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18 SÜDTIROL IN WORT UND BILD 4/2014 Diesen Beitrag verfasste der Sprachinsel forscher Luis Thomas Prader aus Aldein; er absolvier- te die Lehrer- bildungs anstalt in Meran, war tätig als Lehrer, Schuldirektor und Vertreter der deutschen Schulen Südtirols im Unterrichts- ministerium in Rom E-mail: luis- thomas.prader@ tin.it N icht unweit östlich der Stadt Tri- ent steigt das Tal von der Ort- schaft Pérgine auf fast 2000 Meter empor. Bereits hinter dem Ort Pérgi- ne wird man mehrsprachig begrüßt mit herzlich willkommen, auf Bersntolerisch guat kemmen. Dann geht es auf einer kurven- reichen Straße hinauf auf 1500 Meter zur Ortschaft Palù del Fér- sina. Beim Verlassen des Tales steht an der orografisch linken Seite die Abschiedstafel ber se- chen ens/auf Wiedersehen. Die Besiedlungsgeschichte An Siedlungsspuren und an Spuren von Bergbau sind bereits für die Spät- bronzezeit vom 13. bis 11. Jahrhun- dert vor Christus nachweisbar, es gibt aber keine Nachweise von kontinuier- licher und fester Besiedlung. Das Fersental wurde im 13. und 14. Jahrhundert durch Zuwanderung aus verschiedenen Tälern Tirols besiedelt. Zunächst wurden Bergwerkssiedlun- gen zum Abbau von Kupfer, Silber und Gold für das Bergwerk am Tal- ende angelegt, später siedelten sich Bauern an. Zur Besiedelung dieses Tales schreibt Bernhard Wurzer in seinem Buch über die Sprachinseln in Oberitalien, dass die deutsche Besiedlung im Fer- sental im 14. Jahrhundert in vollem Ausbau begriffen war. Die Menschen waren in die Gegend gekommen wegen des Weidelandes, der Wälder und der Jagdmöglichkei- ten, dann aber auch wegen des Berg- baues, wurden doch vorwiegend Kupfer, Silber, Blei und Eisen abge- baut. Wohlstand und Reichtum wa- ren in das Tal gekommen. Über die Fersenta- ler schreibt ein aus Meran gebürtiger Pater Perthanis im Jahr 1687 unter an- derem Die Bergbe- wohner sind fast alle Deutsche und spre- chen Deutsch, aber ein so verdorbenes Deutsch, dass man sie nur durch länge- ren Umgang verstehen kann. Über die Fersentaler schrieb der Kla- genfurter Dichter Robert Musil, der während des Ersten Weltkrieges an der Frontlinie im Fersental einge- setzt war, in seiner Novelle Grigia unter anderem es lebten merkwürdi- ge Leute in diesem Talende. Ihre Vor- eltern waren zur Zeit der Tridenti- nischen Bischofsmacht aus Deutsch- land gekommen, und sie saßen heute noch eingesprengt wie ein verwitter- ter deutscher Stein zwischen den Ita- lienern. Die Art ihres alten Lebens hatten sie halb vergessen und halb bewahrt, verstanden sie wohl selbst nicht mehr. Fersentaler Bergbau Im inneren Fer- sental befinden sich alte Minen, aus denen einst Kupfer- und Silber- erze gefördert wurden. Es ist noch ein mittelalterlicher Stollen erhalten, an dem noch deutlich die händische Arbeit mit Schlä- gel und Eisen festzustellen ist. In der Nähe von Roveda sind alte Schürfe kleineren Ausmaßes zu sehen. Das Fluoritbergwerk ist erst in den Jahren 1970/1971 aufgelas- sen worden. Schon im 15. Jahrhundert wurden in dieser Gegend kupferhaltige Erze ab- gebaut, der Fluorit seit dem 17. Jahr- hundert. Der Bergbau im Fersental war zum Großteil die wirtschaftli- che Existenzgrundlage der deutschen Bevölkerung. Mit dem Rückgang des Bergbaues kehrte wieder Armut und Not ins Tal zurück. Von der Landwirtschaft konnte man damals nur recht und schlecht leben; heute wäre das schon gar nicht mehr möglich, denn durch die erbschaft- liche Aufteilung des Besitzes unter den männlichen Nachkommen – die weiblichen Erben wurden einfach ausbezahlt – wurde der Besitz der- maßen zerstückelt, dass nicht einmal Die deutschen Sprachinseln Die drei Gemeinden im Fersental in der Provinz Trient Im ersten Beitrag, Heft 1/2014, zu den deutschen Sprachinseln in Ita- lien befasste ich mich mit den Wal- sern, in weiteren Beiträgen, Heft 2+3/2014 mit den Gemeinschaften der Zimbern. Beide Gruppen kann und konnte man unter einem Über- titel zusammenfassen. Bei den Gemeinschaften, die nun- mehr beschrieben werden, geht ein globales Zusammenfassen weniger gut, man kann sie weder geogra- fisch, noch historisch, noch sprach- lich-kulturell unter einem einzigen Begriff vereinen. Somit befasse ich mich dieser und in den nächsten Ausgaben mit vier unterschiedlichen Gemeinschaften. Geografisch beginne ich im Westen in Alttirol mit dem Fersental und ende im Osten mit dem Kanaltal. Die in dem Beitrag beschriebenen Orte und Begriffe sind in drei Spra- chen gebräuchlich, oder vorhanden. In Straßenkarten und Atlanten wird zumeist die italienische Bezeich- nung verwendet, deshalb verwende ich auch in diesem Beitrag die itali- enische Form. Das Fersental Italienisch Fersentalerisch Deutsch Val die Mocheni Bersntol Fersental Frassilongo Garait Gereut Fierozzo Vlarotz Florutz Palù del Férsina Palai en Bersntol Palai Roveda Oachlait Eichleit

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18 SÜDTIROL IN WORT UND BILD 4/2014

Diesen Beitrag ver fasste der Sprachinsel forscher Luis Thomas Prader aus Aldein; er absolvier-te die Lehrer-bildungs anstalt in Meran, war tätig als Lehrer, Schuldirektor und Vertreter der deutschen Schulen Südtirols im Unterrichts-ministerium in Rom E-mail: [email protected]

Nicht unweit östlich der Stadt Tri-ent steigt das Tal von der Ort-

schaft Pérgine auf fast 2000 Meter empor. Bereits hinter dem Ort Pérgi-ne wird man mehrsprachig begrüßt mit herzlich willkommen, auf Bersntolerisch guat kemmen. Dann geht es auf einer kurven-reichen Straße hinauf auf 1500 Meter zur Ortschaft Palù del Fér-sina. Beim Verlassen des Tales steht an der orografisch linken Seite die Abschiedstafel ber se-chen ens/auf Wiedersehen. Die Besiedlungsgeschichte An Siedlungsspuren und an Spuren von Bergbau sind bereits für die Spät-bronzezeit vom 13. bis 11. Jahrhun-dert vor Christus nachweisbar, es gibt

aber keine Nachweise von kontinuier-licher und fester Besiedlung. Das Fersental wurde im 13. und 14. Jahrhundert durch Zuwanderung aus

verschiedenen Tälern Tirols besiedelt. Zunächst wurden Bergwerkssiedlun-gen zum Abbau von Kupfer, Silber und Gold für das Bergwerk am Tal-ende angelegt, später siedelten sich Bauern an. Zur Besiedelung dieses Tales schreibt Bernhard Wurzer in seinem Buch über die Sprachinseln in Oberitalien, dass die deutsche Besiedlung im Fer-sental im 14. Jahrhundert in vollem Ausbau begriffen war. Die Menschen waren in die Gegend gekommen wegen des Weidelandes, der Wälder und der Jagdmöglichkei-ten, dann aber auch wegen des Berg-baues, wurden doch vorwiegend Kupfer, Silber, Blei und Eisen abge-baut. Wohlstand und Reichtum wa-ren in das Tal gekommen.

Über die Fersenta-ler schreibt ein aus Meran gebürtiger Pater Perthanis im Jahr 1687 unter an-derem Die Bergbe-wohner sind fast alle Deutsche und spre-chen Deutsch, aber ein so verdorbenes Deutsch, dass man sie nur durch länge-

ren Umgang verstehen kann. Über die Fersentaler schrieb der Kla-genfurter Dichter Robert Musil, der während des Ersten Weltkrieges an der Frontlinie im Fersental einge-setzt war, in seiner Novelle Grigia unter anderem es lebten merkwürdi-ge Leute in diesem Talende. Ihre Vor-eltern waren zur Zeit der Tridenti-nischen Bischofsmacht aus Deutsch-land gekommen, und sie saßen heute noch eingesprengt wie ein verwitter-ter deutscher Stein zwischen den Ita-lienern. Die Art ihres alten Lebens hatten sie halb vergessen und halb bewahrt, verstanden sie wohl selbst nicht mehr. Fersentaler Bergbau Im inneren Fer-sental befinden sich alte Minen, aus

denen einst Kupfer- und Silber-erze gefördert wurden. Es ist noch ein mittelalterlicher Stollen erhalten, an dem noch deutlich die händische Arbeit mit Schlä-gel und Eisen festzustellen ist. In der Nähe von Roveda sind alte Schürfe kleineren Ausmaßes zu

sehen. Das Fluoritbergwerk ist erst in den Jahren 1970/1971 aufgelas-sen worden. Schon im 15. Jahrhundert wurden in dieser Gegend kupferhaltige Erze ab-gebaut, der Fluorit seit dem 17. Jahr-hundert. Der Bergbau im Fersental war zum Großteil die wirtschaftli-che Existenzgrundlage der deutschen Bevölkerung. Mit dem Rückgang des Bergbaues kehrte wieder Armut und Not ins Tal zurück. Von der Landwirtschaft konnte man damals nur recht und schlecht leben; heute wäre das schon gar nicht mehr möglich, denn durch die erbschaft-liche Aufteilung des Besitzes unter den männlichen Nachkommen – die weiblichen Erben wurden einfach ausbezahlt – wurde der Besitz der-maßen zerstückelt, dass nicht einmal

Die deutschen Sprachinseln

Die drei Gemeinden im Fersental in der Provinz Trient

Im ersten Beitrag, Heft 1/2014, zu den deutschen Sprachinseln in Ita-lien befasste ich mich mit den Wal-sern, in weiteren Beiträgen, Heft 2+3/2014 mit den Gemeinschaften der Zimbern. Beide Gruppen kann und konnte man unter einem Über-titel zusammenfassen. Bei den Gemeinschaften, die nun-mehr beschrieben werden, geht ein globales Zusammenfassen weniger gut, man kann sie weder geogra-fisch, noch historisch, noch sprach-lich-kulturell unter einem einzigen Begriff vereinen.

Somit befasse ich mich dieser und in den nächsten Ausgaben mit vier unterschiedlichen Gemeinschaften. Geografisch beginne ich im Westen in Alttirol mit dem Fersental und ende im Osten mit dem Kanaltal. Die in dem Beitrag beschriebenen Orte und Begriffe sind in drei Spra-chen gebräuchlich, oder vorhanden. In Straßenkarten und Atlanten wird zumeist die italienische Bezeich-nung verwendet, deshalb verwende ich auch in diesem Beitrag die itali-enische Form.

Das Fersental Italienisch Fersentalerisch Deutsch

Val die Mocheni Bersntol Fersental Frassilongo Garait Gereut Fierozzo Vlarotz Florutz Palù del Férsina Palai en Bersntol Palai Roveda Oachlait Eichleit

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mehr ein Mindester-trag möglich war. Was aber im Fersental auffällt, ist die Besied-lungsform. Es handelt sich dabei um die so genannte Streusied-lungsform, wie wir sie ja auch in fast ganz Tirol kennen. Es sind hier nicht die Haufen-dörfer zu finden, wie im romanischsprachi-gen Kulturraum üb-lich. Die „Krumer“ Um der Armut ir-gendwie zu entkom-men, suchten die Fer-sentaler nach ande-ren Einnahmequellen. Die wichtigste davon war der Wanderhan-del, also das Krämer-wesen. Nebenbei be-merkt: das Krämer-wesen kennen wir auch bei den Süd-walsern in Greschoney sowie bei den Gottscheern im heutigen Slowenien. Die Walser zogen nach Norden bis in die Schweiz und nach Südwest-deutschland, die Gottscheer bis nach Wien. Die Fersentaler Krumer hingegen hatten Handelsbeziehungen bis nach Böhmen, Ungarn und sogar nach Sie-benbürgen. Für mich, als Kind in einem Südtiro-ler Bergbauernhof, bedeutete die An-wesenheit eines Krumers eine freudi-ge Abwechslung. Mit einer vierecki-gen Holzkiste auf dem Rücken ging der Krumer – wegen der Holzkiste auch Tatlkrumer genannt – von Haus zu Haus. Wenn der Krumer dann die Türchen an der Holzkiste öffnete, waren zuerst eine Reihe von Schubla-den/Tatlen zu sehen, in denen vor al-lem Kurzwaren enthalten waren. Der Tatlkrumer war für uns Kinder interessant, der Bauer und die Bäue-rin hingegen warteten auf den Paktl-krumer, der Stoffe aller Art feilbot. Für den Tatlkrumer zählt eine Fersen-talerin folgende Waren auf zbirn ont sella zai druckbatún ont haftlar, ont glu’ven, ont gaigler, ont dratler, ont pfaivler hom se gahòt aa gadenk e mer, vil sèlla gataivla hòlt/Zwirn und

solches Zeug, Druckknöpfe und Häk-chen, und Stecknadeln, und Mund-harmonikas und Drähtchen und Tril-lerpfeifen haben sie auch gehabt denk ich mir und viel solches Geteufel. Der Wanderhandel wurde durch Na-poleon und später auch noch vom Fa-schismus eingeschränkt.

Heute ist kaum mehr ein Wander-händler zu Fuß mit dem Holzkasten oder dem Stoffpack unterwegs; heute sind die Wanderhändler motorisiert, verkauft wird nicht mehr vil sèlla ga-taivla, sondern zu den Kunden wer-den Matratzen, Bettzeug, Polstermö-bel und Ähnliches gebracht. Die Auswanderungen Das Tal wurde auch von mehreren Abwanderungsschüben heimgesucht. Einmal waren es fehlende Arbeit und allgemeine Not nach dem Ers-ten Weltkrieg, ein weiterer Aderlass erfolgte im Zusammenhang mit der Option. Im Ersten Weltkrieg lag das Fersen-tal auf der Seite der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, knapp hin-ter der Dolomitenfront, die unmit-telbar südlich von Lusèrn verlief und mitten durch die Sieben Gemeinden führte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kam das Fersental im Jahr 1919 durch den Vertrag von Saint-Germain zusammen mit Südtirol an Italien. Auf Grund eines Abkommens im Jahr 1939 zwischen Adolf Hitler und Be-nito Mussolini mussten die Fersenta-ler per Option entscheiden, ob sie als Deutsche ins Deutsche Reich umsie-

Ein typischer Fersentaler Bauernhof in der Streusiedlungsform

Die Tatlkrumer, eine viereckige Holzkiste, die der Krumer auf dem Rücken getragen hat

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deln – die Deutschen heim ins Reich – oder als Italiener in der Heimat blei-ben wollten. Eine intensive national-sozialistische Propaganda erreichte, dass sich viele Talbewohner für die Umsiedlung entschieden. Im Jahr 1942 wurden an die sechs-hundert Personen aus dem Fersental in tschechische Dörfer bei Budweis umgesiedelt, aus denen die Bewohner vertrieben worden waren. Die verlas-senen Grundstücke wurden von der Deutschen Abwicklungstreuhandge-sellschaft erworben. Im Jahr 1945 mussten die Umsied-ler ihre neuen Behausungen verlassen und kehrten mehrheitlich in die alte Heimat zurück. Hier waren sie zu-nächst wie Fremde im eigenen Land, denn ihren Grund und Boden hatten sie verkaufen müssen. Erst per Gesetz im Jahr 1949 verfüg-te der italienische Staat die Rücküber-tragung der Grundstücke. Einen weiteren Auswanderungstrend gab es nach dem Zweiten Weltkrieg. Die ärmlichen Verhältnisse im Fer-sental hatten Jahrzehnte lang eine verstärkte Abwanderung zur Fol-ge. Viele Fersentaler arbeiteten als Gastarbeiter in der Schweiz und in Deutschland, die meisten jedoch in Industrieorten des Trentino oder an-derswo in Italien. Das Pendeln vor allem der jungen Fer-sentaler in die trentinischen Indus-trieorte führte wie in vielen ande-ren Sprachinseln zu einem ständigen Rückgang der Fersentaler Sprache und zu einer langsamen Auszehrung.

In den letzten Jahren konnte der Rückgang des Fersentalerischen ge-stoppt werden, weil inzwischen so-wohl die Provinz Trient als auch die Region Trentino-Südtirol teilweise mit Mitteln der Europäischen Uni-on nicht nur die Erhaltung der Spra-che fördern, sondern auch Fremden-verkehrsprojekte und die Wirtschaft unterstützen, so dass sich für immer mehr junge Fersentaler auch in ihrer Heimat wirtschaftliche Perspektiven eröffnen. Ergab die Volkszählung vor sechzig Jahren noch mehr als 1500 Fersen-taler Bürger, so sind es heute weni-ger als 1000. Verglichen mit anderen deutschen Sprachinseln in Italien steht das Fer-sental zahlenmäßig noch recht gut da, zudem ist zu vermerken, dass sich fast neunzig Prozent der Bevölkerung der Fersentaler Muttersprache zuge-hörig fühlen. Das Fersental heute Den Südtirolern ist das Tal relativ gut bekannt, weil sie sich mit den Menschen sprachlich leicht verstän-digen können und die Gemeinschaft nur wenige Kilometer vom Südtiroler Unterland entfernt liegt und somit öf-ters aufgesucht wird, als die anderen weiter entfernten Sprachinseln.

Auch die Fersentaler Familiennamen klingen doch tirolerisch, wenn sie da heißen Moar, Toller, Laner, Nischler, Pompermaier, Pruner, Jobstraibitzer,

Eccel, Moltrer, Groff, Hof-fer, Osele. Auffallend häufig kommt man im Fersental mit der Ortssprache in Kontakt, vor allem in Palù del Férsina im obersten Talende, sowie an der orografisch linken Tal-seite bei den Ortschaften Fi-erozzo, Frassilongo und Ro-veda. Wer nach Palù del Férsina kommt, stelle das Auto in der Nähe eines Gebäudes ab, an dem in großen Let-tern geschrieben steht Vrai-bellega Pompiarn va Palai/Freiwillige Feuerwehr von Palù del Férsina. Daneben steht das Fersenta-

ler Kulturinstitut, das im Jahr 1995 errichtet wurde, nachfolgend der Gründung der Fersentaler Institution

im Jahr 1987. Im Kulturinstitut wer-den auch Fersentalerische Literatur, Wanderkarten und Informations-Pu-blikationen angeboten. Ausgehend vom Ortszentrum Palù del Férsina in östlicher Richtung be-findet sich nahe dem Wanderweg 325 eine aufgelassene Bergwerkgru-be Gruab va Hardimbl, die im Som-mer als Schaubergwerk dient. Das Bergwerk/Gruab va Hardimbl, das seit 1500 in Betrieb war, wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts stillge-legt. Im Inneren sind noch sprechende Zeugnisse der Jahrhunderte langen Tätigkeit des Abbaus und verschiede-ner Techniken zu finden. Das Bergwerk ist so gut erhalten, dass es zu leben scheint. Jeder Besucher ist tief beeindruckt von der Stille, die hier herrscht. Der anfänglichen Ver-

Das Bersntoler Kulturinstitut in Palù del Férsina, errichtet im Jahr 1995

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wirrung beim Eindringen ins Erdin-nere folgt das Staunen beim Betrach-ten und Berühren der geheimnisvol-len Erzadern, die sich durch den Fel-sen ziehen. Gerätschaften, Erze und verschiedene Gegenstände führen in eine weit entfernte oder auch jünge-re Vergangenheit zurück. Original-stücke des Bergwerks, die auf wun-dersame Weise bis heute erhalten ge-blieben sind. Neben der Gruab va Hardimbl sind im Tal andere Museen und Sehens-würdigkeiten eingerichtet worden. Auf der orografisch linken Talseite kommt man talauswärts an der Orts-grenze zwischen Palù del Férsina und Fierozzo zum Filzerhof, dem Fersen-taler Heimatmuseum. Die Hofanlage ist vorbildlich restau-riert. In den Räumlichkeiten findet man so ziemlich alles was von der Le-bensweise der Menschen früher zu er-zählen weiß. Die Besucher erkennen Gegenstände und Arbeitsgeräte wie-der, wie sie vor Jahrzehnten auch bei ihnen noch in Verwendung waren. Der Filzerhof verdankt seinen Namen einem alten Eigentümer. Die alten Flurbücher belegen die Existenz die-ses Hofes schon seit dem 15. Jahrhun-dert, der erste urkundlich bekannte Eigentümer, von dem der Hof wahr-scheinlich seinen Namen ableitet, war ein gewisser Filzmoser. Dieser Filzmoser verließ um 1600 den Hof, den dann eine andere Familie bezog. Mitte des 18. Jahrhunderts heirate-te ein Laner – der ursprünglich aus Frassilongo stammte – eine Erbin des Hofs, verlegte seinen Wohnsitz hier-her und wurde Stammvater der La-ner, die Filzer genannt wurden. Die-ser Familie gelang es, das ursprüngli-che Gut des Hofs beisammen zu hal-ten und es sogar zu erweitern. We-gen des Fehlens männlicher Nach-kommen wurde das Eigentum durch Generationen hindurch als ungeteil-tes Erbe weitergegeben. Die Familie starb im Jahre 1967 aus. Im Jahr 1995 wurde das Anwesen vom Kulturinstitut erworben und zu dem Fersentaler Heimatmuseum ge-staltet. Die Mühle/Mil Das Getreidemahlen erforderte eigene Anlagen. Im Tal wa-ren deshalb zahlreiche Mühlen vor-handen, die mit einem oder drei Rä-

dern betrieben werden konnten. Mit Hilfe einer Reihe von Getriebevor-richtungen aus Holz wurde die Kraft von den Rädern auf die Mühlen oder auf den Gerstenstößel übertragen. Eine Mühle ist im Ortsgebiet von Ro-veda zu besichten. Die Säge/Sog van Rindel Eine restau-rierte venezianische Säge. Diese Säge befindet sich über dem Balkof-Bach und diente den Familien bis in die Siebzigerjahre des vergangenen Jahr-hunderts für ihre Sägearbeiten. Im Fersental wurde seit jeher Holz verarbeitet. Das ist auch an der ört-lichen Architektur zu sehen. Es gibt viele Häuser, die in der Blockbauwei-se gebaut wurden. Auch die zahlreichen Werkzeuge und Geräte aus Holz zeugen davon. Holz wurde auch zu Heizzwecken und als Brennstoff für die Schmelzöfen, so-wie im Jahrhunderte lang betriebe-nen Bergbau für die Stützpfähle in den Bergwerksstollen verwendet. Archäologische Stätte Acqua Fredda Der Name Acqua Fredda/Kaltes Was-ser stammt von einer Quelle in der Nähe des Redebus-Passes, nordwestlich vom Ortszen-trum von Palù del Férsina. Dort befindet sich eine der wichtigsten archäologischen Stätten des Alpenraumes, in der Schmelzöfen aus der spä-ten Bronzezeit, 13. bis 11. Jahrhundert vor Christus, freigelegt wurden. In diesen Öfen wurde bei sehr hohen Temperaturen, 1200 Grad Celsius, und in verschiedenen Vorgängen das Kupfer aus dem Erzge-stein gewonnen und von den Schlacken getrennt. Lebendige Sprachinsel Im Fersental wird der fersentaleri-schen Sprachpflege große Aufmerk-samkeit geschenkt: es wird die Spra-che in der Schule noch unterrichtet, es gibt eine Vielzahl von Publikationen, wie Bücher, Grammatiken und Fach-zeitschriften. Auch die neuen Technologien wer-den zu Hilfe genommen, man stößt im weltweiten Netz auf das Fersen-talerische. Auch im Fernsehen kann man wöchentliche Sendungen für Nachrichten und Information verfol-

gen; sie tragen den Titel Sim to en Bersntol/Sieben Tage im Fersental. Die Fersentaler sind jetzt wieder stolz, eine eigene Sprache zu haben und sich ihrer zu bedienen. Dieser Stolz äußert sich ganz deutlich im Aufruf an die Gemeinschaft hinein-gepackt in ein aussagekräftiges Lese-

zeichen. Da steht geschrieben: Do, s gasetz gipt der s rècht za prauchen de dai‘ sproch!/Hier, das Gesetz gibt dir das Recht zu gebrauchen diese deine Sprache! Bei diesem Gesetz handelt es sich um das staatliche Minderheitenschutzge-setz in der Italienische Verfassung, sowie um zwei Gesetze lokaler Be-deutung. Es ist ein wahrlich eindring-licher Aufruf, die eigene Sprache zu gebrauchen. Im Fersental findet man auffällig vie-le einnamige Hinweisschilder zu Hö-fen, Weilern und Flurnamen.

Sicherlich, die Au-tonome Provinz Trient, die Regi-on Trentino-Süd-tirol, aber auch ei-nige Südtiroler In-stitutionen haben mitgeholfen aufzu-bauen. Eine Reise ins Fersental Nehmen wir uns doch einmal Zeit und Muße, dieses Tal zu besuchen, mit den Menschen zu kloffn, nicht in hektischem Eiltem-

po des Massentouristen, sondern in aller Ruhe, und schauen uns dieses Tal an, das durch den Fluss Fersina durchflossen wird. Westlich des Flus-ses sind die beiden Ortschaften Mala und Sant‘Orsola, welche der italieni-schen Sprachgruppe angehören. Seine wilde und bezaubernde Umwelt erlebt man auf Wanderwegen durch Wiesen und Wälder, die vorbei an Ansiedlungen und Hütten zu den Al-men führen.

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Man kann schwierigere Wanderun-gen wählen, die einen Blick auf die hohen und stolzen Gipfel des Lago-rai gewähren. Das Fersental bewahrt immer noch unverändert seine folkloristischen und gastronomischen Traditionen. Kennzeichen der Kultur und der Bräuche dieser Bevölkerung, die ihre Identität behaupten konnte. Das Fersental, ein Tal, das die Erwar-tungen nicht enttäuschen wird, heu-te wie einst, als es der österreichische Schriftsteller Robert Musil Das ver-zauberte Tal nannte. Im Tal wird das Bersntolerische ge-sprochen, eine geschützte Minder-

heitssprache, die seit 700 Jahren kaum verändert ist und den Besuchern eine lebendige Sprachinsel zeigt.

Beim Abschiednehmen werden wir schließlich mit einem freundlichen ber sechen ens entlassen.

Das Dor f Frassilongo/Gereut liegt auf einer Höhe von 800 Metern; erstmals wird der Ort im Jahr 1330 ur-kundlich erwähnt; einst bildete der Silberbergbau eine Existenzgrundlage für die Einwohner; einer überlie-fer ten Literatur zufolge gäbe es ar-senhaltige Quellen, so die Quellen von Geigeregg, von Spitzdeckel, die Ober– und Untergoldbrunnen unter der Silberspitze, wo auch Bergwerke mit interessanten Tropfsteingrotten sind

Die in den Jahren von 1904 bis 1908 erbaute Kirche St. Ulrich; die an der Wende zum 16. Jahrhundert er-richtete St.-Ulrichs-Kirche ist außer Gebrauch; an der Kirche ist ein St.-Christophorus-Bild mit der Jahreszahl 1521 angebracht

Durch die Fersentaler Orte in Wort und Bild

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Die Mühle befindet sich an der Landesstraße 233 vor der Auffahr t zum Ortszentrum von Roveda. Im Fersental ist der Getreideanbau und das Mahlen schon früh dokumentier t; in einer Urkunde aus dem Jahr 1292 ist eine in Gereut betrie-bene Mühle belegt.

Der Ort Roveda/Eichlet, eine Fraktion von Frassilongo/Gereut; im Hintergrund die Stadt Pérgine Valsugana

Im Ortsteil Kamaovrunt die Kirche zur Madonna des Friedens, die im Jahr 1984 erbaut wurde

Im Ortszentrum von Roveda die Kirche zum heiligen Romedius, die im Jahr 1728 errichtet wurde

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Die neue Kirche zum heiligen Don Bosco in Außerflorutz wurde nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut; zwan-zig Jahre lang wurde am Bau gearbei-tet, treibende Kraft war der Pfarrer Jakob Hoffer, selbst ein Fersentaler. Am hölzernen Kirchenportal ist ein

fersentalerisches Gebet eingraviert, im Kircheninneren ist im Gedenken an Jakob Hoffer die Baugeschichte dieser Kirche angebracht, auch wie-der in Fersentalerisch. In dieser kurzen Baugeschichte wird der Pfarrer als Pfoff bezeichnet. Diese Bezeichnung gibt es nicht nur im Fer-sental, sondern ist sehr häufig auch bei anderen Sprachinseln anzutreffen. Das Wort Pfoff ist alles eher als ein Schimpf-wort, denn zum ei-nen stammt der Begriff aus dem Wortschatz der griechischen Kir-che, andererseits kann die Herkunft auch auf den lateinischen Begriff Pastor Fidelis Anima-rum Fidelium zurück geführt werden, was so viel bedeutet wie Hirte der Seelen der Gläubi-gen, somit Seelenhirte. Pfoff also ein durchaus edler Titel.

Der Ort Fierozzo/Florutz, bereits im Jahr 1242 wurden Rechte an Bewohner er teilt; besteht aus Außer florutz, auch St. Franz genannt, und Inner florutz, auch St. Felix genannt – das Gemeindegebiet unter teilt sich in drei Landstriche: Auserpèrg, Mitterpèrg, Inderpèrg

Die Kirche St. Franziskus von Paola, errichtet im Jahr 1696

Der Schrein des Flügelaltars aus einer Trientinischen Kunstwerkstätte, um 1515, der ursprünglich in der Kirche St. Lorenz gestanden hat; der Altar befindet sich jetzt im Diözesanmuseum von Trient – die Kirche St. Lorenz stand am Hügel von Florutz und wurde zur Zeit der Besiedlung erbaut und ist langsam zer fallen – es entstanden dann die Kirchen St. Franziskus von Paola und St. Felix

Die Kirche zum heiligen Felix, errichtet im Jahr 1895

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25SÜDTIROL IN WORT UND BILD 4/2014

Der Ort Palù del Férsina/Palai wurde anfangs des 13. Jahrhunderts besiedelt; das Gemeindegebiet unter teilt sich in zwei Landstriche, Auserpòch/außerhalb des Baches und Inderpòch/innerhalb des Baches

Die Archäologische Stätte Acqua Fredda ist eine der wichtigsten archäologi-schen Stätten des Alpenraumes, in der Schmelzöfen aus der späten Bronzezeit, 13. bis 11. Jahrhundert vor Christus, freigelegt wurden

LITERATUR Giacomo „Jakel“ Hofer – De inger sproch Bersntoler Kulturinstitut – S kloa‘ be.be Bersntoler Kulturinstitut – Bos koch ber Anthony Rowley – liacht as de sproch

(Grammatik) Bersntoler Kulturinstitut – Bersntoler

Kulturklender Internet – Bersntol Eduard Widmoser – Südtirol A- Z Autor und Redaktion danken Leo Tol-ler, Mitarbeiter im Bersntoler Kulturin-stitut, für die wertvolle Mitarbeit

Die Pfarrkirche St. Maria Magdalena wurde um 1500 erbaut

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Der österreichische Schrif tsteller Robert Musil war im Jahr 1915 drei Monate lang a l s Leutnant der österrei-chisch-ungarischen Armee im Fersental s tationier t. Während dieser Zeit hielt er in seinem Tagebuch inte-ressante Notizen fest, die ihn später dazu bewegten, die in Palai

im Fersental angesiedelte Novelle Grigia zu schreiben. In Palai im Fersental und in seiner näheren Umgebung wurde ein literarischer Parcours eingerichtet, der sich über Orte erstreckt, die er in der Novelle beschrieb oder an denen er sich per-sönlich aufhielt und por trai-tier t wurde. Der Parcours führt den Besucher sowohl durch die reellen Landschaften,

an denen Musil gegenwärtig war, als auch durch die metaphorischen, vom Schrif tsteller als Ausdruck eines inneren Zustandes des Menschen be-schriebenen Landschaften. Der li-terarische Parcours ist mit einer Sonderbeschilderung gekennzeich-net und mit einer eigens dafür vor-gesehenen Karte, beim Kulturinstitut verfügbar, frei begehbar. Außerdem steht ein Ausstellungsführer mit detail l ier ten Er läuterungen und Originalzitaten zur Ver fügung.

Nahe dem Wanderweg 325 die aufgelassenen Bergwerkgrube Gruab va Hardimbl, die im Sommer als Schaubergwerk dient

Nahe der Ortsgrenze zwischen Palù del Férsina und Fierozzo liegt der Filzerhof, das Fersentaler Heimatmuseum; in den Räumlichkeiten sind Geräte, Werkzeuge und Gegenstände, die Zeugen der Lebensweise der Menschen darstellen

Eine restaurier-te veneziani-sche Säge am Balkof-Bach, südlich vom Ortszentrum von Palai