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Seite 8 RotFuchs / Juli 2014 Über das Servieren immer derselben Lügenbouillon Die Devise heißt Gleichschaltung M assenmedien und Nachrichten- agenturen besitzen eine ungeheure Macht. Im Kapitalismus handelt es sich überwiegend um privatwirtschaftli- che, also gewinnorientierte Unterneh- men. Eine Konzentration in den Händen gigantischer Konzerne hat sich hierzulande längst voll- zogen. 2009 hielten Groß- verleger einen Marktanteil von 60 % der BRD-Tages- presse, bei Unterhaltungs- blättern waren es sogar 80 %. Zuvor prägten mit- telständische Regionalzei- tungen noch weitgehend den Angebotsfächer. Auf einsti- gem DDR-Gebiet wurden die 39 dort erscheinenden Tageszeitungen sofort von Großunternehmen wie der Verlagsgruppe Dirk Ippen übernommen. Gab es in der BRD bisher mehr als 100 Vollredaktionen, so sind davon nur noch 17 übrigge- blieben. Die Lokalzeitungen werden jetzt von Zentralre- daktionen aus gesteuert und mit Material beliefert. Da 95 % der Tagespresse ihre Nachrichten über internationale und überregionale Ereignisse von der Deutschen Presse- Agentur (dpa) beziehen, haben Zentralen und Agenturen als „Schleusenwärter“ der Meldungsangebote eine Schlüsselfunk- tion. Der jeden Tag servierte Einheitsbrei des Informations-„Mainstream“ – also der gerade vorherrschenden öffentlichen und politischen Meinungsbilder – schwappt dann sogar in die Kommentare und Dis- kurse unabhängiger Vollredaktionen über. Beispiele waren die vom TV-Magazin „Panorama“ ausgelöste Kampagne um die seinerzeitige niedersächsische Land- tagsabgeordnete mit DKP-Mitgliedsbuch Christel Wegner und das Schmierenthea- ter wegen der PDL-Geburtstagsgrüße an Fidel Castro. Die militaristisch-expansive, Kiews Faschisten begünstigende Bericht- erstattung über den von EU und NATO inszenierten Putsch in der Ukraine ist glei- chen Schlages. Schon beim „Zeitungskönig“ William Ran- dolph Hearst (1863–1951), in der BRD bei Axel Cäsar Springer oder Rudolf Augstein antichambrierten Politiker in der Hoff- nung auf Wohlwollen. Ex-Bundespräsident Wulff hat das ebensowenig geholfen wie anderen, die den politischen Absichten der Pressezaren in die Quere kamen. Seit 1991 hat ein schleichender Prozeß zum raschen Niedergang unabhängiger Regionalzeitungen wie zu deren Über- nahme und Einstellung geführt. Selbst die Konzernpresse konzentriert und zen- tralisiert sich, was weitgehend vom Leser unbemerkt geschieht. Als „Publizistische Einheiten“ (PE) gelten alle redaktionell nichtselbständigen Zeitungen mit inhalt- sidentischen Teilen. Ab 1954 ging deren Zahl von damals 225 auf nur noch 134 Titelgruppen im Jahr 2010 zurück. Zeitungen finanzieren sich jeweils zur Hälfte aus Anzeigen und Abonnements. Hinzu kommt der freie Verkauf in Läden und an Kiosken, die oft von Lieferdien- sten bestückt werden. Sowohl die Zahl der Abonnenten als auch die der Anzeigenkun- den ist bei den regulären Tageszeitungen stark zurückgegangen: Lag der Leseran- teil im Jahre 1990 noch bei 71 % der über 14jährigen, so ging er inzwischen auf 41 % zurück (2010). Von den 14- bis 29jährigen lesen unterdessen nur noch sechs Prozent eine Zeitung! Dafür haben sie Internet- Zugang im Übermaß, „twittern“, „googeln“ und „bloggen“ ihre eigenen Nachrichten per Schlagwortliste mit kompetenzein- schränkender Tunnelperspektive. Daß es nicht so sein muß, zeigen anderer- seits politisch-kritische Blogger-Foren. Diese liegen jedoch abseits des mit Wer- bung gespickten kommerziellen Inter- net-Marktes, der seine Kunden in die konsumhörige Verwirrung lenkt. Inter- net-Ausgaben der Lokalzeitungen ändern an einem solchen Benutzerprofil wenig. Im gedruckten Blatt lesen 73 % fast alle Seiten, 61–72 % verfolgen politische und andere lokale Ereignisse. In der Inter- net-Ausgabe sind das jedoch nur 11–15 %, während etwa 41 % die Terminangaben zu Veranstaltungen bevorzugen. Mit speziellen Aktivitäten wie Karaoke- Wettbewerben, Kinderseiten und knal- ligen Beilagen versuchen sich etablierte Lokalzeitungen Zugang zu jüngeren Lesern zu verschaffen. Das findet allerdings bei Eltern mehr Anklang als bei dem auf Mobiltelefone ausgerichteten Nachwuchs. Kostenlose kommerzielle „Werbeblätter“ im Gewand von Wochenzeitungen machen der Regionalpresse Konkurrenz. Die Großverleger der jeweiligen Gruppen reagieren auf die „Zeitungskrise“ zuerst mit Einsparungen beim Personal. Es muß nun in „crossmedialen“ Großraumbüros zusammengelegten Schicht- betrieb leisten. Da bleiben Freiheit, Kreativität und Ethos der Journalisten total auf der Strecke. Bei alldem geben die Ver- ursacher der chaotischen Reizüberflutung, die reak- tionäre Ideologien aller Art verbreiten, dem strukturel- len Wandel durch die „neuen Medien“ die Alleinschuld für solche Veränderungen nega- tiver Art. Allerdings boten fast sämtliche technologi- schen Neuerungen, die der Kapitalismus hervorbringt, eigentlich auch positive und fortschrittliche Nutzungs- möglichkeiten. Das haben die jungen Leute unserer Tage richtig erkannt. Sie wollen es auch nutzen und verteidigen, erkennen aber meist das entscheidende Hindernis dabei nicht: die Tatsache, daß sich der Struk- turwandel im Rahmen kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und reaktionärer Politik sowie im Konflikt mit dem System innewohnenden Zwängen zu Wachstum, Konkurrenz und Profitmaximierung voll- zieht. Zu Recht traf Marx die Feststellung: Das kapitalistische System gerät in Wider- spruch zu den Möglichkeiten der von ihm herbeigeführten rasanten Entwicklung der Produktivkräfte. Es ist außerstande, diese zum Fortschritt und Wohl der Menschen zu einzusetzen. Nur gut, daß es noch von Lesern und Spendern getragene unabhängige Blät- ter wie die „junge Welt“, die UZ und unse- ren „RotFuchs“ gibt, die wir unbedingt erhalten, medial ausbauen und auf eine breitere Basis stellen müssen. Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg Am 26. Juli vollendet unser langjäh- riger künstlerischer Mitarbeiter – der Grafiker Renatus Schulz aus Berlin – sein 85. Lebensjahr. Wir beglückwünschen diesen talentierten, treuen und bewährten Mitstreiter des RF auf das herzlichste und versichern ihn unserer freundschaftlichen Verbun- denheit. Grafik: Renatus Schulz

Die Devise heißt Gleichschaltung

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Über das Servieren immer derselben Lügenbouillon

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Page 1: Die Devise heißt Gleichschaltung

Seite 8 RotFuchs / Juli 2014

Über das Servieren immer derselben Lügenbouillon

Die Devise heißt Gleichschaltung

Massenmedien und Nachrichten-agenturen besitzen eine ungeheure

Macht. Im Kapitalismus handelt es sich überwiegend um privatwirtschaftli-che, also gewinnorientierte Unterneh-men. Eine Konzentration in den Händen gigantischer Konzerne hat sich hierzulande längst voll-zogen. 2009 hielten Groß-verleger einen Marktanteil von 60 % der BRD-Tages-presse, bei Unterhaltungs-blättern waren es sogar 80 %. Zuvor prägten mit-telständische Regionalzei-tungen noch weitgehend den Angebotsfächer. Auf einsti-gem DDR-Gebiet wurden die 39 dort erscheinenden Tageszeitungen sofort von Großunternehmen wie der Verlagsgruppe Dirk Ippen übernommen. Gab es in der BRD bisher mehr als 100 Vollredaktionen, so sind davon nur noch 17 übrigge-blieben. Die Lokalzeitungen werden jetzt von Zentralre-daktionen aus gesteuert und mit Material beliefert. Da 95 % der Tagespresse ihre Nachrichten über internationale und überregionale Ereignisse von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) beziehen, haben Zentralen und Agenturen als „Schleusenwärter“ der Meldungsangebote eine Schlüsselfunk-tion. Der jeden Tag servierte Einheitsbrei des Informations-„Mainstream“ – also der gerade vorherrschenden öffentlichen und politischen Meinungsbilder – schwappt dann sogar in die Kommentare und Dis-kurse unabhängiger Vollredaktionen über. Beispiele waren die vom TV-Magazin „Panorama“ ausgelöste Kampagne um die seinerzeitige niedersächsische Land-tagsabgeordnete mit DKP-Mitgliedsbuch Christel Wegner und das Schmierenthea-ter wegen der PDL-Geburtstagsgrüße an Fidel Castro. Die militaristisch-expansive, Kiews Faschisten begünstigende Bericht-erstattung über den von EU und NATO inszenierten Putsch in der Ukraine ist glei-chen Schlages. Schon beim „Zeitungskönig“ William Ran-dolph Hearst (1863–1951), in der BRD bei Axel Cäsar Springer oder Rudolf Augstein antichambrierten Politiker in der Hoff-nung auf Wohlwollen. Ex-Bundespräsident Wulff hat das ebensowenig geholfen wie anderen, die den politischen Absichten der Pressezaren in die Quere kamen. Seit 1991 hat ein schleichender Prozeß zum raschen Niedergang unabhängiger Regionalzeitungen wie zu deren Über-nahme und Einstellung geführt. Selbst die Konzernpresse konzentriert und zen-tralisiert sich, was weitgehend vom Leser unbemerkt geschieht. Als „Publizistische

Einheiten“ (PE) gelten alle redaktionell nichtselbständigen Zeitungen mit inhalt-sidentischen Teilen. Ab 1954 ging deren Zahl von damals 225 auf nur noch 134 Titelgruppen im Jahr 2010 zurück. Zeitungen finanzieren sich jeweils zur

Hälfte aus Anzeigen und Abonnements. Hinzu kommt der freie Verkauf in Läden und an Kiosken, die oft von Lieferdien-sten bestückt werden. Sowohl die Zahl der Abonnenten als auch die der Anzeigenkun-den ist bei den regulären Tageszeitungen stark zurückgegangen: Lag der Leseran-teil im Jahre 1990 noch bei 71 % der über 14jährigen, so ging er inzwischen auf 41 % zurück (2010). Von den 14- bis 29jährigen lesen unterdessen nur noch sechs Prozent eine Zeitung! Dafür haben sie Internet-Zugang im Übermaß, „twittern“, „googeln“ und „bloggen“ ihre eigenen Nachrichten per Schlagwortliste mit kompetenzein-schränkender Tunnelperspektive.Daß es nicht so sein muß, zeigen anderer-seits politisch-kritische Blogger-Foren. Diese liegen jedoch abseits des mit Wer-bung gespickten kommerziellen Inter-net-Marktes, der seine Kunden in die konsumhörige Verwirrung lenkt. Inter-net-Ausgaben der Lokalzeitungen ändern an einem solchen Benutzerprofil wenig. Im gedruckten Blatt lesen 73 % fast alle Seiten, 61–72 % verfolgen politische und andere lokale Ereignisse. In der Inter-net-Ausgabe sind das jedoch nur 11–15 %, während etwa 41 % die Terminangaben zu Veranstaltungen bevorzugen. Mit speziellen Aktivitäten wie Karaoke-Wettbewerben, Kinderseiten und knal-ligen Beilagen versuchen sich etablierte Lokalzeitungen Zugang zu jüngeren Lesern zu verschaffen. Das findet allerdings bei Eltern mehr Anklang als bei dem auf Mobiltelefone ausgerichteten Nachwuchs. Kostenlose kommerzielle „Werbeblätter“

im Gewand von Wochenzeitungen machen der Regionalpresse Konkurrenz. Die Großverleger der jeweiligen Gruppen reagieren auf die „Zeitungskrise“ zuerst mit Einsparungen beim Personal. Es muß nun in „crossmedialen“ Großraumbüros

zusammengelegten Schicht-betrieb leisten. Da bleiben Freiheit, Kreativität und Ethos der Journalisten total auf der Strecke.Bei alldem geben die Ver-ursacher der chaotischen Reizüberflutung, die reak-tionäre Ideologien aller Art verbreiten, dem strukturel-len Wandel durch die „neuen Medien“ die Alleinschuld für solche Veränderungen nega-tiver Art. Allerdings boten fast sämtliche technologi-schen Neuerungen, die der Kapitalismus hervorbringt, eigentlich auch positive und fortschrittliche Nutzungs-möglichkeiten. Das haben die jungen Leute unserer Tage richtig erkannt. Sie wollen es auch nutzen und verteidigen, erkennen aber

meist das entscheidende Hindernis dabei nicht: die Tatsache, daß sich der Struk-turwandel im Rahmen kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und reaktionärer Politik sowie im Konflikt mit dem System innewohnenden Zwängen zu Wachstum, Konkurrenz und Profitmaximierung voll-zieht. Zu Recht traf Marx die Feststellung: Das kapitalistische System gerät in Wider-spruch zu den Möglichkeiten der von ihm herbeigeführten rasanten Entwicklung der Produktivkräfte. Es ist außerstande, diese zum Fortschritt und Wohl der Menschen zu einzusetzen.Nur gut, daß es noch von Lesern und Spendern getragene unabhängige Blät-ter wie die „junge Welt“, die UZ und unse-ren „RotFuchs“ gibt, die wir unbedingt erhalten, medial ausbauen und auf eine breitere Basis stellen müssen.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

Am 26. Juli vollendet unser langjäh-riger künstlerischer Mitarbeiter – der Grafiker

Renatus Schulz aus Berlin – sein 85. Lebensjahr. Wir beglückwünschen diesen talentierten, treuen und bewährten Mitstreiter des RF auf das herzlichste und versichern ihn unserer freundschaftlichen Verbun-denheit.

Grafik: Renatus Schulz