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(Aus der Univ.-Xlinik ftir Ohren-Nasen-ttalskrankheiten in GreifswMd [Direktor: Prof. Dr. Zinck].) Die akute 0titis media ohne ,,Mastoiditis". Von A. Linek, Greifswald. Mit 6 f~rbigen Textubbfldungen. (Eingegange~ am 11. Juli 1938.) A. Einleitung. In der Erwartung, dM3 mit dem fortschreitenden Wissen fiber das Wesen der akuten Otitis media der Begriff Mastoiditis und seine Ver- we~dung in Unterricht und Praxis verschwinden wfirden, habe ioh reich gets Man hat ihn im Streit der Meinungen hin und her gerissen, zerpflfickt, neu zusammengesetzt, ausgeh6hlt, aufgebl~ht und mit allem m6glichen InhM~ vollgepfropft! Er hat alles iiberstanden and immer wieder in Lehr- und Handbfichern Auferstehung gefeiert, wie auch jetzt wieder in dem neuen ttandbuch yon Marx (kurzes Handbuch der Ototogie 1938). Ich glaube nicht, da0 dami~ der Streit um die Mustoiditis zur l~uhe kommen wird. Mich jedenfMls hat das Handbuch yon Marx mit der neubelebten Mastoiditis yon neuem auf den Plan gerufen, und ieh glaube, der Streit um diesen Begriff wird nicht eher zur Ruhe kommen, als his er aus der Literatur der Otologie verschwunden ist nnd nur noeh histo- rischen Wert besitzt. H6ehstens, da~ er sonst noch bei pathologisch- anatomischen Betraehtungen und Auseinandersetzungen fiber rein 6rtliche Krankheitszust~nde Verwendung finder, we er zust/~ndig ist und bleiben wird. Denn der Streit um die Mastoiditis ist nieht, wie Marx meint, lediglieh ein 8treit um Worte, dem keine praktische Be- deutung zukommt, sondern ein Ringen mn klare Raum- und Krankbeits- vorstellungen, gleieh bedeutsam fiir Unterrioht und Pr~xis. In meiner ersten Arbeit fiber die Mastoiditis ~ habe ich den Nachweis geffihrt, dal3 der Begriff dureh Inflation v/Jllig entwertet ist, dadurch, da~ man Mles und nichts mit ihm kennzeichnen kann, und dM3 er auf diese Weise praktiseh nur bSse Verwirrung anriehtet. Ieh sehe heute ein, da~ man mit diesen Darlegungen die Anhgnger des Begriffs nieht fiber- zeugen kann. Denn die GewShnung und Toleranz gegeniiber dem Begriff und seinen offenkundigen Schw/~ehen sind so grol3, dal3 man ibm aueh das tollste Durcheinander zngute hglt. Man stellt mit ruhiger Sachlichkeit lest, dal~ die verschiedenen geltenden Bedeutungen und Auslegungen des Begriffs nachteilig sind und verwirrend wirken, und dM3 sie eine strenge Li~ck, A.: Arch. Ohr- usw. Heflk. 1~9, H. 3 (1931).

Die akute Otitis media ohne „Mastoiditis”

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Page 1: Die akute Otitis media ohne „Mastoiditis”

(Aus der Univ.-Xlinik ftir Ohren-Nasen-ttalskrankheiten in GreifswMd [Direktor: Prof. Dr. Zinck].)

Die akute 0titis media ohne ,,Mastoiditis". Von

A. Linek, Greifswald.

Mit 6 f~rbigen Textubbfldungen.

(Eingegange~ am 11. Juli 1938.)

A. Einleitung. In der Erwartung, dM3 mit dem fortschreitenden Wissen fiber das

Wesen der akuten Otitis media der Begriff Mastoiditis und seine Ver- we~dung in Unterricht und Praxis verschwinden wfirden, habe ioh reich gets Man hat ihn im Streit der Meinungen hin und her gerissen, zerpflfickt, neu zusammengesetzt, ausgeh6hlt, aufgebl~ht und mit allem m6glichen InhM~ vollgepfropft! Er hat alles iiberstanden and immer wieder in Lehr- und Handbfichern Auferstehung gefeiert, wie auch jetzt wieder in dem neuen t tandbuch yon M a r x (kurzes Handbuch der Ototogie 1938).

Ich glaube nicht, da0 dami~ der Streit um die Mustoiditis zur l~uhe kommen wird. Mich jedenfMls hat das Handbuch yon M a r x mit der neubelebten Mastoiditis yon neuem auf den Plan gerufen, und ieh glaube, der Streit um diesen Begriff wird nicht eher zur Ruhe kommen, als his er aus der Literatur der Otologie verschwunden ist nnd nur noeh histo- rischen Wert besitzt. H6ehstens, da~ er sonst noch bei pathologisch- anatomischen Betraehtungen und Auseinandersetzungen fiber rein 6rtliche Krankheitszust~nde Verwendung finder, we er zust/~ndig ist und bleiben wird. Denn der Streit um die Mastoiditis ist nieht, wie Marx meint, lediglieh ein 8treit um Worte, dem keine praktische Be- deutung zukommt, sondern ein Ringen mn klare Raum- und Krankbeits- vorstellungen, gleieh bedeutsam fiir Unterrioht und Pr~xis.

In meiner ersten Arbeit fiber die Mastoiditis ~ habe ich den Nachweis geffihrt, dal3 der Begriff dureh Inflation v/Jllig entwertet ist, dadurch, da~ man Mles und nichts mit ihm kennzeichnen kann, und dM3 er auf diese Weise praktiseh nur bSse Verwirrung anriehtet. Ieh sehe heute ein, da~ man mit diesen Darlegungen die Anhgnger des Begriffs nieht fiber- zeugen kann. Denn die GewShnung und Toleranz gegeniiber dem Begriff und seinen offenkundigen Schw/~ehen sind so grol3, dal3 man ibm aueh das tollste Durcheinander zngute hglt. Man stellt mit ruhiger Sachlichkeit lest, dal~ die verschiedenen geltenden Bedeutungen und Auslegungen des Begriffs nachteilig sind und verwirrend wirken, und dM3 sie eine strenge

Li~ck, A.: Arch. Ohr- usw. Heflk. 1~9, H. 3 (1931).

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Indikationsstellung bei den Praktikern beeintr~ehtigen. Man kenn- zeiclmet die Verwirrung um den Begriff Mastoiditis damit, dal~ ein Autor das Empyem zur Mastoiditis und ein anderer die Mastoiditis zu einem Empyem werden l~Bt. Und dann beh~lt man ihn doeh bei und macht ihn ffir sieh selbst nur wieder neu traktabel, indem man ihm eine eigene besondere Definition gibt (Marx: Ostitis mastoidea), unbekfimmert darum, dab alle fibrigen Anh~nger des Begriffs sehwerlich damit einverstanden sein werden., und dab uuf diese Weise die allgemeine Not der Verwirrung praktisch doch dieselbe bleibt.

Damit ist offenbar geworden, dab ein Wandel in der Mastoiditis- frage nur durch einen grundlegenden Wandel in der Vdrstellung und Betrachtungsweise gegeniiber der akuten Otitis media erreieht werden kann. Denn, dab diese nach unseren heutigen Ansiehten falsch und in eine Sackgasse geraten ist, das ist wohl kaum zu bezweifein. Den Weg und die Umst~nde, die dahin geffihrt haben, erkennt man, wenn man den Entwieklungsgang betrachtet, welchen die wissensehaftliehe Auf- fassung und Darstellung yon der normalen Anatomic und der Entzfin- dungspathologie des Mittelohres in den letzten etwa 50 Jahren genommen haben.

B. Entwicklung und Wandel in der r~umlichen Vorstellung yon ]Iittelohr und Ylittelohrentziindung.

In Schwartzes ehirurgisehem Lehrbuch des Ohres (1885) wird die Entzfindung der PaukenhShle und des Warzenfortsatzes mit anderen Erkrankungen dieser beiden Gebiete in zwei weir auseinanderliegenden Kapiteln abgehandelt. Die r~umliehe ZusammengehSrigkeit finder nur gelegentliche Erw~hnung. Von einem einheitliehen Raumbegriff ,,Mittel- ohr", dureh welchen die s/~mtlichen pneumatischen Rs an der Self- lichen Schs zusammengefaBt werden, ist iiberhaupt nicht die Rede. Bcider akuten Tympanitis wird auf die M6glichkeit einer sekun- ds Entzfindung im Warzenfortsatz und bei den Warzenfortsatzzellen- entziindungen auf die Tympanitis als Ursaehe hingewiesen. Wir haben hier also sowohl in anatomischer wie in pathologisch-anatomischer und kliniseher Hinsieht eine v611ig getrennte divergierende Form der D~r- stellung, welche die normale n und pathologischen Beziehungen berfick- sichtigt, aber sonst beide Gebiete vollst~ndig selbst~ndig abhandelt.

Unter den damaligen Umst~nden war es selbstverstgndlich und natfirlieh, dab dcr Begriff Mastoiditis bei den klinisehen ErSrterungen fiber Symptomatologie, Diagnostik and Indikationsstellung praktiseh eine bedeutsame Rolle spielte. Das klinische Interesse bei akuten Mittel- ohrentzfindungen drehte sich, naehdem man die Bedeutung der Warzen- fortsatzeiterungen und die MSglichkeit ihrer operativen tteilung erkannt hatte, vorzugsweise um das Verhalten des Processus mastoideus und seiner ~uBeren Umgebung. Und die Frage nach Komplikationen und

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Operationsnotwendigkeiten beantwortete sich in der Hauptsache aus der Feststellung, ob in dem Wurzenfortsatzgebiot Entztindungsvor- g/~nge klinisch nachweisbar waren oder nicht.

Dabei lag dem Begriff Mastoiditis eine in ihrer pathologisch-anato- mischen und klinischen Bewertung durchaus einheitliche und klar umschriebene Krankheitsvorstellung zugrunde. Man bezeichnete mit ihr im wesentlichen die eitrigen Knocheneinschmelzungen im Processus mastoideus nebst entziindlicher Bete!ligung der ~ul~eren Weichteile. Der Zusatz Bezoldsche Mastoiditis bedeutete weiter nichts als eine rein ~ul~erliche Kennzeichnung der Durchbruchsrichtung nach unten in die Ans~tze der iIalsmuskulatur hinein, im Gegensatz zu der gewShnlichen (spi~ter yon Marx als ,klassisch" bezeichneten) Form, wo der Durch- bruch auf dem Planum mastoideum zum Vorschein kam. Dies alles aber erkl~rte und rechtfertigte d~mals die Verwendung des Begriffs Mastoiditis, um entscheidende Mul~st~be ffir die diagnostische und therapeutische Beurteilung akuter Mittelohrentzfindnngen klinisch zum Ausdruck zu bringen und anderen zu vermitteln.

Bei Politzer, Lehrbuch der Ohrenheilkunde ]901, linden wir schon eine bedeutsame W~ndlung in der Auffassung und Darstellung, indem unter Betonung ihrer topographisch-anatomischen und riiumlichen ZusammengehSrigkeit PaukenhShlo und Warzenfortsatz unter dem Be- griff Mittelohr straff zusammengefal]t werden. Die Entzfindungen der PaukenhShle und des Warzenfortsatzes werden aber doeh wieder zu- sammen mit den anderen Erkrankungen dieser Gebiete vSllig getrennt und in besonderen Kapiteln dargestellt.

Das Lehrbuch fiber Krankheiten des Ohres und der Luftwege yon Denk, er und Briinings (2. Aufl., 1915), spricht in der Einleitung iiber- haupt nicht mehr von Warzenfortsatz und Warzenfortsatzzellen, sondern vom Antrum mastoideum und den pneumatischen Zellen des Mittelohres. In der ns Beschreibung wird festgestellt, duI~ das Ausdehnungs- gebiet dieser pneumatischen R~ume welt fiber den Warzenfortsatz hinausreicht: , , . . . sie erstrecken sich weir nach oben in das Scht~fen- bein ~hinein und dringen aul~en in die Wurzel des Jochbeins, die nicht selten pneumatisiert ist, und greift nach innen zu welt gegen das La- byrinth vor, zwischen dessert einzelne Teile sie sich h ine inz iehen . . . " Indessen bei der Darstellung der Krankheitszust~nde werden doeh wieder die Mittelohrentzfindungen und die akute Entzfindung des Warzen- fortsatzes als ,akute Mastoiditis" vSllig getrennt voneinander abge- handelt.

Auch in den modernsten Lehrbfichern, die mir gegenw/~rtig vorliegen, so im Lehrbuch der Ohren-Nasen- und Kehlkopfheilkunde yon KSrner- Griinberg und KSrner-Steurer, finder sich noch diese Art der Auffassung und Durstellung. Dabei geht wiederum eine ganz besonders starke Be- tonung der anatomischen ZusammengehSrigkeit beider Gebiete voraus.

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Es ist fiberhaupt nicht mehr vom Warzenfortsatz die l~ede, sondern nut noch yon den luithaltigen Nebenr~umen der PaukenhShle: Antrum tympanicum, Antrum mastoideum. Und dann kommt doeh wieder die getrcnnte Abhandlung der akuten Otitis media und der akuten Mastoiditis in zwci selbsts Kapiteln.

Was sich in den Lehrbfichern als Grundsatz, Anschauung und Dar- stellung finder, spiegelt sich naturgemgB auch in den verschiedcnen Handbfichern wieder. So in dem ttandbuch yon Denlcer-Kahler, Ohren- Nasen-Kehlkopfheilkunde, im Kapitel yon Stenger fiber akute Otitis media, und neuerdings auch in dem kurzen Handbuch der Otologie yon Marx. In dem letzteren fgllt allerdings auf, dan eine zusammen~assende Kapiteliiberschrift ,,Mittelohr" in dem anatomischen Teil fiberhaupt fehlt.

C. ,Akute Otitis media" und ,,Mastoiditis" eine widerspruehsvolle und sinnwidrige Zweiteilung.

Wir stellen also in der Entwicklung der Otologie die erstaunliche Tatsache fest, dab die ursprfinglich getrennten Wege der Ansehauung and Darstellung zwar bei der anatomischen Betrachtung yon Mittelohr und Warzenfortsatz aufs engste zusammengef~ihrt haben, daft aber in pathologisch-anatomischer Hinsicht, bei der Darstellung der entziind- lichen Erkrankungsvorggnge in diesen Gebieten, keinc derartige Ver- schmelzung stattge~unden hat. Anatomiseh gehSren bei der Betrachtung pneumatische Ze]len in Warzenfortsatz und PaukenhShle zusammen und bilden gemeinsam mit den anderen pneumatischen ]~egionen an der seitlichen Sch~de]basis als anatomische Einheit das Mittelohrgebiet. Die Mittelohrentzfindung aber wird nicht als einheitlicher Krankheits- vorgang gewertet und beschrieben, sondern der anatomischen Einheit ,,Mittelohr" wird die pathologisch-unatomische Zweiheit ,,akute Otitis media und akute Mastoiditis" gegeniiber gestellt.

Warum diese Teilung eines anatomisch und pathologiseh-anatomisch zusammengehSrigen Organ- und Krankheitsgebietes, dureh welche ein einheitlicher Krankheitsvorgang kfinstlich in zwei Teile zerrissen wird, die dann hinterher doch wieder kfinstlich aneinander gepal~t werden mfissen, bisher in dcr Otologie aufrecht erhalten wurde, ist nirgends gesagt und nirgends begrfindet. Vielleicht hat man gegl~ubt, dutch diese Teilung den Anschauungs- und Lehrstoff fibersiehtlicher grup- pieren und gestalten zu kSnnen. Oder man hat sich auch nur nicht yon dem traditionellen Zwang dieser Vorstellung freimachen kSnnen. Viel- leicht ist auch der lange Streit um die pathologisehe Anatomic der Mastoiditis schuld daran, durch den der Warzenfortsatz so lange gesondert in den Brennpunkt des klinischen Interesses gcstellt wurde. Jedenfalls ist diese unorganische pathologisch-anatomische und klinische Zweiteflung in Darstellung und Lehre, welche friiher dem herrschenden

Archly f. Ohren-, Nassn- u, Kehlkopfheillvande. Bd. 145. 12

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DuMismus in der anatomischen Anschauungsweise entspraeh, aber seither immer st/irker de r anerkannten und betonten organisehen Zu- sammengehSrigkeit des tymp~nalen und paratympanalen pneum~tisehen Systems widersprieht, der Grund d~ffir, dal] die unnatiirliche und wider- spruchsvolle Auffassung and Anwendung des selbst/indigen Begriffs Mastoiditis sich bis heute erhalten hat.

Man wfirde sieh uber ungeaehtet aller theoretischer Bedenken mit dem Begriff Mastoiditis und seiner widerspruchsvollen Verwendung ab- linden k5nnen und mfissen, wenn praktisehe Nfitzliehkeiten und Zweck- m/il]igkeiten damit verbunden w~ren, wie sie j~ doeh ursprfinglich ohne Zweifel vorhanden gewesen sind, und ohne welche der Begriff Mastoiditis wohl auch kaum so fest in der Otologie verankert worden w/ire. Abet inzwischen haben sich die Voraussetzungen ffir seine Anwendung doch eben entscheidend gewandelt. U n d aus Sinn ist Unsinn geworden.

Vor allem hat der Begriff Mastoiditis, den wir heute bei den klinischen Erw~gungen und Entschlfissen verwendet sehen, seine einheitliche klur umschriebene Bedeutung, die er ursprfinglich gehabt hat, verloren, naehdem wir inzwischen gelernt haben, dal~ die akute Otitis media eine Entzfindung des pneumatischen Systems an der Seitlichen Sch/idelbasis darstellt, und dal] dabei die Entztindung im Warzenfortsatz als programm- m/il~ige Teilerscheinung in der Regel von vornherein vorhanden ist. Dem- entspreehend hat man von dem Gesamtbegriff Mastoiditis den Teilbegriff Anf~ngsmast0iditis oder Mastoidismus abtrennen mfissen, dem im Hinblick auf pathologiseh-anatomische und klinische Wertigkeit eine ganz andere Bedeutung zukommt als dem urspriingliehen Stamm- begriff.

Auch sonst ist die Einheitlichkeit des Begriffes durch den Streit fiber seine Bedeutung and Anwendungsweise zerrissen, so d ~ jeder, der ihn praktisch gebraueht, um sieh zu verst/indigen, erst einma] ein- gehend darlegen muG, was er darunter verstanden wissen will: Schleim- hautentzfindung, Pneumatoeellulitis, Empyem, Endostitis, Knochen- einschmelzung, Ostitis mastoidea usw.

Im iibrigen ist das /clinische Interessengebiet schon l~ingst welt i~ber den mit de,m Begri// Mastoiditis er/afllen Kran]cheitsbereich hinaus- gewachsen. Unsere Erkenntnis yon dem programm/iftigen und ffir die Entstehung otogener Komplikationen oft bedeutungsvollen Beteiligtsein der anderen paratympanalen Regionen an den akuten entzfindlichen Vorg/ingen im Mittelohrgebiet zwingt uns, unsere klinische Aufmerk- s~mkeit fiber das Gebiet des Warzenfortsatzes hinaus auch auf die Ent- ziindungsvorg/inge in jenen anderen Gebieten auszudehnen: l~egio zygomatico-temporalis, ]gegio peritubaria, Regio petrosa, Regio apicMis.

Somit ist die mit dem Begriff Mastoiditis verbundene Krankheits- vorstellung aus ihrer frfiheren engen Bindung mit ~iu~erlich fest- stellbaren entzfindlichen Begleit- und Folgezust/inden losgelSst und

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verqnickt mit der Vorstellung yon /~uBerlieh unsichtbaren, mehr oder weniger versehleierten Entziindungsherden. Und wir wissen heute, dab versteckte Tiefeneiterungen iiberall in dem paratympanalen pneu- matischen System, in der Regio msstoidea sowohl wie in den anderen pneumutisehen Regionen, ohne/~uBerlich feststellbare Erscheinungen und bei ganz rudiment/~rer Betefligung des Gesamtbildes und des Geh6rgangs- hintergrundes sich entwickeln, fortbestehen and fortsehreiten k6nnen.

Unter diesen verdinderten Umstiinden ist die ,,Mastoiditis" in ihrer gebrdiuchlichen Verwendung nach unseren heutigen Anschauungen eine begri//liche Verirrung in/olge /alscher Raum- und Krankheitsvorstellung und besitzt deshalb heute nicht mehr die Eignung, um entscheidende MaBsts Iiir die Diagnose und therapeutische Beurteilung akuter Mitte]ohrentziindungen zu vermitteln und zum Ausdruck zu bringen, sofern es sich nicht gerade um F/~lle handelt, wo eine Eiterung im Warzen- fortsatz bereits sichtbar zum Durchbruch in die /~uBeren Weichteile gefiihrt hat. Aber diese, naeh Marx ,,klassische" Form der Mastoiditis und die sog. Bezoldsche Mastoiditis, bilden ja schon ]/~ngst kein Problem mehr in der Klinik der akuten Otitis media. Die Aufgaben, die bei ihr heute im Hinbliek auf die Diagnose und Indikationsstellung zu erffillen sind, gehen viel weiter. Sie bestehen darin, die irreparablen und pro- gressiven Eiterungsherde im paratympanalen pneumatischen System iiberall und vor ibrem Durchbruch naeh auBen oder innen zu erkennen, aufzudecken und zu beseitigen. Und hierbei ist der Begriff Mastoiditis ein ttindernis. Er steht als ein in der Auslegung umstrittener und in der Anwendung beschrdinkter Teilbegri// einem lclaren Uberblick iiber die klinische Gesamtlage direlct im Wege.

Wenn sich das praktisch nicht immer so bemerkbur maeht, so kommt das einfach daher, dub man sich in der Otologie, um don jeweils vor- handenen tats/~chlichen pathologisch-~natomischen Zus~mmenh/~ngen und MSglichkeiten gerecht zu werden, daran gewShnt hut, um den Be- griff Mastoiditis herumzureden und nach Bedarf alles mSgliche an Sinn und Bedeutung in ihn hineinzulegen, darunter auch manches, was mit dem Processus mastoideus und einer Mastoiditis nichts mehr zu tun hat. Solche Notbehelfe sind aber kein Beweis for die Niitzlichkeit und Zweck- m/~Bigkeit eines Begriffs. Vielmehr kennzeichnen sie die Lage dahin, dub diejenigen zu Sklaven des Begriffs geworden sind, die sich seiner zur Verst/~ndigung bedienen wollen. (Belino//u. Balan: Mastoiditis an der Spitze der Felsenbeinpyramidel.)

Das merken natiir]ieh am Wenigsten die Wissenschaftler, die Lehrer und Forscher in der Otologie. Denn ihnen ermSglicht der genaue Einblick in die anatomischen und pathologisch-anatomischen Verhs und die praktische klinische Erfahrung and ~)bung trotz aller Unklarheit des Begriffs die v611ige Beherrschung der zu 16senden Probleme. Wie

1 Beli~o]] u. Bala~: Mschr. Ohrenheilk. 64, H. 10. 12"

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schwierig aber auch bei ihnen mit diesem in vielen Deutungen schil- lernden Begriff die Verst~ndigung untereinander wird, das zeigt die Literatur fiber die Indikationsstellung zur Antrotomie und der Ausgang des Streites um Friih- und Spgtoperation. In Wirklichkeit drehte es sich dabei um die Diagnose, Beurteilung und Behandlung der Mastoiditis. Und das Ende yore Lied war, dab man sich in der Otologie nuch ~usgiebiger Abnutzung der Schlagworte : ,,Friihoperation" und ,,Spgtoperation" auf den Kompromil~ , , rechtzei t ig" einigen mul~te. Als wenn nicht jeder wfinschte und glaubte, rechtzeitig zu operieren. Dabei h~ndelte es sich doch gar nicht darum, sich aul eine rechtzeitige Antrotomie zu einigen, sondern zu zeigen, wann ffir diese Operation bei gkuter M/ttelohrentzfin- dung der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Und die Verstgndigung dar- fiber scheiterte gn dem verwirrenden Begriff Mastoiditis, an dem man festh~Iten zu mfissen gl~ubte.

Dies Ergehnis zeigt abet auch, welches die Leidtragenden sind, denen dutch den Begriff Mastoiditis das Verst~,ndnis in der Otologie erschwert und verbaut wird. Das ist die grol~e Masse der A11gemeinpraktiker und aller derjenigen, die es werden wollen und in ihrer Entwicklung niemals Einblick in die komplizierten Zusammenhgnge bei gkuter Mittelohr- entziindung gewinnen k6nnen und sich mit einfachsten Vorstellungen und Begriffen begnfigen mfissen. Und deshalb ist es ein tragisches Mill verst~ndnis, wenn M a r x glaubt, den Begriff Mastoiditis in seiner ur- sprfinglichen ]~edeutung erhalten zu mfissen, well er sich bei den All- gemeinpraktikern als Vorstellung der Komplikation eingebfirgert hat.

Wean die Allgemeinpr~ktiker wfi~ten, welch ein uniiberwindliches Hindernis gerade der Begriff Mastoiditis ffir eine einfache Klarstellung der Zusammenhgnge bei der gkuten Otitis media bildet, so wfirden sie ihre Lehrer in der Otologie inst~,ndigst bitten, sie in Unterricht und Fort- bildung mSglichst davon zu befreien. Aber wer yon ihnen weil~ das ? Ich habe bisher nur einm~I einen Notschrei dgrfiber aus der Allgemein- praxis in der Literatur gelesen. Es war in einer Medizinischen Wochen- schrift. Leider kann ich den Autor und die Arbeit nicht mehr bezeichnen. Aber sie war der Anla~, dal~ ich meine Arbeit: ,,Inwieweit entsprechen die Begriffe ,Otitis media' und ,Mastoiditis' unseren heutigen An- schguungen und den Anforderungen einer klaren, zweckmgl~igen Krank- heitsbezeichnung? ''1 verSffentlichte. Hiernach wfirde es also gerade im Interesse der Allgemeinpraktiker liegen, wenn der verwirrende und t~uschende Begriff Mastoiditis aus der Otologie verschwinden wfirde.

D. Herstellung der einfachen und natiirlichen pathologisch-anatomischen Einheit: ,,Mittelohrentziindung" in Anschauung und Darstellung. Der Weg~ der aus der Ss~ckgasse heraus~fihrt, in die wit dutch eine

falsche Ansch~uungs- und Betrachtungsweise geraten sind, ist durch 1 Linck, A.: Arch. Ohr- usw. Heilk. 129, H. 3 (1931).

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die Entwieklung vorgezeichnet. Er ist einfach zu beschreiten und besteht in der I-Ierstelhng der nattirlichen Einheit : Akute Mittelohrentziindung. Da$ dabei die vielen Unterg]iederungen fortfa]len, schadet nichts. Denn auch sie sind gekiinstelt und praktisch vSllig bedeutungslos, zumal fiir den Allgemeinloraktiker. Es gibt nur ein einheit]iches Mittelohr- gebiet, bestehend aus tympunalem und p~ratympanalem pneum~tischem System an der seitliehen Sch~delbasis. Und es darf demnaeh ~ueh nut eine akute Mittelohrentziindung geben, welehe als zust~ndigen Krank- heitsraum das gesamte Schleimhautgebiet des Mittelohres umlaut.

Die Abstufungen, welehe die Virulenz der Infektion, die Intensit~t der Entzfindung und die pathologisch-anatomischen Auswirkungen im zust~ndigen Krankheitsr~um zeigen, maehen allerdings eine entsprechende Unterteilung notwendig." Dazu geni~gt abet die Einteilung in unkomplizierte akute Otitis media simplex und komplizierte akute Mittelohrentzi~ndung. Auf diese Weise ist der Wag frei fiir j ede weitere pathologiseh-anatomisehe und klinisehe Differenzierung, den jeweiligen Bedfirfnissen entspreehend, yon der harmlosen ]okalisierten katarrhalisehen Tympanitis und Epitympa- nitis bis zur totalen Otitis und Paraotitis mit allen ihren Folgezust~nden.

Wie sich bei der letzteren ein tibersiehtliches Entwicklungsprogramm ~ufstellen ls ohne den Begriff Mastoiditis zu bemfihen, babe ich in diesem Arehiv (1. e.) gezeigt. Der dabei eingeffihrte h~ame ,Pneumato- eetlu]i~is" ist keine komplizier~e begriffliche NeuschSpfung, sondern nur eine kurze schlichte und einfaehe ~aeh]iehe 1Jbersetzung des 2qamens f~ir Entziindung in dem aus schleimhauttragenden LufthShlen bestehenden Krankheitsraum. Die Zweckm~13igkeit dieser Bezeichnung besteht darin, d~l~ sie sieh auf alte Teilgebiete des Krankheitsraumes und auf a]le pathologiseh-anatomischen Wandlungen des Krankheitsvorganges an- wenden 1/il3t 1.

I. Die ein]ache, unkomplizierte akute Otitis media. Ihrem Wesen nach ist die akute O~itis media eine Sehleimhaut-

entziindung, welche auf die Auskleidung der pneumatischen Zellen im zust~ndigen Krankheitsraum besehr~nkt ist und darin einen zyklischen Ablauf zeigt: Anschoppung, HShepunkt, Abklingen, Restitutio ad in- tegrum. Sie ist darin vergleichbar mit der akuten lob~ren Pneumonie, und wie bei dieser sind ~uch bei ihr AbfluB (Expektoration) und Re- sorption der Entzfindungsprodukte die mal~gebliehen Heilungsfaktoren.

Die Beschr~nkung der Entziindung auf die Schleimhaut des pneumati- schen Systems ist nicht absolut. Bei jeder akuten Mittelohrentz~ndung tritt in dem Stadium der Anschoppung und des HShenpmaktbes ein voriiber- gehender Abbau der Knoehensubstanz in den Wgnden der zufiihrenden Gef/~13kans auf, um den erhShten Anspriichen infolge Entziindungs-

1 Degenhardt: Der Begriff Mastoiditis und seine W~ndlungen zum Begriff Pneumatocellulitis. Inaugural-Dissertation Greifswald 1937.

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hyper/~mie Raum zu verschaffen. Mit Abklingen der Entziindung und Naehlassen der gesteigerten t/aumbeanspruchung h6rt der Knoehen- abbau auf und wird dutch einen entspreehenden Ersatz ebenfalls in eine Restitutio ad integrum iibergeftihrt. Jedenfalls gibt es keine akute Mittel- ohrentziindung yon stgrkerer entziindlieher Intensit/~t, bei der nieht in der unmittelbaren Naehbarsehaft der Gef/~ge in Knoehensepten und Knoehen- wandnngen voriibergehend eine Zerst6rung yon Knoehengewebe vor- handen gewesen ware. Diese Feststellung zeigt, dab nieht nur die eitrige einsehmelzende, sondern jede Form der Mastoiditis, aueh die Anfangs- mastoiditis oder primare Mastoiditis, mit einer Ostitis mastoidea ver- bunden ist. Der Unterschied besteht nur in der verschiedenen Stgrke und Ausdehnung der laeungren Resorption und ihres Ausgangs: hier Restitutio, dort Fortschritt (progressive eitrige, granulierende Ostitis).

Aueh sonst sind die Grenzen des pathologisehen Gesehehens bei zyklisehem Ablauf der akuten Ostitis media nicht immer streng in dem zust/~ndigen Krankheitsr~nm gezogen. Bei stark entwiekelter Pneumati- sation und starker Entziindungsintensit/~t kommt es nicht selten auf der H6he der Ansehoppung zu ehler Ubersehreitung des zustgndigen Krankheitsraumes in die Nachbarschaft hinein: die extraeranielle, die endoeranielle, oder die labyrinth/~re. Das sind dann die konkomitierenden fliiehtigen ser6sen En~ziindungen, welche auf dem Planum mastoideum oder Planum zygomatieo-temporale als konkomitierende Periostitis externa oder auf der Oberflgehe der Felsenbeinpyramide und den an- grenzenden Meningealr/~umen und Nervenst/~mmen als konkomitierende ser6se Periostitis interna und lokalisierte, ser6se Meningitis und Neuritis, oder im Labyrinth Ms konkomitierende ser6se Labyrinthitis mit oder ohne Beteiligung des Nervus faciMis, in Erscheinung treten. Obwohl sie in die Naehbarschaft hintibergreifen, so stellen sie doch keinen aktiven selbstandigen Krankheitsfortschritt d ar. Sie sind fliiehtig und kein Hindernis ffir die vollkommene Restitutio ad integrum im zyklischen Verlauf der Otitis media.

11. Die komplizierte akute Otitis media.

Von der Mittelohrentz/indung, welehe in zyklisehen Ablauf zur Iteilung gelangt, unterscheidet sich die komplizierte akute Mittelohr- entzfindung dadurch, dab die Infektion und Entziindung nicht auf den zust/~ndigen Krankheitsraum besehr~nkt bleibt und sieh aueh nicht mit den fliiehtigen, vollkommen reparationsfghigen, entziindliehen 13her- sehreitungen des Krankheitsraumes beg~iigt, sondern selbst~ndige und fortsehreitende Entziindungsvorg//nge in die Naehbarsehaft hineingelangen 1/~gt und auf diese Weise zu einem irreparablen oder lebensbedrohenden Krankheitszustand wird.

F/Jr den Bus den Zellen des tympanalen und paratympanMen pneu- matisehen Systems bestehenden zust/~ndigen Krankheitsr~um der Otitis

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media gibt es zwei Nachbarkomp]exe. Der eine setzt sich zusammen aus den intercellul~ren Knochenw~nden und Knochensepten, welehe den gerfisturtigen Kern und die W~nde des Krankheitsraumes bflden; der andere besteht aus der labyrinth~ren, extracraniellen und endocraniellen Naehbarsehaft: Das Labyrinth mit Nn. acustieus und faeialis ist zentral gelegen und yore zust~ndigen Krankheitsraum wie von einem Mantel umgeben. Die extra- und endoeranielle Naehbarsehaft, bestehend aus den ~u~eren Weiehteilengef~13~n und den beiden zum Ohrgebiet ge- hSrigen Schs mit Sinus, ttirnhs Hirnnerven und Him- weichteilen, ist um den Krankheitsraum aul~en herumgelagert.

Die komplizierenden Grenziibersehreitungen kSnnen hiernach konzen- trisch in das intercellul~re Knoehengerfist als auch exzentrisch durch bzw. fiber die trennenden Knochenw~nde in die umschlossene oder um- schliel]ende Umgebung hinein stattfinden oder aueh in beiden Richtungen sowohl konzentrisch als auch exzentrisch vor Rich gehen.

Die konzentrisehe Grenzfibersehrei~ung hat zur Voraussetzung das Ausbleiben der Restitution und die Stabilisierung der Entzfindung im

pneumatocellul~ren Krankheitsraum (stabilisiertes Empyem). Diese be- wirkt, dad die sonst flfiehtige Resorption im gerfistartigen, gef~ffih- renden Knoehenkern der Zellkomplexe und i n den Knochenws nicht zurfickgeht, sondern bleibt und vorw~rts schreitet, Schleim- haut und Knochensepten zerstSrt und in eitrige granulierende H6hlen (Abseesse) verwandelt (Pneumatocellulitis destruens). Zu dieser kon- zentrischen Grenzfibersehreitung k~nn es in allen Regionen des para- tympanalen pneumatischen Systems kommen. Am h~ufigstens ent- steht sie in der Regio mastoidea und den angrenzenden Teilen der Regio petrosa bzw. Regio zygomatico-temporalis, weft bier die Ent- wieklung der zelligen R~ume am st~rksten zu sein pflegt. Seltener kommt sie in der Spitzenregion der Regio petrosa und der Regio peri- tubaria vor. Sie fiihrt zu einer Anns an die umgebende Naehbar- sehaft (Labyrinth, Endocranium, Extraeranium) bzw. zu deren Frei- legung und entzfindlicher Miterkrankung. Auf diese Weise entwiekelt sich fiber die konzentrisehe Exterriorisation die exzentrisehe Grenz- fibersehreitung in die umschlie[tende oder umsehlossene Nachbarsehuft: labyrinth~re, endocranielle und extracranielle Durehbruehskomplika- tionen mit ihren Folgenzust~nden 1.

Die exzentrisehen Grenzfibersehreitungen und Durehbruchskomplika- tionen kSnnen bei hochgradiger Virulenz der Infektion bzw. Abwehr- schw~ehe des KSrpers auch unmittelbar aus dem zust~ndigen Kral~kheits- ruum ohne vorbereitende und vermitte]nde konzentrisehe Einschmelzung des Knoehens, fiber die int~kte Knochenkontinuit~t hinweg, dureh Ver- mittlung der region~ren Gef~l~e zustande kommen. Hier gehen diese

1 Vgl. das genealogische Schema der komplizierten Otitis und Paraotitis. Arch. Ohr- usw. Heilk. 129, H. 3 (1931).

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184 A. Linck:

Grenzfiberschreitungen schnell und frfihzeitig im Verlauf der akuten Mittelohrentzfindung vor sich, w~hrend die mittelb~ren Durchbrfiehe, welche auf dem Wege langsamer Knoeheneinsehmelzung entstehen, zu ihrem Zustandekommen in der t~egel einiger Woehen bedfirfen. Je naeh der Art, wie sich die Grenzfibersehreitungen mit ihren Folgezusti~nden ~uf Grund der gegebenen Virulenz und AngriffsbereitschMt entwickeln, unterscheiden wir die/oudroyante akute Mittelohrentzi~'ndung (Otitis media sine demareatione) und die schleichende einschmelzende Mittelohrentzi~ndung.

E. Die natiirliche pathologisch-anatomische Einheit .Mittelohrentziindung" in der klinisehen Betraehtung.

Aus der Zusammenfassung der anatomisehen und puthologiseh-anato- mischen Einheit ,,akute Mittelohrentzfindung" ergeben sich die Not- wendigkeiten und MSglichkeiten, auch d~s klinisehe Bild des gesamten pathologischen Geschehens und aller Folgezust~nde unter einem einheit- lichen Gesichtswinkel zu betrachten und darzustellen und das fibliehe Auseinanderreil]en zusammenhiingender Binge zu vermeiden.

I. Die Symptomatologie der alcuten Otitis media. Es gibt bei den akuten Mit~elohrentzfindungen zwei Arten yon

Symptomen. Einmal solche, welche durch die Entzfindungsvorg~nge im Mittelohrgebiet selbst, d. h. in dem zusti~ndigen Krankheitsraum hervor- gerufen werden und den Grundstock des klinischen Krankheitsbildes darstellen. Diese Symptome kann man deshMb als Grundsymptome be- zeichnen: Fieber, Ohrenschmerzen, HSrstSrungen und Eiteraus/lufl. Die andere Art der Symptome wird hervorgerufen dutch Nab- bzw. Fern- wirkungen der Mittelohrentzfindung auf den Gesamtorganismus und auf das eine oder andere Nachbargebiet des erkrankten Mittelohrkomplexes. Diese Symptome kann man als Begleitsymptome bezeiehnen.

1. Die Symptome der akuten Otitis media simplex. Die Grundsymptome bei der einfachen ukuten Mittelohrentzfindung

pflegen in einer typischen Kurve abzulaufen: Bus ~Vieber zeigt steilen Anstieg und lytischen Abfall. In der ersten oder im Laufe der zweiten Woehe ist die Temperatur zur Norm zuriickgekehrt. Der Ohrsehmerz tritt gleieh mit ]~eginn der Entziindung auf, entwickelt sich schnell zum H6hepunkt und geht bei Eintreten der Perforation (spontaner oder kiinstlicher) schnell, bei ausbleibender Perforation etwas lungsamer zuriick, um im Verlauf der ersten Woehe zu verschwinden. I)ie HSr- stSrungen zeigen den Charakter einer Mittelohrschwerh6rigkeit, die anfangs mit Sausen und l~auschen verbunden ist. Sie erreichen entsprechend der St~rke der Exsudation und Schleimhautschwellung in der Pauke sehon im Laufe des ersten oder zweiten Tages ihren h6chsten Grad und zeigen mit dem Nachlassen der Exsudation und Schleimhautschwellung

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Die akute Otitis media ohne ,,Mastoiditis". 185

einen ganz allm~ihlichen Abfall. Bis wieder normale H6rf~higkeit ein- getreten ist, pf]egen 3 bis 4 Wochen und mehr zu vergehen. Die Ohr- eiterung ist abh~ngig yon dem Eintreten einer spontanen oder kiinstliehen Perforation und kann, wie diese, vorhanden sein oder ausbleiben. We sic dureh Perforation zum Vorsehein kommt, durehli~uft sie in der Regel bestimmte Phasen der Entwicklung in quantitativer und quaiitativer Hinsieht. Allms wird sie geringer, um sehlieBlich gunz zu versiegen. Meistens zieht sieh so die Eiterung 2 bis 3, seltener fiber 4 Woehen und li~nger hin. Mitunter dauert sie aber aueh nur kurze Zeit; bisweilen nur einige Tage.

Innerhalb dieses allgemeinen Rahmens kSimen sieh die Grund- symptome yon Fall zu Fall hinsicht]ich der Intensit~t und Dauer ver- schieden verhalten, im ganzen sowohl, wie in ihreln Verhs zueinander. Das Charakteristische aber, was ihren Ablauf bei akuter Otitis media simplex gesetzm~l~ig ausze~chnet, besteht darin, daI~ wohl gelegentlieh leichte Sehwunkungen vorkommen kSnnen, z. B. infolge vortibergehender Verlegung, Verklebung und Retention im Abflui~gebiet der PaukenhShle, daft sie aber im ganzen einen gleichm~tl~igen, yon keinem entseheidenden Rficksehlag unterbrochenen Riickgang zeigen. Das Au/h6ren und Ver- schwinden der Grundsymptome bei akuter Otitis media simplex ist stets endgi~ltig. Zeigt sich sin entseheidender Rfickschlag auch nur be~ einem Symptom, insbesondere bei Fieber, Sehmerzen, Eiterung, dann handelt es sich eben nicht um eine einiache restitntionsfi~hige Mittelohrentzfindung. Auf diese Weise kommt in dem Verhalten der Grundsymptome eine Kurve zustande yon typischem Charakter, die ieh deshalb als ungehemmte symptomatische Resolutionskurve bezeichne (Abb. 1).

Die Begleitsymptome spielen bei der Otitis media simplex eine sehr untergeordnete Rolle. Aueh das ist typisch ftir den gntartigen restitu- tionsfahigen Charakter der Affektion. Meist fehlen sie g~nzlich. Das Allgemeinbefinden ist gut, sobald erst das Fieber und die Ohrsehmerzen nachgelassen hubert. Nur gelegentlich zeigen sieh entzfind]iche Nah- und Fernwirkungen in der 2qaehbarschaft der entzfindeten Hohlr~ume als: Schmerzha]tigkeit und ~dem i~ber dem PIanum mastoideum, Gradenigo- komplex mit Abduzenzliihmung and Trigeminusreizung, Facialisliihmung oder meningitische Reizung (Meningismus) oder leichte Labyrinthreizung (Labyrinthismus). Aber alle diese Symptome treten nur ausnahmsweise auf, unter, besonderen Voraussetzungen. Diese sind gegeben, v~enn kon- ditionell eine starkere Entzfindungsintensitat und Exsudation und kon- stitntionell, inf01ge stark entwickelter Pneumatisation, eine entsprechend starke Annaherung der pneumatisehen Hohtr&ume an die betreifenden umschliel~enden oder umschlossenen 2qachbargebiete vorhanden ist. Stets tragen diese Beg]eitsymptome den fliichtiger Charakter des kol]ateralen entzfindlichen 0dems bzw. der sympathisehen konkomitierenden, serSsen Entziindung, Sie machen sich deshalb auch nut im Initialstadium,

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186 A. Linck:

auf der HShe der entziindlichen Inflammation bemerkbar und klingen schnel] wieder ab, sobald die akute Exsudation spontan zuriickgeht

7 f 3 /1 5 6 Wocben 1 2 3 g E ~ 7 7 2 3 # E 6 7 1 Z 3 # E 6 7 ~ E Y q 5 6 7 ~ Z 3 u 7Tage

!!!)J!lll lhllllllltJl!l I ItI~X~A I I I I r t F P I J I T"!'-.~-J 0 I I I [ I I ~ I ] L l Y I ~ V ~ I I 'll l/ 'l ~1~ I I J

II II , . X~ tVE J l i t- I l l J\r J\l Abb. 1. U n g e h i n d e r t e s y m p t o m a t i s c h e R e s o l u t i o n s k u r v e bei u n k o m p l i z i e r t e r a k n t e r

Ot i t i s m e d i a . F i ebe r : r o t ; O h r s c h m e r z : gr t in ; H S r s t S r u n g : s chwarz ; E i t e r : gelb.

1 Z 3 # 5 6Wochen 4 2 3 4 5 8 7 7 2 3 # 5 8 7 : 2 3 r 7 1 2 3 4 5 6 7 1 2 3 # 5 ] 7 4 2 3 4 1 5 6 7[age

Vi,,j,,l,'r'j j J / ~ - 7 1 / i ! I I I I t i I I I I I I I - F H ~

Abb. 2. l phas lge s y m p t o m a t i s e h e K u r v e bei f o u d r o y a n t e r akuke r O~itis m e d i a (Ot i t i s med ia ma l igna , s ine demarca t i one ) . F ieber : r o t ; 0 h r s c h m e r z : gr i in ; H 6 r s t S r u n g : s ehwarz ;

E i t e r : gelb.

1. P h a s e 2. P h a s e 3. P h a s e 4, P h a s e I n i t i a l p h a s e s y m p t o m a t i s e h e pNimon i to r i s ehe e x z e n t r i s c h e r

Sti l le S y m p t o m e D u r e h b r u c h

4 2 3 ~ 5 6 Wochen "123 6 5 6 7 7 2 3 z 1 5 6 7 1 2 3 # E # 1 2 3 r I ; 3 3 6 5 6 ' 7 7 2 3 z / 6 E T T a ! ] e .

II_11"1 I " / ,~1 I I I I I I I ? ' A - 4 _ k ~ H I I",l I N ' ~ I r I ~ ~ I , r',, I ~ u l j I , I I , m , ~ ,,, q__~A ,5~vrlpzl

zibb. 3. 4phasige symPtomatisehe Kurve bei sehleiehender, einsehmelzender akuter OtiLis media (kurze 2. Phase). Fieber: rot; Ohrschmerz: grttn; H6rst6rnng: sehwarz; Eiter: gelb.

I. Phase 2. Phase 3. Phase 4. Phase -+ Initialphase symptornatisehe pr/~monitorische exzentrischer

Stiile Symptome I) urehbrueh

2 3 ~ # -6 Wochen "r r 7 7 23#567 72,3#56 7123~156 7723q567 ? Z3~5#TTa~e

I I / / ~ ) r

_A_bb. 4. 4phasige symptomakische Kurve bei akuCer sehleiehender elnsehmeizender Otlt is m e d i a ( lange ~.Phase). Fiebe r : r o t ; Otn ' sehmerz : gr i in ; H S r s t 6 r u n g : s c h w a r z ; E i t e r : gelb.

bzw. durch Perforation und Abflug eine Entlastung erfghrt. Auch ihr Verschwinden ist bei un]complizierter Otitis media stets endgi~ltig.

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D i e a k u t e O t i t i s m e d i a o h n e , , M a s t o i d i t i s " . 187

2. Die Symptome der komplizierten alcuten Otitis media. Sie gestalten sich verschieden, je n~chdem es sich um eine foudroyante

Form mit schnellem oder um eine schleichende einschmelzende Form mit langsamem Fortschritt der Grenzfiberschreitung hande]t.

1. P h a s e 2. P h a s e 3. P h a s e 4. P h a s e -~ I n i t i a l p h a s e s y m p t o m a t i s c h e p r~moni to r i s ehe exzen t r i s ehe r

St i l le S y m p t o m e D u r c h b r u c h

1 2 3 r 5 6Wo&en 4 2 3 q 5 6 7 1 2 3 q 5 6 7 1 2 3 q 5 6 7 1 2 3 q 5 8 7 7 2 3 r 7 1 2 3 q 5 6 7T~Ig~

s II// k l LV~I I [ I I I ~ , I . 9 " 1 ' N " ~ I / Y - I I L I

Abb. 5a . 4phas ige s y m p t o m a t i s e h e K u r v e bei a k u t e r s ch l e i ehende r e in sehmelzende r Ot i t i s m e d i a (mi t t e t l ange 2. P h a s e ; f r i ihes Vers iegen der E l te r tmg) . F i ebe r : r o t ; O h r s c h m e r z : gr i in ;

I-ISrst(h'nng: s c h w a r z ; E i t e r : gelb.

1. P h a s e 2. P h a s e 3. P h a s e 4. P h a s e --> I n i t i a l p h a s e s y m p t o m a t i s e h e p r a m o n i t o r i s c h e ex, z en t r i s che r

Stif le S y m p t o m e D u r e h b r u e h

I ? 3 ~ $ 6'Woch~r~ 1 2 3 r 7 2 3 q 5 7 7 2 3 q 5 5 7 7 2 3 g ~ 8 7 7 2 3 q 5 t ~ T i 2 3 r

Abb. 5b , 4phas ige s y m p t o m a t i s c h e K:urve bei a k u t e r seh le i ehender e insehmelzender Ot i t i s m e d i a (lang'e 2. P h a s e ; fri2hes Yers i egen der E i t e rung ) . F i ebe r : r o t ; O h r s e h m e r z : gr i in ;

H S r s t S r u n g : se i lwarz ; E i t e r : gelb .

1. P h a s ~ 2. P h a s e 3. P h a s e 4. P h a s e --> I n i t i a l s t a d i u m s y m l ) t o m a t i s e h e p r~mon i to r i s che e x z e n t r i s c h e r

St i l le S T m p t o m e D u r c h b r u e h

"I 2 3 # 5 # Wochen 1 2 3 q 5 6 7 1 2 3 # 5 6 7 1 2 3 # 5 8 7 7 2 3 q S # ? 7 2 3 r Z 3 q 5 5 7 T ~

~ b b . 6; 4phas ige s y m p t o m a t i s e h e ~ u r v e bei a k u t e r s eh le i chende r e in schmelzende r Ot i t i s m e d i a (~r 1. ~lnd 2. P h a s e n u t H S r s t S r u n g ; E i t e r u n g f eh l t t ibe rhaup t ) . F i ebe r :

r o t ; Ohr schmerz : gr t in ; H S r s t S r u n g : schwarz .

a) Die /oudroyante Otitis media bringt in ihren Symptomen den schnellen Infektionsfortschritt zum Ausdruck.

Die Grundsymptome geben fiir sich bereits dem Krankheitsbild das kennzeichnende Gel~rs eines einphasoen s~iirmischen Verlaufs. ])as

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188 A. Linek:

Fieber steigt steil an, zeigt eine kurze Zeit geringe Neigung zum AbfM1, um dann gleich wieder hoeh anzusteigen. Der Ot~,'scttmerz bleibt heftig und qu/~lend, trotz Perforation (Parazentese) und breitet sieh weiter aus fiber Schl~fe und Kopfseite. Die H6rstSrungen gehen noch fiber die anf~ngliche Steigerung hinaus und nehmen den Charakter einer kom- binierten Sehwerh6rigkeit an dureh kollaterMes 0dem im Labyrinth. Dadurch k6nnen die Patienten auf dem erkrankten Ohr zeitweilig total taub werden. Die Eiterung, blutig, ser6s, h~morrhagiseh, an sieh sehon profus, erf/~hrt noch wom6glich eine weitere Zunahme. Auf diese Weise kommt ein IcennzeiJ~nendes einphasiges Kurvenbild zustande, das ffir die foudroyante akute Mittelohrentzfindung typiseh ist (s. Abb. 2).

Auch die Begleitsymptome geben dem Krankheitsbild der foudroyanten akuten ~[ittelohrentziindung ein besonderes, abweichendes Gepr/~ge. Allgemeine, indifferente Begleitsymptome werden bedingt dutch den starken Anteil des Gesamtorganismus an der S ehwere der IvAektion. Besondere differente Begleitsymptome bringen die beginnenden und fort- sehreitenden Durehbruchskomplikationen zum Ausdruek: labyrinth~r, endoeraniell und extraeraniell.

Yon An~ang an spielen die Mlgemeinen Begleitsymptome eine be- deutsame l~olle. I)as Allgemeinbefinden zeigt starke Beeintr~ehtigung: Mlgemeines Krankheitsgeftihl, Teilnahmslosigkeit, belegte Zunge, Appetit- losigkeit. Sie steht im Einklang mit dem sttirmisehen Auftakt und Ver- lauf, die in der Kurve der Grundsymptome zum Ausdruek kommen. Zum klinisehen Gesamtbild geh6rt ferner, dab sich bald auch die diffe- renten Begleitsymptome des ~ul]eren, inneren oder labyrinth~ren Durch- bruehs in schneller Entwieklung zu manifestieren pflegen. Am Ende der ersten oder im Laufe der zweiten Woehe ist es in der Regel kliniseh bereits erkennbar, ob und in weloher Richtung der komplizierende Fort- schritt der Ilgektion erfolgt (labyrinth~r, endoeraniell oder extracraniell). Was sich dabei sehon ~rfihzeitig an Entzfindungssymptomen am Planum mastoideum, am HMse, an den basMen Hirnnerven oder yon seiten des Labyrinths oder der Meningen zeigt, tr/~gt also nicht den Charakter eines flfiehtigen, rfiekbildungsbereiten kollaterMen Odems, sondern den einer sehnell for~schreitenden selbst~ndigen Entziindung, yon der man im Gegensatz zu den initiMen konkomitierenden Entzfindungen der Otitis media simplex einen Rtickgang nieht zu erwarten hat.

b) Die schleicl~ende einschmelzende Form der komTlizierten akuten ,Mittelohrentziindung mit der langsam fortschreitenden konzentrisohen und der mittelbaren exzentrisehen Grenzfibers.ehreitung zeigt das Ge- pr/~ge des langsamen sehwelenden Infektionsfortsehritts aueh im Sym- ptombild. Es entwickelt sieh in vier deutlieh erkennbctren uncl gegen- einancler abgegrenzten symptomatisctten Phasen.

Die Grundsymptome beherrsehen die ersten drei Phasen des Symptom- bildes. In der ersten Phuse, welche der akuten Schleimhautentzfindung

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Die akute Otitis media ohne ,,Mastoiditis". 189

im zust~ndigen Krankheitsraum entspricht, ist das Verhalten der Grund- symptome gleich oder s der Kurve bei akuter Otitis media simplex. Aueh in der zweiten Phase, welehe yon der beginnenden konzentrisehen Einsehmelzung bestimmt vXrd, verhalten sich die Grundsymptome genau so wie bei der einfachen Otitis media: Fieber, Ohrschmerz fehlen; tISr- st6rungen und Eiterung zeigen geringere oder st~rkere Neigung zum Ab- klingen. Dies Verhalten kann sieh fiber eine Woehe oder aueh fiber zwei, drei und mehr Woehen hinziehen. Dann aber in der dritten Phase, die man als Phase der Abseefimanifestation bezeichnen kann, treten Fieber und Sehmerzen unter allm~hlieher oder sehnellerer Steigerung yon neuem auf. Und die Eiterung, die inzwisehen sehon aufgeh6rt haben kann, nimmt entweder hi sehubweisen Intervallen oder in stets waehsender Flut an Menge wieder zu. Dabei wird aus einer bereits schleimig-eitrigen eine rahmig-eitrige Sekretion. Bei sehubweisem An- und Absehwellen der Eiterung kommt in gesetzmgBiger Abh~ngigkeit ein typisehes ~ber- kreuzen der Eiterkurve mit der Schmerz- und Fieberkurve zustande, indem die letzteren fallen, wenn die erstere steigt und umgekehrt (Weehsel yon Retention und Entlastung dureh Abflul~). Die HSrst6rungen bleiben sich auch weiterhin gleich oder erfahren ein Naeh]assen (s. Abb. 3 und 4).

Nicht selten zeigt die Eiterung insofern ein besonderes Verhalten, als sie bereits in der ersten und zweiten Woche versiegt, um fiberhaupt nicht wieder aufzutreten. Dementspreehend verl~uft dann aueh die Eiterungskurve. Den symptomatisehen Stempel der Komplikation er- halten diese F&lle a]lein dureh den Verlauf der Fieber-, Schmerz- und HSrstSrungskurve (s. Abb. 5a und 5b).

SehlieBlich gibtes noeh eine besondere Eigenart der symptomatisehen Kurve insofern, als die Eiterung fiberhaupt ausbleiben kann und Fieber, Ohrensehmerzen aueh in der ersten und zweiten Phase wenig oder gar nieht wahrnehmbar sind bzw. vSllig fibersehen werden k6nnen. Dadureh kommen diese Phasen, welehe sieh fiber 4 bis 6 Woehen hinziehen k6nnen, symptomatisch far nicht oder sehr wenig zur klinisehen Manifestation. D i e einzige merkliehe Abweiehung yon der Norm zeigt sich hier yon Anfang an nur in dem Verhalten der H6rstSrungskurve. Eine Sehwer- hSrigkeit ira Sinne einer Media steigt zu m~Biger H6he an und verharrt dabei ohne Neigung zum Abfall (s. Abb. 6).

Die Begleitsymptome fehlen in der ersten Phase bei der sehleichenden Otitis media meist g~nzlich. Nur mitunter treten sie im allerersten Stadium der akuten Inflammation auf und t~uschen dadureh einen Durehbrueh vor. Das klinisehe Verhalten ghnelt in dieser Beziehung den initialen Scheinkomplikationen bei der einfuchen akuten Mittelohr- entzfindung. Sie haben also ebenfalls nur die Bedeutung eines flfiehtigen kollateralen 0dems. Mitunter, uber nicht immer, entsprieht die Lokalisa- tion dieser zun~chst vortibergehenden Begleitsymptome dem Gebiet, in

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190 n. Linck"

welchem spgter aus dem destruierenden Eiterherd der exzentrisch fort,- sehreitende entziindliche Durehbrueh erfolgt.

In der zweiten Phase, wo die Grundsymptome zurfickgehen oder ggnzlich verschwunden sind, zeigt das Symptomenbild aueh hinsichtlich der Begleitsymptome v611ige oder fast vSllige guhe (Stille vor dem Sturm). Nur bei besonderer Aufmerksamkeit gelingt es, gewisse Abweichungen yon der Norm festzustellen. Die Patienten klagen i~ber Appetitlosigkeit, zeigen belegte Zunge und qeben an, daft sic eine gewisse Schwere und VSlle und pulsatorisches Klop/en (Scheibe) au/ der kran]~en Kop/- und Ohrseite emp/inden.

Aueh in der dritten Phase pflegen die Begleitsymptome zu feh]en. Erst in der vierten Phase der Entwicklung beherrschen die Begleit-

symptome, Ms Symptome des entziindliehen exzentrischen Durehbruchs, das klinische Bild und geben ihm die entscheidende Wendung und das Gepr~ge, welches der LokMisation, Fortsehrittsneigung und Fortschritts- richtung des Durchbruchs entspricht.

Mitunter f/~llt die Manifestation der Durchbruehssymptome bereits mit dem pr/~monitorischen Aufflackern der Grundsymptome: Fieber, Ohrensehmerzen, Eiterung zusammen. Meistens aber leitet diese charakte- ristische Ver~nderung in der Kurve der Grundsymptome die vierte Phase der Krankheitsentwieklung erst ein, Ms Vorbote des entzfindliehen Durchbruchs, dessen klinisehe Manifestation dann Msbald naehfolgt.

II. Die Diagnostilc der akuten Mittelohrentzi~ndung. Die Aufgabe der Diagnostik bei akuter Mittelohrentz~indung besteh~

darin, sie als solche sicherzustellen und ihren Verlaufscharakter zu er- grfinden, d.h. zu bestimmen, ob es sich um eiue riickbildungsf~hige und ausheilbare bzw. ausgeheilte Entzfindung handelt, oder um einen komplizierten Krankheitsvorgang, welcher nicht rfickbiIdungsf~hig ist bzw. das Leben des Patienten bedroht.

Die Feststellung der akuten Mittelohrentzfindung an sich geschieht nioht auf symptomatischem Wege, wie die Allgemeinpraktiker und O~al- gantherapcuten so oft glauben. Nur die otoskopische Untersuchung des GehSrgangshintergrundes mit klaren Ergebnissen ermSglieht eine zu- verl~ssige Diagnose.

Der klinische Nachweis der jeweiligen Entziindungsform ist auf doppelte Weise zu fiihren und zu sichern: dt/rch Verwertung der Sym- ptome und durch die otoskopische Kontrolle.

1. Die ein/ache Otitis media erkennt man symptomatisch an dem typisehen Abklingen und endgi~ltigem Verschwinden der Grundsymptome, Fieber, Ohrschmerzen, H6rstSrungen, Eiterung: ungehinderte sympto- matische Resolutionslcurve (s. ~4bb. 1), und aus dem schnellen Abklingen und Verschwinden etwa vorhandener initialer Begleitsymptome (0dem

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Die akute Otitis media ohne ,,~astoidi~is". 191

und Schmerzen fiber dem Planum mastoideum, Gradenigo, Faeialis- lghmung, Meningismus).

Otoslcopisch erlangt man die erforderlichen diagnostisehen Handhaben dureh die Feststellung, dab die entzfindliehen Vers des Geh6r- gangshintergrundes eine dem symptomatisehen Verlauf entsprechende Rfickbildung erfahren haben: almghliehes Abblassen des Trommelfells, Verschwinden der Vorw61bung, das Wiedererseheinen von Hammergriff und kurzem Fortsatz, l~fickkehr des spiegelnden Oberfl~chenglanzes und der klaren Limbuskonturen, bis die kranke Seite der gesunden bzw. einem normalen Hintergrund entspricht: ungestSrte otoslcopisehe Reso- lutionslcurve.

Die Diagnose akute Otitis media simplex darf in ihrem klinisehen Werturteil erst dann als gesichert gelten, wenn die Endergebnisse der symptomatischen und otoskopischen Kontrolle sich decken, d. h., wenn die symptomatische und otoskopisehe Resolution v511ig miteinander iibereinstimmen.

2. Die komplizierte akute Otitis media. Um den komplizierten Charakter einer akuten Mittelohrentziindung

festzustellen, stehen uns folgende diagnostische I-Iandhaben zur Ver- ffigung: die symptomatische Beobaehtung, die otoskopisehe Kontrolle und die hil/stechnische Methode der R6ntgenphotographie.

Die Symptome spielen bei der Erkenmmg der komplizierSen akuten Mittelohrentzfindung die Hauptrolle. Sie erm5glichen ffir sich unter allen Umsti~nden den sicheren Nachweis der Komplikation, in dem einen Fall frfiher, in dem anderen Fall sp/iter.

a) Die/oudroyante maligne Otitis media ist symptomatiseh sehr bald heraus zu erkennen, weil sie in einem einphasigen schnellen Verlauf ihren Charakter bereits in der ersten, sp~testens in der zweiten Woche aus- reichend dokumentiert: Verharren und Steigerung der Grundsymptome ohne zeitlichen Einsehnitt (s. Abb. 2), im Verein mit den allgemeinen Begleitsymptomen und dem sehnellen Anschlul? der differenten Symptome des entztindlichen Durchbruchs.

b) Die schleiehende Form der komplizierten akuten Mittelohrentziindung als solche ist in der ersten und aueh in der zweiten Phase symptomatisch fiberhaupt nieht zu erkennen. Nur in den F~llen, wo allgemeine Begleit- symptome (Appetitlosigkeit, belegte Zunge) und pulsatorisches Klopfen, VSlle- und Schweregefiihl auf der kranken Kopfseite klinisch in der zweiten Phase vorhanden sind, wird die Au~merksamkeit auf die MOglich- keit einer sich entwickeLnden Komplikation hingelenkt. Einwandfrei klargestellt wird die Tatsache der Komplikation erst in tier dritten Phase durch das pr~imonitorisehe Au//lackern der Grundsymptome. In der vierten Phase, mit den Symptomen des labyrinth~ren, endocraniellen

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192 A. Linck:

oder extracraniellen Durchbruehs, wird die Lage weiterhin gekl~trt and auoh die lgichtung erkennbar, wohin der Durchbruch sich ent- wiekelt hat.

Der Fortsshritt in der diagnostisehen Einstellung und Zielsetzung be- steht damn, dab wir heute bemiiht sind, den komplizierten Charakter dieser schleichenden Otitis media bereits im Stadium der konzentrischen Ex- teriorisation im kn6chernen Kerngeriist und Wandgebiet zu erkennen, das die exzentrischen Durchbriiehe vorbereitet und ihnen vorausgeht. Dazu geben die Symptome der dritten Phase, das pr/~monitorische Wieder- auftreten der Grundsymptome, denjenigen, die sie zu beaohten and zu werten verstehen, eine vSllig ausreiehende Handhabe. Denn sie lassen erkennen, dal~ im paratympanalen pneumatischen System irgendwo ein eitriger, fortschreitender Herd sich entwickelt hat und mit einem exzen- trischen Durchbrueh droht.

In der zweiten Phase ti~uscht die symptomatische Leere triigeriseh eine beginnende Heilung vor. Das ist nieht schlimm in solchen F~llen, we die Phase nur eine Woche dauert (Abb. 3). Schlimmer ist es dagegen, wenn diese Phase sich fiber zwei oder drei Wochen oder noch l~nger hinzieht (s. Abb. 4, 5a und 5b and 6). Denn in dieser Zeit k5nnen aus- gedehnte ZerstSrungen im pneumatischen System eintreten and uner- wiinsehte, bedenklicheAnngherungen an die vitsle Umgebung: Labyrinth und Endocraninm stattfinden. Wenn man sieh da vor ~berraschungen sichern will, ist es gut, wenn man andere diagnostische H~ndhaben kennt und zu benutzen weir.

Die Inspe/ction und Palpation des Processus mastoideus ist hier/i~r voll/commen we#los. Denn der Warzenfortsatz gibe nur dann eine sym- ptomatische Handhabe, wenn er selbst bis n~ch au~en, his aufs Periost, durchbruchsreif geworden ist. Sonst genfigt oft sehon eine diinne Schicht intakter Corticalis, urn ausgedehnte Einschmelzungen in der Regio mastoidea und Regio petrosa, yon der l~egio peritubaria und Zygomatieo- temporalis gar niche zu reden, fiir die ~ul3ere Beobachtung symptomatiseh vollkommen zu tarnen.

Die zuverl~ssigen diagnostischen Handhgben zur ~berbrfickung der symptomatischen Leere in der zweiten Phase des Komplikutionsverlaufs sind: Die Resolutionshemmungen im otoskopischen Bilde und die Warzen- /ortsatzvergleichsau/nahme im RSntgenbild.

a) Die Resolutionshemmungen im otos/copisehen Bild sind der Aus- druck dafiir, dub in dem tympanalen Abschnitt des zustiindigen Krank- heitsraumes die Rfickbildung der Entzfindung eine Behinderung erf/ihrt. Sie stellt damit eine klinisch erkennbare Abweichung yon der unge- hinderten l~esolution im otoskopischen Bilde dar, welche bei der einfachen restitutionsf&higen unkomplizierten Otitis media einen mitentscheidenden klinischen Hinweis fiir den gfinstigen Ablauf bildet. Denn nur wenn

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fiberall auch im parutympanalen Krankheitsruum die Resolution Sort- schreitet und zur Heilung ffihrt, kann in dem otoskopiseh kontrol- lierten tympanalen Entzfindungsabschnitt die Resolution olme Hem- mung bis zur Norm ablaufen. Bei der Resolutionshemmung is t es delta in der Regel aueh nieht die PaukenhShle, welche yon sich aus dem Hei- lungsverlauf Sehwierigkeiten maeht. Sie pflegt dabei im Gegentefl durchaus riiekbildungsfiihig und riickbildungsbereit zu sein. Aber sie wird passiv gezwungen, in dem subakuten Entziindungszustand zu ver- harren und in ihm sogar rfiekf~llig akute Auffrischungen und Fortschritte zu zeigen, wenn yon der Nachbarschaft aus entziindliehe Einfliisse unter- halten werden. DaB es so ist, und nicht die Pauke selbst Schuld an diesem Verharren im Entzfindungszustande tr~gt, geht daraus hervor, dab die Resolution in{ tympanaten Entzfindungsabschnitt mit einem Schlage ungehindert abli~uft, sobald die entzfindliche Beeinflussung aus der Nachbarschaft beseitigt ist.

Es gibt verschiedene Ursachen, durch welche Hemmungen in der Resolution d er Pauke bewirkt werden kSnnen. Darunter sind zwei, die mit einer Komplikation der akuten Mittelohrentziindung niehts zu tun haben. Das ist einm~l der Einflutl unzweekmi~l~iger Dauerbehandlung mit Wasserstoffsuperoxyd vom auileren GehSrgang aus (artefizielle H~O 2 Tympanitis) und die Hyperplasie der Raehenmandel (Rachen. mandeltympanitis).

Im ersteren Falle kann die Tympanitis nieht zur Ruhe kommen, weft die Patienten (in der Regel auf iirztliche Anordnung) den ~iulleren GehSr- gang mit Wasserstoffsuperoxyd aussch~iumen. Auf diese Weise kann die akute Mittelohrentzfindung bis 6 Woehen und noch langer kiinstlieh hingezogen und damit eine komplizierte Otitis media vorgetiiuseht werden. Die Sekretion hSrt und h5rt nicht auf und zeigt sogar schub- weise Zunahme. Mit dem Augenblick, wo das H202 fortgelassen wird, wird die Pauke sch]agartig trocken. Die Perforation schliel3t sich, und die otoskopische Resolution ist in wenigen Tagen beendet.

Bei der protahierten Raehenmandeltympanitis ist die Hemmung der Resolution auf das Fehlen der Tubenventilation zurfiekzufiihren, welche zur Vollendung der Heilung im tympanalen Abschnitt notwendig ist. Im ganzen zusti~ndigen Krankheitsraum ist Zug um Zug alles zur Heilung gelangt ; nur die Puuke kommt nicht mit, weft die Verlegung der Tube dureh die Rachenmandelhyperplasie die Resolution in diesem Ent- zfindungsabschnitt nicht zum Ablauf gelangen l~l~t. Die Eiterabsonderung aus der Pauke dauert unabl~ssig und unvermindert an, fiber 5 - 6 Wochen und noch langer. Mit Beseitigung der Rachenmandel ist auch das letzte hemmende Moment beseitigt. In wenigen Tagen ist das Ohr troeken, die Perforation gesehlossen und die Ausheilung der akuten Mittelohr- entztindung aueh his zur ~ vollsts otoskopischen Resolution voll- enc[et.

Arch iv s Ohren-, Nasen- u. l~ehlkopfheilkunde. Bd. 145. 13

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Von ganz anderer praktiseher Bedeutung fiir die Diagnostik der komplizierten akuten Mittelohrentziindung sind die Ursaehen der Reso- lutionshemmung, welche yon eitrigen Komplikationsherden in der Nachbarsehaft der Pauke ausgehen. Die PaukenhShle ist im giinstigen Entziindungsablauf soweit vorgeschritten, dal3 eine Resolutio ad integrum eintreten wiirde, wenn nicht eine eitrige fortsehreitende Knochenein- schmelzung in der n/~heren oder weiteren Umgebung sie daran hindern wiirde. In diesen .Fdillen ist die .Resolutionshemmung im otoskopischen Bilde die diagnostische Handhabe, um das Vorhandensein und drohende Fortschreiten einer Komplikation im paratympanalen Krankheitsraum ]estzustellen. Sie tritt in drei Formen diagnostisch in Erscheinung: Ale ein]ache Resolutionshemmung, als Senkung der hinteren oberen GehSr- gangswand und als Schleimhautprolaps.

Die ein]ache Resolutionshemmung besteht darin, dab bei fehlender oder bereits versiegter Eiterung das Trommelfellbild auf einem mehr oder weniger welt vorgeschrittenen Stadium der Riickbildung einfaeh stehen bleibt. Mitunter fehlt nur noch wenig an der vollst/~ndigen Reso- lution, und nur das letzte Abblassen und die Riickkehr vSlliger Dureh- sichtigkeit und spiegelnder Oberfl/~ehe am Trommelfell, 1/~I3t auf sich warren. Und dabei bleibt die Riickbildung stehen, and es gehen eine und noch eine zweite und dritte Woehe dariiber hin. In anderen F/~llen stockt die Resolution schon frfiher, so daI~ das Trommelfell st/~rker gerStet, undurehsiehtig, verdickt und glanzlos bleibt.

Die Senkung der hinteren oberen Geh6rgangswand kann sowohl bei trockenem GehSrgangshintergrund als auch bei noeh bestehender Eite. rung auftreten. Das Hintergrundsbild erscheint hinten und oben ab- geschr/~g~, nach vorne zu spaltf6rmig oder triehterf6rmig verengt und meistens auch mehr oder weniger stark gerStet, verdickt and undurch- siehtig. Diese Art der Resolutionshemmung ist in jedem Falle der Aus- druck eines kollateralen ()dems im Bereich der hinteren oberen Geh6r- gangswand.

Der Schleimhautprolaps t r i t t immer nur bei noch bestehender Per- foration und Eiterung auf. Meistens ist vorher die Resolution schon so welt vorgesehritten, dal3 die Sekretion erheblich nachgelassen hat und die Perforationsr/~nder deutlich s~chtbar werden. Statt welter auszu- troeknen, so dug die Eintroeknung endgiiltig vor sieh geht und die Perforation sich sehliel3t, setzt die Eiterung plStzlich wieder ein, und aus der Perforation kommt erst ein rotes KnSpfehen hervor, das sieh yon Tag zu Tag vergrSl3ert und schlie$1ieh als rotes, sulziges Gebilde den GehSrgangshintergrund teilWeise oder fast vollkommen verdeckt.

Wenn im GehSrgangshintergrundbild diese Hemmungen der otoskopischen Ri~ckbildung /estzustellen sind, so bedeutet das diagnostisch den Hin- weis darau], daft es sich um eine komplizierte Otitis media handelt.

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Wo sieh der sehuldige Herd im paratympanalen Krankheitsraum befindet, geht aus den Befunden in der Regel nieht he rvo r . !qur fiber die Entfernung des otoskopiseh manifestierten Komplikationsherdes yon dem tympanalen Entzfindungsabsehnitt geben die Befunde ungef/~hre Anhaltspunkte. Bei der einfachen Resolutionshemmung liegt dieser Herd welt abseits in tier Regio petrosa oder Regio apicalis, w/~hrend er sich bei der Herabdr/~ngung der hinteren oberen GehSrgangswand in der Regio mastoidea bzw. in der Regio Zygomatieo4emporalis, also in unmittelbarer Iq/~he des/~uf~eren, oberen und hinteren tympanalen l~and- gebietes zu befinden pflegt. Die neuauftretende st/~rkere Eiterung aus der Perforation mit waehsendem Schleimhautprolaps finder sich, wenn der komplizierende Einsehmelzungsherd ganz in der N~he ist und wo- mSglich mit der Pauke kommuniziert, also bei Lokalisation in der Regio mastoidea, Regio Zygomatieo-temporalis oder peritubaria

Die pr/~monitorischen Hinweise dutch die otoskopisehen Resolutions- hemmungen sind jedem zug/~ngig, der die Otoskopie technisch beherrscht und die entspreehende Erfahrung und Ubung in der Deutung der Befunde besitzt. Man mu• nur den GehSrgangshintergrund in tier kritisehen Beobachtungszeit, wo es auf die Erkennung drohender Verwieklungen in der Tiefe ankommt0 im Auge behalten. Oft vermag man die Befunde sehon in der zweiten, stillen Phase der symptomatisehen Entwicklung zu erheben, wenn sieh diese entsprechend lange hinzieht. Mitunter fallen sie abet auch erst in die dritte Phase und auf diese Weise mit den pr~- monitorischen Hemmungen der symp~omatischen Resolutionskurve zusammen und bests auf diese Weise das, was man bereits aus dieser herausgelesen hat.

Die ganze i~bliche ,,Mastoiditisdiagnose" mit ihren Verwirrungen und Ttiuschungen ist bei dieser klinischen Betrachtungsweise entbehrlich geworden. ])as braucht nicht zu bedeuten, dal~ mail dem Warzenfortsatz iiberhaupt keine Beachtung mehr zu schenken br~ucht, so lange er sich nieht durch eine extracranielle I)urchbruchskomplikation yon selbst manifestiert. Man wird sich nur nicht auf die negativen Ergebnisse der Inspektion und Palpation verlassen und lediglich die positiven Be- funde, deutliche Schmerzhaftigkeit und Schwellung fiber dem Planum mastoideum und unterhalb der Spitze, riehtig werten und den iibrigen diagnostischen Ergebnissen erg4nzend hinzuffigen.

fl) Die Warzen/ortsatzvergleiehsau/nahme im RSntgenbild ist eine diagnostische Hilfsmethode, welehe unter Umst/~nden bei der Uber- brfickung der symptomatischen Leere in komplizierten F/~llen mit 1/~nger sich hinziehender zweiter Phase praktisch sehr gute I)ienste leisten kann. Mit ihrer Hilfe gelingt es dann nicht nur, beginnende und fortsehreitende Einschmelzungsherde in dem lateralen Abschnitt des paratympanalen pneumatischen Systems frfihzeitig aufzudecken; aueh Einschmelzungs- herde in der Tiefe der l~egio petrosa und im medialsten Abschnitt dieses

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Gebietes k6nnen auf diesem Wege erkunnt und lokulisiert werden (Pyra- midenspitzeneiterung).

Die yon dem verwirrenden Mastoiditisbegri][ be/reite Diugnostik ist einfueh und bei entspreehender l~bung, Erfahrung und Aufmerksamkeit in der Erftillung der diagnostisehen Aufgaben leistungsf/~hig genug. Und die ,,Latenz" vorhundener Komplikationen wird fiir den, der sieh der gegebenen diagnostisehen Handhuben zu bedienen weift, in der Regel nicht lunge dauern.

Nur die Feststellung, wo bei der schleiehenden Form der akuten Otitis media die Einsehmelzung sieh entwiekelt und fortsehreitet, ist in der zweiten und dritten Phase des Krankheitsverluufs oft nieht mSg- lich, wenn es sich um einen tiefsitzenden Herd in der Regio peritubaria oder petrosa hundelt. Denn das R6ntgenbild ist hier durchaus nicht immer aufsehluftreich und beweisend. Praktiseh genfigt es ju aber uuch in diesen F/~llen zu erkennen, daft fiberhaupt eine Komplikation vorliegt. Alles weitere erledig~ sieh in Zweifelsf/~llen aus dem Operationsbefund, der die Diagnose entspreehend erg/~nzt. Ftir den Allgemeinpruktiker jedenfulls ist immer ullein mit Hilfe der symptomutisehen Kurven die MSglichkeit gegeben, unkomplizierte und komplizierte Otitiden vonein- under zu unterscheiden und letztere reehtzeitig dem Facharzt zuzu- sehieken, so/ern er es nut unterlgflt, das Symptomenbild dutch thera- ~eutische Beeinflussung zu verkiinsteln und zu tarnen. In dieser Hinsicht spielt al]erdings die weitverbreitete Verwendung yon Aspirin und anderen antipyretisehen und unalgetischen Medikumenten eine fiberaus uner-' freuliehe und oft verh/~ngsnisvolle Rolle.

I I I . Therapie der akuten Mittelohrentzi~ndung.

Die Aufgaben der Therapie bei akuten Mittelohrentziindungen be- stehen darin, dab tiberall, w o e s mSglieh ist, durch Unterstiitzung der beiden Heilfaktoren: Entlastung und Resorption, eine Restitutio ad integrum herbeigeftihrt wird, und daft iiberall, wo dies nicht m5glich ist, dureh reehtzeitige Operation ein heilungsf/~higer Zustand hergestellt und vorhandene Lebensgefahr abgewendet wird.

Da die akute Otitis media eine Infektion and Entzfindung darstellt, die sich in der l~egel auf den zustg, ndigen Krankheitsraum besehr/~nkt und in zyklischem Ablauf zur Restitutio ad integrum fiihrt, so ist bei zweckm/~ftiger Behandlung das Heilungsresultat meistens ein gfinstiges. Es gibt auch sicher zahlreiche F~lle, deren Heilungsbereitschaft und Heflungsf~higkeit sogar allerlei therapeutische Unzweekm/~l]igkeiten vertr/~gt, ohne daft der giinstige Ablauf darunter leidet. Unter diesen Umst/~nden haben es ja diejenigen so leicht, welehe mit gfinstigen therapeutischen Statistiken die Gtite gewisser Hilfsmittel unter Beweis zu stellen bemiiht sind (z. B. Otulgan). Sie brauchen sieh auf

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ihre Erfolge nicht so viel einzubilden und kSnnen fiberzeugt sein, dal~ alle ihre Heilungen bestimmt auch ohne ihre Medikamente eingetreten wgren.

Alle Mittel, welche de r Entlastung und der Resorption dienen, sind gut und zweckmg~ig. Dazu geh6rt ebensowohl die WSrme- wie die K~ilte. behandlung and vor allen Dingen die Parazentese. Diese ist als souvergnes Mittel zur Entlastung und Erleiehterung bei heftigen Sehmerzen und hohem Fieber grundsgtzlich iiberall anerkannt. Wenn die einen spar- samer, die anderen weniger sparsam damit umgehen, so liegt das an den jewefls vorhandenen, durch Erfahrung festgestellten, giinstigen oder ungiinstigen epidemiologischen Verhgltnissen des Behandlungsortes, unter denen der eine hgufiger, der andere weniger h~ufig au_f einen gut- artigen oder bSsartigen Charakter der Otitis zu rechnen berechtigt und gewohnt ist.

Jedenfalls ist die Parazentese entweder nStig, oder sie ist nicht nStig, was der Faeharzt oder :Fachkliniker im Einzelfall zu entscheiden hat. Ist sie abet n6tig, dann gibt es ]~einen Ersatz da/i~r, und alles, was in der Literatur und in therapeutischen Anpreisungen Yon Ersatz/i~r Parazentese ge/abelt wird, ist lllusion und Tguschung (Otalgan). Wer also Eintrgu- felungen irgendweleher Art zur Behandlung empfiehlt und ~ anwendet, daft das nur unter wohliiberlegtem und w0hlbegriindetem Verzicht auf Parazentese tun 1 .

Als unzweckmgl3ig flit die Behandlung akuter Mittelohrentziindungen rand solche Mittel abzulehnen, welche geeignet sind, das tympanale Entzfindungsgebiet zu irritieren und damit seine Rfiekbildung zu stSren. Es sind dies das Wassersto//superoxyd, als Mittel zum Ausspi~len, und das Politzern. Vor allem muB auch vor Anwendung yon Fiebermitteln (Aspirin, Pyramidon u. dgl.) gewarnt werden, weil sie das symptomatische Bild ver/glschen und den Beobachter wichtiger diagnostischer AnhaItspunlcte berauben 1.

Jede komplizierte akute Mittelohrentziindung mul~ operiert werden (einfachevder erweiterte Antrotomie mit chirurgischen Zusatzmai~nahmen ). Der Zeitpunlct zur Operation ist in dem Augenblicke gegeben, woes sich herausstd!t, daft die Erlcranlcung den zust~indigen Kranl~heitsraum i&er- schritten und damit zu einem irreparablen oder gar lebensbedrohenden Zustand ge]i&rt hat 2 Sind die diagnostischen Ergebnisse in dieser Hin- sicht klar, so ist auch dis Indikationsstellung zum Eingreifen klar vor- geschrieben; sind sie es nicht, so ist auch die Indikationsstellung unsicher und zweifelhaft. Sind die Ergebnisse richtig, so ist aueh die Indikations- stetlung richtig; sind sie fatsch, so ist auch diese falsch. Die Indikations- stellung bei alcuter Mittelohrentzi~ndung ist demnach lceine selbstiindige

1 Siehe dieses 'Archiv Bd. 145, S. 216. - - 2 Meyer, Max. Passow-Schgfers Beitrgge 26, 1928.

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kl~nische Funktion, sondern sie wird diktiert von den Ergebnissen der Diagnose und ist yon diesen abhgngig.

An sieh ist natfirlieh jede chirurgische Indikationsstellung yon der Diagnose abh~ngig, welche die Grundlage dazu abgibt. Aber diese Ab- hi~ngigkeit ist sonst in den meisten F/illen begrenzt. Die letzte Ent- scheidnng fiber die MSglichkeit, Zweckms und Notwendigkeit der Operation, ergibt sieh aus den besonderen Erw~gungen der Indikations- stellung, der Gegenfiberstellung yon Krankheitsgefahr, Opera~ionsgewinn und Operationsrisiko. So bedeute~ z.B. ein Pleuraempyem ffir viele Chirurgen noch lange keine Indikation zur Rippenresektion, weft ihnen in frischen Fi~llen das Operationsrisiko (Pneumothorax) zu grol] erscheint. Und aus demselben Grunde wird beispielwesie bei l~'eststellung einer eitrigen Appendicitis unter Umstiinden keine Appendektomie vorgenom- men, well die chirurgischen Erwiigungen das Operationsrisiko wegen Gefahr generalisierter Peritonitis zu groI3 erscheinen lassen.

Friiher war uueh bei der ukuten Otitis media die einsehr~nkende Selbst~ndigkeit. der Indikationsstellung recht bedeutend. So sah Schwartze ursprfinglieh in dem Vorhandensein einer Meningitis bei komplizierter akuter Mitte]ohrentziindung eine absolute Gegenanzeige. Die akute Lubyrinthitis wurde friiher aus Fureh$ vor einer Verschlimmerung und meningitischer Ausbreitung ebenfalls vielfuch als Anzeige gegen Operation gewertet. Es ist uuch noch gar nicht lange her, da9 in der Otologie der Stundpnnkt vertreten wnrde, dM~ die Feststellung einer einsehmelzenden akuten Mittelohrentzfindung nicht ohne weiteres die Anzeige zur Antrotomie abg~be, sofern sie nicht sehon unmittelbur lebens- bedrohenden Charakter habe (Labyrinthitis, Meningitis, Sinu~thrombose). Es sei besser, bei der einschmelzenden, sehleichenden Form der ukuten Otitis media mSglichst ]ange mit der Operation zu wurten, und man dfirfe auf eine gtinstigere und schnellere Heilung reehnen, wenn bei der Vor- nuhme der Operation bereits eine weitgehende Demarkation ein- getreten w~re.

Heute duff dieser Standpunkt u]s fiberwunden gelten. Das Vorhunden- sein oder Nichtvorhundensein einer Demarkation ist fiir die Heilung ganz gleichgiiltig. Es ist durum aneh gar nieht nStig, mit dem Eingriff zu zSgern, und ein Risiko dureh iiberraschendes Hinzutreten endoeranieller Verwieklungen ist nicht zff verantworten. Bei der komplizierten akuten Mitte]ohrentzfindung handelt es sich eben immer um einen Krankheits. zustund, dessen Ablauf uniibersehbur ist und aueh dann jeder Zeit mit vitalen Gefahren drohen kann, wenn diese kliniseh und pathologiseh- anatomisch bei der verzSgernden, sehleiehenden Form der Grenzfiber- schreitung im Augenblick noeh nich~ gegeben zu sein scheinen. Dem- gegeniiber ist die Gewahr fiir den beabsiehtigten therapeutischen Nutzen, den Operationsgewinn, bei entsprechender chirurgiseher Technik und Methodik in der Regel absolut sicher in Reehnung zu setzen und das

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Operationsrisiko als bedeutungslos zu veranschlagen. Unter diesen Umsti~nden gibt es heute keine Kontraindikation gegen die Vornahme der yon dem Einzelfall jeweils geforderten ehirurgischen Therapie bei komplizierter akuter Mittelohrentziindung, weder yon seiten der Otitis media selbst und der Art ihrer Komplikation, n0ch von seiten des Ge- samtorganismus und eines seiner Organgebiete. Die AbMingiglceit der Indilcationsstellung yon den diagnostischen Ergebnissen ist absolut, und nut die Operation ist rechtzeitig vorgenommen, die naeh Feststellung einer Komplilcation ohne ZSgern ausge/iihrt wird.

F. Sehlul~betraehtung. Die gegebene Darstellung der akuten Otitis media ohne ,,Mastoiditis"

muSte sich rnit dem Wesentlichen begnfigen, soweit es zur Kenn- zeichnung der neuen Betrachtungsweise nStig war. Vieles sonst Wich- tige ist deshalb nieht erwihnt, weft sieh in Hand- und Lehrbfiehern ausgiebige und ausreichende ErSrterungen dariiber linden, und weft es in seinem Bestand ur~d in seinem Werte fiir die Praxis dutch die ver- ~nderte Art der Betrachtung nicht beriihrt wird. Ich habe diese nunmehr schon seit Jahren in meiner Klinik in Unterricht, Ausbildung und Fort- bildung angewandt und reich immer mehr davon fiberzeugt, da$ dadurch das Verstindnis fiir die verwickelten pathologisch-anatomisehen und klinisehen Probleme bei der akuten Mittelohrentzfindung wesentlich erleiehter~ wird~ Und das ist es ja auch, worauf es in der Praxis hauptsichlieh ankommt. Deshalb wiinsche ich der Betrachtungsweise, welche die akute Mittelohrentziindung patho!ogisch-anatomisch and klinisch zu einer Einheit zusammenfa[~t, Eingang in die Faehliteratur und Praxis, bei Unterricht, fachlicher Ausbildung und ~rztlicher Fortbildung.