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13 2/2002 »Nicht der äußere Mensch, sondern der innere hat Spiegel nötig. Man kann sich nicht anders sehen als im Auge eines fremden Sehers«. Als ob es diesem Gedanken Jean Pauls folgen wollte, lockte das Institut für Deutsche Sprache vom 12. bis 14. März Linguisten aus 26 Ländern zu seiner 38. Jahrestagung nach Mannheim, um in der Diskussion mit Germanisten aus dem nichtdeutschsprachigen Ausland einen schärferen Blick auf die eigene Sprache zu gewin- nen. Entsprechend dem Ziel, dem interdisziplinären Cha- rakter des Themas und nicht zuletzt dem multikulturellen Teilnehmerkreis war auch der Titel der Tagung formuliert: »Deutsch von außen«. Die Auseinandersetzung mit den Problemen der anderen hilft bekanntlich, die eigenen zu bewältigen. Ist der Wille da, müsste sich – wie man sagt – auch ein Weg finden. Dass der Blick nur von innen für die Lösung der Probleme in der Germanistik allgemein und im Bereich »Deutsch als Fremdsprachenphilologie« nicht mehr ausreichend ist, machte der dreitägige Tagungsdialog deutlich. Solch ein Meinungs- und Erfahrungsaustausch erwies sich sowohl für die einheimischen als auch für die im Ausland arbeiten- den Germanisten als sehr fruchtbar. Die Innensicht der Außensicht In seiner Begrüßungsrede benannte Institutsdirektor Gerhard Stickel als Hauptmotiv des IDS für die Wahl des diesjährigen Tagungsthemas die Schärfung der Innensicht durch die Außensicht. Dies helfe, die Beschränkung auf die muttersprachliche Binnenperspektive zu überwinden und schaffe durch den Vergleich die methodisch nützliche Distanz zum Forschungsgegenstand. Um einen ersten Überblick über die Außensichten auf das Deutsche zu gewinnen, schickte der Direktor des IDS ein kleines Prälu- dium voraus – das Ergebnis einer Umfrage mit provokati- ven Fragen an ausländische Kolleginnen und Kollegen nach Meinungen, Stereotypen und Vorurteilen über das Deutsche und die Deutschen, die in dem jeweiligen Land verbreitet sind. Die meisten negativen Einstellungen und unerfreulichen Wertungen beruhen nach der Meinung Sti- ckels auf über Jahrhunderte tradierten Klischees und auf der mangelnden Kenntnis der deutschen Sprache und ih- rer Sprecher. Das Heterostereotyp von der schweren deut- schen Sprache gehe eher auf das auch während der Tagung immer wieder angeführte Standardzitat Mark Twains zu- rück, dass das Deutsche erst in 30 Jahren zu lernen sei – u.a. sei die Wortstellung des Deutschen kompliziert, seine Wörter zu lang und die Aussprache unmusikalisch hart –, nicht aber auf wirkliche Sprachlernerfahrung. Tat- sächlich aber wird die »Philosophensprache« von vielen motivierten Lernenden als »schwierig, aber nützlich« be- wertet. Über den praktischen Nutzen der deutschen Spra- che, ihre Rolle in Zeiten der EU-Ausbreitung und der Globalisierung in der Wissenschaft sprach Staatssekretär Michael Sieber in seinem Grußwort an die Gäste der Ta- gung. Er sehe die Aufgabe des IDS darin, die deutsche Sprache international »vorzuhalten«. Hans-Olaf Henkel, Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz, der auch das IDS angehört, hob in sei- nem Grußwort die zentrale Bedeutung des IDS für die Germanistik im In- und Ausland hervor. Nur durch genaue kontrastive und typologische Untersu- chungen der strukturellen Eigenschaften des Deutschen im Vergleich zu anderen Sprachen schärft man den Blick für die grammatische Beschreibung der eigenen Sprache. Diese These wurde überzeugend in den Vorträgen des ers- ten Tages vertreten. Im Vergleich mit mehreren europäischen Sprachen – vor allem dem Englischen, Französischen, Polnischen und Ungarischen – stellte Gisela Zifonun ein mehrdimensio- nales Bild der Personal- und Reflexivpronomina aus kon- trastiv-typologischer Perspektive vor. Den Hintergrund ihres Vortrags bildet das seit Anfang 1999 in der Abteilung »Grammatik« des IDS laufende Projekt »Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich« (Näheres dazu unter http://www.ids-mannheim.de/gra/eurostudien.html). Dieses Projekt soll auch einen Beitrag zur Sprachidentität und damit zur kulturellen Identität in Europa leisten. Die neue Betrachtungsweise des Deutschen im Kontrast zu anderen europäischen Sprachen ermöglicht den Linguis- ten, die grammatische Profilierung des Deutschen sichtbar zu machen und subtile Unterschiede zwischen »Nah«- DEUTSCH VON AUSSEN Bericht von der 38. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache von Anna Volodina Prof. Hans-Olaf Henkel, Präsident der WGL

DEUTSCH VON AUSSEN · 2017. 8. 25. · So bedauerte Martine Dalmas (Pa-ris) das gestörte, eher auf nationa-lem als auf dem historischen As-pekt beruhende Verhältnis der ... deutschen

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»Nicht der äußere Mensch, sondern der innere hat Spiegelnötig. Man kann sich nicht anders sehen als im Auge einesfremden Sehers«. Als ob es diesem Gedanken Jean Paulsfolgen wollte, lockte das Institut für Deutsche Sprache vom12. bis 14. März Linguisten aus 26 Ländern zu seiner 38.Jahrestagung nach Mannheim, um in der Diskussion mitGermanisten aus dem nichtdeutschsprachigen Auslandeinen schärferen Blick auf die eigene Sprache zu gewin-nen. Entsprechend dem Ziel, dem interdisziplinären Cha-rakter des Themas und nicht zuletzt dem multikulturellenTeilnehmerkreis war auch der Titel der Tagung formuliert:»Deutsch von außen«.

Die Auseinandersetzung mit den Problemen der anderenhilft bekanntlich, die eigenen zu bewältigen. Ist der Willeda, müsste sich – wie man sagt – auch ein Weg finden. Dassder Blick nur von innen für die Lösung der Probleme in derGermanistik allgemein und im Bereich »Deutsch alsFremdsprachenphilologie« nicht mehr ausreichend ist,machte der dreitägige Tagungsdialog deutlich. Solch einMeinungs- und Erfahrungsaustausch erwies sich sowohlfür die einheimischen als auch für die im Ausland arbeiten-den Germanisten als sehr fruchtbar.

Die Innensicht der Außensicht

In seiner Begrüßungsrede benannte InstitutsdirektorGerhard Stickel als Hauptmotiv des IDS für die Wahl desdiesjährigen Tagungsthemas die Schärfung der Innensichtdurch die Außensicht. Dies helfe, die Beschränkung auf diemuttersprachliche Binnenperspektive zu überwinden undschaffe durch den Vergleich die methodisch nützlicheDistanz zum Forschungsgegenstand. Um einen erstenÜberblick über die Außensichten auf das Deutsche zugewinnen, schickte der Direktor des IDS ein kleines Prälu-dium voraus – das Ergebnis einer Umfrage mit provokati-ven Fragen an ausländische Kolleginnen und Kollegennach Meinungen, Stereotypen und Vorurteilen über dasDeutsche und die Deutschen, die in dem jeweiligen Landverbreitet sind. Die meisten negativen Einstellungen undunerfreulichen Wertungen beruhen nach der Meinung Sti-ckels auf über Jahrhunderte tradierten Klischees und aufder mangelnden Kenntnis der deutschen Sprache und ih-rer Sprecher. Das Heterostereotyp von der schweren deut-schen Sprache gehe eher auf das auch während der Tagungimmer wieder angeführte Standardzitat Mark Twains zu-rück, dass das Deutsche erst in 30 Jahren zu lernen sei –u.a. sei die Wortstellung des Deutschen kompliziert,seine Wörter zu lang und die Aussprache unmusikalischhart –, nicht aber auf wirkliche Sprachlernerfahrung. Tat-sächlich aber wird die »Philosophensprache« von vielen

motivierten Lernenden als »schwierig, aber nützlich« be-wertet. Über den praktischen Nutzen der deutschen Spra-che, ihre Rolle in Zeiten der EU-Ausbreitung und derGlobalisierung in der Wissenschaft sprach StaatssekretärMichael Sieber in seinem Grußwort an die Gäste der Ta-gung. Er sehe die Aufgabe des IDS darin, die deutscheSprache international »vorzuhalten«. Hans-Olaf Henkel,Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft GottfriedWilhelm Leibniz, der auch das IDS angehört, hob in sei-nem Grußwort die zentrale Bedeutung des IDS für dieGermanistik im In- und Ausland hervor.

Nur durch genaue kontrastive und typologische Untersu-chungen der strukturellen Eigenschaften des Deutschenim Vergleich zu anderen Sprachen schärft man den Blickfür die grammatische Beschreibung der eigenen Sprache.Diese These wurde überzeugend in den Vorträgen des ers-ten Tages vertreten.

Im Vergleich mit mehreren europäischen Sprachen – vorallem dem Englischen, Französischen, Polnischen undUngarischen – stellte Gisela Zifonun ein mehrdimensio-nales Bild der Personal- und Reflexivpronomina aus kon-trastiv-typologischer Perspektive vor. Den Hintergrundihres Vortrags bildet das seit Anfang 1999 in der Abteilung»Grammatik« des IDS laufende Projekt »Grammatik desDeutschen im europäischen Vergleich« (Näheres dazuunter http://www.ids-mannheim.de/gra/eurostudien.html).Dieses Projekt soll auch einen Beitrag zur Sprachidentitätund damit zur kulturellen Identität in Europa leisten. Dieneue Betrachtungsweise des Deutschen im Kontrast zuanderen europäischen Sprachen ermöglicht den Linguis-ten, die grammatische Profilierung des Deutschen sichtbarzu machen und subtile Unterschiede zwischen »Nah«-

DEUTSCH VON AUSSENBericht von der 38. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache

von Anna Volodina

Prof. Hans-Olaf Henkel, Präsident der WGL

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Sprachen hervorzuheben. Der mit der Kontrastierungverbundene Verfremdungseffekt kann Gefahren wie z.B.Über- und Untergeneralisierung in der Grammatik-schreibung vermeiden helfen, fasste die Projektleitereineinen Vorteil dieses Verfahrens zusammen.

Im ersten Teil seines Vortrags »Faszination der kontrasti-ven Germanistik DaF« illustrierte Werner Abraham(Groningen) die Komplikationen des Deutschen im Ver-gleich zu anderen germanischen Sprachen mit der in derSprachevolution entstandenen formalen »Überspe-zifikation«. Der Vortragende konnte an vielen Beispielenaufzeigen, wie sich z.B. das moderne Englische aus demdem modernen Deutschen so strukturähnlichen Altengli-schen zu einer Sprache mit optimaler grammatischerDurchsichtigkeit entwickelt hat, während das Deutscheseine ursprüngliche Komplexität behielt. Die »Vereinfa-chung« des Englischen sei auch historisch bedingt: das»leichtere« Englisch för-dere eine schnelleresprachliche und damit so-ziale Integration verschie-dener Wellen von Neu-siedlern auf den britischenInseln. Im zweiten Teil desVortrags ging Abraham aufjene Gesichtspunkte ein,unter denen diese »schwe-ren« formalen Eigenschaf-ten der deutschen Spracheentscheidende Vorteilebringen und sie zu einer»leichteren« Sprache ma-chen. So habe zum Beispieldas Deutsche zwar morpho-logische Redundanzen, seiaber im Vergleich zu einer formunaufwendigen,morphologiearmen, aber versetzungssperrigen Sprachewie dem Englischen syntaktisch flexibler, feingradiger,also intensional reicher.

Geradezu begeistert von der Komplexität des Deutschen,die in besonderer Weise ein Privileg der schriftlichenKommunikation sei, zeigte sich Cathrine Fabricius-Hansen aus Oslo. Was Deutsch als eine relativ kompliziertwirkende Sprache mit »abschreckenden« parataktischenund hypotaktischen Untergliederungen erscheinen lässt,ist ihrer Meinung nach ein Zeichen für die »Reife« dieserSprache, die vor dem Hintergrund »weniger reifer« Spra-chen als schwierig gilt. Ihre These, dass die Beurteilung derKomplexität des Deutschen abhängig von der jeweiligenMuttersprache ist, belegte sie durch einen detailliertenVergleich von Parallelbeispielen eines deutschen Textesmit seiner englischen und norwegischen Übersetzung. Dieim Text widergespiegelte komplexe Logik des Schriftdeut-schen wurde in den Vergleichssprachen grammatisch ver-einfacht, was durch andere sprachliche Mittel kompensiertwurde: Einzelne längere hypotaktische Gedankengängewerden im Norwegischen in mehreren Sätzen wiedergege-ben, die nominalisierten Elemente durch hypotaktische

Strukturen in der entsprechenden englischen Übersetzungersetzt. Die Frage, ob der Kompromiss zwischen Komple-xität und Verständlichkeit im DaF-Unterricht nach demMotto »Schreib’ nicht, wie du sprichst, schreib’, wie esdem Leser angemessen ist« überhaupt möglich ist, rief an-schließend eine heftige Diskussion hervor.

Germanisten aller Länder ...

Zwei weitere Nachmittagsvorträge des ersten Tages eröff-neten eine ganze Reihe ›aufklärender‹ Vorträge von auslän-dischen Germanisten, die einen besorgten Blick von außenauf die selbstgenügsame inländische Germanistik richte-ten, deren Forschungsgegenstand durch das europa- undweltweit nachlassende Interesse an der deutschen Spracheund die zunehmende Rolle des Englischen als internatio-nale Kommunikationssprache bedroht ist.

So bedauerte Martine Dalmas (Pa-ris) das gestörte, eher auf nationa-lem als auf dem historischen As-pekt beruhende Verhältnis der›Marianne‹ zu ihrem deutschenNachbarn, das folgenschwere Kon-sequenzen für die Verbreitung desDeutschen als Fremdsprache inFrankreich hat. Sowohl die germa-nistische Sprachwissenschaft alsauch das Schulfach Deutsch stoßenauf Schwierigkeiten strukturellerund ideologischer Art, die sich so-wohl auf die traditionell von derLiteraturwissenschaft geprägteGermanistik als auch auf die Leh-rerausbildung und -weiterbildung

negativ auswirken. Dies führe dazu, dass das ohnehin»elitär schwere« Deutsch als Fremdsprache im französi-schen Schulsystem in den letzten Jahren zunehmend anGewicht verliere. An manchen Schulen wird es erst an drit-ter Stelle nach dem Englischen und Spanischen gewählt,was wiederum zu einem Rückgang der Studentenzahlen,z.B. an der Sorbonne, führt.

Das Problem des Wertverlustes des Deutschen zugunstendes Englischen wurde unter anderem von Csaba Földes(Veszprém) aus ungarischer Sicht umrissen. ObwohlDeutsch als erste Fremdsprache in der Grundschule histo-risch bedingt immer noch stark vertreten ist, nimmt esschon in der Hauptschule nur noch den zweiten Prestige-Platz ein, und zwar hinter dem Englischen, das reichereEltern für ihre Kinder bevorzugen. Die beherrschendeRolle der englischen Sprache ist nicht zuletzt auf die all-mählich sinkende Bedeutung des Deutschen im ungari-schen Wirtschaftsleben zurückzuführen: Beim Ein-stellungsverfahren verlangen auch die deutschen Firmenimmer häufiger Englischkenntnisse von ihren Mitarbei-tern. Die immer noch verbreitete konservative Methodikdes DaF-Unterrichts im Unterschied zu der mehr kommu-nikativ orientierten des Englischen führe zwar zu ausrei-

Staatssekretär Michael Sieber, Baden-Württemberg

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chenden Grammatikkenntnissen, eigne sich aber wenigzum Erwerb der Fähigkeit der spontanen Unterhaltung. Die»von Anglizismen besessenen« aktuellen Lehrbücherbereiteten nicht nur den Deutschlernenden Schwierigkei-ten, sondern auch ihren zum größten Teil nur für eineFremdsprache ausgebildeten Lehrern.

Die Ausgangssituation für das Deutschlernen in Indien,einem kulturell so vielfältigen und mehrsprachigen Land,unterscheidet sich stark von der Situation in Europa. Vie-le Inder, die zusätzlich Deutsch oder häufiger sogar Japa-nisch lernen, sind bereits zweisprachig, berichtete der ein-zige außereuropäische Vortragende, Shrishail Sasalattiaus Neu-Delhi, am zweiten Tag der Tagung über die Lageauf dem Subkontinent. Ein Schwerpunkt der Forschung inder indischen Germanistik ist daher die Untersuchung desSpracherwerbs mehrsprachiger Sprecher. Bedauerlicher-weise erwecke das Deutsche ein geringes Interesse bei denLernenden. Ob Deutsch eine allzu schwierige Sprache fürseine Landsleute sei? »Interessant, brauchbar, aber schwie-rig«, lautete Sasalattis Formel, die wie ein Echo auf dieUmfrage Stickels wirkte. Das Haupthindernis für eineZunahme des Deutschen als Fremdsprache sind aber nichtdie Lernhindernisse, sondern die fehlende Motivation.Englisch und auch Japanisch haben hier aufgrund histo-rischer sowie aktueller, vor allem wirtschaftlicher Gege-benheiten einen schwer aufholbaren Vorsprung. Hier könn-te allerdings die Politik eingreifen, denn mit der Greencardversucht Deutschland, gerade indische Computerexpertennach Deutschland zu locken – allerdings betreibeDeutschland parallel dazu zu wenig Sprachpolitik.

Daran, dass die Fremdsprachenpflege eine äußerst wichti-ge politische Sache ist, gibt es keinen Zweifel. Besorgtwirkte der katalanische Germanist Andreu Castell(Tarragona), als er die spanische Situation der unzurei-chenden Förderung des Fremdsprachenlernens schilderte.Weder die Zentralregierung noch die Landesregierungenhaben sich in mehr als 30 Jahren für eine klareFremdsprachenpolitik entscheiden können. Die Folge istbekannt: Rückgang des Interesses an den Fremdsprachenallgemein, darunter auch am Deutschen, das bisher nochweniger gefördert wurde als das Englische oder das Fran-zösische. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Kriserief Castell seine Kollegen auf, in einer gemeinsamenAktion mit den spanischen Germanisten den Untergangdes Deutschunterrichts zu verhindern.

Wie sich variierende politische und kulturelle Beziehun-gen zwischen Briten und Deutschen auf die Wahrnehmungder deutschen Sprache auswirken, berichtete »vom Teller-rand aus« Michael Townson (Dublin). Während das beiden Briten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts posi-tive Deutschlandbild eine wohlwollende Rezeption desDeutschen als einer »hochwertigen, edlen Lektüre-sprache« hervorrief, scheint für sie nur 100 Jahre später derästhetische Klang derselben Sprache durch das negativeKriegserlebnis und durch die Karikatur des Deutschen inenglischen Kriegsfilmen, in denen die Nazi-Kommandosgebellt werden, für lange Zeit verdorben.

Eine Annäherung an die deutsche Sprache von Rom ausstrebte Guiliana Liebmann Parinello an. Im Rahmen ihresVortrags stellte sie ein neues Projekt der Universität RomaTre dar, in dem ein Einführungsmodul in die germanisti-sche Linguistik für absolute Anfänger entwickelt werde.Die Wissenschaftlerin sieht die Grundlage für das Erlernendes Deutschen als Fremdsprache im Lateinischen als der»Muttersprache« Europas. Diese Grundlage ermöglicheein breiteres Verständnis für lexikalische Aspekte der Ge-genwartssprache und eröffne neue Perspektiven in derVermittlung von interdisziplinären Kenntnissen aus derdeutschen Sprachgeschichte, die in diesem Modul in einerneuen europäischen Dimension gesehen wird. Von einemallgemeinen Mehrsprachigkeitsprinzip ausgehend, wer-den von den Lernenden Latinismen und Italianismen imDeutschen – insbesondere solche Pseudoitalianismen wie»alles paletti« – wie auch Germanismen im italienischenWortschatz wie »albergo« ausgewertet, um so einen ge-meinsamen lexikalischen Boden mit der neuen Fremd-sprache zu sichern und dadurch den Lernprozess zu er-leichtern.

Die Zweisprachigkeit der Finnen ist seit langem Realität:Neben dem Finnischen ist Schwedisch seit 1917 als zwei-te Staatssprache eingeführt, die ab dem dritten Schuljahrgelernt wird. Dabei handelt es sich um eine Kombinationvon zwei morphologisch grundverschiedenen Sprachen:einer agglutinierenden und einer flektierenden. Wie sicheinerseits ein starker typologischer Kontrast zu der Mut-tersprache, andererseits die vertraute Basis des bereitsgelernten und mit dem Deutschen nah verwandten Schwe-dischen auf den Deutscherwerb von Finnen auswirkt,machte in ihrem Beitrag Irma Hyvärinen (Helsinki) deut-lich. Anhand vieler Beispiele zur Silben- und Wortstrukturim Finnischen und Deutschen zeigte sie unter anderem,dass im Finnischen mehrsilbige Wörter und Komposita vielhäufiger vorkommen als im Deutschen. Dieser Vergleichaus finnischer Sicht widerlegt die These von der spektaku-lären Länge der deutschen Wörter, die in vielen Tagungs-berichten aus der Perspektive ganz unterschiedlicher Aus-gangssprachen als eines der Lern- und Verstehenshinder-nisse genannt wurde. Darüber hinaus konnte Hyvärinen andiesem und weiteren, z.B. lautlichen Unterschieden zwi-schen dem Finnischen und Deutschen aufzeigen, woraufin Finnland bei der Vermittlung des Deutschen als Fremd-sprache zu achten ist.

Die Betrachtung des Deutschen einerseits von innen alsMuttersprache – aus der rumäniendeutschen Sicht –,andererseits von außen als Fremdsprache – aus der Sichtdes Rumänischen – ist eine Besonderheit der rumänischenGermanistik, die durch die Existenz einer deutschsprachi-gen Minderheit auf rumänischem Boden in Siebenbürgenund im Banat bestimmt ist. Speranta Stanescu (Bukarest)berichtete über die Geschichte der Deutschen, die ihreKultur und ihre Sprache bis zum heutigen Tag über dieJahrhunderte und über die unterschiedlichsten Systemehinweg gerettet haben. In ihrem Vortrag wandte sie sichabschließend nicht nur den wichtigen Fragen derVergangenheitsaufarbeitung der Rumäniendeutschen,

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sondern auch der Umorientierung in der Forschung undder Ausrichtung der rumänischen Germanistik seit 1989zu. Durch die starke Zunahme der Auswanderung derRumäniendeutschen nach der Wende verschiebt sich derSchwerpunkt vom muttersprachlichen – spielerisch auchDaMF genannt – zum DaF-Unterricht.

In den Beiträgen der ausländischen Germanisten am drit-ten Tag der Tagung wurde erneut auf den Zusammenhangvon Fremdsprachenlernen und -lehren hingewiesen. Sonahm Martin Durrell (Manchester) die durch »mangeln-de Motivation zu Fremdsprachen« klischierten Briten inSchutz: Die von ihm angeführten Statistiken zeigten, dassimmer mehr Briten den Erwerb fremdsprachlicher Kompe-tenzen positiv ansehen. Jedoch sei es schwierig, diesepositive Motivation im schulischen Fremdsprachen-unterricht umzusetzen: bis zu 90% der Schüler in der 11.Klasse wählt alle Fremdsprachen ab. Durrell sieht einen derGründe in den zwar informativen, aber funktionsarmen, zuwenig an der gesprochenen Sprache orientierten Übungs-texten für Deutschlernende, auf deren Basis derFremdsprachenunterricht in Großbritannien erteilt wird.»Unsere Schüler wollen Deutsch lernen, wie es gesprochenwird, nicht wie es gesprochen werden soll.«

Zu einer beständigen Kooperation mit ausländischenGermanisten statt des lange Zeit praktizierten »Einweg-Transfers« von Konzepten und Lehrmaterialien in dienichtdeutschsprachigen Länder rief Hans-JürgenKrumm (Wien) die Inlandsgermanisten auf. Die Auslands-germanistik bietet ihrerseits ein bisher zu wenig genutztesPotenzial auch für die Inlandsgermanistik, vor allem durcheine ausreichende Reflexion über das deutsche Sprach-verhalten von außen. Die Frage, wie unterschiedlich dieWahrnehmungsperspektiven auf das Deutsche aus dermonolingualen Muttersprachlersicht und aus der Sichtmehrsprachig aufgewachsener Kinder sein können, beant-wortete der Vortragende anhand von Zeichnungen, dieextra für seine Studie von in Österreich und Deutschlandlebenden ausländischen Kindern entwickelt wurden.

Den abschließenden Vortrag zum Problem der Selbstbe-stimmung der Germanistik im vereinten Europa hielt alsPlädoyer für deren Erweiterung zu einer so genannten›Transnationalen Germanistik‹ Angelika Redder ausMünchen. Transnationale Germanistik wurde als Pro-gramm unter ›Deutsch als Fremdsprache‹ hinsichtlich derGegenstände und Praxisbezüge ebenso wie hinsichtlichder Theorienbildung und Methodenentwicklung darge-stellt. Die Argumentation Redders umfasste drei Dimensi-onen, die während des Vortrags ausführlich skizziert wur-den: die wissenschaftsgeschichtliche, die wissenschafts-systematische und die wissenschaftspolitische.

Podiumsdiskussion

»Wozu brauchen wir heute eine internationale Germanis-tik?« – diese durchaus provozierende Frage wurde den

Teilnehmern der Podiumsdiskussion mit dem Ziel gestellt,die internationale Stellung der deutschen Sprache und dasVerhältnis zwischen Inlands- und Auslandsgermanistik aufden Punkt zu bringen.Mit der Ansicht, dass der pseudotransparente Terminus›internationale Germanistik‹ nur scheinbar die fachlicheEinheit der sogenannten Inlands- und Auslands-germanistik beinhalte, eröffnete Hardarik Blühdorn(Mannheim) die Diskussionsrunde. Die wichtige Funkti-on der nationalen und kulturellen Selbstvergewisserungstelle sich für die Auslandsgermanistik ganz und gar andersdar als für die Inlandsgermanistik. Und auch an die Spra-che selbst habe der Nicht-Muttersprachler im allgemeinenandere Fragen als der Muttersprachler.Regina Hessky (Budapest) sah die Situation wesentlichpositiver. Für sie ist internationale Germanistik durchaussinnvoll. Es handelt sich um ein Kontaktphänomen, eineErscheinungsform der Kontakte zwischen deutschen undausländischen Germanisten, die aus ungarischer Sichtleider allzu oft einen einseitigen Charakter aufweist, undzwar zugunsten des Deutschen, statt des wünschenswerten»Gebens und Nehmens« zwischen beiden Kulturen.Zuvor hatte Ludwig M. Eichinger (Kiel) eine einzigeGermanistik gefordert, die weder den Inlands- noch denAuslandsgermanisten gehört. Gemeinsam stellt sich ihnendie Aufgabe, die Norm zu pflegen und die Bedeutung desDeutschen in der Welt und des DaF-Unterrichts zu erhö-hen. Die so umrissenen Ziele gelten für die Germanistikschlechthin.»Wohin geht die deutsche Sprachwissenschaft in Italien?«fragte der römische Sprachwissenschaftler Claudio DiMeola. Als einen wichtigen Faktor zur Stärkung der inter-nationalen Germanistik nannte er einen vermehrten wis-senschaftlichen Austausch mit den deutschen Kollegen.Es reiche nicht aus, nur Sprachwissen zu vermitteln, esmüssten Studenten ausgebildet werden, bei denen Interes-se und Motivation zu praxisferner und theorienaherSprachwissenschaft vorhanden sei.Joachim Umlauf als Vertreter des Deutschen Akademi-schen Auslandsdienstes (DAAD) forderte von der Germa-nistik, sich mehr in das gesellschaftliche Leben einzumi-schen. Auch wenn der DAAD Hunderte von Lektoren inalle Gegenden der Welt schicke, reiche dieses Angebot sei-ner Ansicht nach für die stärkere Verbreitung der deutschenSprache immer noch bei weitem nicht aus.Für Christiane von Stutterheim (Heidelberg) ergeben sichkaum Zweifel am Nutzen der internationalen Germanistik.Das von ihr geleitete Institut für Deutsch alsFremdsprachenphilologie betreibt bereits seit geraumerZeit ›Auslandsgermanistik im Inland‹. Mit diesemfakultätsübergreifenden Angebot, das der Wissenschafthervorragende Möglichkeiten zur Durchführung vonForschungsprojekten aus kontrastiver Sicht in enger Zu-sammenarbeit mit Muttersprachlern aus über 40 Ländernder Welt bietet, verbreitete sie zum Tagungsabschluss ei-nen kaum noch erwarteten Optimismus.

Im Rahmen der Tagung wurde der alle zwei Jahre verliehe-ne Hugo-Moser-Preis, der von dem Mitbegründer und ers-

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ten Präsidenten des Ins-tituts für Deutsche Spra-che und seiner Frau1986 gestiftet wurde, andie Nachwuchswissen-schaftlerin BirgitEckardt aus Jena für ihrHabilitationsprojektzum Thema: »Aufga-ben und Bedeutungenvon Metaphern in Fach-sprachen – Bildfelder inder rechtswissenschaft-lichen Kommunikati-on« vergeben. Mit demmit 12.500 Euro dotier-ten Konrad-Duden-

Preis 2001 der Stadt Mannheim wurde in diesem Jahr derPassauer Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Hans-WernerEroms ausgezeichnet.

Der Tradition gemäß wurde zum Schluss vom Instituts-direktor das Thema der nächsten IDS-Jahrestagung ange-kündigt, und zwar werden sich die Linguisten undLinguistinnen dem Thema »Wortverbindungen« widmen,das nicht nur unter lexikographischem Aspekt betrachtetwerden soll.

Die Autorin ist wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Deut-sche Sprache in Mannheim und promoviert derzeit in Germanis-tik an der Universität Heidelberg.

Foto von Frau Eckardt: PrivatSonstige Fotos: Annette Trabold, Mannheim

Birgit Eckardt, Hugo-Moser-Preisträgerin