Der Einzelne und die Einheit der Menschheit

Embed Size (px)

Citation preview

  • 8/2/2019 Der Einzelne und die Einheit der Menschheit

    1/7

  • 8/2/2019 Der Einzelne und die Einheit der Menschheit

    2/7

    Der E inzelne und die E inheit der MenschheitEin Hinweis auf den Zionisten und Anthroposophen Ernst Muller

    100 Jahre nach dem ersten ZionistischenKongref3 in Basel, 49 Jahre nach der Griin-dung des Staates Israel und 30 Jahre nachdem 6-Tege-Krieg, in welchem Israel zuseiner Existenzsicherung die Cebiete be-setzie, auf die sich heute die Auseinander-setzungen mit den Peliistinensern bezie-hen, gerat Rudolf Steiner, und mit ihm dieAnthroposophie, nicht nur in den Verdachtdes Rassismus, sondern dezidiert auch ei-nes christlichen Antisemitismus. (DieserVorwurf wird bekermtermelsen von JuttaDitfurth erhoben, die Esoterik und Antise-mitismus fur "untrennbar miteinander ver-bunden" halt. Was macht da nur die judi-sche Esoterik?)Aus gegebenem Anlaf3 wirddeshalb im folgenden nochmals, wie be-reits in NOVALIS 2/3, 7994, tiber den be-wuf3ten iuden, Zionisten und Anthroposo-phen ErnstMuller berichtet, dessen spiritu-eller Lehrer der christliche Eingeweihte Ru-doff Steiner war. Einerseits wirddie Absur-ditat des Antisemitismus-Vorwurfs gegenSteiner deutlich, andererseits wollen wirauf die Fragedes leider nicht nur mancher-orts problematisierten, sondern tstsechlicliproblema tischen Verhaltnisses von Juden-tum und bisherigen Erscheinungsformendes Christentums hinweisen, die in dernschsten Novsus-Ausgebe eustitbrlicherbehandelt werden 5 0 1 1 .Die Bedeutung des ChristusIn dem sehr komplexen und differenziertenGeschehen der Weltentstehung und -ent-wicklung, wie auch demjenigen, das denMenschen und die Menschheit betrifft , bil-den der Christus und das Mysteri um vonGoigatha den alles andere an Bedeutungunendlich weit uberragenden Mittelpunkt.Yom Christus gehen die Krafte und Impulseaus, die aile Menschen in Freiheit zur voll-standigen Realisierung ihrer ewigen Indivi-dualitat bringen wollen. Die Anthroposo-phie beschreibt eine Anthropologie derpermanenten Entwicklung der BewuGt-seins- und Handlungsmbglichkeiten, oder,in anderen Worten: eine Anthropologie derimmer grofser werdenden Freiheit, aberauch der wachsenden Verantwortung desMenschen fur sein eigenes Schicksal, dasseiner Mitmenschen und letztl ich das derErde und der ganzen Welt. In dieser Artkosmologischen Anthropologie (als Ziel:der freie Mensch als Mitarbeiter am gbttli-chen \Neltschbpfungswerk) kennt die Men-schenwesenheit zv ei Zustande: den derviederholten lnkarnation im Erdenleib undC2iI l der rein ueistigen Existenz Z\ ischenlad end IlEI.Iei" Geburt. Das einmahue Er-

    VON HANS -JU RGEN BRACKER

    Der Sefirothbarim der Kabbala(Zeichnung von Uriel Birnbaum)Fontispiz von Muliers Soharbuch

    eignis des Einzugs Christi in einen mensch-lichen Leib bewirkt einen Umschlag inner-halb der gesamten Menschheitsentwick-lung, mit dem Mysterium von Golgatha be-ginnt recht eigentlich erst die Mbglichkeitzur freien Ausbildung des autonomen Ichin jedem Menschen.'Die Einbindung des Individuums in eineGruppe (Familie, Sippe, Volk, Religion) ist,vor dem Gedanken der Wiederverkbrpe-rung gesehen, immer nur eine voruberge-hende. In jeder Inkarnation kann derMensch eine Erweiterung des Gesamt-menschheitlichen in sich erlangen; einebestimmte Farbe des Spektrums derMenschheit wird erworben durch die In-karnation in einer bestimmten nationalenGruppierung. Nun unterliegt aber das Na-tionsprinzip in anthroposophischer Be-trachtung einer Entwicklung, die insbeson-dere seit dem Ende des 19.Jh. Nationalitatals etwas Retardierendes, allrnahlich zuOberwindendes erscheinen laGt, da in ihrUnzeitgernelses wirkt. (Man denke hieretwa an den bekannten Ausspruch Grill-parzers: "Von der Hurnanitat uber die Na-tionalitat zur Bestiailtar") Zur Oberwin-dung des Nationalismus aufserte sich Ru-

    dolf Steiner, der Begrunder der Anthropo-sophie, ausfuhrlich. vor allem seit dem Be-ginn des ErstenWeltkrieges 1914.2Rudolf Steiner iiber Zionisrnus und Anti-semitismusWie zu anderen wichtigen Themen auch,z. B. hinsichtl ich des Christentums, zeigensich die Auffassungen Rudolf Steiners uberdas ludentum, uber Antisemitismus undZionismus nicht gleich in ihrem vol lenUmfang. Sie entfalten sich nach und nachin seinen Antworten auf bestimmte Zeitfra-gen und auf Begegnungen mit bestimmtenMenschen.1897, wenige Jahre bevor er begann, dieErgebnisse seiner geisteswissenschaft l i-chen Forschungen im Rahmen der Theoso-phischen Gesellschaft mitzuteilen, schriebRudolf Steiner einen Aufsatz uber den er-sten Zionistischen Kongrels in Basel, indem er die zionistische Bewegung ablehnt,sie gar als .Feind des Iudenturns" bezeich-net.' Darin ist zu lesen: )ch halte die Anti-semiten fUr ungefahrliche l.eute." aberauch: .Vor zehn Jahren konnte man mit ei-nem gewissen Recht einen Iuden fUr wahn-sinnig halten, der auf die Idee verfallenware, seine Volksgenossen nach Palastinazu versetzen. Heute darf man ihn nur furuberempfindlich und eitel halten; in weite-ren zehn Iahren kbnnen die Dinge nochganz anders liegen." Zehn Jahre spater wartatsachlich manches geschehen - mandenke nur an das Pogrom von Kishinow1903 = , was zu einem anderen Urteil uberden Zionismus, auch bei Steiner, hatfuhren kbnnen. Einen Hinweis auf eineWandlung in Steiners Einschatzung desZionismus gibt folgende Stelle eines Brie-fes, den der Zionist und AnthroposophErnst Mul ler (1880-1954) 1922 an Steinerrichtete: .Aufgrund der Andeutungen, dieSie mir personlich mehrfach uber diesenGegenstand gemacht haben, scheint esmirklar, daG die dort [in Steiners Artikel von1897,d. Verf.] niedergelegten Anschauun-gen iiber die Persbnlichkeit Theodor Herzlssowie uber die zionist ische Bewegung, wiesie aus der Zeitsituation, der Berichterstat-tung etc. von 1897 so begreifl ich erschei-nen, zum groG-enTeile nicht heute die Ihri-gen sind." - Bemerkenswert ist in diesemZusammenhang, daG.Steiner nach der [ahr-hundertwende eine Reihe von Aufsatzenpubliziert, in denen er den Antisemitismusscharf angreift ; die meisten davon erschei-nen 1901 im Berliner MITTEILUNCsBLATT AUSOEM VEREIN ZUR ABWEHR DES ANTISEMITISM US,welches sein Freund Ludwig Jacobowski

    5/199 I OVALIS

  • 8/2/2019 Der Einzelne und die Einheit der Menschheit

    3/7

    bis zu seinem Tod im Dezember 1900 be-treut hatte. Es hei Gt dort beispielsweise -man beachte den Unterschied zu 1897 - :.Der Antisemitismus ist nicht nur fUr die lu-den eine Gefahr, er ist es auch fur dieNichtjuden. Er geht aus einer Gesinnunghervor, der es mit dem gesunden, geradenUrteil nicht ernst ist. Er befordert solcheGesinnung. Und wer philosophisch denkt,sollte dem nicht ruhig zusehen.:" Unbe-kannt ist, ob Rudolf Steiner dem Verei nauch beigetreten war.Ein Vierteljahrhundert spater. im luni

    1922, wenige Tage nachdem er im Mun-chener Hotel "Vier Jahreszeiten" nur umHaaresbreite einem volkisch-extrernisti-schen Anschlag entronnen war, ' fUhrte Ru-dolf Steiner wahrend des grolsen anthropo-sophischen "West-Ost-Kongresses" rr nWiener Grolsen Musikvereinssaal emdurch die Vermittlung Ernst Muliers zu-standegekommenes Gesprach mit Her-mann Kadisch, einem der fruhen WienerZionisten und Weggefahrten TheodorHerzls. Mit der Begrundung, daG er alsNichtjude ja von der Beteiligung an einerjudischen Nationalstaatsgrundung in Pala-stina ausgeschlossen ware, leh nte Steinerein solches Projekt aboBerei ts 1917 hatte er in zwei Memoran-

    den seine Erkenntnisse zur Nationalitaten-und Nationalstaatsfrage (insbesondere imHinblick auf die k.u. k.-Monarchie) nieder-gelegt.' Fur uns Heutige sah er in geradezuerschutternder Deutlichkeit die Konse-quenzen einer Verwirkl ichung des vorn da-

    maligen US-Prasidenten Woodrow Wilsonin seinen ,,14 Punkten" propagierten"Selbstbestimmungsrechts der Volker" vor-aus. - Die Idee des nationalen Einheits-staats hat sich am Ende des 20.Jh. inzwi-schen zur Genuge als Quel l unzahligerKriege und unendhchen leids onenbart,

    doch gibt es immer noch und schon wiederauf der ganzen Welt Politiker, die mit Wil-sons unseliger Parole von 1917 ganze Vol-ker seelisch vergiften und gegen ihre Nach-barn und Mitmenschen anderer Nationa-litat aufhetzen. Der theokratisch-nationaleEinheitsstaat verscharf t noch extrem dieseProblematik. Die Trennung von Staat undReligion, die sich seit der Aufklarung in denwestlichen Zivilisationen allmahlichdurchgesetzt hat, bildet eine unabdingbareVoraussetzung fUr die Emanzipation desEinzelnen. Religion oder Weltanschauungsind die Privatangelegenheit des mundigenBurgers. Der Staat hat sich nicht darin ein-zumischen, sondern sich auf seine urei-gensten Aufgaben zu beschranken, Das5 0 1 1 auch in einem Staat auf dem Boden desHeiligen Landes gelten. Fur das Gebiet desGeisteslebens, und hierzu zahlen auch Re-ligion und Nationalitat , ist das Prinzip derFreiheit konstitutiv.Steiners Alternative, deren Ausgangs-punkt die ethnisch wie religios gemischten

    Siedlungsverhaltnisse Mittel- und Sudos t -europas waren, sein Entwurf einer Oreiglie-derung des sozialen Organismus, blieb da-mals unverstanden, wurde ignoriert oderwutend von rechts wie von links bekampft .Hitler hochstpersonlich bezog in einemAufsatz im VOLKISCHEN BEOBACHTER vorn15.3. 1921 uber den dama ligen deutschenAuGenminister Simons, der ein einzigesMal mit Steiner zusammengetroffen warund sich positiv uber die DreigliederunggeauGert hatte, Steiner und "die Dreiglie-derung und wie diese ganzen ju~chenMethodenzur Zerstorung der normalenGeistesverfassung der Volker heiGenl!7 inseine wusten antisemitischen Tiradengegen Simons, Steiners "intimen Freund",mit ein. Die treibende Kraft hinter aller da-maligen scheinbar antideutschen Politiksei "der Jude! Der Freund des Doktor Ru-dolf Steiner, des Freundes Simons". Steineraulserte sich - besonders nach dem bereitserwahnten Zwischenfall in Munchen, demein weiterer in Elberfeld gefolgt war - un-mifsverstandlich und eindeutig uber denCharakter dieser Gegnerschaft und wiesam 23. Mai 1922 in Stuttgart auf die Bedro-hung der anthroposophischen Arbeit durchden volkischen Extremismus hin." Es gibtSpekulationen, daG das nach Rudolf Stei-ners Planen unter Mitwirkung von Anthro-posophen aus verschiedensten Landern inHolz gebaute "Goetheanum" in Dornachbei Basel, das in der Silvesternacht1922/23 niederbrannte, einem rechtsextre-mistischem Anschlag zum Opfer gefallensei. Die Wiederentdeckung und vorbehalt-lose Prufung der immer noch fruchtbarenund zukunftstrachtigen Anregungen Stei-ners steht bis heute aus. Ihre Aktualitat istbrennend, wie nicht nur die Palastinafrage,sondern auch die Beispiele Kurdistan,Nord-Irland, Ex-jugoslav ien, Ruanda,Zaire, Osmmor oder ri Lan a zeigen.

    Jud entum un d esoterisches Christentum,Wien un d PalastinaErnst Muller war seit seiner Jugend Zionist;nach Militarzeit und Studium in Wien ginger 1907 alseiner der allerersten Westjudenals Lehrer nach Palastina, an das soebengegrundete "Hebraische Gymnasium" inJaffa. Die nachsten zwei Jahre sind alswichtiger Entscheidungspunkt in Muliers. Biographie anzusehen: Schon 1899, umdie Zeit seines ersten Mondknotens, war erzu einer gewissen Christus-rcee gekom-men; seine Erlebnisse als 27-, 28jahriger imHeiligen Land darf man vielleicht als Chri-stus-Impulsierung auffassen. Nach seiner

    Ernst Muller[3. Reine. 2. V . J ., mit Schirmmiitzel7909 in Pelesiine {mit Schiilern undLehrern der leridwutschettlichen

    Schule "Kirjath Seier")Ruckkehr 1909 kommt er durch sei nenBruder Edmund zur Anthroposophie (da-mals noch Theosophie). Ein freundlichesSchicksal errnoglicht ihm daraufhin einelangere Zeit grundlicher Vertiefung in dieAnthroposophie, bald kommt es auch zurpersonlichen Begegnung mit Rudolf Stei-ner. Wohl spricht er im nachhinein fUrdiese Zeit von einer Wandlung, doch hin-dern die Auseinandersetzung und die Ver-bindung mit der Anthroposophie nicht seinwei teres zion istisches Engagement, eruberni mmt 1910 die Redaktion von AdolfBohms PALASTlNA-Zeitschrift und verkehrtwie vordem mit seinen zionistischenFreunden. In der Folge von Steiners Wink,eine Bibliotheksanstellung lieGe ihm genu-gend Freiraum f u r seine eigenen Forschun-gen, tritt er 1911 in die Bibliothek der Wie-ner Israel itischen Kultusgemeinde (IKG)ein. Zur Prager zionistischen Studentenver-einigung "Bar Kochba" unterhalt er schonseit lahren Kontakte, vor aliem durch HugoBergmann (1883-1975), den er zu seinerUberraschung bei einem Steiner-Vortrag inPrag vviedertrifft. E ommt zur itwirkungan dem beruhm te . 19113 vorn Bar Kochbaherausgegebenen BUich Vom judentum. indem seine ersten (bersetzUIl0efl aus de

  • 8/2/2019 Der Einzelne und die Einheit der Menschheit

    4/7

    Sohar erscheinen. Aus dieser Zeit sinddurch Muliers Freund Robert Lissaueinigegesprachsweise geaulserten Aussagen Ru-dolf Steiners uber das Judentum uberl iefert;eine handelt von einer (damals) starken.Einstrahlung von lehova-Kraften imOsten"? und davon, da~ die luden .wiedereinmal eine Mission in bezug auf den Chri-stus" bekommen werden; eine anderespricht von der Aufgabe des Judentums,das Christentum zu spir itualisieren. Diese, letztere Aur

  • 8/2/2019 Der Einzelne und die Einheit der Menschheit

    5/7

    anthroposoph ischen Arbeitsgruppen betei-ligten sich rnanche junge Menschen, dieaus der zionistischen Jugendbewegung ka-men; einige fanden durch diese Arbeit denWegzur Anthroposophie. (Teilnehmer wa-ren u.a. Maria und Hella Spira, OttoFrankl, Norbert Glas und dessen spatereFrau Maria Deutsch sowie die Komponi-sten Egon Lustgarten und Hugo Kauder.)Ais Themenschwerpunkt schalte sichmehr und mehr der Fragenkreis Christen-turn/ ludentum heraus, 1927 entstandschl i e~1ich die .Freirel igiose Gemei n-schaft". deren Zusamrnenkunfte samstaga-bends im Cafe Phonixhof stattfanden.Durch diese Abende fanden ebenfalls eineAnzahl judischer Teilnehmer Zugang zurAnthroposophie, ohne daIS diese hier imVordergrund stand. (Stellvertretend sei hiernur Erwin P is kat i' e rwahnt , der sich spaterin den USA Phil lips nannte.) Die Zahl allerTeilnehmer an diesen Treffen durfte bei un-gefahr 60 gelegen haben.Muliers Aktivitaten im Rahmen derWeihnachten 1923/24 in Dornach neuge-grundeten "AIIgemeinen Anthroposophi-schen Gesellschaft" nahmen an Umfangwieder zu, nachdem die MilShell igkeitenvom Beginnder 20er Jahre durch die en-gere Bekanntschaft mit einigen malsgebli-chen Wiener Anthroposophen bedeu-tungslos geworden waren. Neben seinenVortragen und Kursen sind die Veroffentli-chungen in verschiedenen anthroposophi-schen Zeitschriften zu nennen, darunterauch eine Verteidigung Martin Bubers inder ANTHROPOSOPHIE im April 1925, unmit-telbar nach dem Tode Steiners. Seit 1924,dem lahr der Begrundung der ,,heienHochschu Ie fur Geisteswissenschaft" alsder esoterischen Abtei lung der AIIgemei-nen Anthroposophischen Gesellschaft, ister Mitglied von deren I.Klasse und nimmtan den von Graf Ludwig Polzer-Hoditz ge-haltenen "Klassenstunden" teil. In der Ma-thematisch-Astronomischen Sektion derHochschu Ie arbeitet er mit durch die Pu-bli kation sei ner mathematischen For-schungen im Selbstverlag sowie als Vor-tragsredner und Teilnehmer an deren Ar-beitstreffen und jahrlichen Dornacher Ta-gungen. Die Beziehungen zur Sektionslei-terin EIisabeth Vreede und dem be-deutendsten anth roposoph ischen Mathe-rnatiker George Kaufmann (Adams) sindherzlich, beider Hilfe wird spater entschei-dend bei seiner Emigration sein. - Zur glei-chen Zeit arbeitet er an seiner Sohar-Uber-setzung und weiteren judischen Studien,vor allem uber die Hebraische Spracheund die Psalmen, sowie an ca. 100 Artikelnf u r das 1927-1930 in f u n f Banden er-schienene liidische Lexikon, die vorwie-gend Personen Lind Begriffe aus Kabbalaund Chassidismus behandeln.Mitteleuropaische SchicksaleViele tenschen, die de-n Judentum ent-

    stamrnten. spielten in der Geschichte deranthroposophischen Bewegung eine be-deutende Rolle; in hervorragender Weiseschon seit 1903/04 die Stuttgartet AdolfArenson und Carl Unger, nach 1918 vor al-lem auch viele Wiener, z: B. Karl Konig, derBegrunder der heilpadagogischen Cam-phill-Institute, und seine Mitarbeiter; Wai-ter Johannes Stein, der besonders als Histo-riker bekannt wurde, Maria Roschl-Lehrs,die Leiterin der Jugendsektion innerhalbder AIIgemeinen Anthroposophischen Ge-sellschaft und Alexander Strakosch. - So-fern sie sichnicht in der Schweiz in Si-cherheit befanden, waren die judischenAnthroposophen Mitteleuropas nach derMachWbernahme der Nationalsozialistenplotzlich zwangslaufig mit ihrem Judentumkonfrontiert. Viele gingen wie Muller nachEngland, was dort einen enormen Auf-schwung der anthroposophischen Aktivita-ten zur Foige hatte; ahnlich war es in denUSA. Nur wenige emigrierten nach Pala-stina. Uber sie und die vielen Anthroposo-phen, denen die Emigration nicht gelang,ist hierzulande noch aulserst wenig be-kannt;" zwei Oberlebende de r Konzentra-tionslager _Theresienstadt und Auschwitzhaben in der Zeitschrift DIE CHRISTENCE-MEINSCHAFT von ihrer Lagerzeit berichtet."Das Schicksal des in Auschwitz ermorde-ten Komponisten und AnthroposophenViktor Ullmann, das erst in jungster Zeitdurch die Wiederentdeckung seiner Werkeeiniges Interesse fand, haben eine unbe-kannte Zahl von judischen Anthroposo-phen geteilt, unter Ihnen das Maler-Ehe-paar Richard und Hilde Pollak sowie ErnstMuliers Bruder Edmund, dessen Spurensich im Ghetto von Minsk verlieren, wohiner im November 1941 von Wien aus cle-portiert wurde.

    Ander e Z io n is te nDie wenigen Zionisten, deren Beruhrung 'mit der Anthroposophie und Anthroposo-phen bekannt gewordenist, wie etwaRobert Weltsch (spater langjahriger Chefre-dakteur der zionistischen )OOfSCHEN RUNo-SCHAU in Berl in), der in seiner Wiener Zeit1919 bei den Eltern von Maria Deutsch,der anthroposophischen Arztin und spate-ren Frau von Norbert Clas, wohnte undauch mit Muliers Freundin Maria Spira be-kannt war, oder Gershom Scholem, der inseiner Munchener Studienzeit Steiner-Vor-trage harte (und diesen spater den gro~tenScharlatan des lahrhunderts nennen sollte),fanden zumeist keinen Anknupfungspunktund veri oren bald das Interesse (wiewohlScholem - wohl durch die Freund- undNachbarschaft 'mit Hugo Bergmann - dieAnthroposophie nicht aus den Augen ver-lor und sich 1967 gegenuber einem Jerusa-lem-Besucher aus Dornach orientiert uberclie damaligen verhaltnisse in der AlIge-meinenAnthroposophischen Gesellschaft

    Hugo Bergmann (7883-1975)Schuler Rudolf Steiners, FreundFranz Kafkas, Martin Bubers undErnst Muliers, Ferderer derAnthroposophie in Israel

    zeigte). Hugo Bergmann und Viktor Kell-ner, clie wie Robert Weltsch dem PragerBar Kochba entstammten, setzten sichernsthaft mit der Anthroposophie ausein-ancler, Bergmann bis an sein Lebensende;er wurde zum wichtigsten Forderer der an-throposophischen Arbeit in Israel, behan-delte Steiner in Vorlesungen an der He-brew University, deren erster Direktor er1935 wurde, unci schrieb EinfUhrungen furenglische und Ivrith-Ubersetzungen vonSteiner-Buchern." Martin Buber schliels-lich, cler um zwei Jahre altere Freund unciLehrer Muliers - ihre Korrespondenz er-streckt sich uber ein halbes Iahrhundert,wahrend sie sicrr)nur wenige Male begeg-neten, zuletzt Anfang der 50er Jahre in Lon-don =, Buber mochte zu Lebzeiten von .Er-kenntnissen der hoheren Welten" nichtswissen, wie er einmal Bergmann sagte; imnachsten Leben habe er aber Zeit genug,diese Dinge zu erfahren. Steiners Dreiglie-derungsicleen hingegen schatzte er. Hiersei bemerkt, ciaI',sich Muller 1921/22 - al-lerclings vergeblich - fur eine lvrith-Uber-tragung von Steiners grundlegenclerDreigl iederungsschrift Die Kernpunkte dersozialen Frage ... einsetzte, da er in Pala-stina eine Realisierungsmoglichkeit clieserIdeen sah. Bergmann ist vermutl ich dereinzige gewesen, der in jenen Iahren durchdas gesprochene und das geschriebeneWort clie Dreigliederung in Palastina be-kanntzumachen versuchte. Steiner be-statigte Muller, cia!) Palastina geeignet furdie Dreiglieclerung sei, es durfe nur ebenkein judischer Iationalstaat gegrundetwerden. Darin, da& die arabische Bev6lke-lUng gleichberechtigJ in ein Gerneinwesenin Palastina einzubeziehen sei, stimrntenvor allern die mmeleuropaischen. insbe-

  • 8/2/2019 Der Einzelne und die Einheit der Menschheit

    6/7

    sondere aber die Prager Zionisten mit Stei-ners Ansicht uberein. -1911 hatte Steiner davon gesprochen,

    da~ "die wertvollsten judischen Menschenin der zionistischen Bewegung zu finden"seien, wie Muller in dem Manuskript Cei-stige Spuren in Lebenserinnerungen be-richtet. Ein Bruckenschlag zwischen bei-den Bewegungen durfte aufser in der Per-son Ernst Muliers (und auf andere Weiseauch in Hugo Bergmann) kaum zustande-gekommen sein. Steiner und Buber zusam-menzubringen, vermochte und versuchteMuller wohl nicht. -In der Nachfolge Mul-Iers arbeiten heute in Israel verschiedeneanthroposophische Einrichtungen: einigeheilpadagogische Gemeinschaften, Wal-dorfkindergarten und Waldorfschulen so-wie ein anthroposophischer Kibbuz in Ga-lilaa mit Schule, Erwachsenenbildung undbiologisch-dynamischer l.andwirtschaft."Die Zukunft des Judentums und dieEinheit der MenschheitMuliers Vorstel lungen uber die Entwick-lung des Judentums nach dem Ende des2. Weltkriegs gingen in die Richtung, "da~wir aus einem neuen Geiste, der sich wohlder nationalen Krafte bedient, sie abernicht zum Selbstzweck macht, einem imnichtkonfessionellen Sinne ,christl ichen'Geiste, das Leben des Judentums erneuernmussen, nicht von heute auf morgen, aberdoch schon von heute ab fur die morgigenZeiten." So schrieb er am 20.X.39 seinemFreund aus Jugendtagen Norbert Weidlernach Zurich; und am 20.X11.44 an HugoBergmann - nach der Erwahnung einerkleinen judenchristlichen Gruppe um Ab-ram Poljak: )ri der einen oder anderenForm wird das Judentum in einer unoffizi-ellen, aber geistigen Weise eine solcheWendung nehmen miissen. Von den judi-

    Voranzeige:

    Unsere nachste AusgabeNOVALIS 6/97

    befalst sich mit der GestaltJohannes des Taufers undFragen des Vcrhaltnisseszwischen Judentum und

    Chrristentum

    10

    schen Anthroposophen wurde ich nur ver-langen, da~ sie sich mehr in diesen Wegvom Judentum hineinstellen."Der bereits erwahnte Karl Konig hielt am

    Ende seines Lebens (1965/66) eine Reihevon Vortragen uber 035 Scbickse! und dieCeschichte des judischen Volkes, worin er,

    Ernst MullerMitte der 30er Jahre

    Martin Buber zitierend, einen Hauptwe-senszug des Judentums "das Streben des lu-den nach Einheit" nennt. Nach Buber sei esdieses, "was das Judentum zu einem Pha-nomen der Menschheit, die Judenfrage zueiner menschheitlichen Frage rnacht.""Das folgende langere Zitat stammt aus demca. 1945 geschriebenen, unveroftentlich-ten Aufsatz Die Antwort der juden, in wel-chem Muller diese Problematik beruhrt,die auch den Ausgangspunkt dieser 8e-trachtung bi ldete - die Frage nach der Ein-heit der Menschheit."He,ute wie vordem ist das Judentum

    durch die Betonung des Einheitsgedan-kens reprasentiert. Er ist den arischenVol-kern von Hause aus fremd und wird vonihnen allerdings in philosophischen Ge-danken erfalst, wahrend er fur das Juden-tum in gewissem Sinne Lebenssubstanzist. Dieser Einheitsgedanke hat dreierleiAspekte: als Einheit des Herzens, als Ein-heit der Menschheit und Einheit der Gott-lichkeit.Gewif haben auch judische Denker

    Anteil an der Zersetzung jener Einheit,die so wunderbar in dem Gebet des Psal-misten ausgesprochen ist: ,Mache zurEinheit mein Herz, Deinen Namen zu lie-ben und zu furchten, Experimentalpsy-chologie, Psychoanalyse, Asthetizismussind Trurnrner dieses seelischen Einheits-gedankens.

    Die aktuell wichtigste ist die Einheit derMenschheit. Auf ihr ist die ganze biblischeGeschichte gegrundet. allerdings in derVerbundenheit des Alten und des NeuenTestaments. Und wenn gerade der Auser-wahl the i tsgedanke dieser Einheit zu wi-dersprechen scheint, so rnuf', diese Vor-stellung nur von aller nationalen Ober-heblichkeit gereinigt werden, um dem ju-dischen Volke die gro[;e Aufgabe zuzuer-kennen, als Ausnahmsvolk sich selbst ver-neinend und doch in seiner Aufgabe wie-der bejahend, der Herstellung dermenschheitlichen Einheit zu dienen.Wenn dies wieder nicht in uberheblichernSinne gemeint wird, so kann hierfUr dasBild Iuda Halevis zum Vorbild dienenvom Herzen, dem schwachsten Organ,das dennoch den Mittelpunkt des mensch-lichen Organismus bildet.Die dritte Einheit ist die der Gottlich-

    keit. Das Judentum wird freilich selbstuber den engen Gottesbegriff des Rabbi-nismus hinauszuwachsen haben, es wirddas christliche Liebesprinzip in den Got-tesbegriff aufnehmen und damit, wie diesim Sohar angedeutet wird, die innerstenlebensquellen in sich und fur die Weltneu zur Erweckung bringen. Die Idee derlebendigen Dreiei nheit, von aller Dog-matik losgelost, kann sich in theologi-scher H insicht als fundamental erweisen.Das Judentum aber wird als solches in-nerhalb der Dreieinheit vor allem dieEinheit zu betonen haben, allen Tenden-zen gegenuber, die wieder nur ein Prin-zip darin vertreten oder ein anderes, wiedas Vaterprinzip, bekarnpfen wollen.Derngegenuber wird gerade durch die Er-fassung der Einheit in der Vielheit unddurch die Erkenntnis der engen Verbun-denheit des Alten und Neuen Testamentsein Punkt geschaffen werden, der sowohlkunftigen antij udischenTendenzen desChristentums wie antichristlichen Ten-denzen des Judentums schon im Keimeentgegenwirken wird." (Hervorhebungenim Original.)Die Philosophien eines Franz Rosen-

    zweig, Martin Buber oder in unseren Tageneines Emmanuel l.evinas (vgl. NavALIs3/97) mogen Ansatze in dieser Richtungenthalten.london1mSeptember 1941 heirateten ErnstMullerund Frieda Schorr, Trauzeugen waren u.a.die alten Wiener Freunde Franz Kobler undRichard Lissau; die Trauung in der AbbeyRoad Synagogue vollzog Rabbiner MoritzBauer, den Muller schon seit seiner Misslit-zer Jugend, spater auch in Wi en gekannthatte. Eine Stunde zuvor hatte er im Stei-ner-House in der Park Road an der esoteri-schen Klassenstunde der Anthroposophi-schen Gesellschaft teilgenommen. - Nachseinem Tad am 5. August 1954 wurde eram 8.8., (nach dem judlschen Kalender am

    5/1997 NOVAUS

  • 8/2/2019 Der Einzelne und die Einheit der Menschheit

    7/7

    9.Aw, dem Trauer-und Fasttag wegen derZerstorung Jerusalems und des Tempels)auf dem [udischen Friedhof in GoldersGreen bestattet. Die mit ihm befreundetenRabbiner Max Eschelbacher und Bruno Ita-liener sprachen zu der grofsen und sehr he-terogenen Trauergemeiride; ein memorialservice fand in der Kirche der Christenge-meinschaft in der Glenilla Road, Hamp-stead, statt. - Diese Beispiele veranschauli-chen nochmals, in welch besondererWeise Ernst Muller sein Leben demBruckenbau widmete. -Sein Gesundheitszustand erlaubte ihm in

    London nicht mehr in gleicher Weise wiein Wien offentliche Aktivitaten: anfangsnoch regelma[l,ig, dann immer seltenerkonnte er Vortrage im judischen oder an-throposophischen Rahmen halten. Seinschriftliches Schaffen im Londoner l.eberis-abschnitt - in Wien waren einige Bucherund Ubersetzungen sowie zahlreiche Arti-kel und Essayszu verschiedensten Themenin judischen und anthroposophischen Zeit-schriften erschienen (unveroffentlicht blie-ben hingegen einige Prosastucke, darunterein Roman Lurija. Ein kabbalistischer Mei-ster.) -umfa5t noch eine eng I ische Buch-veroffentlichung zur [udischen Mystik undetliche Artikel, vor allem aber seine rei-chen, leider nicht vollstandig erhal tenenErinnerungen, zahlreiche Gedichte, zweiDramen und nicht zuletzt seine intensiv(von seiner Wohnung in der HolmdaleRoad 19, London NW 6 aus) gefUhrte Kor-respondenz mit den uber die Welt ver-streuten Freunden und Bekannten.

    EpilogAis 1922 die Christengemeinschaft gegrun-det wurde, hielten sehr viele der damal igenAnthroposophen dies fur die Kronung derAnthroposoph ie, ganze Zweige traten indie Christengemeinschaft ein; eine Reak-tion, die Rudolf Steiner zeigte, wie wenigseine Intentionen verstanden wurden. Aisein junger Priester ihm auch noch die "Er-folgsmeldung" von der Taufe eines be-wahrten judischen Anthroposophen uber-brachte, emporte er sich: was das dennsolie, der Betreffende sei doch langjahrigesMitglied der Gesellschaft! Z

    Ernst Muller hat sich nie taufen lassen; ergab sich selbst jedoch am Ende seines Le-bens einen zweiten, Christliches und Judi-sches in sich verei nenden Namen; den Ar-tikel "Names", den er auf seinem Sterbe-bett schrieb und der posthum in der Zeit-schrift CHRISTIAN COMMUNITY (Nr.9/10,1954) veroffentlicht wurde, zeichnete ermit Michael Ernst Muller.-Leben und vermachtnis ErnstMuliers ru-

    fen dazu auf, das Christentum durch dasStudium des esoterischen Judentums unddas Judentum durch das Studium des eso-terischen Christentums immer tiefer ken-nen-, verstehen und lieben zu lernen.

    ;.!not only" t ake .posses sion of themof the Trinity, but must carry to them concrete xnowreceeGloria, the revelati on-li ght of t he Chris t Myst ery.NamesMichael Ernst Mueller

    (The. following notes were sent to us recently from a Hospital inLondon by Dr. Ernst Mueller, an elderly friend who knew RudolfSteiner pers onall y, and who i s act uall y referred t o by Rudo lf Steinerin t~e set of lectures which we commemorated in th_epre:vious number.

    123

    and, who would write to us about them. ,Meanwrile we are gladto publish Dr. Mueller's stimulating notes on the subject. . ..[ihUe t i l , l s article was~~ingprinted;" on A u g t i s ~ 5th,pr;E:rnst Mueller passed~;c:;~~~;~vi~~~~~~~l;~~'rno~~sS:r~ iC~rt~! :~~~ ~~o,;~~o ~~London on. Saturday, .August 14t.h. .

    EDITOR].the name is the precise point at which a being 'or thing comes. into the sph:re oLsound .and tone: Even-when the Absolute Being-GOd.- .1S indicat ed who l sunl l; tt amab le :s .t il l HIS , ':Name" remains ,

    ErnstMuliers ietzter Artikel "Names"posthum erschienen in der CHRISTIAN COMMUNITY

    Den Voifall amf S. Mai1922 schildert .HansBuchenbacher: .Erinnerungen. Begegnungen mitRudolf Steiner 1920-1924." in MITTE/LUNGEi'! AU5

    :::::".~~5 '1997

    OE~ANTH~PP?SOPHISCI1~N ARBEIT)N DElJTSCHLAND,Nr.125, Michaeli 1978, 5,211 ff. Siehe auch dieneue Rudol f Steiner-Biographievon Wal ter Beck,Dornaeh 1997, .5.204. "6) Wiederabgedruckt in Rudolf Steiner, Aufsiitze '.iiber.die Drelg/iederung dtCssozielen Organismusund zIJr Zeit/age 1915-1921 (GA 24) Dornach1982 .. U b er . ..Rudolf Steiners Hnsa tz fOr die Tren-nung von Einhcitsstaat uhd 'K.ultur vgl. Martin Bark-hoff, "Die multikulturelle Gesellschaft." in DAsGOETHEANUM,N r.2 6/1 995. . ..7) Zitiert nach Arfst Wagner, Nachwort in WalterKuhne, Die Stuttgarter Verhii/tnis5e. Scbaffhausen1989, 5. 137. Tatsachlich war Walter Simons(1861-1937) e in engagtcr ter . okurnen isch akt iverevangcl ischcrChrist.dereiner alter: reformiertenElberfelder Farnilie entstamrnte. Ab 1893 alsR ichter tatig,s tieger seit ,J9Q7purch yer: