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Die Einheit der Atomgewichte. Von KARL SEUBERT. I n einem unlangst in dieser Zeitschrift von F. W. KUSTER er- statteten Berichte iiber die Fortschritte der physikalischen Chemie im Jahre 1895 wird angefiihrt,l dafs ,,alle neueren Atomgewichts- bestimmungen des Wasserstoffes iibereinstimmend ergeben, dafs das Verhaltnis 0 : H zwischen 16 : 1.007 und 1 ti : 1.008 liegt (oder alten Stils H: 0 zwischen 1 : 15.87 und 1 : 15.88)." Es heifst dann weiter: ,,Diese nicht neue Erkenntnis wird aber schwerlich verhindern, dafs in Lehrbiichern und Publikationen der langst als falsch gebrand- inarkte Wert H : O= 1 : 15.96 ruhig weiter benutzt wird." Diese Befiirchtung des Herrn Kollegen KUSTERvermag ich nicht zu teilen. Ich selbst habe sofort, nachdem mir MORLEY'S grolse Arbeit in ihren Einzelheiten bekannt geworden war, die Unhaltbarkeit der Zahl 15.96 eingesehen und dieser herzeugung auch bei nachster Gelegenheit Ausdruck gegeben;= wie ich diirften aber auch die iibrigen Anhanger des ,,alten Stils" denken, denn was uns friiher zur Annahme des Wertes 0=15.96 fuhrte, ist heute nicht mehr stichhaltig; diese Zahl stellt nicht mehr das Ergebnis der zuver- lassigsten experimentellen Bestimmungen des Atomgewichtes des Sauerstoffs in Bezug auf das Wasserstoffatom als Einheit dar. Wohl liefs sich schon seit einiger Zeit dieses Ergebnis voraussehen, aber die Frage war noch zu sehr umstritten, um schon eine feste Ent- scheidung zu treffen, und eine gewisse Zuriickhaltung erschien urn so mehr geboten, als ab und zu wieder Bestimmungen zu Gunsten der alteren Werte 15.96 und 16 sprachen. Heute jedoch diirfen wir annehmen, dafs die yon MORLEY ermittelte Beziehung 0 : H = 1.5.879: 1 der W-ahrheit so nahe kommt, dafs sie auch in der Zu- 1 Diese Zeitschr. 12, 294. a Vergl. RICH. MEPER'S Jahrbuch der Chemie 6, 71. Z. morg. Chem. XIII. 16

Die Einheit der Atomgewichte

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Page 1: Die Einheit der Atomgewichte

Die Einheit der Atomgewichte. Von

KARL SEUBERT.

I n einem unlangst in dieser Zeitschrift von F. W. KUSTER er- statteten Berichte iiber die Fortschritte der physikalischen Chemie im Jahre 1895 wird angefiihrt,l dafs ,,alle neueren Atomgewichts- bestimmungen des Wasserstoffes iibereinstimmend ergeben, dafs das Verhaltnis 0 : H zwischen 16 : 1.007 und 1 ti : 1.008 liegt (oder alten Stils H: 0 zwischen 1 : 15.87 und 1 : 15.88)." Es heifst dann weiter: ,,Diese nicht neue Erkenntnis wird aber schwerlich verhindern, dafs in Lehrbiichern und Publikationen der langst als falsch gebrand- inarkte Wert H : O = 1 : 15.96 ruhig weiter benutzt wird." Diese Befiirchtung des Herrn Kollegen KUSTER vermag ich nicht zu teilen. Ich selbst habe sofort, nachdem mir MORLEY'S grolse Arbeit in ihren Einzelheiten bekannt geworden war, die Unhaltbarkeit der Zahl 15.96 eingesehen und dieser herzeugung auch bei nachster Gelegenheit Ausdruck gegeben;= wie ich diirften aber auch die iibrigen Anhanger des ,,alten Stils" denken, denn was uns friiher zur Annahme des Wertes 0=15.96 fuhrte, ist heute nicht mehr stichhaltig; diese Zahl stellt nicht mehr das Ergebnis der zuver- lassigsten experimentellen Bestimmungen des Atomgewichtes des Sauerstoffs in Bezug auf das Wasserstoffatom als Einheit dar. Wohl liefs sich schon seit einiger Zeit dieses Ergebnis voraussehen, aber die Frage war noch zu sehr umstritten, um schon eine feste Ent- scheidung zu treffen, und eine gewisse Zuriickhaltung erschien urn so mehr geboten, als ab und zu wieder Bestimmungen zu Gunsten der alteren Werte 15.96 und 16 sprachen. Heute jedoch diirfen wir annehmen, dafs die yon MORLEY ermittelte Beziehung 0 : H =

1.5.879: 1 der W-ahrheit so nahe kommt, dafs sie auch in der Zu-

1 Diese Zeitschr. 12, 294. a Vergl. RICH. MEPER'S Jahrbuch der Chemie 6 , 71.

Z. morg. Chem. XIII. 16

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kurift eine erhebliche Abanderung nicht mehr erleiden wird. Die Unsicherheit betragt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr als eine Einheit in der zweiten Dezimale oder etwa O.O6O/, des ganzen Wertes. Das Atomgewicht des Sauerstoffes gehort demnach heute zu den genauer bestimmten, und sein rnijglicher Behler macht sich erst bei den hijheren Atomgewichtswerten stirker geltend und da meist in Dezimalstellen, die ohnehin als zweifelhaft angesehen werden miissen.

Es ist ein naheliegender Ausweg, die Unannehmlichkeit , die eirie Uiisicherheit und ein Wechsel im Atomgewicht des Sauerstoffes mit sich bringt, dadurch zu umgehen, dafs man diese Grolse will- kiirlich festlegt und dadurch von dem Ausfall der stochiometrischen Bestimmungen unabhangig macht. Von diesein Notbehelf, deiin als ein solcher erscheint diese Mafsregel immerhin, sollte man aber init thunlichster Einschrankung Gebrauch machen. Ich wurde keinen Augenblick zogern, heute fur 0 = 16 zu stimmen, wenn die Ergeb- nisse der neueren Arbeiten uber das Atomgewicht des Sauerstoffes erhebliclie Abweichungen und Unsicherheiten aufwiesen, welche die Auswahl unter den einzelnen Werten unmoglich machten. Statt desseii leiten aber diese Untersuchnngen nahezu ausnahmslos auf einen, durch eine musterhaft und im grofsten Mafsstabe durchge- fuhrte Experimentaluntersuchung gewonnerien Wert hin und ver- leihen demselben einen Grad der Wahrscheinlichkeit, wie er unseien besser bestimmten Atomgewichten zukomnit. Sol1 daher fur das Atomgewicht des Sauerstoffes eine Zahl festgelegt werden , so hat nach meiner Auffassung in erster Linie diejenige Grijfse darauf Anspruch , die nach unserer heutigen Erfahrung unseren Atom- gewicht en zugleich eine rationelle Einheit , das Atomgewicht des Wasserstoffes, verleiht.

Ein Vorteil, den man zu Gunsten der Annahrrie O = 16 wohl ttuch ins Treffen gefuhrt hat , dals namlich tlann eine Anzahl von Atomgewichten sich geniigend genau durch ganze Zahlen wieder- geben lassen, wiegt doch wohl nicht schwer geriug, um den Aus- schlag zu ihren Gunsten zu geben. Die neuen Atomgewichte sind freilich, wie eine Vergleichung der Werte in der nachfolgenden Tabelle zeigt, hierin unbequemer, lassen aber dafiir andere Punkte

Im wesentlichen die im Vorjahre von LOTHAR MEYER und mir revidierte Atomgewichtstnbelle; zur Umrechnung auf H = 1 murde 0 = 15.879 beniitzt.

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206.91 10.94 79.96

133.0 40.01

140.3 35.46 52.14

142.5 56.02

166.4 19.10 70.1 72.5

197.2 114.0 193.0 126.86 112.0 39.12 59.6 12.00 63.60

7.03 24.36 54.94 96.03 23.05 1

138.3

deutlicher hervortreten. So zeigen sie, dals die PROUT'SChe Hypo- these in ihrer urspriinglichen Fassung sowohl, als in der von DUMAS gegebenen Erweiterung heute durch die Erfahrung widerlegt ist; die Atomgewichte der Elemente stellen, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, weder Multipla vom ktomgewicht des Wasserstoffes dar, noch solche von 0.5 oder 0.25; damit werden aber auch die an diese vermeintliche Gesetzmalsigkeit gekniipften Schlusse hinfallig.

205.35 10.85 79.35

132.0 39.71

139.2 35.19 51.74

141.4 55.60

165.1 18.96 69.6

71*9 I 195.7 113.1 191.5 125.90 111.1 38.83 59.1 11.91 63.12

6.97 24.18 54.52 95.31 22.88

137.3

Aluminium. . Antimon . . Arscii . . . Baryum. . . Beryllium . . Blei . . . : Bor . . . . Brom , . . CLsiurn . . . Calcium. . . Cer . . . . Chlor. . . . Chrom . . . l l idym . . . Eiseii . . . Erbium . . . Flaor . . ,

Gallium . . . Germanium . Gold . . . . Indium . . . Iridium . . . Jod . . . . Kadmium , . Kalium . . . Kobalt . . . Kohlenstoff . Kupfer . . . Lsnthan . . Lithium. . . Magnesium. . Mangnn. . . IWolybdLn . . Natrium. . .

27.11 119.9

75.1 137.43

9.05

A1 Sb As Ba Be P b B Br cs Ca Ce c 1 Cr Di Fe E F Ga G e A u In Ir J Cd K c o C c u La Li

Mn Mo Na

Mg

26.90 119.0

74.5 136.40

8.98

93.9 190.8 1 0 6 3 31.03

Nickel . . . Niobium . . Osmium. . . Palladium . . Phosphor . . Platin . . . Quecksilber . Rhodium . . Rubidium . . Ruthenium. . Sauerstokt' . . Scandium . . Schwefel . . Selen . . . Silber . . . Silicium. . . Stickstoff . . Strontium . . Tantal . . . Tellur . . . Thallium . . Thorium . . Titan. . . . Uran. . . . Vanadin. . . Wasserstoff . Wismut . . . Wolfram . . Ytterbium , . Yttrium . . . Zink . . . . Ziun . . . . Zirkonium . .

93.2 189.3 105.0 30.80

Ni N b 0 s P d P 1%

Rh Rh Ru 0 Se S Se Ag Si N Sr Ta T e

T h Ti U V H Bi W Yb Y Zn Sn Zr

Hg

Ti

1030 86.4

101.7 16.00 44.05 32.06 79.07

107.92 28.38 14.04 87.82

182.5 127.5 204.2 232.5

48.1 239.4

1.008 208.9 184.1 173.0

88.9 65.41

119.10 90.6

51.2

16"

102.2 84.8

100.9 1 5 8 8 43.75 31.82 78.47

107.11 28.16 13.94 86.96

181.1 126.6 202.7 230.7

47.8 237.6 50.8

1.00 207.3 182.7 171.7

88.3 64.91

118.20 89.9

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Wenn Herr KUSTER ferner' bemerkt, dals ,,die Wahl des Wasserstoffes als Einheit der Atomgewichte als unlogisch und prak- tisch nicht aufrecht zu erhalten geniigend oft gebrandmarktgL2 wor- den sei, so vermag ich seinen Standpunkt nicht zu teilen. Am naturlichsten und logischsten erscheint mir gerade die Beziehung der Atomgewichte auf das kleinste von allen, das des Wasserstoffes, als Einheit. 1st dies aus praktischen Griinden nicht angangig, so muls aus der Zahl der Atomgewichte eine andere Einheit gewahlt werden , analog wie dies beim spezifischen Gewicht geschehen ist. Die unbestreitbar unbequemen Zahlen , die bei einer Beziehung auf 0 = 1 sich ergeben, haben zu den1 Auskunftsmittel gefiihrt, das Atomgewicht des Sauerstoffes = 16.00 zu setzen und somit eine Ein- heit zu schaffen, die mit keinem bekannten Atomgewicht identisch jst, jedoch dem des Wasserstofl'es nahe kommt. An sich ist diese Wahl unlogisch und die Zahl 16 erhiilt erst Sinn und Bedeutung in Hinsicht auf den Wasserstoff. Sie stellt einen Notbehelf dar, dem doch wohl der Gedanke zu Grunde liegt. dafs die Beziehung auf den Wasserstoff als Einheit im Prinzip das richtigste ware. Diese Beziehung haben wir aber bei Annahme von 0 = 15.879 (wo- fur wohl kiirzer 15.88 gesetzt werden darf) praktisch gewonneii, denn aller Wahrscheinlichkeit nach werden spatere Untersuchungen so wenig mehr an dieser Zahl andern, dafs der Einfluls dieser Berich- tigung sich bei den meisten Atomgewichten erst in den ohnehin unsicheren Stellen gel€end machen diirfte. Es ist sehr fraglich, ob die fur die Berechnung auf O= 16.00 geltend gemachten Vorzuge den Vorteil einer wirklich rationellen, logischen Einheit aufzuwiegen vermogen.

Der Wunsch nach einer allgemein angenommenen einheitlichen Norm fur unsere Atorngewichte wird wohl vielseitig empfunden und die jetzige Zeit ist geeignet, diese Frage wieder in Flufs zu bringen; sic schein t niir einer ruhigen und sachlichen Erorterung zuganglich und wert zu sein, und eine solche anzuregen ist der Zweck dieser Zeilcn.

A. a. 0. Der in der genaiinten Abhandlung liier zum zweiten Male gebrauchte

Ausdruck ,,gebraridniarkt" crscliririt niir in Bczug auf unsercn Gegeriatand

Uei der Hcdaktiori eingegarigeu arn 19. September 1896.

uiclit glucklicli gewiihlt. K. 8.