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110. Jahrgang, Heft 2, 2018 2018 WAXMANN Die Deutsche Schule Erziehungswissenschaft Zeitschrift für Herausgegeben von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bildungspolitik und pädagogische Praxis Inklusive Bildung in Schulen Birgit Lütje-Klose/Phillip Neumann/Julia Gorges/Elke Wild Die Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in inklusiven und exklusiven Förderarrangements (BiLieF) – Zentrale Befunde Miriam Vock/Anna Gronostaj/Julia Kretschmann/Andrea Westphal Soziale Integration von Kindern mit sonder- pädagogischem Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht in der Grundschule (PING) Rolf Werning/Katja Mackowiak/Antje Rothe/Carina Müller Inklusive Grundschulen in Niedersachsen Karl Dieter Schuck/Wulf Rauer Die Entwicklung schulfachlicher Kompetenzen und der emotional-sozialen Schulerfahrungen (EiBiSch) Doren Prinz/Marta Kulik Gelingensbedingungen und Hemmnisse inklusiver Bildung (EiBiSch) Diskussion zum Schwerpunktthema Ulf Preuss-Lausitz Inklusive Unterrichts- und Schulentwicklung auf dem Prüfstand 2

Die Deutsche Schule 2 · Inklusive Bildung in Schulen DDS, 110. Jg., 2(2018) 105 Editorial zum Schwerpunktthema: Inklusive Bildung in Schulen EDITORIAL Editorial to the Focus Topic:

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110. Jahrgang, Heft 2, 2018

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WA X M A N N

DieDeutsche

SchuleErziehungswissenschaftZeitschrift für

Herausgegeben von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

Bildungspolitik und pädagogische Praxis

Inklusive Bildung in SchulenBirgit Lütje-Klose/Phillip Neumann/Julia Gorges/Elke Wild

Die Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernenin inklusiven und exklusiven Förderarrangements(BiLieF) – Zentrale BefundeMiriam Vock/Anna Gronostaj/Julia Kretschmann/Andrea Westphal

Soziale Integration von Kindern mit sonder-pädagogischem Förderbedarf im gemeinsamenUnterricht in der Grundschule (PING)Rolf Werning/Katja Mackowiak/Antje Rothe/Carina Müller

Inklusive Grundschulen in NiedersachsenKarl Dieter Schuck/Wulf Rauer

Die Entwicklung schulfachlicher Kompetenzen undder emotional-sozialen Schulerfahrungen (EiBiSch)Doren Prinz/Marta Kulik

Gelingensbedingungen und Hemmnisse inklusiverBildung (EiBiSch)

Diskussion zum SchwerpunktthemaUlf Preuss-Lausitz

Inklusive Unterrichts- und Schulentwicklungauf dem Prüfstand

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Die Deutsche SchuleZeitschrift für Erziehungswissenschaft , Bildungspolitik und pädagogische Praxis

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGBin Zusammenarbeit mit der Max-Traeger-Stift ung

Redaktion: Prof. Dr. Isabell van Ackeren (Essen), Dr. Götz Bieber (Ludwigsfelde), Prof. Dr. Kathrin Dedering (Erfurt), Detlef Fickermann (Hamburg), PD Dr. Hans-Werner Fuchs (Hamburg), Prof. Dr. Martin Heinrich (Bielefeld), Prof. Dr. Marianne Krüger-Potratz (Münster) Geschäft sführerin: Sylvia Schütze, Universität Bielefeld,Wissenschaft liche Einrichtung Ober-stufen-Kolleg, Universitätsstraße 23, 33615 Bielefeld, E-Mail: [email protected] der Redaktion: Prof. Dr. Isabell van Ackeren (Essen)

Beirat: Prof. Dr. Herbert Altrichter (Linz-Auhof), Dr. Christine Biermann (Bielefeld), Marianne Demmer (Wilnsdorf), Prof. Dr. Mats Ekholm (Karlstad), Prof. Dr. Hans-Peter Füssel (Berlin), Prof. Dr. Friederike Heinzel (Kassel), Prof. Dr. Th omas Höhne (Hamburg), Prof. Dr. Klaus Klemm (Essen), Prof. Dr. Eckhard Klieme (Frankfurt a.M.), Prof. Dr. Katharina Maag Merki (Zürich), Prof. Dr. Heinrich Mintrop (Berkeley), Prof. Dr. Angelika Paseka (Hamburg), Prof. Dr. Nicolle Pfaff (Essen), Hermann Rademacker (München), Prof. Dr. Sabine Reh (Berlin), Prof. Dr. Hans-Günter Rolff (Dortmund), Prof. Andreas Schleicher (Paris), Dr. Gundel Schümer (Berlin), Jochen Schweitzer (Münster), Prof. Dr. Knut Schwippert (Hamburg), Ulrich Steff ens (Wiesbaden), Wilfried W. Steinert (Templin), Prof. Dr. Klaus-Jürgen Tillmann (Berlin), Prof. Dr. Manfred Weiß (Bad Soden), Prof. Dr. Wolfgang W. Weiß (Bremerhaven)

Beitragseinreichung und Double-blind Peer Review: Manuskripte (nur Originalbeiträge) werden als Word-Datei an die Geschäft sführung ([email protected]) erbeten. Bitte beachten Sie die Hinweise zur Manuskriptgestaltung (www.dds-home.de). Seit dem 103. Jahrgang (2011) durchlaufen alle Fachartikel in der DDS (Texte zum Th emenschwerpunkt und für die Rubrik „Weitere Beiträge“) ein externes Review-Verfahren. Nach einer redaktionellen Prüfung der eingereichten Aufsätze im Hinblick auf ihre grundsätzliche Eignung für die DDS schließt sich eine Begutachtung im Doppelblindverfahren durch ehrenamtlich tätige Gutachter/innen an.

Die Deutsche Schule erscheint vierteljährlich (März/Juni/September/Dezember). Zusätzlich zu den vier Heft en pro Jahrgang können Beiheft e erscheinen, die den Abonnenten außer-halb des Abonnements zu einem ermäßigten Preis mit Rückgaberecht geliefert werden. Unter www.waxmann.com und www.dds-home.de fi nden Sie weitere Informationen.

Preise und Bezugsbedingungen: Jahresabonnement 59,00 €, für GEW-Mitglieder/Studierende 43,00 €, inkl. Online-Zugang für Privatpersonen. Campuslizenz auf Anfrage. Die Preise verste-hen sich zzgl. Versandkosten. Ein Einzelheft kostet 18,00 € inkl. Versandkosten. Abbestellungen spätestens 6 Wochen vor Ablauf des Jahres abonnements.

ISSN 0012-0731© Waxmann Verlag GmbH, 2018Steinfurter Straße 555, 48159 Münster, Telefon: 02 51/2 65 04 0, Fax: 02 51/2 65 04 26, Internet: www.waxmann.com, E-Mail: [email protected]

Anzeigenverwaltung: Waxmann Verlag GmbH, Melanie Völker: [email protected]: Mediaprint, PaderbornSatz: Stoddart Satz- und Layoutservice, Münster

Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafb ar. Unter dieses Verbot fallen insbesondere die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronische Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-Rom und allen anderen elektronischen Datenträgern.

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101DDS, 110. Jg., 2(2018)

DDS – Die Deutsche SchuleZeitschrift für Erziehungswissenschaft ,

Bildungspolitik und pädagogische Praxishttps://doi.org/10.31244/dds.2018.01i

110. Jahrgang 2018 / Heft 2

INHALT

EDITORIAL

Detlef Fickermann/Hans-Werner Fuchs Editorial zum Schwerpunktthema:Inklusive Bildung in Schulen ............................................................................................ 105

INKLUSIVE BILDUNG IN SCHULEN

Birgit Lütje-Klose/Phillip Neumann/Julia Gorges/Elke WildDie Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in inklusiven und exklusiven Förderarrangements (BiLieF) – Zentrale Befunde .......................... 109

Miriam Vock/Anna Gronostaj/Julia Kretschmann/Andrea Westphal„Meine Lehrer mögen mich“ – Soziale Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht in der GrundschuleBefunde aus dem Pilotprojekt „Inklusive Grundschule“ im Land Brandenburg ........ 124

Rolf Werning/Katja Mackowiak/Antje Rothe/Carina MüllerInklusive Grundschulen in Niedersachsen – Ergebnisse der wissenschaft lichen Begleitung .............................................................. 138

Karl Dieter Schuck/Wulf RauerDie Entwicklung schulfachlicher Kompetenzen und der emotional-sozialen Schulerfahrungen in der inklusiven Schule HamburgsAusgewählte Ergebnisse der quantitativen EiBiSch-Studie ............................................ 153

Doren Prinz/Marta KulikGelingensbedingungen und Hemmnisse inklusiver BildungAusgewählte Ergebnisse der qualitativen EiBiSch-Studie ............................................... 169

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Inhalt

102 DDS, 110. Jg., 2(2018)

DISKUSSION ZUM SCHWERPUNKTTHEMA

Ulf Preuss-LausitzInklusive Unterrichts- und Schulentwicklung auf dem PrüfstandEin Kommentar zu vier abgeschlossenen Projekten ........................................................ 180

REZENSION ........................................................................................................................ 189

DieDeutsche

Schule

2018VorschauThemenschwerpunkt: Geteilte Verantwortung in Netzwerken

Verbünde und Netzwerke, in denen schulische und außerschulische Akteuresich gemeinsam mit aktuellen bildungspolitischen Herausforderungen auseinandersetzen und auf diese Weise die Verantwortung für angestrebte Entwicklungen teilen, finden in der Bildungspraxis seit einigen Jahren eine verstärkteVerbreitung und in der Bildungsforschung zunehmend Aufmerksamkeit. „Geteilte Verantwortung“ lässt sich durchaus auf doppelte Weise interpretieren:Sie kann – im Sinne der Übernahme einer gemeinsamen Verantwortung für dieHerausforderungen – das kokonstruktive Zusammenwirken der unterschiedlichen Akteure in allen Belangen und Phasen bedeuten. Sie kann aber auch – imSinne der Delegation von Verantwortung im Rahmen eines gemeinsamen Vorhabens – die Zuweisung bestimmter Zuständigkeiten an einzelne Akteure unddamit die distributive Bearbeitung meinen.

In Heft 3/2018 wird diese geteilte Verantwortung in Netzwerken unter Rückgriff auf mehrere aktuelle Verbünde und Netzwerke näher betrachtet, die allesamt auf den Abbau von Bildungsbenachteiligungen ausgerichtet sind. Herausgearbeitet wird dabei u. a., auf welche Weise in diesem Kontext Netzwerkstrukturen auf regionaler Ebene entwickelt und etabliert werden können, inwiefern spezifische Unterstützungssysteme innerhalb der Verbünde und Netzwerke hilfreich sind, auch im Hinblick auf den Transfer in die „Nach Förderphase“, und inwiefern sich in Verbünden und Netzwerken Beteiligungs , aberauch Machtstrukturen herausbilden. In der Rubrik „Zur Diskussion“ geht es zudem um die Einführung des nationalen „Bildungsrats für Bildungsgerechtigkeit“ in Deutschland.

Heft 3/2018 erscheint im September 2018.

Waxmann • Steinfurter Str. 555 • 48159 Münster • www.waxmann.com

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DDS – Die Deutsche SchuleZeitschrift für Erziehungswissenschaft ,

Bildungspolitik und pädagogische Praxishttps://doi.org/10.31244/dds.2018.01i

110. Jahrgang 2018 / Heft 2

CONTENTS

EDITORIAL

Detlef Fickermann/Hans-Werner Fuchs Editorial to the Focus Topic: Inclusive Education at Schools .................................... 105

INCLUSIVE EDUCATION AT SCHOOLS

Birgit Lütje-Klose/Phillip Neumann/Julia Gorges/Elke WildBielefeld Longitudinal Study on Learning in Inclusive and Exclusive Forms of Special Needs Education (BiLieF) – Key Findings ...................................... 109

Miriam Vock/Anna Gronostaj/Julia Kretschmann/Andrea Westphal“My Teachers Like Me” – Social Integration of Children with Special Educational Needs in Inclusive ClassesFindings from the Pilot Project “Inclusive Primary Schools” in the German State of Brandenburg ................................................................................. 124

Rolf Werning/Katja Mackowiak/Antje Rothe/Carina MüllerInclusive Education in Primary Schools in Lower Saxony – Results Drawn by the Scientifi c Monitoring.................................................................. 138

Karl Dieter Schuck/Wulf RauerTh e Development of School Competencies and of Emotional-Social School Experiences in the Inclusive Primary School of HamburgSelected Results from the Quantitative Evaluation of the Introduction of Inclusive Education in Hamburg (EiBiSch-Project) ............................ 153

Doren Prinz/Marta KulikConditions of Successful Implementation and Constraints of Inclusive EducationSelected Analysis Results from the Qualitative EiBiSch-Study ...................................... 169

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104 DDS, 110. Jg., 2(2018)

Contents

DISCUSSION ON THE FOCUS TOPIC

Ulf Preuss-LausitzInclusive Instruction and School Development on TrialA Comment on Four Completed Studies .......................................................................... 180

REVIEW ............................................................................................................................... 189

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Schule

2018 Preview

Focus Topic: Shared Responsibility in Networks

Associations and Networks, in which school and out of school actors aredealing concertedly with current challenges in educational policy, thus sharing responsibility for pursued developments, have been more and more disseminated in educational practice and paid attention to by educational scientists during the last years. “Shared responsibility” may certainly be interpreted in two respects: It may stand for the co constructive interaction ofdifferent actors in all concerns and phases – in terms of joint responsibilityfor challenges. But it can also mean the allocation of particular responsibilities to single actors and thus a distributive approach – in terms of delegationof responsibility in the frame of a common joint project.

Issue 3/2018will take a closer look at this shared responsibility, with recourseto current associations and networks, which are all aiming at the reductionof educational disadvantages. It will be shown, inter alia, how network structures can be developed and established on a regional level, to what extentspecific support systems within these associations and networks are helpful,also with regard to the “post funding period,” and how participation structures, but also power structures emerge within associations and networks. Acontribution to the column “Discussion” will deal with the introduction of thenational “Education Council for Educational Justice.”

Issue 3/2018 will be out in September 2018.

Waxmann • Steinfurter Str. 555 • 48159 Münster • www.waxmann.com

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105DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

Editorial zum Schwerpunktthema:Inklusive Bildung in Schulen

EDITORIAL

Editorial to the Focus Topic: Inclusive Education at Schools

Eine der gegenwärtig zentralen bildungspolitischen Herausforderungen ist die An-pas sung des Schulsystems an die Anforderungen des im Dezember 2006 ge-schlossenen, im Februar 2009 auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifi -zierten Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention [UN-BRK]). Mit Blick auf das Bildungssystem ist Artikel 24 der BRK relevant. Dort heißt es, „dass […] Menschen mit Behinderungen nicht auf Grund von Behinderung vom allgemeinen Bildungs-system ausgeschlossen werden“ dürfen. Vielmehr haben sie „gleichberechtigt mit an-deren in der Gemeinschaft , in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwer-tigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen“.

Die UN-BRK gilt unmittelbar auch für die Länder und entfaltet damit Wirkung auf ihre Schulpolitik. Erkennbar ist, dass unabhängig von der Art und Weise bzw. der Geschwindigkeit, mit der „Inklusion“ jeweils umgesetzt wird, die Folgen des da-mit eingeleiteten Prozesses für die Schulen und die Schulsysteme der Länder erheb-lich sind. Nicht zuletzt hierin begründet sich auch das Interesse an einer Evaluation der Umsetzung inklusiver Bildung, der die Schwerpunktbeiträge dieses Heft es gewid-met sind. Sie gehen zurück auf ein Symposium im Rahmen des 26. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft , der vom 18. bis zum 21. März 2018 an der Universität Duisburg-Essen stattfand.

Die Untersuchungen zur inklusiven Bildung in Schulen sind in der Regel auf Teilaspekte der Entwicklungsnotwendigkeiten zentriert, nehmen selten die unter-schiedlichen Handlungsebenen und Akteursgruppen in den Blick und erfassen damit nicht die Komplexität und Dynamik des laufenden Veränderungsgeschehens in den Bundesländern insgesamt. Ziel des Symposiums war daher eine Zusammenschau der Ergebnisse größerer, bereits abgeschlossener Evaluationsstudien.

Im Einzelnen dokumentieren und analysieren Birgit Lütje-Klose, Phillip Neumann, Julia Gorges und Elke Wild in der „Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in in-klusiven und exklusiven Förderarrangements“ (BiLieF) die psychosoziale sowie die

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Editorial

106 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

Leistungsentwicklung von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbe darf im Bereich „Lernen“ von der 3. bis zur 5. Klasse in unterschiedlichen Fördersettings. Die Autorinnen und der Autor zeigen, dass sich Schüler*innen im Mittel sowohl in exklu-siven als auch in inklusiven Settings wohlfühlen, sozial eingebunden sind und eine vergleichbare Leistungsentwicklung durchlaufen. Sie haben keine Hinweise darauf gefunden, dass das Wohlbefi nden und die wahrgenommene soziale Partizipation in Grundschulen mit gemeinsamem Unterricht oder in Kompetenzzentren für sonderpä-dagogische Förderung signifi kant ungünstiger ausfallen als an Förderschulen. Hieraus ziehen sie den Schluss, dass interindividuell diff erierende Entwicklungen vorrangig auf proximale, d. h., an der einzelnen Schule bzw. Klasse vorfi ndliche Bedingungen zu-rückzuführen sein dürft en und damit die öff entliche Inklusionsdebatte in ihrer ein-seitigen Fokussierung auf formale Systemmerkmale im Kern an den in der Praxis zu bewältigenden Herausforderungen im Umgang mit Heterogenität vorbeilaufen dürft e.

Untersuchungsgegenstand des Beitrags von Miriam Vock, Anna Gronostaj, Julia Kretschmann und Andrea Westphal ist das im Schuljahr 2012/13 in Brandenburg ge-startete „Pilotprojekt Inklusive Grundschule“ (PING), bei dem 35 Pilot-Grundschulen wissenschaft lich begleitet wurden. Die Autorinnen berichten Befunde zum sozialen Selbstkonzept sowie zu der Frage, wie Kinder das Klassenklima erleben und wie sie sich von ihrer Lehrkraft angenommen fühlen. Als Fazit ihrer Studie halten sie fest, dass die soziale Integration aller Kinder, ob mit oder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf, in einer Klasse gelingen kann. Sie sei jedoch kein Selbstläufer, sondern müsse von der Lehrkraft intensiv pädagogisch begleitet werden. Ob ein Kind mit son-derpädagogischem Förderbedarf in einer inklusiven Klasse eine Aussage wie „Meine Lehrer mögen mich“ für sich als zutreff end erlebe, scheine bedeutsam dafür zu sein, wie die soziale Integration in der Klasse auch mit den anderen Kindern gelinge.

2013 wurde in Niedersachsen die allgemeine inklusive Schule gesetzlich eingeführt. Die von Rolf Werning, Katja Mackowiak, Antje Rothe und Carina Müller vorgestell-ten Befunde sind Teil der von 2014 bis 2017 durchgeführten Begleitforschung zur inklusiven Grundschule in Niedersachsen. Analysiert wird der aktuelle Stand der Umsetzung; zugleich werden Gelingensbedingungen und Herausforderungen inklusi-ver Bildung identifi ziert. Die Autorinnen und der Autor kommen zu dem Schluss, dass eine geringe Zuweisung sonderpädagogischer Ressourcen bei der Realisierung inklu-siver Bildung an Grundschulen spezifi sche einschränkende Eff ekte erzeugt. Während Schulleitungen und Lehrkräft e die Idee inklusiver Bildung grundsätzlich positiv be-werten, stellen sie jedoch Probleme bei deren alltäglicher praktischer Umsetzung fest. Dabei werden an einigen Schulen auch deutliche Überforderungstendenzen sichtbar. Hinsichtlich der Kooperation von Grundschullehrkräft en und Sonderpädagog*innen identifi zieren sie Entwicklungsbedarf hin zu mehr kooperativen Strukturen sowie die Notwendigkeit der Einrichtung fester Unterrichtsteams und einer Rollenklärung im Rahmen ihrer Zusammenarbeit. Entwicklungsbedarf identifi zieren sie auch im Bereich der adaptiven Lernunterstützung, einer zentralen Facette inklusiven Unter-

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Editorial

107DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

richts. Ihres Erachtens wäre hier eine stärkere Unterstützung durch spezifi sche Fort-bildungen und die Einrichtung schulübergreifender Qualitätsteams für inklusive Unterrichtsentwicklung denkbar.

Zwei Beiträge sind dem Hamburger Projekt „Evaluation der inklusiven Bildung in Schulen“ (EiBiSch) gewidmet. Karl Dieter Schuck und Wulf Rauer berichten aus-gewählte Ergebnisse des quantitativen Teilprojekts, im Rahmen dessen u. a. an 35 Grundschulen und drei Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) mehr als 2.000 Schüler*innen von der zweiten bis zur vierten Klasse begleitet wurden. Sie prä-sentieren ausgewählte Untersuchungsergebnisse zur Veränderung der Zahl sonderpäd-agogisch geförderter Schüler*innen, zur Entwicklung der Kompetenzen in Mathematik und im Leseverstehen sowie zur Entwicklung überfachlicher Kompetenzen und emo-tional-sozialer Schulerfahrungen von Schüler*innen mit und ohne sonderpädago-gische Förderung. Schuck und Rauer belegen, dass sich – so wie es auch von den Kindern selbst wahrgenommen wird – die untersuchten Grundschulklassen im Unter-richtsgeschehen im Hinblick auf die Leistungsentwicklung, die Entwicklung über-fachlicher Kompetenzen sowie im sozial-emotionalen Erleben erheblich unterschei-den und damit unterschiedliche Entwicklungsbedingungen geschaff en werden. Sie schlussfolgern, dass zur Weiterentwicklung der inklusiven Schule alle Anstrengungen darauf zu richten sind, die Klassen(-lehrkräft e) bei der Realisierung eines adaptiven Unterrichts mit dem Ziel zu unterstützen, allen Kindern im Rahmen des gegebenen individuellen, sozialen und kulturellen Heterogenitätsspektrums ein Weiterlernen auf ihrem Niveau zu ermöglichen.

Das zweite, qualitative EiBiSch-Teilprojekt ist Gegenstand des Beitrags von Doren Prinz und Marta Kulik. Sie haben im Rahmen von Leitfadeninterviews die an der Umsetzung inklusiver Bildung beteiligten Akteure befragt. In den Interviews zeigt sich die Komplexität der Aufgabe „Inklusive Schule“, die von allen beteiligten Akteuren um-fassende Entwicklungs- und Anpassungsleistungen erfordert. Prinz und Kulik beleuch-ten zugleich auch Aspekte der Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung im Kontext der Entwicklung einer inklusiven Schule und resümieren, dass Schulen vor vielfältigen Herausforderungen stehen, die erwartungskonform u. a. durch die in der Integration gewonnene Erfahrung, den Grad der Heterogenität der Schülerschaft sowie Art und Umfang der jeweils verfügbaren Ressource determiniert werden. Den Akteuren und Akteursgruppen im Feld stünden damit unterschied-liche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, die wiederum eine je unterschied-liche Begleitung seitens der Bildungspolitik und der Unterstützungssysteme wie des Hamburger Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) und der ReBBZ erforderten. Notwendig für die Weiterentwicklung inklusiver Bildung sei es, stärker auf die unterschiedlichen Merkmalskonstellationen der jeweiligen Schulen ein-zugehen und die besonderen Bedarfe passgenauer aufzugreifen.

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Editorial

108 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

In dem den Th emenschwerpunkt beschließenden Beitrag setzt sich Ulf Preuss-Lausitz – wie schon im Symposium selbst – kommentierend mit den Beiträgen aus-einander. Er stellt heraus, dass die vorgestellten Evaluationen überwiegend auf Grundschulkinder fokussierten. Damit verbunden sei ein Fehlen domänenspezifi scher, also fachdidaktischer Fragestellungen. Zudem konzentrierten sich die Evaluationen – neben Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf – auf Kinder mit sonder-pädagogischem Förderbedarf in den Bereichen „Lernen“, „Sprache“ und „Emotional-soziale Entwicklung“ (LSE). Dringend notwendig sei deshalb, auch die Entwicklung der Kinder mit speziellen sonderpädagogischen Förderbedarfen in den Blick zu neh-men. Mit Bezug auf die quantitative Teilstudie von EiBiSch, die belegt, dass ein er-heblicher Teil der Kinder mit LSE-Status (und Förderung) normale Schulleistungen zeigt, ein anderer beachtlicher Teil mit zum Teil sehr schlechten Schulleistungen aber nicht sonderpädagogisch gefördert wird, stellt er die Frage, wie valide die Kategorien „sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich Lernen“ oder „im Bereich Emotional-soziale Entwicklung“ überhaupt seien, und spricht in diesem Zusammenhang von ei-ner Krise der sonderpädagogischen Diagnostik, die auch in anderen Bundesländern erkannt werden kann. Überdies weist er darauf hin, dass in den vorgestellten Eva-lua tionsvorhaben beispielsweise das Geschlecht der Schüler*innen zwar statistisch kontrolliert, aber nicht inhaltlicher Gegenstand beispielsweise im Förderbereich „Emotional-soziale Entwicklung“ mit einem Anteil von rund 90 Prozent Jungen sei. Notwendig sei es zu untersuchen, ob und welche spezifi schen Förderansätze bei Ver-haltensproblemen in Schulen eingesetzt werden können und welche gegebenenfalls geschlechtsspezifi sch unterschiedlich erfolgreich sind.

Preuss-Lausitz hebt zusammenfassend hervor, dass noch viele Forschungsfragen of-fen seien, um der Öff entlichkeit, vor allem aber den pädagogischen Praktiker*innen vor Ort, den Schulämtern, Kommunen, Unterstützungseinrichtungen, Ausbildungs-ein richtungen und Verantwortlichen des Sozial-, Jugend- und Gesundheitsbereichs Anregungen für ihre inklusionsorientierte Arbeit zu geben. Es gehe im Sinne ei-nes Mehr-Ebenen-Systems nicht nur um „guten“ inklusiven Unterricht, sondern um inklusive Schulstrukturen und Einrichtungen, um Fragen der multiprofes sio-nel len Zusammenarbeit, um inner- und außerschulische Steuerungs- und Unter-stützungsstrukturen, um den Übergang in Ausbildung und Beruf, um Ressourcen-ver teilung und Diagnostik und nicht zuletzt um die Frage, wie die bestehenden För derschulen „auf Augenhöhe“ in die weitere Entwicklung hin zur inklusiven Schule einbezogen werden können.

Detlef Fickermann & Hans-Werner Fuchs

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ZusammenfassungIn der Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in inklusiven und exklusiven För-der arrangements (BiLieF) wurden die psychosoziale und die Leistungsentwicklung bei Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt „Lernen“ von der 3. bis zur 5. Klasse in unterschiedlichen Fördersettings untersucht. Die Ergeb nisse quantitativer und qualitativer Zugänge zeigen, dass vor allem proximale Faktoren auf der Ebene der Einzelschule – weniger die Form der Beschulung – für die Ent wick lung der Kinder relevant sind.Schlüsselwörter: Inklusion, sonderpädagogischer Förderbedarf, Grundschule, Wohl be-fi nden, Rollenausprägungen sonderpädagogischer Lehrkräft e

Bielefeld Longitudinal Study on Learning in Inclusive and Exclusive Forms of Special Needs Education (BiLieF)1 – Key FindingsSummaryTh e Bielefeld Longitudinal Study on Learning in Inclusive and Exclusive Forms of Special Needs Education (BiLieF) compared the psychosocial development and the per-formance growth of children with special educational needs in the fi eld of learning, starting in third grade through fi ft h grade. Results from quantitative and qualitative methods showed that proximal factors aff ect children’s development, whereas education-al setting is less infl uential.Keywords: inclusion, special educational needs, primary school, school well-being, role of special education teachers

1 Das diesem Artikel zugrundeliegende Vorhaben „Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in inklusiven und exklusiven Förderarrangements“ (BiLieF) wurde mit Mitteln des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01JC1101 in der Förderlinie „Chancengleichheit und Teilhabe“ gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröff entlichung liegt bei den Autor*innen.

Birgit Lütje-Klose/Phillip Neumann/Julia Gorges/Elke Wild

Die Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in inklusiven und exklusiven Förderarrangements (BiLieF)1 – Zentrale Befunde

DDS – Die Deutsche Schule 110. Jahrgang 2018, Heft 2, S. 109–123

https://doi.org/10.31244/dds.2018.02.02 © 2018 Waxmann

INKLUSIVE BILDUNG IN SCHULEN

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Birgit Lütje-Klose/Phillip Neumann/Julia Gorges/Elke Wild

110 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

1. Einleitung

Schulische Inklusion ist knapp zehn Jahre nach Ratifi zierung der UN-BRK in Deutschland noch immer ein brisantes Th ema in Öff entlichkeit, Bildungspolitik, Wissenschaft und in der pädagogischen Praxis. Dabei wird von Seiten der Bildungs-administration i. d. R. ein enger Inklusionsbegriff verwendet, der sich auf die gemein-same Beschulung von Kindern mit und ohne sonderpädagogische Förderbedarfe bezieht, wohingegen in der erziehungswissenschaft lichen Th eoriebildung und im in-ternationalen menschenrechtlichen Diskurs maßgeblich auf einen weiten In klu-sionsbegriff im Sinne einer „Education for All“ unter Berücksichtigung weiterer Aspekte von Ungleichheit rekurriert wird (vgl. Lütje-Klose, 2018). Die Gestaltung eines inklusiven Schulsystems wird in den deutschen Bundesländern ganz unter-schiedlich verfolgt (vgl. Blanck, 2015). Die Debatte über den besten Weg verweist nicht zuletzt auch auf einen Mangel an empirischer Evidenz zu der Frage, welche Einfl üsse verschiedene Fördersettings auf die Entwicklung von Schüler*innen mit sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfen haben (vgl. zusammenfassend Möller, 2013). Vorliegende internationale Untersuchungen mit einem längsschnittlichen Studiendesign, die Aussagen über Bedingungsfaktoren von Entwicklungsverläufen erlauben, sind aufgrund der breiten Diff erenzierung der Schulformen und der Unterschiede in den Begriffl ichkeiten nur eingeschränkt auf das deutsche Schulsystem übertragbar (vgl. Werning & Lütje-Klose, 2016). Entsprechende Längsschnittstudien im deutschsprachigen Raum liegen schon längere Zeit zurück (vgl. z.B. Haeberlin, Bless, Moser & Klaghofer, 1999), sodass etwaige Ergebnisse unter den veränderten Bedingungen aktueller Modelle schulischer Inklusion zu überprüfen sind.

Im Rahmen der hier vorgestellten Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in inklu-siven und exklusiven Förderarrangements (BiLieF) wurden Schüler*innen mit son-derpädagogischem Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt „Lernen“ (SPF-L), die in Nordrhein-Westfalen (NRW) in allgemeinen Schulen (als inklusiv bezeichne-te Settings)2 oder in Förderschulen (als exklusiv für diese Schülergruppe etablierte Schulform) beschult wurden, von Anfang der dritten Klasse bis zur Mitte der fünft en Klasse längsschnittlich untersucht.

2 Die Bezeichnung allgemeiner (Regel-)Schulen als inklusive Settings folgt der schuladmini-strativen Begriffl ichkeit und betrifft die Ebene des formalen Settings, hier der organisato-rischen Modelle Grundschule mit gemeinsamem Unterricht/Integrationsklasse (GU) und Grundschule in Kooperation mit einem Kompetenzzentrum für sonderpädagogische Förde-rung (KsF).

Dass über die organisatorisch gemeinsame Unterrichtung hinaus auf der Ebene des pädago-gischen Handelns in allen Schulformen sowohl inkludierende als auch exkludierende Prak-tiken in Bezug auf unterschiedliche Diff erenzlinien vorzufi nden sein können und insofern refl exiv mit dem Inklusionsbegriff umzugehen ist (vgl. Budde & Hummrich, 2014), wird in BiLieF in der qualitativen Teilstudie berücksichtigt, im Rahmen derer inklusive Prozesse anhand von ausgewählten Einzelschulen im Sinne eines weiten Inklusionsbegriff s unter Be-rücksichtigung weiterer Heterogenitätsdimensionen und deren Intersektionalität untersucht wurden.

Page 13: Die Deutsche Schule 2 · Inklusive Bildung in Schulen DDS, 110. Jg., 2(2018) 105 Editorial zum Schwerpunktthema: Inklusive Bildung in Schulen EDITORIAL Editorial to the Focus Topic:

Die Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in Förderarrangements (BiLieF)

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2. Ausgangslage und theoretische Rahmung

Mit der Umsetzung einer inklusiven Beschulung aller Schüler*innen – auch und ge-rade von Kindern mit SPF-L als der mit Abstand größten als sonderpädagogisch förderbedürft ig klassifi zierten Gruppe – ist die Zielperspektive verbunden, die-se Kinder zu besseren schulischen Leistungen, einer besseren sozialen Integration und letztlich einer größeren gesellschaft lichen Teilhabe zu führen (vgl. Florian & Pantić, 2017). Für die Generierung der Stichprobe wurde im BiLieF-Projekt inso-fern auf den „engen“, schuladministrativen Inklusionsbegriff zurückgegriff en, weil es um die Frage der schulformspezifi schen Wirkungen für genau diese Zielgruppe geht. Auch wenn es sich hierbei um eine heterogene Gruppe mit vielen lebensweltlichen Risikofaktoren handelt (vgl. Wocken, 2007; Werning & Lütje-Klose, 2016), so gilt als Einschlusskriterium in diese Studie ein langandauernder, schwerwiegender und um-fänglicher Lern- und Leistungsrückstand, der in einem formellen sonderpädagogi-schen Begutachtungsprozess festgestellt wurde (AO-SF NRW 2016).

BiLieF setzte an den bildungspolitischen Bemühungen in Nordrhein-Westfalen an, den Anteil der innerhalb des Regelschulsystems in inklusiven Klassen unterrichte-ten Schüler*innen mit SPF-L deutlich auszuweiten. Im Projekt wurde die Debatte um Vor- und Nachteile inklusiver versus exklusiver Formen sonderpädagogischer Beschulung aufgegriff en und geprüft , ob die damit verknüpft en Hoff nungen und Erwartungen erfüllt werden. Konkret wurden die psychosoziale Entwicklung sowie die Entwicklung der Lese- und Rechtschreibleistung von inklusiv beschulten Kindern mit SPF-L und von Kindern an Förderschulen mit Förderschwerpunkt „Lernen“ von der dritten zunächst bis zum Ende der vierten Klasse vergleichend untersucht.

Neben der Entwicklung von Schüler*innen mit SPF-L wurde auch das „Wie“ der Realisierung gelingenden Unterrichts für diese Kinder in den Blick genommen. Einem adaptierten Angebot-Nutzungs-Modell (vgl. Helmke, 2015) folgend wurden die drei zur Laufzeit der Studie in NRW etablierten Fördermodelle als formal unter-schiedliche Bildungsangebote aufgefasst und vergleichend untersucht: Förderschulen für den Förderschwerpunkt „Lernen“, Grundschulen mit gemeinsamem Unterricht (GU; vergleichbar mit dem Modell der Integrationsklasse z. B. in Rheinland-Pfalz) und Grundschulen mit Unterstützung durch ein Kompetenzzentrum für sonderpäda-gogische Förderung (KsF; vergleichbar mit Förder- und Kompetenzzentrumsmodellen z. B. in Schleswig-Holstein). Ausgehend von den im Angebot-Nutzungs-Modell postulierten Einfl üssen auf die Leistungs- und psychosoziale Entwicklung von Schüler*innen wurden Merkmale auf der persönlichen (d. h. Merkmale der Schüler*innen selbst) und kontextuellen (d. h. Merkmale der Familie und u. a. des Umfelds der Einzelschule), aber auch auf der prozessualen Ebene (d. h. Merkmale des Unterrichts) erfasst.

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3. Stichprobe und Datenerhebung

In BiLieF wurde mit der Triangulation quantitativer und qualitativer Forschungs-methoden ein umfassendes Bild der Entwicklung von Grundschulkindern mit SPF-L gezeichnet (ausführlich vgl. Wild, Lütje-Klose, Schwinger, Gorges & Neumann, 2017). In der quantitativen Teilstudie wurde ein quasi-experimentelles Längsschnittdesign mit drei Messzeitpunkten in der dritten und vierten Klasse realisiert. Durch eine weitere Erhebung in der fünft en Klasse konnten Übergangsmuster nachge-zeichnet werden. Die Kinder befanden sich zu Beginn des Längsschnitts in ei-nem der drei genannten Modelle (FS, GU oder KsF). Neben der Kompetenz- und Wohlbefi ndensentwicklung der Kinder wurden weiterführende Kontextfaktoren durch standardisierte Befragungen der Lehrkräft e, Schulleitungen und Eltern erfasst (vgl. Schwinger et al., 2015; Wild et al., 2015). In der qualitativen Teilstudie wurden Merkmale auf der Ebene der Einzelschule in systematisch ausgewählten Fallstudien vertiefend untersucht.

Die Datenerhebungen fanden zwischen November 2012 und Juli 2014 statt. Zum ersten Messzeitpunkt waren die Schülerinnen und Schüler zwischen 8 und 11 Jahren alt (M  =  8.75; SD  =  .66; vgl. Wild et al., 2015). Die Teilstichproben in in-klusiven Grundschulen und in Förderschulen sind hinsichtlich der relevanten Kon-trollvariablen sozioökonomischer Status des Elternhauses (operationalisiert mit dem HISEI) und Migrationshintergrund (operationalisiert über die vorrangig im Elternhaus gesprochene Sprache) vergleichbar (vgl. Stranghöner, Hollmann, Otter pohl, Wild, Lütje-Klose & Schwinger, 2017). Jungen sind, in Übereinstimmung mit anderen Studien (vgl. z.B. Euen, Vaskova, Balzebug & Bos, 2015), in Förder schulen überreprä-sentiert (vgl. Stranghöner et al., 2017). Durch Zu- und Abgänge variiert die Stichprobe über die Messzeitpunkte hinweg, jedoch ist insgesamt eine sehr hohe Konstanz zwi-schen den Messzeitpunkten festzustellen. Um eine valide Erfassung psychosozia-ler Merkmale per Fragebogen sicherzustellen, wurden zum einen Einzelbefragungen mit den Schüler*innen durchgeführt; zum anderen wurden grundsätzlich bewährte Instrumente für die Zielgruppe der BiLieF-Studie adaptiert (vgl. Wild et al., 2017). Zum ersten und dritten Messzeitpunkt wurden Lehrkräft e, zum ersten Messzeitpunkt auch Schulleitungen mittels standardisierter Fragebögen zu den spezifi schen Rah men-bedingungen der Schule befragt. Merkmale des Elternhauses wurden durch eine zwei-malige standardisierte Befragung der Eltern erfasst (vgl. Abb. 1).

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Abb. 1: Datengrundlage und Forschungsdesign

Quelle: eigene Darstellung

Auf Basis der zum ersten Messzeitpunkt erhobenen kindbezogenen Daten wurden für die qualitative Teilstudie insgesamt sieben Schulen ausgewählt, an denen die be-fragten Schüler*innen mit SPF-L durchschnittlich hohe versus niedrige Leistungs- und Wohlbefi ndenswerte aufwiesen, um einen Extremgruppenvergleich vorneh-men zu können.3 Zur Annäherung an die Frage nach den Gelingensbedingungen schulischer Inklusion für Kinder mit SPF-L, für die insbesondere ein hohes schu-lisches Wohlbefi nden als Indikator gelten kann (vgl. Zurbriggen & Venetz, 2016), wurden in diesen Schulen Gruppendiskussionen mit allgemeinen und sonderpäd-agogischen Lehrkräft en, Interviews mit Schulleitungen, Dokumentenanalysen so-wie Unterrichtshospitationen durchgeführt. Diese wurden zunächst getrennt mittels strukturierter Inhaltsanalyse (vgl. Mayring, 2010; Kuckartz, 2012) induktiv-deduktiv ausgewertet und in einem übergreifenden Kategoriensystem zusammengeführt, um solche Aspekte herauszuarbeiten, die von den Befragten besonders relevant gemacht wurden und im Vergleich der Fälle stark kontrastierten. Daran anschließend wurden besonders gehaltvolle Stellen ausgewählt und mittels dokumentarischer Methode re-konstruiert (nach Bohnsack, 2012) sowie in mehreren Cross Case Studies (nach Kelle & Kluge, 2010) vergleichend interpretiert (vgl. Serke, Lütje-Klose, Kurnitzki, Pazen &

3 Dazu wurden die Schulen in einem Statistical Sampling in eine Rangreihe im Hinblick auf die von den befragten Schüler*innen erreichten Wohlbefi ndens- und Leistungswerte ge-bracht. Für die Stichprobe der qualitativen Studie wurde aus jedem untersuchten Modell (FÖS-L, GU, KsF) mindestens je eine Schule mit besonders hohen und eine Schule mit be-sonders niedrigen Werten der Kinder mit SPF-L ausgewählt.

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Wild, 2015; Lütje-Klose, Kurnitzki & Serke, 2015; Lütje-Klose, Serke, Hunger & Wild, 2016; Serke, 2018).

4. Zentrale Befunde

4.1 Die psychosoziale und Kompetenzentwicklung der Kinder

Insgesamt zeichnen die Befunde zur Leistungs- und psychosozialen Entwicklung von Kindern mit SPF-L in inklusiven versus exklusiven Fördersettings ein positi-ves Bild. Zunächst berichteten inklusiv beschulte Kinder im betrachteten Zeitraum über ein durchschnittlich ebenso hohes Wohlbefi nden und Selbst konzept wie Förderschulkinder. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass theo-retisch erwartbare, negative Folgen sozialer Aufwärtsvergleiche und Stigmati sie-rungserfahrungen entweder in etwa gleich starkem Maße zu Buche schlagen oder im Grundschulalter (noch) nicht greifen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Analysen von Gorges, Neumann, Wild, Stranghöner und Lütje-Klose (vgl. 2018), wonach die Einschätzung des akademischen Selbstkonzeptes in inklusiven Settings von der tatsächlichen Leistungsentwicklung „entkoppelt“ scheint. Auch ist zu beto-nen, dass innerhalb der Schulen eine erhebliche Streuung der Werte zu beobachten ist. Dies liefert erste Hinweise auf die Bedeutung von Bedingungen auf der Ebene der Einzelschule und -klasse (siehe Abschnitt 4.2; vgl. Neumann, Lütje-Klose, Wild & Gorges, 2017).

Des Weiteren bauen Kinder in allen Fördersettings ihre Lese- und Recht schreib-kompetenzen kontinuierlich über die drei untersuchten Zeitpunkte aus, auch wenn sie weit überwiegend nicht an das Kompetenzniveau von Gleichaltrigen ohne Förderbedarf anschließen. Im Querschnitt bestätigen die BiLieF-Befunde den auch in anderen Studien gefundenen deutlichen Leistungsvorsprung von Schüler*innen mit Lernbeeinträchtigungen in inklusiven Schulen gegenüber Kindern in Förderschulen. Dies dürft e jedoch eher auf Selektions- bzw. Allokationseff ekte zurückzuführen und nicht unbedingt als Folge diff erenzieller formaler Settings zu interpretieren sein, da sich die Kompetenzentwicklung in beiden Gruppen nicht bedeutsam und konsistent unterscheidet. Konkret schreitet die Lesekompetenzentwicklung von inklusiv beschul-ten Drittklässler*innen etwas schneller voran als die von Förderschulkindern; dafür weisen die Schüler*innen in Förderschulen eine positivere Leistungsentwicklung im Schreiben auf (vgl. Stranghöner et al., 2017).

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4.2 Schulische Kontextfaktoren des Lernens – Haltung, Kooperation und Rolle der sonderpädagogischen Lehrkräft e

Die breite Streuung von Leistungs- und Wohlbefi ndenswerten in den untersuch-ten Modellen und die Befunde zu den Schulformeff ekten im Längsschnitt legen nahe, dass weniger distale Faktoren (hier: das inklusive oder exklusive Be schu lungs-modell) als vielmehr proximale Bedingungen für die Leistungs- und Wohl befi ndens-entwicklung der Schüler*innen mit SPF-L relevant sind. Proximale Schul faktoren können auf verschiedenen Ebenen beschrieben werden (vgl. Reiser, Klein, Kreie & Kron, 1986; Lütje-Klose & Urban, 2014). Auf der Klassenebene gehören dazu u. a. die Einstellungen und die didaktisch-methodischen Orientierungen der Lehr kräft e sowie die Klassenkomposition; auf der Ebene der Einzelschule sind neben den pä-dagogischen Haltungen im Kollegium und in der Schulleitung auch die koope-rativen Strukturen und Prozesse von Bedeutung. Die genannten Faktoren waren Gegenstand der qualitativen Teilstudie, im Rahmen derer Einzelfallstudien und daran anschließend vergleichende Analysen auf der Grundlage von Gruppendiskussionen, Schulleitungsinterviews und Unterrichtshospitationen durchführt wurden.

Die rekonstruktiv gewonnenen Einsichten seien im Folgenden zusammengefasst: Trotz relativ vergleichbarer – und mit einer Ausnahme durchgängig als unzurei-chend beklagter – Ressourcenausstattung der untersuchten inklusiven Schulen unter-scheiden sich die Schulen mit über- und unterdurchschnittlichen Schüler-Outcomes über die verschiedenen Modelle hinweg systematisch (a) in den im Kollegium ge-teilten Wertorientierungen und Einstellungen in Bezug auf den Umgang mit Kindern mit unterschiedlichen Bedarfen (individuelle Ebene), (b) in ihren didak-tischen Orientierungen und der Gestaltung von Lehrer-Schüler- und kollegialen Beziehungen (interaktionelle Ebene) sowie (c) in der Verfolgung inklusiver Schul ent-wicklungsprozesse, dem Ausmaß etablierter Kooperationsstrukturen und dem Einsatz zur Verfügung stehender sonderpädagogischer Ressourcen (institutionelle Ebene).

Demnach zeichnen sich die Schulen mit besonders hohen Wohlbefi ndens- und Leistungswerten der Kinder mit SPF-L in allen drei Modellen vor allem durch ein ho-hes Maß an etablierten Kooperationsstrukturen und gemeinsam entwickelten Kon-zepten zur adaptiven Unterrichtung und Förderung von Kindern mit heterogenen Eingangsvoraussetzungen aus. Geteilte inklusive Werte der Lehrkräft e, wie sie aus den Gruppendiskussionen rekonstruiert werden konnten, gehen dabei Hand in Hand mit kollektiv verfolgten didaktisch-methodischen Prinzipien, die das inklusionspäda-gogische Spannungsfeld von Individualisierung und Herstellung von Gemeinsamkeit (vgl. Werning & Lütje-Klose, 2016) gezielt aufnehmen. Eine grundsätzliche Akzeptanz von Heterogenität als Normalität ist dabei verbunden mit einer adaptiven Leistungs-orientierung und schlägt sich in der Verfolgung unterrichtsintegrierter und fl an-kierender Maßnahmen nieder, die an den jeweils aktuellen Leistungsstand der Schüler*innen angepasst sind (vgl. dazu ausführlich Lütje-Klose et al., 2015).

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Für die Herstellung solch günstiger Voraussetzungen ist wiederum maßgeblich, in-wiefern die Schulleitungen die Entwicklung eines gemeinsamen Leitbildes mit ent-sprechenden inklusiven Orientierungen der Lehrkräft e forcieren und sich für die Her-stellung formaler Voraussetzungen für eine strukturierte Kooperation im Kol le gium verantwortlich sehen (z. B. explizite Wertschätzung der Kooperation, Eta blie rung von Zeitfenstern für die Zusammenarbeit im Konferenz- und Stunden plan in den Jahrgängen und Fächern sowie bezogen auf die Förderplanung und Fall besprechung; vgl. Lütje-Klose et al., 2016).

Die Rollen, die sonderpädagogische Lehrkräft e in Schulen übernehmen (können), variieren in Abhängigkeit vom Setting (inklusiv vs. exklusiv) bzw. sonderpädagogi-schen Fördermodell (Förderschule vs. GU vs. KsF) sowie von Unterschieden in der Ausprägung kooperativer Strukturen im Kollegium. In den Förderschulen sind sie typischerweise als „Allrounder“ tätig und übernehmen alle Aufgabenbereiche von Lehrkräft en (Unterrichten, Erziehen, Diagnostizieren, Fördern, Beraten, Innovieren). Unterschiede im Hinblick auf die untersuchten Förderschulen mit hohen versus nied-rigen Schülerwerten zeigen sich im Hinblick auf die pädagogische Beziehung der son-derpädagogischen Lehrkräft e zu den Schüler*innen, ihre Bezugsnormorientierung und ihren Umgang mit der – auch an Förderschulen vorzufi ndenden – Heterogenität der Kinder mit SPF-L. So zeigen diese ein hohes Wohlbefi nden vor allem an der Schule, an der ihnen mit Anerkennung und Wertschätzung begegnet wird bei gleich-zeitig hoher individueller Leistungsorientierung – und umgekehrt (vgl. Serke, 2018).

Für die erfassten Schulen, an denen das Modell des „Gemeinsamen Unterrichts“ re-alisiert wird und an denen Schüler*innen mit SPF-L im Mittel hohe Kompetenz- und Wohlbefi ndenswerte erzielen, ist kennzeichnend, dass den Kollegien eine gleichberechtigte Kooperation bei gemeinsamer Verantwortungsübernahme von Grundschullehrkräft en und sonderpädagogischen Lehrkräft en für alle Kinder wich-tig ist. Dies umfasst vor allem eine Betonung der Rollenüberschneidung: „Und un-ser Konzept funktioniert nicht so, dass, sag ich mal, die Förderschullehrer sich wirklich nur […] auf die Kinder beziehen, die eben diesen Förderbedarf haben.“ (GSL, Schule B, GS_GU) Noch ausgeprägter bestätigt sich diese Sichtweise an der anderen befrag-ten GU-Schule mit hohen Schülerwerten: „Wenn man da ist als Lehrer, dann ist man da, egal ob man jetzt irgendwie Förderlehrer ist oder Klassenlehrer, sondern da is man halt Lehrer.“ (SoL, Schule A, GS_GU) Für die sonderpädagogischen Lehrkräft e die-ser Schulen wurde der Typus einer „gleichberechtigten Sonderpädagogin“ rekonstru-iert, die in erster Linie als (weitere) Lehrerin bei gemeinsamer Zuständigkeit für alle Kinder gesehen wird.

In den untersuchten Schulen des Kompetenzzentrumsmodells ist eine im Vergleich dazu stärkere Auft eilung der Zuständigkeiten zu beobachten: Hier werden die be-sondere Expertise, der „andere Blick“ und eine stärker beratende Rolle der son-derpädagogischen Lehrkräft e betont. Dabei stehen eher die Aufgabenbereiche

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Diagnostizieren, Fördern und Beraten im Vordergrund, so dass der Typus ei-ner „sonderpädagogischen Expertin“ rekonstruiert werden konnte: „[…] und da bin ich auch sehr dankbar, weil ich wüsste nicht, wo und wie ich gucken sollte. Und die [Förderlehrkraft ] hat nen ganz andern Blick auf viele Sachen. So wie du grade sagtest; so hab ich das noch nie gesehen.“ (GSL, Schule D, GS_KSF)

Speziell in der KsF-Schule mit hohen Outcomes sind etablierte Formate des Austauschs und der gemeinsamen Planung festzustellen. Dennoch lässt sich auch an dieser Schule der Typus einer „marginalisierten sonderpädagogischen Lehrkraft “ re-konstruieren, der an den Grundschulen mit niedrigem Wohlbefi nden und nied-riger Leistung sowohl im GU- als auch im KsF-Modell dominiert. So beschreibt eine sonderpädagogische Lehrkraft , dass ihre Förderangebote als „Sachen aus dem Kindergarten“ von den Grundschulkolleginnen diskreditiert werden: „Wie, du gehst jetzt in Klasse drei – das sind doch die Sachen aus Klasse eins, ne; ich nehm mir dann auch schon mal die Freiheit raus und ähm achte nicht auf das, was ihr machen müsst.“ (SoL, Schule D, GS_KSF) Die Arbeit an den für Kinder mit SPF-L aus Sicht der Sonderpädagogin erforderlichen schulischen Basiskompetenzen oder an niveau-diff erenzierten Aufgaben muss von ihr als „Freiheit“ verteidigt werden; sie droht im Kollegium abgewertet und in Formate der äußeren Leistungsdiff erenzierung „ver-bannt“ zu werden. Für die sonderpädagogische Lehrkraft verbindet sich damit die Gefahr einer Marginalisierung ihrer Rolle, die in starker Abhängigkeit von den Vorstellungen der jeweiligen Grundschulkolleginnen steht. Von ihr wird eine hohe Flexibilität in der eigenen Planung gefordert: „Ja ich versuch mich da immer so rein zu passen, ne. Mal merk ich einfach, die brauchen mich jetzt in der Klasse, und manch-mal mach ich dann auch ähm wenn ich sie raus nehm meine Wahrnehmungsspielchen.“ (SoL, Schule E, GS_KSF)

Die im Ankerzitat zu Tage tretende Trennung fachlicher Zuständigkeiten ist über die Auswirkungen auf die Kooperationsbeziehungen zwischen Lehrkräft en hinaus auch dahingehend zu problematisieren, dass dies auch zur Marginalisierung von ein-zelnen Schüler*innen beitragen kann (vgl. z. B. Sturm & Wagner-Willi, 2016). So geht an den Schulen, in denen die Kinder mit SPF-L niedrige Wohlbefi ndens- und Leistungswerte erreichen, die Marginalisierung der sonderpädagogischen Lehrkräft e zum Teil zugleich mit wenig wertschätzenden Äußerungen über die Schüler*innen mit SPF-L seitens der Grundschullehrkräft e einher (vgl. Serke, 2018). In diesen Schulen ist auf der Ebene der pädagogischen Haltungen zugleich eine Ablehnung der Inklusionsanforderung als „Zumutung“ vorzufi nden (vgl. Serke et al., 2015).

Die unterschiedlichen Rollenausprägungen variieren unseren Auswertungen nach nicht systematisch mit dem Umfang der an den Schulen zur Verfügung stehenden sonderpädagogischen Personalressourcen und auch nicht zwingend mit dem forma-len Modell. Allerdings wird die sonderpädagogische Lehrkraft im KsF-Modell auf-grund ihrer teilweise geringen Anwesenheitszeiten an einer Schule als „unsichere

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Partnerin“ wahrgenommen, die nicht regelmäßig verlässlich zur Verfügung steht. Die Chancen einer stärkeren Integration der sonderpädagogischen Lehrkräft e von den Kollegien werden durchgängig an eine personelle Kontinuität und einen nicht zu ge-ringen Umfang regelmäßiger Mitarbeit in den Klassen geknüpft . Der hiermit verbun-dene Rückgriff auf professionsgebundene Zuständigkeiten qua Expertise ist nicht los-gelöst von dem Dilemma zu betrachten, dass mit sonderpädagogischer Diagnostik und Förderung auch der Konstruktion der eigenen Klientel Vorschub geleistet wird und damit bestimmte Machtverhältnisse i. S. v. Deutungshoheiten verbunden sein können (vgl. Kottmann, Miller & Zimmer, 2018).

Im Anschluss an den in der qualitativen Teilstudie herausgearbeiteten hohen Stellenwert einer in Umfang und Art funktionalen multiprofessionellen Kooperation wurden in BiLieF gezielt weiterführende quantitative Auswertungen durchgeführt. So lässt sich beispielsweise anhand der standardisierten Lehrkräft ebefragung zum dritten Messzeitpunkt zeigen, dass Grundschul- und sonderpädagogische Lehrkräft e in in-klusiven Grundschulen häufi ger kooperieren als Lehrkräft e an Förderschulen, in de-nen sie in der Regel als Klassenlehrkräft e tätig sind (vgl. Neumann, i. V.). Zudem ist festzuhalten, dass Lehrkräft e allgemeiner Schulen und sonderpädagogische Lehrkräft e in unserem Sample gleichermaßen hoch motiviert sind, ihre Kooperationspraxis durch Fortbildungen weiterzuentwickeln (vgl. Gorges, Neumann, Wild & Lütje-Klose, 2017).4

5. Ausblick

Schulische Inklusion steht auch in Deutschland, spätestens seit Ratifi zierung der UN-BRK, weit oben auf der bildungspolitischen Agenda. Umso kritischer ist der (auch international zu konstatierende) Mangel an längsschnittlichen Studien, in denen die psychosoziale und Kompetenzentwicklung von Kindern mit festgestelltem sonder-pädagogischem Unterstützungsbedarf unter Berücksichtigung der jeweils etablier-ten Modelle sonderpädagogischer Förderung nachgezeichnet wird. Kritisch anzumer-ken ist ferner, dass in vielen vorliegenden Arbeiten Schüler*innen unterschiedlichen Alters und mit divergierenden Förderbedarfen zusammengefasst werden.

Mit dem BiLieF-Projekt wurden eben diese Desiderata aufgegriff en, indem die psy-chosoziale und Leistungsentwicklung einer Zielgruppe – nämlich Grundschulkinder ab der 3. Klasse mit SPF-L – auf quantitativ breiter Basis über ein im hiesi-gen Bildungssystem kritisches Zeitfenster, nämlich von der dritten bis zur fünft en

4 Daran anschließend wird im aktuell begonnenen Projekt BiFoKi (Bielefelder Fortbildungs-konzept zur Kooperation in inklusiven Schulen) die Wirkung einer auf die multiprofessio-nelle Kooperation im Jahrgangsteam sowie auf die Eltern-Lehrkräft e-Kooperation ausgerich-teten Fortbildung auf verschiedenen Ebenen evaluiert (vgl. URL: www.bifoki.de; Zugriff am 10.05.2018).

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Klasse, verfolgt und hierfür mutmaßlich bedeutsame Bedingungen sowohl quan-titativ (Basisstichprobe) als auch qualitativ (Intensivstichprobe) analysiert wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere die Kategorie „Sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt Lernen“ eine Bandbreite an Merkmalen subsumiert, welche u. U. zwischen den Schüler*innen divergieren und für das kon-krete Fallverstehen nur im Kontext des jeweiligen pädagogischen Settings zu refl ektie-ren sind (vgl. Werning & Lütje-Klose, 2016). Ein damit assoziiertes Desiderat der bis-herigen Forschung und zugleich eine Herausforderung für zukünft ige Studien ist eine konkretere Bestimmung und Identifi zierung der Zielgruppe, welche über die formal-administrative Zuweisung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs hinausgeht.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der erfreulich geringen Drop-out-Quoten vermag BiLieF belastbare Erkenntnisse zu liefern. Hierzu zählt, dass sich Schüler*innen mit SPF-L im Mittel sowohl in exklusiven als auch in inklusiven Settings wohlfühlen, sozial eingebunden sind und eine vergleichbare Leis tungs-entwicklung durchlaufen. Im Unterschied zu früheren Studien fi nden sich in BiLieF keine Hinweise darauf, dass das Wohlbefi nden und die wahrgenommene sozia-le Partizipation in Grundschulen mit GU und KsF signifi kant ungünstiger ausfallen als in Förderschulen. Dieser Befund weist zusammen mit der hohen Wertestreuung innerhalb der Settings darauf hin, dass interindividuell diff erierende Entwicklungen vorrangig auf proximale, d. h. an der einzelnen Schule bzw. Klasse vorfi ndliche, Bedingungen zurückzuführen sein dürft en. Gleichlautende Schlussfolgerungen fi nden sich allgemein in der empirischen Bildungsforschung (vgl. Helmke, 2015) wie auch in weiteren Studien zu inklusivem Unterricht (vgl. Spörer, Schründer-Lenzen, Vock & Maaz, 2015; Werning, Mackowiak, Rothe & Müller, 2017) – auch hier erschei-nen die Eff ekte des organisatorischen Fördersettings vernachlässigbar im Vergleich zu proximalen Schulmerkmalen. Somit dürft e die öff entliche Inklusionsdebatte in ihrer einseitigen Fokussierung auf formale Systemmerkmale im Kern an den in der Praxis zu bewältigenden Herausforderungen im Umgang mit Heterogenität vorbei-laufen. Denn für jede Schulleitung und jedes Kollegium stellt sich die Frage, welche Rahmenbedingungen und didaktischen Anstrengungen zur optimalen Förderung auch und gerade von Schüler*innen mit SPF-L wünschenswert und mit gegebenen Ressourcen zu realisieren sind. Diesbezüglich zeigen sich in der BiLieF-Studie die be-sondere Bedeutung der Kenntnis und Wertschätzung unterschiedlicher professioneller Expertisen und Perspektiven sowie eine damit verbundene Verzahnung grundschul-pädagogischer und sonderpädagogischer Förderressourcen. Um dies zu unterstützen, ist auf ein gemeinsam getragenes, inklusives Leitbild und auf den Aufb au systemati-scher Teamstrukturen auf Schul- und Klassenebene hinzuarbeiten.

Insgesamt bleibt festzuhalten: In zukünft igen Forschungsvorhaben, aber auch im Rahmen bildungspolitischer Entscheidungsprozesse sollte der Blick stärker auf pro-ximale (vs. formale) Bedingungen der Schul- und Unterrichtsqualität gerichtet wer-den, mit deren Hilfe auch diff erenzielle Entwicklungsverläufe innerhalb der einzel-

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nen Modelle sonderpädagogischer Förderung erklärt werden können. Weiterhin ist ein deutliches Desiderat hinsichtlich der Entwicklung von Schüler*innen mit sonder-pädagogischen Unterstützungsbedarfen in der Sekundarstufe zu konstatieren, insbe-sondere, da in der Sekundarstufe die Schulformen und auch die Fördersettings für Schüler*innen mit sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfen noch stärker ausdif-ferenzieren als schon in der Primarstufe.

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Die Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in Förderarrangements (BiLieF)

121DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

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Birgit Lütje-Klose/Phillip Neumann/Julia Gorges/Elke Wild

122 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

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Birgit Lütje-Klose, Prof. Dr., Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwer punkt schulische Inklusion und sonderpädagogische Professionalität an der Universität Bielefeld.E-Mail: [email protected]

Phillip Neumann, Dipl.-Päd., Wissenschaft licher Mitarbeiter an der Fakultät für Erzie-hungs wissenschaft , Universität Bielefeld.E-Mail: [email protected]

Anschrift : Universität Bielefeld, Fakultät für Erziehungswissenschaft , AG 3: Schul-theorie mit dem Schwerpunkt Grund- und Förderschulen, Universitätsstraße 25, 33615 Bielefeld.

Julia Gorges, Dr., Wissenschaft liche Mitarbeiterin im Projekt „Bielefelder Fort-bildungskonzept zur Kooperation in inklusiven Schulen“ (BiFoKi) an der Universität Bielefeld.E-Mail: [email protected]

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Die Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in Förderarrangements (BiLieF)

123DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

Elke Wild, Prof. Dr., Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Bielefeld.E-Mail: [email protected]

Anschrift : Universität Bielefeld, Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft , Abteilung Psychologie, Arbeitseinheit 09: Pädagogische Psychologie, Universitäts-straße 25, 33615 Bielefeld

Silke Laux, Eva Adelt (Hrsg.)

Inklusive Schulkultur: Miteinander. Leben. GestaltenGrundlagen und Beispiele gelungener Praxis

Die Beiträge in diesem Sammelband befassen sich mit wichtigen Aspekten zur Entwicklung einer inklusiven Schulkultur. Wissenschaftli-che Befunde werden mit gelungenen Entwick-lungsprozessen aus schulischer Praxis ergänzt und in Hinblick auf Qualitätsindikatoren erör-tert. Dabei stehen Fragen im Mittelpunkt wie: „Welche Merkmale haben inklusiv arbeitende Schulen?“ „Wie kann es gelingen, inklusions-förderliche Haltungen bei allen Beteiligten zu entwickeln?“ und „Wie lässt sich (multi-)pro-fessionelle Zusammenarbeit gestalten?“. Durch die Verknüpfung der unterschiedlichen Herangehens- und Sichtweisen der Beiträge lassen sich weiterführende thematische An-satzpunkte identifizieren, die weitere Impulse für die Entwicklung einer inklusiven Schulkul-tur geben können.

UNSERE BUCHEMPFEHLUNG

www.waxmann.com

Beiträge zur Schulentwicklung, 2018, 184 Seiten, br., 28,90 €,

ISBN 978-3-8309-3824-8E-Book: 25,99 €,

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1

ZusammenfassungBrandenburg startete im Schuljahr 2012/2013 das Pilotprojekt „Inklusive Grundschule“ (PING). 35 dieser Pilot-Grundschulen wurden wissenschaft lich begleitet (vgl. Spörer, Schründer-Lenzen, Vock & Maaz, 2015). In diesem Beitrag berichten wir Befunde zum sozialen Selbstkonzept, wie die Kinder das Klassenklima erleben und wie sie sich von ihrer Lehrkraft angenommen fühlen. Untersucht wurden 1.435 Kinder in 61 inklusi-ven Klassen der Jahrgangsstufen 2 und 3. Es fi nden sich keine durchgängigen Nachteile bei Selbstkonzept und erlebtem Klassenklima für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF), jedoch fühlen sich diese weniger von ihren Lehrkräft en angenom-men.Schlüsselwörter: Inklusion, Grundschule, soziale Integration, Förderbedarf, gemeinsamer Unterricht

“My Teachers Like Me” – Social Integration of Children with Special Educational Needs in Inclusive ClassesFindings from the Pilot Project “Inclusive Primary Schools” in the German State of Brandenburg1

SummaryBrandenburg started the pilot project “Inclusive Primary Schools” (PING) in the school year 2012/2013. 35 of these pilot primary schools were scientifi cally supported (cp. Spörer, Schründer-Lenzen, Vock & Maaz, 2015). In this article we report fi ndings on the social self-concept, how children experience the class climate, and how they feel ac-cepted by their teachers. Th e study examined 1,435 children in 61 inclusive 2nd and 3rd

1 Die in diesem Beitrag dargestellten Befunde wurden bereits im Abschlussbericht des Pilot-projekts „Inklusive Grundschule“ berichtet.

Miriam Vock/Anna Gronostaj/Julia Kretschmann/Andrea Westphal

„Meine Lehrer mögen mich“ – Soziale Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht in der GrundschuleBefunde aus dem Pilotprojekt „Inklusive Grundschule“ im Land Brandenburg1

DDS – Die Deutsche Schule 110. Jahrgang 2018, Heft 2, S. 124–137

https://doi.org/10.31244/dds.2018.02.03 © 2018 Waxmann

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„Meine Lehrer mögen mich“ – Soziale Integration von Kindern

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grade classes. Th ere are no consistent disadvantages regarding self-concept and experi-enced class climate for children with special educational needs, but they feel less accept-ed by their teachers.Keywords: inclusion, primary school, social integration, special educational needs, inclu-sive education

Einleitung

Inklusiver Unterricht, also ein gemeinsamer Unterricht für Kinder mit und ohne son-derpädagogischen Förderbedarf (SPF), ist meist günstiger für das schulische Lernen und die Leistungen von Kindern mit Förderbedarf als ein Unterricht im separaten Setting einer Förderschule: Kinder mit einem SPF erreichen an Regelschulen durch-schnittlich bessere schulische Leistungen als an Förderschulen. Für diesen Befund mehren sich in den letzten Jahren empirische Ergebnisse aus der internationa-len Forschung (vgl. Katz & Mirenda, 2002; Ruijs & Peetsma, 2009), aber auch aus Studien aus dem deutschen Schulsystem (vgl. Kocaj, Kuhl, Kroth, Pant & Stanat, 2014; Wild et al., 2015). Erklärt werden die günstigeren Lernverläufe unter ande-rem mit einem höheren Anregungsniveau des Unterrichts und Auswirkungen des ge-meinsamen Lernens mit leistungsstärkeren Schüler*innen in inklusiven Klassen, aber auch Selektionseff ekte (vgl. Stranghöner, Hollmann, Otterpohl, Wild, Lütje-Klose & Schwinger, 2017) werden diskutiert.

Über das fachliche Lernen hinaus verfolgt die Schule aber auch weitere Ziele. Ein zentrales Ziel von Schule und Unterricht ist, dass die Schüler*innen sich in ihrer Klasse wohl fühlen und sich als zugehörig wahrnehmen (vgl. Martschinke, Kopp & Ratz, 2012). Inklusiver Unterricht an Regelschulen wird häufi g mit dem Ziel begrün-det, dass er Vorurteile reduzieren und mehr soziales Miteinander von Schüler*innen mit und ohne SPF ermöglichen kann (vgl. Avramidis, 2010). Die Befundlage zu den nicht-fachlichen Ergebnissen inklusiven Unterrichts ist bislang nicht eindeutig, wes-halb zunehmend gefordert wird, nicht mehr reine Platzierungseff ekte (Förderschule vs. inklusive Klassen an Regelschulen) zu untersuchen (vgl. Grosche & Vock, 2018), sondern stattdessen auf Gelingensbedingungen in den Settings zu fokussieren.

In diesem Beitrag folgen wir diesem Ansatz und berichten Ergebnisse zum sozi-alen Selbstkonzept, zum selbsteingeschätzten Klassenklima und zum Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrkraft von Grundschulkindern mit und ohne SPF, die in inklusiven Klassen an Regelschulen unterrichtet werden. Die Ergebnisse wur-den im Rahmen des Brandenburger Pilotprojekts „Inklusive Grundschule“ (PING; vgl. Spörer et al., 2015) gewonnen.

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Miriam Vock/Anna Gronostaj/Julia Kretschmann/Andrea Westphal

126 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

1. Soziale Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf

In der eigenen Klasse zu den weniger beliebten Kindern zu gehören, kann das Wohlbefi nden beeinträchtigen, was in der Folge auch Lernprozesse erschweren kann (vgl. Kullmann, Geist & Lütje-Klose, 2015). Sozial in eine Gruppe eingebunden zu sein, ist ein menschliches Grundbedürfnis und damit eine wichtige Grundlage für allgemeines Wohlbefi nden und psychische Gesundheit, aber auch für intrinsische Motivation und damit für gelingende Lernprozesse (vgl. Deci & Ryan, 2000; Krapp & Ryan, 2002). Wer in der Schulklasse nicht beliebt ist oder sozial ausgegrenzt wird, weist gleichzeitig oft auch soziale Defi zite (vgl. Frostad & Pijl, 2007) und Leistungs-schwierigkeiten auf (vgl. Gasteiger-Klicpera & Klicpera, 2001).

Zwar soll der inklusive Unterricht dazu führen, alle Kinder einzubinden und teilha-ben zu lassen; empirische Studien zeigen jedoch, dass das nicht immer gut gelingt. Tatsächlich sind Kinder mit einem SPF in inklusiven Klassen oft von Ausgrenzung bedroht (vgl. Frederickson & Furnham, 2001; Haeberlin, 2002; Huber & Wilbert, 2012; Krull, Wilbert & Hennemann, 2014; Schwab, 2016); dies betrifft im Besonderen Schüler*innen mit aggressiven Verhaltensauff älligkeiten (vgl. Preuss-Lausitz, 1997). Der gemeinsame Unterricht von Schüler*innen mit und ohne SPF erfüllt somit im Hinblick auf die soziale Integration bisher die damit verknüpft en pädagogischen Hoff nungen häufi g noch nicht (vgl. Grosche & Vock, 2018).

Dabei unterscheiden sich einzelne Schulklassen; in manchen Klassen gelingt die Integration sehr gut, in anderen nicht. Diese Unterschiede deuten darauf hin, dass es Faktoren gibt, die dieser Ausgrenzung entgegenwirken können (vgl. Huber & Wilbert, 2012; Krull et al., 2014). Ein zentraler Faktor ist dabei off enbar die Lehrkraft . Entscheidend für die Integration in der Klasse ist hier die Sympathie, die die Lehrkraft einem Schüler oder einer Schülerin entgegenbringt, wie Huber (2011) für Grundschulkinder in Integrationsklassen zeigen konnte. Kinder, die von der Lehrkraft sympathisch gefunden werden, werden auch von ihren Mitschüler*innen besser inte-griert.

Als Erklärung werden soziale Referenzierungsprozesse diskutiert. Damit ist ge-meint, dass sich Menschen in neuen Situationen an einer sozialen Referenz orientie-ren, Kinder also beispielsweise in unvertrauten Situationen die aff ektiven Reaktionen der Erwachsenen nachahmen (vgl. Lohaus & Vierhaus, 2015). Die aff ektiven Re ak-tionen der Lehrkraft auf einzelne Kinder wirken für die anderen Kinder als ein Ver-haltensmodell, an dem sie sich orientieren.

Im besten Fall ist die Beziehung zwischen einer Lehrkraft und ihren Schüler*innen von Akzeptanz, Verständnis und Unterstützung geprägt, sodass bei den Schüler*innen

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„Meine Lehrer mögen mich“ – Soziale Integration von Kindern

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ein Gefühl des Angenommenseins entsteht. Wenn dies für die Beziehung mit ein-zelnen Kindern nicht zutrifft , könnte das soziale Selbstkonzept dieser Kinder beein-trächtigt werden. Auf der Ebene der ganzen Klasse ist ein positives Klassenklima eine wichtige Voraussetzung für Wohlbefi nden und gute Lernprozesse aller Schüler*innen; das Klassenklima wird von Kindern mit SPF oft als schlechter erlebt (vgl. Koster, Nakken, Pijl & van Houten, 2009).

Die vorliegende Studie widmet sich der übergreifenden Fragestellung, wie sich die soziale Integration von Kindern mit und ohne SPF in den Brandenburger PING-Grundschulen in den Jahrgangsstufen 2, 3 und 4 aus Sicht der Schüler*innen gestal-tet. Im Einzelnen werden dazu die folgenden Fragen untersucht:1) Wie ist das soziale Selbstkonzept der Schüler*innen mit und ohne SPF in PING-

Klassen ausgeprägt, wie erleben sie das Klassenklima, und wie sehr fühlen sie sich durch ihre Lehrerin oder ihren Lehrer angenommen? Unterscheiden sich Kinder mit und ohne SPF in diesen Einschätzungen?

2) Wie verändern sich soziales Selbstkonzept, Klassenklima und das Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrkraft über ein Schuljahr hinweg?

3) Mit welchen Merkmalen hängt es zusammen, wie das soziale Selbstkonzept eines Kindes in einer inklusiven Klasse ausgeprägt ist?

2. Methodisches Vorgehen

2.1 Studiendesign

Die Studie basiert auf längsschnittlichen Daten der wissenschaft lichen Begleit unter-suchung des Pilotprojekts „Inklusive Grundschule“ (PING) im Land Brandenburg (vgl. Spörer et al., 2015), bei dem Kinder mit den Förderschwerpunkten „Lernen“, „Emotionale und soziale Entwicklung“ sowie „Sprache“ inklusiv unterrichtet wur-den. Untersucht wurden N=1.435 Schüler*innen zweier Kohorten an 35 Schulen, davon N=705 Kinder der Jahrgangsstufe 2 (Kohorte 1) und N=730 Kinder der Jahrgangsstufe 3 (Kohorte 2). Die Kinder wurden zu Beginn (t0) und am Ende des Schuljahres 2012/13 (t1) sowie erneut ein Jahr später, am Ende des Schuljahres 2013/14 (t2), befragt. Die Kinder der Kohorte 1 wurden somit über das 2. und 3. Schuljahr, die Kinder der Kohorte 2 über das 3. und 4. Schuljahr begleitet.

2.2 Erhebungsinstrumente

Soziales Selbstkonzept. Das soziale Selbstkonzept wurde anhand von sechs Items zum Verhältnis zu den anderen Kindern der Klasse zu t1 und t2 erfasst; die Skala wurde aus der ELEMENT-Studie (vgl. Lehmann & Lenkeit, 2008) übernommen (Beispiel:

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Miriam Vock/Anna Gronostaj/Julia Kretschmann/Andrea Westphal

128 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

„Meine Mitschüler mögen mich so, wie ich bin“). Das Antwortformat war vierstufi g (von 0 = stimmt gar nicht bis 3 = stimmt genau; αt1 = .71, αt2 = .77).

Klassenklima, Gefühl des Angenommenseins. Das Klassenklima (Beispiel: „Meine Mit-schüler lachen über Schüler, die anders sind“) und das Gefühl des Angenommen-seins durch die Lehrkraft (Beispiel: „Meine Lehrer mögen mich“) wurden anhand von jeweils 8 Items des FEESS (vgl. Rauer & Schuck, 2003) zu t1 und t2 erfasst. Die Antwortskala war vierstufi g (von 0  =  stimmt gar nicht bis 3  =  stimmt genau). Die Messgenauigkeit der drei Skalen lag im akzeptablen bis guten Bereich (Klassenklima: αt1  =  .74, αt2  =  .80; Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrkraft : αt1  =  .77, αt2 = .83).

Festgestellter und vermuteter sonderpädagogischer Förderbedarf. Das Vorhandensein eines SPF wurde von den Klassenlehrkräft en oder den Inklusionsbeauft ragten der Schule zu t1 und t2 für jede Schülerin und jeden Schüler der Klasse erfragt („In wel-chem Bereich hat das Kind einen festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf?“). Zu t2 gaben die Lehrkräft e außerdem für alle Kinder ihrer Klasse an, ob sie einen SPF bei dem Kind vermuteten. Für 11 Prozent der Schüler*innen wurde zu mindes-tens einem der beiden Messzeitpunkte t1 und t2 ein festgestellter SPF berichtet. Für 15 Prozent der Schüler*innen wurde ein SPF vermutet.

Kognitive und fachliche Kompetenzen. Die Intelligenz der Kinder wurde zu t0 mithil-fe des fi guralen Untertests „Matrizen“ des Grundintelligenztests CFT 1 (vgl. Weiß & Osterland, 1997) gemessen. Zu allen drei Messzeitpunkten wurden die Kompetenzen im Lesen und Rechnen mithilfe der Würzburger Leise Leseprobe (WLLP-R; vgl. Schneider, Blanke, Faust & Küspert, 2011) und vier Subskalen des Heidelberger Rechentests (HRT 1–4; vgl. Haff ner, Baro, Parzer & Resch, 2005) erfasst.

Merkmale der familiären Herkunft . Von den Eltern wurden u. a. der höchste Schul-abschluss der Eltern (von 0  =  kein Schulabschluss bis 6  =  Hochschulreife), der der-zeitige Erwerbs status beider Elternteile (von 0  =  vollzeitbeschäft igt bis 5  =  Hausfrau/Hausmann) sowie die Geburtsländer von Eltern und Kind erfragt. Die Angaben zum höchsten Schulabschluss der Eltern und zum Erwerbsstatus der Eltern wur-den dicho tomisiert, d. h., es erfolgte eine Auft eilung in je zwei Kategorien: bei-de Eltern haben keine Fachhochschulreife (42 %) vs. mindestens ein Elternteil hat eine Fachhochschulreife; beide Elternteile sind berufstätig vs. mindestens ein Elternteil ist nicht berufstätig (26 %). Ein Migrationsstatus lag dann vor, wenn min-destens ein Elternteil im Ausland geboren war (7 %). Aus den Angaben zur derzeiti-gen Berufstätigkeit der Eltern wurde der International Socio-Economic Index gebildet (ISEI; vgl. Ganzeboom, De Graaf & Treiman, 1992); jeweils der höhere Wert beider Elternteile (HISEI) wurde verwendet.

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„Meine Lehrer mögen mich“ – Soziale Integration von Kindern

129DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

2.3 Statistische Analysen

Neben deskriptiven Analysen und t-Tests für verbundene Stichproben zur Prüfung von Unterschieden in den Merkmalsausprägungen zwischen den zwei Messzeit-punkten wurden hierarchische Mehrebenen-Regressionsmodelle gerechnet. Regres-sionsmodelle erlauben es, eine gemessene Variable – in diesem Fall das soziale Selbstkonzept der Kinder zum Zeitpunkt t2 – mithilfe mehrerer anderer gemesse-ner Variablen (hier z. B. dem vermuteten oder festgestellten SPF, dem Alter und dem Geschlecht) zu erklären (alle kontinuierlichen Variablen wurden vorab z-standardi-siert, so dass die Regressionsgewichte im Sinne von Eff ektstärken interpretiert wer-den können). Die Stärke solcher Regressionsmodelle besteht darin, dass verschiedene mögliche Erklärungsfaktoren gleichzeitig berücksichtigt werden und ihre jeweiligen Erklärungsanteile an der abhängigen Variable (soziales Selbstkonzept) berechnet wer-den können. Bei den Regressionsmodellen wurde zudem berücksichtigt, dass die un-tersuchten Kinder unterschiedliche Schulklassen besuchten, in denen möglicherwei-se jeweils unterschiedliche Rahmenbedingungen herrschten (statistisch spricht man hier von einer Mehrebenenstruktur der Daten). Dabei wurde in die Modelle auf Level 2 (Ebene der Schulklasse) die durchschnittliche Leistung der Kinder der jeweiligen Schulklasse im Lesen und im Rechnen aufgenommen; auch die Zugehörigkeit zu Kohorte 1 oder 2 wurde hier berücksichtigt.

Es wurden drei Regressionsmodelle berechnet: In Modell 1a wurde der festgestellte und in Modell 1b der vermutete SPF für die Vorhersage des sozialen Selbstkonzepts herangezogen; auf Level 2 (Klassenebene) wurde nur die Kohortenzugehörigkeit kon-trolliert – denn im Fokus der Analyse stehen mögliche Unterschiede zwischen den Kindern mit und ohne SPF, nicht aber zwischen beiden Kohorten. In Modell 2 wur-den der vermutete und der festgestellte SPF gemeinsam aufgenommen; zusätzlich wurden das Alter und das Geschlecht der Kinder, familiäre Hintergrundvariablen (HISEI, Erwerbstätigkeit und Schulabschluss der Eltern, Migrationsstatus), die ko-gnitiven und fachspezifi schen Leistungen der Schüler*innen sowie – auf Level 2 –die fachspezifi sche mittlere Klassenleistung aufgenommen. Zur Prüfung der Frage, welche Rolle die wahrgenommene Akzeptanz durch die Lehrkraft für das soziale Selbstkonzept spielt, wurde zusätzlich das Gefühl des Angenommenseins der Kinder durch die Lehrkraft berücksichtigt.

Da Regressionsmodelle eine große Anzahl an Variablen einbeziehen können, in de-nen jeweils einzelne Werte fehlen (z. B. durch einzelne von einer Person nicht be-antwortete Fragen), wird empfohlen, fehlende Werte im Datensatz vorab zu ersetzen. Auf Basis der vorhandenen Daten wurden deshalb mit dem Paket mice im Programm R mithilfe eines statistischen Verfahrens fehlende Werte geschätzt (Multivariate Imputation by Chained Equations; vgl. van Buuren & Groothuis-Oudshoorn, 2011; Rubin, 1987).

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Miriam Vock/Anna Gronostaj/Julia Kretschmann/Andrea Westphal

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3. Ergebnisse

In den Tabellen 1 und 2 sind zunächst die deskriptiven Befunde zum sozialen Selbst-konzept, zum Klassenklima und zum Gefühl des Angenommenseins durch die Lehr-kraft getrennt nach Kindern mit festgestelltem und ohne festgestellten SPF und nach beiden Kohorten dargestellt.

Forschungsfrage 1. Die Befunde unterscheiden sich zwischen beiden Kohorten: In Kohorte 1 unterscheiden sich Kinder mit und ohne SPF in ihrem sozialen Selbst-konzept (t1: d  =  0.03; t2: d  =  0.02) und ihrer Einschätzung des Klassenklimas (t1: d  =  0; t2: d  =  0.03) nur sehr wenig voneinander; das gilt für beide Messzeitpunkte. In Kohorte 2 hingegen zeigen sich für das soziale Selbstkonzept (t1: d  =  0.25; t2: d  =  0.33) und das Klassenklima (t1: d  =  0.30; t2: d  =  0.33) ungünstigere Ergebnisse für die Kinder mit festgestelltem SPF im Vergleich zu Kindern ohne SPF. Die Befundlage zum Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrkraft ist für beide Kohorten jedoch deutlich: Die Kinder mit festgestelltem SPF beider Kohorten füh-len sich im Vergleich zu Kindern ohne SPF im Mittel durchgängig weniger von ih-rer Lehrkraft angenommen (t1: dKohorte1  =  0.21; dKohorte2  =  0.36; t2: dKohor-te1 = 0.21; dKohorte2 = 0.23).

Forschungsfrage 2. Ebenfalls in den Tabellen 1 und 2 wird die Veränderung die-ser Merkmale im Verlauf zweier Jahrgangsstufen berichtet (Diff erenz zwischen t1 und t2), und es wird getestet, ob eine gefundene Veränderung statistisch signi-fi kant ist. Für alle Kinder in Kohorte 1 verschlechterten sich die Werte zum sozia-len Selbstkonzept und zum Klassenklima zwischen der 2. und der 3. Jahrgangsstufe leicht; der Unterschied ist jedoch nur für Kinder ohne SPF signifi kant. Das Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrkraft veränderte sich in Kohorte 1 über die Zeit nicht statistisch signifi kant. Für Kinder mit SPF kommt es für keines der Merkmale zu einer statistisch bedeutsamen Verschlechterung. In Kohorte 2 fi ndet sich für kei-ne der beiden Gruppen von Kindern eine statistisch bedeutsame Verschlechterung der Merkmalsausprägungen. Der einzige statistisch signifi kante Unterschied betrifft in dieser Kohorte die Kinder ohne SPF: Diese Kinder fühlen sich zu t2 von ihrer Lehrkraft stärker angenommen als zu t1.

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„Meine Lehrer mögen mich“ – Soziale Integration von Kindern

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Tab. 1: Entwicklung von sozialem Selbstkonzept, Klassenklima und Gefühl des Ange nom-men seins für Kohorte 1

Kohorte 1 Jahrgangs-stufe 2

Jahrgangs-stufe 3

Jahrgangs-stufe 2 3

N M SD M SD DiffM d p

SozialesSelbstkonzept

Kinder mit SPF 82 1.82 0.77 1.70 0.65 -0.12 -0.16 .132

Kinder ohne SPF 623 1.80 0.65 1.69 0.59 -0.11* -0.17 < .001

Gesamt 705 1.80 0.67 1.69 0.60 -0.11* -0.16 < .001

Klassenklima

Kinder mit SPF 82 1.90 0.65 1.83 0.64 -0.07 -0.11 .400

Kinder ohne SPF 623 1.90 0.60 1.81 0.65 -0.09* -0.15 < .001

Gesamt 705 1.90 0.61 1.81 0.64 -0.09* -0.15 < .001

Gefühl desAngenommen-seins

Kinder mit SPF 82 2.18 0.59 2.15 0.60 -0.03 -0.06 .626

Kinder ohne SPF 623 2.30 0.55 2.27 0.55 -0.03 -0.06 .176

Gesamt 705 2.29 0.55 2.25 0.55 -0.03 -0.06 .142

Anm.: * p < .05.

Tab. 2: Entwicklung von sozialem Selbstkonzept, Klassenklima und Gefühl des Angenom-men seins für Kohorte 2

Kohorte 2 Jahrgangs-stufe 3

Jahrgangs-stufe 4

Jahrgangs-stufe 3 4

N M SD M SD DiffM d p

SozialesSelbstkonzept

Kinder mit SPF 73 1.55 0.68 1.49 0.69 -0.06 -0.09 .564

Kinder ohne SPF 657 1.71 0.61 1.70 0.59 -0.01 -0.02 .354

Gesamt 730 1.70 0.62 1.68 0.60 -0.02 -0.03 .453

Klassenklima

Kinder mit SPF 73 1.50 0.72 1.45 0.73 -0.05 -0.07 .567

Kinder ohne SPF 657 1.70 0 .61 1.67 0.58 -0.03 -0.05 .208

Gesamt 730 1.68 0.63 1.65 0.60 -0.03 -0.05 .163

Gefühl des Angenommen-seins

Kinder mit SPF 73 1.92 0.72 2.07 0.62 0.15 0.21 .078

Kinder ohne SPF 657 2.15 0.55 2.20 0.51 0.05* 0.10 .013

Gesamt 730 2.12 0.58 2.19 0.52 0.06* 0.11 .003

Anm.: * p < .05.

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Tab. 3: Ergebnisse hierarchischer Regressionsanalysen zur Vorhersage des sozialen Selbst kon-zepts zum Ende des Schuljahres 2013/14 (t2; Kohorte 1: Jahrgangsstufe 3; Kohorte 2: Jahrgangsstufe 4)

Modell 1a Modell 1b Modell 2B p B p B p

Intercept 0.03 .629 0.08 .112 -0.12 .218Level 1

Festgestellter SPF1 -0.15 .122 0.08 .410Vermuteter SPF2 -0.43* < .001 -0.23* .011Alter 0.07 .082Geschlecht3 0.10 .088HISEI 0.05 .122Erwerbstätigkeit Eltern4 0.17* .017Schulabschluss Eltern5 0.02 .773Migrationsstatus6 -0.15 .182Gefühl des Angenommenseins (t2) 0.31* < .001HRT 1–4 (t2) 0.09* .012WLLP-R (t2) 0.11* .003CFT Matrizentest (t0) -0.02 .504

Level 2Kohorte7 -0.02 .768 -0.04 .611 -0.06 .607Mittlere Klassenleistung HRT 1– 4 (t2) -0.08 .501Mittlere Klassenleistung WLLP-R (t2) -0.16 .084

ICC 0.03 0.03 0.03R² Level 1 0% 2% 17%

Anm.: * p < .05. Abhängige Variable und metrische Prädiktoren am Grand-Mean z-stan dar-disiert. Referenzkategorien: 1 kein festgestellter Förderbedarf zu t1 oder t2; 2 kein ver-muteter Förderbedarf zu t2; 3 weiblich; 4 mind. ein Elternteil z. Z. nicht erwerbstätig; 5 kein Elternteil mit (Fach-)Hochschulreife; 6 beide Elternteile in Deutschland geboren; 7 Kohorte 1.

Forschungsfrage 3. Mithilfe von Regressionsanalysen wurden Zusammenhänge des sozialen Selbstkonzepts zu t2 mit Schüler- und Klassenmerkmalen für Kinder bei-der Kohorten berechnet (Tabelle 3). Es zeigt sich, dass der festgestellte SPF kein be-deutsamer Prädiktor für das soziale Selbstkonzept ist (Modell 1a), also keinen Erklärungswert für das soziale Selbstkonzept hat, wohl aber der durch die Lehrkraft vermutete SPF (Modell 1b). Die Tatsache, dass ein Kind einen festgestellten SPF hat, ist somit nicht entscheidend dafür, wie gut oder schlecht sein soziales Selbstkonzept ausgeprägt ist.

In Modell 2 wurden alle Kontrollvariablen auf Level 1 (Schülerebene) aufge-nommen, zusätzlich noch die mittlere Leistung der Schulklasse im Lesen und im Rechnen auf Level 2. Auch hier ist der von der Lehrkraft vermutete SPF aus-schlaggebend. Als bedeutsam für das soziale Selbstkonzept der Kinder zeigen sich in Modell 2 darüber hinaus vier der gemessenen Merkmale: Leistung im Rechnen (HRT 1–4), Leistung im Lesen (WLLP-R), der Erwerbsstatus der Eltern und das Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrkraft . Je größer also die individu-

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ellen Fähigkeiten im Rechnen und Lesen sind und je stärker das Gefühl, von der Lehrkraft angenommen zu sein, ist, desto günstiger fällt die Einschätzung der eige-nen sozialen Situation in der Klasse aus. Zudem berichten Kinder dann höhere sozi-ale Selbstkonzepte, wenn beide Eltern zum Erhebungszeitpunkt erwerbstätig waren. Alter, Geschlecht und Intelligenz der Kinder sowie der sozioökonomische Status oder eine Migrationsgeschichte der Familie hingegen hatten über die anderen Merkmale hinaus keinen Eff ekt auf die Ausprägung des sozialen Selbstkonzepts.

4. Diskussion

Wenngleich inklusiver Unterricht das Ziel verfolgt, alle Kinder sozial einzubin-den und teilhaben zu lassen, deutet der bisherige Forschungsstand darauf hin, dass Kinder mit einem SPF in inklusiven Klassen oft von Ausgrenzung bedroht sind und sich nicht gut in die Klasse integriert fühlen. Dabei gelingt die soziale Integration in verschiedenen inklusiven Klassen unterschiedlich gut; als ein Faktor hierfür wird die Lehrkraft diskutiert.

Vor dem Hintergrund bisheriger Forschungsbefunde hatten wir erwartet, dass Kinder mit einem SPF über ein niedrigeres soziales Selbstkonzept und über ein we-niger positives Klassenklima berichten (vgl. Bakker & Bosmann, 2003; Bless, 2007; Frederickson & Furnham, 2001; Huber, 2008; Huber & Wilbert, 2012; Krull et al., 2014). Dies traf jedoch nur auf eine der beiden Kohorten (Kohorte 2) zu. Daher ist es ein erfreuliches Ergebnis, dass sich hier keine durchgängigen Nachteile für Kinder mit SPF im Vergleich zu Kindern ohne SPF in den inklusiven PING-Klassen nach-weisen ließen. Allerdings fühlten sich die Kinder mit SPF beider Kohorten signifi kant weniger von ihrer Lehrkraft angenommen.

Welche individuellen und klassenbezogenen Merkmale dazu geeignet sind, die Unter-schiede im sozialen Selbstkonzept der Schüler*innen zu erklären, wurde mithilfe von Mehrebenenanalysen untersucht. In den drei berichteten Modellen zeigte sich zunächst, dass lediglich der vermutete, nicht aber der festgestellte sonderpädagogi-sche Förderbedarf negativ mit dem Selbstkonzept zusammenhängt. Wie die Lehrkraft das Kind einschätzt, scheint entscheidender zu sein als das Ergebnis eines formellen Feststellungsverfahrens.

Auf der Ebene der Schüler*innen zeigte sich das Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrkraft als erklärungsmächtigster Prädiktor. Das ist insofern bemer-kenswert, als dieses Gefühl auch dann noch zu einem Unterschied führt, wenn ver-schiedene andere, für das soziale Selbstkonzept potenziell relevante Merkmale sta-tistisch kontrolliert werden: Bei statistischer Kontrolle von Geschlecht, familiären Hintergrundmerkmalen, Intelligenz sowie der Lese- und der Rechenfähigkeit hat-

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te das Gefühl, von der Lehrkraft angenommen zu sein, immer noch einen bedeut-samen Vorhersagewert. Ebenfalls signifi kante, aber kleinere Zusammenhänge mit dem sozialen Selbstkonzept fanden sich für die Lese- und Rechenfähigkeiten und den Erwerbsstatus der Eltern. Das soziale Selbstkonzept von Grundschulkindern hängt somit schwach mit den Leistungen in den Lernbereichen Rechnen und Lesen zu-sammen (leistungsstärkere Schüler*innen haben ein positiver ausgeprägtes soziales Selbstkonzept).

Die Lehrkraft scheint als Verhaltensmodell für die Kinder eine Schlüsselrolle bei der sozialen Integration zu haben. Dieser Befund passt zu Befunden aus anderen Studien zur Inklusion (vgl. Huber & Wilbert, 2012; Krull et al., 2014) sowie Studien mit Schüler*innen aus Regelklassen (vgl. Hendricks, Mainhard, Oudman, Boor-Klip & Brekelmans, 2017) und fi ndet sich ähnlich auch für andere Gruppen von Schüler*innen, die als „anders“ wahrgenommen werden können, etwa hochbegab-te Schüler*innen, die eine Klassenstufe übersprungen haben (vgl. Gronostaj, Werner, Bochow & Vock, 2016).

Bei der Interpretation der Befunde sind folgende Limitationen der Studie zu berück-sichtigen: Die Stichprobengröße erlaubte keine weitere Diff erenzierung nach verschie-denen Arten von SPF; auch konnten keine Informationen über den individuellen Schweregrad eines Förderbedarfs einbezogen werden. Da sich aus den verschiedenen Förderschwerpunkten aber jeweils besondere Bedürfnisse und Herausforderungen er-geben, ist die Aussagekraft der Studie in dieser Hinsicht eingeschränkt (vgl. Ellinger & Stein, 2012; Grosche & Vock, 2018). Einschränkend ist auch zu beachten, dass die Ergebnisse aufgrund des Unter suchungs designs nicht als kausale Eff ekte inklusiver Beschulung auf die soziale Integration zu lesen sind; dafür hätte es eines Vergleichs mit Kindern an Förder schulen bedurft . Berichtet werden hingegen Zusammenhänge, bei denen die Wirk richtung off en bleibt. Angenommen wird, dass die Vermutung der Lehrkraft , ein Kind habe einen sonderpädagogischen Förderbedarf, eine der Ursachen für ein geringeres soziales Selbstkonzept des Kindes ist. Es kann jedoch nicht aus-geschlossen werden, dass – andersherum – ein Kind mit einem geringen sozialen Selbstkonzept von seiner Lehrkraft auch eher für förderbedürft ig gehalten wird.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass soziale Integration von allen Kindern, ob mit oder ohne SPF, in einer Klasse gelingen kann. Sie ist jedoch kein Selbstläufer, sondern muss von der Lehrkraft intensiv pädagogisch begleitet werden. Ob ein Kind mit SPF in einer inklusiven Klasse Aussagen wie „Meine Lehrer mögen mich“ für sich als zu-treff end erlebt, scheint wichtig dafür zu sein, wie die soziale Integration in der Klasse auch mit den Klassenkamerad*innen gelingt.

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„Meine Lehrer mögen mich“ – Soziale Integration von Kindern

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Zusammenfassung2013 wurde in Niedersachsen die allgemeine inklusive Schule gesetzlich eingeführt. Die hier vorgestellten Befunde sind Teil der Begleitforschung zur inklusiven Grundschule in Niedersachsen, die von Oktober 2014 bis Dezember 2017 durchgeführt wurde. Ziel der Studie ist eine Analyse des aktuellen Stands der Umsetzung sowie die Identifi kation von Gelingensbedingungen und Herausforderungen. Die Studie basiert auf einem Mixed-Methods-Design und besteht aus drei Teilstudien. Im vorliegenden Beitrag werden aus-gewählte quantitative und qualitative Ergebnisse vorgestellt.Schlüsselwörter: Inklusive Bildung, Mixed-Methods-Design, öff entliche Grundschulen, wissenschaft liche Begleitung

Inclusive Education in Primary Schools in Lower Saxony – Results Drawn by the Scientifi c MonitoringSummaryIn 2013, inclusive education was legally fi xed in schools in Lower Saxony. Th e present-ed results are part of the scientifi c monitoring of inclusive education in primary schools in Lower Saxony, which was conducted between October 2014 and December 2017. Th e study aims at analyzing the current status of implementation and at identifying relat-ed conditions of success as well as challenges. It is based on a mixed-methods design and divided into three sub-studies. In this paper, selected quantitative and qualitative fi nd-ings are presented.Keywords: inclusive education, mixed-methods design, primary schools, scientifi c moni-toring

1. Kontextualisierung der Studie und theoretischer Hintergrund

In Niedersachsen ist die inklusive Schule zum Schuljahresbeginn 2013/14 verbind-lich eingeführt worden (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, o. J.a). Im Grund-schulbereich, auf den sich diese Studie bezieht, führt die gesetzliche Neuregelung ins-

Rolf Werning/Katja Mackowiak/Antje Rothe/Carina Müller

Inklusive Grundschulen in Niedersachsen – Ergebnisse der wissenschaft lichen Begleitung

DDS – Die Deutsche Schule 110. Jahrgang 2018, Heft 2, S. 138–152

https://doi.org/10.31244/dds.2018.02.04 © 2018 Waxmann

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Inklusive Grundschulen in Niedersachsen

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besondere dazu, dass seit dem 01.08.2013 an allen Grundschulen alle Schüler*innen mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in den Förder schwerpunkten „Lernen“, „Sprache“ und „Emotionale und soziale Entwicklung“ im 1. Schuljahrgang aufgenommen werden. Für die Förder schwerpunkte „Geistige Entwicklung“, „Hören“, „Sehen“ sowie „Körperlich-motorische Entwicklung“ können weiterhin Schwerpunkt-Grundschulen vorgehalten werden. Die Zuweisung von sonder pädagogischen Ressourcen basiert auf dem Konzept einer sonderpädagogischen Grundversorgung (vgl. Nieder säch sisches Kultus ministerium, o. J.b), wobei den Grundschulen pauschal zwei Förderschul lehrer stunden pro Klasse und Woche zugewiesen werden.

Die Umsetzung der inklusiven Bildung stellt die Grundschulen vor neue Heraus-forderungen. Inklusion wird hier verstanden als Minimierung von Diskriminierung und Maximierung von sozialer Partizipation sowie von Bildungschancen für alle Schüler*innen (vgl. ausführlich Werning, 2014). Inklusion ist dabei nicht als Additivum, sondern als Querschnittsaufgabe allgemeiner Schulentwicklung zu verste-hen (vgl. Arndt & Werning, 2016a). Die Entwicklung inklusiver Schulen muss zu-dem im Kontext der Komplexität und Widersprüchlichkeit der schulischen Praxis betrachtet werden (vgl. Clark, Dyson, Millward & Robson, 1999; Werning, 2014). Gelingensbedingungen und Herausforderungen sind in ein komplexes Netzwerk von miteinander interagierenden Faktoren eingebettet (vgl. Altrichter & Feyerer, 2012; Arndt & Werning, 2016b). Im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen die Dimensionen Einstellungen und Überzeugungen der Lehrkräft e, deren Kooperation sowie die Diff erenzierung im Unterricht, da diese – wie nachfolgend ausgeführt – in der vorlie-genden Integrations- und Inklusionsforschung von herausgehobener Be deu tung sind.

Für die Umsetzung inklusiver Bildung in Schulen wird die Einstellung der Lehr-kräft e immer wieder als relevanter Faktor hervorgehoben (vgl. Kullmann, Lütje-Klose, Textor, Berard & Schitow, 2015; Schwab & Feyerer, 2016; Sharma, Forlin & Loreman, 2008; Sze, 2009). Die Befundlage ist dabei nicht eindeutig und zeigt so-wohl tendenziell positive Haltungen (vgl. Abegglen, Streese, Feyerer & Schwab, 2017) als auch neutrale (vgl. Savolainen, Engelbrecht, Nel & Malinen, 2012) oder leicht negative Haltungen der Lehrkräft e gegenüber inklusiver Bildung (vgl. de Boer, Pijl & Minnaert, 2011). Die individuellen, kollektiven und inklusionsbezoge-nen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sind weitere zentrale Einfl ussfaktoren auf die inklusive Bildung (vgl. Hecht, Niedermair & Feyerer, 2016). Ein hohes Kom petenz-gefühl kann sich positiv auf die Einstellung zur Inklusion auswirken (vgl. Sermier Dessemontet, Benoit & Bless, 2011). Loreman, Earle, Sharma und Forlin (2007) sch-reiben den inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen eine prädiktive Wirkung für die Haltung zur Inklusion zu.

Als ein wesentliches Merkmal inklusiver Schule gilt ferner die Kooperation der ver-schiedenen Professionen (vgl. u. a. Abegglen et al., 2017; Arndt & Werning, 2016a; Lütje-Klose & Miller, 2017; Lütje-Klose & Urban, 2014). Auf Basis der bisheri-

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gen Forschung erscheint die Kooperation dabei einerseits als wesentliche „Problem-lösung“, andererseits selbst als „Problem“ (vgl. Jacobs, 2005, S. 97) und mitunter als „größte Herausforderung“ (vgl. Trumpa, 2015, S. 276) bzw. als durchaus konfl ikt-trächtig (vgl. Conderman, 2011).

Inklusive Bildung ist ohne Diff erenzierung und Individualisierung des Unterrichts nicht vorstellbar. Gleichwohl ist die Forschungslage in diesem Bereich „uneinheit-lich und lückenhaft “ (Bohl, Batzel & Richey, 2012, S. 61). Auch zur Wirksamkeit von Diff erenzierung im Unterricht bestehen noch grundlegende Forschungsdesiderata. Bohl et al. (ebd.) heben in diesem Zusammenhang hervor, dass

„individualisierter, diff erenzierter oder off ener Unterricht keinesfalls per se wirksam ist, sondern im Gegenteil insbesondere mit Blick auf hohe Fachleistungen und mit Blick auf leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler intelligent organisiert sein muss“.

Entsprechend betont Helmke (2012), dass Leistungsdiff erenzierung zwar den Rahmen darstelle, viel entscheidender jedoch sei, wie lernförderlich die genutzten Unter richts-methoden sind.

2. Methodisches Vorgehen

Die Begleitforschung wurde an öff entlichen Grundschulen in Niedersachsen durchge-führt und umfasst quantitative und qualitative Erhebungen (vgl. ausführlich Werning, Mackowiak, Rothe & Müller, 2017). Zielgruppen waren Leitungen von Grund- und Förderschulen, Klassenlehrkräft e, Sonderpädagog*innen, Kinder und deren Eltern; die Teilnahme erfolgte auf freiwilliger Basis (vgl. Tabelle 1).

Tab. 1: Relevante Stichproben

Jahr Gesamt Leitungen Lehrkräfte Sonderpäd. Kinder Eltern

Quantitative Teilstudie: MZP 1: 71 Schulen & Förderzentren, MZP 2: 16 Schulen

2015 3252 151 140 72 1973 916

2017 20 20 – 32 16 1973 –

Qualitative Teilstudie: MZP 1: 9 Schulen & Förderzentren, MZP 2: 4 Schulen

2015/16 195 20 43 21 74 37

2016/17 8 – 4 4 – –

Quelle: eigene Darstellung

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Inklusive Grundschulen in Niedersachsen

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Die im Rahmen der Datenerhebung u. a. eingesetzten Instrumente waren zum ei-nen Fragebögen und Experteninterviews sowie Gruppendiskussionen, die die Selbst-einschätzung der verschiedenen Zielgruppen erfassten. Zum anderen wurden Fremd-einschätzungen über Unterrichtsbeobachtungen vorgenommen. Im Rahmen der quantitativen Beobachtung wurden verschiedene Dimensionen von Unterricht ein-geschätzt, während die qualitative Beobachtung fokussiert ethnografi sch ausgerichtet war. In Tabelle 2 sind die für den vorliegenden Beitrag genutzten Instrumente darge-stellt.

Tab. 2: Ausgewählte Instrumente

Quantitative Instrumente Qualitative Instrumente

Fragebögen

Einstellung zu Inklusion (EZI-D, dt. Kunz et al., 2010)

Selbstwirksamkeit: a) lehrerspezifi sche (L-SWK, Schwarzer & Jerusalem, 1999b) inklusionsbezogene (TEIP-D, dt. Feyerer et al., 2014); c) kollektive (K-SWK, Schwarzer & Schmitz, 1999)

Kooperation (KOOP, Evaltool, Pädagogische Hochschule FHNW et al., o. J.)

Klassenklima (KLIMA, IQ Hessen, 2010)

Unterrichtsbeobachtung

3 Basisdimensionen (nach Klieme et al., 2006)

(1) Klassenmanagement (Transparenz & Klarheit: 4 Items, Regeln & Routinen: 5 Items)

(2) Unterrichtsklima (Lernförderliches Klima: 7 Items)

(3) Adaptive Lernunterstützung (Differenzierung: 7 Items, Lernprozessbegleitung: 9 Items)

Unterrichtsbeobachtungen (Fokussierte Ethnografi e, Knoblauch, 2001)

Ergänzende Feldinterviews, Foto- und Audioaufnahmen

Experteninterviews

Gruppendiskussion

Quelle: eigene Darstellung

3. Fragestellung

Die oben dargestellten drei zentralen Dimensionen Einstellungen, Kooperation und Unterrichtsentwicklung, deren besondere Relevanz für inklusive Schulentwicklung herausgestellt wurde, münden in folgende Fragestellungen, zu denen anschließend zentrale Ergebnisse der Teilstudien vorgestellt werden:1) Wie nehmen Lehrkräft e und Sonderpädagog*innen inklusive Bildung in Schulen,

deren Umsetzung und ihre Rolle in diesem Prozess wahr?2) Welche Rolle spielt dabei die Kooperation (inkl. der Rollen der Beteiligten)?3) Wie wird der Unterricht in der inklusiven Grundschule gestaltet?

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4. Ergebnisse

4.1 Wahrnehmung der Inklusion

Befragt wurden Grundschulleitungen und -lehrkräft e sowie Sonderpädagog*innen. Für alle befragten Gruppen kann gezeigt werden, dass die Mittelwerte für jeden Frage bogen oberhalb des mittleren Skalenwerts liegen. Somit lässt sich eine grund-sätzlich eher positive Einschätzung inklusiver Bildung, der kollektiven wie lehrerspe-zifi schen Selbstwirksamkeit und der inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeit nachwei-sen. Unterschiede in den Einschätzungen der untersuchten Gruppen zeigen sich in folgenden Bereichen (vgl. Tabelle 3):

In Bezug auf die Skala „Einstellungen zur Integration/Inklusion“ (EZI; dt. vgl. Kunz, Luder & Moretti, 2010) sind signifi kant positivere Einstellungen zu Inklusion bei den Schulleitungen im Vergleich zu den Klassenlehrkräft en zu verzeichnen. Die Sonderpädagog*innen liegen mit ihren Einschätzungen zwischen diesen beiden Gruppen.

Bei der Einschätzung der „Kollektiven Selbstwirksamkeit“ (K-SWK; vgl. Schwarzer & Schmitz, 1999) liegen die Werte der Schulleitungen ebenfalls höher als die der Klassen lehrkräft e und der Sonderpädagog*innen.

Letztgenannte schätzen die Bereiche „Lehrerspezifi sche Selbstwirksamkeit“ (L-SWK; vgl. Schwarzer & Jerusalem, 1999) und „Selbstwirksamkeit in der inklusiven Praxis“ (TEIP-D; dt. vgl. Feyerer, Dlugosch, Prammer-Semmler, Reibnegger, Niedermair & Hecht, 2014) positiver ein als die Klassenlehrkräft e.

Trotz der signifi kanten Unterschiede weisen die kleinen Eff ektstärken (partielles Eta²) auf eine geringe praktische Relevanz hin. Eine Ausnahme stellt der Unterschied für den Fragebogen Einstellungen zur Integration/Inklusion (EZI) dar, der eine mittlere Eff ektstärke aufweist.

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Tab. 3: Mittelwerte (MW) und Standardabweichungen (SD) für die einzelnen Zielgruppen und Ergebnisse der Varianzanalysen

SLMW (SD)

KLMW (SD)

SP MW (SD)

df F p η2

EZI-D (6-stufi g) 4.25a

(1.01)3.67b

(0.95)3.96a,b

(0.93) (2;304) 9.777 0.000 0.060

K-SWK (4-stufi g) 3.04a

(0.48)2.80b

(0.54)2.80b

(0.47) (2;300) 6.112 0.003 0.039

L-SWK (4-stufi g) - 2.78(0.40)

2.92(0.31) (1;221) 7.487 0.007 0.033

TEIP-D (6-stufi g) - 4.67(0.62)

4.92(0.53) (1;225) 9.342 0.003 0.040

Kooperation (4-stufi g) - 2.81

(0.59)2.89

(0.57) (1;221) 0.815 0.386 0.004

Anm.: SL: Schulleitung; KL: Klassenlehrkraft ; SP: Sonderpädagog*in. Indizes: signifi kante Unterschiede zwischen Zielgruppen mit verschiedenen Indizes, keine

signifi kanten Unterschiede bei gleichen Indizes; Eff ektstärke partielles η2: 0.01–0.05: kleiner Eff ekt; 0.06–0.13: mittlerer Eff ekt; >0.14: großer Eff ekt.

EZI-D: Einstellungen zur Integration (dt. Kunz et al., 2010); K-SWK: Kollektive Selbst-wirk samkeit (Schwarzer & Schmitz, 1999); L-SWK: Lehrerbezogene Selbst wirk samkeit (Schwarzer & Jerusalem, 1999); TEIP-D: Teacher Effi cacy of Inclusive Practice (dt. Feyerer et al., 2014); KOOP: Kooperation (Evaltool; Pädagogische Hochschule FHNW et al., o. J.). Die Buchstaben a und b kennzeichnen signifi kante Unterschiede bei Gruppenvergleich von 3 und mehr Zielgruppen.

Quelle: eigene Berechnungen

Auch die qualitativen Befunde zeigen, dass inklusive Bildung von den befragten Gruppen überwiegend befürwortet wird. Die Umsetzbarkeit wird jedoch kritisch eingeschätzt, und konkrete Probleme durch eine unzureichende Ausstattung in den Bereichen (1) Personal, (2) räumliche und materielle Ressourcen und (3) Vergütung (bei Grundschullehrkräft en) werden herausgestellt.

Schulleitungen und Lehrkräft e äußern überwiegend die Überzeugung, dass die ge-genwärtigen personellen Ressourcen der sonderpädagogischen Grund versorgung nur dann ausreichen, wenn sie für Schüler*innen mit milden Unterstützungs not-wendigkeiten in einer Klasse genutzt werden können.

Lehrkräft e sehen zudem Bedarf sowohl in der Begleitung und Unterstützung von Schüler*innen durch pädagogische Fachkräft e im Unterricht als auch durch eine sonderpädagogischen Expertise im Rahmen der Beratung bei spezifi schen Unter-stützungsbedarfen sowie der Diagnostik und Vorbereitung von Lern- und Förder-materialien.

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Trotz einer kritischen Sicht auf die Ressourcen vertreten die meisten Schulleitungen eine Vision für die Umsetzung der Inklusion an der jeweiligen Schule. Dies zeigt, dass die Schulleitungen den Inklusionsauft rag überwiegend angenommen haben.

4.2 Rolle der Kooperation

Die Einschätzung der „Kooperation“ (Evaltool; vgl. Pädagogische Hochschule FHNW et al., o. J.) fällt tendenziell positiv aus; signifi kante Unterschiede zwischen den Klassen lehrkräft en und Sonderpädagog*innen zeigen sich nicht (vgl. Tabelle 3).

Überwiegend positive Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Frage bogen-bereichen sind sowohl für Klassenlehrkräft e als auch für Sonder pädagog*innen zu beobachten (vgl. Tabelle 4). Allerdings zeigen sich hier auch diff erenzielle Eff ekte, wenn spezifi sche Bereiche miteinander in Beziehung gesetzt werden: Für den Zusammenhang zwischen den Einschätzungen der „Kooperation“ und des „Klassen-klimas“ wird deutlich, dass bei den Sonderpädagog*innen beide Skalen hoch korre-lieren (r=0.56), bei den Klassenlehrkräft en jedoch nicht (r=0.12). Die Einschätzungen der Sonderpädagog*innen lassen vermuten, dass für sie die Kooperation mit den Grundschullehrkräft en eine hohe Bedeutung für die Arbeit in einer Klasse hat und mit dem Klassenklima eng verbunden ist.

Tab. 4: Zusammenhänge zwischen den Fragebögen – getrennt für Klassenlehrkräft e und Sonderpädagog*innen (Korrelationen nach Pearson)

SP: Sonderpädago-g/innen (N=68)

KL: Klassenlehr-kräfte (N=147)

EZI-D TEIP-D Kooperation Klima

EZI-D 0.19 0.42** 0.31*

TEIP-D 0.41** 0.31** 0.12

Kooperation 0.23** 0.24** 0.56**

Klima 0.34** 0.54** 0.12

Anm.: Signifi kanzniveau: *: p<0.05; **: p<0.01. EZI-D: Einstellungen zur Integration (dt. Kunz et al., 2010); TEIP-D: Teacher Effi cacy

of Inclusive Practice (dt. Feyerer et al., 2014); Kooperation (Evaltool; Pädagogische Hochschule FHNW et al., o. J.); Klima: Klassenklima (IQ Hessen, 2010).

Quelle: eigene Berechnungen

Gegensätzliche Zusammenhänge zeigen sich für die Einschätzung der eigenen „Selbst wirk samkeit in der inklusiven Praxis“ und des „Klassenklimas“. Während der Zusammen hang beider Skalen für die Klassenlehrkräft e hoch ausfällt (r=0.54), ist er für die Sonderpädagog*innen nicht nachzuweisen (r=0.12). Dies könnte dahinge-

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Inklusive Grundschulen in Niedersachsen

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hend interpretiert werden, dass die Klassenlehrkräft e sich – auch aufgrund der ge-ringen Zuweisung von Förderschullehrerstunden – eher alleinverantwortlich für die Gestaltung des Unterrichtssettings erleben und der Kooperation mit der Sonder-pädagogin bzw. dem Sonderpädagogen in dieser Hinsicht keine besondere Relevanz beimessen.

Die qualitativen Befunde unterstützen die quantitativen Ergebnisse in der Hin-sicht, dass sich die Grundschullehrkräft e eher als alleinverantwortlich für die Um-setzung inklusiver Bildung wahrnehmen und die Sonderpädagog*innen sich fach-lich sicherer in der Umsetzung inklusiver Bildung fühlen. Gleichwohl empfi n den Grundschullehrkräft e ihre sonderpädagogischen Kolleg*innen als wichtige Be-rater*innen beim Umgang mit verschiedenen Unterstützungsbedarfen sowie bei der Planung des Unterrichts. Letztere erleben es als herausfordernd, An sprech-partner*innen auch für Förderschwerpunkte zu sein, für die sie nicht ausgebildet sind.

Die Herstellung einer tragfähigen Beziehung zur Grundschullehrkraft wird von verschiedenen Sonderpädagog*innen als wichtige Voraussetzung für gelingende Kooperation beschrieben. Sie erleben dabei häufi g große Unterschiede zwischen den Kollegien der verschiedenen Schulen, an denen sie eingesetzt sind. Dies betrifft ins-besondere die Bereitschaft , sich auf die Kooperation einzulassen und Einblicke in den Unterricht zu gewähren, und führt teilweise zu Unzufriedenheit. Von den Kollegien wird die Kooperation ebenfalls verschieden – teilweise eher als Belastung oder aber als Bereicherung – wahrgenommen.

Unterschiede in der Gestaltung und Wahrnehmung der Kooperation, die im Zu sam-menhang mit Anforderungen stehen, die sich dem Kollegium bspw. durch das Ein-zugsgebiet stellen, wurden im Rahmen eines Fallvergleichs vertiefend untersucht. Dafür wurden zwei Schulen mit unterschiedlichem Anforderungsprofi l analysiert: Das Anforderungsprofi l wurde auf der Basis der Anzahl von Schüler*innen mit er-höhtem Förderbedarf, mit Deutsch als Zweitsprache und durch die Spannbreite der kognitiven Leistungsfähigkeiten der Schüler*innen gebildet. An der Schule mit den geringeren Anforderungen wurde die Umsetzung der Kooperation deutlich positiver beschrieben als an der Schule mit den höheren Anforderungen, was mit den vorlie-genden Belastungen der Schule in Verbindung zu stehen schien.

Dort, wo Kooperation eher als belastend wahrgenommen wird, zeigt sich in den Gruppen diskussionen, dass die befragten Sonderpädagog*innen und Grund schul-lehrkräft e eine unzureichende wechselseitige Anerkennung der eigenen Arbeit be-klagen. Umgekehrt weisen Grundschullehrkräft e gerade an Schulen, in denen Ko-ope ration als bereichernd für die eigene Arbeit bewertet wird, auf den persönlichen Gewinn hin, den sie aus der Kooperation mit den Sonderpädagog*innen ziehen.

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Die Dauer der Erfahrung mit der Umsetzung der inklusiven Bildung war ein wei-terer bedeutsamer Aspekt, insbesondere um tragfähige Strukturen der gelingenden Kommunikation und Kooperation an den Schulen zu etablieren.

4.3 Unterrichtsgestaltung

Sowohl in der quantitativen als auch in der qualitativen Teilstudie wurden Beobach-tungen durchgeführt, um ein diff erenziertes Bild inklusiven Unter richts in nieder-sächsischen Grundschulen zu ermitteln. Für die Analyse der Unter richts gestaltung wurden 32 Klassen ausgewählt, welche zu dem Drittel aller dritten Klassen mit den höchsten Anforderungen zum Erhebungszeitpunkt 1 gehörten.

Die quantitative Beobachtung orientierte sich an den drei Basisdimensionen gu-ten Unterrichts nach Klieme, Lipowsky, Rakoczy und Ratzka (2006) und wurde mit-tels verschiedener Unterbereiche strukturiert und kriteriengeleitet durchgeführt (vgl. Tabelle 2).1 Sie umfasste zwei Schulstunden pro Lehrkraft (in den Hauptfächern) und wurde jeweils von zwei geschulten Personen durchgeführt. Diese schätzten pro Stunde die insgesamt sieben Facetten auf einer vierstufi gen Skala (1: trifft gar nicht zu, bis 4: trifft vollständig zu) ein und nahmen anschließend eine Konsensvalidierung vor. Die Einschätzungen beider Schulstunden wurden in einem Mittelwert zusam-mengefasst.

Am positivsten fi elen dabei die Einschätzungen für das Klassenklima aus, gefolgt vom Klassenmanagement; alle Werte liegen hier deutlich über dem Skalenmittelwert (vgl. Abbildung 1). Im Gegensatz dazu zeigten sich deutlich niedrigere Werte für die Diff erenzierung und die Lernprozessbegleitung, welche als Formen der adapti-ven Lernunterstützung insbesondere inklusive Facetten von Unterricht abbilden. Die Unterschiede zwischen den drei Basisdimensionen der Unterrichtsqualität fallen si-gnifi kant (mit großer Eff ektstärke) aus (F (2;46)=172.034; p=0.000; η2=0.882; alle Paarvergleiche: p=0.000).

Bei aller Vorsicht, die aufgrund der explorativen Unterrichtsbeobachtung hinsicht-lich der Dateninterpretation geboten ist, kann vermutet werden, dass die Stärken der Lehrkräft e in der eff ektiven Klassenführung und in der Gestaltung eines posi-tiven Unterrichtsklimas liegen. Die deutlich schwächeren Ergebnisse im Bereich ei-ner adaptiven Lernunterstützung weisen hingegen auf einen Optimierungsbedarf hin, der sich gerade auf die Kernbereiche der inklusiven Förderung (Diff erenzierung und Lernprozessbegleitung) bezieht.

1 Die Beobachtungsitems entstammen folgenden Verfahren: Bildungsportal NRW (2001), Helmke (2010, 2012), Leist, Töpfer, Bardowiecks, Pietsch & Tosana (2010), Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München (o. J.)

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Abb. 1: Ergebnisse der quantitativen Beobachtung zur inklusiven Unterrichtsgestaltung (Mittelwerte und Standardabweichungen)

Quelle: eigene Berechnungen

In der Auswertung der qualitativen Daten fand eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Umsetzung der adaptiven Lernunterstützung im inklusiven Unterricht statt. Dabei lassen sich die Potenziale sowie Herausforderungen ihres Einsatzes im inklu-siven Unterricht zeigen. Es konnten unterschiedliche Formen von Diff erenzierung identifi ziert werden, die sich ausgehend von der fachdidaktischen Literatur in „natür-liche“ bzw. „off ene“ versus „geschlossene“ Diff erenzierungsformen unterscheiden las-sen. Folgende Kriterien spielen dabei eine Rolle:1) Komplexität eines gemeinsamen Lernangebotes und graduelle Diff eren zierungs-

niveaus;2) Teilung der Verantwortung für die Adaptivität des Lernangebots mit den Ler nen-

den (vgl. Krauthausen & Scherer, 2010; Leuders & Prediger, 2012).

Diff erenzierungsformen können einerseits die gestellten Aufgaben betreff en (z. B. Diff erenzierung hinsichtlich Schwierigkeit und Umfang). Andererseits kann das Diff erenzierungsniveau für die Schüler*innen von der Lehrkraft oder von ihnen selbst gewählt werden. Vor diesem Hintergrund konnten drei Formen der Diff erenzierung identifi ziert werden:a) Geschlossene Diff erenzierung, bei der die Zuordnung der Anforderungsniveaus

für die Schüler*innen durch die Lehrkraft vorgegeben ist, z. B. indem im Mathe-matikunterricht diff erenzierte Aufgaben auf der Grundlage eines von der Lehrkraft durchgeführten diagnostischen Lernstandstests entwickelt werden.

b) Natürliche bzw. off ene Diff erenzierung, bei der Aufgaben mit variablen An-forderungsniveaus gestellt werden und die Zuordnung des Bearbei tungs niveaus durch die Schüler*innen gewählt werden kann. Die Aufgabe im Fach Deutsch be-steht z. B. darin, einen Brief zu schreiben. Über die gemeinsame Aufgabenstellung hinaus, beim Verfassen des Briefs sieben Kriterien zur Gestaltung zu beachten,

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bietet die Aufgabe eine hohe Variabilität in Schwierigkeit und Umfang. Hier ha-ben die Kinder die Möglichkeit, selbst ihr Niveau bei der Ausformulierung des Textes zu bestimmen.

c) Mischformen, bei denen es wie bei der geschlossenen Diff erenzierung defi nierte Anforderungsniveaus gibt (z. B. Aufgaben mit drei markierten Niveaustufen), die Zuordnung zu diesen jedoch durch die Schüler*innen selbst erfolgt. Ein Beispiel ist hier die Stationenarbeit mit drei verschiedenen Anforderungsniveaus. Durch unterschiedliche Piktogramme markiert, können sich die Kinder selbst den Aufgaben zuordnen – in Abhängigkeit davon, wie leistungsstark sie sich einschät-zen.

Im Rahmen der ethnografi schen Beobachtung des Unterrichts (eine Woche pro Klasse) wurde bei allen Formen der Diff erenzierung eine enge Verbindung mit der pädagogischen Prozessdiagnostik deutlich. Egal ob eine off ene/natürliche Form, eine geschlossene Form oder eine Mischform gewählt wird, zeigt sich, dass eine an-gemessene Diff erenzierung die Berücksichtigung der individuellen Lernstände der Schüler*innen durch Lernprozessbegleitung erfordert.

5. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Die Studie macht deutlich, dass die geringe Zuweisung von sonderpädagogi-schen Ressourcen spezifi sche einschränkende Eff ekte der Umsetzung der inklusiven Grundschule erzeugt. Während die Schulleitungen und Lehrkräft e die Idee einer in-klusiven Bildung grundsätzlich positiv bewerten, äußern sie jedoch Probleme bei der alltäglichen praktischen Umsetzung. Dabei werden an einigen Schulen auch deutliche Überforderungstendenzen sichtbar.

Auch die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Kooperation von Grund schul lehr -kräft en und Sonderpädagog*innen können einerseits aus der geringen Res sourcen-zuweisung erklärt werden; andererseits zeigen sich hier der Entwick lungsbedarf hin zu mehr kooperativen Strukturen an Grundschulen sowie die Not wendigkeit der Ein richtung von festen Unterrichtsteams und einer Rollenklärung im Rahmen der Zusammenarbeit.

Bezüglich der Unterrichtsgestaltung ist aufgrund der explorativen Erhebung nur eine vorsichtige Interpretation möglich. Die Lehrkräft e zeigen sich kompetent in den Bereichen Klassenführung und Klassenklima. Ein Entwicklungsbedarf wird im Bereich der adaptiven Lernunterstützung, einer zentralen Facette inklusiven Unter-richts, sichtbar. Hier wären die Unterstützung durch spezifi sche Fortbildungen und die Etablierung von schulübergreifenden Qualitätsteams für inklusive Unter-richtsentwicklung denkbar.

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Inklusive Grundschulen in Niedersachsen

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Literatur und Internetquellen

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Rolf Werning/Katja Mackowiak/Antje Rothe/Carina Müller

150 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

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Rolf Werning/Katja Mackowiak/Antje Rothe/Carina Müller

152 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

Rolf Werning, Prof. Dr., geb. 1959, Leiter der Abteilung Inklusive Schulentwicklung/Päda gogik bei Lernbeeinträchtigungen an der Leibniz Universität Hannover.E-Mail: [email protected]

Katja Mackowiak, Prof. Dr., Dipl.-Psych., geb. 1966, Leiterin der Abteilung Sonder-päda gogische Psychologie an der Leibniz Universität Hannover.E-Mail: [email protected]

Antje Rothe, Dr. des., geb. 1981, wissenschaft liche Mitarbeiterin in der Abteilung Inklusive Schulentwicklung/Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen an der Leibniz Universität Hannover.E-Mail: [email protected]

Carina Müller, M. A. & M. Ed., geb. 1990, wissenschaft liche Mitarbeiterin in der Abteilung Sonderpädagogische Psychologie an der Leibniz Universität Hannover.E-Mail: [email protected]

Anschrift : Leibniz Universität Hannover, Institut für Sonderpädagogik, Schloßwender Str. 1, 30159 Hannover

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153DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

Karl Dieter Schuck/Wulf Rauer

Die Entwicklung schulfachlicher Kompetenzen und der emotional-sozialen Schulerfahrungen in der inklusiven Schule HamburgsAusgewählte Ergebnisse der quantitativen EiBiSch-Studie

DDS – Die Deutsche Schule 110. Jahrgang 2018, Heft 2, S. 153–168

https://doi.org/10.31244/dds.2018.02.05 © 2018 Waxmann

ZusammenfassungDie in Hamburg 2012 fl ächendeckend eingeführte inklusive Beschulung von Kindern ohne und mit sonderpädagogische(r) Förderung wurde mit dem EiBiSch-Projekt von 2013 bis 2017 wissenschaft lich evaluiert. Die Ergebnisse dieses Beitrags beziehen sich auf das quantitative Teilprojekt 1. An 35 ausgewählten Grundschulen und drei Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) wurden 2.006 Schüler*innen von der zweiten bis zur vierten Klasse begleitet. Im vorliegenden Beitrag werden aus-gewählte Untersuchungsergebnisse zur Veränderung der Zahl sonderpädagogisch ge-förderter Schüler*innen sowie zur Entwicklung der Kompetenzen in Mathematik und im Leseverstehen und zur Entwicklung emotional-sozialer Schulerfahrungen der Schüler*innen mit und ohne sonderpädagogische Förderung präsentiert.Schlüsselwörter: Evaluation, Inklusive Bildung, Häufi gkeiten sonderpädagogischer För-de rung, schulfachliche Kompetenzen, emotional-soziale Schulerfahrungen

Th e Development of School Competencies and of Emotional-Social School Experiences in the Inclusive Primary School of HamburgSelected Results from the Quantitative Evaluation of the Introduction of Inclusive Education in Hamburg (EiBiSch-Project)SummaryTh e inclusive enrolment of children with and without special educational needs was comprehensively introduced in Hamburg in 2012 and evaluated from 2013 to 2017 by a project called EiBiSch. Presented results refer to studies of the quantitative sub-pro-ject (TP 1) of EiBiSch. Th e sample of the studies consisted of 2,006 pupils (grade 2nd to 4th) from 35 primary schools and three consulting centers [Regionalen Bildungs- und Beratungszentren, ReBBZ]. Changes of the numbers of children with special educational needs during the last years, the development of competencies in mathematics and read-

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Karl Dieter Schuck/Wulf Rauer

154 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

ing comprehension, and emotional-social school experiences of children with diff erent forms of special educational needs are examined.Keywords: evaluation, inclusive education, frequencies of special educational needs, competencies in school subjects, emotional-social school experiences

1. Die inklusive Schule Hamburgs

Im Zuge der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2011) hat Hamburg mit der fl ächen-deckenden Einführung inklusiver Bildung in Schulen ab dem Schuljahr 2012/2013 eine Vorreiterrolle übernommen (Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 2012). Den Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf stehen zur freien Schulwahl Grundschulen, Stadtteilschulen, Gymnasien, Regionale Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) und spezielle Sonderschulen zur Verfügung. Die ReBBZ verfügen über Beratungsabteilungen zur Unterstützung der allgemeinen Schulen und über Bildungsabteilungen, in denen auf Wunsch der Eltern Kinder be-schult und sonderpädagogisch in den Bereichen „Lernen“ und „Sprache“ gefördert werden können. Diesem tiefgreifenden Umbau des Hamburger Schulsystems gingen zahlreiche Modellversuche voraus, mit denen sich Hamburg an der Entwicklung in-tegrativer Strukturen beteiligte, wie das Präventionslehrermodell, die Einrichtung von Integrationsklassen, das Modell integrativer Regelklassen und das Modell der integra-tiven Förderzentren (Schuck, Rauer & Prinz, 2013).

Zur Evaluation des Implementationsprozesses wurde für das Vorhaben „Evaluation der inklusiven Bildung in Schulen“ (EiBiSch) zwischen der Universität Hamburg, dem Institut für Bildungsberatung und Qualitätsentwicklung (IfBQ) und der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) eine Kooperation vereinbart. Grundlage der Eva-luation ist eine in der universitären Projektgruppe entwickelte Vorhaben be schrei bung, die eine detaillierte Begründung und Beschreibung zweier Teilprojekte im Gesamt-vorhaben enthält (ebd.).

Mit dem Vorhaben wurde insofern auch Neuland betreten, als in ihm Erhebungsdaten mit schulstatistischen und mit vom IfBQ erhobenen Leistungsdaten auf individueller Ebene verknüpft wurden (siehe hierzu Fickermann & Doll, 2015).

Das Evaluationsvorhaben besteht aus zwei miteinander verschränkten Teilprojekten (zum qualitativen Teilprojekt 2 siehe den Beitrag von Prinz & Kulik in diesem Heft ). Der Abschlussbericht wird im Herbst 2018 veröff entlicht (Schuck, Rauer & Prinz, im Erscheinen).

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Entwicklung schulfachlicher Kompetenzen und der emotional-sozialen Schulerfahrungen

155DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

2. Evaluationsfragen im quantitativen Teilprojekt 1, Untersuchungskohorten und Untersuchungsmethoden

Geprüft werden sollte, ob alle Kinder im gesamten Heterogenitätsspektrum in den allgemeinen Schulen und in den ReBBZ gleichermaßen durch die fl ächendeckende Einführung der inklusiven Bildung in der Entwicklung ihrer fachlichen und über-fachlichen Kompetenzen und in ihrer emotional-sozialen Entwicklung unterstützt werden. Dazu wurde ein längsschnittliches Untersuchungsdesign in zwei methodisch unterschiedlich orientierten Teilprojekten realisiert. Über das quantitativ angelegte Teilprojekt 1 wird hier berichtet.

Das Vorhaben EiBiSch reiht sich ein in erste Längsschnittanalysen der Entwicklung von Kindern in inklusiven Settings (Krull, Urton, Wilbert & Hennemann, 2018; Neumann, Lütje-Klose, Wild & Gorges, 2017; Spörer, Schründer-Lenzen, Vock & Maaz, 2015) und zeichnet sich dadurch aus, dass nicht ein Modellversuch mit frei-williger Teilnahme, sondern ein fl ächendeckender Umbau des Schulsystems eines Bundeslandes evaluiert wurde.

Im Längsschnitt der Grundschulkohorte, über die hier berichtet wird, wur-den Erhebungen in den 2., 3. und 4. Klassenstufen, beginnend mit dem Schuljahr 2013/2014 bis zum Schuljahr 2015/2016, durchgeführt. In der Stadtteilschulkohorte fanden die Untersuchungen in den 5. und 6. Klassenstufen in den Schuljahren 2014/2015 und 2015/2016 statt. Für die Längsschnittkohorte wurden nach Reprä-sentativitätsgesichtspunkten für ganz Hamburg zunächst drei (von 13) für die Unter-schiedlichkeit der sozialen Lage der Wohnbevölkerung charakteristische ReBBZ aus-gewählt und sodann die diesen Zentren zugeordneten 35 Schulen mit 107 Klassen in die Untersuchung einbezogen. Im ersten Querschnitt wurden alle Kinder aller Klassen der 2. Klassenstufe erfasst und im Längsschnitt nochmals in den 3. und 4. Klassenstufen untersucht. Insgesamt nahmen 1.942 Kinder in der Grundschule und 64 Kinder der drei ReBBZ durchgängig an allen drei Querschnitten teil. Damit wur-den bis auf die in speziellen Sonderschulen unterrichteten Kinder alle Kinder der aus-gewählten Schuleinzugsgebiete erfasst.

Bei der erfolgreichen Überprüfung der Repräsentativität der ausgewählten Unter-suchungskohorte spielte der Sozialindex der Schulen (siehe hierzu Schulte, Hartig & Pietsch, 2014) eine besondere Rolle. Jede Schule ist einem Sozialindex auf einer sechsstufi gen Skala zugeordnet, der die soziale Lage und den kulturellen Hintergrund der Zusammensetzung der Schülerschaft charakterisiert. Nach den Stufen des Sozial-index’ erhalten die Schulen ohne eine vorgängige Individualdiagnostik pauschal eine „systemische“ Ressource zur sonderpädagogischen Förderung von Kindern in den Bereichen „Lernen“, „Sprache“ und „Emotional-soziale Entwicklung“.

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Karl Dieter Schuck/Wulf Rauer

156 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

In früheren Begleituntersuchungen der Autoren wurden die Hypothese der Klasse als System entwickelt und damit Unterschiede der Erfolge unterschiedlicher Inte gra-tionsmodelle erklärt (Rauer & Schuck, 2007). Dieser Hypothese folgend, ist ein zent-rales Erkenntnisinteresse von EiBiSch, die Bedeutung der einzelnen Schulklassen für die Entstehung der Varianz der individuellen Merkmale bzw. der Kriterien zu unter-suchen (vgl. auch Gresch, Piezunka & Solga, 2014).

Im untersuchten EiBiSch-Jahrgang wurde erstmalig ein von der BSB entwickeltes, zweistufi ges diagnostisches Verfahren zur Überprüfung bzw. Feststellung notwendi-ger sonderpädagogischer Förderungen am Ende der 4. Klassenstufe angewendet. Die Ergebnisse dieser Überprüfungen durch ein ReBBZ waren bei EiBiSch die Grundlage für die Unterscheidung der Schüler*innen ohne und mit sonderpädagogische(r) Förderung.

Im Teilprojekt 1 wurden unterschiedliche Daten der Schulstatistik der BSB, die re-gelhaft vom IfBQ mit dem Instrument KERMIT erhobenen Schulleistungsdaten (siehe Lücken et al., 2015), die von den Lehrkräft en beurteilten überfachlichen Kom petenzen (siehe Helm et al., 2012), die zusätzlich mit dem Instrument KEKS er-hobenen Schulleistungsdaten schwacher Schüler*innen (siehe hierzu May & Bennöhr, 2013), die emotional-sozialen Schulerfahrungen der Schülerinnen und Schüler (sie-he hierzu Schuck, Rauer & Prinz, 2013) sowie die Lehrkräft eeinschätzungen, die Einschätzungen der Schulleitungen, die Einschätzungen der Schüler*innen über sich selbst sowie zum Unterricht und zur Schule, die Elterneinschätzungen und verschie-dene weitere Kontextvariablen miteinander verknüpft .

Als Kriteriums- bzw. abhängige Variablen wurden die mit KERMIT und KEKS erho-benen Leistungsdaten, die überfachlichen Kompetenzen sowie die emotional-sozialen Schulerfahrungen der Schüler*innen verwendet.

Alle Kinder wurden im Klassenverband bzw. beim Vorliegen einer bei den EiBiSch-Zusatzerhebungen notwendigen Elterngenehmigung in den Teilgruppen einer Klasse untersucht. Die sehr unterschiedlichen Beteiligungsquoten führten dazu, dass an Stelle der ursprünglich geplanten Mehrebenenanalysen nur weniger voraussetzungs-volle statistische Auswertungstechniken zur Anwendung kommen konnten.

Über die untersuchten überfachlichen Kompetenzen aus Sicht der Lehrkräft e und der Kinder sowie über die durchgeführten Befragungen zu den Erfahrungen und Einschätzungen der Akteure im Feld (Schulleitungen, Lehrkräft e, Eltern und Kinder) kann hier nicht berichtet werden (zu diesen Ergebnissen siehe Schuck, Rauer & Prinz, im Erscheinen).

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Entwicklung schulfachlicher Kompetenzen und der emotional-sozialen Schulerfahrungen

157DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

3. Ausgewählte Ergebnisse des Teilprojekts 1

3.1 Sonderpädagogische Förderungen

In der Längsschnittstichprobe, die 15 Prozent der Hamburger Grundgesamtheit um-fasst, wurde in der 3. Klassenstufe in der Schulstatistik für 133 (6,8 %) Schüler*innen eine sonderpädagogische Förderung ausgewiesen. Darunter waren 102 (5,3 %), die in den Förderschwerpunkten „Lernen“ (L), „Sprache“ (S) und „Emotional-soziale Entwicklung“ (E) (zusammengefasst: LSE), und zusätzlich 31 (1,6 %) Kinder, die in den speziellen Förderschwerpunkten sonderpädagogisch gefördert wurden. In der 4. Klassenstufe erhöhte sich die Anzahl sonderpädagogischer Förderungen auf 196 (10,1 %; LSE: 158 Kinder (8,1 %) und spezielle Förderungen 38 Kinder (2,0 %)). Die höhere Anzahl resultiert vor allem aus der Zunahme der sonderpädagogischen Förderungen im Schwerpunkt „Lernen“ um 44 Kinder.

Quantitativ spielten die sonderpädagogischen Förderungen in den speziellen Förder-schwerpunkten, als eigentliches Ziel der Behindertenrechtskonvention, mit einem Anteil von 2,0 Prozent in der vierten Klassenstufe gegenüber den LSE-Förderungen von 8,1 Prozent eine geringe Rolle. In 17 von 35 Schulen und in 86 von 107 Klassen wurde kein Kind in einem der speziellen Förderschwerpunkte sonderpädagogisch ge-fördert. Zugleich variiert der Anteil sonderpädagogischer Förderungen zwischen den Schulen und Klassen erheblich: Zwei von 35 Schulen wiesen keine sonderpädagogi-schen Förderungen aus; die Anteile der restlichen Schulen bewegten sich zwischen fünf und 25 und bei den Klassen zwischen null und 29 Prozent.

Als besondere Herausforderung gelten in der öff entlichen und fachlichen Diskussion die Kinder mit einer Förderung im Bereich „Emotional-soziale Entwicklung“. In 72 (67,3 %) von 107 Klassen gab es keines dieser Kinder. Die enormen Streuweiten der Anteile sonderpädagogischer Förderung gehen off ensichtlich auch darauf zurück, dass 23 Schulen die sonderpädagogisch geförderten Kinder nicht gleichmäßig auf ihre Klassen verteilen, sondern vermutlich mit dem Ziel einer Ressourcenkonzentration in einigen Klassen der jeweiligen Klassenstufen bündeln.

Neben einer sonderpädagogischen Förderung werden in der Grundschule noch weite-re Ressourcen zur Förderung, z. B. für eine additive Sprachförderung, eingesetzt. Mit EiBiSch konnte erstmals ausgewertet werden, wie viele Schüler*innen im Längsschnitt während der Grundschulzeit an einer der beiden Fördermaßnahmen teilnahmen. Die Quote sonderpädagogischer Förderungen von 10,1 Prozent in Klassenstufe 4 stieg bei der Längsschnittbetrachtung auf 14,1 Prozent. Unter Hinzunahme der additi-ven Sprachförderung waren über die Grundschulzeit hinweg sogar 42,5 Prozent der Schüler*innen in mindestens einem der drei betrachteten Schuljahre an einer der bei-den Fördermaßnahmen beteiligt.

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Karl Dieter Schuck/Wulf Rauer

158 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

3.2 Entwicklung der fachlichen Kompetenzen

Für die Untersuchung der Entwicklung der fachlichen Kompetenzen wurden zwei Fallgruppen unterschieden: In der Fallgruppe A befanden sich die Kinder, die an vom IfBQ durchgeführten bildungsstandardorientierten KERMIT-Erhebungen teil-nahmen. In der Fallgruppe B wurden Kinder, die einen Prozentrang von 5 in den regulären KERMIT-Untersuchungen der 2. Klassenstufe nicht überschritten oder in den Förderschwerpunkten „Lernen“ oder „Sprache“ sonderpädagogisch gefördert wurden, mit dem entwicklungsorientierten KEKS-Testsystem mit einer jeweils vor-jährigen Testvariante untersucht. Mit dieser bezüglich der Konstrukte nicht unmit-telbar vergleichbaren Instrumentenwahl konnten Kinder am unteren Leistungsende auf einem entwicklungspsychologisch defi nierten Niveau ihre Leistungen und ihre Leistungsentwicklung über die Klassenstufen hinweg zeigen. Damit wurde ein Vergleich von Kindern gleicher Förderschwerpunkte auf niedrigem Leistungsniveau in der Grundschule und im ReBBZ ermöglicht.

In beiden Testsystemen wurden neben den klassenstufenbezogenen Standardwerten die Kompetenzentwicklungsmaße zwischen den 3. und 4. Klassenstufen verwen-det, die die Ergebnisse in beiden Klassenstufen auf einer Skala darstellen und damit Entwicklungsfortschritte operationalisieren. Zum EiBiSch-internen Vergleich un ter-schiedlicher Subgruppen wurden die Kompetenzentwicklungsmaße um die Eff ekte des Ausgangsniveaus und um individuelle Merkmale regressionsanalytisch zu Re si-duen bereinigt.

3.2.1 Die erreichten Kompetenzniveaus am Ende der 4. Klassenstufe

In allen Auswertungsschritten zeigte sich als dominierendes Merkmal eine sehr gro-ße und von den einzelnen Förderkategorien nahezu unabhängige Heterogenität der fachlichen Leistungen. So erreichten 22,7 Prozent (n=376) der Viertklässler*innen im Leseverstehen und/oder in Mathematik nicht die Mindeststandards der KMK; darunter befanden sich nur 29 Prozent, die sonderpädagogisch gefördert wurden. 5,5 Prozent (n=107) der Kinder der Längsschnittstichprobe erreichten sowohl im Leseverstehen als auch in Mathematik nicht die Mindeststandards. Darunter befan-den sich nur 46 (43 %) sonderpädagogisch geförderte Kinder.

In Tabelle 1 werden exemplarisch für Mathematik für vier schulorganisatorische Förder kategorien die in der 4. Klassenstufe erreichten Leistungsniveaus, die Kom-petenz entwicklungen und die bereinigten Kompetenzentwicklungen (Residuen) dar-gestellt.

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Entwicklung schulfachlicher Kompetenzen und der emotional-sozialen Schulerfahrungen

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• Die Leistungsheterogenität im erreichten Kompetenzniveau bei der Gruppe, die niemals eine besondere Förderung erhielt, umspannte einen Bereich von 260 bis 829 Punkten. Bei einem hoch signifi kanten Unterschied zwischen den Förderkategorien reichten alle anderen Gruppierungen der Kinder weit in diesen Streubereich von 5,5 Standardabweichungen hinein. Damit gab es keine praktisch brauchbare, auf die Diff erenzierung der Förderkategorien bezogene Trennschärfe der den Kategorisierungen zugrunde liegenden Diagnostik.

• Es gab in der Kompetenzentwicklung zwischen den vier Förderkategorien keine si-gnifi kanten Mittelwertunterschiede. Damit wiesen alle Kinder unabhängig von ih-rer Zugehörigkeit zu einer der Förderkategorien ähnliche Entwicklungschancen und -risiken auf. Die größte Heterogenität der Kompetenzentwicklung fand sich mit einer Streuweite von –326 bis 233 Punkten bei den Ausgangswerten und von –4,78 bis +3,19 für die Residuen bei der Gruppe der Kinder ohne zusätzliche Förderung. Damit besitzen die sonderpädagogischen Kategorisierungen der Kinder auch keine praktisch brauchbare prognostische Validität für die Kompetenz-entwicklung.

• In einer geschachtelten Varianzanalyse wurden 16,2 Prozent der Leistungs-ent wicklung in Mathematik von der 3. zur 4. Klassenstufe durch die Klassen-zuge hörig keit aufgeklärt. Die Zugehörigkeit der Kinder zu einer der beiden Förder maßnahmen war ohne Bedeutung. Damit wurden die Klassen als die System einheiten identifi ziert, in denen die Variabilität der Leistungsentwicklungen der Schüler*innen unabhängig von ihren Zuordnungen zu einer der vier För-der kategorien entsteht. Mit diesem Ergebnis wurde die zentrale Hypothese von EiBiSch, nämlich die Bedeutung der Klasse als System, bestätigt.

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Tab. 1: Die erreichten Kompetenzniveaus in Klassenstufe 4 und die Kompetenzentwicklungen von Klassenstufe 3 zu 4 in KERMIT Mathematik

Förderkategorien Mathematik Klasse 4

Entwicklung Kla sse 3 zu Klasse 4

Residuen der Entwicklung

Ohne zusätzliche Förderung

M 526,5 28,3 0,04

n 1.052 998 969

Min 260 –326 –4,78

Max 829 233 3,19

Additive Sprachförderung

M 442,8 32,2 -0,06

n 498 432 419

Min 253 –260 –4,06

Max 669 255 3,12

Sonderpädagogische Förderung zielgleich

M 428,9 18,6 –0,26

n 117 58 53

Min 237 -145 –2,82

Max 668 169 2,16

Sonderpädagogische Förderung zieldifferent

M 344,1 38,0 –0,09

n 96 25 22

Min 208 –116 –2,26

Max 558 206 2,33

Unterschiede zwischen den Förderkategorien

p .000 .454 .063

Eta² .301 .002 .005

Legende: M: Mittelwert; n: Zahl der Fälle; Min: kleinster Wert; Max: größter Wert; p: Zufalls-wahr scheinlichkeit; Eta²: Erklärte Varianz zwischen den Gruppen bzw. praktische Bedeut samkeit der Unterschiede.

Bei der Analyse der Klassen als Untersuchungseinheiten konnten keine Zusam men-hänge zwischen dem Anteil von sonderpädagogisch geförderten Kindern in einer Klasse und den mittleren Leistungen der Kinder ohne eine solche Förderung gefun-den werden. Off ensichtlich wurden diese Kinder durch die Anwesenheit von sonder-pädagogisch geförderten Kindern in ihrer Klasse in ihrer Kompetenzentwicklung in der Domäne „Mathematik“ nicht beeinträchtigt. Zugleich wiesen die hoch signifi kan-ten Korrelationen zwischen den mittleren Leistungen der sonderpädagogisch und der nicht sonderpädagogisch geförderten Kinder in einer Klasse darauf hin, dass die Schwachen von den Starken in einer Klasse profi tieren. Das ist ein immer wieder ge-fundenes Ergebnis, zuletzt bei Bastian, Killus und Vieluf (2017).

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3.2.2 Die Kompetenzentwicklungen am unteren Leistungsrand in den Grundschulen und in den ReBBZ

Im direkten Vergleich der sonderpädagogisch im Förderschwerpunkt „Lernen“ in der allgemeinen Schule und im ReBBZ geförderten Kinder starteten diese unter Verwendung der vorjährigen KEKS-Varianten mit hoch signifi kanten Niveau unter-schieden, die sich in der 4. Klassenstufe noch vergrößerten. In den Grund schulen wurde das Kompetenzniveau im Lesen bei einem mittleren Ergebnis der Kom-petenzentwicklung von minus 0,5 Punkten (Streuweite –47 bis +24 Punkte) knapp gehalten (ohne Tabelle). In den ReBBZ kam es dagegen mit minus 13,3 Punkten (Streuweite –54 bis +11 Punkte) zu einem deutlichen, mittleren Kom pe tenz verlust. In den allgemeinen Schulen wurde in der 4. Klassenstufe ein durchschnittlicher T-Wert von 36 und im ReBBZ von T=27 im KEKS 3 erreicht. Bei dieser Fallgruppe konn-ten somit die ReBBZ bei wiederum großen Streuweiten der individuellen Ergebnisse eine durchschnittliche Drift nach unten nicht verhindern und die Grundschulen kei-ne Kompetenzverbesserungen ihrer Schüler*innen erzielen.

3.3 Entwicklung der emotional-sozialen Schulerfahrungen

Insgesamt haben 44,3 Prozent der Kinder der Längsschnittkohorte den Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen (FEESS) in der 2., 3. und 4. Klassenstufe bearbeitet. Es wird hier vor allem über die Ergebnisse in der 4. Klassenstufe für die Kinder der LSE-Förderschwerpunkte in der Grundschule (siehe Tabelle 2) und im ReBBZ (siehe Tabelle 3) berichtet. Weitere Auswertungen sind im EiBiSch-Abschlussbericht enthalten (Schuck, Rauer & Prinz, im Erscheinen).

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Tab. 2: Ergebnisse in den FEESS-Skalen in den Förderkategorien. Allgemeine Schule, Längsschnittstichprobe in Klassenstufe 4

Förderkategorien SI KK SK SE AB LF GA

Keine FörderungM 52,63 53,60 53,86 50,62 49,79 50,37 51,49

n 834 836 827 824 829 837 830

Additive Sprachförderung

M 51,12 52,53 46,18 50,15 47,89 48,65 50,46

n 174 173 171 165 168 164 168

SpracheM 46,00 54,80 39,20 48,20 43,00 41,20 44,20

n 5 5 5 5 5 5 5

LernenM 48,78 52,49 40,62 51,87 47,38 50,83 52,62

n 45 47 47 46 47 46 45

Emotional-soziale Entwicklung

M 44,73 44,18 43,40 46,00 40,18 44,41 47,62

n 22 22 20 21 22 22 21

SummeM 52,04 53,19 51,79 50,50 49,16 49,96 51,26

n 1080 1083 1070 1061 1071 1074 1069

Unterschiede zwischen den Förderkategorien

p .000 .000 .000 .131 .000 002 .093

Eta² .026 .020 .159 .007 .027 .016 .007

Legende: Skalen des FEESS: Sozialklima: SI: Soziale Integration; KK: Klassenklima. Selbst-konzept der Schulfähigkeit: SK: Schul- und Lernklima; SE: Schuleinstellung; AB: Anstrengungsbereitschaft ; LF: Lernfreude; GA: Gefühl des Angenommenseins. p: Zufallswahrscheinlichkeit; Eta²: Erklärte Varianz, Eff ektstärke; M: Mittelwert; n: Zahl der Kinder.

In allen sieben Skalen des FEESS 3–4 erreichte und übertraf die Grundschulkohorte mit Ausnahme bei der „Anstrengungsbereitschaft “ den Durchschnittswert der Norm-stichprobe (T=50). Dabei unterschieden sich die Kinder der vier Förder kategorien in fünf Skalen in ihren emotional-sozialen Schulerfahrungen mindestens sehr signifi kant bei praktisch relevanten (mittleren bis großen) Eff ektstärken, die im „Selbstkonzept“ am höchsten waren. Damit sind die emotional-sozialen Schulerfahrungen der Kinder der Längsschnittkohorte bei deutlichen Variationen zwischen den Förderkategorien, denen sie zugeordnet wurden, im Durchschnitt als positiv zu bewerten.

Hervorzuheben ist, dass sich die nicht sonderpädagogisch geförderten Kinder von der 2. zur 4. Klassenstufe in ihren relativen Positionen sowohl im „Klassenklima“ als auch im „Selbstkonzept“ im Mittel hoch signifi kant verbessert haben (ohne Tabelle).

Dieses generell positive Bild wird durch die Ergebnisse zum „Selbstkonzept“ et-was relativiert. Hier wichen die mittleren Ergebnisse der sonderpädagogisch geför-der ten Kinder um 7,7 bis 14,7 Punkte (im Maximum nahezu 1,5 Standard-

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Entwicklung schulfachlicher Kompetenzen und der emotional-sozialen Schulerfahrungen

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abweichungen) vom Durchschnitt der Kinder ohne Zusatzförderung negativ ab. Die im Förderschwerpunkt „Emotional-soziale Entwicklung“ sonderpädagogisch ge-förderten Kinder unterschritten mit ihren Ergebnissen in allen Skalen im Mittel den Durchschnitt der Kinder ohne sonderpädagogische Förderung um 3,9 bis 10,5 T-Wert-Punkte. Diese im Förderschwerpunkt „Emotional-soziale Entwicklung“ son-derpädagogisch geförderten Kinder sind damit in ihrem emotional-sozialen Schul-erleben am stärksten belastet. Dagegen zeigten die im Förderschwerpunkt „Lernen“ sonderpädagogisch geförderten Kinder deutlich positivere Einschätzungen. Sie unter-schieden sich neben ihrem negativ abweichenden „Selbstkonzept“ statistisch interpre-tierbar (p<0,01) nur noch negativ in der Skala „Soziale Integration“ von den Kindern ohne sonderpädagogische Förderung.

Im Vergleich der Grundschulen mit den ReBBZ zeigte sich für die sonderpädagogisch im Förderschwerpunkt „Lernen“ geförderten Kinder im „Selbstkonzept“ ein sehr si-gnifi kanter Unterschied (siehe Tabelle 3). Die in den ReBBZ unterrichteten Kinder übertrafen mit den Einschätzungen ihres „Selbstkonzeptes“ die Vergleichskinder in den Grundschulen um 8,9 Punkte (mittlerer Eff ekt) deutlich. Im Gegensatz dazu er-gab sich in der Skala „Schuleinstellung“ ein um 6,2 T-Wert-Punkte besseres Ergebnis für die in der Grundschule sonderpädagogisch geförderten Kinder (mittlerer Eff ekt). Die in diesem Förderschwerpunkt in den Grundschulen sonderpädagogisch geförder-ten Kinder erlebten sich damit insgesamt als weniger leistungsstark, fühlten sich aber dennoch in der Schule wohler als die Vergleichskinder in den ReBBZ.

Tab. 3: Ergebnisse in den FEESS-Skalen in den Förderkategorien. ReBBZ, Längsschnittstichprobe in Klassenstufe 4

SI KK SK SE AB LF GA

Allgemeine SchuleM 48,8 52,5 40,6 51,9 47,4 50,8 52,6

n 45 47 47 46 47 46 45

ReBBZ M 47,3 50,4 49,5 45,7 47,2 49,9 51,6

n 19 21 19 21 20 21 20

SummeM 48,3 51,9 43,2 49,9 47,3 50,5 52,3

N 64 68 66 67 67 67 65

Unterschiede p 0,570 0,401 0,002 0,026 0,942 0,705 0,631

Beschulungsorte Eta² 0,005 0,011 0,141 0,074 0,000 0,002 0,004

Legende: Skalen des FEESS: Sozialklima: SI: Soziale Integration; KK: Klassenklima. Selbstkonzept der Schulfähigkeit: SK: Schul- und Lernklima; SE: Schuleinstellung; AB: Anstrengungsbereitschaft ; LF: Lernfreude; GA: Gefühl des Angenommenseins. p: Zufallswahrscheinlichkeit; Eta²: Erklärte Varianz, Eff ektstärke; M: Mittelwert; n: Zahl der Kinder.

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4. Diskussion und Fazit

In den Hamburger Schulen des aktuellen Zuschnitts können weitgehend alle Kinder im gemeinsamen Lernen Kompetenzzuwächse in der Grundschule erzielen, und zwar unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer der vier defi nierten Förderkategorien und unabhängig von der Anzahl der sonderpädagogisch geförderten Kinder in ih-rer Klasse. Dennoch erreichten am Ende der 4. Klassenstufe ca. 22,7 Prozent der Kinder in einer oder beiden Fachdomäne(n) nicht die Mindeststandards. Die größ-te Herausforderung für die inklusive Schule sind damit nicht die vergleichswei-se geringen Fallzahlen von Schüler*innen mit den speziellen sonderpädagogi-schen Förderbedarfen (ca. 2 %) und auch nicht die erheblich größeren Anzahlen der sonderpädagogisch in den Förderschwerpunkten „Lernen“, „Sprache“ und „Emotional-soziale Entwicklung“ sonderpädagogisch geförderten Kinder (8,1 % der Längsschnittkohorte), sondern es sind die zahlreichen Kinder, die sich am unteren Leistungsende ohne sonderpädagogische Förderung oder additive Sprachförderung befi nden. Neben allen Entwicklungschancen, die diese Kinder haben, ist auch ein Risiko des Kompetenzabbaus vorhanden. Denn bei einer erheblichen Zahl von Kindern gelingt es im Durchschnitt weder den Grundschulen noch den ReBBZ, ei-nen Kompetenzverlust der leistungsrandständigen Kinder zu verhindern. Gleichwohl waren auch am unteren Leistungsende in Einzelfällen weit überdurchschnittliche Entwicklungen beobachtbar.

Da alle Grundschulen Hamburgs systemische Ressourcen für die in den Förder-schwerpunkten „Lernen“, „Sprache“ und „Emotional-soziale Entwicklung“ sonderpäd-agogisch geförderten Kinder erhalten, schafft die Ausweisung mutmaßlich notwendi-ger sonderpädagogischer Förderungen für die Schulen keine zusätzlichen Ressourcen. Dennoch spielt die Bestätigung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs in der 4. Klassenstufe durch ein ReBBZ mit Blick auf den Übergang in die Stadtteilschulen eine große Rolle, weil beim Übergang in die Stadtteilschulen sonderpädagogische LSE-Förderbedarfe der Schüler*innen nach klassischem Muster ressourcenauslösend für die Stadtteilschulen sind.

Im Projekt EiBiSch konnte nicht belegt werden, dass die bei der Überprüfung der Notwendigkeit einer sonderpädagogischen Förderung in den Förderschwerpunkten „Lernen“, „Sprache“ und „Emotional-soziale Entwicklung“ verwendeten diagnostischen Kategorien eine befriedigende diagnostische Trennschärfe, Prognosekraft und damit einen praktischen, pädagogischen Nutzen hätten. Das wird in den nahezu vollständi-gen Überschneidungsbereichen der Kompetenzen und der Kompetenzentwicklungen der Kinder aller Förderkategorien deutlich. Da sich die einer Förderkategorie zugehö-renden Kinder nahezu durchgängig in ihrem emotional-sozialen Wohlbefi nden be-lasteter als die nicht sonderpädagogisch und/oder additiv sprachgeförderten Kinder fühlten, sind der Nutzen und die Folgen solcher Kategorisierungen im Kontext der

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Diskussion zur Selektions- und Förderdiagnostik neu abzuwägen. Zugleich ist der pä-dagogischen bzw. der sonderpädagogischen Diagnostik der Stellenwert konzeptionell zuzuweisen, den sie in der Formierung und Begleitung von Lernprozessen erfüllen kann (hierzu Klemm & Preuss-Lausitz, 2017; Arnold et al., 2010).

Die emotional-sozialen Schulerfahrungen der Grundschulkinder zeigten, dass die in-klusive Beschulung in Hamburg mit und ohne Einbezug sonderpädagogisch geför-derter Kinder mit normalen bis leicht überdurchschnittlichen Ergebnissen bei großen Unterschieden zwischen Schulen und Klassen aufwarten kann (hierzu auch Huber & Wilbert, 2012; Spörer et al., 2015; Wild et al., 2015; Krull et al., 2018). Dass sonder-pädagogisch geförderte Kinder in den psycho-sozialen Merkmalen ungünstiger ab-schneiden können als nicht sonderpädagogisch geförderte, bestätigen nicht alle die-ser Studien.

Unter der Frage nach den Wirkungen unterschiedlicher Beschulungsorte konnten klassische Unterschiede zwischen den Grundschulen und den ReBBZ bei in gleichen Förderschwerpunkten sonderpädagogisch geförderten Kindern gefunden werden. Der höhere Mittelwert in der Skala „Selbstkonzept“ des FEESS bei den in ReBBZ im Bereich „Lernen“ sonderpädagogisch geförderten Kindern fi ndet sich auch in den von den Kindern selbst eingeschätzten „Lernmethodischen Kompetenzen“. Dieses als Big-Fish-Little-Pond-Eff ekt bezeichnete Phänomen der Abhängigkeit der Einschätzung eigener Fähigkeiten von sozialen Vergleichsmaßstäben in der eigenen Gruppe tritt in nahezu allen Studien zur integrativen Beschulung auf (Elbaum, 2002; Spörer et al., 2015; Nusser & Wolter, 2016). Mit diesem Ergebnis verknüpft ist, dass sich die Einschätzungen der „Lernmethodischen Kompetenzen“ durch die Lehrkräft e in den ReBBZ überhaupt nicht mit den weit besseren Selbstbeschreibungen der Kinder deck-ten.

Die im Bereich „Lernen“ sonderpädagogisch geförderten Kinder der Grundschulen schnitten nur in der Skala „Schuleinstellung“ besser als die Vergleichskinder in den ReBBZ ab. Für die im Bereich „Emotional-soziale Entwicklung“ sonderpädagogisch geförderten Kinder war ihr emotional-soziales Erleben im Vergleich zu nicht son-derpädagogisch geförderten Kindern mehrheitlich unterdurchschnittlich. Besonders negativ betroff en waren die „Soziale Integration“ und die „Anstrengungsbereitschaft “. Die besonderen Schwierigkeiten dieser Kindergruppe spiegelten sich auch in den Einschätzungen der überfachlichen Kompetenzen durch die Lehrkräft e (siehe hierzu ausführlich Schuck, Rauer & Prinz, im Erscheinen), wobei in erster Linie die „Sozial-kommunikativen Kompetenzen“ betroff en waren. Die kritischen Einschätzungen von Stein und Ellinger (2015) sowie zuletzt Ahrbeck (2017) zur schwierigen Situation die-ser Gruppe von Kindern in der inklusiven Schule wurden damit zumindest in Teilen bestätigt. Es gelingt demnach noch nicht ausreichend, diese Kinder in der inklusiven Schule angemessen zu fördern.

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Zur Klärung der gefundenen Unterschiede zwischen den Klassen in nahezu al-len Kriteriumsvariablen wurden die Klassenmittelwerte der FEESS-Skalen für die Kinder ohne sonderpädagogische Förderung berechnet und regressionsanalytisch geprüft , mit welchen Prädiktoren der Klassen Mittelwertunterschiede erklärt wer-den können. Allein die von den Kindern beurteilten Unterrichtsmerkmale wie das Ausmaß der „Unterrichtsstörungen“, die „Schülerorientierung“ der Lehrkräft e, die „Unterstützung“ durch die Lehrkräft e, die „Bezugsnormorientierung“ der Lehrkräft e und die „Einstellung zur Heterogenität“ konnten in unterschiedlichen Kombinationen bis zu über 60 Prozent die FEESS-Mittelwerte der Klassen plausibel erklären. Der fa-miliäre Hintergrund und gemittelte Merkmale der Klassenzusammensetzung spielten für diese Kriteriumsvariablen keine Rolle. Ebenso ohne Bedeutung für die mittleren emotional-sozialen Schulerfahrungen in Klassen war aus Sicht der nicht sonderpäda-gogisch geförderten Kinder die Anwesenheit von Kindern mit sonderpädagogischen Förderungen.

Im Ganzen gibt EiBiSch starke Hinweise darauf, dass sich die Klassen im Unter richts-geschehen, so wie es auch von den Kindern wahrgenommen wird, erheblich unter-scheiden und damit unterschiedliche Entwicklungsbedingungen geschaff en werden. Zur Weiterentwicklung der inklusiven Schule werden alle Anstrengungen deshalb da-rauf zu richten sein, die Klassen bei der Realisierung eines adaptiven Unterrichts mit dem Ziel zu unterstützen, allen Kindern des vorhandenen individuellen, sozialen und kulturellen Heterogenitätsspektrums ein Weiterlernen auf ihrem Niveau zu ermögli-chen.

Literatur und Internetquellen

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Entwicklung schulfachlicher Kompetenzen und der emotional-sozialen Schulerfahrungen

167DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

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Karl Dieter Schuck/Wulf Rauer

168 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

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Karl Dieter Schuck, Universitätsprofessor i. R. der Universität Hamburg.E-Mail: [email protected]

Wulf Rauer, Universitätsprofessor i. R. der Universität Hamburg.E-Mail: [email protected]

Anschrift : Universität Hamburg, Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg

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169DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

Doren Prinz/Marta Kulik

Gelingensbedingungen und Hemmnisse inklusiver BildungAusgewählte Ergebnisse der qualitativen EiBiSch-Studie

DDS – Die Deutsche Schule 110. Jahrgang 2018, Heft 2, S. 169–179

https://doi.org/10.31244/dds.2018.02.06 © 2018 Waxmann

ZusammenfassungDie in Hamburg 2012 fl ächendeckend eingeführte inklusive Beschulung von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf wurde nach Vorgabe der Hamburger Bürgerschaft im Rahmen des Vorhabens EiBiSch wissenschaft lich evaluiert. Die hier berichteten ausgewählten Ergebnisse beziehen sich auf das qualitative Teilprojekt von EiBiSch, in dem im Rahmen von Leitfadeninterviews die an der Umsetzung inklusiver Bildung beteiligten Akteure (n=59) befragt wurden. Mit Blick auf die komplexe Aufgabe „Inklusive Schule“, die von den beteiligten Institutionen und den agierenden Akteuren umfassende Entwicklungs- und Anpassungsmaßnahmen erfordert, wurden diese Maß-nahmen mit Blick auf Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklungen näher untersucht.Schlüsselwörter: Evaluation, Schulentwicklung, Inklusion, Kooperation

Conditions of Successful Implementation and Constraints of Inclusive EducationSelected Analysis Results from the Qualitative EiBiSch-StudySummaryTh e inclusive enrolment of children with and without special educational needs, which was comprehensively introduced in Hamburg in 2012, was scientifi cally evaluated with-in the framework of the EiBiSch-Project according to the regulations of the Hamburg Parliament. Th e presented selected results refer to the qualitative sub-project of the EiBiSch-study, in which primarily the parties (n=59) involved in the implementation of inclusive enrolment were questioned within the scope of guided interviews. With a view to the complex task “inclusive school,” which requires extensive development and ad-justment measures from the involved institutions and the active players, these measures were examined in the context of organization, teaching and staff development.Keywords: evaluation, school development, inclusion, cooperation

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Doren Prinz/Marta Kulik

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1. Hamburg auf dem Weg zur inklusiven Bildung

Im Rahmen des Vorhabens EiBiSch wird die Umsetzung inklusiver Bildung an Hamburgs Schulen wissenschaft lich evaluiert. EiBiSch besteht aus zwei Teilprojekten. Während im quantitativen Teilprojekt 1 insbesondere die Entwicklung der fachlichen und überfachlichen Kompetenzen untersucht wird, sollen im qualitativen Teilprojekt 2 zentrale Gelingensbedingungen und Hindernisse im inklusiven Kontext identi-fi ziert und so eine ergänzende und vertiefende Perspektive auf die Einführung und Umsetzung inklusiver Prozesse aus Sicht der beforschten Akteure gewonnen wer-den. In diesem Teilprojekt soll analysiert werden, wie die zentralen Akteure im Feld, also die Akteursgruppen, die auf der Ebene der Umsetzung agieren, auf die bildungs-politischen Vorgaben reagieren und wie sie diese in die jeweilige Schulpraxis trans-formieren. Umgekehrt soll erfasst werden, wie die Steuerungsebene auf eine solche Rekontextualisierung gesetzlicher Vorgaben eingeht (vgl. Fend, 2006) und wo sich in diesem Zusammenhang Verknüpfungen zwischen den beiden Ebenen ergeben. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der (multiprofessionellen) Kooperation zwi-schen diesen unterschiedlichen Akteursgruppen sowie ihren Erträgen im Hinblick auf die erfolgreiche Implementierung der schulischen Inklusion (vgl. Kreis, Wick & Kosorok Labhart, 2016). Wie gestalten die einzelnen Akteure im Feld inklu-sive Praxis? Inwieweit orientieren sie sich dabei an den gesetzlichen Vorgaben? Wann weichen sie davon ab und warum, und wann sind sie in ihrem Handeln er-folgreich und wann nicht? Welche Erwartungen werden in diesem Kontext an die Bildungspolitik und/oder die Bildungsadministration gerichtet, und welchen Ein-stellungen, Einschätzungen und Perspektiven auf die Umsetzung schulischer Inklusion insgesamt stehen sie gegenüber? Anhand von Einsichten, Einschätzungen, individuellen Erfahrungen und der Verbalisierung von Transformationsprozessen in-nerhalb der jeweiligen akteursspezifi schen Handlungslogik der an der Studie teil-nehmenden Personen soll erfasst werden, wie die Umsetzung der administrativen Vorgaben zur Inklusion an Hamburgs Schulen aus Sicht der Akteure verläuft und wo sich gegebenenfalls besondere Herausforderungen ergeben, die ohne entsprechende Nachsteuerung die Umsetzung der Inklusion hemmen oder gar gefährden.

2. Th eoretischer Hintergrund

Die Veränderungen, die mit der Einführung der inklusiven Schule verbunden sind, reichen von Veränderungen auf der Ebene der Organisation bis hin zur Einführung innovativer Unterrichtskonzepte und einem Wandel der pädagogischen Arbeit von Lehrkräft en und Sonderpädagog*innen. Die Umsetzung der komplexen Aufgabe „Inklusive Schule“ erfordert von den beteiligten Institutionen und den agierenden Akteuren umfassende Entwicklungs- und Anpassungsmaßnahmen. Diese fi nden nach Rolff (2010) im System Schule immer im Zusammenhang von Organisations-,

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Gelingensbedingungen und Hemmnisse inklusiver Bildung

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Unterrichts- und Personalentwicklung statt. Den zentralen Bezugspunkt stellt nach Rolff dabei der Lernfortschritt der Schüler*innen dar.

Auf der Ebene der Organisationsentwicklung werden Schulprogramme und Konzepte den neuen inklusiven Anforderungen angepasst, neue Funktionen wie die der Förder-koordination installiert und neue inklusionsfördernde inner- und außerschuli-sche Strukturen geschaff en. Der Leitungsebene fällt dabei eine entscheidende Rolle zu (vgl. Fend, 2008, S. 166). Die Unterrichtsentwicklung ist insbesondere durch die Etablierung von Anpassungsmaßnahmen an die deutlich heterogeneren Lerngruppen geprägt (vgl. Götz & Hauenschild, 2015), und in der Personalentwicklung wird un-ter anderem die Qualifi zierung der Pädagog*innen mit Blick auf die veränderten Anforderungen der inklusiven Schule fokussiert. Die Schulentwicklungsprozesse, die in den jeweiligen Domänen stattfi nden, sind nicht voneinander abgekop-pelt, sondern greifen ineinander. Die drei Domänen verbindend, wird als zentra-le Herausforderung die Notwendigkeit (multiprofessioneller) Kooperation identifi -ziert, die sowohl innerhalb der jeweiligen Domäne als auch als Bindeglied zwischen ihnen auszumachen ist. In Abhängigkeit davon lassen sich auch unterschiedli-che Kooperationszusammenhänge unterscheiden. In der Studie werden ganz beson-ders zwei Konstellationen fokussiert: Auf der Unterrichtsebene sowie im Kontext der Professionalisierung werden einerseits die Kooperationsformen nach Gräsel, Fussangel und Pröbstel (2006) und andererseits die von Arndt und Gieschen (2013) beschriebenen Ebenen der interpersonellen, individuellen und institutionellen Einfl ussfaktoren auf innerunterrichtliche und außerunterrichtliche Kooperationen für die Analysen adaptiert. Innerhalb der Systemebenen werden mit Blick auf Inklusion auch Parameter des Index für Inklusion hinsichtlich inklusiver Kulturen, Strukturen sowie Praktiken den Analysen zugrunde gelegt (vgl. Booth & Ainscow, 2003).

3. EiBiSch: Das qualitative Teilprojekt

Ausgangspunkt für das qualitative Teilprojekt stellen Fragen zur Umsetzung und Bewährung des Konzepts der inklusiven Bildung an Hamburgs Schulen dar, die an-hand von Erfahrungen und Einsichten der im Feld Schule handelnden Akteurs-gruppen sowie entsprechender Akteurskonstellationen ausgearbeitet werden. Diese sollen mit Blick auf die drei schulrelevanten Ebenen Organisation, Unterricht und Personal beleuchtet werden.

3.1 Sampling

Den Kern der Untersuchungen stellen qualitative Leitfadeninterviews mit zentralen Akteursgruppen dar. Um das Bild der inklusiven Praxis möglichst breit erfassen zu

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können, werden in dem qualitativen Teilprojekt weitere Daten wie z. B. die integrier-ten Förderkonzepte in die Analysen einbezogen und miteinander verknüpft . Für die qualitative Studie wurden grundsätzlich die Ebenen in den Blick genommen, die im weitesten Sinn systemrelevant sind, d. h. allgemeinbildende Schulen (Grundschulen und Stadtteilschulen) sowie die Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ), das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) und die Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB). Die Wahl der entsprechenden ReBB-Zentren erfolg-te orientiert an der Stichprobenauswahl des quantitativen Teilprojektes. Aus dessen Gesamtsampling wurden insgesamt zehn Grundschulen und vier Stadtteilschulen aus-gewählt. Bei der Auswahl der Einzelschulen wurden als Samplekriterien das entspre-chende ReBBZ (Eimsbüttel und Billstedt), die Integrationserfahrung der Schule sowie der Sozialindex berücksichtigt. Das Schul-Sampling in der qualitativen Teilstudie er-fasst damit zwei ReBBZ, die über diff erierende Sozialindizes (Eimsbüttel eher hoch, Billstedt eher niedrig) und unterschiedliche Integrationserfahrung (Eimsbüttel eher erfahren, Billstedt dagegen eher nicht erfahren) verfügen. Zusätzlich weisen die Zuständigkeitsbereiche der ReBBZ eine unterschiedliche Historie hinsichtlich der Modelle der integrativen Beschulung auf.

Insgesamt konnten 59 Interviews mit für die Umsetzung inklusiver Bildung zen-tralen Akteuren realisiert werden. Auf Ebene der Schulen wurden jeweils die Schulleitungen, die Regellehrkräft e, die Sonderpädagog*innen sowie die neu instal-lierten Förderkoordinator*innen interviewt.

3.2 Methodisches Vorgehen

Zur Datenerhebung wurden leitfadengestützte Einzelinterviews geführt. Weil die In-ter viewpartner*innen aus verschiedenen Akteursgruppen auf unterschiedlichen System ebenen ausgewählt wurden, wurde für die jeweiligen Akteursgruppen ein In ter viewleitfaden entwickelt, der jeweils einen Anteil an übergeordneten Kate-gorien sowie einen kleineren, akteursspezifi schen Schwerpunkt enthält. Auf grund der ge wählten und erörterten Forschungsperspektive spielen dabei insbesonde-re die Vergleichbarkeit bzw. der Abgleich und die Interdependenzen der Akteurs-per spektiven eine entscheidende Rolle, so dass die Leitfäden größtenteils identische Module beinhalten. Mit den Schulleitungen wurde insbesondere die Organisation der Um setzung aus der Perspektive der Steuerungsebene und des Managements fokus-siert. Die Fragen nach der Ressourcen- und Personalsteuerung waren dabei von be-sonderer Relevanz. Bei den Förderkoordinator*innen standen neben den Fragen nach orga nisatorischen Prozessen insbesondere Fragen zu Koordinierungsaufgaben so-wie die Unterrichtsentwicklung im Vordergrund. Die mit den Regellehrkräft en so-wie den Sonderpädagog*innen geführten Interviews fokussierten insbesondere die Unterrichtspraxis sowie die Perspektive der (multiprofessionellen) Kooperation. Allen Interviews gemeinsam waren Fragen zu Kommunikationsstrukturen, zum Inklu-

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Gelingensbedingungen und Hemmnisse inklusiver Bildung

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sionsverständnis sowie zur Einstellung gegenüber Inklusion. Die Interviewdaten wurden transkribiert (vgl. Selting et al., 1998) und mit Hilfe der strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2014) unter MAXQDA ausgewertet.

Tab. 1: Auszug aus dem Kategoriensystem zur Organisationsentwicklung.

Ober-kate-gorie

Kate-gorie (deduktiv)

Theorie-be zug

Kate-gorie 1 (induktiv)

Kate-gorie 2 (induktiv) Ankerbeispiel

Res

sour

cen

Vertei-lung

Arndt & Wer-ning, 2013

Bünde-lung

„Also von Prinzip her sind wir noch bemüht nach dem alten Intergrationsklassenzusammenset-zungsverfahren, dass wir versuchen zu bündeln, Schüler gerade mit erhöhtem Förderbedarf, also dass wir ein bis zwei Klassen im Jahrgang ha-ben, wo wir weitgehend eine Doppelbesetzung garantieren können.“ StS4_sp4

keine Bünde-lung

„Und inzwischen sind die Kinder ja verteilt in den Jahrgängen und auch nicht mehr nur in einer Klasse dann pro Jahrgang.“ B_GS3_fk3

Umfang

Arndt & Wer-ning, 2013

nicht ausrei-chend

für Doppel-beset-zung

„ […] es gibt durchaus auch viele Stunden, in denen ich relativ gut ohne Doppelbesetzung hin-komme, aber ja, also es muss eine Doppelbeset-zung viel häufi ger sein. Es muss auch eine Fach-lichkeit in der Doppelbesetzung sein.“ GS3_kl3

nicht ausrei-chend

für Abspra-chen und Team-zeiten

„[…] und ich würde mir auch wünschen, dass die Kollegen mehr Austauschzeiten oder mehr Mög-lichkeiten eben auch als Teamzeiten, um sich mit der Sonderpädagogin auszutauschen. Dafür gab es keinerlei [Zeiten], also es ist eine Aufgabe dazugekommen.“ GS8_sl8

nicht ausrei-chend

für fl e-xiblen Einsatz

„Ja, wir versuchen das, aber man kann nicht einfach so sagen: ,Jetzt schnell mal hier einen Wechsel‘, […] das geht nicht einfach so, dass man sagt, ,jetzt, ich brauche hier was und da nicht‘, das dauert wirklich alles und entsprechend ist dann auch die Frust so manchmal da und man weiß, man bräuchte jetzt eine Stunde und kriegt eben keine.“ GS8_kl8

… … … … … ...

Quelle: eigene Darstellung

4. Ausgewählte Ergebnisse

Im Folgenden sollen mit Blick auf die Identifi zierung von Gelingensbedingungen, Problem bereichen und Nachsteuerungsbedarfen die Entwicklungs- und Anpas sungs-maßnahmen der agierenden Akteure in den Bereichen Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung kurz skizziert werden.

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Die Analysen des Datenmaterials im Bereich der Organisationsentwicklung zeigen, dass der Rahmen für die organisatorische Transformation stark von den die Aus-gangsbedingungen charakterisierenden Variablen wie der Integrationserfahrung1 sowie der zugewiesenen Ressourcen vorgegeben wird.2 An den Schulen, die bei der Umsetzung von Inklusion an integrative Strukturen anknüpfen können, lie-gen die Transformationsprozesse vor allem in der konzeptionellen Anpassung, die sich hauptsächlich im Umgang mit der veränderten Ressourcenausstattung manifes-tiert. Teile dieser konzeptionellen Veränderungen beziehen sich beispielsweise auf die neue Rolle der Sonderpädagog*innen. Diese werden nun systemisch in mehre-ren Klassensystemen eingesetzt. Dadurch erteilen die Sonderpädagog*innen weni-ger Fachunterricht, übernehmen in der Regel keine Klassenführung mehr und wer-den vielfach eher zu Berater*innen. Das determiniert wiederum die Gestaltung des Unterrichts und der Förderung sowie die Möglichkeiten der (multiprofessionel-len) Kooperation. Dagegen erhalten die Schulen ohne Integrationserfahrung zwar Ressourcen, über die sie vor Einführung der Inklusion nicht verfügten; sie können aber in der Organisationsentwicklung nicht auf einen bewährten konzeptionellen und strukturellen Rahmen zurückgreifen. Weiter sind sie mit neuen Akteursgruppen konfrontiert, die in das Kollegium zu integrieren sind, und sie haben zum Teil mit einer veränderten Schülerschaft zu tun, für deren Unterrichtung, Betreuung und Begleitung die notwendige Expertise zunächst akquiriert oder erarbeitet werden muss. Berücksichtigt man die sich aus unterschiedlicher Integrationserfahrung und unterschiedlicher Höhe der systemischen und personengebundenen Ressourcen er-gebenden Merkmalskombinationen, kristallisieren sich vier Schultypen heraus, denen bei der Implementation inklusiver Bildung unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung zur Ver-fügung stehen und die auch insgesamt unterschiedliche Bedarfe an institutioneller Unter stützung aufweisen:

1 Integrationserfahrung haben Schulen, die über Erfahrung mit Integrationsklassen oder inte-grativen Regelklassen verfügten, sowie Schulen, die von den sog. integrativen Förderzentren (IF) begleitet wurden. Im Text wird auf die Varianz zwischen den Integrationstypen nicht näher eingegangen (vgl. Prinz & Kulik, 2018, in Vorbereitung).

2 Den Schulen in Hamburg stehen Ressourcen in unterschiedlicher Höhe zur Verfügung. Res-sourcen zur sonderpädagogischen Förderung werden sowohl systemisch für die drei För-derschwerpunkte „Lernen“, „Sprache“ und „Emotional-soziale Entwicklung“ (LSE) als auch personengebunden für die speziellen sonderpädagogischen Förderschwerpunkte zugewiesen. Auf die Berechnung der systemischen Ressource wirkt sich unter anderem die soziale Zu-sammensetzung der Schülerschaft aus, die als Sozialindex operationalisiert wird. Adäquat zum Sozialindex erhalten Schulen mit sozial wenig belasteter Schülerschaft weniger syste-mische Ressourcen als sozial belastete.

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Gelingensbedingungen und Hemmnisse inklusiver Bildung

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Tab. 2: Übersicht über die Schultypen und deren Merkmalskombination

Typsozialer Status

Integrations-erfahrung

Konzept & Strukturen

sonderpäd. Expertise und Personal

Erfahrung mit schuli-scher Heterogenität

1 niedrig ++ + ++ ++

2 hoch ++ + ++ -

3 niedrig -- -- - ++

4 hoch -- -- -- --

Legende: ++ sehr stark vorhanden, + stark vorhanden, - nur teilweise vorhanden, -- nicht oder kaum vorhanden.

Quelle: eigene Darstellung

Die Analysen der Daten zeigen, dass die jeweiligen Schultypen vor besonderen spezifi schen Herausforderungen stehen. Beim Schultyp 1 fällt beispielsweise der Schwerpunkt vor allem auf den Umgang mit einer sehr heterogenen Schülerschaft . Vergleichsweise hohe Ressourcen, konzeptionelle und personelle Basis sowie son-derpädagogische Expertise im Umgang mit behinderungsbedingter und behinde-rungsunspezifi scher Heterogenität liegen vor. Dagegen stellt sich an Schulen vom Schultyp 2 vor allem der Einsatz der relativ geringen systemischen Ressource als Herausforderung dar. Dafür verfügt dieser Typ über konzeptionelle und personel-le Expertise und auch eine relativ hohe personengebundene Ressource aufgrund der Schüler*innen mit spezifi schen sonderpädagogischen Förderbedarfen, die aufgrund der integrativen Historie an der Schule angemeldet werden. Beim Schultyp 3 liegen zwar eine vergleichsweise hohe systemische Ressource sowie Erfahrung mit schuli-scher Heterogenität vor; konzeptionelle Basis und Expertise fehlen aber. Der Schultyp 4 ist in doppelter Weise herausgefordert: sowohl auf der Ebene der Ressourcen als auch auf der der konzeptionellen Vorbereitung und der Erfahrung mit schulischer Heterogenität.

Die skizzierten schultypischen Merkmalskombinationen führen des Weiteren zu je-weils sich unterscheidenden Rahmungen für Kooperation. Auf Grundlage der er-hobenen Daten kann festgestellt werden, dass die identifi zierten Schultypen 1 und 2 sowohl strukturelle als auch interpersonelle und individuelle Vorteile im Hinblick auf die Etablierung von Kooperationsstrukturen zeigen. An diesen Schulen werden verstärkt sowohl arbeitsteilige als auch auf Ko-Konstruktion ausgerichtete Ko ope-rationssettings festgestellt (vgl. Gräsel et al., 2006).

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Doren Prinz/Marta Kulik

176 DDS, 110. Jg., 2(2018) Inklusive Bildung in Schulen

Tab. 3: Interpersonelle Einfl ussfaktoren auf multiprofessionelle Kooperation nach EiBiSch-Schultypen

Typgemeinsame Ziele

& Aufgaben Vertrauen Autonomie Kooperationsform

1 +++

+++

-+

Ko-Konstruktion Arbeitsteilige Kooperation

2 +++

+++

-+

Ko-Konstruktion Arbeitsteilige Kooperation

3 +--

++

++++

Arbeitsteilige KooperationAustausch

4 -- + ++ Austausch

Legende: ++ sehr stark vorhanden, + stark vorhanden, - nur teilweise vorhanden, -- nicht oder kaum vorhanden.

Quelle: nach Gräsel et al. (2006)

Dagegen ist der Schultyp 3 mit Blick auf die Ressourcen strukturell im Vorteil. Auf inter- und individueller Ebene befi nden sich die Schulen dieses Typs jedoch eher im Aufb au, fehlt ihnen doch vielfach umfängliche Erfahrung im Hinblick auf die Zusammenarbeit, ähnlich wie den Schulen des Typs 4, die zusätzlich aufgrund ins-gesamt geringerer Ressourcen auch strukturelle Nachteile aufweisen. Weiter kön-nen – mit Bezug auf die identifi zierten Schultypen – Unterschiede bzgl. der Unterrichtsgestaltung bzw. der Rollenzuweisung im Unterricht festgestellt werden. Insgesamt zeigt sich für die Akteursgruppe der Sonderpädagog*innen, dass sie an den Schulen des EiBiSch-Samples überwiegend in assistierender bzw. beratender Rolle agieren. Es fi nden sich insbesondere die nach Friend, Cook, Hurley-Chamberlain und Shamberger (2010) beschriebenen Formen des one teach – one assist, one teach – one observe und besondere Formen des alternative teaching. Für alle drei Formen des gemeinsamen Unterrichtens ist auf Grundlage der EiBiSch-Daten festzuhalten, dass sich die bis dato realisierte zellulare Struktur von Schule, in der die allgemein-bildende Lehrkraft die lehrende Verantwortung für die Schüler*innen hat, wenig ver-ändert hat. Sonderpädagog*innen verantworten lediglich Material und Unterricht bzw. im Kontext von one teach – one observe im Besonderen die Diagnostik für den Unterricht mit Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Eine Ausnahme bildet eine ressourcenbündelnde Grundschule des Schultyps 1, die dieses Rollenverständnis aufb richt und in der die Akteure des multiprofessionellen Teams den Unterricht in sich abwechselnden Rollen gemeinsam verantworten. Deutlich wird hier ein weites Verständnis von Inklusion, das – bezogen auf den Unterricht – den sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf als eine von mehreren schulisch relevan-ten Heterogenitätsdimensionen betrachtet.

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5. Fazit

Auf allen drei Ebenen der schulischen Entwicklung – in der Organisation, im Unterricht sowie in der Personalentwicklung – zeigt sich bei der Einführung inklu-siver Bildung in Schulen in den erhobenen Daten eine hohe Varianz. Schulen ste-hen vor vielfältigen Herausforderungen, die erwartungskonform u. a. durch die in der Integration gewonnene Erfahrung, den Grad der Heterogenität der Schülerschaft oder die Art und den Umfang der Ressource determiniert werden. Den einzelnen Akteuren und Akteursgruppen im Feld stehen also unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, die wiederum unterschiedliche Begleitung seitens der Bildungspolitik, der Bildungsadministration und der Unterstützungssysteme wie LI und ReBBZ er-fordern. Für die Steuerungsebene ist also von Bedeutung, bei der Implementation inklusiver Bildung stärker auf die unterschiedlichen Merkmalskonstellationen der jeweiligen Schulen einzugehen und die jeweils besonderen Bedarfe passgenauer aufzu-greifen. So ist für die Schulen, die erst im Zuge der Inklusion Kooperationsstrukturen aufstellten, besonders wichtig, diese Strukturen klar im Lehrerarbeitsmodell zu veror-ten, damit Kooperation nicht als Belastung im Sinne einer zusätzlichen Anforderung und Aufgabe wahrgenommen wird. Die Schulen brauchen auch passgenaue Fort- und Weiterbildungsangebote, die einerseits das Verständnis von Inklusion schärfen und andererseits didaktisch-methodische Aspekte in Orientierung an der tatsächli-chen Schülerschaft und ihren Förderbedarfen sowie die konzeptionelle und perso-nelle Aufstellung aufgreifen, denn der Unterricht an Schulen mit wenig systemischer Ressource und hohem sozialen Status der Schülerschaft muss anders konzipiert wer-den als der Unterricht an Schulen mit hoher systemischer Ressource und niedrigem sozialen Index. Für Schulen ohne Integrationserfahrung, die auf keine Tradition son-derpädagogischer Förderung zurückgreifen können, ist zudem die Stärkung der son-derpädagogischen Expertise wesentlich, damit sich für die Sonderpädagog*innen ein attraktives und für die Schüler*innen ein förderliches Arbeits- und Lernumfeld etab-lieren lässt.

Darüber hinaus ist Akteuren aller Merkmalskonstellationen Planungssicherheit be-sonders wichtig, um langfristige Perspektiven, die für die stabile und zukunft sorien-tierte Schulentwicklung unabdingbar sind, konzeptionell entwickeln zu können. Das verbindet Schulen mit und ohne Integrationserfahrung. Auch der Wunsch nach mehr strukturierter Kooperation zwischen den sonderpädagogischen und den Regellehrkräft en ist an allen Schulen deutlich. Um allerdings anspruchsvol-le Kooperationsformen zu ermöglichen und sie zu fördern, ist die strukturelle Etablierung von festen Teams genauso wichtig wie das hierfür zur Verfügung stehen-de Zeitbudget. Je fester eine Teamkonstellation etabliert ist, desto anspruchsvoller die Kooperation. Im qualitativen EiBiSch-Sampling betrifft das vor allem das Modell der Mikroteams an den Stadtteilschulen sowie die Ressourcenbündelung an den Grund-schulen.

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Gelingensbedingungen und Hemmnisse inklusiver Bildung

179DDS, 110. Jg., 2(2018)Inklusive Bildung in Schulen

Doren Prinz, Dr., geb. 1978, Lfb A, Westfälische Wilhelms-Universität Münster.Anschrift : Westfälische Wilhelms-Universität Münster, FB 06 Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaft en, Bispinghof 5/6, 48143 MünsterE-Mail: [email protected]

Marta Kulik, Dr., geb. 1976, Schulinspektorin, Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung Hamburg.Anschrift : IfBQ, Beltgens Garten 25, 20537 HamburgE-Mail: marta.kulik@ifb q.hamburg.de

Bianca Roters, David Gerlach, Susanne Eßer (Hrsg.)

Inklusiver EnglischunterrichtImpulse zur Unterrichtsentwicklung aus fachdidaktischer und sonderpädagogischer Perspektive

Der Sammelband behandelt zentrale Fragen der Unterrichts- und Schulentwicklung und nimmt hier die besonderen Anforderungen he- terogener Lerngruppen im Englischunterricht in den Blick. Die Beiträge bündeln die aktu-ellen Diskussionen aus der Englischdidaktik und erweitern sie durch die Einbindung US-amerikanischer sowie sonder- und inklusions- pädagogischer Perspektiven.Damit vereint der Band neben der Vorstellung eines Unterrichtsplanungsmodells zahlreiche Facetten der Konzeptualisierung und Unter-richtsentwicklung im inklusiven Englischunter- richt. Es werden Entwicklungspotentiale auf- gezeigt sowie Unklarheiten und offene Fragen diskutiert, um so Impulse für eine theorieba-sierte und praxisorientierte Unterrichtsent-wicklung bereitzustellen.

UNSERE BUCHEMPFEHLUNG

www.waxmann.com

Beiträge zur Schulentwicklung, 2018, 216 Seiten, br., 27,90 €,

ISBN 978-3-8309-3796-8E-Book: 24,99 €,

ISBN 978-3-8309-8796-3

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ZusammenfassungDie Ergebnisse der vier im Th emenschwerpunkt des Heft es dargestellten wissen-schaft lichen Begleitstudien zu inklusivem (und separatem) Unterricht und inklusiver Schulentwicklung werden in den Kontext früherer Begleituntersuchungen gestellt und diskutiert. Einige aktuelle Herausforderungen der inklusiven Bildung verlangen eine weitere wissenschaft liche Klärung. Dafür werden Vorschläge gemacht.Schlüsselwörter: wissenschaft liche Begleitung, inklusive Bildung, sonderpädagogischer Förderbedarf, Förderschulen

Inclusive Instruction and School Development on TrialA Comment on Four Completed StudiesSummaryTh e fi ndings of four scientifi c studies about inclusive (and separate) school education have been related to former monitoring studies and have been discussed. Actual chal-lenges of present inclusive education needs a further scientifi c monitoring. Some advices are presented.Keywords: scientifi c monitoring, inclusive education, special educational needs, special schools

1. Die Aufgaben wissenschaft licher Begleitungen

Seit gemeinsames Lernen von Behinderten und Nichtbehinderten, mit und ohne zu-sätzliche (sonderpädagogische und/oder betreuende) Unterstützung, in der allgemei-nen Schule praktiziert wird, also seit über 40 Jahren, gibt es dazu wissenschaft liche Begleitungen. Von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre waren diese sowohl recht-

Ulf Preuss-Lausitz

Inklusive Unterrichts- und Schulentwicklung auf dem PrüfstandEin Kommentar zu vier abgeschlossenen Projekten

DDS – Die Deutsche Schule 110. Jahrgang 2018, Heft 2, S. 180–188

https://doi.org/10.31244/dds.2018.02.07 © 2018 Waxmann

DISKUSSION ZUM SCHWERPUNKTTHEMA

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Inklusive Unterrichts- und Schulentwicklung auf dem Prüfstand

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lich zwingend, weil es sich beim gemeinsamen Lernen i. d. R. um Schulversuche han-delte, als auch politisch geboten; denn sowohl die Politik als auch die Öff entlichkeit stellten die Frage, „ob das geht“, was einzelne Eltern und Schulen durchgesetzt hat-ten – z. B. Kinder mit Down-Syndrom, rollstuhlgebundene oder lernbeeinträchtig-te Kinder in einzelne Grundschul- und Gesamtschulklassen aufzunehmen. Das „Ob“ bezog sich auf die Akzeptanz der anderen Kinder, aller Eltern und Lehrkräft e; auf die Art des tatsächlichen Unterrichts; auf die Frage, ob im gemeinsamen Unterricht Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf mehr oder wenigstens nicht weniger lernen als in den entsprechenden Sonderschulen; und nicht zuletzt, ob Kinder ohne besonderen Unterstützungsbedarf in ihrem Lernen nicht beeinträchtigt werden. Die Schulversuchsschulen – oft als „Mutterklöster der Integration behinderter Kinder“ gern besucht – spielten eine wichtige Rolle bei der Akzeptanz der Integration und wurden auch deshalb nach allen Standards damaliger Begleitforschung untersucht.

Diese Phase der wissenschaft lichen Begleitungen gemeinsamen Lernens konnte in den späten 1990er-Jahren abgeschlossen werden mit der Antwort: Ja, „es“ geht. Entscheidend sind die Unterstützung von Schulleitung und Kollegium, die Teamarbeit der in Klasse und Jahrgangsstufe tätigen Sonder- und allgemeinen Pädagog*innen, die Einbeziehung aller Eltern, ein „guter“ adaptiver Unterricht in einem akzeptieren-den Klima (theoretisch als „Pädagogik der Vielfalt in der Gemeinsamkeit“ konzipiert; vgl. Prengel, 1993; Preuss-Lausitz, 1993), und nicht zuletzt praxisnahe Fortbildung aller Beteiligten und die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit und Unterstützung durch Schulträger, Jugendhilfe, schulpsychologischen Dienst und gegebenenfalls auch lokale Selbsthilfegruppen (vgl. zusammenfassend Preuss-Lausitz, 2009).

Diese lange Vorbemerkung soll deutlich machen, dass es nach der Übernahme der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) eine neue Notwendigkeit für wissen-schaft liche Begleitungen gab: Nun ging es nicht um einzelne – freiwillige – Schul-versuche, sondern um die fl ächendeckende Etablierung eines inklusiven Schulsystems von der Kita bis zur berufl ichen Bildung. Der individuelle, menschenrechtlich be-gründete Rechtsanspruch unabhängig von Art und Schwere einer Behinderung auf inclusive education on an equal basis with others in the community in which they live (UN-BRK, Art.  24) fügt zur „normalen“ Heterogenität heutiger Schulklassen eine weitere Dimension hinzu – im Grundsatz in allen Schularten, für alle Lehrkräft e, alle Schulträger und Schulaufsichten. Es müssen also curriculare, organisatorische, kommunikative, beratende und unterstützende Strukturen erweitert oder gar neu aufgebaut werden. Welche dies sind und wie sie funktionieren, kann eine externe, wissenschaft liche Begleitung prüfen. Ihr Blick müsste also auf mehrere Ebenen ge-richtet sein: auf den Unterricht, seine sozialen Interaktionen und Ergebnisse; auf die Kommunikation zwischen Pädagog*innen und anderen Erwachsenen in und außer-halb der Schule; auf die schulinternen inklusiv förderlichen Strukturen; auf die ex-ternen Beratungs- und Unterstützungssysteme von Staat, Schulträgern und Trägern der Leistungen der Sozialgesetzbücher; auf die Erfahrungen aller Eltern und von

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Ulf Preuss-Lausitz

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Schüler*innen mit und ohne besonderen Förderbedarf; auf die Wirkungen des be-stehenden Förderschulsystems und des gegliederten Sekundarschulsystems; und nicht zuletzt auf die Finanzierung des Doppelsystems von inklusiven und Förderschulen. Auch müsste diff erenziert untersucht werden, ob Kinder mit einem sonderpädagogi-schen Förderbedarf im Bereich „Geistige Entwicklung“ oder mit Hör-, Seh- und kör-perlichen Beeinträchtigungen andere (sonderpädagogische) Unterstützungen brau-chen als lern- und entwicklungsbeeinträchtigte Kinder. All dies kann ein einzelnes Begleitprojekt nicht leisten – aber es sollte den Gesamtblick auf die Breite inklusiver Schulentwicklung in einer sehr heterogenen Gesellschaft bewahren.

2. Blicke auf die Wege zur inklusiven Schullandschaft – Berichte aus vier Evaluationsvorhaben

Die vier in diesem Heft vorgestellten Evaluationen haben sich auf Kinder in der Grundschule konzentriert; die NRW-Evaluation hat die Übergänge in die Sekundar-stufe einbezogen, die Hamburger Evaluation zusätzlich die 5. und 6. Klassen-stufen. Inklusion ist jedoch seit langem auch in den 7. bis 10. Klassenstufen ange-kommen, gerade auch in den vier hier vorgestellten Bundesländern Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Mit der Konzentration auf die jüngeren Schuljahrgänge verbunden ist ein Fehlen domänenspezifi scher, also fach-didaktischer Fragestellungen. Was heißt „inklusionspädagogischer Unterricht“ für die Fremdsprachen, den naturwissenschaft lichen und den informationstechnologi-schen Unterricht, für Geschichte und Ethikunterricht, für Sport und künstlerische Sekundarstufenfächer und für den Übergang in die berufl iche Bildung? Hier tut sich ein weites Feld für künft ige (fachdidaktische) Studien auf.

Eine zweite Begrenzung ist in der untersuchten Fördergruppe erkennbar: In Brandenburg, Niedersachsen und Hamburg werden – neben Kindern ohne einen sonderpädagogischen Förderbedarf – Kinder mit den Förderbedarfen im Förder-schwerpunkt „Lernen“, „Sprache“ und „Emotional-soziale Entwicklung“ (LSE) unter-sucht, in der NRW-Evaluation Kinder mit einem Förderschwerpunkt im Bereich „Lernen“. Da in Hamburg, Brandenburg und modifi ziert in NRW für die sonder-pädagogischen LSE-Förderungen den Schulen systemische (sonderpädagogische) Ressourcen zugewiesen werden (vgl. Klemm & Preuss-Lausitz, 2017), muss die Defi nition der Stichprobe aus der innerschulischen Diagnostik abgeleitet werden, wo-bei die Schulen den Förderbedarf dann häufi ger, jedoch ohne Ressourcenzugewinn feststellen. In Niedersachsen verlässt man sich ebenfalls nicht auf die offi ziellen 3,9 Prozent Schüler*innen mit einem LSE-Förderbedarf, sondern fragt die Lehrkräft e nach „erhöhtem Unterstützungsbedarf “ im Bereich LSE und kommt so auf ein Viertel (24 %) aller Schüler*innen – das entspricht in etwa den „Risikoschülern“ aus den VERA-Untersuchungen. In Hamburg wurde erstaunt festgestellt, dass ein er-

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Inklusive Unterrichts- und Schulentwicklung auf dem Prüfstand

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heblicher Teil der Kinder mit LSE-Status (und Förderung) normale Schulleistungen zeigt, ein anderer beachtlicher Teil mit zum Teil sehr schlechten Schulleistungen aber nicht sonderpädagogisch gefördert wird – ein Hinweis auf die Krise der sonderpäd-agogischen Diagnostik, die auch in anderen Bundesländern beobachtet werden kann (vgl. Preuss-Lausitz, 2010, S. 161). Das wirft die Frage auf, welche Zuverlässigkeit die Kategorien „sonderpädagogischer Förderbedarf“ im Bereich „Lernen“ oder im Bereich „Emotional-soziale Entwicklung“ haben. Handreichungen und Versuche der Standardisierung schaff en off enkundig keine größere praktische Klarheit – umso mehr müsste die Diagnostik selbst zum Forschungsgegenstand werden.

Die Begrenzung auf die LSE-Population kann man aus forschungsmethodischen Gründen verstehen – die Gruppe ist immerhin so groß, dass anspruchsvolle Be rech-nungsverfahren eingesetzt werden können. Zugleich ist sie problematisch, denn sie klammert die spezifi schen Lern- und Entwicklungsbedürfnisse von Kindern mit ei-nem sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich „Geistige Entwicklung“ oder von hör- und sehgeschädigten, von körperlich-motorisch Beeinträchtigten und von Schüler*innen mit autistischen Zügen in inklusiven und separaten Settings aus. Die Frage muss also off en bleiben, ob die „klassischen“ pädagogischen (und schulorgani-satorischen) Antworten aus der Integrations- und Inklusionsforschung nicht ergänzt (oder gar modifi ziert) werden müssen – und um allgemeine Aussagen zu gewinnen, braucht es dazu behinderungsspezifi sche Inklusions-Studien.

Eine weitere Begrenzung der vier Studien sei hinzugefügt: Das Geschlecht wird zwar statistisch kontrolliert, ist aber nicht inhaltlicher Gegenstand. Das ist im Förder-bereich „Emotional-soziale Entwicklung“ besonders fragwürdig, sind doch unter diesen Kindern bekanntlich rund 90 Prozent Jungen – und dieser Gruppe gilt die Hauptsorge vieler Lehrkräft e und Eltern. Auch wird in der Öff entlichkeit gern der den Unterricht sprengende, über Tische und Bänke springende Junge bemüht, um Inklusion generell abzulehnen. Umso bedenklicher ist, dass nicht untersucht wird, ob und welche spezifi schen Förderansätze bei Verhaltensproblemen in den Schulen eingesetzt werden und welche gegebenenfalls geschlechtsspezifi sch unterschied-lich erfolgreich sind. Die vorliegenden Projekte blenden damit ein zentrales heuti-ges schulpädagogisches Problem aus, das auch jenseits aller Inklusionsdebatten aufge-griff en werden muss. Erste empirische Untersuchungen des pädagogischen Umgangs mit „schwierigen Kindern“ im inklusiven Unterricht (vgl. Preuss-Lausitz, 2004, 2013; Textor, 2007) verweisen auf die Notwendigkeit weiterer Studien. Im Hamburger Projekt werden nur die Sonderklassen (Lernen, Sprache) der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) vergleichend einbezogen, nicht aber z. B. die Rolle der Beratungsabteilungen der ReBBZ für die schulische Arbeit mit verhaltensschwierigen Jungen (und Mädchen) in den allgemeinen Schulen. Aus deren Erfahrungen könnten andere lernen.

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Ulf Preuss-Lausitz

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Alle vier Projekte haben nach „Gelingensbedingungen“ inklusiven Unterrichts und in-klusiver Schulentwicklung gefragt und dabei die Schulleitungen, die Sonder- und allgemeinen Pädagog*innen, Eltern, Kinder, Berater*innen und in Hamburg auch die Bildungsverwaltung befragt (in Ganztagsschulen wären auch Erzieher*innen/Sozialarbeiter*innen und Schulassistent*innen einzubeziehen). Die Antworten sind: Zu Gelingensbedingungen gehören übereinstimmend eine inklusionsunterstützende und kommunikative Schulleitung; eine Zusammenarbeit von Sonderpädagog*innen und Klassenlehrkräft en, die „auf Augenhöhe“ stattfi ndet und die in der tatsächli-chen Teamarbeit fl exibel bleibt; feste Stellen von Sonderpädagog*innen in der allge-meinen Schule; eine in der Arbeitszeit verankerte Zeit für gemeinsame Planungen, Fallbesprechungen und Konfl iktlösungen; ein „guter“ Unterricht nach den bekann-ten heutigen Standards, also Klassenmanagement, thematische und niveaubezogene Wahlmöglichkeiten für Kinder, Feedbackstrukturen, die Schaff ung eines akzeptieren-den Klassenklimas mit gemeinsam verabredeten Regeln usw. (vgl. Jürgens & Standop, 2010; Metzger & Weigl, 2012); die verbindliche Zusammenarbeit mit außerschuli-schen Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen und anderen Leistungsträgern wie der Jugendhilfe; nicht zuletzt Möglichkeiten der schulinternen, anlassbezogenen Fortbildung für das gesamte Schulpersonal, auch unter Aspekten der Akzeptanz und des Umgangs mit schwierigen Kindern.

Zentrales Gelingenskriterium sind Schulleistungen. Leider wird in den Projekten nicht über den (notwendigen) Tellerrand von Lesen, Schreiben und Rechnen hinausge-blickt (und damit ein verengter, aber verbreiteter Bildungsbegriff der nationalen Leistungsstudien wiederholt). Im brandenburgischen Evaluationsvorhaben, das keinen Vergleich mit entsprechenden Förderschulen vornahm, wurden in den zwei unter-suchten Jahrgangs-Kohorten unterschiedliche Ergebnisse festgestellt; Lernzuwächse werden beide Male beobachtet, aber in einer Kohorte entsteht, im Vergleich zu Kindern ohne Förderbedarf, ein geringerer Zuwachs; die Gründe können nicht auf-geklärt werden. In Hamburg wird eine große Leistungsstreuung beobachtet. Der Lernzuwachs ist im inklusiven Setting knapp – in den vergleichend untersuchten Sonderklassen für die Förderschwerpunkte „Lernen“ und „Sprache“ der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) gibt es allerdings einen „Kompetenzverlust“. Für Niedersachsen werden für den hier vorliegenden Bericht keine Schulleistungen berichtet (wohl aber positive Einschätzungen der Inklusionslehrkräft e). In NRW wer-den die Leistungen der Kinder aus Förderschulen mit dem Schwerpunkt „Lernen“ mit im Förderschwerpunkt „Lernen“ sonderpädagogisch im inklusiven Setting geförderten Kindern (bei Kontrolle der kognitiven Grundausstattung) verglichen und bei den in-klusiv unterrichteten Kindern bessere Leistungen im Lesen und Schreiben (bei hohen Eff ektstärken) festgestellt. „Nur bei inklusiv beschulten Kindern ist ein signifi kanter Leistungszuwachs über die drei Messzeitpunkte hinweg zu beobachten“, wie der offi -zielle Abschlussbericht formuliert (Wild, Lütje-Klose, Schwinger, Gorges & Neumann, 2017, Teil C, S. 21).

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Inklusive Unterrichts- und Schulentwicklung auf dem Prüfstand

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Das entspricht den Ergebnissen der beiden länderübergreifend repräsentativen Ver-gleichsstudien des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungssystem (vgl. Kocaj, Kuhl, Kroth, Pant & Stanat, 2014; Stanat, Schipolowski, Rjosk, Weirich & Haag, 2017, Kap.  10), die bei Kontrolle aller lernrelevanten Individualfaktoren sehr deutli-che Kompetenzvorsprünge in inklusiven Settings sowohl für sonderpädagogisch im Schwerpunkt „Lernen“ als auch im Schwerpunkt „Sprache“ geförderte Kinder mit bis zu einem Lernjahr Diff erenz gegenüber den entsprechenden Förderschulen feststell-ten. Umso unverständlicher – und im Widerspruch zu zahlreichen weiteren empiri-schen Studien (vgl. Schnell, Sander & Federolf, 2011) – ist es, dass die Autor*innen der NRW-Evaluation im hier vorliegenden Text in der Zusammenfassung schreiben, es komme „weniger auf die Form der Beschulung“ an als vielmehr auf die jeweili-gen „proximalen“ Faktoren von Unterricht und Schule. Selbstverständlich sind diese wichtig. Sie schließen jedoch die Eff ekte der Schulform und der Klassenkomposition, die in den Förderschulen mit dem Schwerpunkt „Lernen“ immer eine Gruppierung von Kindern aus ökonomisch und kulturell prekären Familien sein wird, nicht aus (vgl. u. a. Wocken, 2000). Müsste aus der Behauptung, es komme nur auf die proxi-malen Faktoren in Unterricht und Schule an, geschlossen werden, dass der off enkun-dig ineff ektivere Unterricht in Förderschulen mit dem Schwerpunkt „Lernen“ weniger „proximal“ ist? Oder soll die Th ese dazu dienen, von der Frage abzulenken, warum bei dieser Ineff ektivität die Förderschulen mit dem Schwerpunkt „Lernen“ aufrechter-halten werden? Insgesamt bestätigen die hier vorgestellten vier Evaluationsvorhaben, dass die Lernleistungen im gemeinsamen Unterricht für sonderpädagogisch geför-derte Kinder nicht schlechter, meist sogar deutlich besser sind und dass die übrigen Schüler*innen nicht ungünstiger abschneiden als in Klassen ohne sonderpädagogisch geförderte Kinder.

Neben Leistungsfragen sind in den Projekten auch die Einstellungen, Interaktionen und Wohlfühlaspekte Gegenstand der Untersuchungen. In mehreren früheren Studien gab es dazu widersprüchliche Ergebnisse – mal fühlten sich die Kinder mit sonder-pädagogischem Förderbedarf in inklusiven Klassen wohl (vgl. Hagen, Klöpfer, Müller, Staff en & Grünke, 2017; Heyer, Preuss-Lausitz & Schöler, 1997, S. 171 ff .; Schwab, 2014) und mal weniger wohl (vgl. Bless, 2017). Nun ist unstrittig, dass es schon im-mer unbeliebte Schülerinnen und vor allem Schüler gab – in allen Klassen, in al-len Schulen. Als Prototyp wurde schon in den 1970er-Jahren der eher weniger leis-tungsstarke, unkooperative, vor allem aber störend-aggressive Junge benannt (vgl. Petillon, 1978), ganz unabhängig von Inklusion. Umso wichtiger ist die Frage, ob und wie es Lehrkräft en (und allen Kindern) heute gelingt, Ablehnungsprozesse in Schulklassen pädagogisch so zu moderieren (oder gar abzubauen), dass das Lernen und Wohlbefi nden aller, auch der Kinder mit Beeinträchtigungen unterschiedlicher Art, gesichert wird.

In der NRW-Evaluation wurde mit Erstaunen festgestellt, dass dies gelingt: Das schu-lische Wohlbefi nden war trotz aller sozialen Vergleichsprozesse bei sonderpäda-

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Ulf Preuss-Lausitz

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gogisch im Schwerpunkt „Lernen“ geförderten Schüler*innen im inklusiven Setting erwartungswidrig „ausgesprochen positiv“ und korrelierte nicht mit der eigenen Leistung; das körperliche Wohlbefi nden war sogar höher als in den Förderschulen und das Gefühl der Diskriminierung geringer (bei einer beachtlichen Eff ektstärke von 0.46); das Fächer-Selbstkonzept war nicht negativer, in Mathematik sogar höher. Mit anderen Worten: Den inklusiv arbeitenden Lehrkräft en gelingt es durch ihre pädago-gische Arbeit, erwartbare (Selbst-)Abwertungsprozesse zu verhindern. Wie, wäre zu klären, um daraus zu lernen.

Im niedersächsischen-Evaluationsbericht werden die Erfahrungen der Kinder (noch) nicht berichtet; dafür wurden Unterrichtsbeobachtungen in inklusiven 3. Klassen ge-macht. Auch hier zeigen sich positive Ergebnisse beim Klassenklima (und weniger günstige bei adaptivem Unterricht). Im brandenburgischen Evaluationsbericht werden in den beiden Kohorten – wie bei der Leistung – unterschiedliche Einschätzungen der Kinder berichtet: Während es in der ersten Jahrgangskohorte kaum Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne sonderpädagogischen LSE-Förderbedarf beim so-zialen Selbstkonzept, bei der Einschätzung des Klassenklimas und beim Gefühl des Angenommenseins gab, war dies in der zweiten Kohorte nicht so; vielmehr zeigten sich die erwartbaren Diskrepanzen. Leider konnten die Gründe nicht untersucht wer-den. Im Hamburger Evaluationsbericht gibt es diff erenzierte Ergebnisse: Während sich im Bereich „Lernen“ im inklusiven Setting sonderpädagogisch geförderte Kinder leistungsschwächer einschätzen, fühlen sie sich in der allgemeinen Schule woh-ler als die entsprechenden Kinder der ReBBZ; am negativsten schätzen Kinder im Förderschwerpunkt „Emotional-soziale Entwicklung“ sowohl ihre soziale Integration als auch ihr fachliches Selbstkonzept ein. Das belegt einmal mehr, dass eine zentra-le Herausforderung heutiger Schule generell – ob mit oder ohne spezifi sche Inklusion – die allgemeinpädagogische, sonderpädagogische und sozialpädagogische Arbeit mitverhaltensschwierigen Kindern und Jugendlichen ist.

3. Notwendige weitere Analysen für die Praxis aller Akteure

In diesem Beitrag können nur einzelne Aspekte aus den Evaluationsvorhaben auf-gegriff en werden, die für die Akzeptanz und den weiteren Weg inklusiver Schul-entwicklung besonders bedeutsam erscheinen. Deutlich wurde, wie dies schon frü-her beobachtet wurde (vgl. Preuss-Lausitz, 2015), dass noch viele For schungs fragen off en sind, um der Öff entlichkeit, vor allem aber den pädagogischen Praktiker*innen vor Ort, den Schulämtern, Kommunen, Unter stützungs ein richtungen, Aus bildungs-einrichtungen und Verantwortlichen des Sozial-, Jugend- und Gesund heitsbereichs Anregungen für ihre inklusionsorientierte Arbeit zu geben. Die Nennung dieser und weiterer Akteure verweist darauf, dass es im Sinne eines Mehr-Ebenen-Systems nicht nur um „guten“ inklusiven Unterricht, sondern um inklusive Schulstrukturen und

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Inklusive Unterrichts- und Schulentwicklung auf dem Prüfstand

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Einrichtungen, um Fragen der multiprofessionellen Zusammenarbeit, um inner- und außerschulische Steuerungs- und Unterstützungsstrukturen, um den Übergang in Ausbildung und Beruf, um Res sourcen verteilung und Diagnostik und nicht zuletzt um die Frage geht, wie die bestehenden Förderschulen „auf Augenhöhe“ in den Weg zur inklusiven Schulent wicklung einbezogen werden können.

Zugleich wäre es nach zehn Jahren UN-BRK und ihrer schrittweisen Umsetzung im Bildungssektor erforderlich, eine gemeinsame Auswertung aller abgeschlossenen wissenschaft lichen Begleitungen, auch aus anderen Bundesländern (u. a. aus Bayern Heimlich, Kahlert, Lelgemann & Fischer, 2016; aus Mecklenburg-Vorpommern Voß et al., 2016; aus Rheinland-Pfalz Laubenstein, Lindmeier, Guthöhrlein & Scheer, 2015; aus Sachsen Liebers, Kolke & Schmidt, 2017; aus Th üringen Sasse & Schulzeck, 2017), vorzunehmen, um eine bundesweite Verständigung über eff ektive Wege zur inklusi-ven Unterrichts- und Schulentwicklung zu erreichen. Alle könnten davon profi tieren, und das Rad müsste nicht mehrfach neu erfunden werden.

Literatur und Internetquellen

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Ulf Preuss-Lausitz

188 DDS, 110. Jg., 2(2018) Diskussion zum Schwerpunktthema

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Ulf Preuss-Lausitz, Prof. Dr., em. Prof. für Erziehungswissenschaft an der TU Berlin, Mitglied der Expertenkommission Inklusion der Deutschen UNESCO.Anschrift : TU Berlin, Institut für Erziehungswissenschaft , Marchstr. 23, Sekr. 2–6, 10587 BerlinE-Mail: [email protected]

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189DDS, 110. Jg., 2(2018)Rezension

REZENSION

Tanja Tajmel (2017). Natur wissen-schaft liche Bildung in der Migrations-gesellschaft . Grundzüge einer Refl exiven Didaktik und Ansätze für eine sprachbewusste Praxis. Wiesbaden: Springer VS, 436 S., 59,99 €

Gegenstand der Dissertationsschrift von Tanja Tajmel ist Physikunterricht im Kontext von Migration und Mehr-sprachigkeit. Die Autorin fragt, welche Ex klusions- und Selektionsmechanismen in der naturwissenschaft lichen Bildung diskriminierend wirken und wie sol-che Mechanismen überwunden wer-den können. Ihr Anspruch besteht da-rin, theoretisch fundiert eine „refl exive Physikdidaktik“ und den Entwurf einer „kritisch-refl exiven Sprachbewusstheit“ zu entwickeln. Die umfangreiche Mono-graphie (436 S.) ist in vier Teile und 24 Kapitel gegliedert.

Im ersten Teil beschäftigt Tajmel sich mit aktuellen Forschungsperspektiven zum Thema naturwissenschaftlicher Bildung. Sie stellt fest, dass sich in der Diskussion über unterdurchschnittliche Leistungsergebnisse von Schüler*innen mit Migrationshintergrund in den PISA-Studien ein „Förderdiskurs“ entwickelt habe, der durch eine ökonomisch orien-tierte Outputperspektive charakterisiert sei. Eine für Tajmel wichtige Erkenntnis besteht darin, dass das Fach Physik aus dieser Perspektive „als sozial und kultu-rell unabhängig dargestellt“ werde (S. 118). Aus dieser Erkenntnis leitet Tajmel das Desiderat einer refl exiven Physikdidaktik ab.

Als Grundlage für eine reflexive phy-sikdidaktische Perspektive setzt sich Tajmel im zweiten Teil mit theoretischen Konzepten aus den Bereichen Recht auf Bildung, „Nicht-Diskriminierung“ und Intersektionalität auseinander. Im Anschluss an Tomaševski berücksich-tigt sie vier Strukturelemente des Rechts auf Bildung – Availability, Accessibility, Acceptability und Adaptability (vgl. S. 150 ff .) – und entwirft ein „[m]ultikau-sales Modell des Zugangs zu naturwissen-schaft licher Bildung“ (S. 159). Dieser wird nach Tajmels Modell durch bildungsstruk-turelle, fachkulturelle und identitätskons-truierende Faktoren begünstigt oder be-hindert. Die Lehrkräfteausbildung, die Unterrichtsprozesse und die Konzeption von Fördermaßnahmen stellt Tajmel als drei Ebenen heraus, auf denen die ver-schiedenen Faktoren zusammenwirken. Um die Bedeutsamkeit der Refl exivität herauszustellen, führt sie interdiszi-plinäre Anknüpfungspunkte zusam-men: Migrationspädagogik, Sprach-soziologie, Fachkulturforschung und Geschlechterforschung.

Im dritten Teil widmet Tajmel sich der Bedeutung der Sprache für naturwis-senschaft liche Bildung. Ausgehend von der Annahme, dass „Sprache ein po-tenzielles Selektions- und Exklu sions-instrument“ darstellt (S. 201), leitet sie die Notwendigkeit einer „Kritisch-refl exiven Sprachbewusstheit im Kontext von Fach-unterricht“ her (S. 202; Hervorh. i. O.). Das Konzept wird nicht nur theore-tisch fundiert, sondern auch durch di-daktische Fallbeispiele illustriert. Mit

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diesen will Tajmel zeigen, wie Sprach-gebrauch das Recht auf Bildung ver-wehren kann, und verdeutlichen, dass zu den Reflexionsgegenständen einer kritisch-reflexiven Sprachbewusstheit „fach sprachliche Normen, alltagsbezo-gene Normalitätsannahmen, die Kon-struk tion förderbedürftiger Grup pen im Physik unterricht, das Be urtei lungs-ver halten von Lehrenden und […] Posi-tionierungsangebote“ (S. 273) gehören.

Die Monographie endet mit dem vier-ten Teil „Refl exive Ansätze für die Praxis“ (S. 275 ff .). Vorgestellt und refl ektiert wird zunächst das „Prinzip Seitenwechsel“ (S. 279): Lehrkräfte beschreiben ein Physikexperiment in ihrer zweitbesten Sprache, um sich in die Situation mehr-sprachiger Schüler*innen zu versetzen. Wie dieses Vorgehen, das Tajmel in vielen Fortbildungen zum Th ema Sprachbildung im Fachunterricht erprobt hat, zur Ent-wick lung von Sprachbewusstheit beitra-gen kann, wird ausführlich diskutiert. Tajmel zeigt, dass es zu Refl exionen auf kognitiver, sozialer und Machtebene an-regt. Ausgehend von der Frage, wie die Sprachhandlungsfähigkeit der Schü le-r*innen im naturwissenschaft lichen Un-ter richt erhöht werden kann, entwi-ckelt Tajmel ein „Konkretisierungsraster“ (S. 349), in dem die Lehrkraft die sprach-lichen Anforderungen einer Aufgabe zu-sammenstellt. Abschließend wird das uni-versitäre Projekt PROMISE (Promotions of Migrants in Science Education) vorge-stellt.

Tanja Tajmels Dissertationsschrift zeugt von einem großen Interesse an sozi-alwissenschaftlichen Theorien. Die Berücksichtigung der vielen unterschied-

lichen Begrifflichkeiten und Konzepte führt allerdings dazu, dass nicht alle theoretischen Perspektiven ausführ-lich erläutert werden können. Tajmel entwickelt sowohl kritische als auch kons-truktive Perspektiven für die Entwicklung (nicht nur) des Physikunterrichts. Bei-spiele aus dem Unterricht verdeutli-chen die Praxisrelevanz des entwickel ten Modells einer kritisch-refl exiven Sprach-bewusstheit. Sie bieten An regungen, die über den naturwissenschaft lichen Unterricht und die naturwissenschaft liche Lehrkräft ebildung hinaus Anwendung im Bereich Sprachbildung und Deutsch als Zweitsprache fi nden können, wodurch die Monographie für einen großen Kreis an Studierenden, Praktizierenden sowie Expert*innen interessant ist.

Simone Plöger & Sara Fürstenau, Hamburg

https://doi.org/10.31244/dds.2018.01.07

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UNSERE BUCHEMPFEHLUNG

 Unter dem Eindruck der Ergebnisse internationaler Schulvergleichs- studien ging es in bildungspolitischen Debatten zu Beginn dieses

Jahrtausends vor allem um äußere Strukturen von Schule und Unter-richt. Mit der Rezeption von Hatties großer Synthese der Ergebnisse empirischer Unterrichtsforschung verändert sich der Blick auf die Einflussfaktoren für erfolgreiches Lernen. Das Handeln des Lehrers und der Lehrerin rückt (wieder) in den Mittelpunkt des Interesses.

Hatties Frage danach, „was wirklich wirkt“, wird nicht zuletzt in der Lehrerbildung und Lehrerfortbildung aufgenommen. Im Fokus der 34. Münsterschen Gespräche zur Pädagogik stand die Frage, wie Lehre-rinnen und Lehrer darin unterstützt werden können, ihre Verantwor-tung für das Lernen der Schüler/-innen professionell wahrzunehmen. Neben wissenschaftlichen Referaten stellt der Tagungsband aktuelle Ansätze aus der Praxis der Lehrer(fort)bildung vor. Im Blick ist dabei, was der Einzelne (für sich) tun kann, wie Kollegien durch Zusammen-arbeit besser werden und was aus der Perspektive von Schulträgern an Unterstützung angeboten werden kann.

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Christian Fischer, Paul Platzbecker (Hrsg.)

Auf den Lehrer kommt es an?!Unterstützung für professio-nelles Handeln angesichts aktueller Herausforderungen

Münstersche Gespräche zur Pädagogik, Band 34, 2018, 172 Seiten, br., 16,90 €, ISBN 978-3-8309-3793-7E-Book: 15,99 €, ISBN 978-3-8309-8793-2

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UNSERE BUCHEMPFEHLUNG

 V iele Schulen in den deutschsprachigen Ländern stehen derzeit vor der Herausforderung, inklusive Strukturen zu entwickeln und

umzusetzen. Mit Beiträgen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wird ein umfassender Überblick über die Entwicklung hin zu inklusiven Schulkulturen gegeben. Folgende Aspekte einer inklusiven Schulentwicklung stehen dabei im Fokus: Demokratische Schulkultur, Bedeutung des Wohlbefindens und der Gesundheit, Zusammenarbeit mit Eltern, Umgang mit der Leistungsbewertung, Schaffung koopera-tiver Strukturen, Gestaltung eines adaptiven und partizipativen Un-terrichts. Die Profile werden sowohl von namhaften Wissenschaftle-rInnen aus verschiedenen erziehungswissenschaftlichen Disziplinen konzeptualisiert und analysiert als auch durch je einen Praxisbeitrag einer besonders ausgewiesenen inklusiv arbeitenden Schule des Primar- oder Sekundarbereichs konkretisiert. Insofern ist das Werk sowohl für die Lehreraus- und -weiterbildung als auch für die Schul-praxis von Relevanz.

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Birgit Lütje-Klose, Susanne Miller, Susanne Schwab, Bettina Streese (Hrsg.)

Inklusion: Profile für die Schul- und Unter-richtsentwicklung in Deutschland, Österreich und der SchweizTheoretische Grundlagen – Empirische Befunde – Praxisbeispiele

Beiträge zur Bildungsforschung, Band 2, 2017, 308 Seiten, br., mit einigen farbigen Abbildungen, 34,90 €, ISBN 978-3-8309-3565-0E-Book: 30,99 €, ISBN 978-3-8309-8565-5

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UNSERE BUCHEMPFEHLUNG

 Mit DoProfiL hat sich die Technische Universität Dortmund auf denWeg gemacht, ihre Lehrerinnen- und Lehrerbildung zukunftsfähig

zu verändern. Themenschwerpunkt ist die Inklusionsorientierung in der universitären Lehre und Forschung, insbesondere Mehrsprachigkeit, Behinderung, Hochbegabung, kulturelle oder soziale Herkunft, Ge-schlecht. In diesem Buch finden sich allgemeine und fächerübergrei-fende Perspektiven, Theorien und Forschungsbefunde zu Inklusions-orientierung ebenso wie fachbezogene Perspektiven, Theorien und Forschungsbefunde aus mehr als 25 Teilprojekten. Gleichermaßen wer-den Standpunkte sichtbar, wie die Prozesse und Strukturen in der Hoch-schulentwicklung gestaltet sein müssen, um Inklusionsorientierung nachhaltig zu implementieren. Dabei sind Kommunikationsstrukturen, Changemanagement, Weiterqualifizierung und systematisch aufberei-tete inhaltliche Strukturen ebenso wichtig wie die einzelnen Menschen mit ihren individuellen Dispositionen, Interessen und Zielperspektiven.

Stephan Hußmann, Barbara Welzel (Hrsg.)

DoProfiL – Das Dortmunder Profil für inklusionsorientierte Lehrerinnen- und Lehrerbildung2018, 304 Seiten, br., 39,90 €, ISBN 978-3-8309-3836-1 E-Book: 35,99 €, ISBN 978-3-8309-8836-6