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Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

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Man erkennt die Welt nicht gleich wieder, wenn man sie mit den Augen eines melancholischen Bankberaters betrachtet. Besonders wenn es sich um einen Bankberater handelt, der hinter jeder Geldanlage den größeren Zusammenhang sieht: »Man kann kein Tagesgeldkonto verstehen, ohne zu verstehen, was ein Baum ist.« Und während der Bankberater auch für sein Leben einen Zusammenhang sucht, bevor es an allen Ecken und Enden auseinanderbricht, gerät er in eine ausweglose Situation, aus der ihn nur ein abenteuerliches Trio retten kann: sein letzter verbliebener Kunde Tilman Rammstedt, Bruce Willis und ein toter Hund.

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Sehr geehrter Herr Willis,

geht es Ihnen gut?Mit freundlichen Grüßen,Tilman Rammstedt

Dass ich ihn weniger als meinen Bankberater sehensolle, sagte mein ehemaliger Bankberater bei unse-rem ersten Termin, sondern vielmehr als etwas ande-res. Dann überlegte er lange, was das sein könnte. Wirschauten beide aus dem Fenster, in die einsetzendeDämmerung, den dünnen Regen. Hin und wiedertrafen sich unsere Blicke in der Scheibe, und meinehemaliger Bankberater lächelte mich an. »Oder docheinfach als Bankberater«, sagte er schließlich.

Sehr geehrter Herr Willis,

die Frage in meiner gestrigen Mail war übrigens nicht alshöfliche Floskel gemeint. Ich wollte tatsächlich wissen,ob es Ihnen gut geht. Und ja, ich weiß, dass wir uns nichtkennen, aber Ihr Wohlergehen liegt mir sehr am Herzen.

Also noch einmal: Geht es Ihnen gut?Mit freundlichen Grüßen,Tilman Rammstedt

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Mit freundlichen Grüßen,Tilman Rammstedt

PS: Wenn Ihnen nichts einfällt, was ich für Sie tun kann,schreiben Sie mir bitte trotzdem. Vielen Dank.

Auf dem Schreibtisch meines ehemaligen Bankbera-ters stand ein k leiner Keramikelefant mit erhobenemRüssel. »Ein Erinnerungsstück«, erk lärte er mir, als ersah, dass ich das Tier betrachtete. »Woran?«, fragte ich,und mein ehemaliger Bankberater zögerte nur kurz.»An einen Elefanten«, sagte er.

Sehr geehrter Herr Willis,

bitte verzeihen Sie. Vor lauter Sorge um Ihr Wohlergehenhabe ich vollkommen vergessen, mich vorzustellen. Des-halb kurz zu meinerPerson:MeinName istTilman Ramm-stedt. Ich bin ein deutscher Romanautor und kurz davor,mein viertes Buch zu beenden. Wenn Sie bislang noch nieetwas von mir gehört haben, muss Ihnen das nicht unan-genehm sein. In Amerika bin ich noch nicht sehr bekannt(kulturelle Unterschiede, Terminschwierigkeiten, fehlen-de Übersetzung), doch ich kann Ihnen versichern, dass ichein seriöser Schriftsteller bin, mit ausreichend Berufser-fahrung, besonders was Figuren angeht, denen es geradenicht sehr gut geht (Liebe, Körper, Leben).

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»Im Grunde sind das alles nur Zahlen«, sagte meinehemaliger Bankberater und zeigte zur Verdeutli-chung auf einige davon in den Broschüren, die er im-mer großflächig vor mir ausbreitete. Ob ich wisse,dass die erste Zahl, die man damals vor Tausendenvon Jahren entdeckt habe, die Drei gewesen sei. »Aus-gerechnet die Drei«, sagte er. »Stellen Sie sich das ein-mal vor.« Er schloss die Augen und tat es dann allemAnschein nach selbst. Es schien eine schöne Vorstel-lung zu sein, er sah glück lich aus.

Sehr geehrter Herr Willis,

vielleicht erscheint Ihnen die Frage, ob es Ihnen gut geht,zu willkürlich, zu allgemein oder zu persönlich. Es ist nurso, dass ich zuletzt viel Zeit in Wartezimmern verbrachthabe (abnehmende Sehstärke, Rückenbeschwerden, Knir-scherschiene), und dort las ich in einer Zeitschrift, dasses Ihnen zurzeit alles andere als gut gehe (Liebe, Körper,Beruf ). Nun weiß ich nicht, wie aktuell diese Zeitschriftwar und inwieweit solchen Zeitschriften überhaupt zutrauen ist, daher auch mein Nachfragen in den vergange-nen Tagen. Aber falls es stimmt, dass Sie gerade etwas un-glücklich sind, tut mir das ausgesprochen leid. Kann ichvielleicht irgendetwas für Sie tun? Ganz gleich, was es ist,scheuen Sie sich bitte nicht, mir sofort zu schreiben.

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Sie sich kurz melden: +49 (176) 62138954, Skype: tilman_rammstedt.

Mit freundlichen Grüßen,Tilman Rammstedt

PS: Ich würde Ihnen auch anbieten, bei mir zu übernach-ten, aber zurzeit ist meine häusliche Lage etwas kompli-ziert. Gern bin ich Ihnen jedoch bei der Hotelsuche be-hilflich.

Auf der Visitenkarte meines ehemaligen Bankbera-ters stand nur sein Name. Alles andere ändere sichso schnell, sagte er. Ich suchte das Bedauern in sei-ner Stimme, fand es aber nicht.

Sehr geehrter Herr Willis,

es ist vollkommen verständlich, dass Sie mir nicht ant-worten. Gewiss fragen Sie sich, warum Sie ausgerechnetmit mir über Ihre Probleme reden sollten, obwohl wir unserst seit Kurzem kennen. Schließlich haben Sie Freunde(auch wenn Sie sich vielleicht gerade fragen, ob es so et-was wie »Freundschaft« überhaupt gibt). Sie haben be-stimmt einen Therapeuten (auch wenn Sie sich viel-leicht gerade fragen, ob es so etwas wie »Entwicklung«überhaupt gibt). Sie haben, wenn ich das richtig in Erin-nerung habe, sogar eine Schildkröte (auch wenn Sie sich

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Also, jetzt, da wir uns ein wenig kennen: Wie geht es Ih-nen, Herr Willis?

Mit freundlichen Grüßen,Tilman Rammstedt

Mit Immobilien liege man eigentlich nie verkehrt, sag-te mein ehemaliger Bankberater. »Alles kommt undgeht, Immobilien bleiben«, sagte er, und dass, wennvon uns einmal nichts mehr übrig sei, die Immobilienauch wunderbar allein zurechtkämen. »Dann haben sieendlich ihre Ruhe«, sagte er, und seine Finger strichendabei über die Wand neben ihm, als wollte er sie ver-trösten.

Sehr geehrter Herr Willis,

wahrscheinlich fällt es Ihnen einfach schwer, Ihren Zu-stand in klare Worte zu fassen. Das kenne ich gut. WennIhnen das leichter fallen sollte, können wir auch gernbald einmal telefonieren. Oder, das wäre natürlich amschöns ten, bei einem Kaffee oder Bier in Ruhe über allesreden.

Leider wird es mir in den nächsten Wochen nicht mög-lich sein, zu Ihnen nach Los Angeles zu kommen (beruf-liche Verpflichtungen, private Verpflichtungen, Kranken -gymnastik), aber falls Sie zufällig in Europa oder sogar inDeutschland sein sollten, würde ich mich freuen, wenn

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len mehr Möglichkeiten von ihm ab, und ich blieb zu-rück mit dem, was vorläuf ig noch übrig war.

Sehr geehrter Herr Willis,

Sie sind kein Mann der vielen Worte, ich weiß. Bei Ihnensagt einStirnrunzeln, einegehobeneAugenbraue,ein Aus-atmen mehr als jeder ausschweifende Monolog. Sie trau-en den Worten nicht recht über den Weg, weil Worte Ih-rer Meinung nach nur alles überdecken und man sie erstmühsam beiseiteräumen muss, um zum Eigentlichen zugelangen.

Das weiß ich alles, Herr Willis, und doch will ich Siebitten, mir ein paar solcher Worte zu schicken, weil ichaus der Entfernung doch nicht Ihre Augenbrauen sehenkann, nicht Ihr Stirnrunzeln, keinen mahlenden Kiefer,keinen Anflug eines Lächelns. In E-Mails sind wir nun ein-mal auf Worte angewiesen.SchickenSie mir doch ein paardavon, oder zumindest eines, ein »Ja« zum Beispiel, ein»Bald«, meinetwegen auch ein »Hm«. Das wäre ein An-fang. Auf »Hm« könnte man aufbauen.

IhrTilman Rammstedt

PS: Wenn Ihnen das einfacher erscheint, können Sie mirnatürlich auch ein aussagekräftiges Foto schicken.

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vielleicht gerade fragen, ob es so etwas wie »haben« über-haupt gibt). Und vor allem haben Sie ja sich selbst. Nurmit sich selbst machen Sie stets alles aus, nur sich selbstvertrauen Sie sich an, nur mit sich selbst stehen Sie nachtsam Fenster und schauen hinaus in eine Welt, die Ihnengerade sehr diesig und sehr langsam erscheint.

Dort können Sie gern stehen bleiben, wenn es Ihnenhilft. Sie können mir aber auch gern antworten. Ich ken -ne mich mit ihren momentanen Sorgen (Körper, Beruf,Haustiere) recht gut aus. Und ich weiß, wie wichtig es daist, einmal aus allem rauszukommen, ungewohnte Erfah-rungen zu machen, neue Herausforderungen zu suchen.Womöglich hätte ich ein paar Vorschläge für Sie.

Aber wer weiß, vielleicht haben Sie ja auch gar keineSorgen, vielleicht stehen Sie auch rundum zufrieden mitsich selbst am Fenster, das würde mich natürlich am meis-ten freuen.

Sagen Sie also bitte kurz Bescheid, wie es um Sie be-stellt ist.

IhrTilman Rammstedt

Von meinem ehemaligen Bankberater weiß ich vorallem, wer er alles nicht ist. »Ich bin keiner, der soschnell aufg ibt«, erk lärte er mir und: »Ich bin keiner,der nur nach dem Äußeren geht.« Er sei auch keiner,der zum Lachen in den Keller gehe, keiner, der sichvor allem Neuen fürchte, und keiner, der sich immersofort einen Kopf mache. Von Termin zu Termin f ie-

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grafie oder diese japanischen Kurzgeschichten, die Siezum Geburtstag bekommen haben, vielleicht klappen Siedas Buch auch nach ein paar Seiten zu und denken lieberin Ruhe über den zurückliegenden Tag nach, statt nocheinmal den Computer aufzuklappen und E-Mails zu über-fliegen, die Ihnen allesamt belanglos vorkommen. Wahr-scheinlich ist das alles genau so, und ich gönne es Ihnenvon Herzen.

Aber vielleicht ist es auch ganz anders. Das kann ich janicht wissen, wenn Sie mir nichts erzählen. Vielleicht le-sen Sie abends noch Ihre Mails, vielleicht lesen Sie auchmorgens und mittags und nachts Ihre Mails, alle paar Se-kunden schauen Sie nach, weil Ihnen einfach nichts ande-res einfällt, weil ja die vage Möglichkeit besteht, dass Siedort endlich mal wieder von etwas überrascht werden,von einem interessanten Drehbuch, vom Facebook-Grußeiner verflossenen Liebe, von irgendeiner Nominierung,dem Sonderangebot eines Reisebüros, ganz egal was,Hauptsache, es lenkt Sie für ein paar Sekunden vom Grü-beln ab, Hauptsache, es gibt Ihnen kurz etwas zu tun.

In Los Angeles müsste es jetzt gleich vier Uhr morgenssein, und vielleicht liegen Sie noch wach, weil Sie nie red-lich erschöpft sind, nur ständig müde. Die Fernsehpro-gramme wechseln, bevor dort irgendjemand etwas sagenkann, in einem davon sehen Sie auch kurz sich selbst. Siekommen nicht auf den Namen des Films, denken aberauch nicht lange darüber nach. In Ihrer rechten Hand liegtdie Fernbedienung, in der linken Ihr Telefon, auf dem Sieunentwegt Ihre Mails überprüfen, und gleich wird dortmeine erscheinen, und Sie werden sie überfliegen unddann löschen, wie all die vorherigen auch. Dabei könnte

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Mein ehemaliger Bankberater notierte sich viel. SeineSchrift war gleichmäßig und so winzig, dass ich vonmeiner Seite des Tisches kein Wort ausmachen konn-te. Hin und wieder schien er auch Diagramme zu ma-len, Graphen und Tabellen, die er mit langen Zahlen-reihen füllte. An den Rand zeichnete er lachende oderweinende Gesichter, ganze Siedlungen von Ni ko laus -häusern, abstrakte Vogelschwärme, Totenköp fe. Eskonnte passieren, dass er so versunken in seine Zeich-nungen war, dass er mein Gehen gar nicht bemerkte.Manchmal winkte ich von draußen noch durchs Fens -ter, und wenn er mich sah, winkte er freudig zurück,als sei das ein unverhoffter Zufall.

Sehr geehrter Herr Willis,

ich bin mir nicht sicher, ob es mich beruhigen oder nochweiter besorgen soll, dass Sie mir nicht antworten. Wo-möglich geht es Ihnen ja blendend, so blendend, dass SieIhre Mails kaum lesen, weil Sie vor lauter Euphorie garnicht dazu kommen, weil Sie den ganzen Tag beschäftigtsind mit beglückenden Aktivitäten, mit Sport und Freun-den und dem Drehen preisverdächtiger Filme. Vielleichtmachen Sie täglich spontane Ausflüge ins Umland. Sie ler-nen endlich Klavier spielen oder Aikido, Sie haben denrauschends ten Sex seit Jahren und studieren zwischen-durch mit Kindern aus Problembezirken ein Musical ein.Abends fallen Sie redlich erschöpft ins Bett und lesen lie-ber noch in einem guten Buch, irgendeine fesselnde Bio-

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ern. Vielleicht schlafen Sie jetzt auch endlich. Dann wün-sche ich Ihnen eine gute Nacht und schreibe dies hiersehr leise.

IhrTilman Rammstedt

Mein ehemaliger Bankberater hat mir oft erk lärt, dassetwas das ist, was es ist. »3,5 Prozent sind 3,5 Pro-zent«, »Gold ist eben Gold«, »Dienst ist Dienst undSchnaps ist Schnaps«. Bei meinem ehemaligen Bank-berater bedeckte sich alles mit sich selbst, ohne dassirgendwo eine Ecke frei blieb, ohne dass etwas durch-schien. Mich beruhigte das. Es tat gut, wenn sich zu-mindest die Dinge treu blieben. »Ist ein Haus einHaus?«, fragte ich. »Ja«, sagte mein ehemaliger Bank-berater. »Ist eine Woche immerhin eine Woche?«,fragte ich. »Ja«, sagte mein ehemaliger Bankberater.»Ist ein Nein ein Nein?«, fragte ich. »Leider nicht«,sagte mein ehemaliger Bankberater.

Sehr geehrter Herr Willis,

ob ich wohl heute von Ihnen höre? Das würde meinenTag retten. Nicht dass Sie sich dazu verpflichtet fühlensollten, meinen Tag zu retten, aber bestimmt würde esIhnen in Ihrer derzeitigen Situation ganz guttun, irgend-etwas zu retten, und meine Tage bieten sich dafür hervor-

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ich Ihnen helfen. Das könnte ich wirklich. Bitte, Herr Wil-lis, lassen Sie sich endlich helfen. Sie haben doch nichts zuverlieren. Gerade weil Sie nichts zu verlieren haben, klam-mern Sie sich doch so an allem fest, was Sie unglücklichmacht. Sie haben Angst, dass von Ihnen sonst gar nichtsmehr übrig bliebe. Aber glauben Sie mir: Sie würden so-gar mehr werden, mehr als Sie sich gerade vorstellen kön-nen.

IhrTilman Rammstedt

Manchmal verabredete sich mein ehemaliger Bank-berater auch außerhalb seines Büros mit mir. ImSchwimmbad zum Beispiel, im Supermarkt oder ineinem Park. »Man kann kein Tagesgeldkonto verste-hen, ohne zu verstehen, was ein Baum ist«, erk lärteer mir. Er forderte mich auf, die Rinde zu berühren,die Form der Blätter zu beachten, mit dem Finger ih-re Struktur nachzuzeichnen. Er deutete auf die Ästeund Zweige, den Ansatz der Wurzeln. »Das also istein Baum«, sagte er und k lang enttäuscht, dass esnicht mehr war als das.

Sehr geehrter Herr Willis,

ich bin es noch einmal kurz. Nur falls Sie meine Maileben gelöscht haben sollten und es mittlerweile bedau-

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er hinauswollte, nickte aber, und mein ehemaligerBankberater nickte auch, als hätte er das schon ge-ahnt. »Schade«, sagte er, nahm seinen Kugelschreiberin die Hand und legte ihn dann wieder zurück aufden Tisch.

Sehr geehrter Herr Willis,

bestimmt mache ich mir zu viele Gedanken darüber, wa-rum Sie mir nicht antworten. Wahrscheinlich sind Sienur gerade umgezogen und Ihr Internet ist noch nichtinstalliert, vielleicht bin ich aus irgendeinem Grund inIhren Spam-Ordner geraten. Oder Sie haben mir längstschon geantwortet, vielleicht sogar schon mehrmals,aber haben meine Adresse falsch gespeichert, mein Vor-name schreibt sich nur mit einem L und einem N, daswird oft falsch gemacht, am besten antworten Sie einfachdirekt auf diese Mail, dann müsste es klappen. Irgend soetwas wird es sein, Herr Willis, und das ist sehr beruhi-gend.

Manchmal befürchte ich nämlich, dass Sie mir nichtantworten, weil es Ihnen noch schlechter geht als gedacht.Heute in den Wartezimmern (Nachjustierung Knirscher-schiene, seltsames Jucken am Hals, allgemeines Unwohl-sein) hoffte ich, irgendetwas Neues über Ihren Zustandzu erfahren, aber in keiner der Zeitschriften wurden Sieerwähnt, und das bereitete mir gleich noch größere Sor-gen. Gehen Sie überhaupt noch vor die Tür, Herr Willis?Gehen Sie überhaupt noch ans Telefon? Lesen Sie noch

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ragend an. Es ist jetzt gleich Mittag bei Ihnen in Kalifor-nien. Bis 17 Uhr Ihrer Zeit lese ich bestimmt noch Mails.Nur falls es Sie interessiert.Bis später also, hoffe ich.

IhrTilman Rammstedt

Mein ehemaliger Bankberater benutzte gern Bilder ausdem Tierreich. Ein gutes Portfolio müsse ich mir zumBeispiel vorstellen wie ein Löwenrudel, eine Privat-rente wie eine Ameisenstraße, einen Bausparvertragwie einen Regenwurm. Wenn es sich um Tiere han-delte, die Laute von sich geben, machte er diese Lau-te nach. Er konnte das erstaunlich gut und wusste esund schämte sich ein wenig dafür.

Sehr geehrter Herr Willis,

schade.Gute Nacht (bzw. Guten Abend),IhrTR

»Spielen Sie Schach?«, fragte mich mein ehemaligerBankberater einmal. Ich wusste nicht genau, worauf

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weil einem das Konzept »Satz«, das Konzept »sprechen«,das Konzept »sich angeregt unterhalten« auf einmal sowahnsinnig fremd erscheint. Fast genauso fremd wie dasNachmittagsprogramm im Fernsehen, das man dennochweiter schaut, auch wenn man sich sagt, dass man nocheine Chance hätte, wenn man es genau jetzt ausschaltenwürde, genau jetzt, und das ist doch wirklich machbar,aber dann lässt man die Chance verstreichen, und es tobtnur noch leise in einem, weil man keine Chancen mehrwill, weil man nicht noch einmal hoffen will, um danndoch wieder zu scheitern, in ein paar Stunden, am näch-sten Tag, der nächsten Woche, das ist fast egal.

Ich kenne das wirklich gut, und ich weiß, wie wichtigdabei kleine Schritte sind. Bringen Sie zunächst einmaleinen Joghurtbecher hinunter. Wenn Sie es nicht bis zurMülltonne schaffen, genügt es für den Anfang, ihn bis zurHaustür zu bringen. Unterteilen Sie Ihr Gesicht in meh -re re kleine Abschnitte und rasieren Sie zunächst einmaleinen davon, zum Beispiel die rechte Schläfe. SchreibenSie keine ganze Mail, sondern nur ein Wort. SchreibenSie mir ein »Hallo« oder, wenn Ihnen das zu mühsam er-scheint, ein »Hi«. Das ist möglich, glauben Sie mir.

Sollte das aber trotzdem noch zu schwierig sein, ver-zweifeln Sie nicht gleich. Schreiben Sie mir gar nichts, ant-worten Sie einfach mit einer leeren Mail, auch das ist einerster Schritt. Sie müssen ihn nur machen, so schnell wiemöglich. Lenken Sie das Zögern mit irgendetwas ab. Sieschaffen das, Herr Willis, ich glaube an Sie.

IhrTilman Rammstedt

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Ihre Mails? Herr Willis, waschen Sie sich noch regelmä-ßig?

IhrTilman Rammstedt

Wenn mein ehemaliger Bankberater konzentriertnachdachte, betrachtete er dabei seine Fingernägel.Es waren sehr schöne Fingernägel, sorgsam gefeilt,von einem gleichmäßigen Rosa, auf dem sich perfekteHalbmonde abzeichneten. Ich vermutete, dass meinehemaliger Bankberater häufig nur konzentriert nach-dachte, um einen Anlass zu haben, seine Fingernägelzu betrachten. Ich vermutete, dass er dabei oft vergaß,worüber er eigentlich nachdenken wollte, und statt-dessen über seine Fingernägel nachdachte. Das konn-te ich gut verstehen. Vieles schien plötzlich belanglosim Vergleich.

Sehr geehrter Herr Willis,

Sie müssen sich nicht schämen. Glauben Sie mir, ich kennediese Tage gut, an denen man einfach keine Mails schrei-ben kann, an denen es einem sogar unvorstellbar scheint,jemals wieder eine Mail zu schreiben, jemals wieder denMüll runterzubringen, sich jemals wieder zu rasieren, je-mals wieder einen vollständigen Satz zu sprechen, ohneihn irgendwo kurz nach der Mitte versickern zu lassen,

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Als Erstes schenkte mein ehemaliger Bankberater unsbeiden immer einen Kaffee aus seiner roten Ther-moskanne ein. »Kunde« stand mit Filzstift auf meinerTasse geschrieben, auf seiner stand: »Ich«. Er selbstschenkte sich im Laufe des Termins noch mehrmalsnach, bei mir war das nie nötig. Dass ich ja noch garnicht ausgetrunken hätte, sagte er am Ende und füllteden Rest sorgsam in einen Plastikbecher um. »To go«,sagte er, und ich stand dann auf der Straße zwischenHunden und Menschen, in der Hand den längst er-kalteten Kaffee, und der Rest des Tages schien mir aufeinmal lang, sehr lang.

Sehr geehrter Herr Willis,

vielleicht ist Ihr Schweigen Beweis genug. Bruce Willisantwortet schließlich nicht auf besorgte Mails von irgend-welchen angeblichen Schriftstellern, ganz gleich wie er-fahren mit unglücklichen Figuren die sein mögen. BruceWillis kann auch nichts mit der Frage anfangen, wie esihm geht. Wie soll es ihm schon gehen? Bruce Willis gehtes immer gleich. Bruce Willis ist skeptisch, ohne verbittertzu sein. Bruce Willis will nur seine Ruhe und muss statt-dessen ständig irgendetwas retten, mindestens die Welt.Und er ist nur deshalb so gut darin, weil es nichts als einelästige Pflicht ist, die es möglichst schnell hinter sich zu

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Dass er leider nicht hellsehen könne, sagte mein ehe-maliger Bankberater, als es um langfristige Renditenging. Er schien das aufrichtig zu bedauern.

Sehr geehrter Herr Willis,

bitte verzeihen Sie. Ich wollte Ihnen in meiner letzten Mailnicht zu nahe treten. Natürlich können Sie den Müll run-terbringen, Sie sind schließlich Bruce Willis, und BruceWillis kann mit Leichtigkeit jederzeit den Müll runter-bringen, säckeweise. Und natürlich können Sie in vollstän-digen Sätzen sprechen, auch wenn Sie das gar nicht nötighaben (gehobeneAugenbraue,Stirnrunzeln etc.). Ich woll-te Ihnen gewiss nichts unterstellen.

Natürlich können Sie auch Mails beantworten, mitlinks, mit rechts, beidhändig. Nur meine anscheinendnicht, und dafür gibt es bestimmt eine einleuchtende Er-klärung, die mir allerdings gerade nicht einfällt. Aber Siewerden mir das schon erklären, und dann lachen wirüber meine übertriebenen Sorgen. Zumindest ich werdelachen, Sie lachen ja bekanntlich nie, das würde Ihnenauch gar nicht stehen. Sie sind Bruce Willis. Vielleicht ha-ben Sie das kurz vergessen, und ich bin hier, um Sie daranzu erinnern. Ich bin hier, um sicher zu gehen, dass BruceWillis noch Bruce Willis ist und nicht irgendein blasserSchatten seiner selbst. Los, zeigen Sie es mir!

IhrTilman Rammstedt

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Sehr geehrter Herr Willis,

jetzt, da wir alles geklärt haben, will ich gar nicht mehrviel von Ihrer Zeit stehlen und gleich zum Punkt kom-men: Ich würde Ihnen gern eine Rolle in meinem neuenBuch anbieten.

Wenn Sie noch der alte Bruce Willis sind, wird das eineKleinigkeit für Sie, ein Spaziergang, dann sind Sie nochvor dem Frühstück damit fertig. Und falls Sie sich dochkurz aus den Augen verloren haben sollten, ist das viel-leicht genau die Herausforderung, nach der Sie suchen.Es würde Sie wieder an Sie erinnern.

Also, Herr Willis, sagen Sie selbst: Ist das nicht eineklassische Win-win-Situation?

IhrTilman Rammstedt

Ein guter Bankberater müsse die Träume seiner Kun-den kennen, erk lärte mir mein ehemaliger Bankbera-ter. Aber die würden ihm ja nie erzählt, jedenfalls nichtdie interessanten. Er schaute mich hoffnungsvoll an,dann wandte er sich irgendeiner Broschüre zu. Mankönne ja niemanden zu seinem Glück zwingen, sagteer. Schon aus rein rechtlichen Gründen, sagte er. Dahabe er sich erkundigt, sagte er.

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bringen gilt. Bruce Willis weiß aber auch, dass in Wahr-heit die Welt ihn rettet mit ihrer ganzen Unvollkommen-heit, ihrer Hilfsbedürftigkeit. Er weiß, dass nichts schlim-mer wäre als die Ruhe, nach der er sich so sehnt.

Und deshalb wäre eine Antwort von Ihnen der erschre-ckende Beweis dafür, dass Sie auf keinen Fall mehr deralte Bruce Willis sind. Der hätte nämlich gar keine Zeitzum Antworten, der hätte gar keine Hand frei, weil er Re-volvergriffe und Dynamitstangen und Motorradlenkerund Hubschrauberkufen umklammert. Der alte BruceWillis verbindet sich gerade notdürftig eine Schusswunde,der alte Bruce Willis befreit ein verletztes Kind aus ei-nem im Fluss versinkenden Auto, der alte Bruce Willissagt irgendeinen kurzen Satz, wenn andere nur schwei-gen, und schweigt, wenn andere lange Sätze sagen.

Also hoffe ich für Sie, dass Sie mir weiterhin nicht ant-worten. Sie sind also noch ganz der alte. Gut zu wissen.

IhrTilman Rammstedt

Geld sei das eine, sagte mein ehemaliger Bankbera-ter. Das hier zähle aber auch, sagte er und k lopftesich dabei auf die Brust. »Und das hier«, sagte er undtippte sich an die Stirn. »Und das hier«, sagte er undk lopfte sich aufs Knie. Das Wichtige sei, sagte er,zu erkennen, dass alles zusammengehöre. »Yin undYang«, sagte er. »Ein bisschen Yin und jede MengeYang.«

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tion ist, desto gewachsener sind Sie ihr. Ich weiß nicht, obSie zum Beispiel gut darin sind, eine Fristverlängerung fürdie Steuererklärung zu beantragen, ich weiß nicht, ob Siegut darin sind, eine Fristverlängerung für ein klärendesBeziehungsgespräch zu beantragen. Aber ich weiß, dassSie gut darin sind, aus einem zum Beispiel explodierendenBürogebäude zu entkommen. Und auf genau die se Fähig-keiten kommt es jetzt an.

Also, Herr Willis, helfen Sie mir? Helfen wir einander?Ich bitte Sie um eine ehrliche und rasche Antwort.IhrTilman Rammstedt

PS: Der Arbeitstitel des Romans lautet übrigens »DieAbenteuer meines Bankberaters«, und es wird bestimmtein sehr guter Roman, wenn auch bis jetzt unter anderemnoch dieAbenteuer fehlen.VonAbenteuern ist mein Bank-berater leider schwer zu überzeugen.

»Ich begleite Sie noch ein Stück«, sagte mein ehema-liger Bankberater manchmal nach einem Termin amspäten Nachmittag. Meist brachte er mich dann bis zumeiner Haustür und verabschiedete sich mit einemschüchternen Winken. »Also dann«, sagte er. Wenn ichspäter durch die Gardinen des Schlafzimmerfenstersschaute, sah ich ihn immer noch da stehen. In der lin-ken Hand seine Aktentasche, in der rechten Handnichts, reglos, als wollte er mit dem Straßenbild ver-schmelzen, aber das Straßenbild nicht mit ihm.

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Sehr geehrter Herr Willis,

bitte antworten Sie mir nicht voreilig, wenn Ihre Ant-wort trotz allem »Nein« lauten sollte. Bitte schütteln Sienicht gleich den Kopf. Sie sollten sich nicht glauben, wennSie den Kopf schütteln, das sind dann keinesfalls Sie, dasist dann nur ihre derzeitige Verfassung, die mit dem Kopfschüttelt. Die lehnt nämlich erst einmal alles ab, die lässtnichts an Sie heran, auch wenn es vielleicht genau das ist,was Ihnen guttun würde.

Und behaupten Sie auch bitte nicht, Sie hätten geradekeine Zeit. Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Siehaben mehr Zeit, als Ihnen guttut, und ich brauche auchgar nicht viel davon. Versprochen.

Genau genommen brauche ich Sie nur für ein paar Sei-ten des Romans, nur für eine Szene, eine einzige brenz-lige Situation. Bei brenzligen Situationen sind Sie nun ein-mal der Erste, der einem in den Sinn kommt, ganz gleich,wie es Ihnen geht. Sie sollen in der Szene meinen Bank-berater spielen. Er selbst ist, wie sich leider herausgestellthat, für brenzlige Situationen nämlich völlig ungeeignet.Als er selbst kommt er da nie raus. Wenn er einfach erselbst bleibt, nimmt die Geschichte kein glückliches Ende,und ich möchte sehr gern, dass sie ein glückliches Endenimmt.

Und Sie wollen sicher nicht dafür verantwortlich sein,dass es zu keinem glücklichen Ende kommt, Herr Willis.Für Sie ist das doch eine Kleinigkeit, Sie sind schließlichjeder Situation gewachsen, und je brenzliger eine Situa-

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nicht aufhören, weil Sie eigentlich gar nicht wollen, dasser damit aufhört, weil Sie gar nicht wollen, dass ich Ih-nen nicht mehr schreibe. Sie ertappen sich doch sogar abund zu dabei, enttäuscht zu sein, wenn eine neu einge-hende Mail nicht von mir ist. Wir sind für einander dochlängst Teil unseres Lebens geworden. Wir können unsdoch gar nicht mehr genau erinnern, wie es ohne den an-deren war.

Ist es nicht so, Herr Willis? Ist es nicht genau so?IhrTilman Rammstedt

Mein ehemaliger Bankberater zählte gern Gründe auf,auch wenn er beim Zählen meistens nur bis zur Einskam. »Erstens, weil es sich nicht rechnet«, sagte er zumBeispiel und hielt mit dem linken Zeigef inger seinenrechten Daumen fest. Dann überlegte er noch kurz,bevor er beschloss, dass ein Grund schon ziemlich vielsei, und auf jeden Fall mehr als genug.

Sehr geehrter Herr Willis,

ich kann mir vorstellen, warum Sie nicht antworten.Wahrscheinlich reizt Sie die Rolle zwar sehr, aber Sie sindjetzt beleidigt, weil ich Sie nur für ein paar Seiten des Ro-mans benötige. Dass Sie doch kein Stuntman seien, mur-meln Sie vor sich hin, kein Body-Double, kein Feuerwehr-

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Sehr geehrter Herr Willis,

geben Sie es zu. Irgendetwas in Ihnen hat gezuckt, als Siegestern von der brenzligen Situation lasen. Ihr Rückenhat sich sofort aufgerichtet, Ihre Bauchmuskeln habensich angespannt, Ihre Augen weit geöffnet. Sie haben Ih-ren Puls gehört, zum ersten Mal seit Wochen, seit Mona-ten. Sehr vertraut hat sich das angefühlt, vertrauter, alsIhnen lieb war. Sie haben sofort die Atemübungen ge-macht, die Ihnen Ihr Therapeut empfohlen hat. Sie ha-ben ein Glas Wasser getrunken, ohne durstig zu sein, unddann so lange auf den Kühlschrank gestarrt, bis sich dasvertraute Gefühl immer weiter zusammengezogen hat,bis es nur noch ein winziger Punkt war, der in Ihrer Brustflimmerte und leicht mit irgendetwas verwechselt wer-den konnte, mit Sodbrennen, mit einer fernen Erinne-rung.

Sie setzen sich noch einmal an Ihren Computer, um mirzu schreiben, dass ich Ihnen bitte keine weiteren E-Mailsmehr schicken solle, Sie hätten an der Rolle kein Interes -se, und ja, in Gottes Namen, es gehe Ihnen gut. Sie schrei-ben das sehr schnell, aber kurz vor demAbschicken zögernSie dann doch ein paar Sekunden zu lange. Sie mögendieses Zögern nicht. Dass Sie früher nie gezögert hätten,denken Sie und speichern die Mail erst einmal. Für spä-ter, nur für alle Fälle. Sie wollen warten, bis der Punkt inIhrer Brust aufgehört hat zu flimmern. Aber da könnenSie lange warten, Herr Willis, der wird damit so schnell

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