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Zentralblatt 03/2010, S. 14, 11.03.2010, 16:45, BWILF 1 Institut für Arbeitsmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin 2 Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik, Charité – Universitätsmedizin Berlin Die Arbeitsbelastungen und Arbeitszufriedenheit im Fach- bereich Gynäkologie und Geburtshilfe – eine Arbeitsanalyse Lisa Kloß 1 , Burghard F. Klapp 2 , David Quarcoo 1 , David A. Groneberg 1 , Stefanie Mache 1, 2 L. Kloß, B. F. Klapp, D. Quarcoo, D. A. Groneberg, S. Mache: Die Arbeitsbelastungen und Arbeitszufriedenheit im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe – eine Arbeitsanalyse. Zbl Arbeitsmed 60 (2010) 86–91 Schlüsselwörter: Arbeitsbelastungen – Tätigkeitsanalyse – Arbeitszufriedenheit Zusammenfassung Im medizinischen Sektor gibt es immer mehr Fortschritte im Bereich der Diagnostik und Therapiemöglichkeiten. Moderne Informationstechnologien ermöglichen es dem Patienten, sich der Veränderungen im Gesundheitssystem und der verbesserten Versorgungsmöglichkeiten bewusst zu werden. Auf der anderen Seite sieht sich der Arzt einer Limitierung seines Handlungs- spielraums auf das rein medizinisch Notwendige und Bezahlbare ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund zeigen epidemiologische Daten eine gesundheitliche Gefährdung von Ärzten besonders im psychosozialen Bereich. Ziel dieser Untersuchung war daher die Erstellung eines Tätigkeitsprofils im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe, die Analyse der ärztlichen Arbeitszufriedenheit und die Identifizierung von psychosozialen Risikofaktoren im berufsbezogenen Verhalten und Erleben von Ärztinnen und Ärzten. Die Stressoren eines Assistenzarztes/-ärztin können situational, personal oder professionell sein. Situationale Stressoren beinhalten die Arbeitsbelastung durch häufig wechselnde Tätigkeiten oder Unterbrechungen und eine hohe Patientenanzahl. Diese Aspekte ärztlicher Tätigkeiten wurden anhand eines Handcomputers erfasst. An drei unterschied- lichen Wochentagen wurden 20 Gynäkologinnen und Gynäkologen aus vier Krankenhäusern begleitet. Personale Stressoren hingegen können der Konflikt zwischen Arbeits- und Familienleben, geringe Selbstwirksamkeit oder eingeschränkte Autonomie sein. 30 Ärztinnen und Ärzten wurde ein Fragebogen zur Arbeitszufriedenheit, zur psychosozialen Situation, der Selbstwirksamkeit und Resilienz sowie der Zufriedenheit mit arbeitsbezogenen Ressourcen vorgelegt. Anhand von statistischen Analysen wurde die Korrelation von ausgewählten Einflussgrößen und ärztlicher Arbeitszufriedenheit untersucht und Mittelwerte miteinander verglichen. Professionelle Stressoren beinhalten unter anderem die ethische Belastung durch die Verantwortung für die Patienten. Wie Ärzte diese Stressoren bewerten, unterliegt spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen. Nach bisherigen Studien sind besonders Ärztinnen und Ärzte hohen professionalen Stressoren ausgesetzt. Work stress and physicians’ satisfaction – a work task analysis in obstetrics and gynecology L. Kloß, B. F. Klapp, D. Quarcoo, D. A. Groneberg, S. Mache: Work stress and physicians’ satisfaction – a work task analysis in obstetrics and gynecology. Zbl Arbeitsmed 60 (2010) 86–91 Key words: work stress – task analysis – physicians’ work flow Abstract Over the past few years the numbers of German physicians choosing to work abroad or leaving the medical profession have been growing. Main reasons for physicians’ dissatisfaction are the current system of monetary and non-monetary incentives during residency and the subsequent workload. The aim of this study was to monitor the workflow of German obstetrician-gynecologists (OB/GYN) through an objective, computer-based task analysis. In addition several psycho-social values determining work satisfaction were assessed through a questionnaire. The results of OB/Gyns in Universities and those who work in privat/municipal hospitals were compared. Furthermore the impact of quantified workload on junior physicians’ worksatisfaction was analyzed. This study represents one of the few studies that investigate the effect of hospital ownership on physicians work situation. The findings provide an informative basis to find solutions improving physicians’ work at German hospitals. Anschrift der Autoren: Lisa Kloß 1 Burghard F. Klapp 2 D. Quarcoo 1 David A. Groneberg 1 Stefanie Mache 1, 2 1 Institut für Arbeitsmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin Thielallee 69–73 14195 Berlin Deutschland 2 Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik, Charité – Universitätsmedizin Berlin Luisenstraße 13a 10117 Berlin Deutschland 86 Originalarbeit: Arbeitsbelastungen und Arbeitszufriedenheit in Gynäkologie und Geburtshilfe

Die Arbeitsbelastungen und Arbeitszufriedenheit im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe — eine Arbeitsanalyse

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Zentralblatt 03/2010, S. 14, 11.03.2010, 16:45, BWILF

1 Institut für Arbeitsmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin 2 Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Die Arbeitsbelastungen und Arbeitszufriedenheit im Fach-bereich Gynäkologie und Geburtshilfe – eine Arbeitsanalyse Lisa Kloß1, Burghard F. Klapp2, David Quarcoo1, David A. Groneberg1, Stefanie Mache1, 2

L. Kloß, B. F. Klapp, D. Quarcoo, D. A. Groneberg, S. Mache: Die Arbeitsbelastungen und Arbeitszufriedenheit im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe – eine Arbeitsanalyse. Zbl Arbeitsmed 60 (2010) 86–91

Schlüsselwörter: Arbeitsbelastungen – Tätigkeitsanalyse – Arbeitszufriedenheit Zusammenfassung Im medizinischen Sektor gibt es immer mehr Fortschritte im Bereich der Diagnostik und Therapiemöglichkeiten. Moderne

Informationstechnologien ermöglichen es dem Patienten, sich der Veränderungen im Gesundheitssystem und der verbesserten Versorgungsmöglichkeiten bewusst zu werden. Auf der anderen Seite sieht sich der Arzt einer Limitierung seines Handlungs-spielraums auf das rein medizinisch Notwendige und Bezahlbare ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund zeigen epidemiologische Daten eine gesundheitliche Gefährdung von Ärzten besonders im psychosozialen Bereich.

Ziel dieser Untersuchung war daher die Erstellung eines Tätigkeitsprofils im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe, die Analyse der ärztlichen Arbeitszufriedenheit und die Identifizierung von psychosozialen Risikofaktoren im berufsbezogenen Verhalten und Erleben von Ärztinnen und Ärzten.

Die Stressoren eines Assistenzarztes/-ärztin können situational, personal oder professionell sein. Situationale Stressoren beinhalten die Arbeitsbelastung durch häufig wechselnde Tätigkeiten oder Unterbrechungen und eine

hohe Patientenanzahl. Diese Aspekte ärztlicher Tätigkeiten wurden anhand eines Handcomputers erfasst. An drei unterschied-lichen Wochentagen wurden 20 Gynäkologinnen und Gynäkologen aus vier Krankenhäusern begleitet.

Personale Stressoren hingegen können der Konflikt zwischen Arbeits- und Familienleben, geringe Selbstwirksamkeit oder eingeschränkte Autonomie sein. 30 Ärztinnen und Ärzten wurde ein Fragebogen zur Arbeitszufriedenheit, zur psychosozialen Situation, der Selbstwirksamkeit und Resilienz sowie der Zufriedenheit mit arbeitsbezogenen Ressourcen vorgelegt. Anhand von statistischen Analysen wurde die Korrelation von ausgewählten Einflussgrößen und ärztlicher Arbeitszufriedenheit untersucht und Mittelwerte miteinander verglichen. Professionelle Stressoren beinhalten unter anderem die ethische Belastung durch die Verantwortung für die Patienten.

Wie Ärzte diese Stressoren bewerten, unterliegt spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen. Nach bisherigen Studien sind besonders Ärztinnen und Ärzte hohen professionalen Stressoren ausgesetzt.

Work stress and physicians’ satisfaction – a work task analysis in obstetrics and gynecology

L. Kloß, B. F. Klapp, D. Quarcoo, D. A. Groneberg, S. Mache: Work stress and physicians’ satisfaction – a work task analysis in obstetrics and gynecology. Zbl Arbeitsmed 60 (2010) 86–91

Key words: work stress – task analysis – physicians’ work flow Abstract Over the past few years the numbers of German physicians choosing to work abroad or leaving the medical profession have

been growing. Main reasons for physicians’ dissatisfaction are the current system of monetary and non-monetary incentives during residency and the subsequent workload.

The aim of this study was to monitor the workflow of German obstetrician-gynecologists (OB/GYN) through an objective, computer-based task analysis. In addition several psycho-social values determining work satisfaction were assessed through a questionnaire. The results of OB/Gyns in Universities and those who work in privat/municipal hospitals were compared. Furthermore the impact of quantified workload on junior physicians’ worksatisfaction was analyzed.

This study represents one of the few studies that investigate the effect of hospital ownership on physicians work situation. The findings provide an informative basis to find solutions improving physicians’ work at German hospitals.

Anschrift der Autoren:

Lisa Kloß1 ■ Burghard F. Klapp2 ■ D. Quarcoo1 ■ David A. Groneberg1 ■ Stefanie Mache1, 2 1 Institut für Arbeitsmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin ■ Thielallee 69–73 ■ 14195 Berlin ■ Deutschland 2Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik, Charité – Universitätsmedizin Berlin ■ Luisenstraße 13a ■ 10117 Berlin ■ Deutschland

86 Originalarbeit: Arbeitsbelastungen und Arbeitszufriedenheit in Gynäkologie und Geburtshilfe

Zentralblatt 03/2010, S. 15, 11.03.2010, 16:45, BWILF

Die Ergebnisse der über 564:35:56 Std. durchgeführten Tätigkeitsanalyse deckten ernsthafte Defizite der Arbeits-bedingungen unter Gynäkologen auf. Die meiste Zeit wurde auf administrati-ve Tätigkeiten verwendet. Die beobach-teten Ärztinnen und Ärzte mussten viel-fach mehrere Aktivitäten parallel durch-führen.

Multitasking und häufige Unterbre-chungen stellen wichtige Fehlerquellen im medizinischen Alltag dar. Während des Beobachtungszeitraums wurden die Ärztinnen und Ärzte 15.92 mal am Tag unterbrochen. Am häufigsten erfolgten diese Unterbrechungen durch das Pflege-personal und das Telefon.

Der Vergleich von universitärer und privat-kommunaler Trägerschaft zeigte signifikante Unterschiede in der Ar-beitszeit, der Unterbrechungsrate und der Telefonanrufe.

Die ärztliche Arbeitszufriedenheit zeigte einen Mittelwert von 60.10. Es konnten signifikante Korrelationen der Arbeitszufriedenheit zur Lebenszufrie-denheit und dem Gesundheitszustand des Arztes/der Ärztin gefunden werden. Unter den Ergebnissen der vorliegenden Studie imponiert weiterhin die signifi-kante Korrelation zwischen dem medizi-nischen Entscheidungsspielraum, Selbst-wirksamkeit, Optimismus und Arbeits-zufriedenheit sowie der Zufriedenheit mit der personellen Ausstattung und der Arbeitszufriedenheit. Dagegen zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Arbeitszufriedenheit und quantitativen Anforderungen, der Patien-tenanzahl bzw. den Ergebnissen aus der Tätigkeitsanalyse. Weiterhin ergab sich kein signifikanter Zusammenhang zwi-schen der Arbeitszufriedenheit und der Krankenhausträgerschaft.

Diese Studie konnte die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen bestätigen, nach denen Ärzte/Ärztinnen, die über positive Copingstrategien verfügen, mit ihrer Arbeit zufriedener sind. Ärztliche Arbeitszufriedenheit erscheint somit nicht eindimensional beeinflussbar durch die Trägerschaft oder administrative Arbeits-beanspruchungen, vielmehr existieren zahlreiche Einflussgrößen wie Autono -mie, Selbstwirksamkeit, Optimismus und andere Persönlichkeitsmerkmale.

Die ärztliche Zufriedenheit korreliert nicht nur mit der persönlichen Gesund-heit des Arztes, sondern auch mit der Patientenzufriedenheit, der Compliance des Patienten und dementsprechend auch mit der Patientengesundheit.

Die ärztliche Zeit sollte eine wichtige Ressource darstellen. So könnte man sich viel mehr der Frage widmen, wie man die Zeit entsprechend den Bedürfnissen des Patienten am besten nutzen kann.

Aktuelle Situation

Die Situation in den Krankenhäusern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. An die Stelle von tagesglei-chen pauschalisierten Pflegesätzen sind Fallpauschalen, Sonderentgelte, Abtei-lungspflegesätze und Basispflegesätze getreten (Henke 2007). Über die Quali-tät eines Krankenhauses entscheidet derzeit vor allem ein gutes Management, die Motivation und Kompetenz der Mit-arbeiter, die Arbeitseffektivität und nicht zuletzt der Zuspruch der Patienten (Henke 2007). Zunehmende Verdich-tung und Intensivierung der ärztlichen Arbeit sind die Folge (Henke 2007).

Hoher Stress am Arbeitsplatz und zu-nehmende Arbeitsunzufriedenheit wirken sich auch negativ auf das Arzt-Patien-ten-Verhältnis aus (Levinson et al. 1997;

McMurray et al. 2000; Morrell et al. 1986; Murray et al. 2001). Der Erfolg ärztlicher Bemühungen hängt entschei-dend davon ab, ob das ärztliche Handeln nach der menschlichen Individualität – im Sinne eines fundierten Vertrauens-verhältnisses – ausgerichtet ist (Reich 2008). Kann dies unter Zeitdruck nicht gewährleistet werden, sinkt die Com -pliance des Patienten oder die Patienten werden nur suboptimal behandelt (Kopetsch 2004; Shanafelt et al. 2002).

Moderne Informationstechnologien er-möglichen es dem Patienten, sich der Veränderungen im Gesundheitssystem und der verbesserten Versorgungsmög-lichkeiten bewusst zu werden. Auf der anderen Seite sieht sich der Arzt einer Limitierung seines Handlungsspielraums auf das rein medizinisch Notwendige und Bezahlbare ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund zeigen epidemiologische Daten eine gesundheitliche Gefährdung von Ärzten besonders im psychosozia-len Bereich.

Diesem Thema widmeten sich in den vergangenen Jahren viele Studien (Budde -berg-Fischer et al. 2005; Buddeberg- Fischer et al. 2008; Cohen & Patten 2005; Collier et al. 2002; Janus et al. 2007; Landon et al. 2003; Levey 2001; Rovik et al. 2007).

Allen Untersuchungen gemeinsam ist, dass erhöhter Arbeitsstress bedingt durch Zeitmangel, geringen Handlungs- und Entscheidungsspielraum, mangel-hafte Teamarbeit und schlechte Füh-rungskultur mit erhöhter Depressivität und Burnout korreliert (Collier et al. 2002; Nilsson et al. 2005; Tyssen 2007). Janus et al. (2007) zeigten, dass Aspekte wie Autonomie, Sicherheit der Arbeits-stelle, administrative Arbeitsbelastung und gute kollegiale Beziehungen eine

The results revealed severe deficits in residents’ working conditions. Physicians’ role is predominantly administrative and clearly centered around indirect patient care such as writing a discharge letter or charting. Only a short time is spent on direct patient treatment. The workflow turned out to be very chaotic. Physicians must multitask and manage tasks despite frequent interruptions. All of these factors can lead to increased stress at work as residents are pressed for time and forced to work longer working hours. Reorganization of job tasks and administrative duties would be required to decrease medical workload.

According to our results the means of work satisfaction did not differ significantly between the different hospital ownership types. There were found significant correlations between work satisfaction and life satisfaction, scope for decision-making, self-efficacy, optimism and satisfaction with the work environment. These findings suggest that physicians’ satisfaction depends less on hospital ownership and more on general work-characteristics. The importance of the interplay between psychosocial working conditions and residents’ job satisfaction was demonstrated.

Zbl Arbeitsmed 60 (2010) 86–91 87

Zentralblatt 03/2010, S. 16, 11.03.2010, 16:45, BWILF

größere Rolle in Bezug auf Arbeits-zufriedenheit als finanzielle Gesichts-punkte spielen (Janus et al. 2007).

Buddenberg-Fischer et al. (2005) zeig-ten in einer prospektiv angelegten Kohor-tenstudie, dass bei Berufsanfängern und -anfängerinnen die Lebenszufriedenheit innerhalb des ersten Jahres signifikant absinkt. 7–10% der Befragten beschrie-ben vermehrte Angst, 1–4% gaben erhöhte Depressionswerte an (Buddeberg-Fischer et al. 2008; Rockenbauch et al. 2006).

In Anbetracht der aktuellen gesund-heitspolitischen Situation ist es notwen-dig, sich ein klares, vorurteilsloses Bild der tatsächlichen Belastung der Ärztin-nen und Ärzte im täglichen Alltag zu ver-schaffen. Dies gilt insbesondere, da es in Deutschland dazu nur sehr lückenhaft Daten gibt (Buddeberg-Fischer et al. 2005).

In Anlehnung an die Untersuchungen von Mache und Groneberg (2009) mit dem Titel „Medical Work Assessment in German hospitals: a Real-time observa -tion study (MAGRO)“ wurde eine Arbeits -analyse im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe durchgeführt (Mache & Groneberg 2009; Kloss et al. 2009).

Ziel dieser Untersuchung war die Er-stellung eines Tätigkeitsprofils im Fach-bereich Gynäkologie und Geburtshilfe, die Analyse ihrer Arbeitszufriedenheit und die Identifizierung von psychoso -zialen Risikofaktoren im berufsbezoge-nen Verhalten und Erleben von Ärztin-nen und Ärzten.

Methodik

Zunächst sollte eine objektive Tätig-keitsanalyse durchgeführt werden. Dazu wurden im Zeitraum von Oktober 2008 bis Februar 2009 an drei unterschiedli-chen Wochentagen 20 Gynäkologinnen und Gynäkologen während ihres gesam-ten Arbeitstages begleitet. Unter Be-rücksichtigung der strukturellen Eigen-schaften der Krankenhäuser wurden Ärztinnen und Ärzte aus vier verschie-denen Krankenhäusern ausgewählt. Die Kennzahlen der Krankenhäuser lassen sich in Tabelle 1, die demographischen Daten der Ärzte in Tabelle 2 nachverfol-gen (siehe Tabelle 1, 2).

Die Arbeitsabläufe der Ärztinnen und Ärzte wurden anhand eines Erfassungs-gerätes (Ultra Mobile PC) und vorher

definierten Tätigkeitsbeschreibungen ob-jektiv erfasst. Man gewann so Erkennt-nisse über Belastung aus Arbeitsaufga-be, Arbeitsorganisation und Arbeits-umgebung. Anhand einer speziell zu diesem Zweck entwickelten Software konnten spezifische Haupt- und Neben-tätigkeiten einem genauen Zeitwert zu-geordnet werden. Um sicher zu gehen, dass alle auftretenden gynäkologischen Tätigkeiten erfassbar sind, wurden an mehreren Tagen Testbegleitungen mit erfahrenen Ärztinnen und Ärzten sowie Internetrecherchen durchgeführt. Des Weiteren wurden die Tätigkeitskatego-rien auch mit Gynäkologinnen/Gynäko-

logen besprochen. Es musste sicher ge-stellt werden, dass alle Teilbereiche der Gynäkologie, von gynäkologischen Ope-rationen und Geburtshilfe über Sprech-stunden und Schwangerenbetreuung bis hin zur Visite, Aufnahmen und alle für den Arzt/die Ärztin anfallenden admi-nistrativen Aufgaben abgedeckt wurden und somit im Zeiterfassungsprogramm aufgenommen werden konnten.

So wurden für den Bereich der Gynä-kologie und Geburtshilfe folgende 17 Hauptkategorien definiert: Visite, Auf-nahme, Besprechung, Ärztliches Ge-spräch, Operation, Schwangerenbetreu-ung, gynäkologische Diagnostik, Tätig-

Tabelle 1: Kennzahlen der Krankenhäuser (Kh)

Table 1: Characteristics of the hospitals participating in the study

Kh 1 Kh 2 Kh 3 Kh 4

Anzahl der Patienten pro Jahr 5199 6500 4880 7200

Anzahl der Ärztinnen und Ärzte insgesamt 16 16 26 35

Anzahl der Assistenzärzte/-innen 4 5 6 6

Anzahl der Betten auf den Stationen 52 55 70 75

Tabelle 2: Demographische Daten der begleiteten Ärzte

Table 2: Demographic characteristics of all physicians

Probanden mit Zeiterfassung und Fragebogen (n = 20)

Geburtsjahr

1950–1960 –

1961–1970 –

1975–1970 5 (25%)

1976–1980 13 (65%)

1981–1985 2 (10%)

Erfahrung

< 1 Jahr 1 (5%)

1–2 Jahre 7 (35%)

3–5 Jahre 6 (30%)

> 5 Jahre 6 (30%)

Stellung

Assistenzarzt 14 (70%)

Facharzt 6 (30%)

Oberarzt –

Probanden, die nur Frage bogen ausgefüllt haben (n = 10)

1 (10%)

1 (10%)

7 (70%)

1 (10%)

1 (10%)

3 (30%)

1 (10%)

5 (50%)

5 (50%)

2 (20%)

3 (30%)

88 Original article: Work stress and physicians' satisfaction in obstetrics and gynecology

Zentralblatt 03/2010, S. 17, 11.03.2010, 16:45, BWILF

keit am Patienten, Sonstiges, Weg, Pau-se, Supervision, Soziale Unterstützung, Forschen, Lehre und Regulationshinder-nisse. Diese Hauptkategorien wurden in weitere 122 Tätigkeiten untergliedert. Zudem konnten Unterbrechungen durch medizinisches Personal, Ärztinnen/Ärz-te, Angehörige, Patienten, Studenten, Telefon und durch „Sonstiges“ aufge -nommen werden.

30 Ärztinnen und Ärzte erhielten wäh -rend der Datenerfassung einen Ge samt -frage bogen zur persönlichen Einschätzung ihrer Arbeits- und Belastungssituation. In dieser subjektiven Belastungsanalyse kommen neben dem Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ) (Kirstensen, Borg 2000) auch psycho-metrische Skalen aus dem Tätigkeits- und Analyseverfahren für das Kranken-haus (TAA-KH) nach Büssing zum Einsatz (Büssing 2002), sowie Bestand-teile des Selbstwirksamkeit-Optimismus- Pessi mismus-Fragebogens (SWOP; Schumacher et al. 2005) und der Brief Resilient Coping Scale (BRCS; Sinclair und Watson 2004). Somit fanden unter anderem Skalen zur Arbeitszufrieden-heit, Lebenszufriedenheit, Gesundheits-zustand, Entscheidungsspielraum und Entwicklungsmöglichkeiten in diesem Gesamtfragebogen Anwendung.

Alle gemessenen Zeiten wurden in mehreren Excel-Tabellen zusammenge-fasst und überprüft. Die Durchschnitts-werte der gemessenen Zeiten für die ver-schiedenen Bereiche wurden berechnet. Die deskriptive Analyse und die statisti-schen Berechnungen erfolgten anhand von SPSS 17.0 für Windows®.

Zunächst wurden die Daten der Frage -bögen und der objektiven Arbeitsanalyse auf Normalverteilung untersucht. Konn-te statistisch anhand des Kolmogorov-Smirnov-Tests eine hinreichende Nor-malverteilung nachgewiesen werden, wurde für vergleichende Analysen der T-Test (parametrisch) durchgeführt. Zur Analyse von Korrelationen wurde bei hinreichender Normalverteilung die Kor-relation nach Pearson angewendet. Konnte keine hinreichende Normalver-teilung nachgewiesen werden, wurden für vergleichende statistische Berech-nungen der Wilcoxon-Test (non-para-metrisch) verwendet. Für Korrelations-

berechnungen wurde bei nicht normal verteilten Daten der Test nach Spearman genutzt. Bei allen statistischen Berech-nungen wurden p-Werte < .05 als sig-nifikant angenommen. Die Ergebnisse der Fragebögen erfolgten auf einer Pro-zentskala von 0 bis 100%.

Diagramme und Schaubilder wurden mit Hilfe von Microsoft Excel 2000® er-stellt.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der über 564:35:56 Std. durchgeführten Tätigkeitsanalyse deckten ernsthafte Defizite der Arbeits-bedingungen der Gynäkologen auf. Die Gesamtdauer eines Arbeitstages betrug im Durchschnitt 9:24:35 Std. (SD = 1:05:06 Std.). Das Maximum lag bei 12:52:02 Std. und das Minimum bei 8:02:37 Std. In Bezug auf die durch-schnittliche Arbeitszeit pro Tag ergab sich ein signifikanter Unterschied zwi-schen den verglichenen Trägerschaften (T = –3.20, p = .005).

Dieses Ergebnis erlaubt die Aussage, dass Gynäkologen und Geburtshelfer

in einer Universitätsklinik signifikant länger arbeiten als diejenigen in einer privat-kommunalen Klinik (siehe Ab -bildung 1).

Die meiste Zeit wurde auf indirekte Patientenarbeit verwendet, welche ad-ministrative Tätigkeiten beinhaltet. Die ärztlichen Handlungen bezogen sich signifikant weniger auf direkte Patien-tenbetreuung (siehe Abbildung 2).

Die beobachteten Ärztinnen und Ärz-te mussten vielfach mehrere Aktivitäten parallel durchführen. Multitasking und häufige Unterbrechungen stellen wich-tige Fehlerquellen im medizinischen Alltag dar. Während des Beobachtungs-zeitraums wurden die Ärzte 15.92 mal am Tag unterbrochen. Am häufigsten er-folgten diese Unterbrechungen durch das Pflegepersonal und das Telefon.

Der Vergleich von universitärer und privat-kommunaler Trägerschaft erwies signifikante Unterschiede in der der Un-terbrechungsrate und der Telefonanrufe. So wurde in den untersuchten Uniklini-ken signifikant mehr durch das Telefon unterbrochen (T = –2.76; p = .019). Im

Abbildung 1: Dauer eines durchschnittlichen Arbeitstages nach Trägerschaft

Figure 1: Mean duration of a work day of OB/Gyns in Universities and in privat/municipal hospitals

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Vergleich der Trägerschaften zeigte sich weiterhin, dass die Ärztinnen und Ärzte der Unikliniken insgesamt signifikant mehr telefonieren als die Ärztinnen und Ärzte einer privat-kommunalen Klinik (263 vs. 528) (T = – 4.23; p = .001).

Die ärztliche Arbeitszufriedenheit zeigte einen Mittelwert von 60.10%. Es konnten signifikante Korrelationen der Arbeitszufriedenheit zur Lebenszufrie-denheit und dem Gesundheitszustand des Arztes/der Ärztin gefunden werden (siehe Abbildung 3).

Unter den Ergebnissen der vorliegen-den Studie imponiert weiterhin die sig-nifikante Korrelation zwischen dem medizinischen Entscheidungsspielraum, Selbstwirksamkeit, Optimismus und Ar-beitszufriedenheit sowie der Zufrieden-heit mit der personellen Ausstattung und der Arbeitszufriedenheit. Dagegen zeig-te sich kein signifikanter Zusammen-hang zwischen der Arbeitszufriedenheit und quantitativen Anforderungen, der Patientenanzahl. Weiterhin konnte keine signifikante Korrelation zwischen der Arbeitszufriedenheit und den Ergebnis-sen aus der Tätigkeitsanalyse wie Arbeits-zeiten, Multitaskingrate, Unterbrechun-gen oder administrativer Arbeitsaufwand gezeigt werden.

Der Vergleich der Arbeitszufrieden-heit nach der Krankenhausträgerschaft ergab keinen signifikanten Unterschied.

Lösungsansätze Aus den Ergebnissen dieser Studie

lassen sich Lösungsansätze in Anleh-nung an die Daten von Volpp et al. ent-wickeln (Volpp & Grande 2003). Um die Anzahl der Unterbrechungen zu ver -

ringern und dadurch mögliche Fehler zu verhindern, könnten so genannte Pager Verwendung finden. Die Ausstattung je-des Arztes/jeder Ärztin mit solch einem Funkrufempfänger könnte den Informa -tionsfluss innerhalb eines Kranken -hauses beschleunigen und vereinfachen (Volpp & Grande 2003). Daneben be-tonten auch weitere Autoren die Not-wendigkeit, Computer basierte Orga -nisationssysteme einzuführen (Mache et al. 2008). Diese medizinische Tech-nologie könnte den täglichen Arbeits-fluss erleichtern, indem standardisierte Vorgehensweisen bezüglich verschiede-nerer Patientenfälle vorgegeben werden, Medikationen empfohlen werden und unter Umständen auf Nebenwirkungen hingewiesen wird (Volpp & Grande 2003). Eine Zeitersparnis könnte es Ärztinnen und Ärzten ermöglichen, mehr Zeit in direktem Patientenkontakt zu verbringen. Zahlreiche Studien be-wiesen, dass ein mangelhafter Arzt- Patientenkontakt die Compliance der Patienten einerseits, andererseits aber auch die Zufriedenheit und den Gesund -heits status der Ärztinnen und Ärzte

Abbildung 3: Gesundheitszustand, Arbeits- und Lebenszufriedenheit

Figure 3: State of health, life and work satisfaction

Abbildung 2: Prozentuale Verteilung der Tätigkeitsfelder

Figure 2: Distribution of the activity fields

90 Originalarbeit: Arbeitsbelastungen und Arbeitszufriedenheit in Gynäkologie und Geburtshilfe

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deutlich beeinträchtigt (Hauser & Schwebius 1999).

Um fundierter Aussagen über Lö-sungsmöglichkeiten zu treffen, sind wei-tere Studien notwendig. Hierbei sollten die Meinungen von Spezialisten im Bereich des politischen Gesundheits -we sens, des Qualitätsmanagements so-wie die Ansichten von Ärztinnen und Ärzten zusammengeführt werden.

Schlussfolgerung

Diese Studie konnte die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen bestätigen, nach denen Ärzte/Ärztinnen, die über positive Copingstrategien verfügen, mit ihrer Arbeit zufriedener sind. Ärztliche Arbeitszufriedenheit erscheint somit nicht eindimensional beeinflussbar durch die Trägerschaft oder administrative Arbeits-beanspruchungen, vielmehr existieren zahlreiche Einflussgrößen wie Autono -mie, Selbstwirksamkeit, Optimismus und andere Persönlichkeitsmerkmale.

Die Zufriedenheit unter Ärztinnen und Ärzten ist nicht nur für sie selbst von Bedeutung, sondern auch für das ge -samte öffentliche Gesundheitswesen. So korreliert ärztliche Zufriedenheit nicht nur mit der persönlichen Gesundheit, sondern auch mit der Patientenzufrie-denheit, der Compliance des Patienten und dementsprechend auch mit der Pa-tientengesundheit.

Die ärztliche Zeit sollte eine wichtige Ressource darstellen. So sollte man sich viel mehr der Frage widmen, wie man die Zeit entsprechend den Bedürfnissen des Patienten am besten nutzen kann.

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