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Die Christliche Orthodoxie und der Islam Vortrag gehalten in Bonn am 11.06.2015 anlässlich der Feier des Namenstages des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. Prof. Dr. Georges Tamer, Universität Erlangen-Nürnberg Eminenz, sehr verehrter Metropolit Augoustinos von Deutschland, Exarch von Zentraleuropa des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel; sehr verehrter Metropolit Isaak, Metropolit der Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland und Mitteleuropa (Rum- Orthodox); Eminenzen; Exzellenzen; hochwürdige Väter; sehr verehrte Festgäste, zuerst möchte ich mich bei Seiner Eminenz Metropolit Augoustinos für seine Einladung, aus Anlass der Feier des Namenstages Seiner Allheiligkeit des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. zu Ihnen zu sprechen, herzlich bedanken. Mich freut es, in diesem Haus zu sein, das sich über Jahrzehnte als eine offene Begegnungsstätte für alle Orthodoxen in Deutschland sowie als Ort ökumenischen Engagements erwiesen hat. Ich folge der Bitte, etwas zum Thema „Orthodoxie und Islam“ vorzutragen, selbstverständlich gern, nicht nur aufgrund meiner akademischen Tätigkeit, sondern gleichermaßen aufgrund meiner Biographie. Im Libanon, einem vom Zusammenleben von Christen und Muslimen mit allen zusammenhängen Spannungen und Wechselwirkungen geprägten Land, in einer orthodoxen Familie geboren und von meiner Jugend an in der Griechisch-Orthodoxen Kirche von Antiochia aktiv, verfüge ich über eine privilegierte Beziehung zum Islam und seinen vielfältigen Facetten. Im Mittelpunkt meiner Forschungen steht der Koran, den ich schon als Jugendlicher zum ersten Mal gelesen habe, gleich nachdem ich meine erste Lektüre der Bibel mit ihren beiden Testamenten abgeschlossen hatte. Selbstverständlich las ich beide Schriften auf Arabisch, der Sprache, die als Wiege interreligiöser Kommunikation zwischen Anhängern der monotheistischen Religionen gilt. Denn das Arabische war die erste Sprache überhaupt, in der die heiligen Schriften der Juden, Christen und Muslime gleichzeitig beheimatet sind - ein historisches Faktum mit weitreichenden Implikationen für die interreligiösen Beziehungen im arabischen Sprachraum in der Vergangenheit und der Gegenwart. 1

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Die Christliche Orthodoxie und der Islam

Vortrag gehalten in Bonn am 11.06.2015 anlässlich der Feier des Namenstages

des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I.

Prof. Dr. Georges Tamer, Universität Erlangen-Nürnberg

Eminenz, sehr verehrter Metropolit Augoustinos von Deutschland, Exarch von Zentraleuropa

des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel; sehr verehrter Metropolit Isaak,

Metropolit der Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland und Mitteleuropa (Rum-

Orthodox); Eminenzen; Exzellenzen; hochwürdige Väter; sehr verehrte Festgäste,

zuerst möchte ich mich bei Seiner Eminenz Metropolit Augoustinos für seine Einladung, aus

Anlass der Feier des Namenstages Seiner Allheiligkeit des Ökumenischen Patriarchen

Bartholomaios I. zu Ihnen zu sprechen, herzlich bedanken. Mich freut es, in diesem Haus zu

sein, das sich über Jahrzehnte als eine offene Begegnungsstätte für alle Orthodoxen in

Deutschland sowie als Ort ökumenischen Engagements erwiesen hat.

Ich folge der Bitte, etwas zum Thema „Orthodoxie und Islam“ vorzutragen, selbstverständlich

gern, nicht nur aufgrund meiner akademischen Tätigkeit, sondern gleichermaßen aufgrund

meiner Biographie. Im Libanon, einem vom Zusammenleben von Christen und Muslimen mit

allen zusammenhängen Spannungen und Wechselwirkungen geprägten Land, in einer

orthodoxen Familie geboren und von meiner Jugend an in der Griechisch-Orthodoxen Kirche

von Antiochia aktiv, verfüge ich über eine privilegierte Beziehung zum Islam und seinen

vielfältigen Facetten. Im Mittelpunkt meiner Forschungen steht der Koran, den ich schon als

Jugendlicher zum ersten Mal gelesen habe, gleich nachdem ich meine erste Lektüre der Bibel

mit ihren beiden Testamenten abgeschlossen hatte. Selbstverständlich las ich beide Schriften

auf Arabisch, der Sprache, die als Wiege interreligiöser Kommunikation zwischen Anhängern

der monotheistischen Religionen gilt. Denn das Arabische war die erste Sprache überhaupt, in

der die heiligen Schriften der Juden, Christen und Muslime gleichzeitig beheimatet sind - ein

historisches Faktum mit weitreichenden Implikationen für die interreligiösen Beziehungen im

arabischen Sprachraum in der Vergangenheit und der Gegenwart.

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Aber zurück zum Jubilar des heutigen Namenstags. Im November 2009 schenkte Patriarch

Bartholomaios I. dem Großmufti des Kaukasus Scheichülislam Allahschükür Paschazade,

Oberhaupt der Muslime im Kaukasus, anlässlich von dessen 60. Geburtstag ein wertvolles

Koranexemplar. Beobachter und Journalisten sahen darin nicht nur ein Zeichen des Respekts

dem Beschenkten gegenüber, sondern viel mehr eine bedeutende Geste der Hochachtung

gegenüber dem Koran: Der Ökumenische Patriarch demonstrierte damit seine Anerkennung

dieses Buches als eines wertvollen Geschenks. Wollte der Patriarch von Konstantinopel damit

etwa auf die moralische Unterstützung, die im Koran den Byzantinern vor knapp 14

Jahrhunderten zuteilwurde, reagieren?

Tatsächlich äußert sich der Koran am Anfang von Sure 30, die den Namen „ar-Rūm“, d.h. die

(Ost)Römer, die Byzantiner, trägt, zugunsten dieser in ihrem langjährigen Kampf gegen die

Perser in den ersten drei Dekaden des siebten Jahrhunderts. In einer für die mekkanische Zeit

der koranischen Verkündigung ungewöhnlichen Stellungnahme sagt der Koran:

„Die Byzantiner sind besiegt worden im nächstgelegenen Land. Doch nach ihrer

Niederlage werden sie siegen in etlichen Jahren. Gott steht die Entscheidung zu –

vorher und nachher. An jenem Tag werden sich die Gläubigen über Gottes Hilfe

freuen. Er hilft dem, dem er helfen will. Denn Er ist der Mächtige, der Barmherzige.

Die Verheißung Gottes! Gott bricht Seine Verheißung nicht. Doch die meisten

Menschen wissen nicht Bescheid.“ (Q 30:2-6)

In arabischer Sprache klingen diese bemerkenswerten Verse wie folgt:

ن بعد غلبھم سیغلبون في أدنى األر ﴾۲﴿وم غلبت الر ھ األمر في بضع سنین ﴾۳﴿ض وھم م من قبل ومن للـ

ھ بنصر ﴾٤﴿ح المؤمنون ویومئذ یفر بعد ھ ﴾٥﴿حیم ر وھو العزیز ال من یشاء ینصر اللـ ھ وعده وعد اللـ ال یخلف اللـ

كن أكثر ـ ﴾ ٦﴿الناس ال یعلمون ول

Mit der beklagten Niederlage der Byzantiner könnte vermutlich der Verlust Syriens und

Jerusalems, der Arabien nächstliegenden Gebiete nach koranischer Bezeichnung, im Jahr 614

gemeint sein. Für den Koran und die Urgemeinde konnte diese Niederlage nicht als

endgültige gelten, denn sie hätte den endgültigen Sieg der heidnischen Perser über die

gottgläubigen Byzantiner bedeutet – eine religiös-politische Entwicklung, die nicht im Sinne

Muhammads gewesen wäre, der selber gegen das Heidentum auftrat. Der Koran verspricht die

Umkehrung der Verhältnisse, denn die Entscheidung darüber, wer am Ende siegen würde,

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liegt allein bei Gott. Angeführt von Kaiser Herakleios gelang es den Byzantinern 629/30, die

Perser zu besiegen und das Kreuz Christi zurückzubekommen.

Mit der politischen, byzanzfreundlichen Aussage wird an der Stelle ein für die koranische

Weltanschauung zentrales Theologoumenon verbunden, demnach Gott die einzige Macht ist,

die freiwillig der Kampfpartei Sieg verleiht, die Gott nah steht. Zwei weitere Gedanken sind

hier bemerkenswert: Zum einen wird der in Aussicht gestellte Sieg der Byzantiner als Gottes

absolut sichere Verheißung bezeichnet, für die sich kein anderer als Gott selbst verbürgt. Zum

anderen stellt der Koran antizipierend fest, dass die Gläubigen dem künftigen Sieg der

Byzantiner über die Perser mit Freude begegnen werden. Mit den Gläubigen in jener frühen

Zeit der koranischen Verkündung in Mekka, bevor Muhammad in die Stadt Yathrib

übersiedelte, könnten nicht nur die Anhänger Muhammads gemeint sein. Das Konzept der

Gläubigen (Arab.: al-muʾminūn) war mit großer Wahrscheinlichkeit damals noch offen für

Gottgläubige verschiedener Glaubensrichtungen – also auch für Juden und Christen -, die von

Muhammad nachdrücklich dazu aufgefordert wurden, seiner neuen Botschaft Folge zu leisten.

Die bereits vorgetragene Passage enthält die einzige politische Aussage im Koran vor der

Auswanderung Muhammads aus Mekka. Danach betritt er die Weltbühne nicht nur als

Verkünder göttlicher Offenbarungen, sondern auch als erfolgreicher Staatsmann und Feldherr.

Der Name seiner neuen Wirkungsstätte wurde von Yathrib zu al-Madīna, „der Stadt“ geändert.

Der neue Ortsname „al-Madīna“ kommt im Koran viermal vor (Q 9:101, 120; 33:60; 63:8).

Handelt es sich bei dieser Namensänderung um eine Nachahmung des griechischen Namen „i

Polis“, „die Stadt“, einer verkürzten Form von „Konstantinoupolis“? Darüber kann ich nur

spekulieren. Fest steht jedenfalls, dass die Hauptstadt des oströmischen Reiches, die Stadt

Konstantins, bald die ernsthafte Bedrohung der jüngeren „Stadt des Propheten“ zu spüren

haben sollte. Dem muslimischen Reich gegenüber verkörperte Byzanz von Anfang an Vorbild

und Rivalität gleichermaßen. In der um die Mitte des achten Jahrhunderts, d.h. mindestens

120 Jahre nach seinem Tod, verfassten Biographie Muhammads wird berichtet, dass ein Licht

aus seiner Mutter hervorging, das ihr die römischen Paläste in der damals herrlichen Stadt

Buṣrā südlich von Damaskus beleuchtete, als sie mit Muhammad schwanger wurde. Die

retrospektiv erzählte Vision spiegelt selbstverständlich die politische Realität in der Zeit ihrer

schriftlichen Fixierung wider. Um jene Zeit waren schon große Teile des Byzantinischen

Reiches in die Hände der Muslime gefallen, die Hauptstadt des Umayyaden-Staates wurde

Damaskus, die bis vor kurzem Hauptstadt der oströmischen Provinz Syrien war. Die

byzantinischen Verwaltungsstrukturen blieben jahrzehntelang aufrechterhalten und die in der

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ehemals oströmischen Provinz Syrien lebenden orthodoxen Christen dienten ihren neuen

Herren. Obwohl die Abbasiden ihr Machtzentrum nach Bagdad nahe dem Land der Perser

verlagerten, blieb Byzanz ihr Vorbild wie beispielsweise bei der Entwicklung des Systems des

Kalifats. Aus Byzanz ließen sich die Muslime griechisches Wissen und griechische

Philosophie überbringen. Durch eine in ihrem Umfang bislang unvergleichliche, besonders

von Christen getragene Übersetzungsbewegung aus dem Griechischen ins Arabische

empfingen nach Wissen strebende Muslime Schätze der griechischen Zivilisation in der

Antike und der Spätantike, entwickelten sie weiter und gaben später ihre Werke dem

lateinischen Europa der Scholastik, Renaissance und Aufklärung. Auch Byzanz profitierte

später von den von Muslimen entwickelten Wissenschaften wie der Mathematik und

Astronomie.

Theologische Lehren im Koran werden vorzüglich im Zusammenhang mit der Ablehnung von

christlich-orthodoxen Lehren entwickelt. So wird z.B. die koranische Lehre von der absoluten

Einheit Gottes im gleichen Atemzug mit der Zurückweisung der Trinität prägnant artikuliert,

wenn in der kurzen Sure 112, die den Namen des reinen Glaubensbekenntnisses „al-Ikhlāṣ“

trägt, bekräftigt wird, dass Gott der Eine ist, der nicht zeugte und nicht gezeugt wurde, und

dass niemand Ihm gleicht. Dass darin deutlich die Trinität und die Wesensgleichheit des

Sohnes mit dem Vater (ὁμοούσιος) abgewiesen werden, liegt auf der Hand. Ebenfalls im

Einklang mit christlichen Häresien verneint der Koran, dass ʿĪsā, Jesus, der Sohn Mariae,

Sohn Gottes ist, dem im Christentum Anbetung gebührt. Von seiner Kreuzigung will der

Koran nichts wissen. Gekreuzigt wurde dort ein anderer, der in einem perfekten

Täuschungsakt von den Juden für Jesus gehalten wurde. Mit dem Opfertod Christi

verschwindet aus dem Koran ebenfalls seine Auferstehung. Eine Heilsgeschichte ist dort

ohnehin nicht nötig, weil der Sündenfall Adams und seiner Frau im Islam nicht dieselben

theologischen Konsequenzen wie im orthodoxen Christentum hat. Im Koran besteht die

ursprüngliche Sünde des ersten Menschen darin, dass er das Gebot Gottes aufgrund

satanischer Versuchung vergessen hat. Sünde ist also mit Vergesslichkeit gleichzusetzen. Gott

nahm jedoch die Kommunikation mit Adam gleich nach seiner Reue wieder auf, schickte

wiederholt mahnende Propheten, die die Menschen daran erinnerten, sich Gottes Willen zu

beugen. Der Koran versteht sich im Ganzen als Mahnung, als Erinnerung (ἀνάμνησις) daran,

den menschlichen Urzustand der Gottergebenheit wiederherzustellen. Diesem

Selbstverständnis entspricht die Bedeutung des Islams im Sinne von „Ergebung, Hingabe“.

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Obwohl eine göttliche Natur Jesu vom Koran völlig abgelehnt wird, wird er an einer Stelle

(4:171) als Wort Gottes und Geist von Ihm bezeichnet. Die Jungfräulichkeit seiner Mutter

wird bekräftigt; seine Geburt findet auf eine wundersame Weise unter einer Palme statt. Vieles

von diesen Erzählungen ist ebenfalls in der christlich-apokryphen Literatur vorhanden.

Gemäß islamischer Lehre wird Jesus am Ende der Weltzeit wiederkommen, den Antichristen

besiegen und damit die Ankunft des Jüngsten Gerichts einleiten. Als ein Prophet genießt er im

Islam eine Sonderstellung, auch durch seine Heilungstätigkeit hebt er sich im Koran von allen

anderen Propheten ab.

Die Geschichte der Beziehungen zwischen Religionsgemeinschaften wird nicht allein von der

Theologie bestimmt. Eine stärkere Rolle dürften dabei politische, kulturelle, wirtschaftliche

und gesellschaftliche Faktoren spielen. All dies prägt die Vergangenheit und die Gegenwart

der Beziehungen zwischen orthodoxen und muslimischen Gesellschaften. Da sich der Islam in

seiner Frühzeit in den Gebieten der ersten vier orthodoxen Patriarchate Konstantinopel,

Alexandria, Antiochia und Jerusalem verbreitete, entwickelten sich unterschiedliche Formen

des Zusammenlebens, das Epochen des Friedens, aber auch nicht selten Spannungen,

Unterdrückung und kriegerische Konflikte kennt. Zusammen mit den Juden werden die

Christen im Koran als „Buchbesitzer“ (ahl al-kitāb) respektiert. Sie wurden im Frühislam

nicht zwangskonvertiert, mussten jedoch die Kopfsteuer zahlen und auf viele Privilegien im

Staat verzichten. Die Mehrheit der Bevölkerung im Lande des Islams blieb bis ins 10.

Jahrhundert hinein christlich. Im späteren Verlaufe der Geschichte änderten sich jedoch die

demographischen Verhältnisse. Vor allem im Nahen Osten und in der heutigen Türkei

reduzierte sich allmählich die Zahl der Christen. Die stärkere Religionsgemeinschaft neigt in

den meisten Fällen leider dazu, die schwäre Gemeinschaft zu unterdrücken.

Neben den altorientalischen Kirchen sind die orthodoxen Kirchen, die bereits genannten

ältesten und die jüngeren in Ost- und Südosteuropa, diejenigen christlichen Kirchen, die am

längsten und am intensivsten mit dem Islam seit vielen Jahrhunderten in wechselseitigen

Beziehungen stehen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Erfahrung der

orthodoxen Kirche von Antiochia – das sage ich nicht, weil ich dieser Kirche angehöre.

„Rum-Orthodox“ genannt, ist diese Kirche ihrem eigenen Selbstverständnis nach die

arabische byzantinisch-orthodoxe Kirche. So wird sie auch von den arabischen Muslimen

wahrgenommen. Einer ihrer großen Heiligen, Johannes von Damaskus (gest. vor 754), der

infolge seines Vaters ein hohes Amt am Hofe der Umayyaden bekleidete, bevor er sich in das

Kloster des Heiligen Sabas bei Jerusalem zurückzog und dort bedeutende theologische Werke

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und Hymnen schrieb, setzte sich bereits früh mit islamisch-theologischen Gedanken

auseinander. Schrieb er noch Griechisch, änderte sich dies bei seinem bedeutenden

Nachfolger Theodor Abū Qurra (gest. um 820), dem vermutlich ersten orthodoxen Theologen

in arabischer Sprache. Neuere Studien zu Abū Qurras Theologie überzeugen, wenn sie in

seinem Werk, verglichen mit den Werken früherer griechischer Kirchenväter, Besonderheiten

in der Formulierung von orthodoxen Glaubensinhalten auf Arabisch ans Licht bringen. Solche

spezifischen Merkmale sind durch den arabischen, islamisch geprägten Kontext bedingt. Die

rum-orthodoxe Kirche von Antiochia hat etwa seit dem 9. Jahrhundert damit begonnen, neben

Griechisch Arabisch in der Liturgie zu verwenden. Dies ist als Zeichen kreativer

Wahrnehmung einer veränderten historischen Situation zu deuten, so wie heute, wenn

orthodoxe Kirchen in Deutschland unter pastoraler Berücksichtigung der neuen Generationen

verstärkt die deutsche Sprache in der Liturgie verwenden.

Die langen, vielschichtigen und facettenreichen Beziehungen der orthodoxen Kirchen in ihren

Heimatländern mit muslimischen Gemeinschaften unterschiedlicher Prägung ist ein

Erfahrungsschatz, den man in Deutschland gut gebrauchen kann, wenn es um die

Entwicklung eines in Deutschland heimisch gewordenen Islams geht. Eine große Aufgabe, die

die deutsche Gesellschaft insgesamt mit den muslimischen Verbänden und Akteuren als Teil

davon noch zu bewältigen hat. Die orthodoxen Kirchen können sicherlich einen wichtigen

Beitrag dazu leisten. Denn ihre Erfahrung mit dem Islam ist tiefer und weitreichender als die

der anderen Kirchen. Während die erste Moschee in Rom erst 1995 eröffnet wurde, befand

sich in Konstantinopel bereits seit dem achten Jahrhundert eine Moschee. Und während alle

Christen den Gottesdienst mit der Formel „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des

Heiligen Geistes“ eröffnen, fügen die Rum-Orthodoxen Antiochener einzigartig „des einen

Gottes“ hinzu, um die Einheit des trinitarischen Gottes zu bekräftigen. Sie drücken damit eine

synthetisierende Realität aus, in der der Islam zum festen Bestandteil geworden ist.

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