43860

43329

33050

25581

24367

Gesamt davon empfangenGrundsicherung

Anteil inProzent

Nettovermögen nachAltersgruppen (Mittelwert in Euro)

2420

13590

52440

81790

102490

100100

73850

Stand 2013

Personen 65 und älter

1312

904

897

811

524

459

355

2,37

2,05

2,05

1,87

1,59

1,79

1,46

Berechnung: Geldvermögen, Aktien,Versicherungsansprüche undImmobilien abzüglich Schulden

Stand Ende 2012

Gymnasium, studierte Jura. Ganz an-ders Marlies Bujak. Sie wuchs zusam-men mit sieben Geschwistern in Essenim Ruhrgebiet auf. Ihr Vater war Berg-mann. Die Eltern hielten nicht viel da-von, dass die junge Marlies eine Ausbil-dung zur Floristin anstrebte. Und soverdiente sie sich ihren Lebensunter-halt als Arbeiterin. In den SüdenDeutschlands kam sie vor 45 Jahrendurch ihren damaligen Verlobten, derbeiAllweilerarbeitete.„Wirwolltenhei-raten, aber daraus wurde nichts“, be-richtet sie. „Er ließ mich mit zwei klei-nen Kindern sitzen und war, ohne einenCent zu zahlen, für immer verschwun-den.“ Mit kleineren Jobs schaffte sie es,die Kinder großzuziehen. „Sie musstenauf nichts verzichten“, sagt sie stolz.Beide seien gut geraten und immer zurStelle, wenn sie Hilfe brauche. Aber so-lange sie kann, will Marlies Bujak ihr Le-ben selbstständig meistern. Und dazuhat sie jetzt nach langer Überwindungeinen Antrag auf Grundsicherung aus-gefüllt. Es hat eine Weile gedauert, bisder Stolz besiegt war. Überhaupt fällt esihrschwer,umUnterstützungzubitten.

Große Pläne macht Marlies Bujakgrundsätzlich nicht. „Ich hab’ nur deneinen Plan, gesund zu bleiben“, sagt sie.An einen möglichen Lottogewinn, derihr das Dasein erleichtern könnte, ver-schwendet sie nicht mal einen Gedan-ken. „Für den Einsatz leiste ich mir lie-ber mal ein Stück Kuchen.“ Ihr ganzerSonnenschein ist die kleine HündinVlala, die sie viermal am Tag zwingt, dieWohnung zu verlassen. „Sie ist einereinrassige ‚Bijou frisee’, das Edelste,was ich habe. Wenn sie mal nicht mehrist, geht’s mir schlecht“, sagt MarliesBujak und krault wie zur Versicherungdem Tierchen das Fell.

Für Rentner, die in Deutschland vonder Grundsicherung leben müssen,sind kulturelle Veranstaltungen dage-gen purer Luxus. Bei Marlies Bujak istdiese Rechnung schnell aufgemacht:735 Euro Rente erhält sie. Minus Kran-kenversicherung ergibt sich ein Betragvon 611 Euro. Davon gehen 423 EuroWarmmiete plus Stromkosten ab. „AmEnde bleiben mir 90 Euro zum Leben“,sagt Marlies Bujak. Da drängt sichschnell die Frage auf: Kann man dasnoch Leben nennen? „Solange ich mei-ne Miete zahlen kann, ist alles in Ord-nung“, sagt die 65-Jährige. „Das Essen

ist mir nicht so wichtig.“ Hauptsächlichversorgt sie sich mit günstigen Lebens-mitteln aus dem Tafelladen, wo sie aucheinmal die Woche ehrenamtlich hinterder Theke steht. Oder sie leistet sich einwarmes Mittagessen im Tafelrestau-rant. Mehr soziale Kontakte brauche sienicht. Ihr Leben ist gekennzeichnet vonBescheidenheit. Darin hat sie Übung.

Die Startbedingungen eines Men-schen entscheiden oft über seinen wei-teren Lebensweg. Viele Karrieren vonMenschen, die im Rentenalter am Ran-de des Existenzminimums leben, neh-men in mangelnden Ausbildungsver-hältnissen oder Schicksalsschlägen ih-ren Ausgang.

Martin Herzog wuchs in Schrambergim Schwarzwald auf. Er besuchte das

von ihrer schmalen Rente nun wirklichnicht leisten.

Personen mit geringer Bildung undgeringem Einkommen nehmen nur ingeringem Maße an Kultur- und Freizeit-angeboten teil. Dies hat erst jüngst derLeiter des Instituts für Sozialforschungund Gesellschaftspolitik Köln (ISG),Dietrich Engels, bei der Fachtagung„Armut und Kultur“ in Stuttgart festge-halten. Umgekehrt stehen Menschen,die materiell auf gutem oder hohem Ni-veau leben, die Türen zur Teilhabe amkulturellen und gesellschaftlichen Le-ben offen. Und: „Armut bewirkt, dasssich Menschen zurückziehen.“ Mi-chaela Hofmann vom Arbeitskreis Ar-mut der Liga der Freien Wohlfahrtsver-bände beschrieb schon vor Jahren in ei-ner Konstanzer Veranstaltung zumThema Armut diese Folgen: Armut ver-ursache Vereinsamung und Unfähig-keit, handlungsfähig zu bleiben, sichmit anderen Menschen zu vernetzen.

Martin Herzog fehlt in seinem Lebenin Namibia eigentlich gar nichts. Ein-mal abgesehen von der weit entfernt le-benden Familie, den Freunden inDeutschland oder der Kultur. Die Thea-ter- oder Musikangebote, wie er sie inSüddeutschland gewohnt ist, kann er inNamibia nicht genießen. Doch er hatAbhilfe geschaffen: Mit einem Bluray-Player und einer guten Stereoanlageholt er sich die Kultur ins namibischeFarmhaus. Außerdem spielt er häufigauf seinem elektrischen Klavier, wenner nicht gerade über Satellit die neuesteAusgabe des SÜDKURIER online liest.Auch in Namibia ist Martin Herzog„umtriebig“, wie er sagt, ist unterwegszu anderen Farmern oder unterstütztsoziale Initiativen, wie das Kinder-Hilfsprojekt Namibia-Kids. Manchmaljuckt es ihn allerdings auch in den Fin-gern: So legte er einmalseiner Frau zweiOpern-Tickets auf den Frühstückstellerdes Farmhauses: Er lud sie ein zu einemWochenende in die Metropolitan Ope-ra in New York.

Der Pensionär kann sich ein solchesGeschenk leisten und weiß, dass es ihmmateriell besser geht als vielen ande-ren: „Die Frage, ob ich im Luxus lebe,möchte ich religiös beantworten“, ant-wortet er. „Ich würde Schuld auf michladen, wenn ich das abstreiten würde.“Allein der Anspruch auf ein Ruhegehaltaus der fünfjährigen Amtszeit als Minis-ter sichert dem 77-Jährigen ein gutesAuskommen. Nach Auskunft des ba-den-württembergischen Wirtschafts-ministeriums bezieht ein Minister heu-te ein Amtsgehalt in Höhe des Grundge-halts der Besoldungsgruppe B 11, dasentspricht rund12 300 Euro. Daraus er-wächst ihm ein Mindestanspruch vonknapp 40 Prozent Ruhegehalt.

................................................

„Die Frage, ob ich im Luxus lebe,möchte ich religiös beantworten. Ichwürde Schuld auf mich laden, wennich das abstreiten würde.“

Martin Herzog................................................

Martin Herzog aufseiner Farm Okusu-va. Der Namebedeutet „Ort derRuhe“. Namibia warbis zum ErstenWeltkrieg 1914 dieKolonie Deutsch-Südwestafrika. InNamibia leben nochheute etwa 20 000Menschen mitDeutsch als Mutter-sprache.B I L D : S C H N U RR

Wir befassen uns 13 Wochen mit demThema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? .11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit .19. Juli• Armut und Reichtum im Alter.....26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosem und einem Millionär 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg..................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit...............................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..............................23. August• Startup und Ende eines Familienunternehmens ............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat ................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen.....................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen .............27. September• Essay: Ein neuer Reichtum..........................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Leben und Wissen 15S Ü D K U R I E R N R . 1 7 0 | M PS A M S T A G , 2 6 . J U L I 2 0 1 4 Leben und Wissen 15S Ü D K U R I E R N R . 1 7 0 | M PS A M S T A G , 2 6 . J U L I 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

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Rolltreppedes Lebens

Page 8: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

8

RolltreppedesLebens

präsentiert

Herr Vosseler, Herr Czeskleba, IhreLebenssituationen könnten unter-schiedlicher nicht sein: Sie, Herr Vosse-ler, sind Millionär. Sie, Herr Czesklebawaren lange Zeit obdachlos. Trotzdemgibt es in Ihren Leben eine Parallele.Diese Parallele führte Sie in unter-schiedliche Richtungen. Herr Czes-kleba, wie kam es, dass Sie obdachloswurden?Horst Czeskleba: Ich war immer auf derSuchenachmeinerFamilie, ichhabesieerst kennengelernt, als ich 16 Jahre altwar. Ich wuchs bei Pflegefamilien aufund im Heim. Die Sehnsucht nach derFamilie habe ich nie verloren. Deswe-gen habe ich zweimal geheiratet undhatte beide Male leider Pech. Ich habedamals im Gerüstbau gearbeitet undrichtig gut Geld verdient, hatte zwei Au-tos, in jedem Zimmer einen Fernseher.Doch schon die erste Ehe ging schief,die Scheidung von meiner ersten Frauhat viel Geld gekostet. Und die zweitehat fünf Kinder mitgebracht, die ichdurchfüttern musste.Thomas Vosseler: Das Geld, das Sie ver-dient haben, hat Sie nicht gestört, oder?Nur, dass es in die falsche Richtungfloss?Czeskleba: Ja, genau. Ich hatte ja garnichts mehr für mich. Und nach derScheidung von meiner zweiten Frauwurde es dann ganz schlimm. Da hat esmir gereicht und ich bin auf die Straßegegangen.

Die in der Kindheit begründete Suchenach der Geborgenheit einer Familieendete also auf der Straße. Auch Siehaben in Ihrer Kindheit Geborgenheitgesucht, Herr Vosseler?Vosseler: Ja, eine intakte Familie hatteich auch nicht. Mein Vater hat sich vonmeiner Mutter getrennt, als ich ein Jahralt war, meine Mutter starb13 Jahre spä-ter. Meine Mutter war manisch depres-siv, hat Medikamente genommen. Mei-ne Mutter liebte mich und wollte mirnatürlich jeden Wunsch erfüllen. Sokam es, dass wir im Urlaub waren undsie die Urlaubskasse innerhalb von ei-nem Tag ausgab. Dann musste meinGroßvater uns wieder Geld bringen under gab es mir, dem Siebenjährigen, zurVerwaltung. Also musste ich mit siebenauf meine Mutter aufpassen, obwohl indem Alter ja gerade die Eltern dem KindSicherheit und Geborgenheit vermit-teln müssen.

Würden Sie sagen, dass diese Kind-heitserlebnisse zu Ihrem heutigenErfolg beitragen?Vosseler: Ja. Jeder Mensch braucht einSelbstbewusstsein und dieses wurde

VON

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Zun

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Rolltreppe des Lebens: HorstCzeskleba, einstiger Obdachloser ausFriedrichshafen, und Millionär ThomasVosseler aus Villingen-Schwenningensprechen über Armut und Reichtum

bei mir durch materielle Dinge genährt.Statt von innen eben von außen. Es warimmer mein Ziel, das zu bekommen,was für andere Kinder unerreichbarwar, um es dann stolz zu präsentieren.Dadurch entwickelte ich mein Ver-handlungsgeschick und meinen Ge-schäftssinn. Und was ein Kind lernt,wird meist perfekt. Als ich sieben Jahrealt war, habe ich für mein Zimmer Ein-tritt verlangt und die Nachbarskindersind zu mir Shoppen gekommen, ichhabe die Süßigkeiten verkauft, die dieVerwandten mir schenkten. Und seitich 16 war habe ich immer gejobbt. AlsDJ habe ich gut Geld verdient, nochwährend meiner Lehre in der Schlosse-rei habe ich Versicherungen verkauft dahabe ich das erste Mal 10 000 Mark imMonat verdient. Es war immer meinTraum, eines Tages im Ferrari vor dasTor der Schlosserei zu fahren – und dashabe ich dann auch ganz schnell er-reicht. Dann habe ich Funktelefone für150 Mark eingekauft und für 300 ver-kauft und dann Videospiele – und soging das dann richtig ab. Mein Hobbywar Gleitschirmfliegen, also habe ichmit einem Freund eine Gleitschirmfir-ma gegründet, die gibt es immer noch.

Derart prägende Ereignisse wie dieEreignisse in der Kindheit oder auch dieScheidungen führen oft auch zu Brü-chen im späteren Leben. Gab es dieseBrüche bei Ihnen?Czeskleba: Ja. Als ich auf der Straße ge-lebt habe, war ich auch Alkoholiker. DerAlkohol hat alles vernebelt und ich habeauch gar nicht klar gesehen. Mir warvieles egal. Der Alkohol hat mich krankgemacht und mich fast zerstört. Aberich habe es aus eigener Kraft geschafft,wieder vom Alkohol wegzukommen.Heute trinke ich keinen Tropfen mehr.Darauf bin ich stolz.Vosseler: Mit 28 Jahren hatte ich eineFirma und mein Partner und seine Mut-ter hatten viel Geld. Die Mutter war einerichtigtolleErscheinung,so,wieichmirmeine Mutter gewünscht hätte. MeinFreund hat das Fallschirmspringen fürsich entdeckt und ist abgestürzt undtödlich verunglückt, die Mutter warnoch zwei Jahre in der Firma und hatmirdannihreAnteilegeschenkt. Ichha-be sie nie mehr gesehen. Danach hatte

Horst Czeskleba lebtheute in Friedrichs-hafen und ist weg vonder Straße. Er be-kommt Rente und hateine kleine Wohnung.Czeskleba engagiertsich ehrenamtlich inder Herberge fürObdachlose.

Je länger der Krieg im Gazastreifendauert, desto größer werden die

Ängste von Juden in Deutschland. InWuppertal flogen Brandsätze auf eineSynagoge. Zwei Verdächtige sitzen inUntersuchungshaft, darunter ein Pa-lästinenser. In Essen nahm die Polizei14 Demonstranten fest, die einen An-schlag auf die Alte Synagoge der Stadtgeplant hatten. Auch sie kamen ausdem Nahen Osten und brachten ihrenHass in die neue Heimat mit.

Es gibt aber auch eine andere Seite,die derzeit weniger ins Auge fällt: InDeutschland steigt die Zahl der Über-griffe auf Moscheen. Pro Jahr werden36 Anschläge auf islamische Gebets-häuser gezählt, das sind drei pro Mo-nat. Vor wenigen Jahren waren es nochhalb so viele. Sie sind nicht wenigerschlimm als die Angriffe auf jüdischeEinrichtungen. Sie dürfen nicht ausge-blendet werden, wenn in Deutschlandvom Islam, von Hasspredigern und an-tisemitischen Parolen die Rede ist.Auch Muslime haben in unserer Ge-sellschaft manches zu erdulden, dasnicht hingenommen werden kann.

Der Krieg im Nahen Osten vertieftdiese Gräben. Wer seine Feindbilderbestätigt sehen will, wird hier fündig.Was nimmt man von diesem Konfliktwahr? Palästinensische Frauen undKinder, die hilflos auf den Trümmernihrer Häuser sitzen? Die Raketen derHamas, die Israels Bürger in die Bunkerzwingen? Oder die Migranten, die indeutschen Fußgängerzonen ihren Ju-denhass herausbrüllen und ratloseBundesbürger vor die Frage stellen, wieweit sich der Islam mit unserem Werte-system verträgt? Die Tragödie in Nah-ost bietet jedem Betrachter seine eige-ne Brille. Auch deswegen haben einfa-che Wahrheiten Konjunktur.

Die Wirklichkeit ist komplizierter.Der Krieg um Gaza ist nur ein Konfliktvon vielen – und er ist keineswegs ty-pisch. Denn bei den meisten von ihnengeht es nicht um einen Machtkampfzwischen dem Islam und anderen Kul-turkreisen, sondern um Auseinander-setzungen innerhalb der islamischenWelt. In Syrien führt Diktator Assad seitdrei Jahren Krieg gegen sein eigenesVolk. Der Widerstand gegen ihn hatsich radikalisiert und wird inzwischenvon sunnitischen Fanatikern domi-niert. Sie marschieren in Syrien und imIrak von Stadt zu Stadt, massakrierenSchiiten, sprengen Moscheen. Im schi-itischen Iran klingeln sämtliche Alarm-

glocken. Auch Libyen versinkt im Cha-os, in Afghanistan und in Pakistan tickteine Zeitbombe. Ruhe herrscht nurdort, wo Despoten mit harter Hand re-gieren und alle demokratischen Expe-rimente unterbinden, so wie in Ägyp-ten und Algerien.

Die Islam, das zeigen diese Konflikte,ist keine einheitliche Macht. Er zerfälltin zahllose Strömungen und ist in sei-nem tiefsten Innern zerrissen über dieFrage, wohin die Reise im 21. Jahrhun-dert gehen soll. In die Moderne, hin zuden Freiheiten, Verlockungen und Ge-fährdungen einer globalisierten Welt?So sehen es die Gemäßigten, die Prag-matiker, die Weltoffenen. Sie gibt esnach wie vor. Aber sie haben es immerschwerer gegen jene Eiferer, die mitFeuer und Schwert zurückwollen zurreinen Lehre des Koran – so wie sie sieverstehen. Nicht der Islam ist das Pro-blem, sondern dessen Auslegung.

Israel hat das Pech, an eine beson-ders hartgesottene Gruppierung gera-ten zu sein: die Hamas. Man kann Re-gierungschef Netanjahu vorwerfen,dieses Monstrum selbst herangezüch-tet zu haben, indem er Gaza abriegelteund andere Palästinenserbewegungengezielt kaltstellte. Das jedoch ändertnichts an der knallharten Ideologie derHerren des Gazastreifens: Sie erinnertin ihrer antisemitischen Grundierungan die Hetzparolen deutscher Neona-zis. Wer die Israelis zu Verhandlungenmit der Hamas auffordert, sollte vorherin deren Charta blättern. „Muslim, ohDiener Gottes!“ heißt es dort, „da ist einJude hinter mir. Komm und töte ihn.“Artikel 13 lehnt ausdrücklich alle Frie-denskonferenzen zur Lösung der Pa-lästina-Frage ab. Sie bedeuten derCharta zufolge Verrat an der Sache Al-lahs. Das erklärt, warum es immernoch keine Feuerpause in Gaza gibt.Der Vorschlag scheitert nicht an Israel,sondern an der Hamas.

Ein langer LernprozessWer die Konflikte der islamischen Weltverstehen will, braucht Realitätssinnund einen Blick für die Unterschiede.Die Israelis haben in dieser Fragelängst alle Illusionen verloren. Die Eu-ropäer, vor allem die Deutschen, ste-hen hingegen am Anfang eines langenLernprozesses. Die Gemäßigten zu ver-teufeln ist ebenso fatal, wie die Fanati-ker zu verharmlosen. Die Bundesrepu-blik setzt hier noch zu oft die falschenSignale. In Berlin-Neukölln rief einImam in der Al-Nur-Moschee zur„Auslöschung Israels“ auf. Die Polizeibrauchte vier Tage, um Ermittlungeneinzuleiten. Wem hilft das? All jenen,die an Integration interessiert sind, si-cher nicht. Auf sie muss unser Gemein-wesen setzen.

I S L A M

Feuer und SchwertDie Tragödie in Nahost zeigt eserneut: Nicht der Islam ist dasProblem, sondern dessenAuslegung.

V O N D I E T E R L Ö F F L E R................................................

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Chefredakteur:Stefan Lutz

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Außenredaktionen und Geschäftsstellen inBad Dürrheim, Bad Säckingen, Blumberg, Bonndorf,Donaueschingen, Freiburg, Friedrichshafen, Furt-wangen, Markdorf, Meßkirch, Pfullendorf, Radolfzell,Rheinfelden, St. Georgen, Singen, Stockach, Triberg,Überlingen, Villingen-Schwenningen, Waldshut-Tiengen, Wehr.

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2 Themen des TagesS Ü D K U R I E R N R . 1 7 6 | M PS A M S T A G , 2 . A U G U S T 2 0 1 42 Themen des Tages S Ü D K U R I E R N R . 1 7 6 | M PS A M S T A G , 2 . A U G U S T 2 0 1 4

Page 9: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

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➤ Horst Czeskleba: Horst Czeskleba wird 1947 in SchleswigHolstein geboren. Er ist erst acht Tage alt, als ihn die Mut-ter in eine Pflegefamilie gibt. In der Pubertät macht er sichauf die Suche nach seiner Familie, 20 Halbgeschwister hater, elf vom Vater, neun von der Mutter, der Mutter be-gegnet er ein einziges Mal. Czeskleba lebt in Heimen, beiPflegefamilien, begeht Straftaten, muss ins Gefängnis.Getrieben von der Sehnsucht nach einer intakten Familie,heiratet er 1971 das erste Mal, zwei Töchter gehen aus derEhe, die bald wieder geschieden wird, hervor. Nach derScheidung greift er zur Flasche. Es folgen die Anstellungim Gerüstbau und eine neue Beziehung, die in einer Ehemündet. Auch diese Ehe scheitert, drei Jahre dauert dieScheidung, es folgt eine lange Zeit als Obdachloser. Inkeiner Stadt bleibt Czeskleba lange, er zieht durch dieganze Bundesrepublik, trinkt und wandert. Bis zum Früh-jahr 2005, dann hat Horst Czeskleba genug. Er will nichtmehr auf der Straße leben, will keinen Alkohol mehr trin-ken. Zweimal hatte Czeskleba einen Herzinfarkt, dreimaleine Herzoperation. In einer sozialen Einrichtung findet erUnterschlupf, erst in Bayern, dann in Friedrichshafen, woer eine Rente bekommt und eine kleine Wohnung hat.Ehrenamtlich engagiert er sich in der Herberge für Ob-dachlose. Das ist ihm wichtig. Das und seine Gedichte.➤ Thomas Vosseler: Thomas Vosseler aus Villingen-Schwenningen ist eigentlich schon seit seiner KindheitGeschäftsmann. Der heute 45-Jährige versteht es früh, ausnichts viel zu machen, verkauft seine Süßigkeiten, erwirbtdavon Spielkonsolen, die er seine Klassenkameradengegen Gebühr spielen lässt. Schnell entdeckt er seineLeidenschaft zur Musik, arbeitet als DJ – das ist geblieben.Vosseler macht eine Ausbildung als Schlosser. Noch wäh-rend dieser Zeit wickelt er zahlreiche andere Geschäfte ab.Immer, wenn er merkt, dass etwas begehrt ist und Erfolghat, klinkt er sich ein, kauft und verkauft – Satellitenschüs-seln, Funktelefone. Er verkauft Versicherungen, auchseinen Kollegen bei der Schlosserei. Da ist er noch keine20 und hat schon so viel Geld in der Tasche, dass er sicheinen Porsche leisten kann. Die Lehre gibt er trotzdemnicht auf. 1989 gründet er die Computerfirma Quicksoft.1986 entdeckt Vosseler seine Leidenschaft fürs Gleit-schirmfliegen, gründet 2002 U-Turn, eine Firma zur Her-stellung von Gleitschirmen und Zubehör. Die Produktionmit 200 Mitarbeitern findet in Fernost statt. (emb)

Zwei Lebensläufe: HorstCzeskleba und Thomas Vosseler

➤ Millionärsdichte in Deutschland: Nach der „JährlichenEinkommenssteuerstatistik der uneingeschränkt Steuer-pflichtigen mit einem Gesamtbetrag von einer MillionEuro oder mehr“ lebten 2001 in Baden-Württemberg 2171Millionäre, 2009 waren es 1911. Auf die Bundesrepublikbezogen veränderten sich die Zahlen von 12 504 im Jahr2001 auf 12 424 im Jahr 2009. Dazwischen gab es allerdingsstarke Schwankungen: Sowohl im Ländle als auch in derBRD stiegen die Zahlen von 2005 auf 2008 stetig an – 2008gab es in Baden-Württemberg 3079 und in der BRD 18 598Millionäre – um dann wieder einzubrechen. Der Grund fürden Einbruch ist nicht klar zu benennen. Jüngere Zahlenals von 2009 liegen noch nicht vor.➤ Obdachlosenzahlen in Deutschland: Konkrete Zahlen gebees nicht, nur Schätzungen seien möglich, teilt die Bundes-arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) mit.Diese Zahlen beziehen sich auch nicht auf die einzelnenLänder, zumal die Obdachlosen häufig viel unterwegssind, sondern auf die ganze Bundesrepublik. Die BAGWschätzt, dass die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland2012 bei 284 000 liegt, was einen Anstieg von 38 000 gegen-über dem Vorjahr bedeutet. Laut Prognose steigen dieZahlen bis 2016 weiter an: Die BAGW rechnet bis dahinmit bis zu 380 000 wohnungslosen Menschen. Bezogen aufdie Gesamtgruppe der im Jahr 2012 Wohnungslosenschätzt die BAGW Wohnungslosenhilfe die Zahl der Kinderund minderjährigen Jugendlichen auf 32 000, die derErwachsenen auf 252 000. Ursachen für die steigende Zahlder Wohnungslosen sind laut BAGW hohe Mieten, Ver-armung und Fehlentscheidungen bei Hartz IV. (emb)

Alles rund um die Seriefinden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

Millionärsdichteund Obdachlosenzahlen

Woher das Geld zum Leben kommt

QUELLE: STATISTISCHES LANDESAMT BAWÜ, 4. ARMUTS- UND REICHTUMSBERICHT DER BUNDESREGIERUNG / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Gewerbebetrieb

Nicht-Selbstständige

Kapitalvermögen

Selbstständige

Übrige

ALG II

kein Einkommen

Sozialhilfe

Erwerbstätigkeit

Rente

ALG I

sonstiges Einkommen

72 I 11

72% I 11%

12 I 77

44,7%

25,4

7,7

6,5

6,2

3,9

3,5

2,1

9 I 3

5 I 5

2 I 4sonstige öffentlicheUnterstützung

Damit verdienen Einkommensmillionäre ihr Geld?Damit verdienen alle anderen ihr Geld

Davon leben Obdachlose(nicht unterstützt durch Wohnungslosenhilfe)

Angaben in Prozent, Stand 2007

In Baden-Württemberg kommen 5,3Einkommensmillionäre auf 10.000Steuerpflichtige. Das sind etwa 0,03%aller Einwohner in Baden-Württemberg

In Deutschland lebengeschätzt 284.000

Obdachlose, das sindetwa 0,35% aller

Menschen inDeutschland

ich drei Migräneanfälle und der Arztsagte, es sei ein Burn-out und ich sollemich ruhig stellen und ein Jahr nichtsmachen. Und dann ging es ganz brutalbergab, denn ich hatte immer Angst,dass ich die Krankheit von meiner Mut-ter kriege. Plötzlich sind alle Ängstemeiner Kindheit in mir explodiert. DerAuslöser war, dass die Mutter meinesFreundes, die ich so bewundert habe,michverlassenhatte.EsgingnurumdieMutterliebe. Als sie ging, wurden dieWunden aus der Kindheit aufgerissen.

Nach allem was Sie erlebt haben: SindSie denn jeweils zufrieden mit IhremLeben und wie definieren Sie Zufrieden-heit?Vosseler: Ich habe Freunde, die sindwirklich superreich – und je reicher siesind, umso unzufriedener sind sie. Daskenne ich aus eigener Erfahrung: Ichhatte auch mal ein paar Jahre, in denenich wie ein Hamster im Rad saß und im-mer mehr und mehr haben musste. Einneuer Ferrari – aber dann gab es schondas nächste Modell und das musste ichauch haben. Das war auch so ein biss-chen ein Wettlauf mit den Kumpels. Dasist ein enormer Druck, den man sichmacht, weil man meint, man sei dannzufrieden. Aber eigentlich führt es imEndeffekt nicht zur Zufriedenheit.Wenn man es schafft, irgendwann imLebenmalandiesenPunktzukommen,dass man das bemerkt und dann Stoppsagt, dann ist das ein großer Schritt hinzur Zufriedenheit.Czeskleba: Ich bin zufrieden, weil ichnun endlich eine Wohnung habe undmich ehrenamtlich engagieren kann.Ich helfe im Obdachlosenheim, kannetwas für andere tun. Das macht michglücklich. Glücklich bin ich auch, denDruck hinter mir zu haben, die Familieernähren und Geld ranschaffen zumüssen. Das Bild vom Rad, von demHerr Vosseler erzählt hat, kenne ichauch. Ich bin froh, dass ich in dem Radnicht mehr drin bin. Und ich bin froh,dass ich nicht mehr obdachlos bin. Ichhabe wenig, aber es genügt. Also ja, ichbin zufrieden.

Und in Ihrer Zeit als Obdachloser? Waswar damals für Sie Zufriedenheit?Czeskleba: Ich habe mir eingebildet,dass ich zufrieden bin. Das war so einFreiheitsgefühl: ich habe mir damalsgedacht, alles ist schön und wenn es mirnicht passt, ziehe ich weiter. Aber es warein einziger Kampf ums Geld. Wenn esnicht gereicht hat, habe ich geklaut unddafür musste ich immer wieder ins Ge-fängnis. Nein, zufrieden war ich nie.Auch wenn manche sagen, es ist schön,

jeden Tag neu zu sehen wie man zu-rechtkommt und jeden Tag eine neuePlatte zu haben.

Was meinen Sie mit Platte?Czeskleba: Das ist unser Begriff fürdraußen schlafen.Vosseler: Wie ist das eigentlich im Win-ter? Ich denke mir oft wenn ich im Win-ter mit meinem Hund draußen bin: ohGott, wenn ich jetzt obdachlos wäre, beider Kälte...Czeskleba: Wir haben Schlafsäcke, diebis auf so und so und viel Grad runterreichen. Und wenn man in den Groß-städten ist, dann gibt es auch Sammel-unterkünfte. Aber eigentlich war mirdas egal wo ich war, denn zu der Zeit ha-be ich ja noch getrunken und der Alko-hol hat alles gleichgültig gemacht. Jetzthabe ich Hartz IV und ein bisschenbleibt mir zum Leben.Vosseler: Wenn ich jetzt beispielsweisearbeitslos wäre, würde ich gar nichtskriegen. Das ist echt brutal. Ich zahleund zahle aber würde nichts kriegen.Ich müsste erst alles verkaufen unddann würde ich was kriegen.Czeskleba: Ich kannte auch mal einen,der hatte eine Kneipe und musste dannInsolvenz anmelden, der hat jetzt auchnichts mehr.

Damit sind wir ja schon fast im Kon-trastbereich der Zufriedenheit: denSorgen. Wird das Leben sorgloser, wennman sehr viel Geld hat, oder nimmt dieSorge dann sogar zu, weil man sichimmer um das Geld sorgt?Vosseler:DerMenschneigt immerdazu,wenn er keine großen Sorgen hat, hat erkleine und aus denen kleinen macht er

Thomas VosselersTraum war es schon zuJugendzeiten, einesTages im Ferrari vordas Tor der Schlossereizu fahren. Zum Ge-sprächstermin mitHorst Czeskleba nachÜberlingen kam er mitseinem Bentley.B I L D E R : JA R AUS C H

große. Aber ich versuche, meine Sorgenimmer klein zu halten und nicht groß zumachen.Czeskleba: Wenn man obdachlos ist,macht man sich darüber Sorgen, obman satt wird und wenn man es nichtwird, nimmt man halt mal was mit.

Herr Vosseler, was denken Sie, wenn Siedie Geschichte von Horst Czesklebahören? Hätte er es auch schaffen kön-nen, reich zu werden?Vosseler (zu Czeskleba): Ich denke, dassSie es schwer hatten, die richtige Frauzu finden. Sie konnten ja nicht merken,dass das Verhalten Ihrer Partnerinnenkomisch war. Sie haben ja nie eine nor-male Familie kennengelernt. Ich denke,SiesindeinganzlieberMensch.UndSiesind nicht auf die Idee gekommen, das,was Sie verdient haben, für sich zu be-anspruchen. Und dann standen Sie aufder Straße und hatten nichts mehr.

Und Sie, Herr Czeskleba? Was hättenSie getan, wenn Sie Thomas Vosselergewesen wären?Czeskleba: Ich glaube, ich hätte es nichtgeschafft, reich zu werden. Das ist wohleine Typfrage. Herr Vosseler hat einenguten Geschäftssinn. Und ich setzemich hin und schreibe Gedichte. (ZuVosseler): Hätte ich Sie früher gekannt,dann hätten wir zusammen eine Ge-schäftsidee entwickeln können. Ich habfrüher immer Gedichte geschriebenund dann wurden daraus Postkartengemacht. Zusammen hätten wir dieverkaufen können. Mir fehlt einfach derSinn für Geschäfte.

F R A G E N : E V A - M A R I A B A S T

Wir befassen uns 13 Wochen mit demThema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli• Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg..................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit...............................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ...............................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens ...........30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat ................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen.....................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen. .............27. September• Essay: Ein neuer Reichtum..........................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 7 6 | M PS A M S T A G , 2 . A U G U S T 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 7 6 | M PS A M S T A G , 2 . A U G U S T 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

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Rolltreppedes Lebens

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RolltreppedesLebens

präsentiert

Statistisch gesehen hatte Erhard Bürkdie besten Voraussetzungen für ein er-folgreiches Berufsleben und finanziel-len Reichtum. Der heute 61-Jährigestammt aus einer Schwenninger Unter-nehmerfamilie. Sein Lebenslauf: Wehr-dienst, zwei Berufsausbildungen, ab1986 war Bürk Geschäftsführer der el-terlichenSpedition.AllesschieninOrd-nung – bis sein Leben komplett aus denFugen geriet. Bürk scheiterte und gerietin eine Abwärtsspirale, die sich immerschneller drehte: Pleite der Firma, Pri-vatinsolvenz, Hartz-IV, Alkoholsucht.

Erhard Bürk ist Hobby-Mathemati-ker. Nüchtern spricht er über sein Le-ben. Eins und Eins waren nur selten ei-ne Zwei. Seine strenge Erziehung habeihm wenig Spielraum gelassen. „AlsErstgeborener hatte ich keine Chance,mich der Verantwortung zu entziehen“,blickt er heute auf die Übernahme derFirma zurück. Gerne hätte er sich da-mals der elektronischen Datenverar-beitung gewidmet. Aber daraus wurdenichts. Die Computerbranche galt inseiner Familie als nicht zukunftsfähig.Bis Bürk im Chefsessel saß, hatte ernicht nur gelungene Jahre hinter sich.Irritierende Erlebnisse in einem Kin-derheim musste er verkraften, späterschmiss er sein Studium. Seine Jahre alsChef überdeckten diese Erfahrungenzunächst. Scheinbar alles in Butter,aber um ihn gärten Konflikte. Sein Vaterund sein Onkel, beide die Ex-Chefs desFuhrunternehmens, hatten andereVorstellungen als ihr Nachfahre.

Und Erhard Bürk musste hart um dasÜberleben des Unternehmens kämp-fen: Die späten 80er-Jahre „waren mei-ne sehr schwere Zeit,“ sagt er. Und fügthinzu: „1996 hatte die Firma wieder vol-le Auftragsbücher.“ Doch der Marktentwickelte sich nicht wie gewünscht:Die deutsche Wirtschaft baute Lagerka-pazitäten ab, ließ sich termingenau be-liefern. Man sprach von Lagerhaltungauf der Autobahn. Bei der Speditionschien das Aus unausweichlich. Derüberalterte Fuhrpark war nicht belast-bar genug fürs internationale Geschäft.Der Internethandel zog erst später an,zu spät für die Firma Bürk.

Erhard Bürk, der Mann, der die Zah-len eigentlich liebt, spricht heute ganzoffen:„Ab1996hatteichAlkoholproble-me. Das war Flucht vor der Sorge undHoffnung, irgendwie schlafen zu kön-nen.“ 2001, als Bürk die Zahlungsunfä-higkeit des Betriebs anzeigen musste,grassierte in Deutschland eine Pleite-welle.AmNeuenMarktderBörsewarenhoch gehandelte Firmen reihenweiseamEnde:Kinowelt,BrokatundDutzen-

VON

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Fall

V O N N O R B E R T T R I P P L............................................... Rolltreppe des Lebens: Erhard Bürk

aus Schwenningen und der GrüningerNorbert Müller – zwei Leben, zweiSchicksale: Vom Chefsessel zu Hartz IV,vom Kuhstall in den Chefsessel

de andere. An der Börse verbranntennach Expertenschätzungen 200 Milliar-den Euro durch Kursabstürze. ImSchatten dieser Börsen-Implosionschaute kaum einer auf das Aus einesFuhrbetriebes in Schwenningen.

In Bürks Umfeld galten „Fehler alsVersagen“, wie er sagt. Nach der Zah-lungsunfähigkeit spürte er die unerbitt-liche Schwerkraft des Abstiegs. Seineberuflichen Gehversuche nach einer Al-koholtherapie als angestellter Logis-tiker scheiterten an eigener Unlust aufArbeit oder auch insgesamt an fehlen-der Freude am eigenen Tun. Jobs hier,Jobs da – dann Gartenbau, Druckerei,eine Ich-AG. Auf seinen Schultern las-teten die Schulden von Bürgschaften fürdieSpedition.„2007hießesfürmichPri-vatinsolvenz“, zählt Bürk seine Lebens-und Leidensetappen fast minutiös auf.„Eine sehr harte Zeit“: Seit 2006 ist er bisheute nicht mehr im Urlaub gewesen,„meinen 60. Geburtstag konnte ichnicht feiern, weil kein Geld zum Feiernda war“. Depressionen und ein Rückfallin die Alkoholsucht folgten. Bürk waram absoluten Tiefpunkt angelangt.

Dass es manchmal anders kommt, alsgedacht, zeigt auch die Lebensge-schichte von Norbert Müller. Er wuchsnahe eines Kuhstalls bei Donaueschin-gen auf. Abitur, ein Studium? Das warfür ihn nicht möglich, er musste Geldverdienen. 138 Mark betrug sein ersterLohn, 50 Mark flossen in die elterlicheKasse. Denkbar schlechte Vorausset-zungen für eine große Karriere. Dochheute arbeitet er in der Chefetage vonToto-Lotto Baden-Württemberg. Aufseiner Visitenkarte prangt das schöneWort „Direktor“. Er hat es geschafft:Quasi vom Kuhstall in die Chefetageund das ohne Abitur und Studium. „Niehätte ich an so etwas geglaubt, wäre mirdas damals prophezeit worden“, sagtder 59-Jährige. Ein bemerkenswerterLebenslauf, denn statistisch gesehenwaren Norbert Müllers Chancen ge-ring: Menschen mit niedrigem Bil-dungsstand sind zweieinhalbmal so oftvon Armut bedroht wie der Durch-schnitt. Genaue Planung bestimmteMüllers Weg: Ziele setzen, sich dafürWegbegleiter suchen, sich fleißig stän-dig fortbilden. Sein Leben habe er im-merakribischverwaltet.Prägendwarenfür ihn die Jahre in der Buchhaltung der

Erhard Bürk, erstChef, dann Hartz-IV-Empfänger. SeineBestimmung hat erspät gefunden:Kinder unterrichten,ihnen helfen, dasbedeutet ihm viel.

„Es ist an der Zeit, Einspruch zu er-heben“, schrieb Helmut Schmidt

an seinem 95. Geburtstag. Er wollte kei-ne 95 Kerzen ausblasen am Ehrentagund auch nicht das Rauchen aufgeben.Er wetterte 2013 öffentlich gegen dieRüstungsexporte der Bundesrepublik,die sich auf den dritten Platz weltweitvorgeschoben hat. Schmidts Wunschscheint sich zu erfüllen: Der Wirt-schaftsminister der großen Koalition,inzwischen seit acht Monaten im Amt,macht Ernst.

Sigmar Gabriel – politischer Urenkeldes eisernen Helmut Schmidt – lässtdie Ausfuhr von deutschen Waffen inKrisengebiete unter die Lupe nehmen.Vor einigen Tagen blockierte er die Lie-ferung eines Gefechtsübungszentrumsan die Russische Föderation. In der An-lage sollen bald 30 000 Soldaten denKampf simulieren. Das spart dem Ver-teidigungsminister in Moskau Geldund Material. Es kann aber nicht Auf-gabe deutscher Politik sein, den russi-schen Falken bei der Buchhaltung zuhelfen. Deren Armee ruckelt im An-griffsmodus. Sie steht an der Grenzezur Ukraine und ist bereit, den mor-schen Nachbarn zu überrennen. Gab-riels Entscheidung war richtig.

In den Ländern Osteuropas wird dasSignal Gabriels besser verstanden als inDeutschland. Dort werden nicht Ar-beitsplätze ins Feld geführt, sondern eswird historisch gedacht. Waffen, dieheute geliefert werden, wird man mor-gen auch einsetzen. Die Hemdsärmlig-keit der deutschen Argumentation –Hauptsache Umsatz, egal womit –kommt in Litauen oder Polen schlechtan. Diese Staaten haben schlechte Er-fahrungen mit dem Imperium derMoskowiter gemacht. Man sollte dieseBedenken ernst nehmen.

Waffen sind keine beliebige WareUmso mehr staunt man über manchedeutsche Reaktion. Sigmar Gabriel, derauch SPD-Chef ist, würde mit seinerHaltung nur vor der Parteilinken ein-knicken, heißt es da. Auf solche verwin-kelte Gedanken kommt nur, wer weitgenug von den Brennpunkten entferntlebt. Dabei sind Waffen keine Ware wiefrischer Mais oder Bohrmaschinen. IhrVerkauf wirft eine existentielle Frageauf, die mit den Scharmützeln von Par-teiflügeln kaum beantwortet wird. Inder Ukraine beginnt der Nahe Ostender Europäer, dessen Not man nichtbefeuern sollte. Tatsache ist: Die EU

kann kein Interesse an einem militä-risch starken Russland haben. AuchParteien, die sich auf das christliche Er-be berufen, wären mit einer dezentenExportpraxis gut beraten. Rüstungs-kontrolle ist nicht Reservat von linkenÖkologen und radikalen Pazifisten. Sieist nüchternes Gebot der Realpolitik.Oder muss erst der erhellende Momentkommen, in dem Soldaten der Bundes-wehr gegen Kanonen „Made in Germa-ny“ kämpfen?

Mächtigere Gegner hat sich SigmarGabriel in der Wirtschaft herangezo-gen. In deren Vorstands-Etagen ist Mo-ral geduldet, solange man sie selbst de-finieren kann – etwa in Form einerhandzahm dressierten Unterneh-mens-Ethik. Sobald es ans Geschäftgeht, ist das Kassenbuch das einzigewahre Buch – nicht der interne Leitfa-den, nicht der nette Büro-Knigge.

Es gibt nur einen GewinnerDie Bundesrepublik werde die Sys-temführerschaft verlieren, wenn sienicht fleißig exportiere, heißt es.Schließlich die leise Drohung, mankönne die eigene Armee nicht mehrangemessen ausstatten, wenn dieStückzahl für Rüstungsgüter nichtstimmt. In jeder anderen Branche wür-de man das Erpressung nennen. Es gibtkeinen Grund darauf einzugehen.

Die Klage der Lobbyisten verdeckt,dass alle Rüstungsgeschäfte in ersterLinie Geschäfte sind – und keine Pro-jekte aus Edelmut. Die Kriege, die ge-führt oder doch ermöglicht werden, ge-winnt immer einer: derjenige, der denGewinn einstreicht. Wenn sich ausdem vor 100 Jahren aufziehenden Welt-krieg eines ausfiltern lässt, dann dieses:Die einzigen Gewinner sind die Her-steller von Feldküchen, Granaten, Stie-feln. Die anderen sind traurige Statis-ten, die man je nach Farbe der Uniformdann Sieger oder Verlierer nennt.

Deutschland hat seine Entscheidunggetroffen, Frankreich steht sie noch be-vor. 1,2 Milliarden Euro soll der Hub-schrauberträger kosten, dessen Bau2011vereinbart wurde. Lieferanten undrussische Admiräle drängen auf Ver-tragstreue. Auch Präsident Hollandekönnte sich darauf berufen, dochnimmt ihm beim aktuellen Stand nie-mand juristische Fisimatenten ab. Wa-ren die französischen Sozialisten umJean Jaurès nicht in der Partei, die dashysterisch taumelnde Land 1914 vordem Krieg warnte? Die Eigenart diesesWaffensystems kommt dazu: Es ist einschwimmender Flughafen für Helikop-ter. Eine klassische Angriffswaffe also,die im Schwarzen Meer kreuzen kann.Oder im Mittelmeer. Hollande wirdkaum die alte Platte mit den „Arbeits-plätzen“ auflegen können.

R ÜST U N G S E X P O RT

Kanonen im AugustDeutschland ist der drittgrößteExporteur von Rüstung weltweit.Die Platzierung ist teuer erkauft.Sigmar Gabriel will künftig genauhinsehen, wer was erhält.

V O N U L I F R I C K E R................................................

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2 Themen des TagesS Ü D K U R I E R N R . 1 8 2 | M PS A M S T A G , 9 . A U G U S T 2 0 1 42 Themen des Tages S Ü D K U R I E R N R . 1 8 2 | M PS A M S T A G , 9 . A U G U S T 2 0 1 4

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Kann Karriere geplant werden und – wenn ja –wie? Annett Meyer, Leiterin der Akademie derIndustrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg, im Gespräch über Aufstiegs-möglichkeiten, lebenslanges Lernen, Business-Pläne und ständigen Wandel.

Frau Meyer, gezielte Weiterbildung unddie dafür erforderliche Beratung sind Ihr Metier. VerratenSie uns doch, wie mache ich das richtig: Lässt sich einBerufsleben strukturiert planen?Ja und nein. Es gibt Menschen die sehr früh schon wissen,wo sie hinwollen, was sie machen wollen. Diese Personengehen ihr Leben gezielt an. Andere schließen die Schule ab,machen einen Abschluss, eine Ausbildung, stellen dann fest,sie können doch mehr und suchen den Plan B. Berufsbeglei-tende Erwachsenenweiterbildung kommt dann ins Spiel, sowie wir das unter anderem bei der IHK anbieten.

Wie viele sind es denn – prozentual ausgedrückt – die ihrBerufsleben noch einmal umplanen?Es gibt 30 Prozent Studienabbrecher, die dann nach eineranderen Lösung suchen um an ihr gewünschtes Ziel zukommen. Rund 15 Prozent der Erwerbstätigen kommen zuuns und wollen sich beruflich umorientieren, diese Perso-nengruppe ist im Alter von Anfang 20 bis Mitte 50. Viele da-von suchen aber auch einfach eine Aufstiegsmöglichkeit,wollen den Karriere-Sprung versuchen und möchten sichfür mehr Verantwortung in ihrer Branche qualifizieren.

Inwieweit lässt sich eine Planung des Berufslebens in derheutigen Zeit eigentlich langfristig ausrichten? Globalisie-rung, Digitalisierung, wie stellt man sich auf diese Mega-trends richtig ein? Sprachen lernen?Eine abschließende Karriereplanung ist Anfang, Mitte 20meiner Erfahrung nach eine Illusion. Berufsleben ist heuteüberall geprägt von ständigem Wandel. Standhalten kannman nur, wenn man sich ständig weiterbildet gemäß demschönen Spruch: lebenslanges Lernen.

Umgekehrt: Wenn ich merke, es läuft schlecht bei mir imJob, wie verhalte ich mich dann richtig? Ein Gespräch mitdem Chef, und wenn sich nichts ändert, dann wechseln?Es ist erst einmal wichtig zu prüfen, was genau läuftschlecht. Und ja, richtig, das Gespräch im eigenen Unter-nehmen mit dem Vorgesetzten ist unabdingbar. Ob einWechsel immer das gewünschte Ergebnis bringt, bleibt of-fen, zumindest solange ich nicht weiß, wie mein Anteil ander Situation, an meiner Qualifikation und an den Abläufenin meinem Bereich ist.

Für freie Unternehmer: Wie schütze ich meine Firma, meineMitarbeiter und mich vor einer Pleite? Und was kann dieIHK da tun?Wir als IHK stehen unseren Mitgliedsunternehmen in jeg-licher Form beratend zur Seite. Ob das zu Beginn der Busi-ness-Plan und Existenzgründerberatungen sind oder auchRechtsberatungen und Standorteinschätzungen. Das reichtbis hin zur Beteiligung beziehungsweise der Mitarbeit an Ar-beitskreisen und Netzwerken. Diese Gremien arbeitenbranchen- beziehungsweise themenorientiert und wirkenheute gemeinsam trotz der Konkurrenzsituation am Markt.

Funktioniert unsere Gesellschaft eigentlich so, dass mansagen kann: Wer will und wer sich anstrengt, der kommtwirklich dorthin, wo er am besten beruflich aufgehobenist?Wer am Ball bleibt, der schafft das.

Ist der Weg von unten nach oben bei uns in Südbadenwirklich offen?Nun, ich selbst kam vor13 Jahren in den Schwarzwald, stam-me selbst aus dem Erzgebirge und hatte sozialistische Be-triebswirtschaft nach dem Abitur studiert. Um hier in derRegion beruflich tätig sein zu können, war mein Abschlussweniger gefragt, sodass ich 2001 an der Dualen Hochschulein Schwenningen das Studium der mittelständischen Be-triebswirtschaft aufgenommen habe. Ich hatte zwei kleineKinder im Alter von acht und elf Jahren und heute habe ichmeine berufliche Vision umgesetzt.

F R A G E N : N O R B E R T T R I P P L

Alles rund um die Seriefinden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

„Wer am Ball bleibt,der schafft das“

€Vermutete Gründe für Reichtum nach Bildung der Befragten

QUELLE: ARB-SURVEY 2011 / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

BessereAusgangsbedingungen

Leute kennen, dieBeziehungen haben

Unehrlichkeit

UngerechtesWirtschaftssystem

Fähigkeit, Begabungen

Harte Arbeit

Glück

4252

3741

3820

2819

2822

2919

137

max. Hauptschulabschluss Hochschulreife

in Prozent

Stadtverwaltung Donaueschingen. Erkam vom Rathaus Bad Dürrheim insFreiburger Regierungspräsidium, wur-de im Breisgau Bürgerreferent. Müllerwechselte später in den Stuttgarter Re-gierungsbetrieb, wurde persönlicherReferent des Staatssekretärs WernerBaumhauer im Umweltministerium.CDU und FDP formulierten damals imKoalitionsvertrag erstmals offiziell einenachhaltige Ausrichtung des politi-schen Handelns: Ressourcen schonen,Energieversorgung sichern. Später ar-beitete er im Finanzministerium unterMinister Mayer-Vorfelder. Sein Chefwar Staatssekretär Wolfgang Rückert.

Als er zu Toto-Lotto ging, stauntenviele. Die CDU unter Erwin Teufel warauf dem Höhepunkt ihrer Macht. UndMutter Müller fassungslos. „Wie kannman so was machen“, habe sie ihm zu-geflüstert. Ihr viertältester Sohn sagtheute: „Ich war immer auf der Suchenach neuen Zielen.“ Bereut hat er denAbsprung aus dem politischen Betriebnie. Zu Terminen reist er auch schonmal mit Fahrer an. Privat genießt er esüber alles, sich aufs Motorrad schwin-gen zu können. Seinen Wohnort imSchwarzwald-Baar-Kreis schätzt erauch als Umfeld, wo er seinen Unimogausfahren kann. Norbert Müller sagt, erwar „zur richtigen Zeit immer an derrichtigen Stelle“. Entscheidend ist fürihn die Frage: „Wie gehst du mit Nieder-lagen um? Den Glauben an dich darfstdu nie verlieren.“ Er selbst lernte dasfrüh –mit sechsGeschwistern.Aber malehrlich: Ist das Leben nicht manchmaleinfach ein Glücksspiel? „Ja“, räumtMüller nachdenklich ein, „man mussim Leben Glück haben.“

Glück hatte auch Absteiger ErhardBürk.SeinSprungbrettwardieSchwen-ninger Vesperkirche. Warme Mahlzei-ten für Arme gibt es hier. Einmal, als allegegessen hatten, saß er mit ein paarKindern zusammen und plötzlich halfer ihnen – irgendwie aus dem Gesprächheraus – bei den Mathe-Hausaufgaben.Der mittlerweile verstorbene PfarrerKurt Seemüller beobachtete die Szeneund entdeckte wohl das wahre TalentdesErhardBürk.DerArbeitslosebekamseine Aufgabe: Hausaufgabenbetreu-ung, ausschließlich ehrenamtlich. VielZulauf gab es und an SchwenningerSchulen wunderte man sich über Kin-der,dieplötzlichrechnenkonnten.Hiermuss Bürk schmunzeln. Lehrer fragtennach, auch Rektoren, und Bürk wurdegleich noch einmal entdeckt. SeineHausaufgabenhilfe wurde in Schwen-ningenmehrfachinstitutionalisiert.Beider Diakonie, bei der Prokids-Stiftungvon Joachim Spitz und bei der städti-schen Bibliothek. Das Jahr 2010 brachte

Er wuchs auf demBauernhof in Grünin-gen bei Donaueschin-gen auf und wurdeLotto-Direktor inBaden-Württemberg:Norbert Müller.B I L D E R : J UST US

Dieses Gefühl lernte Erhard Bürk, dergescheiterte Unternehmer, erst spätkennen. Heute sagt er: „Endlich macheich das, was ich eigentlich immer schontun wollte. Mein Leben ist jetzt auf demHöhepunkt.“ Er lebt auf bescheiden-dem Niveau. Wichtig ist ihm sein Wir-ken. Der Nachhilfelehrer kennt die na-genden Probleme der Kinder: zerstrit-tene Familien, banaler Hunger. Dasstößt bei ihm auf Verständnis. Manch-mal zückt er seinen Geldbeutel undspendiert eine Tüte Pommes. „Nur wersatt ist, kann gut lernen“, erklärt er lie-bevoll. Beim Weg heraus aus dem tiefenAbgrund halfen Bürk in seinem Lebenzwei Säulen. „Ich stand nie allein da“,sagt er. Seit 32 Jahren lebt er in einer fes-ten Beziehung, die sich als wahrhaft festund sturmsicher erwiesen hat. „Undmeine Freunde waren immer da. Wirwaren stets integriert.“ Das Gefühl,nicht verlassen zu sein, ist bis heute ei-ner der wertvollsten Faktoren.

Auch Norbert Müller, der Lotto-Di-rektor, der als Bub die Milch vom Hofzur Sammelstelle karrte, lebte immerein wenig wie im Mannschaftssport.SeinOnkelbrachteihmbeimMusikver-ein in Grüningen das Musizieren bei:Horn, Schlagzeug und Trompete. BeimFußballclub kickte er 20 Jahre. RechterVerteidiger, klassisch gespielt. OnkelMusikus lehrte ihn aber viel mehr alsNoten: „Pünktlichkeit, Verlässlichkeit,Toleranz“, fasst der Schüler von einstzusammen. Dass er später bei einerWeihnachtsfeiermitTrompeter-Legen-de Walter Scholz gemeinsam spielte,vergisst er nie. Ein Leben im Takt. DerLotto-Direktor mahnt aber: „Das wun-derschöne Glück, du kannst es nie er-zwingen.“

das Ende von Bürks Hartz-IV-Phase.„Ich bin ein Macher und fürs Parkbänk-chen zu schade“, sagt er über sich. „Mirgeht es darum, dass Kinder Chancen-gleichheit haben.“ Kinder lehrt er eiser-ne Regeln. Wer Stress macht, der fliegt.„Hinfallen kann lehrreich sein“, sagtBürk.

Auf dem Lebensweg straucheln, stol-pern, fallen: Jugendliche aus sozialschwächer gestellten Familien werdenstatistisch gesehen häufiger straffällig.Auch Norbert Müller machte als Ju-gendlicher Bekanntschaft mit Polizeiund Justiz. Wegen eines brennendenMopeds musste er vor den Jugendrich-ter. Er weiß heute, sein Leben stand am

Scheideweg, als er verurteilt wurde. Da-bei habe er ohne Nachdenken „nurschauen wollen, ob ausgelaufenes Ben-zin brenne, wenn es in Strömen wie da-mals draufregnet“. Das Benzin brannte– samt Moped. Müller musste dreiNachmittage für die Stadtgärtnereischuften. Ein Schlüsselerlebnis. Dass erdamals wunderschöne Rosen pflanzenmusste, erhellte sein Gemüt nicht. „DasSchlimmste war, dass ich schmutzigvon der Arbeit durch die Stadt laufenmusste.“ Aufgebaut hatte ihn, dass erwenige Wochen später eine Ausbil-dungsstelle im Donaueschinger Rat-haus erhielt: „Das war entscheidend, esging voran.“

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„Mein Leben ist jetzt auf demHöhepunkt.“

Erhard Bürk, früher Firmen-Chef,dann Hartz-IV-Empfänger................................................

Wir befassen uns 13 Wochen mit demThema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? .11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit .19. Juli• Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär ..2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg............................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit...............................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..............................23. August• Startup und Ende eines Familienunternehmens ............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat ................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen.....................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen .............27. September• Essay: Ein neuer Reichtum..........................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 8 2 | M PS A M S T A G , 9 . A U G U S T 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 8 2 | M PS A M S T A G , 9 . A U G U S T 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

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Rolltreppedes Lebens

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RolltreppedesLebens

präsentiert

Ein Rasenmäher ist das Symbol für dengrößten Traum von Nadja Roser. Wasfür viele in erster Linie mit Arbeit ver-bunden ist, bringt die Augen der allein-erziehenden Mutter zum Leuchten.„Der größte Traum ist ein kleines Häus-chen mit einem Garten. Ich würde sogern Rasenmähen und es für uns schönmachen.“ Doch die Realität sieht an-ders aus: Selbst eine größere Wohnung,in der jedes Familienmitglied ein eige-nes Zimmer hat, ist für die 40-Jährige ei-ne finanzielle Herausforderung, die siekaum bewältigen kann. Nadja Roser lagnie auf der faulen Haut – große Sprüngekonnte sie aber nie machen. Trotz Ar-beit ist das Geld oft knapp. Viele Wün-sche der beiden Kinder bleiben uner-füllt – ihre eigenen sowieso. Das Lebenals Alleinerziehende ist nicht leicht. Vorallem nicht mit Blick auf das Konto.

Iren Dornier lebt seinen Traum. Derdreht sich seit Kindertagen um die Flie-gerei. Wie auch sonst: Sein Großvater istder berühmte Flugzeugingenieur Clau-de Dornier, der erst für den Grafen Zep-pelin, dann unter eigener Regie inFriedrichshafen die technisch fort-schrittlichsten Flugzeuge seiner Zeitbaute. Zum Beispiel die legendäreDo X, 1929 das größte Flugboot derWelt. Knapp 75 Jahre später bricht seinEnkel Irenäus, der sich selbst Irennennt, mit dem letzten Exemplar einerDo 24 zu einer Weltumrundung auf.Sechs Millionen Euro habe er in das da-mals fast 60 Jahre alte, alles andere alsflugtaugliche Museumsstück inves-tiert, um „die Seele unserer Familie“wieder zum Fliegen zu bringen, erzähl-te er nach dem 27-monatigen Abenteu-er rund um den Globus. Mit dieserDo 24 flog er als Zwölfjähriger das ersteMal, ein „Augenblick, der mein Lebenverändert hat“, sagt Iren Dornier, dersich damals schwor, auch mal hinterdem Steuer einer Do 24 zu sitzen.

Die Welt von Nadja Roser ist viel, vielkleiner, Höhenflüge welcher Art auchimmer sucht man hier vergebens. Aktu-ell wohnt sie mit ihren beiden Kindernin einer Zwei-Zimmer-Wohnung inMühlhausen, einem Ortsteil von Villin-gen-Schwenningen.MehrkannsichdieAlleinerziehende nicht leisten. Die Kin-der teilen sich ein Zimmer, während dieMutter meist im Wohnzimmer über-nachtet. Dann noch Küche und Bad –viel Möglichkeiten für einen Rückzugbleiben da nicht. Und jetzt, da die Kin-der älter sind, wird es schwieriger. Die13-jährige Tochter und der zehnjährigeSohn bräuchten eigentlich mittlerweileje ein eigenes Zimmer.

VON

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V O N K A T Y C U K OU N D S T E P H A N I E J A K O B E R................................................

Rolltreppe des Lebens: Nadja Roserwohnt als Alleinerziehende in einerZwei-Zimmer-Wohnung in Villingen-Schwenningen. Iren Dornier aus Fried-richshafen hat durch seinen großenNamen einen Zugang zu einer ganzanderen Welt erhalten

Nadja Roser ist kein Einzelfall: 1,6Millionen Alleinerziehende mit min-derjährigen Kindern gibt es in Deutsch-land. Somit ist in jeder fünften deut-schen Familie nur ein Erwachsener al-lein für die Kinder verantwortlich, Ten-denz steigend. Meist bleiben die Kinderbei der Mutter. Die ist dann plötzlichkomplett auf sich gestellt und auf ein-mal für alles allein verantwortlich – vomElternabend bis zum Arztbesuch. Hin-zu kommt die Frage, wie nun die Fami-lie ernährt werden soll. Gerade bei Al-leinerziehenden ist das Armutsrisikobesonders hoch. Laut einer Studie derBertelsmann-Stiftung sind 39 Prozentaller Ein-Eltern-Familien auf Harz IVangewiesen. Baden-Württemberg liegtmit 27,7 Prozent im Bundesländer-Ver-gleichzwarimhinterenDrittel,dochfürAlleinerziehende gibt es auch hier einArmutsrisiko. Die Gründe sind oft feh-lende Möglichkeiten, den Lebensun-terhalt zu verdienen. Ein Vollzeitjobscheitert meist an der Kinderbetreu-ung: zu unflexibel, zu teuer, nicht aus-reichend ausgebaut. Auch eine Halb-tagsarbeit zu finden ist nicht leicht.

Eine Erfahrung, die auch Nadja Rosernach der Trennung vor acht Jahren ma-chen musste. „Ich stand da – ohne Job,ohne Geld und ohne Versicherung. Daswar echt eine heftige Zeit, in der ichnicht gewusst habe, wie ich die Mietezahlen soll.“ Der Weg führte sie erst ein-mal für drei Monate zurück zu den El-tern. Zwei Zimmer bewohnte sie dortmit ihrendamalsnochkleinenKindern.Eine eigene Küche und ein separatesBad gab es nicht. Auf Dauer wäre esnichts gewesen, doch für die ersten Mo-natewaresdieRettung:„Ohnediefami-liäre Unterstützung wäre ich aufge-schmissen gewesen.“ Ein Grund, wa-rum sie in Mühlhausen eine Wohnungsuchte. Die Eltern zwei Straßen weiter,die Mutter ist im Notfall sofort da. Undsie hängt an dem Ort ihrer Kindheit.„Ich wollte immer, dass meine Kinderauch hier aufwachsen.“ Weniger als 800Einwohner, hier kennt jeder jeden.

Auch Iren Dornier hat den Bezug zuseiner Heimatstadt Friedrichshafen nieverloren, auch wenn er seit seiner Ju-gend eher ein Weltenbummler und

Ein Häuschen undein Garten, in demsie den Rasenmähen kann: Fürdie alleinerziehendeMutter Nadja Roserist das ihr größterTraum.B I L D : R O L A N D S I GWA RT

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DER BIBELSPRUCH

„Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt; in der Notwird der Herr ihn retten.“

Psalm 41, 1...........................................................................................

DER KALENDERSPRUCH

„Am kostbarsten sind Dinge, die keinen Preis haben.“

Luise Rinser, deutsche Schriftstellerin, 1911 – 2002...........................................................................................

VERBRAUCHERWARNUNG

Salmonellen in BandnudelnDas Verbraucherministerium Stuttgart warnt vor Salmonellen in Band-nudeln einer polnischen Firma. Betroffen sind die 500-Gramm-Packun-gen von Sigma Bandnudeln (2,5 mm) „Makaron Swojski“. Die von P.P.H.Sigma für die Monolith International GmbH (71083 Herrenberg) her-gestellten Nudeln würden über Mix-Märkte vertrieben. „Bei Rohverzehrbesteht Salmonellengefahr“, so die Lebensmittelwarnung. Das Mindest-haltbarkeitsdatum oder Verbrauchsdatum lautet: 07.01.2016. Die Firmaentschuldigte sich, dass es „trotz größtmöglicher Sorgfalt bei der Her-stellung sowie internen Kontrollen zu diesem Vorfall gekommen ist“.Normal gekocht stellen die Nudeln keine Gefahr dar. (dpa)

GESUNDHEIT

Risiken der Früherkennung werden unterschätztMögliche Nachteile von Krebs-Früherkennungsmaßnahmen sind vielenPatienten nicht ausreichend bekannt. Bei einer Befragung von 1800Patienten habe nur jeder dritte gewusst, dass eine Früherkennungs-untersuchung auch Risiken haben könne, berichtet eine Studie derBertelsmann-Stiftung. Dazu zählten vor allem falsche Befunde, die zupsychischen Belastungen oder sogar zu überflüssigen Operationenführten. Laut Studienautorin Sylvia Sänger vom UniversitätsklinikumHamburg-Eppendorf wird der Nutzen der Krebs-Früherkennung selbstvon Ärzten überschätzt. Sie sollten besser geschult werden. (dpa)

LEBENSVERSICHERUNGEN

Kunden können häufig Nachzahlungen verlangenDer vorzeitige Ausstieg aus einer Kapitallebens- oder Rentenversiche-rung kann teuer werden. Einen Stornoabzug müssen Versicherte dabeiaber nicht hinnehmen. Laut der Verbraucherzentrale Hamburg ist daslaut der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruheunzulässig. Auch laut dem Oberlandesgericht Köln dürfen Klauseln zurKündigung, zur Beitragsfreistellung und zum Stornoabzug, die die Kun-den benachteiligen, nicht mehr verwendet werden (Az.: 20 U 45/14 und20 U 211/13). Verbraucher, die ihre Police vorzeitig gekündigt haben,haben unter Umständen Anspruch auf Nachzahlung. Betroffene solltensich dazu am besten schriftlich an ihre Versicherung wenden. (dpa)

HAUSTIERE

Wespenstiche sind auch für Hunde und Katzen gefährlichAuch Hunde und Katzen werden manchmal von Wespen oder Bienen,gestochen. Verschluckt das Tier das Insekt oder wird in Rachen oderHals gestochen, sollte man mit ihm sofort zum Tierarzt. Die Stelle kannanschwellen und Atemnot auslösen, warnt die Bundestierärztekammer.Häufig werden Hunde und Katzen auch in die Pfote gestochen, wenn sienach Wespen oder Bienen schlagen. Linderung bringt das Kühlen derStelle mit einem Kühlelement oder kalten, nassen Handtüchern. NachBienenstichen muss zudem der Stachel entfernt werden. (dpa)

Der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios,Ulrich Deppendorf, 64,will es nach seinemSchlaganfall im Maikünftig ruhiger an-

gehen lassen. „Sie hören mehr aufden Körper, achten mehr auf ihn.Man entdeckt, dass es ein Lebenneben der ARD gibt und auchneben dem Berliner Betrieb“,sagte er. Im Oktober werde er aufden Bildschirm zurückkehren. ImMai 2015 werde er dann den Ruhe-stand antreten. Die Reha sei mitt-lerweile beendet, erklärte Deppen-dorf. „Mir geht’s gut.“ (dpa)

GESUNDHEIT

Nach Schlaganfall hört ermehr auf seinen Körper

Die SchauspielerinArlene Martel, 78, die ineiner der legendärsten„Raumschiff Enter-prise“-Folgen dieBraut des Außer-

irdischen Mr. Spock gespielt hat,ist tot. Sie spielte in vielen Serienmit. Spuren hinterließ sie alsRésistance-Kämpferin „Tiger“ in„Ein Käfig voller Helden“, aberlegendärer ist ihre Rolle als Brautvon Mr. Spock in der Folge „Welt-raumfieber“ von 1967, in der er fürein archaisches Paarungsritual aufseinen Heimatplaneten Vulkanzurückkehrt. (dpa)

ENTERPRISE

Vulkanier-Braut vonMr. Spock gestorben

Menschen und medien

NAMENSTAGESamstag: Rochus, Theodor, Christian, Stefan, Stefanie, BeatrixSonntag: Benedikta, Hyazinth, Jutta, Johanna, Clara, Gudrun...........................................................................................

Tipps und Trends

Eurojackpot 5 aus 50:17, 38, 41, 43, 47Eurojackpot 2 aus 8:4, 6Eurojackpot:Gewinnklasse 1: unbesetztGewinnklasse 2: 199 645,70 5

Gewinnklasse 3: 51 907,80 5

Gewinnklasse 4: 2 994,60 5

Gewinnklasse 5: 287,30 5

Gewinnklasse 6: 131,10 5

Gewinnklasse 7: 56,20 5

Gewinnklasse 8: 23,70 5

Gewinnklasse 9: 15,40 5

Gewinnklasse 10: 15,40 5

Gewinnklasse 11: 9,50 5

Gewinnklasse 12: 8,90 5

Keno: Ziehung vom 15.08.2014:1, 3, 4, 14, 21, 23, 27, 29, 32, 39,40, 43, 49, 52, 53, 58, 60, 63, 64,66Plus 5: 74088

(Alle Angaben ohne Gewähr)

Gewinnzahlen

14 Leben und WissenS Ü D K U R I E R N R . 1 8 8 | M PS A M S T A G , 1 6 . A U G U S T 2 0 1 414 Leben und Wissen S Ü D K U R I E R N R . 1 8 8 | M PS A M S T A G , 1 6 . A U G U S T 2 0 1 4

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13

das Deutsche Institut für Altersvorsorge.Aber das ist für Iren Dornier kein The-ma. „Alles, was ich heute besitze, habeich mir selbst erarbeitet.“ Dabei kamimmer eins zum anderen. Er baute aufeiner philippinischen Insel ein Touris-ten-Resort auf. Dort gab es aber keinenFlughafen,alsobauteereinen.UmTou-risten einzufliegen, gründete er eine ArtAirtaxi, das sich zur Airline entwickelte.Callcenter, Reisebüro, Flugzeug-War-tung: „Wir haben Ressourcen im eige-nen Umfeld entwickelt, wenn etwasfehlte.“Heuteistder55-JährigeInhabermehrerer Unternehmen mit einigenHundert Mitarbeitern, die meisten ha-ben mit der Fliegerei zu tun. Herausfor-derungen liebt Dornier, der das Lebenals „Challenge“ sieht, immer noch.Aber: „Grenzen gibt es aber auch fürmich, jede Menge sogar“, sagt er.

Nadja Roser hat nach all den Fehl-schlägen letztendlich doch noch eineAnstellung gefunden. Gar nicht weit vonMühlhausen entfernt ist sie seit sechsJahren in einem Industriebetrieb als Ar-beiterin beschäftigt. Damit es finanziellbesser aussieht, putzt sie samstags zu-sätzlich im Unternehmen. Doch großeSprünge sind trotzdem nicht möglich.„Wir waren noch nie zusammen im Ur-laub. Das kann ich mir nicht leisten.“Reisen ins Ausland unternimmt der Va-ter mit den Kindern. Mit der Muttergeht’s in den Ferien ins Freibad. Schlaf-lose Nächte hat sie einige – auch heutenoch. „Es ist nicht zu erwarten, dass esvon heute auf morgen besser wird.“Doch eines hat sie im Laufe der Jahre ge-lernt: Die Schwelle, ab der sie sich Sor-gen macht, ist immer weiter nach obengerückt. Erst wenn es gar nicht andersgeht, beginnt sie sich richtig zu sorgen.

Arbeit war nicht immer gleich Arbeit: Der Begriff hat sich der Ge-schichte grundlegend geändert. Unser Verständnis von Arbeit ist vonden Entwicklungen des 19. Jahrhunderts geprägt. In Berlin ver-suchen Forscher um den Historiker Andreas Eckert, sich dem Themazu nähern.

➤ Das Forschungsprojekt: An der Humboldt-Universität inBerlin beschäftigt sich ein Internationales Geisteswissen-schaftliches Kolleg mit dem Thema „Arbeit und Generationin globalgeschichtlicher Perspektive“. Das Bundesministe-rium für Wissenschaft und Forschung unterstützt das imRahmen des Programms „Freiraum für Geisteswissenschaf-ten“ angesiedelte Projekt mit einer Fördersumme von10 Millionen Euro. 2009 fiel der Startschuss. Ursprünglichwar das Projekt bis 2015 begrenzt. Nach einer Evaluationwird der Forschungsauftrag nun aber bis 2020 verlängert.Unter der Leitung des Afrika-Historikers Andreas Eckertwird versucht, erstmals systematisch eine globalhistorischePerspektive auf das Thema „Arbeit“ zu entfalten.➤ Definition des Werts der Arbeit: Verschiedene Arbeits-werttheorien versuchen sich an einer Definition. „Darüberstreiten sich nicht nur die Ökonomen seit mehr als 300Jahren“, sagt Eckert. Einer der bekanntesten Versuche derDefinition dürfte von Karl Marx stammen. So wird derWert einer Ware durch die Arbeitszeit bestimmt, die zuderen Produktion notwendig ist. Dies sei jedoch nur einrein ökonomischer Ansatzpunkt. „Das Thema lässt sichnicht leicht in eine Schublade stecken, weil es ziemlichkomplex ist“, sagt der Professor der Humboldt-Universität.➤ Globale Sichtweise: Nicht überall wird der Wert der Ar-beit gleich definiert. Selbst von Region zu Region oderauch innerhalb einer Stadt wie Berlin sind Unterschiedeauszumachen. „Viele können es sich nicht leisten, über dieSinnhaftigkeit oder die Erfüllung, die andere in der Arbeitsuchen, nachzudenken“, sagt Andreas Eckert. So gibt esMenschen, bei denen die Arbeit und der Kampf ums Über-leben den kompletten Tag bestimmen. Bei anderen ist dieArbeit nur eines von vielen Dingen. Eine Unterscheidungnach Kontinenten sei jedoch nicht nötig. „Man kann nichtsagen, dass es in Afrika so ist und in Europa anders.“ DieGlobalisierung habe viel dazu beigetragen.➤ Soziale Ordnung: Während eine Unterscheidung in Re-gionen nicht möglich ist, sieht es bei sozialen Schichtenanders aus. So werde ein Harz-IV-Empfänger den Wert derArbeit beispielsweise anders beurteilen als ein Banker oderein Professor.➤ Einordnung nach Berufen: Ist eine Arbeit mehr wert, weiles mehr Gehalt gibt? Oder geht es um das Ansehen einesBerufsstandes? Laut Eckert kommt es bei so einer Be-trachtungsweise leicht zu einer Schieflage. So genießenErzieherinnen beispielsweise in der Gesellschaft ein höhe-res Ansehen als Versicherungsvertreter – im Gehalt schlägtsich das jedoch nicht nieder. Auch kann es mit dem re-gionalen oder globalen Betrachtungswinkel zu extremenVerschiebungen kommen. So brauche ein Staatsbediens-teter in Burkina Faso beispielsweise noch zwei oder dreiweitere Jobs, um den Lebensunterhalt zu verdienen, wäh-rend er in anderen Ländern keine finanziellen Sorgenhabe. Auch innerhalb einer Berufsgruppe komme es zugewaltigen Unterschieden – so seien beispielsweise einAnwalt, der sich mit einer eigenen Kanzlei auf Familien-recht spezialisiert hat, und ein Anwalt, der sich in einerglobalen Kanzlei mit Wirtschaftsthemen beschäftigt, nichtzu vergleichen.➤ Veränderter Blick auf die Arbeit: Unsere Definition vonArbeit wurde erst im 19. Jahrhundert geprägt. Im Altertumund im Mittelalter hatten die Menschen einen ganz ande-ren Blick auf Arbeit. Im antiken Griechenland hatte dieArbeit einen negativen Ruf. So setzte Aristoteles die Arbeitals Gegenpol zur Freiheit. Homer sah den Müßiggang alserstrebenswert an. Körperlich arbeiten sollten doch bittenur Frauen, Sklaven und Knechte. Auch bei den Römernherrschte diese Meinung. Erst durch das Christentum –waren Jesus und seine Jünger doch Fischer und Hand-werker – änderte sich das. Martin Luther erklärte denMüßiggang zur Sünde. Denn schließlich steht ja schon inder Bibel: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“Mit den sozialen Fragen, die die Arbeiterbewegung auf-warf, tauchte auch die Frage nach dem Wert der Arbeitauf.

S T E P H A N I E J A K O B E R

Alles rund um die Seriefinden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

Seit 300 Jahren suchenForscher nach einer Antwort

Erben und Aufstocker

QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT, BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Landkreis Konstanz

Landkreis Lörrach

Schwarzwald-Baar-Kreis

Bodenseekreis

Landkreis Waldshut

Landkreis Tuttlingen

Landkreis Sigmaringen

135 800

101 500

113 300

115 100

73 700

78 800

65 200

1,7

1,0

1,1

1,7

1,5

1,0

1,3

Anteil inProzent

Erwerbstätige und Hartz IVSteuerpflichtige Erbschaftenund Schenkungen

Stand: Juni 2013Erwerbstätige

ALGII*-BezieherErwerbstätige

gesamt

2313

1770

1439

1105

1095

794

736

Anzahl der Fälle in Tausend

Zahlen sindgerundet

durchschnittliche Erbsummepro Fall in Tausend Euro

in Deutschland

2007 2008 2009 2010 2011

151

187 191 177140 137

174 162 219 183

Baden-Württemberg 5 801 800 87 590 1,5*Arbeitslosengeld II

Iren Dornier vor demSenkrechtstarter Do31, der den Eingangzum Dornier-Mu-seum in Friedrichs-hafen ziert: DerEnkel des legendä-ren Flugzeugkon-strukteurs konnteseinen Kindheits-traum realisieren –aus eigener Kraft.B I L D : GE R A L D JA R AUS C H

Abenteurer ist, der seit vielen Jahren aufden Philippinen lebt. Seine Kindheitwar geprägt von der zweiten Auferste-hung der Dornier-Luftfahrt, die erstzehn Jahre nach Kriegsende wieder auf-gebaut werden durfte. „Meine Mutter,die ohne Haushaltshilfe sechs Kindergroß zog, ist im Fiat 600 herumgedon-nert mit einem Loch im Boden, sodassman die Straße sehen konnte“, erzähltIren Dornier. Kein Taschengeld gab’s,keine neue Uhr. Nur ein rostiges Fahr-rad, das er sich von dem Geld kaufendurfte, das er beim Rasenmähen ver-dienthatte.„Ichbindankbardafür,dasswir extrem sparsam und bodenständigaufgewachsen sind“, sagt der 55-Jähri-ge, der sich schon als Teenager von sei-nem Vater Silvius Dornier unabhängigmachte. Die Karriere eines Söhnchensaus reichem Hause jedenfalls sieht an-ders aus. Erst eine Lehre auf einem Bau-ernhof, dann bei einem Kunstschmied.Später wird er erfolgreicher Modefoto-graf.Erst inAmerikalebterseinenKind-heitstraum. Iren Dornier macht dieFluglizenz, wird Fluglehrer und hatbald alle Pilotenscheine in der Tasche,die es gibt. Infiziert vom Fliegervirus,übernimmt er selbst dubiose Jobs alsFerry-Pilot, der manchmal auch nurhalbwegs fliegende Kisten im Auftragder Eigentümer von A nach B fliegt. „EinHeiden-Abenteuer“, sagt Dornier, derimmer ohne Sicherheit und doppeltenBoden unterwegs war.

Die Zeit der großen Unsicherheit be-gann für Nadja Roser nach der Tren-nung von ihrem Mann, und sie hättegern auf diese Erfahrungen verzichtet.Die ersten Monate waren richtig hart.Zum Scheitern der Beziehung kamenExistenzängste hinzu: Denn sowohl dieArbeitssuche als auch das Beantragenvon Arbeitslosengeld stellte die frischgetrennte Mutter vor Herausforderun-gen. Für die staatlichen Leistungenfehlten ihre Dokumente, doch die Be-amten hätten ihr nicht sagen können,was sie eigentlich bringen sollte. Bei derArbeitssuche machte die gelernteHauswirtschafterin ihre ganz eigenenErfahrungen: So sollte sie in einer Gärt-nerei Probe arbeiten. Schon gerichtetsaß sie zu Hause und wartete auf denAnruf des zukünftigen Chefs. Der kamerst am Abend, und ihr wurde mitge-teilt, dass die Stelle an einen anderenBewerber ging. Einen Mann, der flexib-ler ist. Auch aus der Stelle als Hauswirt-schafterin wurde nichts. Nach drei Mo-naten konnte sich das Ehepaar die An-stellung nicht mehr leisten. „Mit Kin-dern ist es einfach schwer, einen Job zufinden,weilmannichtsoflexibel ist.“Sofalle schon einmal die Möglichkeit,abends Geld zu verdienen, weg.

WohldiemeistenMenschenglauben,Iren Dornier besitze Geld wie Heu. „Ei-nen weltberühmten Namen zu habenbedeutet aber nicht gleich, reich zusein“, sagt der Enkel des legendärenFlugzeugbauers. Der „große Name“ ha-be für ihn alles eher viel schwieriger ge-macht, weil er falsche Erwartungen we-cke. Statt viel Geld gab es eher „uferloseVerpflichtungen“. Abgesehen davon:Schicke Autos, teure Anzüge – „ich lebenicht so“. Tatsächlich kommt er mit ei-nem Range Rover von München nachFriedrichshafen zum Gespräch, und

Jeans, schwarzes Hemd und eine sport-liche Jacke vermitteln nicht den Ein-druck eines reichen Schnösels.

Nichtsdestotrotz legte GroßvaterClaude Dornier den Grundstock für einFamilienvermögen, das bei „who’swho“ heute auf 0,8 Milliarden US-Dol-lar taxiert wird, womit die Dorniers zuden 100 reichsten Familien in Deutsch-land gehören. „Ich habe noch keinenCent davon geerbt.“ Was er mitbekom-men habe von der Familie, sei Inspirati-on, Leidenschaft, Unternehmergeist,„Dinge, die mit Geld nicht zu kaufensind.“ Unweigerlich gehört er aber zu Je-nen, die Reichtum erben werden. Ver-mögen im Wert von 2,6 Milliarden Eurowechseln allein in Deutschland in dennächsten Jahren den Besitzer, schätzt

................................................

„Einen weltberühmten Namen zuhaben bedeutet aber nicht gleich,reich zu sein.“

Iren Dornier, Enkel des legendären Flug-zeugkonstrukteurs Claude Dornier................................................

Wir befassen uns 13 Wochen mit demThema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? .11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit .19. Juli• Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär ..2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit ........................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..............................23. August• Startup und Ende eines Familienunternehmens ............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat ................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen.....................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen .............27. September• Essay: Ein neuer Reichtum..........................................4. Oktober

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Leben und Wissen 15S Ü D K U R I E R N R . 1 8 8 | M PS A M S T A G , 1 6 . A U G U S T 2 0 1 4 Leben und Wissen 15S Ü D K U R I E R N R . 1 8 8 | M PS A M S T A G , 1 6 . A U G U S T 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

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präsentiert

Rentnerin:Dagmar Kühnert

Azubi:Tobias Bühler

Hartz-IV-Empfängerin:Sigrid Köhler

Aufstocker:Jürgen Scholz

Studentin:Elena Vogt

Familie mit Kind:Graf/Schilling

Single:Calvin Kröhne

Alleinerziehende:Christiane Linke

Paar ohne Kinder:Maria Marinaro und Gilberto Cammisa

Einkommen im Verhältnis zueinander

€€€€€€€€€ühnert

Hartz-IV-Empfängerin:-IV-Empfängerin:Sigrid KöhlerKöhler

und Gilberto Cammisa

€ €Über ihre eigenenfinanziellen Verhältnissesprechen die Menschennicht gerne. Darumbilden wir hier keineabsoluten Zahlen ab,sondern setzen dieEinkommen der Teilnehmerins Verhältnis zueinander.

Miete/NebenkostenEnergie/Heizung etc.EssenKleidungMobilität/ReisenVersicherungen/Vorsorge„Luxus“/ExtrasMedien/Telefon/InternetSparen

0,0

0,0

15,0

10,0

30,0

10,0

0,0

5,0

30,0

Anteilin Prozent

AuszubildenderTobias Bühler

err.

Miete/NebenkostenEnergie/Heizung etc.EssenKleidungMobilität/ReisenVersicherungen/Vorsorge„Luxus“/ExtrasMedien/Telefon/InternetSparen

18,4

9,2

9,4

5,8

13,1

14,9

11,5

5,3

12,4

Anteilin Prozent

Paar ohne KindMaria Marinaro undGilberto Cammisa

VON

AUSG

ABEN

und

Einn

ahm

enWie kommen die Menschen in unsererRegion eigentlich über die Runden?Was geben sie wofür aus und wie vielGeld bleibt am Monatsende übrig, umes zu sparen? Wir haben Menschen ausder Region nach ihrem Einkommen ge-fragt. Sie sind nicht zufällig ausge-wählt, sondern befinden sich in unter-schiedlichen Lebenssituationen, ent-sprechen also ganz typischen Famili-enkonstellationen. Zum Beispiel dieDoppelverdiener: Maria Marinaro undGilberto Cammissa aus Waldshut sindbeide voll berufstätig und haben keineKinder. Logisch, dass ihr gemeinsamesEinkommen deutlich höher ist als das

des Auszubildenden Tobias Bühler ausSt. Georgen oder Jürgen Scholz aus Sin-gen, der einen Sechs-Stunden-Job beider „Bürgerarbeit“ ausübt und so sei-nem Hartv-IV-Satz aufstockt.

Nicht nur ihr Gesamteinkommenhaben uns diese Menschen verraten,sondern auch, wie viel sie wofür ausge-ben – wenn auch nicht in absolutenZahlen. Über die tatsächlichen Euro-Summen spricht niemand gerne. InAnteile ausgerechnet sagen die Ausga-ben aber schon eine Menge aus: Für dieBereiche Mobilität und Reisen, Luxus,Medien und Sparen bleibt zum Bei-spiel bei Aufstocker Jürgen Scholz oderHartz-IV-Empfängerin Sigrid Köhleraus Singen wenig bis nichts übrig – ihrSpielraum ist gering, sie konzentrierensich buchstäblich auf das Lebensnot-wendige. Calvin Kröhne, Single ausWaldshut, kann dagegen recht vielGeld für sein Auto und Freizeitaktivitä-ten ausgeben. Und Azubi Tobias Büh-ler aus dem Schwarzwald schafft es so-gar, ein knappes Drittel seines Einkom-mens beiseite zu legen – bei „Sparen“bringt er es als Einziger auf 30 Prozent.Studentin Elena Vogt aus Konstanz da-gegen spart gerade mal 2,2 Prozent ih-res Einkommens, bei ihr fließen aberauch schon knapp 45 Prozent in Mieteund Nebenkosten, wohingegen TobiasBühler noch bei seinen Eltern lebt und

keine Miete zahlt. Für Reisen oderExtras bleibt auch bei Rentnerin

Dagmar Kühnert kaum etwas üb-rig, ähnlich wie bei Christiane Lin-ke, alleinerziehende Mutter vonzwei Kindern.

Maria Marinaro und Gilberto Cammissa aus Waldshut sind seit zwölf Jahrenein Paar. Die 38-jährige ausgebildete Masseurin und medizinische Bademeisterinund der 43-jährige selbstständige Grafik-Designer geben mit knapp 20 Prozent fürdie Miete den größten Anteil ihres Einkommens aus. Dem Paar mit italienischenWurzeln geht es finanziell gut, weil beide in Vollzeit arbeiten gehen. Deshalbkönnen sie sich auch mehrmals im Jahr eine Reise nach Italien gönnen. (skd)

Tobias Bühler ist Auszubildender imdritten Lehrjahr im Druckgewerbe. Der18-jährige aus St. Georgen verteilt seinGehalt auf zwei Säulen. 30 Prozent fürMobilität und Reisen, gleichzeitigerreicht er aber auch eine Sparrate von30 Prozent. Dies ist ihm vor allem

möglich, weil er noch zu Hause beiden Eltern wohnt. Auch deshalbbenötigt er nur 15 Prozent seinesLohns für Essen und Getränke. (tri)B I L D E R : S K / S Ü D KU RI E R - GR A F I K: ST E L L E R

Rolltreppe desLebens: Wir machenden Kassensturz: Wergibt wie viel aus undwofür? Menschen ausder Region öffnen ihreHaushaltsbücher

V O N J U L I A B L U S T................................................

I n dieser Woche hat sich eine Zeiten-wende in der deutschen Außenpoli-

tik vollzogen. Der Grundsatz, dass kei-ne Waffen an Milizen in Krisengebietegeliefert werden, ist durchbrochen undsomit kein Grundsatz mehr. Ohne tief-greifenden Diskurs und ohne Beteili-gung des Parlaments hat die Bundesre-gierung Historisches verkündet. Siewird Waffen, vermutlich Panzerab-wehrgranaten und anderes Kriegsgerätnach Kurdistan fliegen, um die Kurdenim Kampf gegen die barbarischen Mör-derbanden des IS auszurüsten. Ist die-ser Entschluss richtig, am Ende sogargut? Oder nur grundfalsch? Diese Fragetreibt nicht nur die politische Elite inBerlin um, auch den Rest der Bevölke-rung. Zentraler Punkt aller Gedankenist das Bedürfnis nach einem Aus-leuchten der Risiken und Nebenwir-kungen einer so weitreichenden Ent-scheidung. Sind wirklich alle mögli-chen Folgen bedacht? Die Antwort isteindeutig: natürlich nicht. Niemandweiß, wie der Kampf im Norden desIrak ausgehen wird, niemand weiß, obgelieferte Waffen dauerhaft nicht dochin falsche Hände geraten. Und den-noch ist es richtig, die Kurden jetzt auf-zurüsten und zu unterstützen.

Was sich vor den Augen der Weltöf-fentlichkeit im Norden des Irak voll-zieht, ist kaum in Worte zu kleiden. DerStaub der Region ist blutrot getränkt,Hunderte Opfer, vielleicht schon Tau-sende wurden von den Terror-Briga-den des „Islamischen Staates“ geköpft,gemeuchelt, erschossen. Sie führen ei-nen Feldzug gegen Schiiten und aus ih-rer Sicht Ungläubige, gegen Juden,Christen, Jesiden. Sie rücken vor, trei-ben Wehrlose zusammen und stellensie vor die Wahl: Zum Islam konvertie-ren oder sterben. Die Kämpfer des „Is-lamischen Staates“, kurz IS, erhebenterritorialen Anspruch im Nahen Ostenund morden sich den Weg frei. Es istVölkermord! Und bei Genozid gibt eseine Pflicht zum Eingreifen.

Der Arm des Terrors reicht weitBisher konnte sich Deutschland in die-sen Fällen im Windschatten der Welt-politik wegducken. Humanitär wurdeunterstützt, vor allem finanziell gehol-fen. Waffenlieferungen aber, nein, diegab es nicht. Die deutsche Politik spie-gelte in ihrer Haltung die pazifistischeGrundstimmung der Bevölkerung, diesich aus den schrecklichen Erfahrun-gen der Weltkriege begründete. Dochdie Welt hat sich geändert, die Bedro-

hungen haben sich verschoben. Undso vollzog sich die jetzige Entscheidungnicht nur vor dem Hintergrund einerhumanitären Katastrophe und des Völ-kermords. Sie vollzog sich insbesonde-re vor dem Hintergrund geopolitischerAbwägungen. Eine neue Verantwor-tung.

Der Konflikt im Norden des Irak istnicht lokal eingegrenzt, wie gerne be-hauptet. Er stellt ein globales Sicher-heitsrisiko dar. Gelänge es der entfes-selten Terrorgruppe IS, ihr angestreb-tes Großreich in Form eines Staates an-zulegen, würde sie ihr Terrornetz vondort aus über die westliche Welt aus-werfen. Schon heute werden Kämpferim Westen angeworben. Sie verfügenüber beste Kenntnisse im Umgang mitMedien, manchmal auch mit Waffen-systemen, verstehen sich auf Logistikund Strategie. Der „Islamische Staat“ist keineswegs nur eine Gruppierungdurchgeknallter Mörder – sondern einehochgefährliche Bedrohung, die syste-matisch geführt wird. Die Arme des ISreichen heute schon weit in den Wes-ten hinein, auch nach Deutschland.Kämpfer werden rekrutiert, von Dschi-hadisten in Wüstencamps ausgebildetund wieder zurückgeschickt, um diePropaganda voranzutreiben oder Ter-rorpläne zu schmieden.

Kriegstreiber sind nicht in SichtEine halbwegs stabile, zumindest aberberechenbare Ordnung im Nahen Os-ten, in dem sich jeder Funke schnell zueinem Flächenbrand ausweiten kann,liegt im Interesse der Bundesrepublik.Und die USA, auch Frankreich undGroßbritannien, erwarten, dassDeutschland mehr außenpolitischeVerantwortung übernimmt. Das heißtnun: Waffen liefern. Das Ende der Poli-tik des Heraushaltens war fast abseh-bar.

Gewiss, die jetzige Entscheidungfalsch zu finden, ist legitim. Und es istein gutes Argument, wenn gesagt wird,dass Gewalt meist nicht mit Gegenge-walt beendet werden kann. Wie abermit bestialischen Terrorgruppen um-gehen wenn alle diplomatischen Be-mühungen ins Leere gelaufen sind?Abwenden, Achselzucken und demMorden zusehen? Die Drecksarbeit an-deren überlassen? Moralische Erschüt-terung mag sich schnell entwickeln –aber sie reicht nicht aus, da hat unserAußenminister recht.

Man kann der Bundesregierung vor-werfen, den Bundestag nicht einge-bunden zu haben. Man kann ihr abernicht vorwerfen, leichtfertig entschie-den zu haben. Diplomatie und Ver-handlung werden auch weiterhin diedeutsche Außenpolitik prägen, Kriegs-treiber gibt es in der politischen Füh-rungsriege jedenfalls nicht.

I R A K

Ende der GemütlichkeitDie Entscheidung für Waffenlie-ferungen kennzeichnet eine neuedeutsche Verantwortung in derWeltpolitik.

V O N S T E FA N L U T Z................................................

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2 Themen des TagesS Ü D K U R I E R N R . 1 9 4 | M PS A M S T A G , 2 3 . A U G U S T 2 0 1 42 Themen des Tages S Ü D K U R I E R N R . 1 9 4 | M PS A M S T A G , 2 3 . A U G U S T 2 0 1 4

Page 15: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

15

Miete/NebenkostenEnergie/Heizung etc.EssenKleidungMobilität/ReisenVersicherungen/Vorsorge„Luxus“/ExtrasMedien/Telefon/InternetSparen

30,3

2,8

18,6

3,1

18,6

11,8

6,2

8,7

0,0

Anteilin Prozent

FamilieGraf/SchillingMiete/Nebenkostten 30 3

Anteilin Prozent

FamilieGraf/Schillinngggggggggggggggggggggggggggggggggg

Miete/NebenkostenEnergie/Heizung etc.EssenKleidungMobilität/ReisenVersicherungen/Vorsorge„Luxus“/ExtrasMedien/Telefon/InternetSparen

25,6

4,7

9,3

2,3

27,9

9,3

9,2

4,7

7,0

Anteilin Prozent

SingleCalvin Kröhne

Miete/NebenkostenEnergie/Heizung etc.EssenKleidungMobilität/ReisenVersicherungen/Vorsorge„Luxus“/ExtrasMedien/Telefon/InternetSparen

44,0

2,2

33,0

1,1

1,1

1,1

5,5

9,9

2,2

Anteilin Prozent

StudentinElena VogtS

Miete/NebenkostenEnergie/Heizung etc.EssenKleidungMobilität/ReisenVersicherungen/Vorsorge„Luxus“/ExtrasMedien/Telefon/InternetSparen

42,4

9,0

10,0

6,0

6,5

22,0

1,7

2,5

0,0

Anteilin Prozent

AlleinerziehendeChristiane Linke

Miete/Nebenkosten*Energie/Heizung etc.EssenKleidungMobilität/ReisenVersicherungen/Vorsorge„Luxus“/ExtrasMedien/Telefon/InternetSparen

9,8

11,5

49,1

0,0

5,1

5,4

0,0

17,9

1,3

Anteilin Prozent

Hartz-IV-EmpfängerinSigrid Köhler

*Miete zahlt das Jobcenter, dieser Betragist eine Rate der Mietkaution

*Miete zahlt das Jobcenter, dieser Betragist eine Rate der Mietkaution

Miete/NebenkostenEnergie/Heizung etc.EssenKleidungMobilität/ReisenVersicherungen/Vorsorge„Luxus“/ExtrasMedien/Telefon/InternetSparen

53,3

4,8

9,1

7,3

3,9

0,0

1,8

6,8

13,0

Anteilin Prozent

RentnerinDagmar Kühnert

Miete/NebenkostenEnergie/Heizung etc.EssenKleidungMobilität/ReisenVersicherungen/Vorsorge„Luxus“/ExtrasMedien/Telefon/InternetSparen

34,8

4,5

32,6

22,5

0,0

0,0

3,9

1,7

0,0

Anteilin Prozent

AufstockerJürgen Scholz

Alle fünf Jahre gibt es in Deutschland dieEinkommens- und Verbrauchsstichprobe(EVS). Zuletzt wurden diese Daten 2008erhoben. Derzeit läuft laut StatistischemLandesamt die Auswertung der neuenErhebung. Ergebnisse werden imSommer 2015 vorliegen.

➤ Der durchschnittliche Haushaltin Baden-Württemberg ver-fügte 2008 laut EVS über einNettoeinkommen von 3329 Eu-ro. Der größte Anteil aller Aus-gaben von insgesamt 2472 Euroentfiel mit 789 Euro auf Woh-nen und Energie (32 Prozent).Für die Mobilität wurde 16 Pro-zent der Einnahmen (390Euro), für Nahrungsmittel14 Prozent (345 Euro) aus-gegeben. Für Freizeitaktivitä-ten blieben 279 Euro (11,3Prozent) und durchschnittlich669 Euro (27 Prozent) entfielenin die Kategorie sonstige Kon-sumausgaben, wie Kleidung, Rei-sen oder Telekommunikation.➤ Ein Paar mit Kindern gab laut EVSdurchschnittlich 3116 Euro aus. 30,5Prozent (950 Euro) wurde für Wohnenund Energie ausgegeben, 496 Euro,also 15,9 Prozent, für Nahrungsmittel.Auf die Freizeit entfielen 352 Euro(11,3 Prozent), auf andere Konsumgü-ter 836 Euro (26,8 Prozent).➤ Ein Paar ohne Kinder verfügte über2892 Euro für monatliche Ausgaben.Davon wurden 30,8 Prozent, also890 Euro, für Wohnen und Energieausgegeben. 377 Euro (13 Prozent)entfielen auf Nahrungsmittel, 342Euro (11,8 Prozent) auf Freizeit und790 Euro (27,3 Prozent) auf andereKonsumgüter.➤ Singles konnten 2008 durchschnitt-lich 1497 Euro im Monat ausgeben. Siegaben 37,4 Prozent (560 Euro) fürWohnen und 12,5 Prozent (187 Euro)für Lebensmittel aus. 10,9 Prozent (163Euro) blieben für die Freizeit, 396 Euro(26,5 Prozent) für Konsumgüter. (mol)

Alles rund um die Serie:finden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

So viel Geldhaben die Haushalte

Jürgen Scholz (58) ist nach einer kaufmännischen Aus-bildung, Bundeswehr und 28 Berufsjahren in verschiede-nen Unternehmen arbeitslos geworden. Dazu kam 2009die Scheidung und eine schwere Diabetes. Scholz lebtin Singen und ist seit Oktober 2009 Hartz-IV-Empfänger.Bei der Singener Tafel (Awo) hat er einen Sechsstunden-

job in der „Bürgerarbeit“ bekommen, der im Oktoberendet. Hier verdient er 770 Euro netto. Dazu gibt es 120Euro Mietkostenzuschuss vom Job-Center. (gtr)

Christiane Linke, 49, ist alleinerziehende Mutter zweierKinder im Alter von neun und sechs Jahren. Im März 2013trennte sie sich von ihrem Mann, es besteht aber weiterhin ein

freundschaftlicher Kontakt. Oft sind die Kinder am Wochenendebeim Vater. Finanziell hat sich Christiane Linke arrangiert: als

freie Theologin mit einem akademischen Studium gestaltet sieTrauerfeiern, Trauungen und Willkommensfeiern abseits

der etablierten Kirchen. Dies geschieht auf Honorar-basis, die Einnahmen hängen von der Anzahl der

Aufträge ab. Zusätzlich bekommt Linke für sichund die Kinder Unterhalt von ihrem ehemali-

gen Partner. Langfristig will sie jedochauf eigenen Beinen stehen. Um dieseUnabhängigkeit zu verwirklichen, istsie auf der Suche nach einer

Teilzeit-Festanstellung. (mkl)

Calvin Kröhne lebt in einer Zweizimmerwohnung in Waldshut. Der 24-Jährige istgelernter Industriekaufmann und arbeitet heute als Online-Marketing-Manager.Neben der Miete gibt er einen hohen Anteil seines Gehaltes für sein Auto aus, aufdas er aus beruflichen Gründen angewiesen ist. Trotzdem steht ihm genügend Geldfür Freizeitaktivitäten zur Verfügung, auf die er nie verzichten wollen würde. Am

liebsten geht er mit Freunden ins Kino oder ins Restaurant. (skd)

Wir befassen uns 13 Wochen mit demThema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? .11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit .19. Juli• Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosem und einem Millionär .2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? .........................23. August• Startup und Ende eines Familienunternehmens ............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat ................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen.....................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen .............27. September• Essay: Ein neuer Reichtum..........................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Dagmar Kühnert lebt sei 2000 in Über-lingen, seit 2008 ist sie im Ruhestand. Ein

Praktium beim Parkhotel St. Leonhard führtesie an den See. Die gelernte Einzelhandels-

kauffrau aus Stendal (Sachsen-Anhalt) hattenämlich in den Hotel- und Gast-stättenbereich umgeschult, sich

dann in die Bodenseeregionverliebt und blieb bis 2005

im St. Leonhard. Dannwechselte sie in die

Überlinger Kurparkklinik,bevor sie 62-jährig die

Altersrente für Frauen inAnspruch nahm. Die zweifa-

che Mutter und dreifacheOma würde nicht mehr aus

Überlingen wegziehenwollen. Sie hat hier ihre

Heimatgefunden.

(emb)

Sabrina Graf und Daniel Schilling sind seit fünfMonaten eine stolze, kleine Familie im Schwarz-

wald. In Villingen leben die 26-jährige Mutter undder 30-jährige Elekroinstallateur glücklich mit ihrem

neu geborenen Sohn Leon. Das meiste von ihremEinkommen muss für eine Wohnung in einem

Mehrfamilienhaus abgeführt werden. Für Kleidungbleibt kaum Geld übrig und auf die hohe Kante

legen können Mutter und Vater derzeit außer denBeiträgen zur Rentenkasse gar nichts. (tri)

Elena Vogt ist 24 Jahre alt, alleinerziehende Muttereines zweijährigen Jungen und studiert seit 2012

Deutsch und Spanisch auf Gymnasiallehramt an derUni Konstanz. Obwohl ihr Alltag recht anstrengend ist,schlägt sich Elena tapfer und hat gute Noten. Ihr Sohn

geht in die Kita. Elena Vogt will Lehrerin werden, weilder Job ihr Spaß macht, familienfreundlich und relativ

sicher ist. Ihr Traum ist es, mit ihrem Sohn für einigeZeit ins Ausland zu gehen, um dort zu studieren. (sab)

Sigrid Köhler (57) lebt in Singen. Dieledige Industriekauffrau weiß, wie es

ist, am Monatsende nichts übrig zuhaben. Seit sechs Jahren bezieht sie

Hartz IV. Trotz einer Weiterbildung zurSteuerfachangestellten fand sie

keinen Job mehr und musste nachlangem Ringen mit sich selbst Arbeits-

losengeld II beantragen. Kurz darauferkrankte ihre Mutter, die sie da-

raufhin mehrere Jahre pflegte. SigridKöhler ist ehrenamtlich bei der Awo

Singen aktiv, sie macht dort Kassen-abrechnungen. Sie möchte gerne

gesetzliche Betreuerin einer pflegebe-dürftigen Person werden. Ihr größter

Wunsch ist ein Vollzeit-Job. „Dannkann ich endlich wieder über michselbst bestimmen“, sagt sie. (sab)

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 9 4 | M PS A M S T A G , 2 3 . A U G U S T 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 1 9 4 | M PS A M S T A G , 2 3 . A U G U S T 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Page 16: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

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RolltreppedesLebens

präsentiert

Dieeinensindjung,erfolgreichundste-hen am Beginn einer aussichtsreichenKarriere. Die andere hat vor einem Jahrdas Rentenalter erreicht, hat ihre Firmaverloren und musste Privatinsolvenzanmelden. Die einen, das sind die App-Entwickler Thomas Kekeisen und An-dre Thum, Geschäftsführer der 2010 ge-gründeten Markdorfer Firma „social-bit“. Die andere, das ist Suse Kröner, dieaus einer Buchhändlerfamilie stammtund ihre Buchhandlung Glock in Alb-stadt im Zollernalbkreis nach 26 Jahrenaufgeben musste.

Eigentlich sind die Geschichten vonSuse Kröner, Thomas Kekeisen und An-dre Thum ganz klassisch – musste dochseit1999 rund ein Drittel der DeutschenBuchhandlungen schließen, währendder Bereich der Neugründungen aufdem Hightech-Sektor besonders er-folgreich war. „2013 wagten in Baden-Württemberg 82 847 Personen denSchritt in die Selbstständigkeit“, infor-miert das Wirtschaftsministerium Ba-den-Württemberg. Laut Zentrum fürEuropäische Wirtschaftsforschung(ZEW) gibt es nirgendwo so viele Neu-gründungen, die nach fünf Jahren nocham Markt sind, wie im Ländle. „Das giltüber alle Branchen hinweg, aber spe-ziell auch im Hightech-Sektor“, sagtFrank Kupferschmidt, Sprecher desWirtschaftsministeriums.

Zurück zu Suse Kröner, Andre Thumund Thomas Kekeisen: Obwohl sie inganz unterschiedlichen Branchen tätigsind, verlaufen ihre Geschichten einstückweit parallel, denn alle haben ihreHobbys zum Beruf gemacht. Suse Krö-ner ist immer ausreichend mit Lesestoffversorgt, die Eltern haben eine Buch-handlung. Andre Thum und ThomasKekeisenwachsenineinerdigitalenWeltauf: Programmieren interessiert sieschon, als sie noch Schüler der Mittel-stufesind.GanzgenauerinnertsichKek-eisen noch an die erste App, die er entwi-ckelte. „Das war ein Messer, das ist hin-und hergewackelt.“ Apps sind kleineProgramme für Smartphones und Tab-let-PCs. Manche sind nützlich, anderehaben nur Unterhaltungswert. Mit die-sererstenAppbeginntalles:Kekeisener-hält die ersten Aufträge, immer mehrwerden es, irgendwann kann er das Pen-sum nicht mehr alleine bewältigen, ruftseinen alten Klassenkameraden AndreThum an. Ob er nicht Bock habe, bei ihmeinzusteigen. Thum hat mächtig Bock,so viel, dass er sogar ein attraktives Job-Angebot in München absagt.

Auch bei Suse Kröner wird der Spaßirgendwann zum Ernst: Sie wird er-wachsen, Mutter zweier Kinder, allein-

VON

AUFS

TIEG

und

Nied

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ng

V O N E V A - M A R I A B A S T................................................

erziehend,mussihrenLebensunterhaltverdienen. Was liegt da näher als das zutun, was die ganze Familie tut und tat,solange sie denken kann? Die elterlicheBuchhandlung in Balingen führt inzwi-schen der Bruder, ganz allein traut siesich nicht, eine eigene Buchhandlungzu eröffnen. Aber sie hat einen gutenFreund, mit ihm zusammen wagt sieden Schritt und kauft die Traditions-buchhandlung Glock in Albstadt. SuseKröner nimmt einen Kredit auf, nichtnur für den Kauf, sondern auch dafür,den Laden nach ihrem Geschmack ein-zurichten. „Ich hatte zwar keine Ah-nung von Buchhaltung, aber ich habebei meinen Eltern immer gesehen, dassman mit Büchern Geld verdienenkann“, erzählt sie. Investieren müssenauch Andre Thum und Thomas Kekei-sen. Sie haben ein wenig Eigenkapitalund den Rest finanzieren sie aus ihremersten Honorar. „Wir arbeiteten an-fangs von zu Hause und konnten mitwenig Betriebskosten weit kommen“,sagt Kekeisen. Erst als es dann richtiggut läuft, ziehen sie in ein Büro um.

Alle drei sind jung, Kekeisen undThum Anfang 20, Suse Kröner Ende 30,als sie den Schritt in die Selbstständig-keit wagen. Und alle sprudeln sie vorIdeen. Dann kommt die Phase des sichEtablierens. Bei „socialbit“ läuft es wiegeschmiert. Schon bald ist der Mitar-beiterstamm auf zehn feste und fünffreie Kollegen angewachsen. Suse Krö-ner in Albstadt merkt hingegen rasch,dass das Geschäft zu wenig abwirft, umzwei Familien zu ernähren. Auch ihrFreund hat das erkannt, scheidet imGuten aus dem Geschäft aus. Das ist dererste Knick. Mehr als 20 Jahre ist dasnun her und damals fängt es ja auch an,in der Buchhandelsbranche schwierigzuwerden.DieneuenMediensindzwarnoch lang nicht so stark wie heute, aberein Computer steht schon in so gut wiejedem Haushalt, zunehmend haben dieMenschen Handys in der Tasche. Daserste Smartphone ist ab 1995 auf demMarkt. Aber das hat kaum jemand. Erstmit der Einführung des iPhone im Jahr2007 setzt sich das Smartphone richtigdurch. Auch den Internet-BuchhändlerAmazon gibt es damals schon, seit 1994

Andre Thum (links)und Thomas Kek-eisen in ihrem Büroin Markdorf. Schuheziehen die beidennur an, wenn Ge-schäftspartnerkommen – sonstreichen Strümpfe.Das Büro hat ohne-hin Wohnzimmer-Atmosphäre.

Rolltreppe des Lebens: Die App-Entwickler Andre Thum und ThomasKekeisen aus Markdorf stehen am Be-ginn einer vielversprechenden Karriere.Suse Kröner muss ihre Buchhandlung inAlbstadt nach 26 Jahren aufgeben undin die Privatinsolvenz gehen

Papst Franziskus wählte ungewöhn-lich offene Worte. „Wir sind im

Krieg“, sagte er, als er auf den Vor-marsch der Islamisten im Irak und diebrutale Verfolgung von Minderheitenangesprochen wurde – um dann hin-zuzufügen: „Es ist ein dritter Welt-krieg.“

Diesen Eindruck könnte man in derTat bekommen. Jeder Tag hält derzeiteine neue Horrornachricht bereit. InSyrien und im Irak erobern die Terror-milizen des IS eine Stadt nach der an-deren. Auf den Golanhöhen überrenntdie Al-Nusra-Front eine Kaserne derUN-Blauhelme und nimmt 43 Solda-ten als Geiseln. In Gaza herrscht zwaroffiziell Waffenruhe, doch die Hamasbleibt an der Macht. Zu allem Über-fluss bringt Kremlchef Putin den kaltenKrieg zurück nach Europa. Sein Ver-such, die russische Invasion der Ukrai-ne hinter einer Wand von Nebelkerzenzu verschleiern, ist gescheitert. Seit dieSatellitenbilder von Panzerkolonnenauf dem Tisch liegen, hat dieser Kon-flikt eine neue Dimension.

Von allen Brandherden, die derzeitdie Welt aufschrecken, ist der Krieg inder Ukraine der ärgerlichste, denn eswill immer noch nicht einleuchten, wa-rum Putin ein derartiges Risiko ein-geht. Sind es wirklich russische Ein-kreisungsängste? Oder geht es nichteher um das Image als Retter Russ-lands, das der frühere KGB-Mann wohlfür notwendig hält, um auf Dauer ander Macht zu bleiben? So dreist hat je-denfalls schon lange kein Staatschefmehr versucht, den Westen auf die Pro-be zu stellen und zu prüfen, wie weit ergehen kann.

Warum Putin vieles risikiertWas tun? Europäer und Amerikanerkommen mit ihren Sanktionsdrohun-gen, Stufenplänen und Entrüstungsde-peschen nicht weiter. Die ukrainischeRegierung ruft bereits, so wie die Kur-den im Irak, nach Waffen. Der Westenwird aus guten Gründen den Kopfschütteln. Welchen Schluss soll Putindaraus ziehen? Am ehesten diesen: Erriskiert eine militärische Konfrontati-on, der Westen sucht sie zu vermeiden.Dieses Ungleichgewicht erlaubt esihm, den Konflikt ständig zu eskalierenund das Feuer im Nachbarhaus nachKräften zu schüren. Von selbst werdendie Flammen nicht mehr ausgehen.

Noch drastischer fällt das Ungleich-gewicht der Risikobereitschaft in der

islamischen Welt ins Auge. Die Glau-benskämpfer der IS-Milizen haben kei-ne Angst vor dem Tod, ihre Opfer hin-gegen sehr wohl. Erst recht die Gesell-schaften im Westen. Bereits die Frage,ob man angesichts eines drohendenVölkermords Abwehrwaffen, Schutz-westen und Nachtsichtgeräte lieferndarf, wühlt die Republik auf. So berech-tigt die Frage nach den Risiken vonWaffenlieferungen auch sein mag: Siesollte nicht den Blick für die militäri-schen Realitäten in Syrien und im Iraktrüben. Der Griff in die Gerätekammerder Bundeswehr wird diesen Kriegnicht entscheiden. Die Waffen könnenden Kurden helfen, ihre Städte undDörfer gegen die anstürmenden IS-Mi-lizen zu verteidigen. An deren Herr-schaft in den übrigen Regionen der bei-den Länder ändern sie nichts. Dortweht weiterhin die schwarze Flagge desIS von den Dächern und kündet von ei-nem Regime, von dessen Abgründenwir nur eine vage Vorstellung haben. 20verschiedene islamistische Terror-gruppen kämpfen allein in Syrien füreinen Gottesstaat. Im Vergleich zu demHorror, den sie verbreiten, erscheintder Donner in der Ukraine geradezuharmlos. Die Welt, so wie wir sie kann-ten, scheint aus allen Fugen geraten.

Der Weltpolizist fehltDie Konflikte zwischen Lugansk undAleppo wirken deswegen so alarmie-rend, weil die Menschen weltweit spü-ren, dass sie die Tendenz haben, zuwachsen. Werden sie nicht aktiv einge-dämmt, weiten sie sich unweigerlichaus. Ihnen allen ist gemeinsam, dasssie in einem geostrategischen Macht-vakuum stattfinden, das sich seit 25Jahren ständig ausdehnt. Bis zum Falldes Eisernen Vorhangs verhinderte derkalte Krieg, dass regionale Konflikteüber ihre Grenzen hinauswuchsen: DieAngst vor dem alles vernichtendenAtomschlag wirkte wie ein Feuerlö-scher. Inzwischen fällt auch Amerikaals Weltpolizist aus, nach dem Fehl-schlag im Irak und der Enttäuschung inAfghanistan hat es den Sheriffstern zu-rückgegeben. Und so nimmt sich Putinbei Obama heraus, was er sich bei ei-nem Präsidenten Bush oder McCainzweifellos verkniffen hätte.

Verfestigt sich hier eine neue Weltun-ordnung? Europa, Amerika und derRest der Welt haben noch keine Ant-wort auf die Frage gefunden, was mandurchgehen lassen darf und was nicht.Sie stellt sich immer drängender. Wo eseinen unrechtmäßigen Aggressor gibt,ist es legitim, ihn zu stoppen, sagt derPapst. Ebenso wichtig ist aber sein Zu-satz: Stoppen heißt nicht bombardie-ren. Wer den dritten Weltkrieg verhin-dern will, sucht besser andere Wege.

KRI S E N U N D KO N F L I KT E

Eine Welt aus den FugenErleben wir den Beginn desdritten Weltkriegs? Die Konfliktezwischen Lugansk und Aleppowerden weiter wachsen, wennman ihnen nicht entgegentritt.

V O N D I E T E R L Ö F F L E R................................................

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genauer gesagt, er wird jedoch langenoch nicht so frequentiert wie heute.

Suse Kröner führt ihre Buchhandlungnun alleine und stellt fest: Es lässt sichgut an. Neuen Schwung gibt ihr auch dieTatsache, dass es mit der Familientradi-tionweitergeht:diejüngsteTochterKris-tina hat bei einer großen Buchhandlungeine Lehre angefangen, danach hilft sieimmer wieder bei der Mutter im Ladenaus, dann wird es mehr und mehr, diebeiden Frauen überschlagen sich vorIdeenundLust,Bücherzuverkaufen,dieTochtersteigtganzbeiihrein.Sieorgani-sieren Veranstaltungen, bauen sich ei-nen großen Kundenstamm auf, kaufenBistrotische und Barhocker, im Ladengibt’s neben Büchern Kaffee, Kuchen imGlas und selbst zubereitete Suppe. „Un-sere Buchhandlung war für viele wie einzweites Wohnzimmer“, sagt Kröner.

Wie ein Wohnzimmer ist auch der Be-sprechungsraum bei „socialbit“. Thumund Kekeisen empfangen ihre Besucheran einem Tisch, an dem sie sonst mit ih-ren Mitarbeitern das Mittagsmahl ein-nehmen, die beiden Geschäftsführer ge-hen strümpfig, im Eck steht ein altes Le-dersofa. „Die Einrichtung ist cool unddie wird auch so bleiben“, sagt AndreThum. Auch ansonsten haben die bei-den keine Lust, sich für ihre Klienten zuverbiegen. Zu Geschäftsterminen bei ih-ren Kunden, zu denen, wie sie erzählen,auch BMW und Daimler gehören, zie-hen sie sich zwar logischerweise Schuhean die Füße, aber keineswegs fein polier-te italienische Herrenschuhe, sondernSportschuhe. Im feinen Zwirn hat keinerdie beiden je gesehen. „Manche guckendann erstmal komisch, wenn alle im An-zug dasitzen und wir in Alltagskleidungkommen“, sagt Thum. „Aber sobald wirüber unser Business sprechen, legt sichdas. Im Regelfall geht es nicht um Etiket-te, sondern um das Projekt.“

In beiden Firmen, der BuchhandlungGlock und beim App-Entwickler „social-bit“ wächst zu diesem Zeitpunkt der Fir-mengeschichte der Kundenstamm.Doch dann kommt Suse Kröner an einenPunkt, an den Andre Thum und ThomasKekeisen wohl nie kommen werden: Aneinem schönen Morgen im Jahr 2008liest die Buchhändlerin in der Zeitung,dass eine große Buchhandelskette in derStadt eröffnen wird. „Ich bin im Viereckgesprungen“, sagt sie. Trotzdem ist sieder Meinung: „Wir schaffen das.“ SuseKröner und ihre Tochter verstärken ihreBemühungen, setzen noch mehr aufVeranstaltungen, die Stammkunden ho-norieren das, bleiben treu. „Doch dieLaufkundschaft ist uns komplett wegge-brochen.“

TheoretischkannesAndreThumundThomas Kekeisen natürlich auch pas-

sieren, dass Konkurrenz kommt. Dochzum einen sind die beiden nicht auf dielokale Kundschaft beschränkt und zumanderen sind sie nicht in einem Marktaktiv, in dem die Zahlen rückläufig sind,sondern in einer Branche, die boomt.Suse Kröner gibt auch zunächst nichtauf. Sie hat geerbt, von der Tante, allesGeld steckt sie in den Laden. Doch ir-gendwann reicht auch das Erbe nichtmehr aus, die Banken wollen keine Kre-ditemehrgewähren,Krönerkannweni-ger Bücher beziehen. Sie macht privatSchulden, verkauft auch noch denSchmuck, den der Vater ihr über vieleJahre hinweg geschenkt hat, doch nach

drei Jahren des Kampfes erkennt sie,dass sie verloren hat. Im Juli 2012, 26Jahre nachdem sie den Laden eröffnethat, muss sie schließen.

Ein Schicksal, mit dem die Buch-händlerin nicht alleine dasteht: DerBörsenverein des Deutschen Buchhan-dels hatte 1330 Austritte in den Jahren1999 bis 2012 zu verzeichnen, das ent-spricht 27 Prozent. Die Zahl der Insol-venzen in Baden-Württemberg ist nachAngaben des Statistischen Landesam-tes von 1999 bis heute von insgesamt3212 auf 12 935 gestiegen. Vielen dieserMenschen mag es so gegangen sein wieSuse Kröner, die die Tage danach wie in

Trance erlebt. Kunden kommen, brin-gen Blumen, drücken ihr Bedauern aus.Einen Tag später ist Suse Kröners Kontogesperrt. Privatinsolvenz. Trotzdem istsie froh, nicht kampflos aufgegeben zuhaben. Schlimm ist für sie der Gang,Hartz IV zu beantragen. Und ihre Pri-vatschulden will sie unbedingt loswer-den, das ist für sie Ehrensache. Im No-vember wird sie 65, nun bekommt sieRente „aber die kam einen Monat ver-zögert und Hartz IV bekam ich nichtmehr, das war auch schwierig, denn ichhatte in diesem Monat nichts. Außerverständnisvollen Menschen um sichherum: Der Vermieter erlässt ihr in demMonat die Miete, dann bezieht sie dieRente. 448 Euro monatlich. Sie jobbt inder Buchhandlung ihres Bruders, dienun ihre Neffen führen. Rund 950 Eurobleiben ihr monatlich zum Leben. Da-vonzahltsienochihreSchulden, leistenkann sie sich kaum etwas.

Wirklich reich sind auch Thum undKekeisen nicht: 2011 machen sie einenJahresumsatz von rund 250 000 Euro,davon müssen Mitarbeiter und Be-triebskosten bezahlt werden. Mehr als2000 bis 3000 Euro bleibt ihnen da proNase nicht zum Leben. Doch das reichtihnen gut. Sie wissen, dass die Umsätzevon Jahr zu Jahr steigen. Wie Suse Krö-ner seinerzeit arbeiten Thum und Kek-eisen hart – zehn, elf Stunden am Tag.Diese Belastung hat die Buchhändlerinnichtmehr.Vorallemaberhatsieetwas,dasnichtmitGeldzubezahlenist:Sieistmit sich im Reinen. „Meine Überzeu-gung ist: Man muss gucken, wie manmit der jeweiligen Situation fertig wird.Und das kann man nur, wenn man nachvorne denkt und nicht dem nachtrau-ert, was man verloren hat.“

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„Man muss gucken, wie man mit derjeweiligen Situation fertig wird. Unddas kann man nur, wenn man nachvorne denkt und nicht dem nach-trauert, was man verloren hat.“

Suse Kröner, Buchhändlerin................................................

Suse Kröner liebtBücher über alles –und das schonimmer. So war es nurkonsequent, darausauch einen Beruf zumachen. Heuteallerdings gibt es ihreBuchhandlung nichtmehr.B I L D E R : JA R AUS C H

Auf und Ab von Unternehmen

QUELLE: STATISTISCHES LANDESAMTSÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Gesellschaft mit be-schränkter Haftung (GmbH)

Einzelunternehmen, FreieBerufe, KleingewerbePersonengesellschaft

(OHG, KG, GbR)

GmbH & Co KG

Sonst. Rechtsformen,Genossenschaften

Private CompanyLimited by Shares (Ltd)

AG und Kommandit-gesellschaft auf Aktien

eröffnete Verfahren

Insolvenzverfahren in Baden-Württemberg 2012betroffene Arbeitnehmer

681

621

134

88

17

15

13

Landkreis Konstanz

Bodenseekreis

Schwarzwald-Baar-Kreis

Landkreis Lörrach

Landkreis Waldshut

Landkreis Tuttlingen

Landkreis Sigmaringen

Gewerbe-Neugründungen

1881

1436

1417

1270

984

851

807Stand: 2013

13 667

25 799

8 004

7 441

175

53

466

Baden-Württemberg75 586

Gesamt: 1 481davon:

darunter:

Volker Grub ist der bekannteste Insolvenz-verwalter in Baden-Württemberg. Er war inüber 500 Insolvenzverfahren beteiligt, unteranderem 2009 bei der Pleite der Schiesser AGRadolfzell. Mit dem 76-Jährigen aus Stuttgartsprachen wir über Unternehmerrisiken undwie man damit umgehen kann.

Herr Grub, was sind die größten Fehler, die in kleinen undgroßen Firmen immer wieder gemacht werden?Insolvent wird man immer dann, wenn man mehr ausgibt,als man einnimmt und damit die finanziellen Mittel fehlen,fällige Schulden zu bezahlen. Dies gilt sowohl für die Privat-als auch die Unternehmensinsolvenz. Die Gründe, die zurInsolvenz führen können, sind mannigfach. Sie beginnenoft mit gesundheitlichen Problemen wie Drogenabhängig-keit und Alkoholismus und Labilität. Dazu zählt der erfolg-reiche Unternehmer, der im Alter mit seinem Starrsinn alleswieder kaputt macht.

Wie erkennen Arbeitnehmer, dass ihre Firma hoch riskantunterwegs ist und sich vielleicht ein Wechsel empfiehlt?Es gibt eine Reihe von Indikatoren. Beispielsweise die Auf-nahme stiller Gesellschafter zur Stärkung der Eigenkapital-basis wie Bürgschaftsbanken oder sonstigen Mittel-standsförderungsinstituten. Oder Mezzanine-Kredite, diedas Unternehmen mit außerordentlich hohen Zinsen belas-ten. Immaterielle Werte werden unter Ausnützung von Bi-lanzwahlrechten aktiviert. Auch der Verkauf von Betriebsan-wesen oder auch Maschinen und maschinelle Anlagen anLeasinggesellschaften kann ein Signal sein. Das Unterneh-men wird in den Folgejahren durch hohe Leasingraten be-lastet. Oder das Umlaufvermögen an Vorräten und Forde-rungen steht in einem Missverhältnis zu den Umsätzen, weilbeispielsweise die Vorräte in der Bilanz zu hoch ausgewie-sen und notwendige Abschreibungen durchgeführt wurden.

Welches Verhalten und welche Entscheidungen des Unter-nehmers schaden und können in die Insolvenz führen?In Unternehmen wird häufig ein schlechter Führungsstilfestgestellt mit der „Herr im Haus-Mentalität“ des Unter-nehmers, die auf die Belegschaft motivationshemmendwirkt, der fehlenden Delegation – der Unternehmer will allesselbst machen – oder auch Streitigkeiten unter Familien-stämmen, die dann auch prozessual ausgetragen werden.Ein häufiger Insolvenzgrund ist die Einbeziehung von Fami-lienmitgliedern in der Führungsetage, die nicht die entspre-chende Qualifikation mitbringen und dann auch noch Ab-lehnung bei der Belegschaft finden.Weitere Insolvenzgründe sind oft das Verschlafen vonMarktentwicklungen, Investitionen, die aus Gründen derSteuerersparnis oder der Aussicht auf öffentliche Finanzhil-fen durchgeführt werden, die Konzentration auf wenige Lie-feranten, Kunden oder Banken, die zu einseitigen Abhängig-keiten führen, fehlende Kontrollsysteme, insbesondereauch fehlende Vor- und Nachkalkulationen, ein zu großesProduktsortiment mit erheblichen Folgekosten oder der Er-werb von anderen Unternehmen, um ein schnelleresWachstum zu dokumentieren.

Welche Tipps lassen sich daraus ableiten?Die Insolvenz ist kein Ereignis, das unverhofft hereinbricht.Der Privatmann muss seine Ausgaben an seinen Einnah-men orientieren. Dies ist mit den Grundrechenarten zu be-wältigen. Auch der Unternehmer kann mit einer sorgfälti-gen Analyse der Unternehmenssituation die Stabilität sei-nes Unternehmens feststellen. Natürlich ist es möglich, beieiner negativen Entwicklung gegenzusteuern. Eine derwichtigsten Voraussetzung für den Unternehmer ist: DieSorge um ausreichendes Eigenkapital. Dazu gehört, über-höhte Entnahmen zu vermeiden und im Zweifel auf dieYacht oder den Oldtimer zu verzichten. Die Vorbildfunktiondes Unternehmers für die Mitarbeiter ist elementar.

Wo bekommen Unternehmer eigentlich eine unabhängigeund fundierte Beratung?Es gibt eine Vielzahl von preiswerten kleineren Unterneh-mensberatungen, deren Hilfe in Anspruch genommen wer-den kann. Ich muss zugestehen, dass es nicht immer einfachist, die richtige Unternehmensberatung zu finden.

F R A G E N : N O R B E R T T R I P P L

Alles rund um die Seriefinden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

„Starrsinn des Chefskann gefährlich sein“

Wir befassen uns 13 Wochen mit demThema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? .11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit .19. Juli• Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär ..2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? .................................23. August• Startup und Ende eines Familienunternehmens.....30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat ................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen.....................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen .............27. September• Essay: Ein neuer Reichtum..........................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 2 0 0 | M PS A M S T A G , 3 0 . A U G U S T 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 2 0 0 | M PS A M S T A G , 3 0 . A U G U S T 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

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RolltreppedesLebens

präsentiert

Einen Laptop mit Fotos und die Erin-nungen – das ist alles, was Yaser Alamour und seiner Familie aus ihremfrüheren Leben geblieben ist. Als derKinderarzt, seine Frau und die fünf Kin-der aus Syrien vor drei Monaten mit ei-nem Flüchtlingsboot von Libyen nachItalien gebracht wurden, warfen dieSchlepper all ihr Gepäck über Bord.„Das Schiff hatte vielleicht Platz für 300oder 400 Menschen, wir waren dortaber über 1000. Die Verhältnisse warengrauenvoll. Nach neun Stunden Fahrthat uns dann ein italienisches Militär-schiff eingesammelt. Nach weiterenzwei Tagen haben wir die Küste Italienserreicht“, erinnert sich Yaser Al amour.Den Laptop hatte der 50-Jährige unterseiner Jacke versteckt – nur so konnte erihn in Sicherheit bringen.

Doch der eigentliche Aufbruch derFamilie begann schon vor eineinhalbJahren in Syrien und führte die Familieüber Libyen nach Italien und schließ-

lich nach Deutschland. Hier wurden sieals Flüchtlinge aufgenommen, habenmittlerweile eine Aufenthaltsgenehmi-gung und dürfen für mindestens dreiJahre hier bleiben. Eine Unterkunft hatdie Familie in der Gemeinde Welschin-gen im Kreis Konstanz im ehemaligenGemeindehaus gefunden. „Wir sindfroh und dankbar, dass wir hier ein Zu-hause bekommen haben“, sagt Yaser Alamour in sehr gutem Englisch.

Die Familie steht noch ganz am An-fang ihres neuen Lebensabschnitts. Ih-re Flucht begann, nachdem die Regie-rung und die Rebellengruppen in dersyrischen Stadt Daraa, (etwa 100 000Einwohner großen Stadt) erst das in derNähe stehende Haus der Al amours zer-bombt hatten und anschließend dasKrankenhaus, in dem Al amour als Kin-derarzt und Klinikchef tätig war. Die Fa-milie stand vor dem Nichts und mussteumihrLebenfürchten.„Ichwurdeauchvon der Regierung bedroht und in Un-tersuchungshaft genommen. Sie for-derten mich auf, nur noch für sie zu ar-

VON

AUFB

RUCH

und

Anku

nft

V O N S U S A N N K L A T T - D ’ S O U Z AU N D M O N I K A O L H E I D E................................................

Rolltreppe des Lebens: KinderarztYaser Al amour ist aus Syrien geflohenund will im Kreis Konstanz neu anfan-gen. Hidir Gürakar kam vor 42 Jahrenaus der Türkei, lebt in Bad Säckingenund ist heute Landtagsabgeordneter

beiten und die Rebellen nicht mehr zubehandeln. Das widerspricht meinemärztlichen Grundsatz, allen krankenund verletzten Menschen zu helfen. Ichmache keine Unterschiede bei den Pa-tienten – egal ob sie nun von der Regie-rung oder den Rebellen zu mir kom-men, um behandelt zu werden“, sagtYaser Al amour. Also beschloss die Fa-milie, nach Libyen auszuwandern, woVater Al amour beim Gesundheitsmi-nisterium eine Stelle bekommen hatte.„Doch die Situation verschlechtertesich auch in Libyen, und wir hattennach über einem Jahr eine ähnliche Si-tuation wie in Syrien. Also haben wir be-schlossen, das Land zu verlassen undnach Deutschland zu fliehen, um uns inSicherheit zu bringen“, sagt der 50-Jäh-rige.

Solche dramatischen Umstände wa-ren es nicht, als Hidir Gürakar vor 42Jahren nach Deutschland kam, um einneues Leben anzufangen. 1972 hatte ergerade das türkische Abitur in der Ta-sche und trug den Traum von Freiheitund Demokratie im Herzen. Heute,2014, ist er Abgeordneter der SPD im ba-den-württembergischen Landtag,langjähriger Gemeinderat und Bürger-meisterstellvertreter in Bad Säckingenam Hochrhein und geschätztes Mit-glied in vielen Vereinen. Kurz: Teil derGesellschaft, die einst fremd war. Güra-kars Leben in Deutschland ist eine Er-folgsgeschichte und ein Paradebeispielfür die oft geforderte Integration. DennGürakar half als Sozialarbeiter anderenEinwanderern dabei, in der Region Fußzu fassen: „Ich habe diesen Schritt nie-mals bereut.“ Warum er aus dem türki-schen Tunceli in das 3500 Kilometerentfernte Deutschland zog? Gürakarantwortet ohne zu zögern: „Die demo-kratische Grundordnung in Deutsch-land ist einzigartig, und wir haben eineder besten Verfassungen der Welt.“

Die Hoffnung auf ein besseres Lebenteilen viele Menschen, die nachDeutschland einwandern. Doch fürmanche von ihnen geht es um vielmehr: ums Überleben. Die Türkei istzwar das Herkunftsland der meistenMigranten in Baden-Württemberg,doch jährlich beantragen tausendeMenschen Asyl in Deutschland, weil siein ihrer Heimat verfolgt werden und um

Yaser Al amour war inSyrien ein angesehe-ner Arzt – bis derBürgerkrieg ausbrach.Er flüchtete mit seinerFamilie vor Anschlä-gen und Angriffennach Deutschlandund wurde im KreisKonstanz unterge-bracht. Der Laptop istdas einzige, was vonseinem früherenLeben geblieben ist.B I L D : KL AT T- D ’ S O UZ A

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„Wenn alles geregelt ist, möchte ichnach Möglichkeit als Arzt auf demLand arbeiten. Ich habe vom Ärzte-mangel gehört und wenn es etwasgibt, das ich diesem Land zurück-geben kann, dann möchte ich dastun.“

Yaser Al amour, Arzt aus Syrien,seit wenigen Wochen in Deutschland................................................

Der Vertrag ist unterzeichnet, dieVerhandlungen in der weißrussi-

schen Hauptstadt Minsk hatten Erfolg.Ab sofort sollen im Osten der Ukrainedie Waffen schweigen – endlich. Wäh-rend in Wales die Nato nach Rezeptengegen die neuen russischen Groß-machtsfantasien sucht, verständigensich die Unterhändler aus Kiew undMoskau auf eine Feuerpause.

So erfreulich das Ende der Kämpfeauch ist: Gelöscht ist dieser Brand nochlange nicht. Eine Feuerpause ist nochkein Frieden. Niemand weiß, wie langesie halten wird, zumal die Aufständi-schen ihre Waffen behalten dürfen. Dierussische Seite stimmt nur zu, weil sieSanktionen fürchtet und Zeit gewin-nen will, um ihre Geländegewinne ab-zusichern. Ihr Ziel, das Nachbarland zuzerstückeln und eine Landbrücke zurannektierten Krim zu erobern, hat siekeineswegs aufgegeben – die erbitter-ten Kämpfe um die Hafenstadt Mariu-pol kurz vor Toresschluss zeigen es. DieUkrainer willigen zähneknirschendein, weil sie mit dem Rücken zur Wandstehen. Immer deutlicher tritt zutage,dass sie gegen diesen Gegner auf demSchlachtfeld keine Chance haben. DieNato wird ihnen weder mit Truppennoch mit Waffen beistehen.

Der Regierung in Kiew bleibt somitkeine andere Möglichkeit, als sich zufügen. Was die ukrainische Armee be-reits zurückerobert hatte, verliert sieseit einigen Wochen wieder. Selbst amFlughafen von Lugansk stehen erneutdie Separatisten. Erklären lässt sich derWechsel des Kriegsglücks nur durch diemassive Unterstützung durch die rus-sische Armee. Unter der Last der Indi-zien gibt Kremlchef Putin inzwischenselbst zu, was er lange zu verschleiernsuchte: Russische Soldaten kämpfenauf ukrainischem Boden.

Waffen helfen nichtDie Gegenseite hat der heimlichen In-vasion nichts entgegenzusetzen. Sowie die gesamte Gesellschaft ist die Ar-mee der Ukraine zu schwach, zuschlecht geführt, zu zerrissen, um dasLand verteidigen zu können. Viel bliebnach dem Umsturz im Februar von ihrnicht übrig, denn nur ein Teil der Sol-daten fühlt sich dem neuen Präsiden-ten Poroschenko verpflichtet. Eiligstfüllt Kiew die Lücken mit Freiwilligenund Hasardeuren. Waffenlieferungenwürden an diesem Zustand nichts än-dern. Schon aus diesem Grund sollte

der Westen hart bleiben, wenn Kiewnach Panzern und Raketen ruft.

Es bleibt dabei: Mit militärischenMitteln lässt sich der Konflikt nicht lö-sen. Europäer und Amerikaner könnenden Kreml mit Sanktionen überhäufen,Konten sperren und zur Not die Fuß-ball-WM 2018 boykottieren. Weiter ge-hen können sie nicht, sonst riskierensie, die Krise auszuweiten statt sie ein-zudämmen. Die Nato bemüht sichzwar, Zähne zu zeigen und Putin mitschnellen Eingreiftruppen, Manöver-plänen und Bündnisschwüren vonweiteren Abenteuern abzuhalten. Dasgibt den Partnern im Osten Europas Si-cherheit und zeigt den Neo-Imperialis-ten an der Moskwa, wo für den Westendie rote Linie verläuft – sofern der rus-sische Appetit überhaupt bis nach Po-len und ins Baltikum reicht.

Die Ukraine befindet sich jenseitsdieser Grenze. Die Kraftmeiereien desNato-Gipfels helfen ihr so wenig wiedas Kleingedruckte der Feuerpause. Siebleibt auf Jahre hinaus den russischenBegehrlichkeiten ausgeliefert – einSpielball auswärtiger Mächte, so wie infrüheren Jahrhunderten auch, als dasriesige Land von seinen Nachbarn inOst und West nach Belieben überfallen,zerstückelt und verteilt wurde.

Es wird kälter in EuropaDie Folgen lassen sich noch nicht über-blicken. Sicher ist nur: Was sich in die-ser Gewitterecke des Kontinents zu-sammengebraut hat, wird in Europavieles ändern. Hier kommt keineSchlechtwetterfront auf uns zu, son-dern ein Klimawandel. Solange in Mos-kau Putin das Sagen hat, bleibt Russ-land ein schwieriger, unberechenbarerNachbar. Die Wunschträume der Jel-zin-Ära sind verflogen, ebenso die Illu-sionen eines Gerhard Schröder. Wastun? Ein 2000 Kilometer langer Stachel-drahtzaun, wie er der ukrainischen Re-gierung vorschwebt, kann keine Lö-sung sein. Die Völker Europas habenden Eisernen Vorhang nicht vor 25 Jah-ren niedergerissen, um ihn nun an an-derer Stelle wieder aufzubauen.

Was aber dann? Die Hoffnung, Russ-land könnte Partner Europas sein undnicht dessen Gegner, ist vorerst bitterenttäuscht. Aufgeben sollte sie nie-mand, denn ein Zurück zum kaltenKrieg schadet allen. Putins Staat kannsich nicht ewig verbarrikadieren. DieTüren müssen daher stets einen Spalt-breit offen bleiben, damit in der russi-schen Gesellschaft das Vertrauen zumWesten wieder wachsen kann. Sprü-che, wie sie Nato-Generalsekretär Ras-mussen von sich gibt, sind dabei keineHilfe. Sie illustrieren nur, dass dasBündnis noch keine besseren Antwor-ten gefunden hat.

U KR A I N E

Ein bisschen FriedenDie Feuerpause für die Ukraineist unterschrieben. So erfreulichdas Ende der Kämpfe auch ist:Gelöscht ist dieser Brand nochlange nicht.

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Deutscher Lokaljournalistenpreis 2010 • 2012 European Newspaper Award 2011 • 2012 • 2013 • 2014

2 Themen des TagesS Ü D K U R I E R N R . 2 0 6 | M PS A M S T A G , 6 . S E P T E M B E R 2 0 1 42 Themen des Tages S Ü D K U R I E R N R . 2 0 6 | M PS A M S T A G , 6 . S E P T E M B E R 2 0 1 4

Page 19: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

19

1 In welchen Fällen spricht die Statistik eigentlich von einemMigrationshintergrund?

Zu Menschen mit Migrationshintergrund zählen alle inDeutschland lebenden Ausländer, aber auch – und das istder größere Teil – Deutsche mit ausländischen Wurzeln.Dazu zählen Spätaussiedler und Eingebürgerte, derenKinder und die Kinder ausländischer Eltern, die bei Geburtzusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben.In der Statistik erfasst sind aber auch Kinder mit ein-seitigem Migrationshintergrund, das heißt, dass nur einElternteil Einwanderer ist, sowie Eingebürgerte, nichtzugewanderte Ausländer. Die Daten zur Bevölkerung mitMigrationshintergrund werden vom Statistischen Landes-amt erst seit 2005 erhoben.

2 Wie viele Menschen in Baden-Württemberg haben einenMigrationshintergrund?

In Baden-Württemberg lebten im Jahr 2012 laut statisti-schem Landesamt rund 2,9 Millionen Menschen mit Mi-grationshintergrund. 1,3 Millionen von ihnen haben einenausländischen Pass, rund 1,6 Millionen sind deutscheStaatsbürger. Damit liegt der Anteil der Menschen mitMigrationshintergrund bei 26,7 Prozent der Gesamtbevöl-kerung in Baden-Württemberg. Das ist deutlich mehr, alsder bundesweite Anteil von 20 Prozent. Damit rangiert dasLändle hinsichtlich dieser Quote hinter Bremen (28 Pro-zent) und Hamburg (27 Prozent) auf Platz drei aller Bun-desländer. Knapp die Hälfte aller Migranten lebt seit über20 Jahren in Baden-Württemberg, jeder Zehnte ist erst vorweniger als fünf Jahren zugezogen.

3 Aus welchen Ländern kommen die meisten Migranten inBaden-Württemberg?

Hinsichtlich der Herkunftsländer kommen die meistenMigranten, knapp 466 000 Personen, aus der Türkei. Mitetwa 240 000 folgen Italien, Kasachstan mit rund 230 000und Russland mit 208 000 Personen. Gerade noch unterden ersten zehn Ländern findet sich Frankreich, woherrund 51 000 Menschen stammen.

4 Welche Faktoren beeinflussen die Chancen von Zuwan-derern in Deutschland?

Bildung und Ausbildung sind die Schlüsselworte, wenn esum die Chancen geht, die Migranten in Deutschlandhaben. Das belegt die Statistik. So haben die Migranten inBaden-Württemberg im Durchschnitt ein niedrigeresBildungs- und Ausbildungsniveau. 31,1 Prozent der 25- bis35-Jährigen mit Migrationshintergrund haben keinenberuflichen Abschluss, was allerdings nur auf 12,8 Prozentder Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrundzutrifft. Das wirkt sich unmittelbar auf die Beschäftigungund das Einkommen aus. Die schlechteren Arbeitsmarkt-chancen von Migranten ziehen eine schlechtere finanzielleSituation und eine höhere Abhängigkeit von staatlichenLeistungen nach sich. Rund ein Viertel der Menschen mitMigrationshintergrund gilt aufgrund geringen Einkom-mens laut Statistik als von Armut bedroht.

5 Wie stellt sich die Situation der Asylbewerber dar?2012 lebten laut Statistischem Landesamt 15 046 Per-

sonen als Asylbewerber in Baden-Württemberg. Etwa zweiDrittel waren Männer (66 Prozent). Fast ein Viertel(23,8 Prozent) war noch minderjährig. Die Hälfte derFlüchtlinge kam aus einem asiatischen Land (51,2 Pro-zent), gefolgt von Asylsuchenden aus europäischen Län-dern (33,2 Prozent). Mit deutlichem Abstand folgen afri-kanische Länder (13,4 Prozent). Aktuell nimmt die Zahl derAsylbewerber deutlich zu. Im Juli dieses Jahres kamen2103 Asylbewerber nach Baden-Württemberg, im gleichenMonat des Vorjahres waren es 1329 Menschen.

6 Was wird getan, damit Integration Erfolg hat?Integration ist einerseits Aufgabe der Kommunen und

Kreise. Hier gilt es, Strategien zur Bildungsintegration zuentwickeln, aber auch Gelegenheit zur interkulturellenBegegnung zu schaffen. Doch auch eine Vielzahl vonVereinen, Hilfsorganisationen und Migrantenverbänden inder Region engagieren sich aktiv für Integration, beispiels-weise durch Sprachkurse. Hier soll die Devise gelten: „Mitden Migranten, nicht für die Migranten.“

M O N I K A O L H E I D E

Alles rund um die Seriefinden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

Sechs Antworten zuMigration und Zuwanderung

ihr Leben und das ihrer Familien fürch-ten.Rund15000Flüchtlingelebten2012in Baden-Württemberg. „Es ist natür-lich ein Unterschied, ob sich jemandaus freien Stücken dazu entscheidet, inDeutschland zu leben oder gezwungenist, seine Heimat zu verlassen“, sagt Hi-dir Gürakar. Für Zuwanderer gehe esdarum, unter Bewahrung der eigenenIdentität in der fremden Gesellschaftanzukommen.

Hidir Gürakar ist das gelungen. Erkam 1972 das erste Mal nach Deutsch-land. In ihm reifte der Wunsch, hier zustudieren. Mit dem Erlernen der Spra-che am Goethe-Institut legte er denGrundstein. „Es war vor allem der Frei-heitsgedanke der 1968er-Bewegung,der mich begeisterte – und die Politikvon Willy Brandt.“ Der damalige Kanz-ler, dessen Wirken auch in der TürkeiBeachtung fand, faszinierte den jungenHidir. 1976 zog er endgültig nachDeutschland und wurde1977 SPD-Mit-glied. Die Liste seiner politischen Ämterist lang: Vom Vorsitz des SPD-Stadtver-bandes bis zum Mitglied des Landes-vorstands der SPD Baden-Württem-berg und Mitglied des Landesvorstandsder Sozialdemokratischen Gemein-schaft für Kommunalpolitik in Baden-Württemberg (2002). Schließlich rückteGürakar im Januar 2014 für Alfred Wink-ler als Abgeordneter des WahlkreisesWaldshut in den Landtag nach.

Das Thema Migration war für ihn vonAnfang an bedeutsam. Anfang der1980er Jahre ließ er sich zum Sozialpä-dagogen ausbilden und zog mit seinerFamilie an den Hochrhein. Er wurde1983beiderArbeiterwohlfahrt(Awo)tä-tig, Dienststellenleiter des Migrations-sozialdiensts der Landkreise Lörrachund Waldshut mit Hauptsitz in Bad Sä-ckingen. Schwierigkeiten, vor denenMigrantenzunächststehen,bekamGü-rakar während seiner Beratertätigkeitin großer Zahl mit. Rund 4000 Men-schen stand er in 22 Jahren bis 2013 bei.Bis 2005 zunächst bei der Awo, dann alsselbstständiger Sozialberater. Viele ha-ben eine Arbeit gefunden, sind geblie-ben. „Darauf bin ich stolz, denn das warein aktiver Beitrag zur Integration in derRegion.“ Gürakar half bei Behörden-gängen und in Fragen des Arbeitser-laubnisrechts, vermittelte, übersetzte,unterstützte Familien. Menschen also,wie Yaser Al amour und seine Familie.

Eine Rückkehr in die Heimat kannsich Familie Al amour momentan nichtvorstellen. Sie stünden genauso wie inDeutschlandzunächstvordemNichts–keine Arbeit und kein zu Hause. Dereinzige Unterschied: „Wir brauchenhier nicht um unser Leben zu fürchten.Bei uns ist es viel zu gefährlich. Viele der

Ärzte in dem Krankenhaus in Daraa sindheute tot. Auch mein persönlicher As-sistent ist bei einem Angriff ums Lebengekommen. Wir wissen nicht einmal, ober der Regierung oder den Rebellen zumOpfer gefallen ist.“ Jetzt hofft Yaser Alamour, dass er mit seiner Frau und denKindern eine sichere Zukunft inDeutschland hat – ohne Bombenangrif-fe, Bedrohungen, gewalttätige Revolu-tionen und die Angst ums Überleben.Yaser Al amour möchte so schnell wie

möglich wieder als Arzt arbeiten. „Mei-ne Unterlagen werden bereits in Heidel-berg geprüft und ins Deutsche über-setzt“, sagt Al amour, der es kaum erwar-ten kann, seinem Beruf wieder nachzu-gehen. „Wenn alles geregelt ist, möchteich nach Möglichkeit als Arzt auf demLand arbeiten. Ich habe vom Ärzteman-gel gehört und wenn es etwas gibt, dasich diesem Land zurückgeben kann,dann möchte ich das tun.“ Doch zu-nächst muss Deutsch gelernt werden.

Die Sprache als zentrales Thema hebtauch Hidir Gürakar hervor. „Es ist sowichtig, die Sprache des Landes zu be-herrschen“, sagt Gürakar, der sich zwareinen leichten Akzent bewahrt hat,doch beeindruckend gut deutschspricht. Oft hätten die Familien das

deutsche Bildungssystem gar nicht ver-standen. Da war Überzeugungsarbeitgefragt.„DassdieKinderbeispielsweiseden Kindergarten besuchen müssenund nicht daheim bleiben können, da-ran mussten wir arbeiten.“ In schuli-schenAngelegenheitenbestandoftUn-sicherheit. Ein beispielhaftes Missver-ständnis bringt Gürakar zum Schmun-zeln: „Beim Wort ‚Sonderschule‘ dach-tenvieleVäterzunächst,dassessichumeine besonders gute Schule handelt.‚Sonder‘ also im Sinne von besonders.“

Die bestmögliche Schulbildung wol-len auch die Al amours ihren Kindernbieten. Deshalb haben sie schon vor ei-nem offiziellen Deutschkurs privatenUnterricht. Lisa Klein aus der GemeindeWelschingen kommt mehrfach in derWoche vorbei, um der Familie ersteGrundkenntnisse zu vermitteln. Diebeiden Söhne, 21 und 23 Jahre, habenbereits in Syrien und Libyen studiert.„Wir sind sehr dankbar für diese Unter-stützung. Sobald ihr Deutsch gut genugist, werden sie ihr Studium in Konstanzfortsetzen. Der eine studiert Jura, derandere möchte später als Ingenieur ar-beiten“, sagt Al amour. „Wenn alles soweit ist, wollen wir uns eine eigene Woh-nung suchen und uns Stück für Stück inunser neues Heimatland integrieren“,sagt er. Zurück blickt die Familie kaummehr – weder auf das prächtige Haus,das sie einst besaßen, noch auf die wei-ßeLimousineoderdieangesehenePosi-tion von Yaser Al amour. Nur ab und zusehen sie sich gemeinsam die Fotos vonihrem alten Leben an, die sie auf ihremLaptop in Sicherheit bringen konnten.„Aber wir haben noch viel Platz, um Fo-tos von unserer neuen Heimat zu spei-chern.“

Menschen mit Migrationshintergrund

QUELLE: STATISTISCHES LANDESAMT BAWÜ / SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

Landkreis Konstanz

Schwarzwald-Baar-Kreis

Landkreis Lörrach

Bodenseekreis

Landkreis Tuttlingen

Landkreis Waldshut

Landkreis Sigmaringen

63 180

53 600

51 860

45 570

41 180

36 620

25 200

265 630

202 400

217 380

201 610

131 440

162 440

126 390

23,8

22,6

19,9

26,5

31,3

22,5

23,9

Anteil in Prozent Baden-Württemberg

Deutschland

Bevölkerunggesamt

mit Migrationshintergrund

Anteil nach Zensus 2011 (Auswertung 2013)

%

%

26,7(2,9)

73,3 (7,9)

20,0(16,3)

80,0 (65,6)

(in Klammer, Personenin Millionen)

Er weiß, worauf es fürEinwanderer an-kommt: Hidir Gürakarkam Mitte der 1970erJahre aus der Türkeinach Deutschland.Der SPD-Landtags-abgeordnete arbeitetejahrzehntelang imMigrationssozial-dienst. Dabei half erTausenden dabei, inDeutschland Fuß zufassen.B I L D : JA S C H - R A M ST EC K

Wir befassen uns 13 Wochen mit demThema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? .11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit .19. Juli• Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär ..2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? .................................23. August• Startup und Ende eines Familienunternehmens ..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat .........6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum ..13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen.....................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen .............27. September• Essay: Ein neuer Reichtum..........................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

................................................

„Es ist natürlich ein Unterschied, obsich jemand aus freien Stücken dazuentscheidet, in Deutschland zu le-ben, oder gezwungen ist, seine Hei-mat zu verlassen.“

Hidir Gürakar, SPD-Landtagsabgeordneter,lebt seit 1976 in Deutschland................................................

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 2 0 6 | M PS A M S T A G , 6 . S E P T E M B E R 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 2 0 6 | M PS A M S T A G , 6 . S E P T E M B E R 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

Die Serie

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Rolltreppedes Lebens

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20

RolltreppedesLebens

präsentiert

„Es gibt nicht daseine Rezept zur

Armutsbekämpfung. ZweiDinge erscheinen mir aber

essentiell: Erstens, Armut darfsich nicht vererben, deshalb sind

gleiche Bildungschancen fürjeden Menschen wichtig. Der

Zugang zu Bildung – insbesondere für Kinder undJugendliche – trägt zur nachhaltigen Verringerung von

Armutsrisiken bei. Gut ausgebildete Menschen haben diebesten Chancen auf einen Arbeitsplatz. Armut der Eltern

darf nicht den Lebensweg ihrer Kinder prägen und sievon zukünftiger Teilhabe ausschließen. Zweitens,Politik hat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen

für eine nachhaltige wirtschaftlicheEntwicklung zu setzen.“

Andreas Jung,CDU-Bundestagsabgeordneter

Kreis Konstanz

„Die Einführungeiner bedarfsgerechten

Mindestsicherung von1050 Euro im Monat, die

gesellschaftliche Teilhabegarantiert, kann die Armut

beenden. Gleichzeitig muss einflächendeckender Mindestlohnvon mindestens zehn Euro ohne Ausnahmen gesetzlichfestgeschrieben werden. Es ist ein Skandal, dass so viele

Arbeitnehmer so geringe Löhne erhalten, so dass sie zusätz-liche finanzielle Hilfen vom Staat zum Überleben brau-chen. Darüber hinaus setzen wir uns für die Einführung

einer Reichensteuer und die Wiedereinführung derVermögenssteuer ein.“

Annette Groth,Bundestagsabgeordnete der Linken

Bodenseekreis

3919

159

0

35

621

16

Armut

GerechtigkeitMindestlohnFreiheit

Armut

Gerechtigkeit

Mindestlohn

FreiheitMarktwirtschaft

Die Reichen werden immer reicher. Mitdieser Botschaft schaffte es der franzö-sische Ökonom Thomas Piketty in die-sem Jahr in die amerikanische Bestsel-lerliste – und das mit einem über 700Seiten starken Fachbuch voller Zahlenund Grafiken. Als „Wirtschaftsbuch desJahrzehnts“ bezeichnete Nobelpreis-träger Paul Krugman Pikettys „Kapitalim21.Jahrhundert“,dasimHerbstauchauf Deutsch erscheinen soll. Anders alsKarl Marx, mit dem Piketty oft vergli-chen wird, kann Piketty seine These mitstatistischen Daten belegen. Und er lie-fert eine einfache Erklärung dafür, wa-rumdieReichenimmerreicherwerden:Die Rendite des Kapitals sei höher alsdas allgemeine Wirtschaftswachstum,deshalb werde das einfache Volk immermehr von den oberen Zehntausend ab-gehängt. Pikettys Buch traf offenbarden Nerv der Zeit und löste in Amerikaeine öffentliche Kontroverse über Un-gleichheit, Gerechtigkeit und die richti-geSozialpolitikaus,diebisnachEuroparüberschwappte. Mittlerweile gehörtder 43-jährige Piketty auch in den deut-schen Medien zu den meistzitiertenÖkonomen. „Die Geschichte von Ein-kommen und Vermögen ist immerhochpolitisch. Alles hängt davon ab,was die Menschen als gerecht ansehenund wie sie durch Politik Einfluss neh-men“, sagt Piketty.

Von der Utopie zur RealitätDoch was ist dran an dieser Ungleich-heitstheorie? Geht die Schere zwischenArm und Reich tatsächlich immer wei-terauseinander?UndwaskanndiePoli-tik dagegen tun? Auf den ersten Blick istvonArmutinDeutschland,erstrechtim

reichen Baden-Württemberg, wenig zuspüren. Fast jeder kann sich heute einSmartphone, einen Flachbildfernseheroder einen Laptop leisten. Dank destechnischen Fortschritts werden diesefrüherenLuxusgüterimmererschwing-licher, so dass der Slogan „Wohlstandfür alle“, den Ludwig Erhard zu Zeitendes deutschen Wirtschaftswunders inden 50er-Jahren prägte, Realität zu wer-den scheint. Auch exotische Urlaube infernen Ländern, früher ein Privileg derOberschicht, werden für immer mehrMenschen bezahlbar. Statt in Spanien

oder Italien urlaubt die deutsche Mit-telschicht in Thailand oder leistet sicheine Kreuzfahrt in der Karibik.

Doch die statistischen Daten spre-chen eine andere Sprache. Laut statisti-schemBundesamtsindinBaden-Würt-temberg rund elf Prozent aller Bürgervon Armut bedroht – und das ist schonder niedrigste Wert in ganz Deutsch-land. In den ostdeutschen Bundeslän-dern liegt die Armutsquote teilweiseüber 20 Prozent. Auch in vielen west-deutschen Großstädten wie Köln,Frankfurt, Gelsenkirchen oder Dort-mund ist das Armutsrisiko ähnlichhoch.

Allerdings misst die sogenannte Ar-mutsgefährdungsquote nur die relativeArmut. Sie gibt an, wie viele Menschenweniger als 60 Prozent des mittlerenEinkommens zum Leben haben. Steigt

das mittlere Einkommen durch eineSteigerung der hohen Einkommen

an, erhöht sich die Armutsquote,auch wenn es den Benachteilig-

ten objektiv betrachtet nichtschlechter geht.

Absolute Armut, wie mansie in vielen Entwicklungs-ländernAfrikasoderAsiensmassenweise vorfindet, istin Deutschland so gut wienicht spürbar. Dank dersozialen Sicherung kanntheoretisch jeder Mensch,auch wenn er keine Arbeithat, zumindest seine

Grundbedürfnisse wieWohnen, Essen oder Trinken

stillen. Dass wir über ein„Recht auf Urlaub“, wie es Lin-

ken-Chefin Katja Kipping kürz-lich forderte, diskutieren zeigt,

dass der Armutsbegriff in einemWohlfahrtsstaat wie Deutschland weit

über das Materielle hinausgeht. Oft istinderPolitikvon„gesellschaftlicherTeil-habe“ die Rede. Die Idee dahinter: JederBürger solle in die Lage versetzt werden,

V O N T H O M A S D O M J A H N................................................

................................................

„Die Geschichte vonEinkommen und Ver-mögen ist immer hoch-politisch. Alles hängtdavon ab, was die Men-

schen als gerecht ansehen und wie siedurch Politik Einfluss nehmen.“

Thomas Piketty, als „neuer Marx“bezeichneter Ökonom aus Frankreich................................................

VON

POSI

TION

ENun

dPa

rteie

n Rolltreppe des Lebens: Die Schere zwischen Arm undReich wird immer größer, heißt es oft. Doch stimmt dieseThese tatsächlich? Und was will die Politik dagegen tun?

Manche Umfragen versetzen denLeser in Staunen. So erreichte die

Redaktion in dieser Woche das Ergeb-nis einer Emnid-Umfrage, aus der her-vorgeht: Eltern schulpflichtiger Kinderhalten das deutsche Schulsystem für„stark reformbedürftig“.

Diese Eltern möchte man gerne fra-gen, wo sie in den vergangenen 40 Jah-ren gewesen sind. In Deutschland an-scheinend nicht. Denn sonst würdensie sich doch – vermutlich mit einemgewissen Grausen – daran erinnern,dass unser Schulsystem seit Ende der60er-Jahre eine Dauerbaustelle ist.Wohlgemerkt: Seit die deutschen Terri-torien im 17. Jahrhundert die Schul-pflicht einführten, sind Kinder und Ju-gendliche der Bildungspolitik ausge-setzt – und das meist zur ihrem Nutzen.Denn die Welt verändert sich und mitihr zwangsläufig die Schulen und das,was in ihnen unterrichtet wird.

Heute indes sind wir an einem Punktangekommen, an dem die Reform aufden Pausenhof geschickt werden sollte,um eine Besinnung zu ermöglichen,die Kindern, Lehrern, Eltern, Politikund Bildungsbürokratie guttun würde.Wie selbstverständlich sprechen alleBeteiligten von einem „deutschen Bil-dungssystem“. Allein das ist Schönfär-berei. Der altgriechische Begriff „sys-tema“ bezeichnet etwas Verbundenes,ein Konstrukt aus Elementen, die in ei-ner sinnvollen Beziehung miteinanderstehen. Aber nur Berufsoptimistenkönnen im Irrgarten der Schultypen,Lehrformen, Modellversuche und Cur-ricula ein „System“ erkennen.

Dieser Zustand ist eine Zumutungfür unsere Gesellschaft. Klare Linienund berechenbare Anforderungen sindsubstanzielle Erfordernisse jeder Le-bensplanung. Das gilt zunächst fürLehrer. Doch sie müssen das Gefühlhaben, in einer Reformschaukel zu sit-zen, die – je nach politischer Färbungeiner Landesregierung – hin, her undwieder zurück schwingt. Beispiel: Dasabsurde Theater um das achtjährige,neunjährige oder achtneunjährigeGymnasium offenbart eine Reformitis,die jede Bodenhaftung verloren hat.

Die bildungspolitischen Oszillatio-nen bleiben indes nicht in Direktora-ten und Lehrerzimmern hängen, son-dern infiltrieren auch die Klassenzim-mer schultyp-spezifisch mit immerneuen Ausschlägen, die am erstenSchultag einsetzen und mit der Entlas-sungsfeier enden: Für die Erstklässler

mal zuerst die Schreibschrift, dann zu-erst die Druckschrift, Unterricht malmit, mal ohne PC, Fremdsprache malmit, mal ohne Sprachlabor, Mathema-tik mal, mal ohne Mengenlehre, malmit, mal ohne Taschenrechner, Heft-führung mal klassisch, mal als Lose-blattsammlung im Schnellhefter, Eng-lisch mal mit, mal ohne Vokabelheft,Hausaufgaben mal als Tafelanschrieb,dann – je nach Netz-Affinität des Leh-rers – auch auf Facebook; mal liegenFolien und Filzstift auf der uraltenOverhead-Kiste, mal wird Powerpointerwartet. Die Grundschul-Empfehlungwird erst verbindlich, dann unverbind-lich. Effekt: Überforderte Gymnasias-ten wechseln nach ein, zwei Jahrenscharenweise auf die Realschulen.

In diesem bizarren Strom der Experi-mentierfreude wird der Lehrer in sei-ner Funktion immer weniger fassbarund die Frage, wie Wissen letztlich inden Kopf des Schülers findet, kaum zuklären. Sollen Lehrer überhaupt nochfaktenbasiertes Wissen vermitteln?Oder sollen sie – wie es akademischenTagträumern am grünen Tisch vor-schwebt – „Kompetenz“ erarbeiten,der dann jeweils das Präfix „Sozial“,„Fach“ oder „Team“ vorangestellt wird?

Helikopter-Eltern drehen RundenNicht nur das erodierende Rollenmus-ter setzt den Kollegien zu, sondernauch die Ängste in Bildungspanik ver-setzter Helikopter-Eltern, die wissen,dass mit einem Hauptschulabschlussnichts, mit einem Realschul-Abschlussheutzutage nur noch wenig anzufan-gen ist. So werden die Pädagogen in dieFunktion von Ombudsmännern für je-den Schüler gedrängt, die den Weg zumAbitur zu glätten haben, während flan-kierend die Nachhilfe-Feuerwehr alar-miert wird. Mit jeder Reformrundewächst die Verunsicherung, das Miss-trauen gegenüber einem – je nach Bun-desland mal schwarzen, mal roten, malschwarz-roten, mal grün-roten Men-schenlabor, das nach dem Muster Ver-such und Irrtum funktioniert.

In den 70er-Jahren hieß es: „Bildungfür alle!“ Das war sozial befreiend undgesellschaftlich produktiv. Heute hörtman: „Jeder kann Gymnasium!“ Das istIdeologie – die vom Volk gerne geglaubtwird. So wird das Juchhee, mit demman jetzt im Südwesten die Gemein-schaftsschule feiert, verständlich. Eswerden Papiere verfasst und Bauhand-werker einbestellt. Irgendwann istauch dieses Reformprojekt eine Episo-de unter vielen. Doch wen kümmert’s?Wichtig ist zumindest den Eltern ande-res, wie eine weitere Umfrage kundtut:In Baden-Württemberg sehen Mütterund Vater das größte Problem beiSchulranzen. Sie seien zu schwer.

S C H U L A N FA N G

Im MenschenlaborEs wäre zu schön: Kinder gehenin die Schule, um einfach nur zulernen. Die Bildungspolitikerwissen das zu verhindern

V O N A L E X A N D E R M I C H E L................................................

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Chefredakteur:Stefan Lutz

Stellvertretende Chefredakteure:Günter Ackermann, Torsten Geiling

Leitende Redakteure:Dieter Löffler, Margit Hufnagel, Sebastian Pantel

Politik und Hintergrund: Dieter Löffler (Leitung),Dr. Thomas Domjahn, Uli Fricker, Birgit Hofmann,Margit Hufnagel, Nils Köhler, Dr. Alexander Michel,Beate Schierle, Gabriele Renz (Stuttgart), Nicole Rieß,Wolfgang Wissler. Wirtschaft: Peter Ludäscher(Leitung), Hildegard Linßen. Kultur: Wolfgang Bager(Leitung), Siegmund Kopitzki, Dr. Elisabeth Schwind.Sport: Ralf Mittmann (Leitung), Dirk Salzmann, MarcoScheinhof. Regionalreporter: Andreas Schuler.Regelmäßige Sonderseiten und Beilagen,„SÜDKURIER Wochenende“: Waltraud Schwarz,Roland Wallisch. Schlussredaktion: Elisabeth Marder.

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„Eine erfolgreicheArmutsbekämpfung

kann nur durch dieKombination vieler Instru-

mente gelingen. Beispielsweisesetzen wir Grüne uns für die

Kindergrundsicherung als eineeigenständige Existenzsicherungfür alle Kinder ein. Sie soll keine zusätzliche Transferleis-

tung darstellen, sondern ersetzt vorhandene Transfers undVergünstigungen. Mit unserer grünen Garantierente wollen

wir den langjährig Versicherten eine Rente oberhalb derGrundsicherung garantieren. Das Arbeitslosengeld II

wollen wir erhöhen und die Grundlage derBerechnung umstellen.“

Agnieszka Brugger,Grünen-Bundestagsabgeordnete

Kreis Ravensburg

„Bildung undAusbildung bieten den

besten Schutz vor Armut,während der Berufszeit und

damit auch im Rentenalter.Guter Lohn, von dem man leben

kann, ist Voraussetzung. Derflächendeckende gesetzlicheMindestlohn ist ein Anfang für eine Neuordnung am

Arbeitsmarkt. Und sichere Renten in Zukunft gibt es nur mitguter Arbeit in der Gegenwart. Noch höhere Steuern für

Reiche lehne ich ab, nicht nur, weil es so in unseremKoalitionsvertrag steht, sondern auch, weil es kein

Mensch in Deutschland verstehen würde, wenn wirangesichts sprudelnder Steuereinnahmen öffentlich

erklärten, wir hätten zu wenig und müssten dieStaatseinnahmen erhöhen.“

Rita Schwarzelühr-Sutter,SPD-Bundestagsabgeordnete

Kreis Waldshut

„Der deutscheStaat nimmt so viel

Steuern ein wie noch niein seiner Geschichte. Die

Sozialausgaben sind aufRekordniveau. Daher müssen

wir uns kritisch fragen, warumwir mit sehr viel Geld am Ende zu

wenig bei der Armutsbekämpfung erreichen. Sozialleistun-gen im Gießkannen-Prinzip zu verteilen, macht im Sinneder Betroffenen, aber auch im Interesse derjenigen, die dasletztlich bezahlen müssen, keinen Sinn. Staatliche Leistun-

gen müssen den Menschen helfen, nach Notsituationenwieder eigenständig handeln zu können und dürfen

sie nicht dauerhaft vom Staat abhängig machen.“Marcel Klinge,

ehemaliger FDP-BundestagskandidatSchwarzwald-Baar-Kreis

36

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Armut

Mindestlohn

FreiheitMarktwirtschaft

ArmutGerechtigkeitMindestlohn

FreiheitMarktwirtschaft

Armut

GerechtigkeitMindestlohn

FreiheitMarktwirtschaft

Was die Zahlen bei den Zitaten bedeutenAllein die Häufung bestimmter Begriffe im Programm zuden letzten Bundestagswahlen zeigt, wo die Parteienihre Schwerpunkte setzen.

Armut, Gerechtigkeit,MindestlohnFreiheit, Markt-wirtschaft

Wir befassen uns 13 Wochen mit demThema Armut und Reichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? .11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit .19. Juli• Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär ..2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? .................................23. August• Startup und Ende eines Familienunternehmens ..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum...13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen.....................20. September• Ein Karrierist und ein Aussteiger erzählen .............27. September• Essay: Ein neuer Reichtum..........................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

im Bildungssystem und auf dem Ar-beitsmarkt Erfolge feiern zu können.Doch das ist in Deutschland nicht im-mer der Fall. Die Aufstiegschancen sindin Deutschland deutlich niedriger als inanderen europäischen Ländern. Nurwenige Kinder aus Arbeiterhaushaltenschaffen es an die Universität. Nach ei-ner Sozialerhebung des Deutschen Stu-dentenwerkes studieren von 100 Kin-dern aus Akademikerfamilien 77. Von100 Kindern aus Facharbeiterfamiliensind es hingegen nur 23.

Arbeit soll vor Armut schützenWährend liberale und konservative Par-teien sich vor allem auf die Fahnen ge-schrieben haben, allen Bürgern gleicheStartchancen zu bieten, wollen sozial-demokratische Parteien noch stärkerdurch staatliche Umverteilung die un-terschiedlichen Einkommen der Bürgerim Nachhinein korrigieren und anglei-chen. „Die Landesregierung misst derSozialpolitik einen viel höheren Stellen-wert bei als die Vorgängerregierung. Ichkümmere mich mit zahlreichen Ini-tiativen sehr intensiv um jene Men-schen, die am Rande stehen undvom Schicksal nicht verwöhntwurden“, sagt zum Beispiel Ka-trin Altpeter (SPD), Ministerinfür Arbeit und Sozialordnung,Familie, Frauen und Senio-ren in Baden-Württemberg.

Auch Andrea Nahles(SPD), Bundesministerin fürArbeit und Soziales, räumtder Armutsbekämpfung ei-nen großen Stellenwert ein.Sie setzt vor allem darauf,möglichst viele Menschen inden Arbeitsmarkt zu integrie-ren. „Aus zahlreichen wissen-schaftlichen Studien und inter-nationalen Vergleichen ist be-kannt, dass Erwerbstätigkeit Ar-mutsrisiken entscheidend verringert.Die Integration Erwerbsfähiger in dasArbeitsleben verbessert die Teilhabe-chancen für alle Haushaltsmitgliederund beugt der Gefahr verfestigter Armutüber Generationen hinweg wirksamvor“, lässt sie durch einen Sprecher aus-richten. Im Fokus stünden dabei Perso-nengruppen mit überdurchschnittli-chen Armutsrisiken: Kinder und Ju-gendliche,Alleinerziehende,Menschenmit Migrationshintergrund, Menschenmit Behinderungen und ältere Men-schen, so der Sprecher weiter.

EineGesellschaftganzohneArmutistdagegen kaum realisierbar. „Es ist unterden fortgeschrittenen Wohlfahrtsstaa-ten keine Gesellschaft bekannt, bei derdie Verteilung so gleichmäßig ist, dasskeine relativ niedrigen Einkommen an-zutreffen sind. Insofern erscheint eineSituation in Deutschland oder in Euro-pa, in der die Armutsrisikoquote aufnull gedrückt werden kann, eher hypo-thetisch“, erklärt das Bundessozialmi-nisterium. Ähnlich beurteilt auch Ka-trin Altpeter die Lage. „Ein gewissesMaß an Ungleichheit wird es wohl im-mer geben“, sagt sie. Doch es gibt aucheine lange Liste von radikalen Sozial-

staatskritikern, die sich gegen die staat-liche Umverteilungspolitik stellen. Siereicht vom ehemaligen FDP-Chef Gui-do Westerwelle („spätrömische Deka-denz“), über Buchautor und SPD-MannThilo Sarrazin („Gleichheitsideologie“)bis zum Karlsruher Philosophen PeterSloterdijk („Kleptokratie“). Ihr Argu-ment: Der Sozialstaat verfestige Armut,indem er die Leistungsanreize der Emp-fänger zerstöre. Auch Thomas Piketty istnach seinem Höhenflug immer mehr indie Kritik geraten. Seine Daten seiennicht sauber berechnet, bemängelt die„Financial Times“.

Letztendlich kommt es in der politi-schen Debatte aber weniger auf nüch-terne Zahlen und Fakten als auf denideologischen Standpunkt an. Geradein der Sozialpolitik gilt das traditionelleRechts-links-Schema, was viele politi-sche Analysten bereits für überholt hiel-ten, nach wie vor. Wer den Wohlfahrts-

staat ablehnt, der findet auch die pas-senden Statistiken dazu. Gleiches giltfür die Befürworter von umfangreichenSozialprogrammen.

Zur Frage, ob die Hartz-Reformen derSchröder-Ära die Schere zwischen Armund Reich vergrößert oder verringerthaben, gibt es zum Beispiel reichlichDatenmaterial – aber zwei sich aus-schließende Interpretationen. Die ei-nen betonen den Abbau der Arbeitslo-sigkeit und die Schaffung zusätzlichenEinkommens, die anderen beklagen ei-nen Aufbau eines Prekariats, das sichmit schlecht bezahlten und befristetenJobs durchschlägt. Eine endgültigeWahrheit kann es bei diesen ideologi-schen Debatten nicht geben.

Alles rund um die Seriefinden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

Der PolitikwissenschaftlerSven Jochem von der Univer-sität Konstanz sieht diedeutsche Sozialpolitik kritischund empfiehlt einen BlickRichtung Nordeuropa.

Stimmt es, dass die Schere zwischenArm und Reich in Deutschland immerweiter auseinander geht?Nach den Daten, die wir haben, ja.Dieser Trend besteht in Deutschlandseit den 90er-Jahren. Auf der einenSeite gibt es immer mehr Menschenim Niedriglohnsektor in prekärerBeschäftigung. Auf der anderen Seitekönnen die Reichen in Deutschlandihre Einkommen und ihre Vermögenweiter steigern. Hinzu kommt, dassdie soziale Mobilität in Deutschlandabnimmt. Es gibt immer wenigerAufstiegschancen.

Welche gesellschaftlichen Gruppen sindbesonders von Armut betroffen?In den 80er Jahren waren vor allemjunge alleinerziehende Frauen be-troffen. Heute kommen junge Männermit wenig Bildung hinzu. In Zukunftwird nach vorliegenden Prognosenauch die Altersarmut steigen, dennwer heute prekär beschäftigt ist, kannnicht genug private Vorsorge be-treiben, um im Ruhestand seinenLebensstandard zu sichern und Al-tersarmut zu vermeiden.

Gibt es ein Politikinstrument, das sichzur Armutsbekämpfung bewährt hat?

Man braucht immer ein Bündel vonpolitischen Instrumenten. Die

Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozial-politik der skandinavischenLänder ist aus meiner Sichtvorbildlich. Die soziale Ab-sicherung ist dort recht hoch.Zudem versuchen sie, Arbeits-lose so schnell wie möglichdurch Weiterbildung wieder inden Arbeitsmarkt zu bringen.Außerdem gibt es eine solideGrundrente, die jeder nach

dem Ruhestand bekommt undüber der Armutsgrenze liegt.

Kann Deutschland von der skandina-vischen Politik lernen?

Ja. Deutschland kann von der Sozial-politik Skandinaviens lernen. DieHartz-Reformen wurden vom skandi-navischen Modell inspiriert. Allerdingsfördern wir in Deutschland die Ar-beitslosen zu wenig. Hier müsste derStaat den Arbeitsagenturen mehr Geldzur Verfügung stellen. Dafür müssteman an der Steuerschraube drehen.Die Mehrheit der Abgeordneten sowieder deutschen Bevölkerung lehnt diesgegenwärtig aber ab.

Wie lässt sich linke Sozialpolitik vonliberaler Sozialpolitik abgrenzen?Linke Sozialpolitik setzt sehr stark aufden Staat, um möglichst jeden in dieArbeitswelt zu integrieren, auch wennes kostspielig ist. Liberale Sozialpolitiksetzt viel stärker auf Eigenverant-wortung. Man vertraut den Markt-kräften und will die Bürger nicht be-vormunden. In Deutschland bewegtsich die Politik traditionell in der Mittedieser beiden Pole.

F R A G E N : T H O M A S D O M J A H N

„Skandinavien kannein Vorbild sein“

Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 2 1 2 | M PS A M S T A G , 1 3 . S E P T E M B E R 2 0 1 4 Themen des Tages 3S Ü D K U R I E R N R . 2 1 2 | M PS A M S T A G , 1 3 . S E P T E M B E R 2 0 1 4

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Page 22: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

22

RolltreppedesLebens

präsentiert

Es gehört jede Menge Mut dazu, sichselbst einzugestehen, dass das ganzebisherige Leben nicht so verlaufen ist,wie erwünscht, dass ein gewaltigerSchuldenberg einem längst über denKopf gewachsen ist und man aus eige-ner Kraft nicht mehr aus der finanziel-len Misere herauskommt. Noch mehrMut erfordert es, in unserer leistungs-orientierten Gesellschaft auch dazu zustehen. Wie viel, das weiß Walter Meier*aus dem Landkreis Waldshut. Fast30 Jahre lebte er mit einer immer erdrü-ckenderen Schuldenlast und in derständigen Sorge, dass jemand etwasmerken könnte. „Ich wollte gegenüberder Gesellschaft nicht als Versager da-stehen.“ Die Folgen: Depressionen,Krankheit, Selbstmordgedanken.

Kein Einzelschicksal, denn von Über-schuldung wie im Fall von Walter Meierwaren laut Studie des Wirtschaftsinfor-mationsdienstes Bürgel Ende 2012 fast6,7 Millionen Menschen in Deutsch-land betroffen (9,7 Prozent). In Baden-Württemberg waren es fast 677 000 (7,6Prozent). Damit stieg die Quote im ver-gleich zum Vorjahr um 2,3 Prozent-punkte. 8109 Privatinsolvenzverfahrenwurden 2012 in Baden-Württembergeröffnet. Die Summe der Forderungenbelief sich auf mehr als 625 MillionenEuro. Doch diese Statistik erfasst nurdie Schuldner, die ihr Problem bereitserkannt und gehandelt haben. Wie vieleMenschen in der Region sich in finan-zieller Schieflage befinden, vermag nie-mand zu beziffern. Scham spielt einegroße Rolle. Diese Erfahrung hat auchWalter Meier gemacht.

Natürlich sei ihm bewusst gewesen,dass die Ausgaben zu hoch waren.„Doch ich habe meinen Bekannten ge-genüber immer den Schein aufrecht er-halten“, sagt er. In der Wirtschaft zah-len,anderezumEsseneinladenundmitMagenschmerzen daheim vor dem lee-ren Kühlschrank sitzen – alltäglichesErleben. Jeden Morgen das Hauspünktlich verlassen, damit die Nach-barn denken, man fährt zur Arbeit – Ge-wohnheit. Hinzu kam die „wahnsinni-ge Angst“, jemand könnte erfahren, wiees um ihn steht. „Das macht einen ex-trem fertig. Man muss die Fassade auf-recht erhalten und gegenüber der eige-nen Frau möchte man sich keine Blößegeben“, erinnert sich Meier. Er kamnicht zur Ruhe. 72 Gläubiger stelltenForderungen im hohen fünfstelligenBereich, wie die Schuldnerberatungspäter ermittelte. Zur Sorge um dieExistenz kam, dass er mit niemandemüber seine Probleme sprechen konnte.

VON

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Rolltreppe des Lebens: Geld ist einTabuthema. Wer es hat, fürchtet Neider.Wer keines hat, wird als Versager abge-stempelt. Warum Menschen Armut oderReichtum geheim halten – Beispiele vomHochrhein und aus dem Schwarzwald

Das Schweigen über die finanziellenVerhältnisse kennt der vermögendeHelmut Müller* ebenfalls. Die Doppel-haushälfte im Schwarzwald, in der erwohnt, lässt wenig Rückschlüsse aufseinen sonstigen Besitz zu. Es ist nichtdie schlechteste Wohngegend, dochVillen sind hier keine zu finden. Auf-schlussreicher sind mehrere Ordner,die sich im Büro in einem Schrank ne-beneinander reihen. Wohnung in die-ser Straße, Wohnung in jener Straße,Immobilie hier und Immobilie dort.Von Mieteinnahmen lässt es sich gut le-ben. Doch das war nicht immer so.

Müller gehört zu der Generation, dievor dem Krieg in einem anderen Landgeboren wurde – den sogenannten Do-nauschwaben. „Als wir hier angekom-men sind, hatten wir nichts. Noch nichteinmal einen Kochtopf.“ Vor der Fluchtwar das anders: Die Familie gehörte zuden größten Bauern im Dorf. ZweiWeinberge,100 Tauben und sogar einenBulldog besaß sie. Doch 1944 mussteMüllers Familie fliehen und alles zu-rücklassen. Vier Pferde, zwei Wagen:Daswaralles,wassiemitnehmenkonn-ten. Das Dorf, das er als Zehnjährigerverlassen hatte, sollte er erst Jahrzehntespäter wiedersehen. Der Weg in dieneue Heimat führte über Ungarn in dieTschechei und nach Österreich in einFlüchtlingslager. Dort begann Müllereine Maurerlehre. „Das war das einzige,was möglich war. Man musste ja frohsein, wenn man überhaupt etwas be-kommen hat.“ Doch auch Österreichmusste die Familie verlassen. 200 Markbezahlten sie einem Bauern, damit erdie Familie schwarz über die Grenzebrachte. Ein neues Flüchtlingslagerund noch eines, bevor die Reise imSchwarzwald endete und Müller seineMaurerlehre 1951 abschließen konnte.Er arbeitet sich im Betrieb hoch zumVorarbeiter. 1960 der Schritt in dieSelbstständigkeit zusammen mit demBruder. Das Startkapital: eine Lescha-Mischmaschine, die der ehemaligeChef spendierte.

Anfangs waren es kleine Projekte,Ausbesserungsarbeiten.MitdenJahrenwuchs der Betrieb, bis in Spitzenzeiten20 Mann beschäftigt werden konnten.Es war nicht immer leicht: „FinanzielleSchwierigkeiten gab es einige.“ Doch

V O N S T E P H A N I E J A K O B E RU N D M O N I K A O L H E I D E................................................

Walter Meier* ausdem LandkreisWaldshut will vor derGesellschaft nichtals Versager da-stehen. Deshalbverschwieg erfinanzielle Nöte.Über Geld sprichtman nicht…B I L D : JA R AUS C H

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DER BIBELSPRUCH

„Ihr seid jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht,sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes.“

Epheser 2,19

DER KALENDERSPRUCH

„Der Mensch: der immer ein wenig mehr Mut hat,als er verzweifelt ist.“

Günther Weisenborn, deutscher Schriftsteller, 1902–1969...........................................................................................

DIE FALLERS

Die neue RätselfrageDer Tag der Hochzeit von Eva und Andreas ist da.Was schief gehen kann, geht schief. Schon auf demStandesamt fragt Herr Weiss fälschlicherweise zuerstwen? Das ist die neue Frage zur Fallers-Sendung ammorgigen Sonntag, 21. September. Ihre Antwortschicken Sie an: SÜDKURIER Medienhaus, Redak-

tion „Leben und Wissen“, Stichwort „Die Fallers“, Max-Stromeyer-Str.178, 78467 Konstanz. Per Fax: 07531/999-1500. Per Mail: [email protected]. Alle Monatsgewinner treffen bei einer SWR-Besichtigungin Baden-Baden einen Fallers-Schauspieler. Viel Glück! (bea)

UMFRAGE

Alter wird als Chance für Neuanfang gesehenDie Mehrheit der Deutschen sieht das Alter als eine Möglichkeit, nocheinmal etwas Neues anzufangen. Knapp 87 Prozent denken, dass dieserLebensabschnitt mehr Chancen bietet als früher, wie eine Erhebung derGfK Marktforschung Nürnberg ergeben hat. Doch mit dem Alter wirdnicht nur Positives verknüpft: Jeder Dritte verbindet es mit Krankheitund geistigem Abbau. Fast 32 Prozent der Befragten gaben an, der Le-bensabschnitt mache ihnen Angst. Für die Umfrage interviewte die GfKMarktforschung Nürnberg 1980 Frauen und Männer. (KNW)

LEBENSMITTEL

Grüne Stellen an Kartoffeln immer ausschneidenDie Bereiche um die Triebe und grüne Verfärbungen an der Kartoffelmüssen Köche immer ausschneiden. Denn diese Stellen enthalten dasgesundheitsschädliche Solanin. Darauf weist die Initiative „Zu gut fürdie Tonne!“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft(BMEL) hin. Der Stoff kann Vergiftungen auslösen. Symptome sindMagenbeschwerden, Fieber, Übelkeit, Brechreiz, Nierenreizungen,Durchfall und manchmal sogar Herzrhythmusstörungen. (dpa)

NAMENSTAGESamstag: Eustachius, Henri, Susanne, Fausta, Hertha, Warin, WiroSonntag: Matthäus, Debora, Jonas, Deborah, Maureen, Mattheu...........................................................................................

Tipps und Trends

Zeit Ortsgespräch Zeit Deutschland

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12-15 01052 · 01052 · 1,34 · 6001038 · tellmio · 1,36 · 60

10-12 01011 · 01011 · 1,29 · 6001038 · tellmio · 1,42 · 60

15-19 01052 · 01052 · 1,34 · 6001038 · tellmio · 1,36 · 60

12-19 010033 · 010033 · 1,1 · 6001011 · 01011 · 1,29 · 60

19-21 01013 · Tele2 · 0,49 · 6001070 · Arcor · 0,53 · 60

19-21 01013 · Tele2 · 0,59 · 6001070 · Arcor · 0,63 · 60

21-24 01013 · Tele2 · 0,49 · 6001070 · Arcor · 0,53 · 60

21-24 01013 · Tele2 · 0,59 · 6001070 · Arcor · 0,63 · 60

Wochenende und Feiertage0-19 01038 · tellmio · 1,16 · 60

01088 · 01088telecom · 1,18 · 600-9 01041 · Tellina · 0,72 · 60

01088 · 01088telecom · 0,74 · 60

19-21 01013 · Tele2 · 0,49 · 6001097 · 01097telecom · 0,51 · 60

9-19 01088 · 01088telecom · 0,74 · 6001020 · Vodafone · 0,75 · 60

21-24 01013 · Tele2 · 0,49 · 6001028 · Sparcall · 0,5 · 60

19-24 01013 · Tele2 · 0,59 · 60010088 · 010088 · 0,62 · 60

Die günstigsten Inlandstelefontarife(Anbieter mit Netzkennzahl · Minutenpreis in Ct. · Taktlänge in Sek.)

Allgemeine Hinweise: Alle Anbieter sind gesetzlich zur Tarifansage verpflichtet. Wir listen nur Anbieter,die über mehrere Stunden hinweg denselben Preis und minutengenau abrechnen. Ortsgespräche sindnur Telefonate zwischen Anschlüssen mit der gleichen Ortsvorwahl. Das so genannte Call-by-Call-Verfahren funktioniert nur mit einem Anschluss der Deutschen Telekom. Mehr Informationen undTarife unter www.teltarif.de. Nächste Tarifübersicht voraussichtlich am 4. Oktober 2014

Mobilfunk: 01060 (2,27 Cent); 01038 (2,91 Cent); Österreich: 010018 (0,98 Cent); 01069 (1,61Cent); Schweiz: 01069 (1,31 Cent); 010088 (1,68 Cent); Italien: 010088 (1,04 Cent); 01069 (1,17Cent); Türkei: 01052 (2,62 Cent); 010088 (2,74 Cent); USA: 010088 (0,88 Cent); 01069 (0,96 Cent)Frankreich: 01069 (0,84 Cent); 010088 (1,24 Cent); Großbritannien: 010088 (0,77 Cent); 01069(0,96 Cent); Spanien: 010018 (0,88 Cent); 01069 (1,17 Cent); Griechenland: 010088 (0,94 Cent);01069 (1,33 Cent); Polen: 01040 (0,99 Cent); 01069 (1,27 Cent); Rumänien: 01040 (1,57 Cent);01069 (1,58 Cent); Australien: 01097 (1,43 Cent); 010052 (1,46 Cent); Kroatien: 010088 (1,38Cent); 01069 (1,49 Cent); Portugal: 010018 (0,96 Cent); 01069 (1,46 Cent)

Eurojackpot 5 aus 50:13, 18, 20, 38, 39Eurojackpot 2 aus 8:1, 8Eurojackpot:Gewinnklasse 1: unbesetzt(Jackpot: 5 )Gewinnklasse 2: 511 013,80 5

Gewinnklasse 3: 66 431,70 5

Gewinnklasse 4: 3 832,60 5

Gewinnklasse 5: 284,70 5

Gewinnklasse 6: 123,60 5

Gewinnklasse 7: 53,30 5

Gewinnklasse 8: 23,40 5

Gewinnklasse 9: 14,20 5

Gewinnklasse 10: 14,10 5

Gewinnklasse 11: 9,50 5

Gewinnklasse 12: 8,60 5

Keno: Ziehung vom 19.09.20142:4, 6, 7, 9, 10, 12, 18, 25, 26, 27,30, 34, 35, 38, 42, 43, 50, 52, 61, 69Plus 5: 53392

(Alle Angaben ohne Gewähr)

Gewinnzahlen

14 Leben und WissenS Ü D K U R I E R N R . 2 1 8 | M PS A M S T A G , 2 0 . S E P T E M B E R 2 0 1 414 Leben und Wissen S Ü D K U R I E R N R . 2 1 8 | M PS A M S T A G , 2 0 . S E P T E M B E R 2 0 1 4

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SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

die Ehefrau hielt ihm den Rücken freiund stand an seiner Seite.

Eine ganz andere Erfahrung hat Wal-ter Meier gemacht: Er tappte Mitte der1980er Jahre während seiner ersten Ehein die Schuldenfalle. Seine damaligeFrau kaufte und kaufte, versteckte dieRechnungen. Ein Alkoholproblem kambei ihr dazu. Er, damals beim Militär,ahnte lange nichts. Doch dann kam al-les raus: Die versteckten Mahnungenund Vollstreckungsbescheide tauchtenauf, der Gerichtsvollzieher wurde Dau-ergast. Meier wurde schwer krank, dochein Schlussstrich war für ihn zunächstkeine Lösung: „Ich habe um meine Fa-milie gekämpft, mich in die Arbeit ge-stürzt und abends versucht, den Haus-halt und die Kinder so gut wie möglichzu versorgen.“ Hinzu kam die Angst,dass das Alkoholproblem seiner Fraubekannt werden würde. Gut erinnert ersich daran, als die drei Kinder später inPflegefamilien kamen, der Kontakt ver-boten wurde: „Das war für mich einWeltuntergang.“

Meier griff nach jedem Strohhalm,um die Schulden loszuwerden: Lotto,Glücksspiel – die Spirale drehte sichweiter. „Das ging so weit, dass illegaleGedanken irgendwann dazukamen.“Er wollte unbedingt einen Ausweg fin-den, ohne sein Gesicht zu verlieren. Zuseinem Glück blieb er auf der sauberenSeite. Auch Alkohol war für ihn nie einThema – „glücklicherweise“, wie ersagt. Zu sehr prägten ihn die Erlebnissemit der Alkoholsucht seiner erstenFrau. Erst als er diese Beziehung been-dete, verbesserte sich seine Situation.1994 traf er seine zweite Frau, mit der erseit 1996 glücklich verheiratet ist. „Na-türlich belastet die Schuldensituationdie Ehe, das ist klar, aber meine Fraustand immer zu mir und hat mir denWeg zurück ins Leben ermöglicht.“

Doch es dauerte lange, ehe WalterMeier den entscheidenden Schritt aus-führte und sich professionelle Hilfe beider Schuldnerberatung des Landkrei-ses holte. Das war vor fünf Jahren. „Ir-gendwann legt sich im Kopf ein Schalterum: Es sind nur Güter, es ist nur Luxus,aber glücklich macht das alles nicht.Wir können zwar keinen Urlaub ma-chen, nicht Essen gehen und müssensparen, aber wir leben zufrieden und inHarmonie“, sagt er heute. Damals wa-ren die Erfahrungen niederschmet-ternd: Nachbarn, Bekannte, Freundewandten sich ab, als bekannt wurde, inwelchen finanziellen Schwierigkeitener steckt. „Die Leute haben mit demFinger auf mich gezeigt, viele Freundewandten sich ab. Bei mir war der Druckdurch die Familie aber noch deutlichgrößer: Oft musste ich mir anhören, ich

hätte ‚unseren guten Namen be-schmutzt‘.“ Eine grausame Erfahrungfür Meier, aber auch eine, die ihn undseine Frau enger zusammenbrachteund die sein neues Leben prägte. Er en-gagiert sich in einer Hilfsorganisation,hilft Menschen, denen es schlecht gehtund versucht für die Gesellschaft wert-voll zu bleiben: „Das sehen die Leuteauch und schätzen mich wieder als Mit-glied der Gesellschaft.“

24 der 72 Gläubiger sind noch übriggeblieben, die Forderungen belaufensich auf etwa 39 000 Euro. Meier istFrührentner, bekommt 284 Euro imMonat. 300 Euro zahlt er jedes Jahr ab.Einen Ausgleich vom Staat möchte ernicht: „Ich möchte kein Klotz am Beinder Gesellschaft sein.“ In rund vier Jah-ren sind seine Schulden im Rahmen desBereinigungsplans abgegolten, er giltdann als schuldenfrei. Dann ist er 60Jahre alt. Ob sich das lohnt? „Das Wich-tigste für mich ist es, meinem Sohn denStart in sein eigenes Leben zu ermögli-chen Ich möchte nicht, dass er jemals indie Verlegenheit kommt, für mich zah-len zu müssen.“ Sein Sohn ist jetzt 17.Ein Alter, in dem die Wünsche beson-ders groß sind: der Führerschein, daserste eigene Auto… „Geld kann ich ihmkeines geben, das weiß er, aber ich kannihm etwas viel Wichtigeres mit auf denWeg geben: Die Werte, die mir selbst ge-holfen haben zu überleben.“ Meiermeint damit Durchhaltevermögen,Verantwortung, miteinander umgehenzu können, das Schaffen von Gemein-samkeiten und eine positive Grundein-stellung zum Leben und gegenüber an-deren.

Eine Einstellung, die auch HelmutMüller auszeichnet. Dass es ihm heutebesser geht als vielen anderen in seinemAlter, hat er seinem Steuerberater zuverdanken. „Unser Steuerberater hatimmer gesagt: ‚Das wichtigste bei ei-nem Selbstständigen ist, dass er sich fürdas Alter gut absichert.’“ Müller nahmden Rat an, auch wenn die Raten für dieLebensversicherung hoch waren undmanchmal das Geld für andere Dingenötig gewesen wäre. Hinzu kam dasGlück bei der Geschäftsauflösung in

den 90er Jahren: Ein Bauunternehmeraus dem Elsaß kaufte alles: von den mo-dernen Kranen bis zum letzten Nagel.„Er kam mit einem Scheck und hat allesmitgenommen. Zwei Wochen späterhätten wir nichts mehr bekommen,weil Rezession war.“ Auch für die1200 Quadratmeter große Halle fandsich ein Käufer. Das Geld legte Mülleran, unter anderem in Immobilien.Doch wie reagieren die Leute, wenn siedavon erfahren? „Das erzähle ich kei-nem.“ Über Geld spricht man ebennicht gern. Und für ihn ist es nicht dasWichtigste. Der einzige Luxus, den ersich leistet, ist eine Ferienwohnung amBodensee. „Den Unterhalt könntensich normale Rentner wohl nicht leis-ten.“

Auch Walter Maier hat seinen Weg ge-funden. „Ich versuche mein Leben trotzallem positiv zu sehen.“ Er möchte an-deren Menschen in ähnlichen Situatio-nen Mut machen, den schwierigen Wegin ein neues Leben zu gehen. Für ihnsteht mittlerweile fest: Gerät das Lebenaus den Fugen, hat das nichts mit Versa-gen zu tun. Krankheiten und Unfällekönnen jeden treffen. „Es gibt keine Ga-rantie für ein sorgenfreies Leben.“ Wieer die Frage nach dem Sinn beantwor-tet? „Ja, das Leben hat immer einenSinn! Und wenn es nur eine einzige Per-son ist, für die man weiterleben möchteund es noch so ausweglos erscheint – eshat immer einen Sinn zu kämpfen.“

*Namen von der Redaktion geändert.

Alles rund um die Seriefinden Sie bei uns im Internet:www.suedkurier.de/rolltreppedeslebens

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„Das Wichtigste für mich ist es, mei-nem Sohn den Start in sein eigenesLeben zu ermöglichen. Ich möchtenicht, dass er jemals in die Verlegen-heit kommt, für mich zahlen zumüssen.“

Walter Meier*, 39 000 Euro Schulden bei24 Gläubigern, Landkreis Waldshut................................................

….auch wenn manes hat. RentnerHelmut Müller* ausdem Schwarzwaldgreift oft zu Hammer,Spachtel und Pinsel,um seine Immobilienauf Vordermann zubringen. Über seinenBesitz spricht ernicht gern. B I L D : JA KO B E R

Ulrich Bröckling kennt mehrere Erklärungen,warum der Austausch über die eigene fi-nanzielle Situation in Deutschland ein Tabu-thema ist. Der promovierte Soziologe undProfessor für Kultursoziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg spricht über diegesellschaftlichen Hintergründe.

Herr Bröckling, ist es in Deutschland tatsächlich ein Tabu überGeld zu sprechen?Über das Geld anderer Leute nicht, das eigene ist weitest-gehend tabu.

Woher kommt diese Scham?Besitz ist Zeichen der gesellschaftlichen Zugehörigkeit unddes Status. Viel Geld zu haben weckt Neid und wirft dabeiimmer auch Fragen auf. Beispielsweise die nach Gerechtig-keit und Übervorteilung. Dieser gesellschaftlichen Haltungmöchten sich viele nur ungern aussetzen. Scham kommt alsFaktor auch hinzu, wenn jemand wenig oder kein Geld hat.Es gilt: Vermögensunterschiede bedürfen einer Rechtferti-gung, zumal die soziale Schere sich immer weiter öffnet.

Dann dürfte es im Falle der Armut doch eigentlich gar keineHemmschwelle geben?Doch, auch hierzulande gibt es die marktliberale Vorstel-lung, die besagt, dass jeder für sein Glück selbst verantwort-lich ist, also auch am Unglück selber schuld. Darum suchendie, die es nicht schaffen, häufig die Schuld bei sich selbst.Dabei ist klar: In einer Wettbewerbsgesellschaft könnennicht alle reich werden. Es gibt keine Gewinner ohne Ver-lierer. Da das aber nicht in dieser Form verinnerlicht ist, ent-steht das Gefühl des Versagens.

Schulden scheinen aber kein wirklicher gesellschaftlicherMakel mehr zu sein…Es ist einfacher denn je, sich zu verschulden, beispielsweisedurch Handyverträge, Ratenkäufe, Kredite. Wir leben in ei-ner Kultur, in der das mittlerweile völlig normal ist. Das for-cierte Konsum- und Investitionsverhalten ist mit Begriffenwie Risikobereitschaft und Mut positiv konnotiert. Hier fal-len aber Generationsunterschiede bei Moralvorstellungenund bürgerlicher Rechtschaffenheit auf. Ich formuliere eseinmal so: Unsere Eltern haben so lange schlecht geschla-fen, bis das Häuschen abbezahlt war.

Woher kommt dann die Scham bei Schulden? Eigentlich könnteman dann doch ganz entspannt dazu stehen…Schulden kommen ihrer semantischen Bedeutung nachvom Wort „Schuld“ und wecken ein Gefühl des „Schuld tra-gens“. Das hat mit der Präsentation des Einzelnen zu tun.Wie muss ich mich darstellen? Als unternehmerisches, han-delndes Selbst oder als verschuldetes Selbst? Um Kreditwür-digkeit zu erreichen, muss man seine Finanzen unter Beweisstellen, Transparent sein. Kreditwürdigkeit hat viel mitGlaubwürdigkeit zu tun. Und wir werden laufend auf unsereKreditwürdigkeit hin geprüft. Das kann man durchaus kom-plementär sehen und auf den Alltag übertragen. Dieses„Sich-prüfen-lassen-müssen“ gilt nicht nur für die Finan-zen, sondern praktisch in allen Bereichen. Die Gesellschaftvergleicht sich ständig, führt permanente Rankings in Ge-danken aus. Wissen hat manchmal etwas sehr brutales insich und es kann eine Form der Höflichkeit, ein zivilisatori-sches Moment sein, über etwas nicht zu sprechen. Dasmacht den Umgang miteinander einfacher.

Gibt es anderswo einen offeneren Umgang mit dem Thema?Ja, es gibt in verschiedenen Ländern und Kulturen unter-schiedliche Sichtweisen. Das ist vielleicht auch auf religiöseGründe zurückzuführen. In Kulturen, in denen ein gottge-fälliges Leben durch Armut geprägt ist, ist Besitz eher einLaster. Ist Besitz allerdings im Umkehrschluss der Lohn fürWohlverhalten, fällt es leichter ihn zur Schau zu stellen.

Gerade in den USA fällt es den Menschen offenbar leichter,über ihre Finanzen zu sprechen…Ich vermute, dass es auch dort große Unterschiede gibt.Aber es stimmt: Das Land ist vom Unternehmertum geprägt,vom Selbstbild des Pioniermythos. Man kennt die Haltung:Jeder kann es „vom Tellerwäscher zum Millionär“ schaffen.

Wie sieht es in Deutschland aus?Hier ist die Rolle des Staates, der Gerechtigkeit schaffen soll,viel stärker besetzt. Der Glaube an die Märkte ist nicht sostark ausgeprägt. Zwar hat sich seit den 1980er und 1990erJahren der Neoliberalismus, oder Marktfundamentalismus,stärker entwickelt, doch gesellschaftliche Tabus haben einelängere Halbwertszeit als politische Ideologien. Und zumTeil ist es gar nicht gewünscht, offen über seine Finanzen zusprechen…

Inwiefern?Die Tabuisierung des Geldes ist zum Teil eine Machttechnik,die gerade von Unternehmen gerne genutzt wird, weil längstnicht mehr alle Mitarbeiter das Gleiche verdienen. Dasmacht es schwierig im Kollegenkreis über das eigene Gehaltzu sprechen, manchmal ist es sogar vertraglich verboten.Solidarität wird unmöglich. So wird das Nicht-Sprechenüber Geld zum Mechanismus innerbetrieblicher Kontrolle.

Wenn die Offenheit in der Arbeitswelt verschwindet, müsstedoch innerfamiliär mehr über das Thema gesprochen werden?Manche Eltern kommunizieren gegenüber ihren Kindernnicht, was sie verdienen, andere beziehen sie dagegen in diefinanziellen Verhältnisse mit ein. Doch es kommen mehr Si-tuationen auf die Menschen zu, in denen Versorgungsmo-delle nicht mehr greifen – beispielsweise wenn ältere Men-schen nicht selbst gepflegt werden können –, da kommtdann die Notwenigkeit, nüchtern über Geld zu sprechen.

F R A G E N : M O N I K A O L H E I D E

„Zeichen der gesellschaftlichen

Zugehörigkeit“

Wir befassen uns mit dem Thema Armut undReichtum in der Region.

• Wie arm oder reich ist unsere Region? 11. Juli• Armut und Reichtum in der Kindheit 19. Juli • Armut und Reichtum im Alter ...........26. Juli• Oben trifft unten: Gespräch zwischen einem

Obdachlosen und einem Millionär................................................ 2. August• Sozialer Aufstieg, sozialer Abstieg.....................................9. August• Reich ohne Arbeit, arm trotz Arbeit..................................16. August• Kassensturz: Was geben wir aus? ..................................23. August• Start-up und Ende eines Familienunternehmens..............30. August• Migranten: Von einem, der gekommen ist, es zu

schaffen und einem, der es geschafft hat...................6. September• Die politische Dimension von Armut und Reichtum .. 13. September• Armut und Reichtum im Verborgenen .......................20. September• Essay: Ein neuer Reichtum.............................................4. Oktober

Die Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

Page 24: des Lebens - Südkurier · es bei dieser Zahl nur um Einkommen, nicht um Vermögen. 3Einkommensreichtumsquote: Eine eher abstrakte Zahl. Sie misst, wie viele Personen mehr als 200

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RolltreppedesLebens

präsentiert

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |

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„Geld regiert die Welt“. Dieser Satz ist400 Jahre alt, geschrieben hat ihn derGelehrte Georg Henisch. 200 Jahre spä-ter dichtete Matthias Claudius, sodeutsch-romantisch wie es damals inMode war: „Und all das Geld und all dasGut gewährt zwar viele Sachen; Ge-sundheit, Schlaf und guten Mut kann’saber doch nicht machen.“

Zwischen diesen beiden Sätzen –Geld hat alle Macht, und Geld kanndoch nicht alles – sind wir alle einge-sperrt, bis heute. Entlang dieser beidenSätze diskutieren wir uns die Köpfeheiß. Denn obwohl sie sich widerspre-chen, erklären sie so viel: Die Gier vonMenschen, Firmen, Banken, Staaten –aber auch Verzicht und Großherzigkeit.Sie erklären, warum wir arbeiten gehen,Lotto spielen, eine Bank überfallen oderuns bei „Wer wird Millionär“ bewerben– aber auch, warum wir die Kirche besu-chen, Kinder zeugen, uns ehrenamtlichengagieren, Spenden oder sogar unserLeben für andere riskieren.

Natürlich ist es nicht so einfach. Heu-te, noch einmal 200 Jahre später, sehenwir auch die Kehrseiten der beiden be-rühmten Sätze. Wir wissen: Geld kanndie Welt auch zum Guten verändern.Reiche Staaten bieten ihren BürgernEntwicklungschancen, Lebensqualität,ja längeres Leben. Große Firmen undreiche Menschen stecken Milliarden inwohltätige Projekte. Geld ermöglichtKunst und Kultur. Umgekehrt wissenwir: Armut kann krank machen, kannuns den Schlaf rauben und uns den Mutnehmen – daran ist herzlich wenig Ro-mantisches.

Die Sache mit dem Reichtum ist ebennicht schwarz und weiß. Und doch ma-chen wir es uns oft zu einfach damit.

Geld heißt Teilhabe. Darin sind wirmanchmal brutal.

Wir diskutieren erbittert darüber, wieviel Geld ein Hartz-IV-Empfänger „an-strengungslos“ von der Gemeinschafterhalten darf. Wir stellen die Fragedeutlich seltener, wenn es um Einkünf-te aus ebenso anstrengungslosen Quel-len wie Aktienbesitz oder Erbe geht. Wa-rum eigentlich? Weil die alten Wertesys-teme in unseren Köpfen stark sind. Sieflüstern: Wer reich ist, hat es geschafft,die Reichen sind Vorbilder, denen wirnacheifern wollen und sollen. Wer armist, schafft eben nicht genug, der Armelässt seinen Erfolg willentlich liegenund darf deshalb vom Staat bemuttertund bedrängt, von den Mitmenschenignoriert oder ausgegrenzt werden. Dielogische Folge davon: Die wirklich Rei-chen bleiben oft unter sich, weil sie derNeid und die Anbiederung von untenstört. Wer hingegen arm an Geld ist,

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V O N S E B A S T I A N PA N T E L................................................ Rolltreppe des Lebens: Reiche haben

Geld, Arme haben keins. Ist das wirklichso einfach? Sind wir sicher, was unserLeben reich macht? Ein Essay zum Ab-schluss der SÜDKURIER-Serie

wird ausgegrenzt. Denn Geld bedeutetTeilhabe. Darin sind wir manchmalbrutal konsequent.

Das ist allerdings nicht nur unge-recht, es ist auch fantasielos. Denn soschwer es vielleicht fällt, einem Bankerseine Millionen-Boni zu gönnen: Wol-len wir wirklich tauschen? Ein dickesKonto gegen Gesundheit, Zeit für dieFamilie und Freunde? Geld gegenGlück?

Natürlich ist es komplizierter. Ge-sundheit lässt sich bis zu einem gewis-sen Grad kaufen. Wer wirklich reich ist,muss keine 60-Stunden-Wochen mehrbuckeln. Bis zu einer gewissen Mengemacht Geld tatsächlich glücklich undmotiviert im Job. Damit wird es zu ei-nem wichtigen Motor einer brummen-den Wirtschaft. Doch die persönlicheFrage nach Geld oder Glück lässt sichauch groß denken, und dann geht sie al-le an: Wie wertvoll ist Wachstum aufKosten der Umwelt, der Gesundheitvon Menschen und der sozialen Ge-rechtigkeit?

Kann es sein, dass unser Weg in eineSackgasse führt?

An diesen Fragen arbeiten sich seit Jahr-hunderten die Zweifler ab. Utopisten,Religiöse, Sozialreformer. Ihr Befund:Reichtum ist in der Regel ungleich ver-teilt, und das erzeugt soziale Verwer-fungen, die den Zusammenhalt einesGemeinwesens gefährden können. WerArmut beseitigen will, muss immer inirgendeiner Form von den Reichennehmen. Genau das scheut die Politikmeistens, denn die Verflechtungen und(gefühlten) Verpflichtungen nach„oben“ sind meist stärker als die nach„unten“. Aber gibt es Alternativen?

Das treibt inzwischen nicht mehr nurBlumenkinder und Sozialromantikerum. Der deutsche Bundestag hat 2011eine Enquete-Kommission zu diesemThema eingesetzt. Zwei Jahre lang ar-beiteten sich die Mitglieder an dem Pro-blem ab, ihre Analysen umfassen 1000Seiten. Es geht da um Bildung und Ar-beitsmarkt, um Umwelt und Gesund-heit, um Freiheit und Gleichheit, umWachstum und Glück. Zwischen denkühl formulierten Zeilen ist ein tiefesUnbehagen zu spüren: Könnte es wirk-lich sein, dass unser Weg in eine Sack-gasse führt? Stößt das ewige Weiter-soirgendwann an seine Grenzen? Undwas passiert dann?

Hidir Gürakar, SPD-Landtagsabgeordneter mittürkischen Wurzeln, lebt in Bad Säckingen.

Ein heimlicher Armer aus dem LandkreisWaldshut.

Kinderarzt Yaser el Amour ist Flüchtling ausSyrien und lebt nun im Kreis Konstanz.

Rudolf Babeck, Widmann-Geschäftsführeraus Singen, wuchs in großer Armut auf.

Erhard Bürk aus Schwenningen war einstChef und bezieht heute Hartz IV.

Rentnerin und Sozialhilfeempfängerin MarliesBujak lebt in Singen.

Nadja Roser, alleinerziehende Mutter, ausVillingen-Schwenningen.

Norbert Müller aus Villingen-Schwenningensitzt als Lotto-Direktor im Chefsessel.

Die Privatbrauerei Waldhaus spielte für ChefDieter Schmid schon immer eine große Rolle.

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In vielen Monaten Recherche sind unsere Autoren vielen besonderenMenschen begegnet. Hier beschreiben sie Momente, die sich einge-brannt haben.

� Stephanie Jakober, Redaktion Donaueschingen: „Die Frage,die sich vor dem Treffen mit dem heimlichenReichen gestellt hat, war spannend: Wasbewegt einen Menschen dazu, seinenReichtum zu verbergen? Etliche Er-klärungen hätte ich erwartet und dannwar es dieser einfache Satz, der ei-gentlich alles erklärt hat: ‚Über Geldspricht man einfach nicht.‘ Undtrotz des Tabus haben viele Men-schen sich bereit erklärt, überihr Leben, ihre Sorgen undWünsche mit uns zu sprechen.“

� Eva-Maria Bast, Redaktion Überlingen: „Beeindruckendfand ich die Entdeckung, wie viele Ähn-lichkeiten in Gegensätzen stecken. Obzwischen dem insolventen Familien-unternehmen und der erfolgrei-chen Start-Up-Firma, ob zwischendem Obdachlosen und dem Mil-lionär: Oft fanden sich überra-schende Parallelen, verliefen dieWege bei aller Unterschiedlichkeitder jetzigen Lebenssituationenteilweise ähnlich. Das war fürmich verblüffend.“

� Norbert Trippl, Redaktion Villingen-Schwenningen: „Wenndu ganz unten bist, dann gibt es nichtviele Menschen, die sich dazu beken-nen. Erhard Bürk aus Schwenningenhat mir seine bitteren Lebensepiso-den auf dem Weg vom Chefsessel zurHartz-IV-Stelle erzählt. Bürks Ge-schichte macht Mut. Sie zeigt: Krisensind überwindbar. Es kommt dabeilängst nicht nur auf den Betroffenenan. Sondern auf die Gesellschaft: Wirdürfen Menschen in Not nie fallenlassen.“

� Monika Olheide, Redaktion Waldshut: „Jeder meiner Ge-sprächspartner war mit seiner persönli-chen Geschichte ganz außergewöhnlich.Besonders bewegend war für michaber zweifellos das Interview mit demheimlichen Armen. Wie viel Leid einMensch ertragen kann, vor denScherben seiner Existenz steht unddoch den Lebensmut nicht verliert –und sogar noch mehr: Anderen hilftund dabei diesen Mut, diese Hoff-nung und diese Werte weitergibt.Respekt. Das ist wirklich ganzgroß.“

Diese Begegnungen

bleiben unvergessen

SÜDKURIERS Ü D K U R I E R N R . **159** |**159** , .

Wir wollen Veränderung. Aber auch für uns selbst?Nicht nur bei Experten, auch in den Be-völkerungen der Welt kochen diese Fra-gen immer wieder hoch. Proteste rundum den Globus richten sich gegen dieGier von Banken, gegen globale Geld-Umwälz-Maschinen wie die Fifa, gegendie Vergesellschaftung von Schulden,gegen Umweltzerstörung aus Profit-gründen, gegen Ausbeutung, Sozialab-bau und die Macht Weniger über Viele.Kurz: Gegen die Verantwortungslosig-keit derjenigen Reichen, denen die Aus-wirkungen ihres Immer-mehr auf „dieda unten“ schlicht egal sind. Gleichzei-tig – und das ist das Gegenstück zu denProtesten – zieht ein großer Teil der jun-gen Generation auch in Deutschlanddie Köpfe ein und baut sich sein glück-liches kleines Leben mit Familie, poli-tisch korrektem Konsum, Freundschaf-ten und persönlicher Entfaltung. Da-hinter verborgen liegt eine erstaunlichstarke Angst vor der Zukunft, die sich alsAngst vor Armut und Abstieg äußert.Die Folge: Man passt sich an, scheut dasRisiko. Denn ja, die Welt ist schlecht,und man müsste sie eigentlich ändern –aber uns soll es dann bitte nichtschlechter gehen als jetzt. Denn das gu-te Leben – Kinder, gesundes Essen, Kul-tur, Freiräume, Erfüllung – kostet Geld.Die alten Denkmuster sind stark.

Manche Menschen sind stärker. Sieverschenken ihr Vermögen, sie steigen

aus, sie suchen nachneuen Formen vonReichtum: Reichtuman Zeit, an Sinn viel-leicht, an Bewusst-sein fürs Wesentli-che, an Freiheit, anGlück. Man kann die-se Menschen bewun-dern – aber man kann

auch fragen, wie eine Gesellschaft funk-tionieren soll, in der sich alle so ent-scheiden. Wie sähe eine Welt aus, in derArbeit nur noch aus Vergnügen ge-macht wird? Gibt es irgendeinen Anreizdafür, Dinge zu tun, die getan werdenmüssen, auch wenn sie unangenehmsind? Welche Macht übernimmt dasRuder, wenn Geld nicht mehr die Weltregiert? Und: Wie sähe eine Gesellschaftaus, die derart alle Werte umwertet?

Mitten im Himalaya, in Bhutan, expe-rimentiert eine Gesellschaft mit Ant-worten auf diese Fragen. Alle wirt-schaftlichen Tätigkeiten sind hier demUmweltschutz untergeordnet. Fast einDrittel des Landes besteht aus Natio-nalparks. Das Rauchen wurde abge-schafft, das Fernsehen erst 1999 einge-führt. Bildung und Gesundheitswesensind kostenlos. Dahinter steht die Ideedes „Bruttonationalglücks“: Die Ent-wicklung ist laut Verfassung nicht alleinauf Wirtschaftswachstum ausgerichtet,sondern in gleichem Maße auf Erhaltder Kultur, Umweltschutz und gutes Re-

Iren Dornier aus Friedrichshafen, Unterneh-mer und Enkel des Flugzeugkonstrukteurs.

Ein heimlicher Reicher aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis.

Horst Czeskleba aus Friedrichshafen warfrüher obdachlos.

Suse Krömer aus Albstadt musste ihre Buch-handlung schließen.

Thomas Vosseler aus Villingen-Schwenningenist erfolgreicher Geschäftsmann.

Pensionär Martin Herzog pendelt zwischenFriedrichshafen und Namibia.

Andre Thum und Thomas Keckeisen ausMarkdorf entwickeln Apps für Handys.

gieren. So ist das Land statistisch gese-hen zwar eines der ärmsten der Welt –aber zwei Drittel der gut 700 000 Ein-wohner bezeichnen sich als glücklich.

Nicht: Wie reich wollen wir sein?Sondern: Reich woran?

Doch auch das vermeintliche Paradieshat seine dunklen Seiten. Bhutan ist aufEntwicklungshilfe angewiesen, die Ar-beitslosigkeit ist hoch. Die „Bewahrungder Kultur“ führte 1990 dazu, dass100 000 nepalesische Bhutaner ausge-bürgert wurden. Und auch wenn es in-zwischen Wahlen und ein Parlamentgibt: Von den 47 Sitzen sind 45 von der-selben Partei besetzt. Auch das König-reich Bhutan hat den Königsweg an-scheinend noch nicht gefunden.

Mit unserer Serie „Rolltreppe des Le-bens“ haben wir uns dem Thema Reich-tum und Armut aus vielen verschiede-nen Richtungen genähert, und zwarüber die Geschichten vieler verschiede-ner Menschen. Menschen, deren Wertund Würde vollkommen unabhängigdavon sind, ob sie nun arm sind oderreich. Wenn es danach überhaupt eineAntwort gibt auf die Frage, was Armutund Reichtum ausmacht, dann ist dieseAntwort eine weitere Frage. Sie lautetnicht: Wie reich wollen wir noch wer-den? Und auch nicht: Wie beseitigen wirdie Armut? Sie lautet: Woran wollen wirin Zukunft reich sein – und was ist unsdas wert?

Entweder reich oder zufrieden:

So sind Geld und Glück

in der Welt verteilt

SÜDKURIER-GRAFIK: STELLER

USACHINA

AUSTRALIEN

KANADA

NORWEGENISLAND

IRLAND

NIEDERLANDE

GROßBRITANNIEN

BELGIENLUXEMBURG

DEUTSCHLAND

SCHWEDENDÄNEMARK

SCHWEIZ

ÖSTERREICHALBANIEN

ISRAEL INDONESIEN

VIETNAM

PHILIPINEN

HONGKONG

SINGAPUR

THAILAND

JAPAN

BANGLADESCH

LIBANON

KUWAIT

PAKISTAN

CHILE

KOLUMBIEN

VENEZUELA

PANAMA

COSTA RICA

NICARAGUA

EL SALVADORGUATEMALA

BELIZE JAMAIKA

ARGENTINIEN

ALGERIEN

Die 20 reichsten Länder der Welt

nach Bruttoinlandsprodukt, pro Kopf und kaufkraftbereinigt (2013). Quelle: IWF.

Die 20 glücklichsten Länder der Welt

nach Happy Planet Index: persönliches Wohlbefinden, Lebenserwartung und ökologischer Fußabdruck (2012). Quelle: Happy Planet Index.

Überschneidungen zwischen den Ländern gibt es nicht.

Eine interaktive Weltkarte, auf der Sie das Ranking der Staaten sowohl in der Rangliste der reichsten als auch der glücklichsten Länder einsehen können, finden Sie unter www.suedkurier.de/rolltreppe

Platz 1 – 10

Platz 1 – 10 Platz 10 – 20

Platz 10 – 20

13 Wochen haben wir uns mit demThema Armut und Reichtum in derRegion befasst. SK-Plus-Mitgliederkönnen die komplette Serie ab sofortauch exklusiv als eBook herunter-laden.

Das eBook „Rolltreppedes Lebens“ finden Sieunter dem Link:www.suedkurier.de/ebook

Alle Teile der Serie

SÜDKURIER

Rolltreppedes Lebens

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Ein Produkt aus dem SÜDKURIER Medienhaus www.suedkurier.de | Oktober 2014

SÜDKURIER GmbH, Max-Stromeyer-Straße 178, 78467 Konstanz Titelbild: Julia Blust