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Naunyn-Schmiedeberg'sArch. exp. Path. u. Pharmak., Bd. 235, S. 360--364 (1959) Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Tübingen Die Bedeutung der 0xydation von Anilin zu Nitrosobenzol für die tIämiglobinbildung nach Aufnahme von Anilin in den 0rganismus Von MANFRED KIESE Mit 1 Textabbildung (Eingegangen am 10. November 1958) lm Blute von Hunden, denen Anilin i.v. injiziert worden war, haben wir Nitrosobenzol gefunden (KIEsE). Wir haben untersucht, ob das nach der Injektion von Anilin im Blut vorhandele Nitrosobenzol die nach der Anilin-Injektion beobachtete ttämiglobinbildung bewirken kann. Es hätte einer sehr großen Zahl von Versuchen bedurft, die -- von Minute zu Minute verschiedenen -- Infusionsgeschwindigkeiten zu finden, welche die gleichen Änderungen der Nitrosobenzolkonzentration im Blute bewirken, die nach i.v. Injektion von Anilin beobachtet wurden. Wir mußten uns darum darauf beschränken, solche gleichmäßigen Infusionen durchzuführen, die Nitrosobenzolkonzentrationen im Blute von der Größe der nach Anilin-Injektionbeobachteten so erzeugen, daß die Beziehung zwischen Nitrosobenzolkonzentration und Geschwindig- keit der Hämiglobinbildung ermittelt werden konnte. Versuche A. Methoden Hunde wurden durch i.v. Injektion von 0,05 g Chloralose -k 0,5 g Urethan je Kilogramm narkotisiert. Für die Dauerinfusion wurde wegen seiner schlechten Löslichkeit in Wasser nicht Nitrosobenzol, sondern das besser in Wasser lösliche Phenylhydroxylaminver- wendet. Da Phenylhydroxylamin im Blut sofort zu Nitrosobenzol oxydiert wird und beide Substanzen zum Kreisprozeß der H/~miglobinbildung gehören, war es gleich, welche der beiden infundiert wurde. Die Dauerinfusion von Phenylhydroxylamin erfolgte mit dem elektrisch getriebenen Ger/~t von Braun, Melsungen, in die Vene eines Vorderbeins. Blut zur Bestimmung von I-I/~miglobin, Gesamtblutfarbstoff, l~itrosobenzol und Anilin wurde der Vene eines Hinterbe/ns entnommen. }t/~miglobin, Nitrosobenzol und Anilin wurden wie in der vorigen Arbeit (KIEs~) bestimmt.

Die Bedeutung der Oxydation von Anilin zu Nitrosobenzol für die Hämiglobinbildung nach Aufnahme von Anilin in den Organismus

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Naunyn-Schmiedeberg's Arch. exp. Path. u. Pharmak., Bd. 235, S. 360--364 (1959)

Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Tübingen

Die Bedeutung der 0xydation von Anilin zu Nitrosobenzol für die tIämiglobinbildung nach Aufnahme von Anilin

in den 0rganismus

Von MANFRED KIESE

Mit 1 Textabbildung

(Eingegangen am 10. November 1958)

l m Blute von Hunden , denen Ani l in i.v. inj iziert worden war, haben wir Nitrosobenzol gefunden (KIEsE).

Wir haben untersucht , ob das nach der In jek t ion von Ani l in im Blu t v o r h a n d e l e Nitrosobenzol die nach der Ani l in - In jek t ion beobachtete t t ämig lob inb i ldung bewirken kann .

Es hä t te einer sehr großen Zahl von Versuchen bedurft , die - - von Minute zu Minute verschiedenen - - Infusionsgeschwindigkei ten zu finden, welche die gleichen Änderungen der Ni t rosobenzolkonzentra t ion im Blute bewirken, die nach i.v. In j ek t ion von Ani l in beobachtet wurden. Wir m u ß t e n uns da rum darauf beschränken, solche gleichmäßigen Infus ionen durchzuführen, die Ni t rosobenzolkonzentra t ionen im Blute von der Größe der nach Ani l in - In jek t ion beobachte ten so erzeugen, daß die Beziehung zwischen Ni t rosobenzolkonzentra t ion und Geschwindig- kei t der Hämig lob inb i ldung ermit te l t werden konnte .

Versuche

A. Methoden

Hunde wurden durch i.v. Injektion von 0,05 g Chloralose -k 0,5 g Urethan je Kilogramm narkotisiert.

Für die Dauerinfusion wurde wegen seiner schlechten Löslichkeit in Wasser nicht Nitrosobenzol, sondern das besser in Wasser lösliche Phenylhydroxylamin ver- wendet. Da Phenylhydroxylamin im Blut sofort zu Nitrosobenzol oxydiert wird und beide Substanzen zum Kreisprozeß der H/~miglobinbildung gehören, war es gleich, welche der beiden infundiert wurde.

Die Dauerinfusion von Phenylhydroxylamin erfolgte mit dem elektrisch getriebenen Ger/~t von Braun, Melsungen, in die Vene eines Vorderbeins.

Blut zur Bestimmung von I-I/~miglobin, Gesamtblutfarbstoff, l~itrosobenzol und Anilin wurde der Vene eines Hinterbe/ns entnommen.

}t/~miglobin, Nitrosobenzol und Anilin wurden wie in der vorigen Arbeit (KIEs~) bestimmt.

H£miglobinbildung nach Aufnahme von Anilin 361

Phenylhydroxylamin wurde nach UTZING~.R dargestellt. Zur i.v. Dauerinfusion wurde es in einer mit Stickstoff durchperlten 0,9°/0igen Natriumehlorid-Lösung gelöst. Diese wurde unter Ausschluß von Sauerstoff in die mit Stickstoff ausgespülte Infusionsspritze gegeben.

B. Ergebnisse Nach einigen Versuchen mit verschiedenen Geschwindigkeiten der

Infusion des Phenylhydroxylamins erwies sieh die Infusionsgesehwin- digkeit von 12 ~ Phenylhydroxylamin je Kilogramm und Minute für die Ermittlung der Beziehung zwischen Geschwindigkeit der Itämiglobin- bildung und der Konzentration des Nitrosobenzols im Blute bei den nach

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Abb. 1. H u n d 33,5 kg, weibl., in Chloralose-Urethan-Narkose . I . v . Dauer infus ion von 12 ~, Pheny l - h y d r o x y l a m i n je K i l o g r a m m und Minute ; Daue r der In fus ion 180 min . × iWitrosobenzol,

o Hämig lob in , -F Anil in

Injektion von Anilin beobachteten Nitrosobenzolkonzentrationen ge- eignet. Bei dieser Infusionsgeschwindigkeit stieg die Nitrosobenzol- konzentration nicht ganz so schnell an wie nach der i.v. Injektion von 72 mg Anilin je Kilogramm. Während schnellerer Iufusion wurde aber der für den Vergleich besonders wichtige Bereich der Konzentration von 0,6--0,8 9: Nitrosobenzol je MilHliter Blut so schnell überschritten, daß für diesen die Geschwindigkeit der Hämiglobinbildung nicht genau genug ermittelt werden konnte.

In der Abb. 1 sind die Ergebnisse eines Versuchs, bei dem einem Hunde 12 y Phenylhydroxylamin je Kilogramm und Minute infundiert wurden, wiedergegeben.

Die Nitrosobenzolkonzentration im Blute stieg im Laufe von 11/2 Std nach Beginn der Infusion -- zunächst schnell dann langsamer -- auf 1 y/tal an und änderte sich während der weiteren 11/2 Std nicht mehr. :Nach Beendigung der Infusion fiel die Nitrosobenzolkonzentration im Laufe von 15 min auf Werte unter 0,1 ~/ml ab.

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362 M. KIESE :

Die Geschwindigkeit der H/imiglobinbildung nahm mit der Konzen- t ra t ion des Nitrosobenzols zu. Nachdem die Nitrosobenzolkonzentration einen gleichbleibenden Wer t erreicht hatte, blieb die Geschwindigkeit der Hämiglobinbildung nicht konstant , sondern wurde mit steigender Hämiglobinkonzentrat ion - - und daher fallender H~moglobinkonzen- t ra t ion - - geringer.

Für den Vergleich der Geschwindigkeit der H£miglobinbildnng nach Injekt ion von Anilin und der bei Infusion von Phenylhydroxylamin wurde die Geschwindigkeit der H/imiglobinbildung im Bereich der Nitrosobenzolkonzentration von 0,6--0,8 7/ml ausgewertet. Dieser Bereich der Konzentrat ion des Nitrosobenzols wurde im Blute sowohl nach der i.v. Injekt ion von 72 mg Anilin je Kilogramm (KIEsE) als auch bei der Infusion von 127 Phenylhydroxylamin je Kilogramm und Minute schnell erreicht, in beiden F~llen etwa 20 min lang nicht über- oder unterschrit ten, und die Konzentrat ion des t tämiglobins war zu dieser Zeit noch gering. Die Zunahme der H~miglobinkonzentration in 10 min d - Hämiglobin

Gesamt-Blütfä.i.bstott ergab sieh bei Intusion von Phenyl-

hydroxylamin als Mittel aus Versuchen an 5 Hunden zu 0,05 ~ 0,003. Ans den Versuchen, in denen 72 mg Anilin je Kilogramm i.v. injiziert.

worden waren (KIEsE), wurde der entsprechende Wert - - ebenfalls als Mittel aus Versuchen an 5 Hunden - - zu 0,06 ~: 0,003 errechnet.

Diese Ergebnisse beweisen, daß die H/~miglobinbildung nach Auf- nahme von Anilin in den Organismus zum größten Teil, wenn nicht aus- schließlich, durch Nitrosobcnzol (Kreisprozeß Phenylhydroxylamin- Nitrosobenzol) bewirkt wird. Die Zahl unserer Versuche und deren Streuung erlauben nicht sicher zu entscheiden, ob die Geschwindigkeit der Hämiglobinbildung gleich oder etwas verschieden ist, wenn durch Infusion von Phenylhydroxylamin bzw. nach Injekt ion von Anilin die gleiche Konzentrat ion von Nitrosobenzol im Blut ist. Falls ein Teil des Hämiglobins durch ein oder mehrere andere biochemische Umsetzungs- produkte des Aniäns - - außer Phenylhydroxylamin und Nitrosobenzol - - gebildet wird, so sind diese noch unbekannt. Freies p-Aminophenol ist nach Injekt ion von Anilin im Blute nur in sehr geringer Konzentrat ion vorhanden (GRE]~NBERC U. LESTE~, KIESE). In Anbetracht seiner schwachen Wirkung und geringen Konzentrat ion ist sein Anteil an der Hämiglobinbildung ganz belanglos.

Die Messungen der Geschwindigkeit der H/~miglobinbildung in vivo bei Nitrosobenzolkonzentrationen von 0 ,6- -0 ,8~ je Milliliter Blut s t immten recht gut überein mit Messungen der Geschwindigkeit der Hämiglobinbildung in roten Zellen des Hundes in vitro durch KIESE, REINWEIN U. WALLER. Beim Vergleich der Daten ist zu berücksichtigen, daß den Versuchen in vivo die analytisch ermittelte Nitrosobenzol.

ttämiglobinbildung nach Aufnahme von Anilin 363

konzentration zugrunde liegt, während die in vitro durchgeführten Messungen auf zugesetztes Nitrosobenzol bezogen wurden. Unter Berücksichtigung der Erfahrung (HERR U. KIESE), daß dem Blute oder den Suspensionen roter Zellen zugesetztes Nitrosobenzol von unserer Best immungsmethode nicht vollständig erfaßt wird, entspricht der analytisch ermittelten Konzentrat ion von 0,7 ~ Nitrosobenzol je Milli- liter die Zugabe von 1,7 ~ Nitrosobenzol je Milliliter ~ 1,2 • 10 -5 Mol/1. Der für diese den Suspensionen roter Zellen zugesetzte Konzentrat ion des Nitrosobcnzols von KIEs]s, R]~INWEIN U. WALLE~ best immte Wert von

I-I/~miglobin /10 min beträgt 0,045. A Gesamt-Blutfarbstoff

Die Ergebnisse der beschriebenen Versuche enthalten noch einige Daten zur Umsetzung bzw. Elimination des Phcnylhydroxylamins und Nitrosobenzols. Während der Infusion von 12 ~ Phenylhydroxylamin je Ki logramm und Minute wurde nach ungefähr 1 Std eine gleichbleibende Konzentrat ion von etwa 1 ~ Nitrosobenzol je Milliliter Blut erreicht. Bei dieser Konzentrat ion wurden also 12 ~ Nitrosobenzol je Kilogramm und Minute aus dem Blute eliminiert oder zu anderen Verbindungen, außer Phenylhydroxylamin, umgesetzt.

Best immungen des Anilins im Blute ergaben, daß während einer 3stündigen Infusion von 12 ~ Nitrosobenzol je Ki logramm und Minute Anilin im Blute auf t ra t und dessen Konzentrat ion auf etwa 0,15 7/tal Blut anstieg (Abb. 1). Das Verhältnis der Konzentrat ionen des Nitroso- benzols und des Anilins im Blute erlaubt keine Aussage darüber, welcher Teil des Nitrosobenzols zu Anilin reduziert wurde, da Anflin in anderen Geweben in gleicher oder höherer Konzentrat ion als im Blute vorhanden ist (NAVl~OCKIJ u. O~L~CK, BRODIE U. AX]SLROD), während Nitrosobenzol infolge seiner Bindung an t tämoglobin (Ju~G) und schnellen Umsetzung in anderen Geweben fast ausschließlich im Blute vorhanden ist. Aber ein Teil des Nitrosobenzols wird jedenfalls im Organismus zu Anilin re- duziert.

Somit geht ein Teil des in den Organismus aufgenommenen Anilins in einem Kreislauf über Nitrosobenzol zurück zu Anilin und eventuell nochmal zu Nitrosobenzoh

Zusammenfassung I m Blute von Hunden wurde während i.v. Dauerinfusion von Phenyl-

hydroxylamin die Konzentrat ion des Nitrosobenzols (-7 Phenyl- hydroxylamins), des Hämiglobins und des Anilins bestimmt.

Die Geschwindigkeit der Hämiglobinbfldung bei Konzentrat ionen von 0,6--0,8 7 Nitrosobenzol je Milliliter Blut war nicht oder nur wenig verschieden von der Geschwindigkeit der t tämiglobinbildung nach i.v. Injektion von Anilin bei gleichen Nitrosobenzolkonzentrationen.

364 M. KIESE: Hämiglobinbildung nach Aufnahme von Anilin

D e m n a c h w i r d die O x y d a t i o n v o n H ä m o g l o b i n zu H ~ m i g l o b i n n a c h A u f n a h m e v o n Ani l in in den 0 r g a n i s m u s s icher z u m g r ö ß t e n Tei l - -

v i e l l e i c h t aussch l i eß l i ch - - d u r c h die R e a k t i o n v o n H ä m o g l o b i n u n d P h e n y l h y d r o x y l a m i n m i t Saue r s to f f zu H ä m i g l o b i n u n d N i t r o s o b e n z o l

( u n d dessen e n z y m i s c h e R e d u k t i o n zu P h e n y l h y d r o x y l a m i n ) bewi rk t . N i t r o s o b e n z o l w i r d im H u n d e - - wen ig s t ens z u m Te i l - - zu An i l i n

r e d u z i e r t .

Fräulein RUTH-M~IA VON WOLFF und MARIANNE KEUP habe ich für Hilfe bei den Untersuchungen zu danken.

Die Untersuchungen wurden mit Unterstützung der Deutschen Forschungs- gemeinschaft durchgeführt.

L i t e r a t u r

BRo~I~, B. B., and J. AXELROD: The estimation of acetanilide and its metabolic products, aniline, N-aeetyl-p-aminophenol and p-aminophenol (free and total eonjugated) in biological fluids and tissues. J. Pharmacol. exp. Ther. 94, 22 (1948).

GREE~rBERG, L. A., and D. LESTER: The metabolic fate of acetanilide and other aniline derivatives. I I I . The role of p-aminophenol in the production of met- hemoglobin after acetanilide. J. Pharmacol. exp. Ther. 90, 150 (1947).

HERR, F., u. M. KIESE, Bestimmung von Nitrosobenzol im Blute. Naunyn-Schmiede- berg's Arch. exp. Path. Pharmak. 235, 351 (1959).

JUNG, F. : Hämoglobin und Oxydationsprodukte des Anilins. Biochem. Z. 305, 248 (1940).

KrESE, M. : Oxydation von Anilin zu Nitrosobenzol im Hunde. Naunyn-Schmiede- berg's Arch. exp. Path. Pharmak. 235, 354 (1959).

KIESE, 5~., D. REr~W~.IN u. H. D. WALLER: Kinetik der Hämiglobinbildtmg. IV. Die H~miglobinbildung durch Phenylhydroxylamin und ~itrosobenzol in roten Zellen in vitro. Naunyn-Schmiedeberg's Arch. exp. Path. Pharmak. 210, 393 (1950).

NAVROCKIJ, V. K., u. J. M. ORLICK: Verteilung des Anilins in tierischen Geweben. Farmakol. i. Toksikol. 10, No. 3, 40 (1947).

UTZI~GER, G. E. : N-substituierte Arylhydroxylamine und deren Umwandlungs- produkte. Justus Liebigs Ann. Chem. 556, 50 (1944).

Prof. Dr..~I. KIESE, Pharmakologisches Insti tut der Universit/~t Tübingen, "Wilhelmstraße 56